Der tödliche Kunstgriff - Roderic Jeffries - E-Book

Der tödliche Kunstgriff E-Book

Roderic Jeffries

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Beschreibung

Ein Mallorca-Krimi von Roderic Jeffries Der Kunsthändler Oliver Cooper und seine schöne Frau führen ein idyllisches Leben auf Mallorca. Doch die Tage im Paradies sind gezählt, denn eines Tages wird Coopers Wagen aufgefunden, und von ihm selbst fehlt jede Spur. Inspektor Alvarez steht am Anfang eines labyrinthischen Falles, der all seinen Scharfsinn erfordert. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Roderic Jeffries

Der tödliche Kunstgriff

Aus dem Englischen von Anneli von Könemann

FISCHER E-Books

Inhalt

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1

Cooper ließ die Times sinken und starrte blicklos in die Ferne. Bevor er das Datum der Zeitung gesehen hatte – es war die Ausgabe vom Tag zuvor –, hatte er nicht daran gedacht, daß es Davinas zweiter Todestag war. Falls es ein Leben nach dem Tode gab und man von dort durch ein Fenster zur Erde hinuntersehen konnte, dann mußte sie kurz davor sein, an ihrer eigenen schlechten Laune zu ersticken; nicht nur wegen Rachael, sondern weil sie so naiv gewesen war zu glauben, daß das Gute stets belohnt und das Böse bestraft würde.

Er hörte, wie die Französischen Fenster im Wohnzimmer geöffnet wurden, und drehte sich nach Rachael um. Sie trug ein todschickes Kleid, das ihre Figur betonte, ohne zu übertreiben. Selbst ein Eunuch würde sich zu ihr hingezogen fühlen, dachte er mit besitzergreifender Befriedigung.

Sie kam zu ihm herüber. Er saß nur halb unter dem Sonnenschirm im Schatten.

»Du wirst dir einen Sonnenbrand holen, Bunnikins.«

»Mir geht’s gut«, erwiderte er.

»Aber die Sonne ist heute der reinste Glutofen. Und erst gestern gab es einen Bericht im Fernsehen über die Schäden, die die Sonne anrichten kann. Es wäre doch schrecklich, wenn …«

Normalerweise hätte er mit ihr gestritten, um seine Rechte geltend zu machen, doch jetzt stand er auf und schob den Stuhl in den Schatten.

»Ich weiß, ich mache mir zu viele Sorgen um dich, aber … Übrigens, gerade hat Muriel angerufen. Sie hat mich zum Tee eingeladen.«

»Wohl eher zu einem doppelten Brandy. Warum will sie dich dauernd um sich haben?«

»Ich nehme an, weil ich sie aufheitern kann.«

»Weswegen geht es ihr diesmal schlecht?«

»Sie hat ihr Konto überzogen, und die Bank besteht darauf, daß sie es sofort ausgleicht, weil sie nicht überziehen darf. Sie hat ihren Mann angerufen und ihn für diesen Monat um ein wenig mehr Geld gebeten, doch er spielt da nicht mit. Kannst du dir vorstellen, daß ein Mann in seiner Position sich weigert, ihr ein paar hundert Pfund im Monat mehr zu überlassen?«

»Was kann sie anderes erwarten, wo sie ihn und ein paar Kinder verlassen hat, um sich mit einem italienischen Gigolo davonzumachen?«

»Ich dachte, er wäre ein Graf?«

»Ist doch dasselbe.«

»Was hast du gegen die Italiener?«

»Sie sind die durchtriebensten Kunsthändler der Welt.«

»Aber ich wette, dich haben sie noch nie übers Ohr gehauen, oder?«

»Ich bin doch nicht von gestern«, antwortete er selbstgefällig.

Sie legte eine Hand auf seine Schulter und streichelte mit dem Daumen seinen Nacken. »Du bist so schlau, daß nur ein Genie dich reinlegen könnte.«

Er war genau derselben Meinung.

Sie zog ihre Hand fort. »Es macht dir doch nicht wirklich etwas aus, wenn ich zu Muriel fahre, oder?«

»Hast du vergessen, daß wir mit den Passmores zu Abend essen?«

»Ich werde rechtzeitig wieder hiersein. Versprochen.«

»Du kannst das Kleid anziehen, das ich dir gekauft habe.«

Sie kicherte. »Dann wird sich Edith ganz schön aufregen! Als wir sie letztes Mal gesehen haben, hat sie schon gejammert, daß ich immer etwas Neues trage.«

»Sie meckert dauernd, weil sie mit Lloyd’s einen Haufen Geld verloren haben, und sie kann sich nicht daran gewöhnen, daß sie jeden Pfennig zweimal umdrehen müssen.«

»Die Armen.«

»Narren, daß sie die Gefahr nicht vorausgesehen haben.«

Sie beugte sich hinunter und küßte ihn sanft auf die Wange. »Zum Glück würdest du niemals so etwas Albernes tun, Bunnikins.«

