Detektei Anton: Der Fall Werner - Petra Schwarzkopf - E-Book

Detektei Anton: Der Fall Werner E-Book

Petra Schwarzkopf

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Beschreibung

Endlich Ferien! Die Detektei hat genug Zeit, sich mit dem Geheimnis zu beschäftigen, das Pastor Werner Schrober verbirgt. Dafür ermitteln die Kinder in Hamburg, denn Rahel und Ronny vermuten eine Verbindung zwischen dem Pastor und einer gefährlichen Bande, der in der Hansestadt der Prozess gemacht wird. Ihr speziell begabter Onkel ist sich sicher, den Kronzeugen schon irgendwo gesehen zu haben, doch nicht einmal Opa Peter glaubt ihm. Lässt Anton sein fotografisches Personengedächtnis im Stich, und was hat Werner mit dem organisierten Verbrechen zu tun?

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Seitenzahl: 216

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Petra Schwarzkopf

Detektei Anton – Der Fall Werner

Band 4

Best.-Nr. 275511 (E-Book)

ISBN 978-3-98963-511-1 (E-Book)

Alle Bibelverse wurden zitiert nach:

Schlachter-Übersetzung – Version 2000

© 2000 Genfer Bibelgesellschaft

1. Auflage (E-Book)

© 2025 Christliche Verlagsgesellschaft mbH

Am Güterbahnhof 26 | 35683 Dillenburg

[email protected]

Satz und Umschlaggestaltung: Christliche Verlagsgesellschaft mbH

Bildquellen: © Saskia Klingelhöfer (Covermotiv)

© freepik.com (Holzschild, Bilderrahmen, Kalender), freepik/macrovector (Fingerabdruck, Kopf, Tasche), freepik/rawpixel.com (Pfeil), freepik/Harryarts (Uhr, Vögel), freepik/rocketpixel (Linien), freepik/kstudio (Schleife)

Johanna Fleischer (Innenstadtplan Hamburg)

Wenn Sie Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt haben, können Sie uns gerne kontaktieren: [email protected]

1. Endlich Ferien!

2. Auf nach Hamburg!

3. Stau

4. Hagenbeck

5. Planten un Blomen

6. Justizforum am Sievekingplatz

7. Das Hamburger Abendblatt

8. Binnenalster

9. Der Michel

10. Die Arche

11. Die Speicherstadt

12. Auf der Pastorenkonferenz

13. Verloren in Hamburg

14. Die Davidwache

15. Eine seltsame Soldatin

16. Glücksfälle und andere Fälle

17. Mama

18. Der Fall Werner

19. Sonntags in Burgenach

Nachwort

Kleine Übersetzungshilfe

… ist der Onkel von Silas und Rahel und speziell begabt. Er hat ein partiell fotografisches Gedächtnis, kennt sich mit Pflanzen und Pilzen aus und ist brutal ehrlich. Außerdem besitzt Anton einen Schwerbehindertenausweis, aber eigentlich ist er nur schwer in Ordnung.

Alter:

Das kommt darauf an: 40 Jahre von außen, 8 Jahre von innen

Haarfarbe:

dunkelbraun

Beruf:

Gärtnergehilfe bei den Caritas-Werkstätten

Hobbys:

Borussia Dortmund, Holz hacken, sägen und verkaufen und sein Mini-Auto, den Ellenator, fahren

Beste Freunde:

Hund Caruso und ein paar Kumpels aus der Werkstatt

… ist die kleine Schwester von Silas und hat einen feinen Sinn für Details. Obwohl sie ihre Umwelt besonders aufmerksam wahrnimmt, bekommt sie vom Unterricht in der Schule manchmal nichts mit. Sie fürchtet sich vor Langeweile und möchte niemals so verrückt werden wie die anderen Mitglieder ihrer Familie.

Alter:

13 Jahre

Haarfarbe:

braun

Berufswunsch:

Polizistin

Hobbys:

Schwimmen, Nervenkitzel

Beste Freundin:

Sophia Mombauer

… ist der große Bruder von Rahel und nur etwas zu klein für sein Gewicht. Er hat Angst, dass er für immer ein paar Zentimeter kleiner bleibt als seine Schwester. Seine Haarfarbe nennt er erdbeerblond, und er trägt seine Sommersprossen mit Stolz.

