Der Traum vom ewigen Leben - Frankfurter Allgemeine Archiv - E-Book

Der Traum vom ewigen Leben E-Book

Frankfurter Allgemeine Archiv

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Beschreibung

Kaum hat der Mensch das Licht der Welt erblickt, beginnt er auch schon zu altern. Seine Lebensspanne hängt von vielen Faktoren ab: genetische Disposition, soziales Umfeld, medizinische Versorgung sind nur wenige davon. Durch lebensverlängernde Verbesserungen werden die Menschen immer älter. Bis 2040 soll die Lebenszeit weltweit auf durchschnittlich 77,7 Jahre steigen. Die Spanier könnten dann mit einer voraussichtlichen Lebenserwartung von 85,8 Jahren weltweiter Altersspitzenreiter sein. Aber könnten wir nicht sogar irgendwann 1000 Jahre alt werden? Manche Forscher können sich das durchaus vorstellen. Noch konzentriert sich die Forschung darauf, den Tod möglichst lange aufzuschieben. Die Medizin kämpft gegen typische Alterskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes und Demenz. Gleichzeitig eröffnen Biochemie und regenerative Medizin Möglichkeiten, das Altern immer weiter hinauszuzögern. Schon jetzt können Besorgte dank Vitamincocktails und dem frischen Blut jüngerer Menschen ihre Angst vor dem Alter eindämmen und sich "forever young" fühlen. Noch größere Fortschritte auf dem Weg zur Unsterblichkeit bietet die regenerative Medizin: alternde Körperteile oder Organe erneuern sich perspektivisch idealerweise selbst oder werden durch neue Teile ersetzt. Auch die großen IT-Konzerne im Silicon Valley stecken viel Geld in die Erforschung der Faktoren für ein langes Leben und nähren den Traum der Unsterblichkeit durch die Vorstellung, den Tod dank künstlicher Intelligenz und Bewusstseinsübertragung gar zu überwinden.

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Der Traum vom ewigen Leben

Wie Forscher das Altern aufhalten wollen

F.A.Z.-eBook 55

Frankfurter Allgemeine Archiv

Herausgeber: Frankfurter Allgemeine Archiv / Joachim Müller-Jung

Redaktion und Gestaltung: Birgitta FellaZuständiger Bildredakteur: Henner Flohr

Projektleitung: Olivera Kipcic

eBook-Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Alle Rechte vorbehalten. Rechteerwerb und Vermarktung: [email protected]© 2019 Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main

Titel-Grafik: © pickup/iStockphoto.com

ISBN: 978-3-89843-472-0

Inhalt

Vorwort

Die Fakten: Lebenserwartung

Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter

Deutsche leben kürzer als andere Westeuropäer

Entspannt alt werden

Die Lebenserwartung der Amerikaner sinkt weiter

Mehr Gesundheit ist kein Selbstläufer

Das Geheimnis vom langen Leben

Die Wahrheit: Biologie des Alterns

Neun Wahrheiten über das Altern

In Topform wie die Alten

»Eine Ausdrucksform des Lebens«

Die Hoffnung: Anti-Aging

Der Traum von der Unsterblichkeit

Jünger und muskulöser – aber auch unfruchtbar

Lang lebe der Mensch, hilfreich sei das Genom

Die Sehnsucht nach ewiger Jugend

Mit der Kraft des jungen Blutes

Vitamin fürs Anti-Aging?

Der Hunger ist ein Tyrann, dem wir trotzen sollten

Liegt die Jugend im Blut?

Die Utopie: Unsterblichkeit

Sind wir bald unsterblich?

Unternehmen Unsterblichkeit

Der Traum von Perfektion

Der neue Mensch

In Kürze: Aus Natur und Wissenschaft

Erblichkeit der Lebensdauer

Jung bleiben mit Wunderwurzel

Langlebigkeits-Vitamine

Gesunder Lebensstil

Frischblut kann das Altern nicht umkehren

Apfel der ewigen Jugend

Ausmisten fürs Alter

Zielgenau gegen das Altern vorgehen

Fäulnisgase für die Anti-Aging-Medizin?