Er sah ihr nach, als sie wieder ins Haus ging, und dachte daran, wie sie sich kennengelernt hatten. Der Tag hatte schlecht angefangen, und Davina war noch mürrischer und streitlustiger gewesen als sonst. Der Verkehr war so furchtbar gewesen, daß eine Strecke von fünfzehn Minuten fünfundzwanzig gedauert hatte. In der Nacht hatte ihn ein Fax darüber informiert, daß ein amerikanischer Verkauf verlorengegangen war, obwohl er ihm angeblich schon sicher gewesen war. Irgendeine Frau Soundso hatte ihn angerufen und erklärt, sie müsse ihm leider mitteilen, daß ihre Tochter, die an jenem Morgen bei ihm eine Stelle antreten sollte, einen Autounfall erlitten habe, und da das Ausmaß ihrer Verletzungen noch nicht bekannt sei, könne man nicht sagen, wann … Dann hatte die Frau angefangen zu schluchzen. Er hatte eine Stellenvermittlung angerufen und um eine ersatzweise persönliche Assistentin/Sekretärin gebeten. Am Nachmittag war Rachael in der Galerie aufgetaucht …

Seine Vorliebe für den Maler Poperen hatte gezeigt, daß er innere Werte erkennen konnte, wo andere blind waren. Sie war gekleidet und zurechtgemacht wie ein Flittchen und sprach mit schwerem Manchester-Akzent. Ihre Manieren, abwechselnd linkisch, einschmeichelnd und feindselig, verrieten, daß sie aus den ärmeren Teilen der Stadt stammte … Dennoch hatte er das Gold unter der Kruste erkannt. Eine Woche später bot er ihr einen festen Job an.

Reife hatte einen großen Vorteil gegenüber Jugend: Sie befähigte einen Mann, seine Schachzüge sorgfältig auszuführen. Der Verkauf von Kunst hatte ihn gelehrt, wieviel Wahrheit hinter dem Sprichwort »Gut Ding will Weile haben« steckte, und so hatte er sich eine Zeitlang absolut anständig verhalten. Schließlich entnahm er den subtilen Zeichen, die er als ein Mann von Erfahrung allmählich erkennen lernte, daß sie sich von ihm angezogen fühlte, und er machte den ersten Schritt. Seine ersten Annäherungsversuche waren sehr sanft, dennoch verstörte sie der Sturm der Gefühle … Irritierenderweise jedoch war sie nicht angemessen erregt. Trotz der Geschenke, der teuren Restaurants und einer Technik, der keine zweite gleichkam, verweigerte sie ihm den Hauptgewinn. Eines Nachts, als die Frustration ihn überwältigte, verlor er die Beherrschung. Unter Tränen versuchte sie, es ihm zu erklären. Weil sie von sehr altmodischen Eltern erzogen worden sei, habe sie sehr altmodische Prinzipien. Als er ihre Brüste berührte – sie gestand, daß er der erste Mann war, der jemals ihre nackten Brüste angefaßt hatte –, hatte er sie in Flammen gesetzt, und sie sehnte sich danach, diese Freuden zu genießen, doch ihre Eltern hatten ihr beigebracht, daß Ehebruch eine noch größere Sünde war als außerehelicher Geschlechtsverkehr, und so verbot ihr Verstand, was ihr Körper verlangte.

Das Wissen, daß der Preis noch nie jemand anderem zugesprochen worden war, schürte sein bereits heftiges Begehren noch, doch erwiderte sie sogar seine entschlossensten Angriffe mit derselben tränenreichen, aber stahlharten Antwort. Solange sie nicht verheiratet war, konnte sie nicht gestatten, daß ein Mann sie nahm …

Davina war die Treppe hinuntergefallen und vier Tage später im Krankenhaus gestorben. Die Polizei war äußerst argwöhnisch gewesen, ganz besonders, als sie seine Freundschaft mit Rachael aufdeckten, doch da sie keinen Beweis dafür hatten, daß er zu jenem Zeitpunkt im Haus gewesen war, mußten sie seine Unschuld akzeptieren.

Sobald es die Schicklichkeit zuließ, hatte er Rachael geheiratet. Er hatte sich ihrer Bildung angenommen und sie gelehrt, wie sie sich zu benehmen hatte. Seine eigene Eliza. Sie erwies sich als kluge Schülerin. Als er die Galerie verkaufte und sie auf die Insel zogen, hatte niemand, mit Ausnahme vielleicht von Muriel, auch nur den leisesten Verdacht, daß sie sogar aus noch einfacheren Verhältnissen stammen könnte als er selbst. Und der einzige Grund, warum er glaubte, daß Muriel etwas ahnte, war der, daß sie eines Abends, als sie mehr als sonst getrunken hatte, außergewöhnlich abscheulich gewesen war und etwas gesagt hatte, woraus er schloß, daß sie sich über ihn lustig machte …

Er hörte, wie sich die Französischen Fenster zum zweiten Mal öffneten, und als er sich umdrehte, sah er Rosa in den Patio hinaustreten. Vor zwei Wochen, als Bill betrunken gewesen war, hatte er ihm anvertraut, Rosa sei der Honigtopf, dem er nachstellen würde, wenn er Pu der Bär wäre. Es war nicht die Geschmacklosigkeit, die Cooper abgestoßen hatte, sondern der Gedanke daran, daß er sich herablassen würde, einer Bediensteten nachzustellen.

