»Der Tod ist dein letzter großer Termin« - Christoph Kuckelkorn - E-Book

»Der Tod ist dein letzter großer Termin« E-Book

Christoph Kuckelkorn

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Beschreibung

Was wir vom Tod fürs Leben lernen können Christoph Kuckelkorn, Bestatter aus Köln, führt ein "Doppelleben": Zum einen lenkt er eines der ältesten Bestattungsunternehmen in Deutschland, gleichzeitig fungiert er als Präsident des Festkomitees des Kölner Karnevals. Was wie ein Widerspruch klingt, bedeutet für ihn eine Einheit. Wie kaum ein anderer durchlebt er tagtäglich das Wechselspiel zwischen Glück und Trauer, Ausgelassenheit und Verzweiflung. Tod und Leben – zwischen beiden Welten bewegt sich Christoph Kuckelkorn mühelos, manchmal innerhalb nur weniger Stunden: morgens die Vorbereitung einer Beerdigung, mittags Sitzung beim Festkomitee des Kölner Karnevals, nachmittags ein Trauergespräch mit einer Familie, die ihr Kind verloren hat, abends die Prunksitzung. Und danach Totenwache. Die Gleichzeitigkeit der Gefühle ist für ihn keine Theorie, sondern tägliche Praxis, die ihn viel über das Leben gelehrt hat. Er propagiert das Leben im Hier und Jetzt. Und praktiziert es. Als Wanderer zwischen den Welten hat Christoph Kuckelkorn seine packende Biographie und ein großes und inspirierendes Buch über den Sinn und Wert des Lebens geschrieben.

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Seitenzahl: 288

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Christoph Kuckelkorn mit Melanie Köhne

Der Tod ist dein letzter großer Termin

Ein Bestatter erzählt vom Leben

FISCHER E-Books

Inhalt

PrologDer Geruch von HolzDie Erinnerungen ...Alltag eines BestattersIch kann von mir sagen, ...Termine, Termine, TermineIch kann mein Jobverständnis ...Früher war mehr PferdWir leben in einem digitalen Zeitalter.Den Tod in die Gesellschaft zurückholenWenn wir während der Karnevalszeit ...Kindheit mit Leichen im KellerEs war nicht immer ganz einfach, ...Kinder gehören dazu – auch beim SterbenWenn innerhalb eines Familienverbunds ...LehrjahreMein Vater sagte immer: ...Kennste den?Wenn jemand erfährt, ...Wenn Bestatter trauernIch hatte bereits viele Menschen ...Jenseits der VorstellungTrauer wird meist ...Dem Tod ein Gesicht gebenDer persönliche Abschied ...Katastrophen-EinsatzDurch die Ausbildung ...Trauer für alleEs ist kein Geheimnis, ...D’r Zoch küttDie meisten Menschen ...Einmal Präsident seinDas Festkomitee ...Nicht morgen. Heute!Es gibt eine Eigenschaft, ...DanksagungBildnachweis

Prolog

Ein junger Mann hetzt über den Bahnsteig. Die Türen schließen sich bereits, und er schafft es in letzter Sekunde noch in den Zug zu springen. Außer Atem und ohne Fahrkarte steht er da, als der Schaffner vorbeikommt und ihn nach seinem Ticket fragt. Einen Fahrschein nachlösen kann er jedoch nicht, da er kein Geld bei sich hat. Ihm droht schon ein Bußgeld, als die junge Frau neben ihm 25 Pfennig aus der Tasche kramt und sie dem Kontrolleur für eine Fahrkarte herüberreicht. Eine schicksalhafte Begegnung im Nachkriegsdeutschland.

Fast ein ganzes Leben später steht dieser Mann vor mir. Aus ihm ist ein bekannter Sänger geworden, der in Köln im öffentlichen Leben steht und auf allen Bühnen dieser Welt unterwegs ist. Die Frau, die ihm damals so aus der Patsche geholfen hatte, wurde die Liebe seines Lebens. Fünfzig Ehejahre hat er an ihrer Seite verbracht und alle Höhen und Tiefen gemeinsam mit ihr durchlebt – auch die zwanzig Jahre, in denen sie ein Pflegefall war. Aufopferungsvoll kümmerte er sich.

Nun ist sie verstorben, wir stehen im Abschiedsraum am geöffneten Sarg. Er öffnet seine Jacke, kramt 25 Pfennig aus seiner Jackentasche und gibt sie seiner Frau in die Hand. Keine Cent, sondern tatsächlich Pfennige!

»Die wollte sie nie zurückhaben, jetzt kann sie sich nicht mehr dagegen wehren«, sagt er mit einem wehmütigen Blick.

