Mallorca – My Love - Roderic Jeffries - E-Book

Mallorca – My Love E-Book

Roderic Jeffries

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Beschreibung

Ein Mallorca-Krimi von Roderic Jeffries Den Börsenmakler Oklay hatte der Ermordete fast in den Ruin getrieben. Als Alvarez den Verdächtigen vernehmen will, ist er plötzlich verschwunden – mit einer gestohlenen Jacht, die ein paar Tage später verlassen auf See dümpelt. Als Alvarez dann dem wahren Mörder gegenübersteht, ist nicht nur er von der Person und dem Motiv überrascht ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Roderic Jeffries

Mallorca – My Love

Aus dem Englischen von Ingrid Herrmann

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Inhalt

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1

Zufrieden betrachtete Pablo Roig die Endsumme auf dem Blatt Papier – sein Vermögen hatte sich schon wieder vergrößert. Nicht schlecht für einen Mann, der in einer Elendshütte geboren wurde und der einmal Lehrer in einer Dorfschule gewesen war, wobei er dem Bürgermeister, dem Stadtrat und den bessergestellten Grundbesitzern ehrerbietig begegnen mußte, falls diese sich dazu herabließen, mit ihm zu sprechen.

Sein Aufstieg aus solch bescheidenen Verhältnissen setzte Intelligenz, Ehrgeiz, Fleiß und eine gewisse Genialität voraus. Seine Intelligenz gebot es ihm, Leuten, die er verachtete, die aber die Macht besaßen, über seine Zukunft zu bestimmen, Respekt zu zollen; sein Ehrgeiz spornte ihn an, zuerst Lehrer zu werden und sich dann nach einem angemessenen Jurastudium als Rechtsanwalt niederzulassen, auf Fleiß gründete sein Erfolg; und eben seine Genialität hatte ihn erkennen lassen, wie er den Umstand, daß Elenas Cousin, Rodolfo, ein Schwächling war, zu seinem eigenen Vorteil nutzen konnte.

Niemand mochte Rodolfo, doch da sein Vater ein reicher Landbesitzer war, ging niemand so weit, ihn offen zu brüskieren. Lediglich Pablo Roig suchte seine Gesellschaft, lud ihn immer wieder zum Trinken ein und lauschte geduldig seinem dummen, sinnlosen Geschwafel … Als er sicher war, daß Rodolfos enormer Alkoholkonsum zu einem frühen Tod führen würde, machte er Elena einen Heiratsantrag. Obwohl er finanziell gesehen für jede Frau eine schlechte Partie gewesen wäre, befürchtete er keine Sekunde lang, daß sie ihm einen Korb geben würde.

Immerhin war sie schon über dreißig – die meisten Frauen waren bereits mit zwanzig verheiratet –, und sie war außerdem alles andere als eine Schönheit. Als die Leute von der Verlobung hörten, lachten sie; doch das Lachen verging ihnen, als anderthalb Jahre später, nach Rodolfos Tod, dessen Vater starb und seinen gesamten Grundbesitz Elena hinterließ.

Wenn, so dachte er selbstgefällig, er dazu aufgefordert würde, das Geheimnis des wirtschaftlichen Erfolgs mit einem Wort zu definieren, dann würde er sagen: Weitblick. Die Fähigkeit, nach vorn zu schauen, während andere nur das Nächstliegende sahen; das Vorauswissen, daß das Tourismusgeschäft blühen und daß in der Nähe des Meeres Bauland erschlossen würde; deshalb verkaufte man, wenn man klug war, sein Land nicht, sobald es im Wert zu steigen begann – wie ein geldgieriger Bauer – sondern behielt es, bis der Preis in astronomische Höhen schnellte; die Erkenntnis, daß Ausländer, die Eigentum erwarben, juristischen Beistand brauchten, und daß sie immer einen Anwalt bevorzugen würden, der ihre Muttersprache beherrschte. Er vergegenwärtigte sich, daß sich seine Mühe, Englisch, Französisch und Deutsch zu lernen, später tausendfach auszahlen mußte.

Im Geist listete er seine Besitztümer auf, wobei er diejenigen ausließ, die Elena in ihrer Sturheit nicht auf seinen Namen überschreiben lassen wollte. (Auf dem spanischen Festland urteilte das Gesetz viel vernünftiger, indem es festlegte, daß der gesamte Besitz dem Ehemann gehörte.)

Das Landgut in den Hügeln am Fuß der Sierra de Alfabia – von dem sie nichts wußte, genausowenig wie von den vielen Damen, die ihn dort besucht hatten; die schönen Häuser, von denen sie nichts ahnte, und die er erworben hatte, wenn Klienten in finanzielle Not gerieten und rasch Geld brauchten (vergnügt dachte er daran, daß in mindestens zwei Fällen die finanziellen Probleme erst durch seinen entsprechenden juristischen Rat entstanden waren); die dicken Aktienpakete, die in der Schweiz aufbewahrt wurden und von denen der Steuerprüfer nichts wußte; der Schmuck, den er Elena geschenkt hatte, nicht als Zeichen seiner Liebe und Zuneigung, sondern als Kapitalanlage …

Das Sprechgerät summte und störte seine angenehmen Gedanken. Er beugte sich vor und drückte auf eine Taste.