Einen Meter vor seinem Stuhl blieb sie stehen, und die grelle Sonne verstärkte ihre reife, irdische Anziehungskraft anstatt von ihr abzulenken. »Kaffee, Señor?« Sie sprach nur mühsam Englisch und klang sehr exzentrisch. »Und Erdbeerbiskuit?«

»Ja, bitte.« Er hatte nicht versucht, Spanisch zu lernen, geschweige denn Mallorquinisch. Die Einheimischen sprachen gut genug Englisch, wenn sie sein Geld wollten.

»Groß? Klein?« Sie zeigte verschiedene Größen mit den Händen an.

Clara, die für die Küche zuständig war, machte einen Biskuitkuchen, der so leicht war, daß man ihn beinahe festbinden mußte. »Ein großes Stück.«

Sie nickte und ging ins Haus zurück.

Ihr Novio war schlank und ordinär und fuhr reichlich schnell eine große Yamaha. Rosa sagte, sein Vater besitze einige Hotels in Playa Neuva und viele, viele Peseten. Wenn man wußte, wie reich einige der Einheimischen geworden waren, dann verstand man, daß die Welt allmählich kopfstand.

Das drahtlose Telefon auf der Ablage unter dem Tisch klingelte. Er nahm es zur Hand und zog die kurze Antenne heraus. »Ja?«

»Ich bin’s, Charles. Ich hoffe, ich störe nicht?«

»Sie stören immer, oder?« sagte Cooper mit unbeholfenem Humor.

»Es tut mir leid.«

Cooper hatte für Menschen, die sich ständig entschuldigten, nur Verachtung übrig.

»Ich habe mich gefragt, ob Sie schon etwas gehört haben.«

»Worüber?«

»Das letzte Bild.«

»Kein Wort. Ich sagte doch, ich würde mich melden, wenn es etwas zu melden gibt.«

»Ja, ich weiß, aber … Also, es ist jetzt schon ziemlich lange her.«

»Sicher haben Sie schon vor langer Zeit gelernt, daß Geld in der Kunstwelt Zeit ist? Mein Kontaktmann ist einer der besten in diesem Geschäft, und er hat auch einen potentiellen Käufer an der Hand, aber der Mann läßt sich niemals drängen, und der Versuch könnte sich als fatal herausstellen. Wenn Sie jedoch wollen, werde ich meinem Kontaktmann sagen, er soll ein wenig Druck ausüben, aber dann machen Sie sich darauf gefaßt, daß der Käufer sich zurückzieht.«

»Offensichtlich ist es besser, das Risiko nicht einzugehen.«

»Genau.«

»Ich drücke nur die Daumen.«

»Und die Zehen, wenn das nicht zu weh tut. Wo Sie gerade dran sind, Sie denken doch daran, daß wir in einer Woche abreisen? Sie behalten wie üblich alles im Auge?«

»Ja, natürlich.«

»Der Gärtner wird immer fauler und reinigt vielleicht den Pool nicht jeden zweiten Tag, also machen Sie sich darauf gefaßt, ihm in den Hintern zu treten. Und falls die MacMillans kommen und behaupten, sie seien sicher, es würde uns nichts ausmachen, wenn sie den Pool in unserer Abwesenheit benutzen, dann können Sie ihnen sagen, daß es uns sogar sehr viel ausmacht. Wenn sie in einem Pool schwimmen wollen, sollen sie sich ihren eigenen bauen.«

»Ich werde dran denken … Da wäre noch was.«

»Was?«

»Mein letztes Bild ist so gut wie fertig, und ich bin sicher, ich habe noch das gewisse Extra hineingebracht. Man kann sowohl den Schmerz als auch das Vergnügen erkennen.«

»Bleiben Sie beim Vergnügen. Die Leute kaufen Schmerz nur, wenn der Maler schon Geschichte ist.«

»Dennoch wäre ich dankbar, wenn Sie einen Blick darauf werfen und mir Ihre Meinung sagen würden.«

»Im Augenblick habe ich viel zuviel am Hals. Ich lasse Sie wissen, wenn Sie es vorbeibringen können.«

»Das ist sehr freundlich.«

»Mein zweiter Vorname ist Sankt.« Cooper unterbrach die Verbindung und legte den Hörer zurück auf das Ablagebrett unter dem Tisch. Obwohl er sein ganzes Leben für die Kunst gearbeitet hatte, war er doch immer wieder überrascht, daß einem Mann so sehr jegliches künstlerische Urteilsvermögen fehlen konnte wie Field, wenn es um sein eigenes Werk ging.