Telomere – Schalter des Lebens

Zur Vorbeugung: Praktische Tipps

Fit bleiben

Zum Nachlesen: Die Zukunft des Alterns

Buchbesprechungen der F.A.Z.-Redaktion

Der Herausgeber

Joachim Müller-Jung

Vorwort

Von Birgitta Fella

Kaum hat der Mensch das Licht der Welt erblickt, beginnt er auch schon zu altern. Seine Lebensspanne hängt von vielen Faktoren ab: genetische Disposition, soziales Umfeld, medizinische Versorgung sind nur wenige davon. Durch lebensverlängernde Verbesserungen werden die Menschen immer älter. Bis 2040 soll die Lebenszeit weltweit auf durchschnittlich 77,7 Jahre steigen. Die Spanier könnten dann mit einer voraussichtlichen Lebenserwartung von 85,8 Jahren weltweiter Altersspitzenreiter sein.

Aber könnten wir nicht sogar irgendwann 1000 Jahre alt werden? Manche Forscher können sich das durchaus vorstellen. Noch konzentriert sich die Forschung darauf, den Tod möglichst lange aufzuschieben. Die Medizin kämpft gegen typische Alterskrankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Diabetes und Demenz. Gleichzeitig eröffnen Biochemie und regenerative Medizin Möglichkeiten, das Altern immer weiter hinauszuzögern. Schon jetzt können Besorgte dank Vitamincocktails und dem frischen Blut jüngerer Menschen ihre Angst vor dem Alter eindämmen und sich „forever young“ fühlen. Noch größere Fortschritte auf dem Weg zur Unsterblichkeit bietet die regenerative Medizin: alternde Körperteile oder Organe erneuern sich perspektivisch idealerweise selbst oder werden durch neue Teile ersetzt. Auch die großen IT-Konzerne im Silicon Valley stecken viel Geld in die Erforschung der Faktoren für ein langes Leben und nähren den Traum der Unsterblichkeit durch die Vorstellung, den Tod dank künstlicher Intelligenz und Bewusstseinsübertragung gar zu überwinden.

Die Fakten: Lebenserwartung

Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter

Die Lebenserwartung für Neugeborene in Deutschland ist abermals gestiegen. Ein Junge hat nun eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78 Jahren und vier Monaten, Mädchen kommen auf ein durchschnittliches Alter von 83 Jahren und zwei Monaten. Das ergibt sich aus der Sterbetafel für die Jahre 2014 bis 2016, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden im März 2018 mitteilte. Die Lebenserwartung von neugeborenen Mädchen und Jungen ist damit im Vergleich zur vorherigen Sterbetafel 2013/2015 jeweils um zwei Monate gestiegen.

Auch für ältere Deutsche ergibt sich eine höhere Lebenserwartung. Laut den Berechnungen leben heute 65 Jahre alte Männer nun durchschnittlich weitere 17 Jahre und zehn Monate, bei 65 Jahre alten Frauen ergibt sich ein Wert von weiteren 21 Lebensjahren. Der Wert der sogenannten ferneren Lebenserwartung steigt damit bei Männern um einen Monat, bei Frauen um zwei Monate.

Unterschiede bei der durchschnittlichen Lebenserwartung gibt es in den Bundesländern. So weist Baden-Württemberg – wie schon seit vielen Jahren – die höchste Lebenserwartung für Männer und Frauen auf. Bei Jungen liegt diese bei 79,5 Jahren, bei Mädchen liegt der Wert bei 84 Jahren. Dicht dahinter auf dem zweiten Platz folgt Bayern mit Werten von 79,1 Jahren für Jungen und 83,7 Jahren für Mädchen. Auf dem dritten Platz rangiert Berlin (77,9 Jahre für Jungen und 83,2 Jahre für Mädchen). Die niedrigsten Werte für Jungen weist Sachsen-Anhalt mit 76,3 Jahren auf, die niedrigsten Werte für Mädchen das Saarland mit 82,2 Jahren.