Alter:

14 Jahre

Haarfarbe:

blond mit rötlichem Schimmer

Berufswunsch:

Dolmetscher oder Krankenpfleger, Rahel behauptet: Pastor oder Lehrer

Hobbys:

Fremdsprachen, Erste Hilfe, Fast Food und möglichst wenig Sport, außerdem Klarinette spielen

Bester Freund:

Ronny Till

… ist der Freund und Klassenkamerad von Silas. Er lebt allein mit seiner Mutter, trägt seine Haare lang und hat eine feste Zahnspange. Ronny ernährt sich gerne von Fast Food und liebt T-Shirts mit coolen Sprüchen. Er versucht ständig, Geld zu verdienen, vielleicht, weil er nicht gerade viel davon hat.

Alter:

15 Jahre

Haarfarbe:

schwarz

Berufswunsch:

reicher Informatiker

Hobbys:

Computer und Sport

Bester Freund:

Silas Schmickler

… ist die beste Freundin von Rahel Schmickler, aber im Gegensatz zu ihr schafft sie es, auch im größten Dreck immer sauber zu bleiben. Sophia nennt ihre Mutter Maman, denn sie stammt aus Burundi, und da spricht man Französisch.

Alter:

14 Jahre

Haarfarbe:

so dunkelbraun, dass man es für schwarz halten könnte, wenn man kein Friseur ist

Berufswunsch:

keine Ahnung, aber auf keinen Fall Chemikerin!

Hobbys:

Zeit mit den anderen Detektiven verbringen, Ballett, afrikanisch kochen und bunte Kleider nähen

Beste Freundin:

Rahel Schmickler

… ist Onkel Antons Riesenschnauzer und kann wunderschön jaulen, wenn er jemanden singen hört. Leider klingt er nicht ganz so gut wie sein Namensvetter, der italienische Tenor Enrico Caruso (der ziemlich genau vor 100 Jahren starb).

Alter:

4 Jahre

Fellfarbe:

schwarz

Beruf:

Schutz- und Führhund, Suchtmittelspürhund

Hobbys:

nach Fressbarem suchen, im Wald herumstromern und Fangen spielen

Beste Freunde:

Onkel Anton und Opa Peter

Lieblingsfeinde:

Katzen, egal, welche

INNENSTADTPLAN HAMBURG

ENDLICH FERIEN!

„Endlich Herbstferien!“, seufzte Silas und ließ sich auf eins der grauen Polster des alten Caritas-Busses fallen, der der Detektei seit einigen Monaten als Zentrale diente. Seine Schwester Rahel saß bereits und hielt den DIN-A4-Ordner mit der Fallsammlung auf dem Schoß. Onkel Anton, Papas Bruder, war gerade dabei, seinen Hund Caruso mit der Langlaufleine an eine der Tannen zu binden, unter denen der Bus dauerhaft parkte. Der schwarze Riesenschnauzer hatte einen langen Spaziergang durch den Familienwald der Schmicklers hinter sich und keine Lust mehr, den Eichhörnchen hinterherzujagen. Selbst zum Herumschnüffeln war er zu müde. Faul legte er sich genau neben einen riesigen Ameisenhaufen.

„Ich dachte, du liebst die Schule“, sagte Rahel.

Silas schloss grunzend die Augen und schmiss sich der Länge nach auf die Sitzbank. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

„Ich liebe es zu lernen, Schwesterchen, das ist ein Unterschied, denn dazu bräuchte ich nicht unbedingt eine Schule.“ Er gähnte herzhaft. „Das frühe Aufstehen, die Fahrradtour zur Schule bei Wind und Wetter und die unnötigen Hausaufgaben in den uninteressanten Fächern … “

„Wie Sport?!“

„… darauf kann ich gerne ein paar Wochen verzichten“, schloss Silas den Satz noch ab, ohne auf Rahel einzugehen. „Hausaufgaben in Sport! Das wäre ja noch schöner“, murmelte er dann.

In diesem Moment klopfte es an eine der vielen Glasscheiben des roten Busses.

„Hi, ihr beiden!“, rief es von draußen, und eine Dreizehnjährige mit sehr dunkelbraunen Locken schaute in den Bus. Sofort saß Silas kerzengerade.

„Hi, Sophia!“, begrüßte er das Mädchen.

Sophia grinste ihn mit ihren strahlend weißen Zähnen an. Ihre dunklen Augen glänzten. Silas sprang auf, um die Schiebetür zu öffnen. Rahels Freundin ging um den Bus herum, wartete aber auf Onkel Anton, ehe sie zu den Geschwistern stieg.