2

Als Field den Hörer auflegte, dachte er, wie ironisch es war, daß er optimistisch sein sollte, wo doch Pessimismus angeraten war. Er wußte, wie langsam und umständlich sich die Welt der Kunst drehte, doch vor dem Anruf hatte er sich aus unerklärlichen Gründen eingeredet, er würde gute Neuigkeiten zu hören bekommen. Nun ja, schlechte Nachrichten waren es ja nicht direkt. Der potentielle Käufer war immer noch interessiert. Field sehnte sich nicht nach dem finanziellen Erfolg, es war der künstlerische Erfolg, der beweisen würde, daß Marys Vertrauen in ihn gerechtfertigt gewesen war.

Er wandte sich um, und sein Blick fiel auf Marys Foto in dem verzierten Silberrahmen, ein Geschenk zu ihrer Hochzeit. Das Bild war ungefähr zehn Jahre nach ihrer Hochzeit aufgenommen worden, und sie lächelte und war offenkundig glücklich und zufrieden. Man konnte unmöglich ahnen, daß der Arzt ihr ungefähr einen Monat zuvor mitgeteilt hatte, es habe keinen Zweck, die Behandlung zur künstlichen Fortpflanzung fortzusetzen. Sie hatte sich so sehr Kinder gewünscht, doch als sie erfahren hatte, daß sie keine bekommen konnte, hatte sie diese Nachricht still akzeptiert und war entschlossen gewesen, das Beste aus ihrem Leben zu machen.

Er hatte einmal gelesen, daß das Vergnügen begrenzt war, der Schmerz jedoch nicht. Das entsprach der Wahrheit. Kein Vergnügen konnte so intensiv sein wie die seelischen Qualen, die er erlitten hatte, als er sie in ihrem Krankenhausbett sah, unfähig, ihr Leid zu mildern, und sich ihren Tod wünschte, damit sie Frieden fand, und diesen Tod gleichzeitig fürchtete, denn er würde ihre endgültige Trennung bedeuten …

Er ging durch das kleine Zimmer der Caseta und trat durch die offene Tür. Er starrte auf die Feigenbäume, die Steinmauer, die das Feld begrenzte, den kleinen Orangenhain und die Berge. Er hörte die Schafsglocken klingeln, Hunde bellten und ein Mann sang, und seine Stimme klang leicht arabisch. Nach Marys Tod hatte Cooper ihn davon überzeugt, er müsse einen klaren Schnitt in seinem Leben machen und solle ins Innere der Insel ziehen. Zu Fields Überraschung war das ein guter Rat gewesen. Fernab von den Touristenstränden und dem Betondschungel bot die Insel ein Gefühl des Friedens und eine Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und gestattete ihm dadurch, neuen Lebensmut zu schöpfen.

Er sah auf die Uhr, schloß die Eingangstür und verriegelte sie. Einiges hatte sich verändert, auch wenn man nicht mehr an der Küste lebte. Calvo hatte ihm schon viele Male erzählt, daß sich vor fünfzig Jahren niemand die Mühe gemacht hatte, die Türen abzuschließen – man hatte den Schlüssel sogar gut sichtbar stecken lassen, damit andere wußten, man war nicht zu Hause. Heute bedeuteten offene Türen, die Diebe geradewegs zu ihrem Handwerk aufzufordern. Calvo machte die Ausländer für diese Veränderungen verantwortlich und weigerte sich zuzugeben, daß einige Diebe auch Einheimische waren, die Geld für Drogen suchten. Doch gäbe es nicht den Einfluß der Fremden, vielleicht wären die jungen Mallorquiner dann mit denselben strengen Regeln aufgewachsen, die ihre Eltern schätzen gelernt hatten.

In England hatte Field nichts um Gartenarbeit gegeben – Mary war eine große Gartenfreundin gewesen –, doch hier hatte er einen kleinen Garten angelegt, der das ganze Jahre über bunt blühte. Das hatte er Calvos Rat zu verdanken, denn Field hing der erklärten Überzeugung an, Blumen statt Gemüse zu ziehen sei Verschwendung von Zeit, Mühe und Wasser. Er ging an mehreren Rosenbüschen vorbei, die nur sehr wenige Blüten trugen, denn es war die heißeste Zeit des Jahres, dann an Petunien, Hibiskus und Bleiwurz. Vor einigen Schneeballsträuchern blieb er kurz stehen, um ein paar Falter zu beobachten, wie sie mit schwirrenden Flügeln und tiefem Summen die Blumen bestäubten.

Der Schotterweg führte zu einer Straße. Er ging ungefähr noch zweihundertundfünfzig Meter weiter bis zu einem schmalen Gäßchen, das in den letzten Wochen sinnloserweise dank der willkommen verschwenderischen Großzügigkeit der EU geteert worden war.

Auf den ersten Feldern von Calvo blickte Marta hoch, in formlosen, verwaschenen Kleidern und mit einem sehr breitkrempigen Strohhut, und rief ihm einen Grüß zu, dann bewässerte sie weiter die Reihen süßen Pfeffers. Er wand sich zwischen Tomaten und Auberginen zu ihr durch.

»Es ist so heiß, daß sogar der Teufel ins Schwitzen gerät«, klagte sie.