Als Gründe für die Zunahme der Lebenserwartung nennen die Statistiker des Wiesbadener Bundesamts Faktoren wie den medizinischen Fortschritt, verbesserte Arbeitsbedingungen und Lohnverhältnisse sowie steigenden Wohlstand. Während der vergangenen zehn Jahre ist die Lebenserwartung am stärksten in Mecklenburg-Vorpommern gestiegen: bei Jungen um 2,18 Jahre, bei Mädchen um 1,73 Jahre. »Die Lebensverhältnisse in Ost und West haben sich seit der Wende angepasst«, sagt Felix zur Nieden vom Statistischen Bundesamt. An den Werten aus den Jahren 1991/1993 ließ sich noch ein deutlicher Unterschied zugunsten der westlichen Bundesländer erkennen. Die Differenz lag bei Männern bei 3,2 Jahren und bei Frauen bei 2,3 Jahren. Der Wert hat sich bei Männern mittlerweile bei einem Wert von 1,3 Jahren eingependelt – bei den Frauen ist kaum noch ein Unterschied festzustellen.

Und die Lebenserwartung soll noch weiter steigen: laut den Statistikern bis zum Jahr 2060 um 6,5 Jahre bei Jungen und um 5,5 Jahre bei Mädchen. »Zwar liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei Frauen derzeit höher als bei Männern, aber die holen unseren Berechnungen zufolge in den kommenden Jahren auf«, sagt zur Nieden. (joch.)

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.03.2018

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Deutsche leben kürzer als andere Westeuropäer

Von Stephan Finsterbusch

Die Weltbevölkerung erfreut sich einer steigenden Lebenswartung. Wie die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer jüngsten Studie »Global Burden of Disease« festgestellt hat, ist die durchschnittliche Lebenserwartung zwischen 1950 und 2017 um rund die Hälfte gestiegen – von 52,5 Jahren eines damals Neugeborenen auf 75,6 Jahre eines heute Neugeborenen. Zwischen den einzelnen Ländern allerdings gibt es große Unterschiede. Während ein Baby in Singapur mit einem 88 Jahre langen Leben rechnen kann, sind es in der Zentralafrikanischen Republik nur 50 Jahre. In Westeuropa beträgt die zu erwartende durchschnittliche Lebenserwartung eines Jungen 79,5 Jahre, eines Mädchens 84,2 Jahre. Deutschland allerdings bildet mit 78,2 beziehungsweise 83,1 Jahren unter den 22 westeuropäischen Nationen das Schlusslicht. Die Schweizer dagegen stehen mit 82,1 und 85,8 Jahren an der Spitze.

Frankfurter Allgemeine Woche, 16.11.2018

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Entspannt alt werden

An Langlebigkeit werden Spanier bald Japaner übertreffen und zur Bevölkerung mit der weltweit höchsten Lebenserwartung aufsteigen. Was ist ihr Geheimnis?

Von Hans-Christian Rößler

Weder als Vegetarier noch als Veganer haben sich die Spanier bisher hervorgetan. Statt Mineralwasser bestellen sie lieber eine Caña Bier oder eine Copa Rioja. Und Fußball schauen sie bevorzugt bei Real Madrid und beim FC Barcelona, statt selbst zu spielen. Viele Spanier lassen es sich gutgehen – und leben damit besser als der Rest der Welt. Das legt eine neue Prognose nahe: Im Jahr 2040 könnten die Spanier auf ein so langes Leben hoffen wie die Menschen in keinem anderen Land der Erde.

Schon heute zählt das Königreich zu den vier Nationen mit der langlebigsten Bevölkerung. In 22 Jahren aber wird die durchschnittliche Lebenserwartung einer Studie des amerikanischen Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) zufolge 85,8 Jahre betragen, mehr als die der heutigen Spitzenreiter aus Japan. Für Deutschland sagen die Forscher nur 83,2 Jahre voraus; ganz unten steht der südafrikanische Staat Lesotho mit 57,3 Jahren.

In Spanien stieß die Nachricht auf weniger Interesse als im europäischen Ausland. »Sie trinken, sie rauchen, warum leben die Spanier so lange?«, fragte die britische »Times« neidisch. Bürger des Vereinigten Königreichs sterben laut der Studie durchschnittlich zweieinhalb Jahre früher. Dabei wird in Spanien mehr geraucht (23 Prozent) als in Großbritannien (16 Prozent) und in beiden Staaten ähnlich viel Alkohol getrunken.