„I… Ich … f… fahr nach Ha… Hamburg!“, stotterte Anton aufgeregt, noch bevor er sich hinsetzte.

Seine Nichte verdrehte die Augen. Sie wusste nicht mehr, wie oft sie das in den letzten Tagen schon gehört hatte. Doch für ihre Freundin war die Nachricht neu.

„Ach?“, fragte Sophia freundlich nach. „Und was machst du da?“

„D… Dortmund spielt gegen Ha… Hamburg. D… Das mach ich da. Rahels Mama k… kommt auch mit“, erzählte der kräftige Mann bereitwillig.

Rahels Mama war natürlich auch Silas’ Mama, aber Onkel Anton interessierte sich nicht so sehr für männliche Verwandte, ausgenommen für seinen eigenen Vater, Opa Peter. Warum, wusste niemand so genau; es gehörte einfach zu ihm, wie auch sein phänomenales Bildgedächtnis und seine Liebe zu Pflanzen und zu Caruso. Vielleicht lag es daran, dass er im Herzen immer ein Kind geblieben war, obwohl er den Körper eines Vierzigjährigen hatte.

„Seit wann interessiert sich eure Mutter für Fußball?“, fragte Sophia jetzt Rahel.

„Tut sie nicht“, antwortete Silas. „Sie hat dort eine Freundin, mit der sie studiert hat. Die beiden geben ein paar Konzerte zusammen.“

„Oh, sie singt dort!“, stellte Sophia fest.

„I… Ich sing d… da auch“, teilte Onkel Anton bereitwillig mit, „a… aber die Dortmund-Fans kriegen kein Geld dafür!“

Silas ließ vor Lachen beinahe die Limonadenflaschen fallen, die er in der Hand trug. Er hatte sie gerade erst von der Ladefläche des Busses geholt und stellte sie jetzt vorsichtig auf den kleinen Tisch zwischen den Bänken, den Opa ihnen eingebaut hatte. Onkel Antons Humor war einfach unbezahlbar.

„J… Ja! Stimmt doch! D… Die Fans singen auf der Tribüne!“, bekräftigte Anton.

„Du singst nicht, du grölst“, stellte Rahel klar.

„Joah. A… Aber das kann ich gut“, gab Onkel Anton zu. „W… Wir haben die letzten Karten erwischt, h… haste gehört, Rahel?!“, fragte er dann. „D… Die letzten Karten!“

„Klar doch“, machte Rahel, obwohl sie in Gedanken schon ganz woanders war. „Silas und ich fahren morgen mit dem Zug nach Dortmund. Wir besuchen alte Freunde.“

„Ich weiß. Habt ihr schon gepackt?“, wollte Sophia wissen.

„Dafür reichen mir exakt fünf Minuten“, sagte Silas überzeugt.

In diesem Punkt unterschied er sich nicht von anderen Vierzehnjährigen. Jedenfalls nicht von den männlichen Vertretern dieser Altersklasse. Rahel grinste. Sie wusste nur zu gut, was bei Silas’ Packkünsten alles auf der Strecke blieb, aber ausnahmsweise verriet sie es nicht. Freundlich bleiben!, ermahnte sie sich selbst in Gedanken. Bis jetzt lief es gut mit ihrem guten Vorsatz.

„Und du?“, fragte sie, „Was machst du, Sophia?“

„Ich fahre nach Ludwigshafen. Weil ich nicht zur Schule muss, will Mama gerne für die Zeit in unserem alten Zuhause wohnen. Das war klar. Aber da ich da nicht wirklich jemanden kenne, wird das schön langweilig ohne euch.“ Sophia hob bedauernd die Hände. „Da kann ich nur hoffen, dass die Schule bald wieder anfängt …!“

„Bloß nicht!“, rief Rahel entsetzt.

„… und wir einen neuen Fall lösen können“, beendete Sophia den Satz lachend.

„Das schon eher!“, gab Rahel ihr recht. Sie klopfte auf den Ordner auf ihrem Schoß. „Apropos Fall! Wir sind im Fall Werner noch keinen Schritt weiter.“

Silas verzog den Mund.

„Rahel, wie oft soll ich das noch sagen? Du siehst Gespenster. Werner ist echt in Ordnung, da gibt es keinen Fall zu lösen.“

„Ach ja?! Und wie erklärst du dir sein riesiges Tattoo auf der linken Schulter und am linken Arm?“, fragte seine Schwester.