»Señor Braddon ist mit seiner Frau hier und möchte Sie unbedingt sprechen«, meldete Marta, seine Sekretärin.

»Ich habe keine Zeit.«

»Ich sagte ihm, daß Sie niemanden empfingen, aber er besteht darauf.«

»Dann sagen Sie ihm, daß ich darauf bestünde, ich hätte keine Zeit.«

Er lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück. Marta war achtzehn Jahre alt und sehr attraktiv. Auf seine Komplimente reagierte sie keß und erfahren, und wenn er sie berührte, wich sie eher lässig aus anstatt verärgert. Allerdings war sie verlobt. Ob sie nur mit ihm spielte, weil sie sich in Wirklichkeit für die Ehe aufsparte?

Das Sprechgerät summte wieder.

»Der Señor sagt, Sie müßten sie empfangen.«

Ein weiser Mann wußte, wann er sich in das Unvermeidliche fügen mußte. »Na schön. Führen Sie sie in ein paar Minuten herein.«

Er nahm das Blatt Papier und legte es in die mittlere Schreibtischschublade, die er abschloß. Vermutlich hätte kein anderer als er mit den Zahlen etwas anfangen können, doch das Leben hatte ihn gelehrt, daß man nicht vorsichtig genug sein konnte.

Er bereitete sich darauf vor, Braddon freundlich anzulächeln, diesen aufgeblasenen Trottel, der schon seit Jahren auf Mallorca lebte und immer noch kein Wort Spanisch konnte, weil er fand, die Einheimischen müßten Englisch lernen.

Marta führte die Braddons herein. Roig stand auf, ging um den Schreibtisch herum und schüttelte ihnen die Hände. »Señor Braddon; Señora Braddon, wie schön, Sie wiederzusehen.« Er sprach fließend Englisch mit einem guten Akzent. »Gut sehen Sie beide aus.«

»Ich fühle mich aber verdammt schlecht«, versetzte Braddon. Er ärgerte sich, daß er seine Hand nicht rechtzeitig zurückgezogen hatte, die nun mit mediterraner Überschwenglichkeit gedrückt wurde.

»Haben Sie sich vielleicht erkältet?«

»Ich habe Ihren Brief bekommen. Verflucht noch mal …«

»Joe«, warnte Letitia. Sie wirkte hager und welk, als hätte sie sich zu lange der Sonne ausgesetzt.

»Laß mich ausreden …«

»Ja, aber du solltest dabei ruhig bleiben.«

»Habe ich etwa keinen Grund, mich aufzuregen?«

»Aufregung schadet deinem Blutdruck.«

»Ich könnte vor Wut an die Decke gehen.«

Roig sagte beschwichtigend: »Ich schlage vor, wir nehmen Platz und stellen fest, worüber sich der Señor so aufregt. Bestimmt läßt sich das Problem rasch lösen. Wie sagte doch einer unserer Philosophen aus dem neunzehnten Jahrhundert – es gibt für alles eine Lösung, außer für den Tod.«

»Ich pfeife auf …«

»Joe«, flehte seine Frau.

Sie setzten sich, die Braddons auf Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. Roig lächelte seine Besucher freundlich an. »Erzählen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben, und ich helfe Ihnen.«

»Was hat Ihr Brief zu bedeuten?« wollte Braddon wissen.

»Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Das tut mir leid.« Roig fand, mit seiner Hakennase und den vielen Kinnfalten sähe Braddon aus wie ein alter Truthahn.

»Sie waren deutlich genug; das ist nicht das Problem.«

»Dann verstehe ich nicht …«

»Wie zum Henker kommen Sie plötzlich darauf, Sie könnten mich nicht länger vertreten?«

»Wie ich Ihnen in meinem Brief bereits mitteilte, ist meine Frau eine Cousine der Gattin des aparejadors; das ist keine günstige Voraussetzung, wenn man vor Gericht geht.«

»Das gefällt mir! Das gefällt mir wirklich! Keine günstige Voraussetzung!« Er hob die Stimme. »Bestand dieses Verwandtschaftsverhältnis noch nicht, als wir das erstemal zu Ihnen kamen und Ihnen erzählten, welchen Ärger wir mit dem Haus hätten?«

»Doch, natürlich.«

»Und warum haben Sie uns nicht gleich darauf aufmerksam gemacht?«

»Weil ich dazu keine Veranlassung sah.«

»Was meinen Sie damit, Sie hätten keine Veranlassung gesehen? So etwas Hinterhältiges, Gemeines …«

