Lockvogel auf Mallorca - Roderic Jeffries - E-Book

Lockvogel auf Mallorca E-Book

Roderic Jeffries

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Beschreibung

Ein Mallorca-Krimi von Roderic Jeffries Inspektor Alvarez, fasziniert von der schönen Serena, vermutet zunächst auch nichts anderes als Versicherungsbetrug und sucht nach der Leiche des über dem Meer abgestürzten Piloten. Dabei stößt er auf ein Geheimnis der Frau, das ihn um den Schlaf bringt ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Roderic Jeffries

Lockvogel auf Mallorca

Aus dem Englischen von Edith Walter

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Inhalt

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1

Die Sonne hatte den Sand erhitzt, daß es im ersten Augenblick unangenehm war, ihn zu berühren; das Meer war von einem satten, leuchtenden Blau und ganz ruhig, nur die Schwimmer und das kremig aufschäumende Kielwasser der Motorboote mit Wasserschifahrern im Schlepp brachten Bewegung hinein. Jenseits der Bucht stieg auf halber Höhe des Berges eine dünne Rauchsäule auf, Zeichen für ein kleines Buschfeuer.

Zu ihrer Rechten lag der Landungssteg der Fähre, wo Passagiere aus Puerto Llueso aus- und einstiegen; zu ihrer Linken, abgeschirmt durch tahitische Schutzblenden aus Stroh, war der viel kleinere Landungssteg, der zum Hotel Parclona gehörte und vor dem zwei Yachten und drei Motorboote ankerten, alle groß und luxuriös.

»Willst du noch Tortilla, Enrique?« fragte Dolores.

Alvarez hatte den Mund voll und schüttelte nur den Kopf.

»Schmeckt es dir nicht?«

Hastig schluckte er hinunter und sagte: »Es schmeckt wunderbar, aber ich habe schon jetzt zuviel gegessen …«

»Unsinn! Du ißt noch ein Stück.« Sie saß in der Mitte der Decke, im Schatten einer der Pinien, die den Strand säumten, und um sich herum hatte sie so viele Speisen aufgebaut, als wolle sie fünfzehn Leute verköstigen, nicht fünf. Sie nahm ein Messer und schickte sich an, eine Scheibe von dem spanischen Omelett aus Eiern, Kartoffeln, Zwiebeln, Erbsen und Paprika abzuschneiden.

»Das ist ein bißchen zuviel«, begann er, unterbrach sich jedoch, weil sie ihn ganz offensichtlich ignorierte. Lammfromm reichte er ihr den Teller, damit sie ihm das große Stück darauflegen konnte. Beim Picknick war sie immer leicht reizbar, und ein weiser Mann tat nichts, was sie verärgern konnte. Außerdem schmeckte das Omelett köstlich. Er griff nach der Weinflasche, schenkte sich nach und gab dann die Flasche an Jaime weiter. Jaime warf einen verstohlenen Blick auf seine Frau und stellte zufrieden fest, daß sie ihn nicht beobachtete. Er nutzte dieses unverhoffte Glück und füllte sein Glas bis zum Rand.

Dolores hätte es zwar nie zugegeben, aber sie fühlte sich am Strand nie wohl. Juan und Isabel bestanden immer darauf, daß sie mit ihnen ins Wasser ging, und das bedeutete, daß sie einen Badeanzug anziehen mußte; sie konnte jedoch nie vergessen, daß man sie in ihrer Jugend gelehrt hatte, es sei unmoralisch, von ihrem Körper auch nur einen Millimeter mehr als ungedingt nötig den Blicken fremder Männer auszusetzen. Obwohl sie in ihrem altmodischen einteiligen Badeanzug im Vergleich zu anderen Frauen am Strand praktisch vermummt war, war sie viel zu steif und gehemmt, um daran zu denken, daß sie darauf achten wollte, wieviel Jaime trank.

Alvarez war mit dem Essen fertig und stellte den Teller auf die Decke. Er rülpste verstohlen und leerte sein Glas.

»Und jetzt noch ein Stück Kuchen«, sagte Dolores. Es war eine Aussage, keine Frage.

»In einer Weile sehr gern, aber ich habe wirklich zuviel gegessen …«

»Ich habe ihn gebacken, weil es dein Lieblingskuchen ist.«

»Dann möchte ich doch gleich ein Stück. Niemand macht einen Schokoladenmandelkuchen wie du.«

Sie nickte, weil es die Wahrheit war. Sie nahm den Deckel von einer großen Dose, hob den mit Schlagsahne verzierten Kuchen heraus, schnitt ein sehr großes Stück ab, legte es auf einen Teller und reichte ihn Alvarez.

Er hatte noch nicht aufgegessen, als Juan und Isabel aus dem Wasser kamen, sich zwischen den Sonnenhungrigen durchschlängelten und den Strand herauf zur Decke stürmten. »Ich verhungere!« verkündete Juan. »Ist das Schokoladenmandelkuchen, was Onkel Enrique da ißt? Ich möchte auch welchen.«

»Bitte höflich darum, sonst kannst du möchten, bis du schwarz wirst«, sagte Dolores streng.

»Er ist ein grober Lümmel«, sagte Isabel.