Sie hatte mittlerweile eine Skizze von dem angefertigt, was sie durch Zufall auf der Haut des Pastors gesehen hatte. Sophia hatte ihr dabei geholfen; sie war besser in Kunst. Aber das Blatt mit der Zeichnung war immer noch das Einzige, was Rahel zu diesem Fall abgeheftet hatte.

„Ein Tattoo ist nicht strafbar“, warf Sophia ein.

„G… Genau! D… Der Reus ist auch tätowiert“, ergänzte Onkel Anton. „Hier … und hier und hier.“ Er fuhr mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf seinen Armen und dem Oberkörper herum. „Ü… Überall! M… Marco Reus heißt der.“

„Ja, Anton, aber der versteckt sein Tattoo auch nicht“, sagte seine Nichte ungeduldig.

„N… Nee! D… Der is stolz da drauf!“

„Siehste!“

„Ü… Überall!“, wiederholte Onkel Anton jetzt leise für sich selbst.

„Meine Güte, Rahel, vielleicht hat er das von früher, als er noch kein Pastor war“, sagte Silas und warf noch einmal einen genauen Blick auf die Zeichnung. „Zugegeben, das Ding ist echt nicht so schön. Aber vielleicht möchte Werner nur den kleinen Kindern keine Angst machen oder einfach mit gutem Beispiel vorangehen, und deswegen trägt er es nicht offen“, meinte er und sah jetzt zu Caruso. Der Riesenschnauzer war aufgesprungen und schüttelte sich, um die Ameisen loszuwerden, die sich über ihn hergemacht hatten. Dann schnappte er sich gelassen noch ein paar einzelne Krabbeltiere aus dem Fell, ließ sich mit einem lauten Seufzen abseits der Ameisenstraße nieder und legte den Kopf auf die Pfoten. Silas schmunzelte. „Ein Tattoo kann man schließlich nicht so einfach abschütteln, wenn man es nicht mehr haben will.“

„Ach ja? Und was ist mit den anderen Indizien?“, fragte Rahel gereizt.

Das Schmunzeln verschwand.

„Was für Indizien?“

Rahel hob ihre Hand und zählte mit den Fingern mit.

„Erstens kann er mega gut mit einem Dietrich oder Pick-Set umgehen und damit Schlösser knacken.“

„Genau wie du. Mache ich deswegen gleich einen Fall aus dir?!“

Rahel ließ sich bei ihrer Aufzählung der verdächtigen Tatsachen nicht stören.

„Zweitens hat er Angst vor Motorrädern.“

Sophia nickte. Sie war auf dem Gemeindeausflug dabei gewesen, als Werner sich so vor den Bikern erschrocken hatte.

„Drittens hat er zwar selber keins, kann sie aber sehr gut reparieren.“

„Na und, dann ist er früher vielleicht mal eins gefahren“, wehrte Silas ab, der sich noch sehr gut an die Frau erinnerte, der das schwere Motorrad umgekippt war. Werner hatte ihr ziemlich fachmännisch mit dem kaputten Bowdenzug geholfen. Rahel machte unbeirrt weiter.

„Viertens hat er keine Angehörigen. Niemand besucht ihn hier, wir wissen nicht mal, wo er eigentlich herkommt.“

„Hast du ihn mal gefragt?“

„Fünftens reagiert er manchmal einfach komisch.“

Silas lachte laut auf.

„Na super, das tust du auch! Wenn das schon verdächtig ist …“

Seine Schwester guckte wütend. Sie war nahe daran, den guten Vorsatz mit der Freundlichkeit zu vergessen. Sophia saß hilflos zwischen den beiden. Sie war Einzelkind und hatte keine Ahnung von Geschwisterliebe.

„R… Ronny is da!“, meinte Onkel Anton.

Tatsächlich stellte Ronny Till, das fünfte Mitglied der Detektei, gerade sein Fahrrad draußen ab. Mit ein paar langen Schritten war der große Junge an der offenen Bustür. Er hievte den Gurt seiner Notebook-Tasche über den Kopf.

„Hi!“, begrüßte er seine Freunde. „Was macht ihr denn für Gesichter? Ferienstimmung sieht irgendwie anders aus.“

„Hi, ich dachte, du wärst schon in Dresden“, antwortete Silas.

„Nein, mein Vater hat es sich anders überlegt. Er ist diesmal hier vorbeigekommen.“

„Hast du deshalb den Spruch auf dem T-Shirt?“, fragte Rahel.