Der Geruch von Holz

Die Erinnerungen an meine früheste Kindheit sind geprägt von dem Gefühl des Abenteuers, der Freiheit, aber auch der Geborgenheit. Meine Eltern haben, seit ich denken kann, nahezu ununterbrochen gearbeitet. Sie führten in der vierten Generation unser Bestattungshaus mit zwei Filialen inmitten der Kölner Innenstadt, mussten für ihre Kunden rund um die Uhr erreichbar sein und kannten keinen Feierabend oder gar freie Wochenenden. Inmitten dieses elterlichen Betriebs bin ich groß geworden. Schon als Kindergartenkind verbrachte ich meine Nachmittage in den damals überaus modernen Büroräumen, in denen man aufgrund von großen Glaswänden von Büro zu Büro schauen konnte. Die Abtrennungen aus Glas und Holz hatten unsere Schreiner in Eigenregie gebaut, denn damals gehörte zu unserem Betrieb noch eine eigene Schreinerei. Zu dieser Zeit wurden die Särge noch bei uns im Haus produziert. Es gab eine voll ausgestattete Werkstatt mit Kreissägen, Bandsägen, Abrichthobelmaschinen, Schleifmaschinen und vielen Hobelbänken – all jene Dinge, die einem kleinen Jungen das Herz höher schlagen lassen. In der ersten Etage der Schreinerei wurden Holz und fertiggestellte Särge eingelagert. Dafür gab es eine sogenannte Laufkatze, also eine Art Aufzug, den man elektrisch rauf- und runterfahren und mit dem man das Sperrgut in die Höhe verfrachten konnte. Wie gerne habe ich damit gespielt, und wie sehr habe ich mir gewünscht, mit der Konstruktion einmal hochgezogen zu werden. Das war natürlich alles sehr spannend und aufregend für mich. Aber das Beste an der Schreinerei war ihr ureigener Geruch. Es roch immer nach frischem Holz und manchmal scharf nach Beize! Mit dem Geruch nach duftendem Holz in der Nase bin ich aufgewachsen, und bis heute versetzt mich dieser Geruch in meine Kindheit zurück.

Zu gern hielt ich mich bei unseren Schreinern in der Werkstatt auf. Und für die Mitarbeiter war ein Kind in der Werkstatt eine willkommene Abwechslung. Sofort wurde alles stehen und liegen gelassen und sich nur um mich gekümmert. Ich erinnere mich daran, dass es dort immer eine Kiste voller Flaschen mit Afri-Cola und Bluna-Limonade gab. Normalerweise tat derjenige, der eine Limo oder Cola nahm, ein wenig Geld in eine dafür vorgesehene Kasse. Wenn ich kam, durfte ich mir eine Limo nehmen, und der Meister bezahlte für mich. Das war großartig. Eine wunderschöne Überraschung erhielt ich einmal in meinen Ferien: eine eigene blaue Schürze, wie sie alle unsere Schreiner bei der Arbeit trugen. Zusätzlich wurde mir eine kleine Werkbank aufgebaut, an der ich arbeiten durfte. Ich konnte hämmern, sägen und irgendwelche Sachen zusammenbauen, was mir größten Spaß bereitete. Als Kind wurde ich so ganz spielerisch an das Handwerk herangeführt. Für mich war das alles eine faszinierende Welt und eine einzigartige Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. Aber nicht nur die Schreinerei war mein Abenteuerspielplatz, sondern ich tobte und spielte durchs ganze Haus, das während des Zweiten Weltkriegs ein paar Treffer abbekommen hatte und nur notdürftig repariert worden war. Alles war irgendwie miteinander verbunden und überall konnte ich hingehen. Vom Dach bis zum Kohlenkeller war das ganze Gebäude mein Revier, egal ob ich mich in irgendeinem Winkel versteckte oder aber von der Treppe in den Keller selbstgebastelte Papierflieger segeln ließ. Wobei zugegebenermaßen meine ersten Flieger noch gar nicht richtig gut flogen. Ich musste eine Weile üben und ausprobieren, bevor sie irgendwann in einem schönen Bogen vom höchsten Treppenabsatz hinab in den Kohlenkeller schwebten. Meine Mutter reagierte dementsprechend entsetzt, als sie irgendwann vorbeikam und das ganze Papier im Keller liegen sah. »Was bitte schön ist denn hier passiert?« Das war natürlich auch nicht das einzige Mal, dass sie mit einer von Kinderhand ausgelösten unerwarteten Situation zurechtkommen musste. Im Alter von vielleicht zwei oder drei Jahren schloss ich sie einmal in ihrem Büro ein. Sie saß dort an ihrem Schreibtisch, und ich konnte sie durch die Glastür sehen. Ich spielte vor ihrem Büro und drehte plötzlich ohne ersichtlichen Grund den Schlüssel herum, der dort im Schloss steckte. Meine Mutter erschrak natürlich, redete auf mich kleinen Zwerg ein, ich solle doch wieder aufschließen. Als das nichts half, rief sie: »Lass mich hier raus!« Da bin ich erst einmal weggelaufen. In ihrer Hilflosigkeit bat sie mich in einem freundlicheren Ton durch die Glasscheibe hindurch, dass ich doch wiederkommen möge. Ich weiß nicht mehr, wie lange es gedauert hat, aber irgendwann bin ich zurückgekehrt und habe es dann auch irgendwie hinbekommen, den Schlüssel wieder herumzudrehen.

Das Bestattungshaus war für mich ein großer Abenteuerspielplatz. An Tote erinnere ich mich nicht.

Das sind die frühesten Erinnerungen an meine Kindheit. Ich erinnere mich daran, wie ich auf dem Hinterhof unseres Hauses Fahrradfahren gelernt habe, erinnere mich an all die freundlichen Mitarbeiter unseres Bestattungshauses, an meine arbeitenden Eltern und an die Nachmittage, die ich spielend im Betrieb verbrachte, während ich darauf wartete, dass meine Mutter endlich die Dinge erledigt hatte, die an jenem Tag eben zu erledigen waren. An Tote erinnere ich mich nicht, weil es sie bei uns nicht gab, denn damals wurden die Verstorbenen immer direkt vom Sterbeort zum Friedhof überführt.