»Bin ich nicht«, antwortete Juan.

»Gerade hat er ein schlechtes Wort zu mir gesagt.«

»Hab ich nicht«, leugnete er wenig überzeugend.

»Und du hast diese schlechten Leute gesehen.«

»Die hat jeder gesehen. Du doch auch, oder?«

»Aber du hast sie zuerst gesehen.«

»Müßt ihr zwei immer aufeinander herumhacken?« fragte Jaime. »Um was geht es jetzt wieder?«

Die Kinder schielten sich gegenseitig an, kicherten.

»Warum seid ihr so albern?« fragte Dolores.

»Wir haben ein paar schlechte Damen gesehen«, antwortete Isabel. »Sie haben überhaupt gar keinen Badeanzug angehabt.«

»Rede keinen Unsinn!«

»Aber es ist wahr«, sagte Juan. »Wir haben ihre …«

»Sei bloß still! Noch ein Wort davon, und ich wasche euch den Mund mit Seife aus, wenn wir nach Hause kommen.« Dolores merkte, daß Jaime angestrengt in die Richtung schaute, aus der die Kinder gekommen waren. »Du bleibst gefälligst hier!«

Jaime war gekränkt. Er hatte keine unlauteren Absichten gehabt. Es hatte ihn nicht nach dem Anblick nackter Frauen gelüstet, aber gewiß sollte jemand überprüfen, ob die Kinder die Wahrheit gesagt hatten. Denn wenn es die Wahrheit war, dann war es ein großes Unrecht zu behaupten, daß sie logen …

 

Kurz nach fünf waren sie wieder zu Hause. Das Telefon klingelte, als Alvarez in dem geschlossenen Patio hinter der Küche die Handtücher und die Badeanzüge aufhängte. Es war so heiß und stickig, daß ihm der Schweiß in Strömen hinunterlief. Im nächsten Moment rief Dolores aus dem Haus, der Anruf sei für ihn.

Als er in die Küche kam, packte sie eben eine der beiden Picknick-Kühlboxen aus. »Wer ist es?« fragte er.

»Palma«, antwortete sie, mit ein paar in Folie verpackten Schinkenscheiben zum Kühlschrank unterwegs.

»Aber wer aus Palma?«

»Woher soll ich das wissen?« Sie machte die Kühlschranktür zu und ging zum Tisch zurück. »Sie wollten dich sprechen, mehr haben sie nicht gesagt. Ich bin kein Gedankenleser.«

Er überlegte, wie oft er ihr wohl schon eingeschärft hatte, sie solle sich immer nach dem Namen des Anrufers erkundigen. Das Telefon stand im Vorderzimmer, das, wie ein Wohnzimmer eingerichtet, nur zu besonderen festlichen Gelegenheiten benutzt wurde. Eine Frau, die mit einer Pflaume im Mund zu sprechen schien, sagte, Polizeichef Salas wolle ihn sprechen. Alvarez wartete, obwohl er absolut keine Lust hatte, mit seinem Vorgesetzten zu reden.

»Wo zum Teufel waren Sie den ganzen Tag?«

Wie typisch für einen Madrileno, so unhöflich mit der Tür ins Haus zu fallen. »Wie meinen, Señor?«

»Ich meine, daß ich seit vier Stunden versuche, Sie zu erreichen, aber Sie waren nicht in Ihrem Büro, und niemand in der Polizeistation hatte auch nur die leiseste Ahnung, wo Sie steckten. Was war los?«

Da er wußte, daß Salas ein sehr ungeduldiger Mann war und er ihn ablenken mußte, bevor er weitere noch unangenehmere Fragen stellte, begann Alvarez eine lange, bewußt weitschweifende Erklärung. »Ich habe auf Grund eines Hinweises Ermittlungen angestellt. Da ist doch dieser Mann, dessen Vater im Krieg verwundet wurde und dem man keine Rente bewilligen wollte, weil er auf der anderen Seite gekämpft hat, und er – das heißt, der Sohn – muß …«

»Ihnen ist doch wohl klar, daß in der Dienstvorschrift steht, der diensthabende Beamte müsse immer wissen, wo Sie gerade sind?«

»Selbstverständlich, Señor, und normalerweise vergewissere ich mich persönlich, daß er genau Bescheid weiß. Doch im vorliegenden Fall war das leider nicht möglich, weil ich sehr schnell handeln mußte. Sehen Sie, der Sohn hat mir nämlich erst sehr spät Bescheid gesagt. Es war nicht seine Schuld. Er ist ein sehr guter Informant. Die Leute halten ihn für ein bißchen geistig zurückgeblieben und sprechen daher sehr offen vor ihm. Er ist aber nicht so einfältig, daß er nicht versteht, was sie reden. Wie seine Mutter einmal zu mir sagte: ›Viktoriano ist viel klüger, als er aussieht.‹ Was natürlich nicht sehr schwer ist …«

»Glauben Sie wirklich, ich hätte nichts Besseres zu tun, als mir Ihr endloses Geschwätz anzuhören, Alvarez?«

»Nein, das glaube ich nicht, Señor. Ich weiß, daß Sie ein vielbeschäftigter Mann sind …«