»Bitte, Joe«, mischte sich Letitia ein, »bleib doch ruhig.«

Er drehte sich zu ihr um und schien ihr etwas sagen zu wollen. Dann besann er sich jedoch anders und wandte sich in ruhigem Ton wieder an Roig. »Als ich Sie zum erstenmal aufsuchte und Ihnen sagte, daß die Wände unseres Hauses Risse bekämen, erwiderten Sie da nicht, ich hätte das Recht, den Architekten, den Bauunternehmer und diesen anderen Mann zu verklagen, wie immer der heißt, weil das Haus noch keine zehn Jahre alt sei?«

»Das stimmt.«

»Und gab ich Ihnen nicht sämtliche Unterlagen und Pläne, in denen die Namen der betreffenden Personen standen?«

»Doch, ja.«

»Haben Sie denn nicht gleich gesehen, daß Ihr Cousin in die Sache verwickelt ist?«

»Es handelt sich um die Cousine meiner Frau, die mit dem aparejador verheiratet ist, Señor.«

»Das ist doch egal. Jedenfalls haben Sie von Anfang an gewußt, daß ein Interessenkonflikt existiert.«

»Keineswegs.«

»Was zum Teufel soll das heißen? Wenn Sie wußten, daß Sie mit jemandem von der Gegenpartei verwandt sind …«

»Nicht ich, Señor, sondern meine Frau …«

»Das Verwandtschaftsverhältnis bedingt einen Interessenkonflikt.«

»Damals noch nicht, Señor.«

»Wieso denn nicht?« Braddons wachsender Zorn wechselte sich ab mit Verblüffung.

»Ehe ein Fall vor Gericht kommt, ist nichts sicher. Alles mögliche kann passieren. Ich könnte sterben, die Cousine meiner Frau könnte sterben, und, was noch bedauerlicher wäre, Sie könnten sterben. Solange man nicht ganz genau weiß, was geschehen wird, besteht auch kein Interessenkonflikt.«

Braddon kochte vor Wut. »In England hätte mich jeder Anwalt, der nur einen Funken Anstand besitzt, sofort über den Sachverhalt aufgeklärt.«

»Aber Sie sind hier in Spanien, Señor.«

»Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern, verdammt noch mal … Und glauben Sie ja nicht, Sie könnten mir Sand in die Augen streuen. Ich weiß genau, was hier vorgeht. Sie sind nichts weiter als ein …«

»Bitte, Joe«, flehte Letitia.

Er hörte nicht auf sie. »Sie sind nichts weiter als ein elender kleiner Gauner.«

»Jetzt werden Sie aber unhöflich«, meinte Roig bedauernd.

»Ich will auch gar nicht höflich sein. Und ich sage es noch einmal, Sie sind ein elender kleiner Gauner. Sie wollen, daß Ihr Cousin keine Scherereien bekommt …«

»Es ist die Cousine meiner Frau, die mit dem …«

Braddon fluchte, daß Letitia zusammenzuckte, und fuhr fort: »Von Anfang an haben Sie mich hinters Licht geführt. Sie haben mir nie gesagt, daß der Fall innerhalb dieser Zehnjahresfrist auch tatsächlich vor Gericht verhandelt werden muß; Sie behaupteten, es genüge, die Gegenpartei anzuschreiben. Ich verstand nicht, was gespielt wurde, deshalb zeigte ich Ihren Brief heute morgen einem Freund. Der sagte mir, wenn der Prozeß nicht in dem Zeitraum von zehn Jahren anrollte, wäre die Sache verjährt, und bis dahin sind es nur noch wenige Tage. Sie haben alles getan, um zu verhindern, daß ich die Schufte anzeige. Aber damit kommen Sie mir nicht durch. Ich werde mich an die Anwaltskammer wenden und mich über Sie beschweren; ich sorge dafür, daß Sie Ihre Zulassung verlieren.«

Obwohl Roig seine bekümmerte Miene beibehielt, amüsierte er sich insgeheim. Glaubte dieser aufgeplusterte kleine Wicht tatsächlich, er könne gegen ihn etwas ausrichten? Wenn jede Beschwerde eines Ausländers gegen seinen Anwalt Konsequenzen nach sich zöge – wer bliebe denn übrig, um die erforderlichen juristischen Schritte einzuleiten?

2

Casa Gran war, wie schon der Name andeutete, das größte Anwesen im Umkreis von vielen Kilometern. Das dazugehörige Grundstück belief sich auf einhundertundfünfzig Hektar; auf der Insel galt jeder Bauernhof ab drei Hektar Land als ansehnlich.