IHME-Direktor Christopher Murray kritisiert den spanischen Tabakkonsum, lobt aber die Ernährungsweise der Iberer. Die Mittelmeerdiät trage zu einem langen Leben bei: Jeder Spanier konsumiert mehr als neun Liter Olivenöl im Jahr; das sind achtmal so viel wie bei den Briten. Dazu wird viel Fisch, Gemüse, Obst und wenig rotes Fleisch gegessen. Die Menschen nehmen mehr pflanzliche als tierische Fette zu sich.

Die Siesta spielt keine Rolle mehr.

Auch eine Untersuchung des spanischen Gesundheitsministeriums kommt zu dem Ergebnis: Die mediterrane Diät kann das Risiko von Herzerkrankungen, der häufigsten Todesursache, senken. Dazu passt, dass auf der IHME-Liste der Langlebigkeit Mittelmeeranrainer Spitzenpositionen belegen. Der Gesundheit dienlich können auch ein oder zwei Glas Rotwein sein. Die Spanier üben sich in maßvollem Genuss. Sie trinken weniger Alkohol als ein großer Teil ihrer europäischen Nachbarn: 9,3 Liter reinen Alkohol pro Kopf im Jahr. In Deutschland sind es rund vier Liter mehr. Auch wenn Spanier nicht häufiger ins Fitness-Studio gehen, machen viele von ihnen wenigstens regelmäßig einen »paseo«. Andere Europäer unternehmen seltener Spaziergänge und bewegen sich weniger.

Europäer leben immer länger. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Europa die Weltregion mit der höchsten Lebenserwartung. Durch Rauchen, Alkoholkonsum und Fettleibigkeit, so meint die WHO, könne Europa die Zuwächse bei der Lebenserwartung allerdings aufs Spiel setzen. Beispiel Alkoholkonsum: Europäer konsumieren am meisten Alkohol in der Welt. F.A.Z.-Grafik Kaiser.

Werden sie dennoch krank, sind die Spanier im – nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation – siebtbesten Gesundheitssystem der Welt pflichtversichert. Einen wesentlichen Anteil an der höheren Lebenserwartung hatte die bessere medizinische Versorgung der älteren Bevölkerung. Weniger bedeutsam ist dafür die traditionelle Siesta. Spanische Umfragen zeigen, dass sich inzwischen weniger als 20 Prozent der Bevölkerung einen kurzen Mittagsschlaf gönnen; 60 Prozent legen sich tagsüber niemals hin. Die ausgedehnte Mittagspause, die von 14 bis 16 Uhr oder noch länger dauern kann, hat man in Spanien jedoch beibehalten. Während einige die Unterbrechung für gesund halten, kritisieren andere den langen Arbeitstag, der die Folge ist. Spanier arbeiteten im vergangenen Jahr 1691 Stunden, Deutsche nur 1371 Stunden.

Der deutsche Arzt Ulrich Eberhard weist auf der Suche nach einer Erklärung für Langlebigkeit auf den sozialen Aspekt hin. »Ältere Menschen sind weniger isoliert und oft stärker am pulsierenden Leben beteiligt als zum Beispiel in Deutschland«, sagt der Mediziner, der seit gut 20 Jahren in Madrid praktiziert. Nicht nur der Speiseplan, sondern die gemeinsamen Mahlzeiten und deren aufmerksamere Zubereitung seien wichtig: »In Spanien wird noch eine Ess- und Trinkkultur gepflegt.« Doch auch Eberhard fällt auf, dass diese Tradition bei den jüngeren Spaniern zu bröckeln beginnt. Sie essen anders als ihre Eltern und Großeltern. Spanische Wissenschaftler warnen vor dem Anfang einer ungesunden Speise-Globalisierung. Die Jüngeren ernähren sich häufiger von industriell produzierten Lebensmitteln und Fastfood. Vor allem unter den Männern gibt es mehr Übergewichtige.

Was wird aus der Jugend?