»Dann hören Sie zu. Das Ministerium hat ein Ersuchen der britischen Botschaft in Madrid an mich weitergeleitet. Man bittet uns, einem Ermittlungsbeamten, der aus England herüberkommt, Amtshilfe zu leisten. Da Sie Englisch sprechen, werden Sie das übernehmen. Haben Sie verstanden?«

»Nicht genau, Señor …«

»Dann will ich es Ihnen mit einfacheren Worten erklären. Morgen kommt ein Engländer auf die Insel, und Sie werden ihn in vernünftigen Grenzen bei seiner Arbeit unterstützen.«

»Ich nehme an, es ist ein Polizist?«

»Sie nehmen falsch an.«

»Wer ist er dann?«

»Er arbeitet bei einer Versicherung. Ich habe selbstverständlich mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß man von uns, dem Cuerpo General de Policia, nicht erwarten darf, unsere Zeit zu verschwenden, indem wir ausländischen Zivilisten helfen, doch man hat meinen Einwand einfach beiseite gefegt. Das ist nur eine weitere Konsequenz der Dummheit unserer Politiker, die ja unbedingt der EG beitreten wollten.«

»Wo ist das Problem?«

»Ja, sehen Sie denn nicht, daß es für den Stolz eines jeden Spaniers der Todesstoß ist, wenn wir unsere Souveränität aufgeben …«

Alvarez riskierte es, ihn hastig zu korrigieren. »Ich habe eigentlich gemeint, was für ein Problem den Engländer auf die Insel führt, Señor.«

»Der Mann, mit dem ich gesprochen habe, konnte mir nur sagen, daß der Engländer im Zusammenhang mit dem jüngsten Flugzeugabsturz gewisse Ermittlungen anstellen will … Ist Ihnen bekannt, daß ein Leichtflugzeug ins Meer gestürzt ist, das vom alten Flugplatz gestartet war?«

»Ja, Señor. Und warum interessiert sich der Engländer für das abgestürzte Flugzeug?«

»Das hat man mir nicht mitgeteilt.«

»Dann frage ich mich, ob …«

»Vielleicht unterlassen Sie zur Abwechslung einmal alle Vermutungen und warten ab, bis Sie alle Fakten kennen, ehe Sie eine Meinung äußern?«

»Ja, Senor.«

»Und noch ein Letztes. Sie werden diese einfache Angelegenheit nicht – ich wiederhole – nicht wieder komplizieren.«

»Señor, nicht ich habe Angelegenheiten kompliziert, es waren die Fakten, die …« Alvarez hatte keine Gelegenheit, den Satz zu beenden, denn die Verbindung wurde unterbrochen.

Er legte auf und gähnte. Der Nachmittag war sehr anstrengend gewesen, weil Isabel und Juan ihm keine Ruhe gelassen hatten, bis er ihnen geholfen hatte, Sandburgen zu bauen. Dadurch war er nicht dazugekommen, seine Siesta zu halten. Er gähnte wieder. Bestimmt würde ein ganz kurzes Schläfchen ihn erfrischen, so daß er hinterher mit viel mehr Schwung an die Arbeit gehen konnte.

Er war schon auf halber Treppe, als ihm einfiel, daß Salas ihm weder gesagt hatte, wie der Engländer hieß, noch wann er ankam. Doch um diese Einzelheiten herauszufinden, hatte er Zeit genug.

2

Der Himmel fing eben an, sich im Osten dunkler zu färben, als Alvarez den Terminal B des Flugplatzes Son San Juan betrat. Er ging zu der Anzeigetafel für aus dem Ausland eintreffende Flüge. Obwohl die Maschine aus Gatwick schon vor zehn Minuten landen sollte und er die telefonische Auskunft erhalten hatte, daß es keine Verspätung gebe, zeigten weder grünes Licht noch Pfeil an, daß der Flug tatsächlich eingetroffen war. Alvarez durchquerte die Halle und wandte sich zum Haupt-Informationsschalter, wo eine Frau in der Uniform der Iberia ein langes und intimes Telefongespräch mit einer Freundin führte. Endlich legte sie auf und fragte ihn verdrießlich, was er wolle. Nachdem sie ihren Bildschirm befragt hatte, sagte sie, die Maschine sei vor fünfzehn Minuten gelandet.

Alvarez marschierte in die Ankunftshalle zurück, identifizierte sich bei der Flughafenpolizei und durfte das Gate passieren. Dahinter herrschte ein Chaos, da vier Flüge knapp hintereinander angekommen waren, das Gepäck aber nicht ausgeladen werden konnte, weil die Kaffeepause des dafür zuständigen Personals noch nicht beendet war. Da Alvarez nicht die geringste Chance hatte, Ware zu erkennen, wandte er sich an den Sargento an einem der Pulte und bat ihn, Señor Robert Ware über die Lautsprecheranlage ausrufen zu lassen. Ware war viel größer und viel schlanker als Alvarez. Lässig, aber ordentlich gekleidet, trug er ein leichtes Sportjackett, ein offenes Sporthemd und eine blaue Baumwollhose. Im Vergleich zu den meisten seiner weißhäutigen Mitpassagiere war sein Gesicht mit den kraftvollen Zügen von der Sonne gebräunt; um den Mund hatte er einen humorvollen Zug. Er sah, fand Alvarez, so aus, wie man sich alle Engländer vorgestellt hatte, bevor die Pauschalreisen es ihnen ermöglichten, in solchen Schwärmen über die Insel herzufallen, daß eine Verallgemeinerung nicht aufrechterhalten werden konnte.