Über zweihundert Jahre lang befand sich das Gut im Besitz einer aus Barcelona stammenden Familie; doch trotz ihres enormen Reichtums hatte sie im Bürgerkrieg die Republikaner unterstützt, und nach und nach hatte man ihr gesamtes Eigentum konfisziert. Zeitweise wurde das Haus als Kaserne benutzt und hatte dementsprechend darunter gelitten; nach dem Krieg stand es leer.

Die zweiräumige casita, in der Roig geboren war, lag sechs Kilometer weiter südlich, und an einem klaren Tag hatte er von dort aus Casa Gran sehen können; er erinnerte sich noch gut, wie er als Junge vor seinem erbärmlichen Elternhaus stand und über das Land schaute. Das große Haus symbolisierte für ihn gesellschaftlichen Aufstieg, und damals verspürte er die ersten Anwandlungen von Ehrgeiz, es im Leben zu etwas zu bringen. Allerdings steckte er zu jener Zeit seine Ziele noch nicht so hoch, um den tatsächlichen Besitz dieses Anwesens anzustreben; das kam erst viele Jahre später.

Eines Tages wurde das Haus zum Verkauf angeboten, und er erwarb es. Es zu seiner einstigen Pracht renovieren zu lassen, kostete ein Vermögen, und er wollte, daß man dem Besitz ansah, daß er einem einflußreichen und vornehmen Mann gehörte. Oftmals stand er draußen vor dem Haus, blickte nach Süden und stellte wieder einmal zu seiner tiefen Befriedigung fest, daß man nicht einmal mit einem Fernglas die Hütte ausspähen konnte, in der er seine Jugend verbracht hatte.

Er fand es witzig, daß Elena nicht wußte, daß ihm Casa Gran gehörte. Sie war eine Frau mit beschränktem Geist und noch beschränkterer Neugier. In ihrem Leben gab es nur drei Interessen – ihre beiden Kinder, traditionelle mallorquiner Häkelarbeiten und die Seifenopern im Fernsehen.

Er parkte den Citroën BX19GT vor der Casa Gran und stieg aus in das grelle Sonnenlicht. Sein Blick wanderte über das dreigeschossige, aus Stein erbaute Haus mit den siebenundzwanzig Zimmern. Wie viele andere Männer besaßen Häuser, die siebenundzwanzig Zimmer hatten?

Der Eingang war typisch für den damaligen Baustil, doch ungewöhnlich für moderne Verhältnisse; statt eines Hauptportals gab es einen Bogengang, durch den man direkt auf den Innenhof oder patio gelangte. Von dort aus führten zu beiden Seiten hohe, schwere Holztüren in je eine Vorhalle. Der Hof war ringsum geschlossen, und ein Teil lag immer im Schatten. Ein Springbrunnen in der Mitte kühlte und erfrischte die Luft. Von ihm ausgehend, wie die Speichen eines Rades, befanden sich Beete mit Zitrusbäumen und blühenden Büschen.

Durch die Tür zu seiner Rechten betrat er das Haus. »Julia.« Keine Antwort. Er rief noch einmal. Dann hörte er, wie sie geräuschvoll herbeieilte; laut klapperten ihre Schuhe auf dem mit Fliesen belegten Boden.

Den größten Teil ihres Lebens hatte sie auf den Feldern arbeitend verbracht, und ihr langes, schmales Gesicht war tief gefurcht. Die Haut war rauh und spröde, und sie sah älter aus als er, obwohl sie zwei Monate jünger war.

»Hast du mein erstes Rufen nicht gehört?« fragte er barsch.

»Ich habe im hinteren Zimmer geputzt«, antwortete sie mit flacher, ausdrucksloser Stimme.

»Bald wird eine Freundin von mir hier sein; sorge dafür, daß alles vorbereitet ist.« Er fragte sich, was sie wohl über die vielen Frauen dachte, die ihn besuchten; aber vielleicht machte sie sich grundsätzlich nicht viele Gedanken. Als sie beide noch jung waren, hatten sie oft zusammen gespielt, wenn sie nicht auf dem Feld arbeiten mußten. Ihrer Familie gehörte damals der Boden, den sie bewirtschafteten, während seine Eltern nur Pächter waren. Aus diesem Grund war sie ihm gesellschaftlich überlegen gewesen. Er hoffte, sie möge sich an jene Zeiten erinnern, damit sie die Ironie der gegenwärtigen Situation auch voll begriff. »Du kannst eine Flasche Weißwein holen und sie mir draußen servieren.«

Er stieg die breite, geschwungene Treppe hinauf. Oben bog er in den nach rechts führenden Korridor ab. In dem großen Schlafzimmer mit den hohen Wänden war es angenehm kühl, obwohl draußen eine Hitze von fast vierzig Grad Celsius herrschte. Das antike Mobiliar glänzte frisch poliert, und die alten, originalen Fußbodenkacheln waren kürzlich geschrubbt worden; vielleicht besaß sie kaum mehr Verstand als eine Kuh, aber sie wußte, wie man einen Haushalt führt.