Gleichzeitig müssen sie größere Lasten stemmen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat Spanien zwar hinter sich. Aber sie führte dazu, dass so wenige Kinder im Land auf die Welt kommen wie nie zuvor: Während die Älteren immer älter werden, müssen immer weniger junge Spanier für sie aufkommen. Im Jahr 2050 wird mehr als ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein; nur noch die Hälfte wird arbeiten. Das Land hat schon heute nach Japan die zweitälteste Bevölkerung in der westlichen Welt. Im vergangenen Jahr war die Geburtenrate so niedrig wie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr. Im Jahr 2015 übertraf zum ersten Mal die Zahl der Todesfälle die der Geburten. Im vergangenen Jahr kamen 21 Prozent weniger Kinder auf die Welt als im Jahr 2008. Dabei fangen die geburtenstarken Jahrgänge erst an, in den Ruhestand zu gehen. Schon heute klafft in der Rentenkasse ein riesiges Loch.

Dieses Problem, das Spanien mit vielen Industriestaaten teilt, scheint die Lebensfreude jedoch nicht zu trüben, die vielleicht auch Auswirkungen auf das Lebensalter hat. Eine Studie der Universität Vermont kam zu dem Ergebnis, dass Spanisch die glücklichste Sprache der Welt ist: Unter den zehn untersuchten Weltsprachen enthält sie den größten Anteil an positiven Wörtern.

Frankfurter Allgemeine Woche, 23.11.2018

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Die Lebenserwartung der Amerikaner sinkt weiter

Ungewöhnliche Entwicklung für ein Industrieland / Immer mehr Drogentote und Selbstmorde

Von Winand von Petersdorff

Die Lebenserwartung der Bürger in den Vereinigten Staaten ist das dritte Jahr in Folge gesunken. Das geht aus Analysen des staatlichen Centers for Disease Control and Prevention hervor. Die Zahl der Selbstmorde ist so stark gestiegen wie seit knapp einem Jahrzehnt nicht mehr. Außerdem verzeichneten die Statistiker eine weitere Zunahme der Todesfälle nach dem Konsum schwerer Rauschgifte, vor allem des berüchtigten Fentanyls.

Die Lebenserwartung der Amerikaner sank auf 78,6 Jahre. Das ist eine ungewöhnliche Entwicklung für eine Industrieland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist ein zentraler Wohlstandsindikator. In Japan und in der Schweiz beträgt sie 84,1 und 83,7 Jahre, in Deutschland knapp 81 Jahre; hier sind die Lebenserwartungen in den vergangenen drei Jahrzehnten jeweils um mehr als 2,5 Jahre gestiegen.

Die Amerikaner dagegen haben in den vergangenen drei Jahren statistisch 3,5 Monate Lebenszeit verloren. Am stärksten betroffen sind weiße Männer und Frauen und schwarze Männer und – nach Alter – Personen zwischen 25 und 44 Jahren. Die Selbstmorde haben vor allem in den ländlichen Regionen zugenommen. Herzkrankheiten bleiben die wichtigste Todesursache in den Vereinigten Staaten. Hier verzeichnete das Land jahrelang einen deutlichen Rückgang wegen besserer Therapien und Anti-Raucher-Kampagnen, der nun stark gebremst worden ist. Bei der zweitwichtigsten Todesursache Krebs vermeldet man dagegen weitere Fortschritte.

Die Zahl der Drogentoten schnellte zwischen 2015 und 2017 nach oben, vor allem für die Bürger zwischen 25 und 54 Jahren. Synthetische Drogen wie Fentanyl spielen eine zentrale Rolle. Die Zahl der Todesfälle, an denen diese Drogen beteiligt waren, stieg im vorigen Jahr um 45 Prozent. Sie haben Heroin verdrängt. Insgesamt verzeichneten die Vereinigten Staaten 70 000 Drogentote im vergangenen Jahr. Damit starben mehr Amerikaner an einer Überdosis als in den schlimmsten Jahren an HIV, Autounfällen oder durch Waffengewalt. Für Erwachsene, die jünger als 55 Jahre sind, ist Drogenmissbrauch inzwischen die wichtigste Todesursache. Am stärksten betroffen sind die alten Bergbau- und Industrieregionen: West-Virginia, Ohio und Pennsylvania verzeichneten die meisten Drogentoten je Einwohner.