»Señor Ware, ich bin Inspektor Enrique Alvarez vom Cuerpo General de Policia. Polizeichef Salas hat mich gebeten, Sie auf Mallorca willkommen zu heißen und Ihnen zu sagen, daß es mir ein Vergnügen sein wird, Ihnen so weit wie möglich behilflich zu sein.«

»Großartig! Und sogar noch großartiger ist, daß Sie Englisch sprechen wie ein Engländer.« Ein fröhliches Lächeln breitete sich über Wares ganzes Gesicht aus. »Seit man mir diesen Job aufgehalst hat, habe ich über einem spanischen Lehrbuch geschwitzt – und bin zu dem Schluß gekommen, daß ich hier verhungern müßte, weil ich schon wieder alles vergessen habe und mich niemand verstehen würde, falls ich mich doch an das eine oder das andere Wort erinnerte … Ich heiße übrigens Robert oder Bob; aber bitte nicht ›Bobby‹, wenn es Ihnen nichts ausmacht, weil ich mich aus irgendeinem Grund innerlich krümme wie ein Wurm, wenn mich jemand so nennt.«

»Ich will versuchen, daran zu denken.«

In einen Teil der Menge kam plötzlich lebhafte Bewegung, Ware schaute hinüber und sah, daß über einem der Förderbänder in Leuchtschrift sein Flug angezeigt wurde. »Es sieht so aus, als käme das Gepäck endlich durch. Ich geh schnell rüber und hole meine Tasche.«

»Sagen Sie mir vorher bitte, ob Sie ein Hotel gebucht haben. Wenn nicht, besorge ich Ihnen eine Unterkunft, während Sie das Gepäck holen. Um diese Jahreszeit ist es nicht leicht, ein anständiges Zimmer zu bekommen, das verstehen Sie wohl, aber ich habe Freunde im Gastgewerbe, die mir einen Gefallen schuldig sind …«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich habe gestern abend telefonisch im Vefour vorbestellt.«

»Im Vefour?« fragte Alvarez interessiert. »Ich glaube nicht, daß ich es kenne.«

»Es ist ein kleines Haus in den Bergen, wo meine Frau und ich vor ein paar Jahren gewohnt haben. Wir fanden beide, daß es schon fast im Himmel lag – jedenfalls dem Himmel so nah, wie man ihm überhaupt kommen durfte. Es heißt zwar, man soll nie wieder an einen Ort zurückkehren, den man einst geliebt hat, aber ich habe beschlossen, es zu riskieren. Hatte allerdings nicht den Mut, es meiner Frau zu sagen.«

 

Seit der Tourismus die gesamte Wirtschaft der Insel revolutioniert hatte, war es lächerlich, anzunehmen, daß irgend etwas – Ort oder Mensch – unverändert geblieben war; sogar der Bauer aus den Bergen, der früher mit dem Maultierkarren einen ganzen Tag zum nächsten Laden unterwegs gewesen war, legt heute die Strecke in einer halben Stunde mit dem Auto zurück und sah sich dort einer verwirrenden Vielfalt von Warenangeboten gegenüber. Das Hotel Vefour hatte sich jedoch noch nicht ganz von jenen Tagen losgesagt, in denen Mallorca wirklich noch die Insel der Stille war, jedes Dorf im nächsten Ort schon ein fremdes Land sah und die Menschen ehrlich und mitfühlend waren, weil die Flut ausländischen Geldes sie noch nicht korrumpiert oder ausländische Lebensart sie noch nicht verunsichert hatte.

Das Hotel lag auf halber Höhe eines Hügels auf einem Plateau, das etwas größer war als ein halber Hektar. Ursprünglich ein typisch mallorquinisches Bauernhaus, aus Stein gebaut, mit einem ganz einfachen Grundriß, war es vergrößert und modernisiert worden, aber so einfühlsam, daß es seinen Charakter bewahrt hatte und noch immer so aussah, als sei es ein Teil jenes felsigen Bodens, auf dem es stand. Es gehörte einer Familie, die klug genug war zu wissen, daß es immer Menschen geben würde, die Stille und Schlichtheit lärmender Hektik vorzogen. Zwar hatte jedes Zimmer seine eigene Dusche, aber es gab keine verchromte Bar, keine Musikberieselung aus Lautsprechern, kein Fernsehzimmer, keine Sauna, und Diskothek war ein schmutziges Wort; der Service war gut und freundlich, doch wenn jemand Servilität erwartete, weil er gute Trinkgelder gab, packte er am besten und zog woanders hin. Mehrere Reiseveranstalter hatten das Hotel schon in ihr Angebot aufnehmen wollen, aber alle waren höflich abgewiesen worden und hatten unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen.