Von dem eigentlichen Beruf meiner Eltern bekam ich nicht viel mit. Regelmäßig kam es vor, dass die Mitarbeiter, die normalerweise in der Schreinerei tätig waren, aufbrachen oder erst gar nicht da waren. Wahrscheinlich waren sie zu diesen Zeiten auf dem Friedhof, um Bestattungen vorzubereiten, oder sie überführten Verstorbene. Ich bemerkte nur, dass ich manchmal weniger Ansprechpartner in der Schreinerei hatte, wenn ich bei meinem spielerischen Herumwerkeln nicht weiterkam. Irgendwann waren aber alle plötzlich wieder da. Diesen Wechsel nahm ich wahr, sonst nichts. Heute weiß ich, dass das von meinen Eltern auch genau so gewollt war.

Als ich in die Schule kam, bezog unser Familienunternehmen neue Räumlichkeiten ein kleines Stück weiter die Straße hinauf. Nur die Schreinerei verlagerte sich im Zuge dieser Veränderung nach Köln-Ossendorf, einen anderen Stadtteil und somit raus aus der Innenstadt. Ansonsten blieben wir unserem Kölner Veedel, dem nördlichen Teil der Altstadt, treu. In dem ehemaligen Rotlichtviertel war für mich alles fußläufig zu erreichen – die Schule, das Büro meiner Eltern –, und hier spielte sich der Großteil meines bisherigen Lebens ab. Die damals bezogenen Räumlichkeiten in der Friesenstraße gehören bis heute zu unserem Unternehmen und beherbergen inzwischen unser Sarglager, Rückzugsorte für persönliche Abschiede sowie unsere Versorgungs- und Vorbereitungsräume für die Verstorbenen. Der repräsentativere Teil unseres Unternehmens sowie mein Büro sind seit dem Jahr 2007 nur wenige Meter entfernt in der Zeughausstraße untergebracht. Obwohl die Jahre vergingen, Menschen kamen und gingen und ich älter geworden bin, ist dies hier mein Zuhause und der Ort meiner glücklichen Kindheit.

Alltag eines Bestatters

Ich kann von mir sagen, dass ich jeden Tag aufs Neue gerne ins Büro gehe. Auch wenn es abgedroschen klingt, so ist mein Beruf für mich viel mehr als nur reiner Broterwerb. Er ist für mich Berufung, und ich fühle mich an diesem – meinem – Platz goldrichtig! Immer wieder begegne ich den unterschiedlichsten Menschen, höre neue Geschichten oder erlebe Situationen, die mich auf ganz besondere Art berühren und nicht mehr loslassen. Zum Beispiel jene von dem Paar mit den 25 Pfennig, von dem im Prolog zu lesen war. Diese Geschichten sind es, die mich meinen Beruf so lieben lassen.

Besucher, die in unser Bestattungshaus kommen, betreten als Erstes unser großzügiges Foyer, von dem zwei unterschiedlich gestaltete Beratungsräume abgehen. Geht man geradeaus durch die Eingangshalle hindurch, kommt man zu den Schreibtischen unserer Mitarbeiter und über eine Wendeltreppe hinunter in eine kleine Sarg- und Urnenausstellung. Inzwischen gibt es hier sogar ein Sargmodell aus schnell nachwachsenden Rohstoffen wie Bananen- und Ananasblättern und Rattan. Im hinteren Teil der Räume, mit eigenem Zugang über die Seitenstraße, befinden sich ein Saal für Trauerfeierlichkeiten oder auch für kulturelle Veranstaltungen sowie mein eigenes Büro. Mein kleines, gemütliches, ganz persönliches Chaos. Hier liegen aktuelle Unterlagen auf meinem Schreibtisch, stehen Erinnerungsstücke, wie beispielsweise die Büste meines Großonkels Willi, eines Schauspielers, auf einem alten Sideboard und schmusen zwei Unzertrennliche in ihrem Papageienkäfig. Ursprünglich hatten die beiden Vögel ihren Platz in unserer Privatwohnung, aber ihre schrillen Pfiffe waren auf Dauer dann doch zu laut für unser Empfinden.

Unsere Wohnung befindet sich in ebenjenem Haus, das meine Eltern mit dem familieneigenen Unternehmen vor fast einem halben Jahrhundert neu bezogen. Es ist für mich ein großer Luxus, dass ich im Fall der Fälle in nur wenigen Minuten von unserer Wohnung ins Büro gehen kann. Meine Mutter hatte mich zunächst aus eigener Erfahrung heraus eindringlich vor dieser räumlichen Nähe gewarnt. »Mach das nicht, mein Junge!« Aber ich entgegnete ihr nur: »Erinnerst du dich, wie oft ihr von Zuhause noch einmal in die Stadt fahren musstet, weil irgendetwas zu erledigen war?« Sie konnte gar nicht anders, als mir zuzustimmen. Und noch immer bin ich überzeugt von der Richtigkeit meiner Entscheidung. Kurze Wege, kaum Zeitverluste. Es fühlt sich an, als wäre alles unter einem Dach. Hinzu kommt, dass ich ein Stadtmensch bin und das Leben in der Innenstadt mit allen Vor- und Nachteilen absolut schätze.

In unserem Haus befindet sich auch noch immer das Arbeitszimmer meines Großvaters, in dem wir seit seinem Tod nichts, aber wirklich rein gar nichts verändert haben. Tritt man hier über die Schwelle, fühlt man sich in die Zeit der 1970er Jahre zurückversetzt. Sein Schreibtisch steht vor einem wandfüllenden Regal, in dem unzählige staubige Bücher darauf warten, mal wieder in die Hand genommen zu werden. Mein Großvater war nämlich nicht nur Kopf der Firma, er war auch Doktor der Geologie und ein wirklich universalgelehrter Mensch, an den man sich als Kind mit jeder Frage wenden konnte. Um kaum eine Antwort war er verlegen und wenn doch, wusste er, wo die Antwort zu finden war – und das in einer Zeit, lange bevor wir das Wort Internet überhaupt kennen gelernt haben. Mein Großvater war eine enorm imposante Persönlichkeit und ein Hingucker mit grauen Haaren und grauem Bart. In seinem Wandschrank stehen noch heute zig Fotoalben, deren eingeklebte Aufnahmen unsere Unternehmensgeschichte bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dokumentieren. Und an der Wand hängt ein gerahmter Spruch zum hundertjährigen Firmenjubiläum: »Seit 100 Jahren auch im Jenseits vorn, in einem Sarg von Kuckelkorn«.