Die amerikanische Bundesregierung hat 2017 eine Milliarde Dollar bereitgestellt, um den Konsum zu minimieren, und sie erschwert die Verschreibung von schweren Schmerzmitteln, die für die Entwicklung mitverantwortlich gemacht werden. Auch viele Bundesstaaten haben Gesundheitsprogramme aufgelegt. Seit diesem Jahr wächst die Zahl der Drogentoten nicht mehr so schnell.

Die Zahl der Selbstmorde steigt in den Vereinigten Staaten seit 1999, hat aber seit 2016 besonders stark zugenommen. Auffällig ist die Kluft zwischen ländlichen und urbanen Regionen. Auf dem Land liegt die Selbstmordquote fast doppelt so hoch wie in den städtische Gebieten. Auf 100 000 Bürger kommen in Städten statistisch elf Selbstmorde, auf dem Land sind es zwanzig.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.11.2018

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Mehr Gesundheit ist kein Selbstläufer

Es sind Zahlen, die zu denken geben: mehr Tote durch Gewalt, Medikamente und Resistenzen. Und die globale Ausbreitung des westlichen Lebensstils hat in ärmeren Ländern ihren Preis.

Von Hildegard Kaulen

Die jährlichen Zahlen zu den globalen Todesursachen spiegelten bisher vor allem eines wieder: eine Welt, in der die Menschen immer gesünder werden und immer länger leben. Die in der Fachzeitschrift »Lancet« veröffentlichten Ergebnisse für 2017 passen allerdings nicht so recht in dieses Bild, sondern zeigen, wie fragil und fragmentiert das Erreichte letztlich ist. Vielerorts stagniert die Sterblichkeit oder steigt sogar wieder an. Neue Epidemien sorgen für neue Probleme, und in weiten Teilen der Welt fehlt das medizinische Personal, um die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gesteckten Gesundheitsziele zu erreichen. Der aktuelle Bericht zur »Gobal Burden of Diseases« sei beunruhigend und ein deutliches Warnsignal an die Regierungen der Welt, schreiben die Lancet-Herausgeber. Ohne beständige Wachsamkeit und weitere Bemühungen werde das mühsam Erreichte keinen Bestand haben. Wahrscheinlich wird auch kein Land der Erde bis 2030 sämtliche WHO-Ziele erreichen, auch Deutschland nicht. Die Daten zu »Global Burden of Diseases« werden regelmäßig vom Institute for Health Metrics und Evaluation in Seattle unter Leitung von Christopher Murray erhoben und erfassen mit über 38 Milliarden Datenpunkten die gesundheitliche Lage in 195 Ländern und Hoheitsgebieten.

Eine Todesursache mit erheblichem Zuwachs ist die Gewalt. In den vergangenen zehn Jahren starben doppelt so viele Menschen wie bisher durch bewaffnete Konflikte und Terrorismus. In Syrien ging 2017 ein Drittel der Todesfälle auf das Konto des Bürgerkriegs, im Irak hatte jeder fünfte Sterbefall mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zu tun. Die Zahl der Exekutionen und Todesfälle durch Polizeieinsätze hat sich in den vergangenen zehn Jahren weltweit verdreifacht. Bezeichnend für unsere Zeit sei auch eine zunehmende Sterblichkeit durch Substanz- und Medikamentenmissbrauch, etwa durch Schmerzmittel, Kokain und Amphetamine, so Murray und seine Kollegen in einem der sieben Artikel in »Lancet« (Bd.392; S. 1736).