Im Sommer konnten die Gäste im Freien essen, wenn sie es wünschten, und die meisten wünschten es. Abends, wenn die ganze Bucht zu sehen war, wurde Palma zu einem hübschen Teppich flirrender Lichter, und man konnte vergessen, wie viel von der Küste durch die überhitzte Baukonjunktur zerstört worden war. Die Straße war wenig befahren, und man konnte fast immer das schrille Zirpen der Zikaden, den Ruf der Eulen und das Krächzen der Ziegenmelker hören.

Der Kellner – einer der beiden Söhne und im Aussehen seinem Vater sehr ähnlich – stellte die zwei Martinis auf den Tisch, sagte »wohl bekomm’s« und ging. Ware hob sein Glas. »Auf ein Leben, in dem die Zeit stillsteht.«

Alvarez trank. »Das klingt, als sei hier alles fast noch so, wie Sie es in Erinnerung haben.«

»Genau. Und ich könnte schwören, daß niemand von der Familie auch nur einen Tag älter geworden ist. Es würde mich nicht wundern, wenn sie alle hundert Jahre alt würden wie diese Leute in Georgia.« Ein paar Sekunden lang sah er auf die ferne Bucht hinunter, dann seufzte er. »Wenn die Zeit nur stillstehen würde, wenn man es sich wünscht, und nicht, wenn man möchte, daß sie schnell vergeht … Sie haben gesagt, daß Sie über die Einzelheiten des Falles kaum etwas wissen …«

»Es wäre zutreffender zu sagen, daß ich überhaupt nichts darüber weiß – außer der Tatsache, daß eine kleine Maschine auf dieser Insel startete und im Meer verschwand.«

»Dann setze ich Sie jetzt ins Bild. Ich bin Schadenssachverständiger, was bedeutet, daß man mich ruft, wenn jemand bei einer Versicherung einen Anspruch anmeldet und gewisse Zweifel an der Richtigkeit dieses Anspruchs bestehen. Es ist meine Aufgabe festzustellen, ob die Zweifel gerechtfertigt sind. Ihr System hier funktioniert wahrscheinlich genauso?«

»Ja, aber noch nicht sehr lange. Bis vor kurzem hat der Normalbürger hier nämlich kaum etwas besessen, und deshalb waren auch Versicherungen überflüssig.« Alvarez lachte leise vor sich hin. »Wenn wir heutzutage jemanden einen richtigen Einfaltspinsel nennen möchten, sagen wir, daß er ein Mann ist, der nicht daran denkt, seine Versicherungspolice zu überprüfen, bevor er sein Haus in Brand steckt.«

Der Kellner brachte den ersten Gang – mallorquinische Suppe für Alvarez und gegrillte Garnelen für Ware.

»Davon habe ich geträumt«, sagte Ware, als er die erste von sechs sehr großen Garnelen in die Hand nahm. Er brach Kopf und Beine ab, entfernte die Schale und schob das Fleisch in den Mund. »Genauso köstlich, wie ich sie mir vorgestellt habe, also sagen Sie mir ja nie, daß Träume sich nicht erfüllen. Ich werde nie wagen, Heather zu erzählen, daß ich hier Garnelen gegessen habe, sonst läßt sie sich wegen Grausamkeit scheiden … Und jetzt zurück zu den wichtigen Dingen. Die zweimotorige Flèche, die auf der Insel gestartet und ins Meer gestürzt ist, wurde von einem gewissen Timothy Green geflogen, der bei der Crown and Life Insurance Company eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte. In ihrem Auftrag bin ich hier.

Die Police wurde vor ungefähr drei Jahren ausgestellt, und Green gab damals an – wozu er verpflichtet war –, daß er einen Pilotenschein habe und ab und zu in der Welt umherfliege. Wie üblich trug die Versicherung dem erhöhten Risiko durch eine entsprechend erhöhte Prämie Rechnung, und außerdem enthielt die Police die Standardklausel, daß die Versicherungssumme nur ausbezahlt werde, wenn der Pilot zur Zeit des Unfalls einen gültigen Pilotenschein besaß.«

Ware verstummte, während er zwei weitere Garnelen aß. Er merkte, daß Alvarez’ Glas fast leer war, und schenkte ihm und sich selbst aus der Flasche Bach nach. »Am Ende des ersten Jahres stellte Green den Antrag, die versicherte Kapitalsumme dynamisch der Inflationsrate anzupassen. Da das kein unbilliges Verlangen, sondern nur umsichtiges Finanzgebaren war, hat man die Erhöhung ohne weiteres bewilligt. Das gleiche passierte am Ende des zweiten Jahres. Vor etwas mehr als vierzehn Tagen und – falls die bisherige Praxis fortgesetzt werden sollte – ein paar Wochen bevor der nächste Antrag auf Erhöhung der Versicherungssumme fällig war, rief Green bei der Versicherung an und sagte, er wolle die Summe verdoppeln. Natürlich wird ein Antrag in dieser Größenordnung, und wir sprechen jetzt von einer halben Million, nicht so ohne weiteres bewilligt, und man verband ihn mit einem leitenden Angestellten; der erklärte ihm taktvoll, daß es, wenn es um so horrende Summen gehe, üblich sei, den Antragsteller zu einem persönlichen Gespräch zu bitten und möglicherweise eine neuerliche ärztliche Untersuchung zu veranlassen – mit anderen Worten, die Gesellschaft wollte sich überzeugen, ob noch alles in Ordnung war. Green erklärte, das sei wegen seiner beruflichen Verpflichtungen leider nicht möglich, da er praktisch sofort ins Ausland reisen müsse. Er brauche jedoch die höhere Versicherung, da er demnächst wieder heirate und seine Frau finanziell gesichert sehen wolle, falls ihm etwas zustoße. Der Manager hatte volles Verständnis für Green, beharrte jedoch auf seinen Bedingungen. Ehe Green nicht zu ihm ins Büro kam, um über alles zu sprechen, war eine Vertragsänderung nicht möglich. Green begann zu protestieren und wurde, wie der Manager sagte, sehr ausfallend.«