Unser Familienunternehmen existiert seit dem Jahr 1864. Was als Schreinerbetrieb begann, ist heute eines der ältesten Bestattungshäuser in Deutschland. Seit nunmehr 35 Jahren (das Handwerkeln in der Schreinerei während meiner Kindheit nicht mitgerechnet) bin ich hier tätig und setze damit die Familientradition in fünfter Generation inzwischen als Geschäftsführer fort. Wenn ich heute die Tür zu unserem Haus aufschließe, ist es natürlich eine komplett andere Situation, eine andere Zeit, aber das Gefühl, das ich mit diesem Haus, unserer Firma, unserem kleinen Kosmos verbinde, ist noch immer vergleichbar mit den positiven Gefühlen von damals, als ich noch in meinen Kinderschuhen durch die Räume lief.

Ich hatte schon mal angeregt, eventuell längerfristige Bestattungstermine zu machen, aber da hält sich der Tod einfach nicht dran …

Meine Arbeitstage als Bestatter lassen sich leider äußerst schlecht planen. Dieser Beruf ist sehr unstet, und Kunden melden sich in der Regel nicht lange im Voraus an. So ist es wirklich manchmal schwer, den Tag in den Griff zu bekommen, weshalb ich meist versuche, als Erster im Büro zu sein und die Fäden für die nächsten Stunden in den Händen zu halten. Da ich sowieso ein Frühaufsteher und immer der Erste im Haus bin, der wach ist, bereitet mir das keine Probleme. Meistens nutze ich die ersten, frühen Minuten für mich und verschaffe mir einen Überblick über das, was in unserem Terminkalender steht, und das, was sich am Vortag in der Welt getan hat. Ich komme nur selten zum Fernsehen und lese stattdessen als Ausgleich morgens zwei bis drei Tageszeitungen, um mir so die wichtigsten Informationen zu holen. Danach bin ich immer sehr schnell im Büro. Mein vornehmlicher Arbeitsbereich ist natürlich die Firmenleitung. Ich kümmere mich darum, morgens die Mitarbeiter einzuteilen: Wer kümmert sich um welche Beerdigung, wer fährt wohin, wer führt welche Beratung durch, und wer erledigt alles andere, das noch so anfällt. Doch kaum hat man das Gefühl, dass der Tag einem gewissen Plan folgen kann, ruft jemand an, der einen Sterbefall hat, und schon sind alle Einteilungen über den Haufen geworfen. Plötzlich muss derjenige, den man ursprünglich für den Friedhof eingeteilt hatte, einen Verstorbenen abholen, und die Friedhofsfahrt muss irgendwie anders organisiert werden. Die Logistik, die im Hintergrund abläuft, ist immens. Regelmäßig, manchmal minütlich, verändern sich die Parameter des Tages. Und darauf muss man sich immer wieder neu einstellen. Für mich ist das sowohl die größte Herausforderung als auch der größte Reiz meines Berufes. Jeder soll bei uns das Gefühl haben, dass er der einzige Kunde in diesem Augenblick ist. Er soll nicht merken, wie viele Dinge parallel im Hintergrund laufen, was noch alles gleichzeitig bewegt und bewältigt werden muss. Aber natürlich haben auch wir nur bestimmte personelle Ressourcen. Dies alles zusammenzubringen, miteinander zu verbinden und dann auch noch wirtschaftlich zu gestalten, das ist meine persönliche Herausforderung.

Ich bemühe mich, den Hinterbliebenen zumindest eine Grundstruktur für die ersten Tage zu geben. Irgendetwas, an das sie sich halten können.