Er verstand immer noch weit mehr Mallorquinisch, als er sprach, doch die Tatsache, daß er überhaupt ein wenig konnte, war schon ungewöhnlich. Die meisten Engländer auf der Insel hielten es für unnötig, vielleicht sogar erniedrigend, mehr Spanisch zu lernen, als es für die Bestellung von Rot- oder Weißwein nötig war, und das Mallorquinische überließen sie ganz den Einheimischen. Doch da er ohne die automatische Annahme seiner Überlegenheit auf der Insel angekommen war und der ungewöhnlichen Überzeugung anhing, daß ein Mann, dessen Lebensstil einfacher war als sein eigener, nicht unbedingt dumm war, hatte er entschieden, die Sprache zu lernen, wenn er schon in einem fremden Land leben wollte. Das hatte sich als ziemlich schwierig herausgestellt. Das Alter vergrößerte vielleicht die Weisheit, doch verminderte es die Fähigkeit zu lernen. Aber er war hartnäcktig geblieben, und seine Entschlossenheit wurde durch den Umstand bestärkt, daß seine Bemühungen bei den Mallorquinern offenbar auf Gegenliebe stießen.

Mit einer Breithacke hob Marta ein Stück Erde heraus, ließ das Wasser vom Hauptbewässerungskanal in einen trockenen Seitenarm fließen und ließ die Erde wieder fallen, um den Seitenarm zu verschließen. »Er ist mit den Schafen im Olivenfeld.«

»Ich gehe hinauf.«

»Und wenn du zurückkommst, trinkst du etwas bei uns.«

»Bitte mach dir keine Umstände …«

»Du besuchst uns, ohne etwas zu trinken? Hältst du uns für Galizier?« Sie reckte sich auf und starrte ihn an, doch mußte sie sich eilig wieder um ihre Arbeit kümmern, als das Wasser den Seitenkanal überflutete.

Er ließ sie stehen und ging zum Haus. Hin und wieder hatte er Freunde, ganz besonders die Engländer, sagen hören, die Mallorquiner seien grobe, geldgierige Lügner. Keiner dieser Kritiker hatte bemerkt, daß diese Behauptung sie als Ignoranten des Lebens der Einheimischen auswies. Das Verhalten der Mallorquiner paßte zu ihrem einfachen Lebensstil und war nicht auf das Leben in Wohnzimmern mit Sheraton-Stühlen und Teppichen aus Belutschistan abgestellt. Ihre unbestreitbare Liebe zum Geld entsprang der Tatsache, daß es noch nicht sehr lange her war, als sie keines gehabt hatten. Sie logen nicht, es sei denn, sie waren Anwälte, sondern erzählten ihren Zuhörern lediglich, was diese offensichtlich hören wollten, denn es gab keine größere Höflichkeit, als einen Menschen glücklich zu machen. Wie groß wäre die Überraschung, wenn diese Kritiker erführen, daß die Mallorquiner einige Angewohnheiten der Engländer als äußerst unmanierlich empfanden …

Das längliche Haus, erbaut aus Felssteinen, mallorquinischem Zement und Dachziegeln aus Wasserzement, hätte kaum einfacher und dennoch angemessener für seine Aufgabe sein können, nämlich sowohl Menschen als auch Tiere zu beherbergen. Fremde, die alte Bauernhäuser kauften und umbauten, zerstörten häufig ihren Charakter, weil sie keinerlei Wert oder Schönheit in ihrer Einfachheit erkannten.

Er folgte dem Weg um die Westseite des Hauses herum durch ein Feld, das seit Wochen nur Stoppeln zeigte und auch vor dem Winter nichts tragen würde, weil es nicht bewässert werden konnte. Hinter dem breiten Tor in der Steinmauer erhob sich hügeliges, rauhes Land, auf dem immer mehr Felsbrocken lagen, je weiter man ging, und zwischen denen nur Unkraut, Dornensträucher und wilde Zistrosen wuchsen.

Am Ende des Weges lag ein beinahe ebenes Gebiet von zwei Hektar Größe, auf dem viele Reihen von Olivenbäumen standen, deren Äste so verwachsen waren, daß man mit viel Phantasie glauben mochte, sie seien in einem Augenblick der Qual erstarrt. Unter den Bäumen weideten mallorquinische Schafe auf dem Gras, das dank einer Quelle jeglicher Logik widerstand und im Sommer erblühte, im Winter jedoch verschwand.

Ein schwarzweißer Schäferhund kam herbeigerannt, um ihn zu begrüßen, und er legte seine Pfoten auf Fields Brust und ignorierte die Rufe, er solle das lassen. Als Field über das Feld zu Calvo ging, der im Schatten eines Baumes stand, hielt sich der Hund dicht an seine Beine gepreßt, damit Field ihm die Ohren kraulen konnte. Arbeitshunde bekamen nur selten offene Zuneigung gezeigt.

Calvo betrachtete ihn. »Du siehst schlecht aus«, sagte er auf seine typisch direkte Art unter Mißachtung sensiblerer Gefühle.