Wieder schenkte Ware nach. »Trinken Sie, damit wir diese Flasche leer bekommen und die nächste bestellen können.« Er lächelte. »Eine zweite Flasche Wein zu bestellen, ohne nervös meine Brieftasche zu Rate ziehen zu müssen, überzeugt mich immer, daß ich wirklich in Spanien bin.«

Sie waren mit dem ersten Gang fertig. Während der Kellner die Teller abräumte, wandte Ware sich an Alvarez: »Haben Sie etwas dagegen, wenn man zwischen den einzelnen Gängen raucht?«

»Im Gegenteil.«

»Ein Mann nach meinem Herzen!« Er holte eine Zigarettenpackung aus der Tasche und bot sie Alvarez an. »Heather sagt, es sei barbarisch. Ich bin eben ein Barbar, erkläre ich ihr immer.« Er knipste ein Feuerzeug an und lehnte sich, als die Zigaretten brannten, im Sessel zurück. »Nach allem, was ich Ihnen erzählt habe, werden Sie nicht überrascht sein zu erfahren, daß die Versicherung sofort anfing, Fragen zu stellen, als sie hörte, daß ein von Green gesteuertes Flugzeug über dem Meer abgestürzt war. Deshalb bin ich jetzt hier.«

»Sie glauben, er könnte den Unfall nur vorgetäuscht haben?«

»Zum einen. Und nicht nur, weil es sich – ohne die Erhöhung – bei der Summe, um die es geht, um rund eine Viertelmillion handelt. Das ist nicht besonders viel, wenn man bedenkt, daß Geschäftsleute eitel genug sind, den Wert ihres Lebens nach Millionen zu messen. Das ganze Drumherum ist so merkwürdig. Wie Sie selbst erwähnt haben, gibt es den Versicherungsbetrug, seit es Versicherungen gibt. Immer wieder versuchen die Leute durch Vortäuschung falscher Tatsachen, Versicherungsansprüche geltend zu machen. Aber Kriminelle haben gewöhnlich nicht besonders viel Phantasie, und ihre Methoden sind nach den gleichen Mustern gestrickt. Es ist klar, daß ein Mann sich verdächtig macht, wenn er heute eine Versicherung abschließt und morgen einen Anspruch anmeldet. Daher versucht der Betrüger, sich das Image eines ehrlichen Menschen zu geben, und das beliebteste Verfahren ist, sich einen weit entfernten Termin zu setzen, die Prämien eine Zeitlang pünktlich zu bezahlen und die Versicherung selbst immer nur in einem angemessenen Rahmen zu erhöhen, wie das jeder vernünftige Mensch tun würde, dem es nie im Leben einfiele, jemanden zu betrügen. Wenn er dann glaubt, sich als ausreichend zuverlässig und vertrauenswürdig erwiesen zu haben, denkt er sich einen guten Grund aus, um die Versicherung deutlich zu erhöhen, und nachdem wieder einige Zeit verstrichen ist, täuscht er seinen Tod vor.«

Ziemlich schüchtern, weil er befürchtete, Ware könnte glauben, er stelle seine Fähigkeiten als Sachverständiger in Frage, wandte Alvarez ein: »Hätte Green, wenn er nach dieser Methode vorgegangen wäre, nicht abgewartet, bis die Erhöhung bewilligt war, dann wiederum einige Zeit vergehen lassen, um jeden Verdacht auszuräumen, und erst dann seinen Tod vorgetäuscht?«

»Das muß man normalerweise mit einem Ja beantworten. Doch es ist durchaus möglich, daß sein Zeitplan nicht mehr stimmte und er viel schneller handeln mußte als vorgesehen, wenn der Betrug überhaupt gelingen sollte. Ich weiß, wenn man selbst in seiner Lage wäre und sich die Tatsachen betrachtete, würde man sich wahrscheinlich sagen, es sei zu gefährlich, übereilt zu handeln, und würde die Idee ganz fallenlassen. Ein Krimineller, der sich mit einem solchen Plan lange und eingehend beschäftigt hat, ist nicht mehr fähig, ihn logisch und objektiv zu sehen. Und wie Sie vermutlich viel besser wissen als ich, sind die Betrüger die Intelligenzija unter den Kriminellen, und ich weiß aus Erfahrung, ein intelligenter Mensch kann sich vor Stolz über seine Klugheit dermaßen aufblähen, daß er sich wie ein ganz gewöhnlicher Idiot benimmt.«