Eine Kerntätigkeit meines Berufsstandes ist das Beratungsgespräch. In diesem Gespräch werden die Angehörigen von Verstorbenen darüber informiert, welche unterschiedlichen Möglichkeiten der Bestattung und welche Arten von Trauerfeiern es gibt. Darüber hinaus bieten wir die Ausgestaltung der Feier mit Musik, Reden, Blumen, Kerzen und anderer Dekoration sowie verschiedene Möglichkeiten der Benachrichtigung mit Drucksachen und Zeitungsanzeigen bis hin zum anschließenden Leichenschmaus und dessen Organisation an. Unter dem Strich wird den Hinterbliebenen heute in diesen Beratungsgesprächen ein ziemlich großes Dienstleistungsangebot gemacht. Wir bemühen uns, das Gespräch so zu gestalten, dass die Angehörigen nicht überfordert werden. Je nachdem, wie die konkrete Situation sich darstellt, führen wir auch mehrere solcher Gespräche, um den Trauernden die entsprechende Bedenkzeit und Ruhe zu geben. Eine Familie, die jemanden betrauert, der monatelang im eigenen Zuhause gepflegt wurde oder der am Ende im Heim lebte und lange Zeit nicht sterben konnte, hat eine ganz andere psychische Verfassung als eine Familie, in der jemand morgens einen Herzinfarkt hatte, umgekippt und plötzlich tot ist. Man muss immer sehr genau schauen, wie fühlen sich die Menschen gerade, wie hole ich meine Gesprächspartner am besten ab, welche Elemente aus den Tausenden möglichen Angeboten filtere ich heraus, die genau in diesem Fall passen könnten. Ich persönlich lasse solche Gespräche manchmal einfach laufen, um herauszufinden, was die Hinterbliebenen eigentlich wollen und ob sie eventuell eigene Vorstellungen haben. Es gibt so viele Aspekte, die dabei eine Rolle spielen, und immer wieder ergeben sich auch heute noch für mich neue Situationen. Manchmal begegnen sich rund um einen Todesfall Menschen, die in ihrem alltäglichen Leben nicht mehr viel miteinander zu tun haben und nun plötzlich gemeinsam eine Bestattung organisieren müssen. Unter Umständen existieren völlig unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Bestattung aussehen soll. Innerhalb einer Patchwork-Familie hat die zweite Ehefrau vielleicht ganz andere Wünsche als die Kinder aus der ersten Ehe des Verstorbenen. Vermutlich haben die Parteien auch jeweils ein ganz anderes Bild von dem Menschen, den es zu bestatten gilt. Da kann es also schon mal kompliziert und schwierig werden, eine gute Beratung durchzuführen. Dazu muss man herausfinden, wer eigentlich der Entscheidungsträger ist, und dann kann es im Gespräch eventuell zu der unangenehmen Situation kommen, den Kindern aus erster Ehe sehr deutlich sagen zu müssen, dass sie rein rechtlich gar kein Mitspracherecht haben, sondern die neue Ehefrau ihres verstorbenen Vaters diejenige ist, die am Ende das Sagen hat. Hier muss man einen guten Weg finden, der für alle Beteiligten am Ende gangbar ist. In gewisser Weise macht es sogar Freude, wenn man sich darauf einlässt und verinnerlicht hat, dass man eine Art Mediator ist. Dafür braucht es eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl und, wenn man diese Aufgabe wirklich in ihrer Ganzheitlichkeit übernimmt, eine Menge Erfahrung – Lebenserfahrung auf der einen Seite, ebenso wie berufliche Erfahrung, weil man die Auswirkungen und das Zusammenwirken der vielen Komponenten auch abschätzen können muss.

Die persönlichen Gespräche finden entweder bei uns vor Ort in den Beratungsräumen statt oder bei den Menschen zu Hause. Manchmal ist das notwendig, beispielsweise bei Leuten, die körperlich beeinträchtigt sind. Aber auch psychologisch kann es von Fall zu Fall ratsam sein, diese Gespräche in der persönlichen Umgebung der Angehörigen zu führen, weil es sich um einen geschützten Raum handelt, in dem sie sich wohl fühlen. Andere wiederum finden das zu privat und wollen den Bestatter nicht bei sich zu Hause haben. Sie möchten sich lieber auf einer Art neutralem Boden treffen und ziehen das Gespräch im Bestattungsinstitut vor. Aber es ist egal, an welchem Ort wir den Hinterbliebenen begegnen: Es ist immer wichtig, dass wir ihnen zunächst einmal Halt geben. Die meisten Menschen erleben einen Todesfall in ihrem unmittelbaren Umfeld wie einen Bruch. Von einer Sekunde auf die andere ist plötzlich nichts mehr, wie es vorher war. Ohne große Vorwarnung verlieren diese Menschen plötzlich die Struktur in ihrem Leben. Eine Situation, die für viele traumatisierend ist. Und wenn wir den Menschen an diesem Punkt begegnen, bemühen wir uns in unserem ersten beratenden Gespräch immer darum, ihnen zumindest eine Grundstruktur für die ersten Tage nach dem Verlust zu geben. Irgendetwas, an das sie sich halten können. Manchmal zählen hier die kleinsten Dinge. Natürlich ist in der Regel nach dem allerersten Gespräch noch nicht alles komplett geklärt, aber es gibt immer schon ein paar Eckdaten, die danach feststehen. Entweder weiß man, welche Bestattungsform man favorisiert, die wichtigsten Termine sind schon einmal geklärt oder man ist darüber informiert, welche Behördengänge noch anstehen. Für jeden Menschen sind es unterschiedliche Parameter, die am Ende Struktur geben, aber für jeden von ihnen ist wichtig, einen Leitfaden zu haben, an den sie sich halten können, wenn sie das Bestattungsunternehmen verlassen. Jeder braucht einen gewissen Plan, an dem er sich die nächsten Tage von Termin zu Termin hangeln kann. Das ist essentiell wichtig und hilft, die ersten Trauertage zu bewältigen. Und weil wir das wissen, prüfen wir sehr genau, wie weit wir mit unserer Hilfestellung gehen können. Manchmal kann es angeraten sein, einen Menschen in dieser Ausnahmesituation zu entlasten, weil er das alles allein nicht schafft, aber genauso kann es bei einer anderen Person ratsam sein, diese an bestimmte Tätigkeiten heranzuführen, mit denen sie bis dato noch nie in Berührung gekommen ist. Es kann zum Beispiel bei einem Ehepaar, das in einer klassischen Rollenverteilung gelebt hat und bei dem nun der Mann verstorben ist, sinnvoll sein, die notwendigen Amtsgänge mit der Ehefrau gemeinsam zu machen, um ihr zu zeigen, wie das bei der Bank oder auf dem Amt in Zukunft funktioniert. Mit viel Empathie und aufgrund unserer Erfahrung versuchen wir, die Zeit nach einem Todesfall bestmöglich für denjenigen zu gestalten, den wir in dieser Situation begleiten. Das ist eine riesige Herausforderung, die auch psychologisches Einfühlungsvermögen erfordert, bis hin zu der Frage, ob unser Gegenüber die Situation psychisch selbst bewältigen kann oder vielleicht eine Trauerbegleitung benötigt. Auch dafür können wir noch zusätzliche Angebote offerieren. Es sind also unzählige Elemente und Komponenten, die bei unseren Beratungsgesprächen in immer neuen Konstellationen ein- und zusammenfließen.