Den leichten Sommeranzug legte er ab. Im Sommer trugen nur wenige Mallorquiner ein Jackett, geschweige denn einen Anzug, doch ein Engländer hatte ihm einmal erzählt, den wahrhaft gebildeten Herrn erkenne man nicht an seinem Benehmen – ein Gentleman bestimme seine Verhaltensweisen selbst – sondern an der Kleidung. Das hatte er nie vergessen. Er zog sich ein frischgewaschenes Baumwollhemd und eine Leinenhose an und betrachtete sich im Spiegel an der Tür des großen Kleiderschranks. Er gefiel sich; er fand, er sähe elegant und gepflegt aus.

Er stieg die Treppe wieder hinunter und ging nach draußen auf den Patio. Im Schatten, nahe eines Mandarinenbaums, standen ein Tisch und zwei Stühle. Er setzte sich und schenkte sich ein Glas Wein ein. Die Trauben waren auf seinem Land gewachsen, in seiner Kelterei gepreßt worden, und in seinen Kellern war der Wein gereift. Er war ein reicher Mann. Er blickte auf seine Armbanduhr – bald mußte Raquel eintreffen. Sie hatte Casa Gran noch nie gesehen und würde dementsprechend beeindruckt sein; bestimmt gäbe sie dann ihr kokettes Sträuben auf.

Das Warten steigerte seine Erregung; Julio Benavides hatte recht, wenn er schrieb, das stärkste Aphrodisiakum sei die Abwechslung. Umgekehrt war es genauso richtig. Eulalia hätte das wissen müssen. Sie hatte allen Ernstes geglaubt, er würde sich von seiner Frau scheiden lassen und sie heiraten. Als ob er so dumm wäre, endgültig auf die Besitztümer zu verzichten, die auf den Namen seiner Frau liefen und an die sie sich hartnäckig klammerte!

Er dachte an Eulalia, wie er sie das letzte Mal gesehen hatte, häßlich vom vielen Weinen. Sie wollte ihn an seine Versprechungen erinnern, die er ihr gemacht hatte, um sie zu verführen. War sie wirklich so naiv, wie sie tat?

Es war tröstlich zu wissen, daß Raquel sich niemals so albern aufführen würde. Sie kannte die Spielregeln. Doch obschon sie sich sehr raffiniert vorkam, so hatte er schnell ihren schwachen Punkt durchschaut. Sie sehnte sich nach dem Luxusleben, wie es ihrer Meinung nach die reichen Leute führten, wobei sie ihre Vorstellungen aus Schundromanen und Fernsehserien bezog. Bereits wenige Besuche der teuersten Restaurants in Palma und des Casinos hatten genügt, um sie den Altersunterschied zwischen ihnen, den sie vorher so gern betont hatte, vergessen zu lassen …

Er hörte das knatternde Geräusch eines sich nähernden Mofas oder Motorrads und fragte sich vage, wer das sein mochte. Womöglich jemand, der zu Julia wollte, aber ganz bestimmt nicht Raquel; Raquel würde niemals ein so vulgäres Fahrzeug benutzen …

Julia kam auf den Patio. »Da ist ein Mann, der mit Ihnen sprechen will.«

»Wer ist er?« fragte er gereizt.

Sie zuckte mit den Schultern.

»Warum zum Teufel hast du ihn nicht gefragt?«

Sie gab keine Antwort.

»Stell fest, wer er ist, und was er will.« Sie war wirklich dumm, doch wenn er sie feuerte, beraubte er sich des Vergnügens, sie bei sich in Stellung zu haben.

Sie kam zurück. »Er heißt Carlos Vidal.«

»Nie von ihm gehört.«

»Er sagt, er möchte Sie sprechen.«

»Ist er von hier?«

»Er ist ein forastero«, antwortete sie, indem sie einen Ausdruck benutzte, der besagte, er sei ein Ausländer; jedoch nicht in dem Sinn, daß er kein Spanier sei, sondern daß er nicht von der Insel stamme.

»Er soll sich von meiner Sekretärin einen Termin geben lassen und in mein Büro kommen.«

Sie entfernte sich.

Während er einen Schmetterling beobachtete, der über einer Blüte schwebte, plante er, wie er Raquel am besten verführen konnte. Nach einem Glas Wein würde er vorschlagen, das Haus zu besichtigen. Sie würde sich fragen, ob es klug sei, mit ihm zu gehen, zum Schluß jedoch einwilligen. Und auf die Kommode im Schlafzimmer hatte er ein kleines Schmuckstück gelegt …

»Señor.«

Verdutzt blickte er sich um. Im Bogengang stand ein junger Mann in einem verwaschenen Hemd und geflickten Jeans.