»Wie wahr, wie wahr.« Alvarez spielte mit ein paar Brotkrümeln und knetete ein Kügelchen daraus. »Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie nicht sicher, ob der Absturz getürkt war?«

»Das ist richtig. Deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir soviel wie möglich helfen könnten.«

»Selbstverständlich.«

»Am wichtigsten ist es, mit den zuständigen Leuten auf dem Flugplatz zu sprechen, die uns gewiß noch viel detaillierter berichten können, was eigentlich passiert ist. Ich brauche wesentlich genauere Informationen, als ich im Augenblick habe.«

»Ich rufe gleich morgen früh an, erkundige mich, mit wem wir reden müssen, und verabrede ein Treffen.«

»Das ist großartig.« Ware leerte sein Glas. »Wo ist die zweite Flasche? – Wissen Sie, Enrique, wenn ich hier draußen unter den Sternen sitze, Ambrosia esse und Nektar trinke, wird mir klar, daß ich ein Spitzenkandidat für die Todsünde der Gefräßigkeit bin.«

3

Ein Geräusch weckte Alvarez aus dem Schlaf. Er öffnete die Augen und warf einen Blick zur gegenüberliegenden Wand des Schlafzimmers, die deutlich zu sehen war, obwohl die Fensterläden geschlossen und die Vorhänge zugezogen waren. Noch schlafbefangen, aber auch schon wieder in den Schlaf hinübergleitend, fragte er sich, was das für ein Geräusch gewesen sein mochte …

Dann hämmerte jemand laut mit der Faust an seine Zimmertür, und er fuhr, inzwischen hellwach, erschrocken in die Höhe. »Bist du taub?« rief Dolores.

»Was ist los?« fragte er mit heiser klingender Stimme und überlegte verwirrt, ob über sie alle eine Katastrophe hereingebrochen war.

»Ich habe dich schon zweimal gerufen. Arbeitest du heute nicht?«

»Aber selbstverständlich arbeite ich.«

»Dann solltest du aufstehen, sonst kannst du gleich erst morgen anfangen.«

Nach einer Weile stieg er widerstrebend aus dem Bett, ging zum Fenster, zog die Vorhänge auf, entriegelte und öffnete die Läden. Greller Sonnenschein hüllte ihn ein, und er fühlte die Hitze auf seiner bloßen Brust. Über die Hausdächer des Dorfes blickte er zum Puig Antonia hinauf. Die Gebäude auf dem Gipfel des zuckerhutförmigen Berges waren früher eine Einsiedelei. Heute lebten die Nonnen eines kontemplativen Ordens dort. Ungefähr um die Zeit, um die der Tourismus der Insel Wohlstand und Fortschritt beschert hatte, hatten viele Einsiedeleien aufgehört, Einsiedeleien zu sein. Offensichtlich war es leichter, der materiellen Welt zu entsagen, wenn diese Welt sehr wenig zu bieten hatte …

Dolores rief vom Fuß der Treppe hinauf: »Wenn du nicht binnen fünf Minuten unten bist, mußt du dir deine Schokolade selber machen.«

»Ich komme schon!« Dolores, dachte er, während er sich anzog, wird von Tag zu Tag bissiger. Jaime hätte ihr längst die Leviten lesen müssen. – Ihm zu drohen, sie werde aus dem Haus gehen, bevor sie sein Frühstück zubereitet hatte!

Sie wurde, als er die Küche betrat, sogar noch aggressiver.

»Du weißt doch, warum du nicht rechtzeitig aufstehen konntest, nicht wahr? Du hast zuviel getrunken.«

»Das habe ich nicht.«

»Und wieso hast du dann mitten in der Nacht so laut geschnarcht, daß du mich geweckt hast?«

»Weil du einen leichten Schlaf hast. Außerdem hat Schnarchen nichts mit Trinken zu tun … Und wenn du es unbedingt wissen mußt, ich habe mit einem englischen Señor zu Abend gegessen, der nie zuviel trinken würde, und mehr als ein bißchen Wein haben wir auch nicht getrunken. Nach dem Essen bin ich direkt nach Hause gegangen.«

»Ich bezweifle, daß es sehr direkt war.« Sie brachte eine Tasse heiße Schokolade an den Tisch und stellte sie vor Alvarez hin.

»Ich gehe jetzt. Da du das Haus als letzter verläßt, vergiß nicht abzusperren.«

»Nur schnell, bevor du gehst: Wo ist der Kakao?«

»Denkst du«, sagte sie geringschätzig, »ich habe Zeit, einem Mann Kakao zu kochen, der sein Frühstück haben will, wenn es fast schon Mittag ist? Wenn du etwas essen willst – in der Brotbüchse ist Brot.« Mit hocherhobenem Kopf und einer Miene hoheitsvoller Herablassung marschierte sie aus der Küche.

Er trank einen Schluck Schokolade, ging dann ins Eßzimmer zu einem großen, schön geschnitzten Schrank und nahm eine Flasche heraus, denn er verfeinerte seine Schokolade immer mit etwas Kognak. Das Frühstück war eine wichtige Mahlzeit für einen gestreßten Mann.