Bei Freunden ist es für mich selbstverständlich, dass ich die Begleitung eines Todesfalls persönlich übernehme.

An manchen Tagen habe ich das Bedürfnis, selbst wieder einen Sterbefall zu bearbeiten und zu begleiten. Wenn dem so ist, dann nehme ich mir die Freiheit und mache das auch. Manchmal wird vielleicht sogar erwartet, dass der Chef einen bestimmten Todesfall übernimmt. Genauso ist es bei Freunden oder Bekannten für mich selbstverständlich, die Begleitung persönlich zu übernehmen. Das betrifft natürlich auch meine Mitarbeiter. Es gibt Kunden, die ich am Telefon habe und denen ich einen Termin anbiete, die dann aber sagen, dass sie lieber einen Termin mit einem bestimmten Mitarbeiter hätten, weil sie ihn kennen und er vielleicht schon einmal einen Todesfall in ihrer Familie oder im Freundeskreis begleitet hat. Insofern spielt der persönliche Bezug an dieser Stelle eine große Rolle.

Unser Beraterteam setzt sich aus völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen. Da ist eine Person emotionaler, eine andere sachlicher und wiederum eine andere stärker strukturiert. Es sind die unterschiedlichsten Menschen, und genauso möchte ich das in meinem Haus auch haben. Jeder, der zu uns kommt, soll den für ihn passenden Berater finden können. Ich kann nur jedem empfehlen, der nach einem Todesfall einen Bestattungsunternehmer sucht, sich ruhig zwei oder auch drei verschiedene anzusehen, wenn es bei dem ersten nicht sofort passt und man sich unwohl fühlt – genau so machen wir das ja auch, wenn wir beispielsweise einen neuen Arzt suchen!

Nur auf die Kosten zu schielen, halte ich dabei für wenig sinnvoll. Das eine Institut ist vielleicht an der einen Stelle hundert Euro teurer, das andere dafür an der anderen Stelle hundert Euro billiger. Am Ende des Tages kommt meist das gleiche Ergebnis raus. Die zentrale Frage sollte sein: Wo fühle ich mich wohl? Im Grunde ist das eine sehr einfache Geschichte. Wenn man in den Urlaub fährt, entscheidet man sich für einen Campingplatz oder man bucht ein Hotel, das ein bisschen mehr Wohlfühlatmosphäre bietet. Genauso ist es im Prinzip beim Bestattungsinstitut. Wenn man sich wohl fühlt, eine vernünftige Ansprache bekommt und die eigenen individuellen Wünsche so umgesetzt werden, wie man es sich erhofft und wünscht, dann ist das am Ende entscheidender als die Frage, ob das nun hundert Euro mehr oder weniger kostet.

Unser Alltag im Bestattungsinstitut besteht neben den Beratungsgesprächen auch daraus, dass wir die Menschen an ihrem Sterbeort abholen – zu Hause, im Krankenhaus, im Altenheim, von wo auch immer – und dann zu uns ins Unternehmen überführen. Hier werden die Verstorbenen gewaschen und angezogen, eventuell für eine Abschiednahme am offenen Sarg vorbereitet – je nach Absprache mit den Angehörigen. Parallel laufen all die anderen Dinge, die ein Bestatter mit den Angehörigen abgestimmt und zu organisieren hat. Zeitungsanzeigen werden entworfen, Drucksachen in Auftrag gegeben, Blumen bestellt, Restaurants für den Leichenschmaus reserviert, Taxifahrten organisiert etc. Eventuell müssen mit den Geistlichen Absprachen getroffen werden, und die Angehörigen müssen über die folgenden Tage terminlich organisiert werden. Dazu gehören Fragen wie: Wann sollten die Blumen ausgesucht werden? Wann muss man sich auf dem Friedhof einfinden, um das Grab auszusuchen? Und viele mehr. Dies sind alles Punkte, die wir steuern und an denen wir aktiv beteiligt sind, sozusagen der rein organisatorische Teil, der größtenteils am Schreibtisch stattfindet, aber nicht weniger spannend ist. Wir koordinieren all diese Komponenten und fügen sie zu einem großen Ganzen zusammen, so dass sie später alle gemeinsam an einem Ort zur gleichen Zeit stattfinden können. Wir steuern und beaufsichtigen den gesamten Ablauf einer Beerdigung, was ein äußerst verantwortungsvolles und exaktes Handeln voraussetzt. In manchen Fällen begleiten wir eine Beerdigung bis zum endgültigen Verschließen des Grabes, um die Wünsche der hinterbliebenen Familien optimal zu erfüllen und alle besprochenen Elemente auch wirklich umzusetzen. Nach einer gewissen Zeit gibt es bei uns auch immer noch eine Nachbesprechung, in der wir mit unseren Kunden reden, uns austauschen und oftmals auch die eventuell gewünschten Danksagungskarten besprechen. Diese Form der aktiven Nachsorge ist für uns noch einmal ein sehr wichtiger Punkt, um die Hinterbliebenen auch nach der Beisetzung ein Stück weiter begleiten und unterstützen zu können.