Sie war immer noch wütend, dass ihr Bruder sie nicht ernst nahm. Die beiden anderen blickten zu Ronny. You are like a cloud. If you disappear, it’s a beautiful day!, lasen sie auf dem Shirt. Sophia sah Rahel stirnrunzelnd an. Du bist wie eine Wolke. Wenn du dich verziehst, ist es ein herrlicher Tag!? Das war nicht nett, Ronny so auf das schwierige Verhältnis zu seinem Vater hinzuweisen!

„Vielleicht“, antwortete Ronny betont gleichgültig. „Jedenfalls wollte ich euch noch etwas erzählen, bevor ihr morgen nach Dortmund abhaut.“

Rahel biss sich auf die Zunge. Schnell senkte sie den Kopf und starrte auf ihren Ordner. Wie dumm! Es war gar nicht so einfach, freundlich zu bleiben, wenn man genervt oder wütend war.

„I… Ich f… fahre nach Hamburg!“, brachte sich Anton in Erinnerung.

„Ja, cool!“, meinte Ronny. „Bundesliga, hm?“

„J… Ja! Ha… Hamburg g… gegen Dortmund“, stellte der Vierzigjährige klar.

„Ach ja, sicher. Na, dann viel Spaß!“

„Jo!“, sagte Anton und rieb sich die Hände. „‚Drei zu eins’ sage ich!“

„Aber mindestens!“, wünschte Ronny. Dann fing er plötzlich an zu stammeln: „Äh … also, Leute, ich … also, ich, ich muss euch etwas sagen. Über Werner.“

„Nur immer heraus damit“, forderte Rahel und sah von ihrem Ordner auf.

Silas zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Ronny zögerte und sah seinen Freund unsicher an. Was er zu sagen hatte, würde ihm nicht gefallen, so viel war sicher. Dann richtete der große, schlaksige Junge seinen Blick fest auf Rahel.

„Folgendes: Werner …“

„Ja?“ Rahel witterte die Sensation. „Spuck es schon aus: Was ist mit Werner?!“

Ronny holte tief Luft und brachte es hinter sich.

„Er ist ein Mörder!“

Silas riss die Augen auf und starrte ihn an, als habe er gesagt, dass er morgen zum Mond fliegen würde. Sophia klappte die Kinnlade herunter, aber außer einem verblüfften „Hä?!“ kam nichts aus ihrem Mund.

„M… Mörder kommen ins Gefängnis“, stellte Onkel Anton fest.

Er blätterte in einer Traktorzeitschrift und hatte nicht mitbekommen, dass es um Werner ging.

Rahels Herz klopfte schneller. Forschend sah sie Ronny ins Gesicht. Für einen Scherz sah er definitiv zu ernst aus. Das war kein Witz!

„Ich sag doch, da stimmt was nicht!“, wiederholte sie langsam und triumphierend. Ihre Augen funkelten. „Wie bist du darauf gekommen?“

„So ein Quatsch!“, protestierte Silas lahm. „Sind hier eigentlich alle verrückt geworden?!“

„Ich nicht“, behauptete Onkel Anton und blätterte seelenruhig weiter in seinem Magazin mit den vielen Bildern.

„Zumindest hat er wahrscheinlich mitgeholfen, jemanden umzubringen“, stellte Ronny leise klar.

„Wahrscheinlich?! Sag mal … “, brauste Silas auf, doch sein Freund unterbrach ihn.

„Silas, hör zu, es tut mir wirklich leid. Ich weiß, du magst Werner, aber ich habe da gestern etwas gesehen, das hat mich echt umgehauen. Warte doch, bis ich es euch gezeigt habe, okay?“

„Okay“, gab Silas kopfschüttelnd nach und versuchte, sich zu beruhigen.

„Danke.“

Ronny nahm sein Notebook aus der Umhängetasche und stellte es auf den Tisch.

„Im Fernsehen gibt’s doch immer diese Polizei-Sendung, wo die Zuschauer aufgefordert werden, bei der Aufklärung mitzuhelfen“, sagte er.

„A… Aktenzeichen XY“, rief Anton und legte das Traktorheft zur Seite.

„Ja, genau, Anton, und da habe ich gestern in der Mediathek gestöbert. In der letzten Sendung von Donnerstag war ein Fall, den müsst ihr euch unbedingt ansehen! Ich habe den Film zu Hause runtergeladen.“

„Geht das so einfach?“, wollte Silas wissen.

„Soo einfach geht das nicht, aber mit MediathekView ist es kein Problem.“

„Aktenzeichen XY?! Seit wann guckst du denn so was?!“, fragte Rahel ihren Onkel.