Im vergangenen Jahr erreichte die Opioid-Epidemie mit vier Millionen neuen Abhängigen und 110 000 Todesfällen ein noch nie dagewesenes Ausmaß. Auch die Antibiotika-Resistenzen nehmen weiter massiv zu. Bei der Bekämpfung der Tuberkulose gingen 14 Prozent der Todesfälle auf resistente Erreger zurück. Allerdings gibt es auch gute Nachrichten bei den Infektionskrankheiten. Die Sterbefälle durch HIV-Infektionen haben sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Auch Masern und Durchfälle fordern weniger Opfer. Allerdings sind Dengue-Viren zum Problem geworden. Das Virus hat sich inzwischen in allen tropischen und subtropischen Ländern ausgebreitet. 2017 wurden über 104 Millionen Neuerkrankungen registriert. Weil die Infektion zumeist milde verläuft, ist die Zahl der Todesfälle mit 40 500 vergleichsweise gering, allerdings um Zweidrittel höher als vor zehn Jahren. Die aktuellen Zahlen sind auch ein Weckruf für die westlichen Indu­strienationen, denn sie machen eines unmissverständlich deutlich: Die größte Gesundheitsgefahr geht von jedem selbst aus. 28,8 Millio­nen Todesfälle – also fünf von zehn Sterbefällen weltweit – haben mit vier modifizierbaren Risikofaktoren zu tun: mit hohem Blutdruck, dem Rauchen, mit hohem Blutzucker und mit Übergewicht. Jeder fünfte Todesfall irgendwo auf der Welt steht im Zusammenhang mit ungesunder Ernährung. Murray und seine Kollegen verweisen auch auf die Verschiebungen bei diesen Risikofaktoren. Während Bluthochdruck 1990 noch auf Platz fünf der Risikofaktoren lag, nimmt er heute den ersten Platz ein. Rauchen lag vor 28 Jahren auf Platz vier, heute auf Platz zwei. Hoher Blutzucker hat sich von Platz elf auf Platz drei geschoben, Übergewicht von Platz 16 auf Platz vier.

Faktoren, die früher dominierten, wie unsauberes Trinkwasser, Luftverschmutzung oder Hygieneprobleme, sind nach hinten gerückt. Die weltweiten Investitionen in die Reduzierung dieser Risikofaktoren haben sich also gelohnt. Die Botschaft ist damit klar: Der negative Einfluss schlechter Lebensverhältnisse wird zunehmend durch den negativen Einfluss schlechter Lebensführung abgelöst. Das Problem ist der westliche Lebensstil, und das bekommen auch immer mehr Schwellen- und Entwicklungsländer zu spüren. Knapp 18 Millionen Todesfälle gingen 2017 auf kardiovaskuläre Erkrankungen zurück, knapp 10 Millionen auf Krebs und knapp vier Millionen auf chronische Atemwegerkrankungen.

Die Ursachen für eine geringe Lebensqualität sind allerdings seit fast 30 Jahren gleich geblieben. Die Spitzenplätze nehmen Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und depressive Erkrankungen ein. Diabetes hat sich auf Platz vier geschoben. Frauen haben zwar eine höhere Lebenserwartung als Männer, verbringen die zusätzlichen Jahre aber zumeist bei schlechter Gesundheit. Murray und seine Kollegen haben auch erstmals Zahlen zur Versorgungssituation erhoben. Angemessen sei die Situation dann, wenn dreißig Ärzte, fünf Apotheker und hundert Krankenschwestern und Hebammen auf 100 000 Einwohner kommen. Nimmt man diese Zahlen als Richtschnur, erfüllen lediglich 41 Länder die Vorgaben für Ärzte, 28 Länder erfüllen sie für Krankenschwestern und Hebammen. 92 Länder haben sogar weniger als zehn Ärzte pro 100000 Einwohner. Die Ebola-Epidemie hätte vor vier Jahren zum Beispiel wesentlich schneller eingedämmt werden können, wenn die westafrikanischen Länder über mehr medizinisches Personal verfügt hätten. Das Gleiche gilt heute für den Umgang mit den Ebola-Spätfolgen. Sehr hohe Werte bei der Abdeckung mit Ärzten, Apothekern, Krankenschwestern und Hebammen erreichen Kuba, das Emirat Katar und viele europäischen Länder.

Im Rahmen der »Global Burden of Disease«-Studie wurden auch die weltweiten Geburtenraten erhoben. 91 Länder schrumpfen, 104 Länder wachsen. Die niedrigste Geburtenrate hat Zypern mit einem Kind pro Frau, die höchste hat Niger mit sieben Geburten pro Frau. 2017 sind 87,2 Millionen Menschen zur Welt gekommen. Die meisten Kinder werden in Ländern mit schlechter medizinischer Versorgung geboren.