»Was wollen Sie?« fragte er ruppig.

»Die Gunst einer Unterredung mit Ihnen, Señor.«

Ein Andalusier, sagte er sich sofort. Er erkannte es an der Art, wie manche Worte genuschelt wurden; bestätigt wurde sein Urteil durch das pechschwarze Haar, den dunklen Teint, die scharf geschnittenen Züge, und nicht zuletzt durch das Auftreten des jungen Mannes, der zwar ärmlich gekleidet war, sich aber dreist und selbstsicher gebärdete. »Haben Sie meine Nachricht nicht bekommen?«

»Die Señora richtete mir freundlicherweise aus, ich solle mir einen Termin geben lassen und mich in Ihr Büro bemühen. Aber was ich Ihnen zu sagen habe, Señor, hat nichts mit Ihrem Beruf als Anwalt zu tun.«

»Dann verschwinden Sie jetzt.«

»Sie waren mit Señorita Eulalia Garcia befreundet, nicht wahr?«

»Das geht Sie verdammt noch mal nichts an.«

»Sie ist in Schwierigkeiten. Ich bin hierhergekommen, um Ihnen zu sagen, daß Sie ihr helfen müssen.«

Einen Augenblick lang verschlug es ihm vor Überraschung die Sprache; dann sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. »Müssen! Müssen! Ein zerlumpter Zigeuner belästigt mich und will mir vorschreiben, was ich tun soll!«

»Señor, sie ist verzweifelt …«

»Julia!« rief Roig.

Sie erschien so schnell, daß sie in der Nähe gestanden und gelauscht haben mußte.

»Bring ihn hinaus.«

Mit leiser Stimme sagte sie etwas zu Vidal. Der schüttelte den Kopf. Wieder sprach sie, dieses Mal eindringlicher und mit den Händen gestikulierend. Abermals schüttelte er den Kopf. Sie zuckte mit den Schultern und verstummte.

»Señor, bitte verstehen Sie …«, setzte Vidal erneut an.

»Sag Pedro, er soll kommen und diesen unverschämten Kerl rausschmeißen!« brüllte Roig.

»Señor, Sie begehen einen sehr großen Fehler.«

»Wer hier einen Fehler macht, sind Sie! Das werden Sie schon merken, wenn Pedro erst einmal hier ist.«

»Ich habe versucht, mit Ihnen zu sprechen, Señor.« Vidal blieb höflich. »Es ist nicht meine Schuld, wenn Sie zu dumm sind, mich anzuhören.« Er deutete eine Verbeugung an und ging, hocherhobenen Hauptes und mit straffen Schultern, wie ein siegreicher Torero.

3

Roig bog von der Hauptstraße nach Llueso/Puerto Llueso auf einen unbefestigten Fahrweg ab. Trotz der guten Federung schwankte und holperte der Wagen durch die Schlaglöcher. Er war froh, daß er nicht in dem Porsche 928 saß, den er günstig einem Deutschen abgekauft hatte, der ob seines juristischen Rates in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Ein Porsche war ein schickes Auto, aber nicht für solche mörderischen Straßen gebaut.

Als das häßliche Haus in Sicht kam, fuhr er langsamer. Gleich wäre er da. Zu seinem Verdruß bemerkte er, daß er davor zurückscheute, Oakley zu begegnen. Weshalb eigentlich? Was hatte er schon zu befürchten? Er war, wie immer, sehr geschickt vorgegangen. Oder etwa nicht? Hatte Oakley auf irgendeine Weise die Wahrheit entdeckt? Das war praktisch unmöglich. Falls doch, dann konnte er sich auf etwas gefaßt machen. Hinter Oakleys freundlicher, jovialer, ironischer Fassade steckte ein stahlharter Charakter …

Er bog auf einen noch schmaleren und primitiveren Weg ab; rechts davon wuchsen Mandelbäume, links Orangen- und Zitronenbäume. Der Pfad führte zu einem alten Bauernhaus aus Naturstein und mündete in einem Wendekreis. Inmitten des Kreises stand ein knorriger Olivenbaum mit hohlem Stamm, dessen fächerförmige Krone verriet, daß die Äste regelmäßig beschnitten wurden.

Als er aus dem Wagen stieg, trat Oakley aus dem Haus.

»Morgen. Schön, daß Sie gekommen sind.«

Da Roig eher herbeibefohlen anstatt hergebeten worden war, hätten die Worte ironisch gemeint sein können; doch Oakleys Miene drückte Herzlichkeit und Dankbarkeit aus. Roig mißtraute Leuten, die ihre Gedanken verbergen konnten.

»Ich hatte ohnehin in dieser Gegend geschäftlich zu tun, Señor.«

»Fein. Dann habe ich Ihren Terminkalender ja nicht durcheinandergebracht … Aber verzichten Sie doch auf diese förmliche Anrede. Wie ich schon sagte, ich bin Gerald oder Gerry; vorausgesetzt natürlich, der Name wird mit einem G geschrieben.« Er schmunzelte.