Doch nicht immer läuft alles nach Plan. Vor allem die Trauerfeier birgt unzählige Möglichkeiten, in Fettnäpfchen zu treten. Ein Klassiker ist sicherlich das nicht ausgestellte Mobiltelefon in der vollbesetzten Trauerhalle. Ich habe das leider schon viele Male erlebt: Der Geistliche beginnt gerade seine persönliche Ansprache auf den Verstorbenen. Plötzlich klingelt ein Handy. Jeder guckt betreten zu der Person, bei der es in der Hosentasche oder Handtasche klingelt. Wir stehen dann oft schon an der Tür, um diese aufzuhalten, damit die angerufene Person schnell herauseilen kann. Doch diese nimmt seelenruhig den Anruf entgegen und fängt an zu telefonieren: »Ich bin gerade auf einer Beerdigung und kann nicht sprechen. Ich ruf dich gleich zurück.« Es gibt einfach nichts, das es nicht gibt. Folgende Situation: Eine Trauerfeier, der Pfarrer fängt an zu sprechen. Plötzlich wird die Tür aufgerissen, eine aufgedonnerte Frau stürmt durch die Trauerhalle, schmeißt sich auf den Sarg, schreit, weint und lamentiert. Alle sind pikiert. Ehefrau und Kinder denken: »O Gott. Er hatte eine Geliebte!« In dem Moment dreht sich die Frau um, guckt auf die total irritierte Witwe und realisiert: »Ich bin zu früh!« – falsche Beerdigung. Die Dame ist dann mit hochrotem Kopf schnurstracks aus der Halle raus. Das ist wirklich passiert. Wir haben es erlebt!

In unserem Beruf ist nicht immer gleich viel zu tun. Natürlich gibt es zwischendurch auch mal einen Monat, in dem weniger Beerdigungen zu organisieren sind. In solchen Monaten muss man die Disziplin aufbringen, das ganze Equipment auf Vordermann zu bringen und die vermeintlich freie Zeit zu nutzen – auch Leichenwagen müssen mal in die Inspektion. Manches Mal bin ich geneigt, etwas freiere Monate damit zu füllen, neue Projekte anzufangen, aber das ist meist keine allzu gute Idee. Es ist wichtig, alles wieder so zurechtzumachen, dass es – wie bei der Feuerwehr – auch wieder einsatzbereit ist. Denn es kommen auch wieder Monate, die vergehen so schnell, weil die einzelnen Tage so angefüllt sind mit Arbeit, dass man manchmal gar nicht weiß, wie man sie bewältigen soll. Es gibt also keine Gesetzmäßigkeit, keine Statistik, auf die man sich in unserem Beruf verlassen könnte. Da gibt es mal Tage, an denen sind fünf Beerdigungen – und die sind dummerweise auch noch alle um elf Uhr! Schon steht man vor einer logistischen Herausforderung: Wie bekommt man jetzt fünf Beerdigungen, die eventuell sogar auf fünf verschiedenen Friedhöfen stattfinden, personell so besetzt, dass das funktioniert? Und dann gibt es wiederum Tage, an denen schaut man morgens auf den Plan und denkt sich: »Huch, was ist denn heute los?« Da findet nicht eine Beerdigung statt. Es gibt einfach kein System dahinter. Nicht einmal jahreszeitlich gesehen existiert eine haltbare Regel. Manchmal hat man im Sommer so einen stillen Monat, manchmal im Winter.

Selbst im November gibt es nicht mehr Todesfälle als in anderen Monaten – leider, muss ich als Bestatter fast sagen, denn dann könnten wir uns zumindest darauf einstellen.

Der November ist eher ein trauriger Monat. Das tägliche Sonnenlicht ist auf ein Minimum reduziert, draußen ist es kalt, und automatisch fröstelt es einen. Zudem existieren diese Totengedenktage, die unseren Fokus bewusst auf das Thema Sterben lenken. Und plötzlich liest man die Todesanzeigen in der Zeitung intensiver, als man dies im Sommer bei Freibadwetter je tun würde. Was wir natürlich beobachten, ist die Tatsache, dass in der dunkleren Jahreszeit Suizide häufiger auftreten als im Sommer. Dafür haben wir aber im Sommer mehr Unfälle, die passieren, wenn die Leute in ihrer Freizeit Motorrad fahren, klettern gehen oder sonst irgendwelche Outdoor-Aktivitäten unternehmen.

Ich liebe die Anspannung, wenn viel zu tun ist, aber es muss auch immer genügend Zeit dafür da sein, dass ich mich dem Einzelnen widmen kann. Nichts ist schlimmer, als wenn ich merke, dass ich dem Ganzen nicht mehr richtig gerecht werde. An diesem Punkt wird es schwierig für mich. Deswegen ist auch ein Unternehmenswachstum begrenzt, zumindest in der Auffassung, wie ich unseren Beruf verstehe und unser Bestattungsinstitut führe. In unserem Unternehmen sind wir meiner Meinung nach derzeit an der Belastungsgrenze. In der Regel betreuen wir im Monat vielleicht rund fünfzig Sterbefälle. Das ist der Durchschnittswert, und es können auch mal siebzig oder dreißig Fälle sein. Dazwischen geht die Anzahl immer rauf und runter. Noch kann ich quasi mit jedem in Kontakt treten, wenn es erforderlich ist. Wäre die Anzahl der zu betreuenden Sterbefälle noch höher, würde es schwierig. Die Betreuung würde dann meiner Auffassung nach irgendwie industriell, maschinell und unpersönlich werden, was für mein Empfinden nicht Sinn der Sache ist.