»Es ist sehr heiß.«

»Was erwartest du im Juli?«

»Außerdem bin ich sehr alt.«

»Aber nicht mehr als ein paar Jahre älter als ich, und ich klettere hier hoch, ohne zusammenzubrechen.«

Calvo war fit genug, den Puig Major zu erklimmen, ohne außer Atem zu geraten, dachte Field. Sonne und Wind hatten ein Gesicht mit tiefen Linien von sturer Kraft geschnitzt, ein Leben körperlicher Plackerei hatte seinen Körper hart gemacht.

Calvo blinzelte in die Sonne, um die Zeit abzuschätzen. »Sie haben genug. Wir bringen sie hinunter.« Er pfiff und machte mit seinem Olivenstab eine ruckartige Bewegung nach rechts. Der Hund lief nach links davon. Calvo stieß ein paar Obszönitäten aus und verfluchte den Hund und seine Ahnen. Der Hund drehte sich um und sah ihn an, und die Zunge hing ihm keuchend aus dem Maul, so daß Field der Verdacht kam, daß er lachte. Weitere Rufe und ein erhobener Stab überredeten das Tier, dem ursprünglichen Befehl nachzukommen, und es arbeitete sehr geschickt. Die Schafe und Lämmer wurden zusammengetrieben und durch das Tor den Hügel hinunter auf das erste Feld gelenkt, wo sie auseinanderstoben und zwischen Stoppeln nach etwas Freßbarem suchten.

Die beiden Männer gingen weiter zum Haus in den Patio auf der Südseite. Er wurde vor der Sonne von einer alten Weinrebe geschützt, die über einen Rahmen aus rostigem Draht zwischen Betonpfeilern wuchs. Drei Holzstühle standen um einen Tisch, der aus einem ein Meter langen Eichenstamm und einer daraufgenagelten Kiste bestand. Ein zufälliger Beobachter hätte vermutlich die Stühle und den Tisch betrachtet, die Lücken zwischen den Felssteinen in der Mauer, wo der Zement abgebröckelt war, die Fensterläden mit kaputten oder fehlenden Rippen und wäre zu dem Schluß gekommen, daß die Bewohner direkt an der Armutsgrenze lebten oder sogar noch darunter. Das wäre eine völlig falsche Schlußfolgerung gewesen. Wie Bauern in anderen Ländern auch lebten die Calvos gut, doch stritten sie dies stets ab, weil sie früher einmal erlebt hatten, was Armut bedeutet, und so gaben sie nur dann Geld aus, wenn es absolut unumgänglich war.

Sie setzten sich. Der Hund ließ sich neben Fields Beinen nieder und schnüffelte an ihnen.

»Carolina ist morgen bei uns, weil ihre Mutter den Tag in Palma verbringt«, erzählte Calvo.

»Ich würde sie gerne sehen. Darf ich?«

In diesem Augenblick bog Marta um die Ecke des Hauses und zog die Hacke hinter sich her, als habe man ihr jedes Quentchen Energie entzogen. »He, alte Frau, hör dir das an!« rief Calvo. »Er fragt, ob er morgen kommen darf, um Carolina zu sehen. Er fragt!«

Sie sah Field an, und ihre braunen Augen zeigten Verwirrung.

»Ich war …« Er wollte sagen »nur höflich«, doch das konnte er auf mallorquinisch noch nicht ausdrücken. »Es ist Sitte bei uns, zu fragen. Das ist höflich.«

Calvos Ärger war nicht besänftigt. »Du glaubst, daß du höflich sein mußt? Weißt du, was Elena sagen wird, wenn ich ihr erzähle, daß du um Erlaubnis bittest, Carolina zu sehen? Sie wird sagen, daß du mehr Federn im Kopf hast als ein Huhn.« Er wirbelte zu Marta herum. »Wo ist der Wein?«

»Wo er immer ist.«

»Hol ihn.«

Sie stellte die Harke auf ihrem Griff gegen einen der Betonpfeiler und ging ins Haus.

Calvo griff sich in seinen drahtigen, lockigen Schopf und kratzte sich am Kopf. »Fragt Elena vielleicht, ob sie herkommen darf? Oder Carolina? Natürlich tun sie das verdammt noch mal nicht, denn sie gehören zur Familie.« Er ließ die Hand auf den Tisch niedersausen. »Habe ich dir nicht gesagt, daß du zur Familie gehörst?«

»Das hast du.«

Marta kam aus dem Haus mit einem Krug in der einen und zwei Gläsern in der anderen Hand. Sie stellte die Gläser auf den Tisch und füllte sie. Dann sah sie Field an. »Du wirst bei uns essen.«

Calvo nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Er gehört zur Familie, trotzdem fragt er! Wirklich, nur ein Narr kann noch dümmer sein als ein Schaf, das sich verlaufen hat.«

Während Field an dem herben Wein nippte, der jeden Kenner sofort auf die Suche nach einem Spucknapf geschickt hätte, fühlte er sich von Gefühlen für die beiden übermannt, die Liebe gleichkamen. Sie hatten schwere, gelegentlich sogar furchtbare Zeiten durchgemacht, und dadurch hatten sie gelernt, daß die einzige Sicherheit im Leben – und damit das Wertvollste auf der Welt – die Familie war. Mit ihrer Versicherung, daß er zur Familie gehörte, boten sie ihm das größte Geschenk an, das sie geben konnten. Wie viele Menschen waren dazu schon bereit?