Roig begriff die Pointe nicht und hatte das ärgerliche Gefühl, Oakley mache sich über ihn lustig.

»Lassen Sie uns aus der Sonne gehen. In den letzten Tagen war es viel zu heiß, sogar für mich. Und die BBC meldete heute morgen, in London sei es bewölkt und kühl. Schade, daß wir nicht ein wenig von unserer Sonne gegen ein ganz kleines bißchen von ihrer Kälte eintauschen können.«

Das Gehöft war im typischen mallorquiner Stil erbaut und stammte aus einer Zeit, als auf der Insel noch keine Fremden lebten. Alles war darauf abgestimmt, nützlich zu sein, ohne Rücksicht auf Schönheitssinn. Die Wände bestanden aus Stein, gebunden mit mallorquiner Zement, der staubte; das flache Dach ruhte auf Holzbalken; die Fenster waren klein, und die ursprünglich vorhandenen Läden aus massivem Holz hatte man entfernt, als Glasscheiben eingesetzt wurden. In der letzten Zeit war das Haus renoviert worden, aber mit Geschmack und Intelligenz.

Sie durchschritten zwei Zimmer, wobei eines direkt in das andere führte, und traten hinaus auf den nach Süden gelegenen Patio. Ein Dach aus Weinlaub, das sich über gespannte Drähte rankte, spendete Schatten.

»Setzen Sie sich«, sagte Oakley. »Was möchten Sie trinken?«

»Einen Whisky, bitte.«

Während Oakley ins Haus zurückging, sah Roig sich um. Hinter dem Patio lag ein kleiner, von einem niedrigen Steinwall umfriedeter Garten und dahinter wiederum ein kürzlich abgeerntetes Feld, auf dem Feigen-, Mandel- und Algarrobabäume wuchsen; zwischen den Stoppeln grasten Schafe. Als er noch ein Junge war und in der casita lebte, mußte er oft ihre kleine Schafherde hüten. Da sie auf dem eigenen Fleckchen Land zuwenig zu fressen fanden, brachen sie ständig aus, um sich anderswo Futter zu suchen. Jedesmal, wenn sie ihm fortliefen, schlug sein Vater ihn mit einem dicken Lederriemen. Er haßte Schafe, mochte nicht einmal Lammfleisch essen, obwohl man hätte meinen können, aus einem Gefühl der Rache heraus müsse es genau umgekehrt sein …

Oakley kam zurück. »Ein Scotch.« Er stellte ein Glas vor Roig auf den Tisch, setzte sich und hob sein eigenes Glas. »Auf Gesundheit, Wohlstand und Glück; was für Sie das Wichtigste ist, wissen Sie selbst am besten.«

War das als eine heimtückische Stichelei gedacht? Roig verwünschte sich, weil er aus Oakley nicht klug wurde.

»Ich finde, wir beide sollten uns einmal ausgiebig unterhalten.«

Roig trank und schwieg.

»Die Dinge laufen nicht besonders gut, wie?«

»Meinen Sie?« Roig versuchte, Überraschung zu heucheln.

»Erstens verkaufen sich die Grundstücke nicht so gut wie geplant …«

»Ich habe von Anfang an gesagt, daß wir einen zu hohen Quadratmeterpreis verlangen.«

»Ja, das stimmt, aber trotzdem kann ich mich Ihrer Ansicht immer noch nicht anschließen. Unsere Verkaufsstrategie basiert darauf, daß wir Exklusivität bieten. Die Welt ist so demokratisch geworden, daß man eine gute Kinderstube nicht mehr verlangen kann; also verläßt man sich auf Reichtum und ignoriert die dazugehörige Vulgarität. Wir gewährleisten, daß sich nur vermögende Leute in die Siedlung einkaufen.«

Roig vermochte nicht zu entscheiden, wie ernst Oakley seine Äußerungen meinte.

»Aber das ist nicht das eigentliche Problem; wenn bloß der Verkauf stagnierte, würde ich mir überhaupt keine Sorgen machen. Denn ich bin davon überzeugt, sobald sich erst genügend Leute über die horrenden Preise beschweren, die wir verlangen, werden wir alles abstoßen … Nein, was mir Kopfzerbrechen verursacht, ist der beträchtliche Kapitalschwund, den ich mir auf Anhieb gar nicht erklären kann, der uns aber in ernsthafte Schwierigkeiten bringt. Wissen Sie vielleicht etwas darüber?«

»Weshalb sollte ich?«

»Weshalb? Nun, weil ich Sie für einen sehr intelligenten Mann halte, Pablo.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Verschanzen Sie sich nicht hinter Ihrer übergroßen Bescheidenheit.«

Roigs Befürchtungen wuchsen. Abermals fragte er sich, ob Oakley im Ernst sprach oder ironisch. Wußte, ahnte oder erriet er etwas?