Die Menschen, mit denen wir außerhalb unseres Unternehmens regelmäßig zusammenarbeiten, sind mir in all den Jahren sehr ans Herz gewachsen. Zum Beispiel das Personal auf den über fünfzig Kölner Friedhöfen, das Gräber bereitet und die Särge hinablässt. Die meisten sind total liebe Menschen, die für diesen Beruf brennen und ihn auch gut machen. Oft sind sie älter oder haben ein Handicap, und man erlebt mit ihnen die unterschiedlichsten Geschichten. Es gab unter ihnen einen Mann, der immer, wenn er erzählte, mit seinem Gebiss Geräusche machte. Er schmatzte irgendwie. Bei einer Beerdigung stand er wie üblich am Grab, verneigte sich vor dem Sarg, hob ihn mit den Stricken hoch und fing an, ihn hinabzusenken. Genau in diesem Moment schmatzte dieser Mann wieder – und sein Gebiss fiel ins Grab. Jeder, der dort auf dem Friedhof steht, blickt auf diese Leute und was die da gerade tun. Also bekam jeder mit, was passierte, aber keiner wusste, wie er reagieren sollte. Soll man in so einer Situation nun lachen oder doch besser weinen? Muss man vielleicht sogar wütend sein? Die meisten schauen in ähnlichen Fällen betreten auf den Boden und tun so, als hätten sie das Ganze nicht bemerkt. Und genauso reagierten dann auch wirklich alle in diesem speziellen Moment. Als die Trauergäste später gegangen waren, sprang einer der Männer runter ins Grab und holte das Gebiss wieder heraus …

In einem anderen Fall musste man mehr als ein Gebiss wieder aus dem Grab heben. Das war während einer Beerdigung auf dem Südfriedhof hier in Köln. Die Lage des Grabes war nicht unkompliziert, mit sehr sandigem Boden und wenig Halt. Für das Grab wurde eine massive Ausschalung gebaut, damit die Seiten nicht einbrachen. Im Verlauf der Bestattung stellte sich der Pfarrer vor das Grab, predigte und hantierte mit dem Kreuz: »Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.« Während er redete, wurde er immer kleiner und kleiner, denn wie bei einer Sanduhr war der Untergrund unter der Verschalung rausgerieselt, und durch sein Gewicht versank der Pfarrer dort Stück für Stück. Bis er realisiert hatte, was genau geschah, war er bereits bis zu seinen Knien versunken. Die Angehörigen mussten ihn dann links und rechts an seinen Armen packen und ihn aus seinem Loch heben.

Termine, Termine, Termine

Ich kann mein Jobverständnis auf eine klare Formel bringen: 24/7/365. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Stirbt jemand im Krankenhaus und die Familie ruft mich nachts um drei Uhr an, kann ich zunächst gar nichts tun. Diese Menschen rufen aber trotzdem an, und ich halte es in meinem Beruf für selbstverständlich, für sie ein offenes Ohr zu haben und da zu sein. Eigentlich könnte man in solch einem Fall auch sagen: »Das hätten wir doch morgen klären können.« Aber für mein Verständnis geht das gar nicht! Man muss verstehen, dass derjenige, der nachts zum Telefon greift und einen Bestatter anruft, nicht rational handelt. Absolut nicht rational, sondern emotional. Wenn der Tod plötzlich eine Lebenssituation radikal und unwiederbringlich verändert, ist das schockierend und traumatisierend. Ein Mensch, der eine andere Person sein Leben lang begleitet hat, existiert plötzlich nicht mehr. Ein festes zwischenmenschliches Gefüge stürzt innerhalb eines Moments zusammen. Für die betroffenen Personen bleibt die Welt plötzlich stehen. Zeit und Raum spielen kaum mehr eine Rolle. Ich glaube mittlerweile, dass man es selbst erlebt haben muss, um diese Situation verstehen zu können. Oftmals kommen diese Leute am nächsten Tag zu uns ins Beerdigungsinstitut und entschuldigen sich für den Anruf inmitten der Nacht. Ich versuche, ihnen den Druck zu nehmen, und entgegne dann: »Dadurch wusste ich ja gleich Bescheid und konnte meinen heutigen Tag schon einmal darauf ausrichten, dass wir uns treffen. Das war genau richtig, was Sie getan haben.«

Das macht es für mich unterm Strich aus: die persönliche Ansprache zu jeder Zeit. Wenn man an dieser Stelle plötzlich ein Callcenter dran hätte, würde das nicht mehr funktionieren. Das geht eben nur, wenn die Person am anderen Ende der Leitung ist, die man am nächsten Tag treffen kann. Hierdurch wird sofort eine persönliche Beziehung möglich gemacht. Große Systeme können das an dieser Stelle nicht leisten. Wenn, dann ist das schlichtweg Business und ausschließlich kommerziell ausgerichtet. Es ist heute durchaus möglich, eine Bestattung im Internet zu bestellen. Dann wird abgeholt, entsorgt, im Anschluss eine Rechnung gestellt, und das war’s. Das entspricht aber überhaupt nicht meiner persönlichen Philosophie.

Ich stehe quasi rund um die Uhr meinen Kunden zur Verfügung. Ich schreibe »quasi«, weil einen gewissen Teil meiner Zeit seit gut vierzehn Jahren ein arbeitsintensives Ehrenamt in Beschlag nimmt. Mehr oder weniger mein ganzes Leben lang bin ich nun schon in der Organisation des Kölner Karnevals tätig. Zuerst als Kind in einer Tanzgruppe, dann im Hintergrund beim Rosenmontagszug und schließlich in den Jahren von 2005 bis 2017 als Leiter des Kölner Rosenmontagszugs und Vizepräsident des Festkomitees Kölner Karneval. 2017