3

Rachael sah auf die Uhr. »In einer Viertelstunde muß ich gehen. Wir haben gerade noch Zeit.«

»Wofür?« fragte Burns.

»Zweimal darfst du raten. Was ist los – keine Phantasie oder keine Ausdauer?«

»Phantasie im Überfluß und Ausdauer für sechs.«

»Dann beweis, daß du mehr kannst als nur große Worte schwingen.«

Das tat er.

Danach lag er auf dem Bett und sah ihr beim Anziehen zu. »Wann bist du auf dieser verdammten Kreuzfahrt?«

»Ab dem neunzehnten.« Sie wollte gerade in ein spitzengefaßtes Höschen steigen, als sie innehielt und sich umdrehte. »Und merk dir eins: Wenn du anfängst, Touristinnen zu unterhalten, während ich weg bin, dann kastriere ich dich.«

»Ein Gesetz für die Reichen, eins für die Armen. Ich soll keusch leben, während du es bis zum Umfallen treibst.«

»Mit Oliver? Ich tue meine Pflicht, wenn ich muß, und das ist zur Zeit Gott sei Dank nicht oft.«

»Ist er nicht mehr so athletisch wie früher?«

»Rekorde stellt er jedenfalls nicht mehr auf.« Sie zog ihr Höschen hoch und sah auf die Uhr. »Verdammt, ich komme zu spät.«

»Du hast gesagt, ich soll meine Phantasie anstrengen … Wie auch immer, wozu die Panik?«

»Wir gehen zum Essen aus, und er will genau um Viertel vor acht los.«

»Er ist wohl der einzige Mensch auf der Insel, der sich Gedanken darum macht, ob er pünktlich kommt.«

»Er ist von Natur aus pedantisch.«

»Mit wem futtert ihr?«

»Mit den Passmores.«

»Das Paar mit der Yacht, die fast so groß ist wie die QE2? Warum verschwendest du deine Zeit mit solchen Leuten? Sie ist ein Miststück.«

»Meiner Meinung nach das größte Miststück auf der Insel.« Sie nahm ihr Kleid von der Stuhllehne. »Und wenn das nichts heißt!«

»Das hört sich an, als hätte sie dich durch ihre Lorgnette gemustert.«

»Sehr witzig.«

»Warum zeigst du ihr nicht den Stinkefinger?«

»Damit Oliver noch ein Magengeschwür kriegt? Sie sind so reich, er würde ihnen sogar recht geben, wenn sie behaupteten, Monet wäre ein lausiger Maler gewesen.«

»Dein Mann ist ein Kriecher.«

»Wer will das bestreiten?«

»Laß dich von ihm scheiden, heirate mich und finde heraus, wie schön das Leben sein kann.«

»Das habe ich schon gemerkt, bevor ich ihn geheiratet habe, und da wußte ich nicht, wie ich die Stromrechnung bezahlen sollte.«

»Ist Geld so wichtig?«

»Kein Geld zu haben ist es.«

»Ich habe dir gesagt, daß ich den Abschluß mache.«

»Ruf mich an, wenn du es geschafft hast.«

»Du bist als Miststück auch nicht ohne!«

»Also, Liebster, komm von deinem hohen Roß runter und denk mal ein bißchen praktisch. Wenn ich mich von Oliver scheiden lassen würde, dann würde er alles tun, was in seiner Macht steht, damit ich leide, und als erstes würde er mich ohne einen Pfennig sitzenlassen. Sosehr du und ich das Leben auch mit denselben Augen sehen, so würden wir uns doch streiten, wenn wir kein Geld mehr hätten. Zwei Menschen würden niemals so billig leben wie einer.«

»Dann machen wir einfach so weiter wie bisher und sehen uns nur, wenn du dich ein paar Stunden von seinem Schmerbauch loseisen kannst?«

»Genau.«

»Wie aufregend!«

»Warum regst du dich so auf? Vergiß nicht, daß Oliver nicht mehr der Jüngste ist, daß er zuviel ißt, zuviel trinkt und auch wie ein Schlot raucht.«

»Na und?«

»Männer wie er haben reihenweise Herzattacken. Ganz besonders, wenn sie normalerweise nicht sehr aktiv sind, aber ein wenig ermuntert werden, mal so richtig aus sich herauszugehen.«

»Du meinst … Allmählich bekommt das Vögeln durch dich eine ganz neue Dimension.«

»Betrachte mich einfach als begeistert.«

Er kletterte aus dem Bett und küßte sie. »Heute nacht stelle ich mir dich als Spanische Fliege vor.« Er ging hinüber zur Kommode, auf der mehrere Flaschen standen. »Was willst du trinken?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß ich mich beeilen muß.«

Er goß sich einen Gin mit Tonic ein. »Wenn er glücklich stirbt, wie kannst du dann sicher sein, daß für dich alles gut wird?«