„P… Papa guckt das. U… Und Großstadtrevier. Sch… Schon immer.“

Nachdem Ronny das Notebook gestartet hatte, klickte er auf den Film. In einem schmucklosen Fernsehstudio sah man einen ernsten Moderator. Er trug einen dunklen Anzug und hielt ein paar große Karteikarten in der Hand.

„D… Den k… kenn ich!“, sagte Onkel Anton aufgeregt.

Ronny hielt den Film an.

„D… Der is von Aktion Mensch!“

„Jaaha, Anton“, sagte Rahel. „Schön! Du guckst ganz schön viel Fernsehen.“

„N… Nur manchmal“, protestierte Anton.

„Lass weiterlaufen, Ronny!“, forderte Rahel.

Silas’ Freund startete den Film erneut. Sie hörten die Stimme des Journalisten. Er sprach ruhig und freundlich.

„Wir gehen nach Hamburg. Dort muss sich, nach erfolgreicher Revision der Staatsanwaltschaft beim BGH, das Landgericht der Hansestadt erneut mit einem Mord im Rockermilieu befassen.“

Der Moderator sah direkt in die Kamera. Seine Augen blickten noch ernster.

„B… B… GH?“, fragte Onkel Anton. „I… Ich kenn nur BVB!“

„Pscht!“, machte Silas leise. „Das ist eins der wichtigsten Gerichte.“

„D… Der BVB is mir auch wichtig!“, protestierte Anton.

„Ruhe, Anton!“, sagte Rahel laut. Ihr Onkel verstummte und griff wieder nach der Traktorzeitschrift.

„In dieser Woche beginnt das zweite Verfahren der Großen Strafkammer gegen den berüchtigten Motorradclub SoS. Die drei Buchstaben sind die Abkürzung für Sons of Sin, auf Deutsch: Söhne der Sünde“, sagte der Moderator.

Das hässliche Logo der Vereinigung erschien kurz. Es zeigte einen Totenkopf. Wie ein düsteres Orakel trug er in Schwarz die drei Buchstaben SoS auf seiner kahlen Stirn geschrieben. Schnell hielt Ronny den Film an. Silas musste sich schütteln.

„Das klingt nicht gut“, meinte er.

„Nee, die sind auch nicht gut. Warte, ich überspringe mal die Anmoderation. Das meiste von dem Fall weiß ich noch und kann es kurz zusammenfassen“, sagte Ronny und spulte den Film vor. „Also, es geht um eine Rockergang aus Hamburg. Die fahren mit so schwarzen Totenkopf-Lederkutten auf Motorrädern rum.“

Sophia verzog angewidert den Mund, aber Rahel beugte sich interessiert vor.

„Ihr Geld verdienen sie sich durch Straftaten. Es gibt eine richtige Hierarchie mit Chef und Untergebenen. Du kannst in dem Laden Karriere machen, so wie bei der Mafia“, erklärte Silas’ Freund den anderen.

„Die gehören also zur Organisierten Kriminalität?“, fragte Rahel.

„Ja, genau, so nennt man das. Die haben ihre Finger fast überall drin. Drogen- und Waffenhandel, Einbrüche, Partybars, Tattoostudios, Glücksspiel, Menschenhandel und Sicherheitsgewerbe.“

„Tattoostudios“, murmelte Rahel und schielte auf ihren Ordner.

„Sicherheitsgewerbe?!“, fragte Sophia.

„Ja, die bieten Wach- und Schutzdienste an“, erklärte Silas den Begriff widerwillig. „Also, die Mafia. Allerdings nehmen sie das Geld nur von den Leuten, um sie vor sich selbst zu beschützen. Ziemlich fies und gemein.“

„Hä?!“, machte Sophia.

„Na ja, sie beschützen nicht wirklich jemanden, sondern lassen sich dafür bezahlen, dass sie selbst den Leuten nichts tun. Wenn du zum Beispiel ein Restaurant in dieser Gegend hast, dann tauchen die bei dir auf und verlangen Geld dafür, dass sie dir nicht die Tische und Stühle kaputt machen oder dich verprügeln.“

„Das ist ja furchtbar!“

„Aber woher weiß man das?“, hakte Rahel nach. „Ich meine, wo und wie die überall ihr Geld verdienen?“

„Gute Frage“, sagte Ronny. „Genau darum geht es gleich in dem Bericht. Vor fast acht Jahren gab es nämlich einen spektakulären Mord in Hamburg. Zehn Leute von diesen Rockern haben in einem Wettbüro, also, das ist so ein Raum, da kann man Pferde- und Fußballwetten usw. abschließen …“

„I… Ich wette, dass Dortmund gewinnt. D… Drei zu eins!“, rief Anton dazwischen.