»Sie sind ganz ohne Zweifel äußerst gewitzt und schlau. Deshalb bot ich Ihnen ja eine Partnerschaft in unserer Firma an. Und weil mir schien, daß Sie ein Mann sind, der – wie soll ich mich ausdrücken? – weiß, wie er Dinge zu seinem Vorteil deichselt.«

Was wollte Oakley im Grunde damit sagen?

»Und weil Sie ein so heller Kopf sind, Pablo, ist Ihnen da vielleicht auch schon der Verdacht gekommen, jemand könne die Firma betrügen?«

»Ganz sicher nicht. Das wäre völlig unmöglich«, entgegnete er heftiger als gewollt.

»Unmöglich oder unwahrscheinlich? Eventuell wird das Kapital auch durch schlampiges Management aufgezehrt, und nicht, weil jemand vorsätzlich betrügt. Offen gestanden, hoffe ich das letztere. Einen Schwindler kann man auffliegen lassen, und das Problem ist mit einem Schlag gelöst. Schäden zu korrigieren, die durch Mißwirtschaft entstanden sind, kann sehr lange dauern, manchmal zu lange. Und es sieht ganz danach aus, als hätten wir nicht mehr viel Zeit zur Verfügung.« Oakley stand auf. »Sie trinken doch noch ein Glas, nicht?« Er ging nicht sofort ins Haus, nachdem er das Glas in die Hand genommen hatte, sondern blieb noch am Tisch stehen. »Falls Sie den Verdacht haben, die Firma würde systematisch bestohlen, sich aber, weil Sie Anwalt sind, vorsichtshalber nicht äußern wollen, dann knöpfen Sie sich in aller Stille den Schuldigen vor und sagen Sie ihm, wenn er das Geld zurückgibt …«

»Ich weiß von nichts.«

»Dann brauchen wir dieses Gespräch nicht weiter fortzusetzen und können uns den Atem sparen, um, wie die Schotten so schön sagen, den Porridge zu kühlen …« Er lächelte und ging ins Haus.

Roig dachte über alles nach, was gesagt worden war, und seine Bedenken zerstreuten sich. Statt dessen machte sich ein Gefühl der Überlegenheit in ihm breit. Ganz offensichtlich hatte Oakley nicht die geringste Ahnung, was tatsächlich geschehen war …

4

Julia Monserrat wachte auf. Noch im vergangenen Jahr hätte sie das Bett sofort verlassen, doch jetzt gönnte sie sich noch ein paar Minuten Ruhe; sie fühlte sich ständig müde und hatte Schmerzen.

Aus dem anderen Schlafzimmer war lautes Schnarchen zu hören. Sie hatte Adolfo heimkommen hören, wußte aber nicht, wie spät in der Nacht es gewesen war. Dem Lärm nach zu urteilen, den er veranstaltet hatte, war er wieder betrunken.

Sie seufzte. Unentwegt redete sie auf ihn ein, er solle nicht so viel trinken, doch seine Tätigkeit als Kellner in einem Café machte alle ihre Bemühungen zunichte. Leider war sein Vater, der mehr Einfluß auf ihn hätte ausüben können als sie, viel zu früh gestorben; damals war Adolfo erst fünf.

So viele Jahre ohne Mann, dachte sie, während sie zur immer noch dunklen Zimmerdecke emporstarrte. Ihre Freundinnen beklagten sich oft über ihre Ehemänner und fanden, sie hätte es gut, weil sie ihr eigener Herr sei; niemals entgegnete sie, es sei tausendmal besser, sich um jemanden kümmern zu können, als ständig allein zu sein.

Sie knipste das Licht an, stand auf und ging ins Bad. Jetzt hatte sie fließendes Wasser. Das und der elektrische Strom waren die einzigen Veränderungen, seit ihr Mann gestorben war. Selbst wenn sie das Geld für größere Umbauten gehabt hätte – Bekannte von ihr hatten ihre Häuser renovieren lassen, bis man diese nicht mehr wiedererkannte –, so war sie sich nicht sicher, ob sie es auch dafür ausgegeben hätte. Irgendwie fand sie es richtig, das Haus möglichst so zu belassen, wie es zu Lebzeiten ihres Mannes gewesen war.

Sie ging hinaus in die Scheune. Dort molk sie die einzige Kuh, die Milch gab, dann suchte sie einen Arm voll Futter für die Kaninchen. Die litten an Myxomatose – in der vergangenen Woche waren zwei eingegangen –, und nachdem sie sie gefüttert hatte, nahm sie die Tücher aus Sackleinwand von den Holzkäfigen, tauchte sie in eine Desinfektionslösung und legte sie wieder darüber.