»Ich bin Alleinerbin.«

»Das hat er dir vielleicht nur erzählt, und in Wahrheit ist das alles Scheiße.«

»Ich habe sein Testament gesehen.«

»Bedenkt man, was er für ein Mensch ist, wundert es mich, daß er es dir gezeigt hat.«

»Hat er nicht. Ich kenne schon lange die Kombination seines Wandsafes.«

Er trank einen Schluck. »Ich erfahre jeden Tag etwas Neues über dich.«

»Dann verlierst du nicht das Interesse an mir.«

»Dazu brauche ich keine künstliche Hilfe.«

Sie ging hinüber in das winzige Badezimmer, überprüfte ihre Erscheinung im Spiegel, puderte sich ganz leicht die Wangen, schob ein verirrtes Haar aus dem Gesicht und kam wieder ins Zimmer zurück. »Wie sehe ich aus?«

»Ich käme nie drauf, daß sich für dich noch vor kurzem die Erde so heftig bewegt hat, daß du dachtest, es gebe ein Erdbeben.«

»Sich selbst zu schmeicheln ist ein Zeichen von Unsicherheit.« Sie trat auf ihn zu und fuhr mit den Händen über seinen flachen, muskulösen Bauch und zwickte ihn.

»Warum zum Teufel tust du das?« rief er und schreckte zurück.

»Um dir einen Vorgeschmack auf das zu geben, was passiert, falls dir jemals einfallen sollte herumzuvögeln.« Sie setzte eine große Sonnenbrille auf und ging hinaus.

 

Wäre sie nicht die Abgeordnete Gräfin Janlin gewesen, getrennt lebende Frau des siebten Earls, eines Mannes mit riesigen Ländereien, dann hätte die Ausländergemeinde ihr die kalte Schulter gezeigt, diese Snobs, die sich vom Ungewöhnlichen beunruhigen ließen oder glaubten, eine Gold- oder Platinkarte sei Vorbedingung für eine Freundschaft. Sie lebte in einem winzigen, nicht renovierten mallorquinischen Haus, kleidete sich in Sachen, die aussahen, als habe sogar die Kleidersammelstelle sie zurückgewiesen, fuhr einen klapprigen Seat 127 und nahm hin und wieder einen Mann bei sich auf, einmal sogar einen Mallorquiner. Doch besessen von ihrer gehobenen Herkunft, sprachen die Konformisten von aristokratischer Exzentrik, und selbst die reichsten unter den Parvenus beeilten sich zu versichern, daß sie sie mochten.

Als sie noch jung und häufig in den Nachrichten zu sehen gewesen war, hatte man ihr normalerweise den typisch englischen Pfirsich-Sahne-Teint zugesprochen. Viele Jahre Sonne, Brandy und halsstarriger Weigerung, eine Hautcreme zu benutzen, hatten dazu geführt, daß »pflaumenartig« inzwischen als passendere Beschreibung erschien. Ihr Körper, einst schlank und wohlgeformt, war dicker geworden und gab der Schwerkraft nach.

Sie saß in dem kleinen Garten und lauschte der Musik von Don Quixote von Richard Strauss, die aus einem Kassettenrecorder erklang. Als Rachael das Tor öffnete, stellte sie die Musik ab. »Der Stoff ist da, wo er immer steht.«

Rachael ging durch den Patio über den Rasen aus Ziergras. »Ich glaube, ich nehme nichts.«

»Warum nicht?«

»Wir essen mit den Passmores …«

»Närrin.«

Muriel hatte offenbar die streitlustige Phase erreicht, und es wäre dumm gewesen, sie zu provozieren. »Vielleicht doch einen kleinen.«

»Darauf hast du die letzten paar Stunden doch nicht gewartet, oder?«

»Ich kann mich nicht beklagen.«

»Dann hast du verdammt viel Glück! Wenn George aufhörte, so zu tun, als ob, könnte ich mich nur noch beklagen.«

Rachael ging hinüber zu dem Tischchen im Patio und goß sich einen schwachen Gin Tonic ein, fügte Eis hinzu und nahm ein Tellerchen geröstete Mandeln mit Schale. Dann setzte sie sich auf den zweiten, unbequemen und verrosteten schmiedeeisernen Stuhl und hob ihr Glas.

»Cheers.«

»Großer Gott, Rachael, wie oft muß ich dir noch sagen, daß nur die kleinen Leute aus Bagshot ›Cheers‹ sagen?«

Rachael trank einen Schluck. »Hat Oliver angerufen?«

»Nein.«

»Ich habe ihm gesagt, du fühlst dich wieder schlecht und brauchst meine Aufmunterung.«

»Und das hat er geschluckt? Es spricht wohl einiges dafür, mit einem aufgeblasenen Narren verheiratet zu sein.«

»Weißt du, in manchen Dingen ist er alles andere als ein Narr.«

»Na, ich weiß nicht.«

Rachael sah auf die Uhr. Wenn sie rechtzeitig nach Hause kommen wollte, um noch zu duschen und sich anzuziehen und pünktlich um Viertel vor acht loszufahren, mußte sie bald gehen.