„Das wissen wir jetzt langsam“, beschwerte sich Rahel.

„Richtig, Anton, so ein Wettbüro war das“, sagte Ronny. „Da sind also zehn von denen reinmarschiert und haben einen anderen von ihrer Gang erschossen. Also, einen, der früher mal bei ihnen war. Äh, also, der war mal bei den SoS, den Sons of Sin, und ist dann zu einer anderen Rockergang gewechselt.“

„Ich hab’s kapiert“, sagte Silas. „Aber ich verstehe immer noch nicht, was Werner damit zu tun hat.“

„Warte, das mit Werner kommt gleich!“, fuhr Ronny fort. „Aus Rache oder zur Strafe haben die ihn also erschossen.“

„W… Wer hat Werner erschossen?!“, fragte Onkel Anton und guckte erschrocken.

„Niemand, Anton! Nicht Werner wurde getötet, sondern ein anderer Typ. Der, der früher bei den Sons of Sin war.“

„Den k… kenn ich nich.“

„Nein“, sagte Ronny. „Ich auch nicht.“

„Wie furchtbar!“, wiederholte Sophia, als hätte sie alle anderen Wörter der deutschen Sprache vergessen.

Sie war blass geworden. Ronny nickte.

„Ja. Echt krass! Am helllichten Tag. Dabei saß der da einfach nur in diesem Wettbüro und hat Karten gespielt.“

Silas schüttelte den Kopf.

„D… Das d… darf man nicht!“, protestierte Onkel Anton. „D… Da… dann kommt die Polizei! Der Dirk Matthies kommt dann!“

Ronny runzelte die Stirn.

„Dirk Matthies, wer ist das?“

„D… der arbeitet in Hamburg“, erklärte Anton bereitwillig. „Beim Großstadtrevier.“

„Ach, Anton!“, sagte Rahel. „Großstadtrevier ist Opas Lieblingsfernsehserie“, erklärte sie Ronny. „Weil da wenigstens ab und zu mal der ganz normale Alltag eines Schutzpolizisten mit den tausend Kleinigkeiten und langweiligen Bürgeranfragen gezeigt wird. Aber das sind nur Schauspieler, Anton!“

„N… Nein! D… Der is kein Schauspieler, der is Polizist“, regte sich ihr Onkel auf.

„Schon gut“, beruhigte Sophia ihn. Rahel seufzte.

„Weiter, Ronny“, verlangte sie.

„Dieser Mord passierte wie gesagt vor ein paar Jahren. Die Polizei hat auch fast alle von denen gekriegt. Acht Rocker wurden wegen Mordes verurteilt, obwohl nur einer von ihnen geschossen hatte.“

„Das sind dann Mittäter“, warf Silas ein, was er von seinem Papa gelernt hatte. „Die Strafe ist genauso hoch, wie wenn sie selbst geschossen hätten.“

„Danke für die Erklärung“, sagte Rahel und klopfte sich innerlich dafür auf die Schulter, dass sie es geschafft hatte, das Wörtchen „unnötig“ wegzulassen.

„Dreihundert Verhandlungstage hat der Prozess am Landgericht Hamburg gedauert, das zog sich über fünf Jahre oder so“, fuhr Ronny fort.

„Und was ist mit den anderen beiden?“, fragte Rahel neugierig. „Mit den Nummern neun und zehn?“

„Ja doch! Das wollte ich gerade sagen: Der Neunte hat wohl ein schlechtes Gewissen bekommen und gleich am Anfang gegen seine Komplizen ausgesagt. Nur dadurch konnten sie überführt und verurteilt werden. Nummer Neun wusste so viele Details, weil er schon bei der Planung der Tat dabei gewesen war. Dazu hat er auch noch viele andere Sachen verraten, sodass die Polizei eine ganze Menge über die Sons of Sin erfahren hat und ihnen das Handwerk legen konnte, zumindest in Hamburg.“

„Dann sind die jetzt bestimmt nicht mehr gut auf ihn zu sprechen“, vermutete Silas.