 

Alvarez und Ware trafen sich auf dem Flughafen vor dem neuen Kontrollturm. Die Wache am Haupteingang begleitete sie zu einem Lift, der sie in das tiefer gelegene der beiden Stockwerke unmittelbar unter dem Kontrollraum brachte. Sie kamen in eine zentrale achteckige Halle mit sternförmig angeordneten Bürotüren, klopften an die mit der Aufschrift Co-Ordinator und wurden aufgefordert, einzutreten.

Murillo war erst Mitte der Vierzig, hatte jedoch schon große Geheimratsecken und ein faltiges Gesicht; ein Augenlid hing schlaff herunter, so daß er wesentlich älter aussah. Er reichte ihnen kurz die Hand, als finde er einen längeren Körperkontakt widerwärtig, kehrte zu seinem Sessel zurück und ließ sich hinter einem großen, ziemlich häßlichen Schreibtisch nieder. Das Dröhnen eines Jet veranlaßte ihn, aus dem großen Fenster zu schauen. Er beobachtete den Steigflug der Aviaco 727, die eine schmutzige Abgasspur hinter sich herzog, wandte sich dann wieder seinen Besuchern zu und sagte: »Was kann ich für Sie tun, Inspektor?« Tonfall und Verhalten baten darum, sich kurz zu fassen.

»Señor Ware ist aus England gekommen, um Ermittlungen über den Absturz am Samstag abend anzustellen.«

»Das haben Sie mir schon am Telefon gesagt.«

»Er wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihm mit detaillierten Informationen aushelfen könnten.«

Murillo nickte, blätterte in den Papieren auf seinem Schreibtisch, fand das Blatt, das er suchte, überflog es rasch und sagte dann in seiner abgehackten Sprechweise: »Die Maschine war eine zweimotorige Turbo-Prop Flèche und mit Treibstoffbehältern für Langstreckenflüge ausgerüstet. Sie traf Donnerstag um vier Uhr fünfunddreißig hier ein und landete auf dem alten Flugplatz. Green, der Pilot und einziger Insasse, passierte kurz darauf Zoll und Paßkontrolle.« Ungeduldig wartete er, während Alvarez übersetzte.

»Am Freitag gab er – den Vorschriften entsprechend – bekannt, daß er die Absicht hatte, am Samstag abend wieder abzufliegen, reichte seinen Flugplan ein und bat, die Maschine am nächsten Tag aufzutanken. Als Flugziel gab er Shoreham an; gewartet brauchte die Maschine nicht zu werden, da das erst kürzlich geschehen und der nächste Termin noch längst nicht fällig war.

Am Samstag meldete Green sich um einundzwanzig Uhr bei Zoll und Paßkontrolle, holte sich den Wetterbericht und die Fluganweisungen, kontrollierte, ob die Maschine aufgetankt worden war, und bezahlte die Rechnung.

Er startete um zweiundzwanzig Uhr fünfunddreißig. Die Flugbedingungen waren gut – Südwind, Windstärke drei, achtzehntel Wolken, ausgezeichnete Sicht, keine Änderung erwartet. Das Bodenpersonal hat ausgesagt, daß beim Start beide Motoren einwandfrei arbeiteten. Radar vermerkte, daß er sich an die angegebene Route hielt.

Um zweiundzwanzig Uhr fünfundfünfzig erreichte uns sein Mayday. Er meldete, daß ein Motor ausgefallen sei, der andere stottere. Er müsse deshalb umkehren. Zwei Minuten später sagte er, die Fehlzündungen im Backbordmotor seien schlimmer geworden; danach ging der Funkkontakt verloren. Auf dem Radarschirm war zu sehen, daß die Maschine langsam an Höhe verlor und dann plötzlich abstürzte. Zwölf Minuten nach dem letzten Funkkontakt verschwand sie vom Schirm, als sie noch ungefähr zweihundert Meter hoch war.

Die Rettungsmannschaften wurden alarmiert und eine gründliche Suche angeordnet, die die ganze Nacht dauerte. Am Sonntag mittag wurde die Suche aus der Luft abgebrochen und bei Anbruch der Dunkelheit die Suche auf See. Es wurden weder das Wrack selbst noch Wrackteile gesichtet … Das ist alles.«

Als Alvarez übersetzt hatte, blickte Ware von seinem Notizbuch auf. »Radar hat die Maschine in einer Höhe von zweihundert Meter verloren – wieso das?«

»Das Radar in den Bergen erfaßt Flugkörper nicht mehr, die tiefer fliegen als zweihundert Meter über dem Meeresspiegel.«

»Dann ist es durchaus möglich, daß der Pilot die Maschine unter dieser Höhe abgefangen hat und im Tiefflug weitergeflogen ist?«

»Im Dunkeln, Señor, wäre kein Pilot so verrückt, in so geringer Höhe zu fliegen.«

»Auch nicht, wenn er einen sehr guten Grund dazu hätte? Und da der Himmel zu zwei Zehnteln klar war, muß das Mondlicht ausreichend hell gewesen sein, um das Meer zu markieren.«

Murillo bemühte sich, nicht zu verletzend zu antworten. »Mir scheint, Señor, daß Sie nicht allzuviel von der Fliegerei verstehen.«

»Ersetzen Sie ›nicht allzuviel‹ durch ›nichts‹«, antwortete Ware vergnügt.