„Nein, ganz und gar nicht. Sie betrachten ihn als Verräter. Aber Nummer Zehn ist immer noch auf der Flucht, und darum geht es gleich. Passt gut auf!“, befahl Ronny und startete den Film zum dritten Mal.

„Bei dem nun eröffneten zweiten Verfahren wird am Freitag im Rahmen der Beweisaufnahme der Kronzeuge Axel Assenmacher noch einmal vernommen. Voraussichtlich wird er seine ehemaligen Komplizen erneut schwer belasten“, sagte der Moderator.

„Assenmacher, das ist der mit dem schlechten Gewissen“, erklärte Ronny leise.

„Der Verräter“, meinte Rahel.

„N… Nummer Neun!“, sagte Anton.

„Wow! Genau, Anton!“, lobte Sophia, und Rahels Onkel grinste verlegen. „D… Dirk Matthies heißt der“, raunte er Rahels Freundin zu. „Der … der is Polizist in Hamburg.“ Sophia nickte freundlich. Mittlerweile erschien der ehemalige Rocker, die Nummer Neun, auf dem Bildschirm: ein Mann im mittleren Alter mit vollem, dunklem Haar und Vollbart. Der wichtige Zeuge war nur halb zu sehen und wirkte füllig. Er hatte sogar richtig dicke Backen. Seine Augen guckten durch extrem starke Brillengläser und wirkten dadurch sehr klein.

„Hm, einen Rocker habe ich mir irgendwie anders vorgestellt“, meinte Silas. „Der sieht gar nicht so gefährlich aus.“

„D… Den kenn ich!“, behauptete Onkel Anton schon wieder und etwas übereifrig.

Ronny hielt den Film ein drittes Mal an.

„Woher?“, fragte er überrascht, denn dieser Typ war ganz bestimmt kein Werbeträger für die Aktion Mensch. „Warst du schon öfter in Hamburg?“

Onkel Anton fletschte die Zähne.

„N… Nee!“, machte er verlegen. „A… Aber morgen fahre ich da hin. Z… Zum ‚Drei zu Eins‘.“

„Woher willst du den Typen denn dann kennen?“, fragte Rahel ungeduldig und zeigte auf den Computer.

Manchmal konnte ihr Onkel ziemlich nerven. Anton zog die Schultern hoch.

„W… Weiß ich doch nich, ich kenn den halt.“

Seine Nichte hielt ihr Gesicht ganz nah an den Bildschirm. Außer den stahlblauen Augen fiel ihr nur ein Muttermal auf. Es saß auf dem linken Wangenknochen.

„Also, ich kenne den nicht“, sagte Rahel überzeugt, lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme über der Brust. „Weiter!“, befahl sie.

Man sah wieder das Gesicht des Moderators.

„Der Zeuge wird unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen vernommen“, erklärte er den Zuschauern. „Wie schon vor sieben Jahren wird er mit einer schusssicheren Weste in einem Kasten aus Panzerglas sitzen, da die Strafverfolgungsbehörden um sein Leben fürchten. Damals, während des ersten Prozesses am Landgericht, wusste nicht einmal sein Anwalt, in welchem Gefängnis er einsaß, so weit gingen die Sicherheitsmaßnahmen. Seine eigene Haftstrafe hat er mittlerweile verbüßt – er wurde wegen guter Führung vorzeitig entlassen –, aber die Rockergang nennt ihn natürlich einen Verräter und hat ihm mit Vergeltung gedroht.“ Der Journalist guckte betroffen. „Und sie haben noch mindestens ein Ass im Ärmel, denn dieser Mann hier befindet sich immer noch auf der Flucht.“ Der Moderator verschwand und ein neues Bild erschien. Diesmal war es eine Zeichnung, ein sogenanntes Phantombild. Das Gesicht des Gesuchten wies keine besonderen Kennzeichen auf. Er hatte eine Glatze, braune Augen und einen Schnäuzer. „Der Flüchtige ist etwa fünfzig Jahre alt und einen Meter und achtzig groß. Er wird von Zeugen als sportlich beschrieben. Seine Komplizen nannten ihn Bernie.“

Eine gewisse Ähnlichkeit zum Pastor der SEGE ließ sich nicht leugnen. Rahel sah Ronny verblüfft an. Der nickte.

„Ja, ich habe auch gedacht, dass er Werner ähnlich sieht“, sagte Ronny.

„Na und?“, meinte Silas. „Es gibt viele Menschen, die sich ähnlich sehen.“

Nun sah man wieder den Moderator. Er hielt immer noch die Karteikarten in der Hand.