Die Angst kam erst danach - Ingrid Strobl - E-Book

Die Angst kam erst danach E-Book

Ingrid Strobl

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Beschreibung

Von der Rettung jüdischer Kinder bis zur »Liquidierung« von Gestapospitzeln, von der Herstellung falscher Papiere bis zum Transport von Waffen und Informationen: Von Frankreich bis Polen engagierten sich jüdische Frauen aktiv im Widerstand gegen die deutsche Besatzung und »Endlösung«. In einer vergleichenden Studie untersucht Ingrid Strobl erstmals die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand im von den Deutschen besetzten Europa. Anhand von Archivmaterial, Briefen und Tagebüchern und der knapp sechzig ausführlichen Interviews, die sie mit ehemaligen jüdischen Widerstandskämpferinnen aus ganz Europa geführt hat, erhellt sie ein bislang verborgenes Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Shoa.

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Ingrid Strobl

Die Angst kam erst danach

Jüdische Frauen im Widerstand 1939–1945

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungDanksagungEinleitungDie Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand am Beispiel einzelner LänderFrankreich [Teil I]Frankreich [Teil II]BelgienNiederlandeUngarnPolenJüdische Frauen im Widerstand: Kindheit – Alltag – Arbeit – GefühleDie Herkunft: Familie, Kindheit, JugendDer Weg in den Widerstand: Politisierung und MotivationDer Alltag im Untergrund: Der permanente AlarmzustandDie Praxis: Verstand und GefühlNach der Befreiung: Die Mühen der NormalitätZusammenfassung: Divergenzen und Gemeinsamkeiten jüdischer Frauen im WiderstandAnhangBibliographieAbkürzungen und GlossarBildteil

Für Chaika Grossman (gestorben am 26. Mai 1996 im Kibbuz Evron) und Sarah Goldberg, Brüssel, die meine Arbeit über Jahre hinweg begleitet und mir darüber hinaus ihre Freundschaft geschenkt haben.

Danksagung

Ich hätte meine Forschungsarbeit für dieses Buch niemals durchführen können, wenn mir nicht Freundinnen und Freunde, Bekannte und Interviewpartnerinnen ungemein großzügig dabei geholfen hätten, indem sie mir ihre Gastfreundschaft gewährten, mir Kontakte vermittelten und Dokumente zur Verfügung stellten. Chaika Grossman und Meir Orkin im Kibbuz Evron, Chasia Bielicka-Bornstein und Heini Bornstein im Kibbuz Lehavot Habashan, Dina und Henri Krischer in Nancy, Lieselotte und Gert Levy in Brüssel haben mich mehrfach bei sich aufgenommen und verwöhnt. Für ihre Gastfreundschaft, Großzügigkeit und Liebenswürdigkeit danke ich außerdem Claudia Schmidt, Brüssel; Anja Rud, Tel Aviv; Liza Czapnik und Ilja Mashewitzki, Bersheva; Anat Asaiag-Teitelbaum, Jersusalem; Ita Schmolowsky, Haifa; und Carry van Lakerveld, Amsterdam.

Die Interviews, die eine wichtige Grundlage für dieses Buch bilden, konnte ich nur führen, weil die Frauen (und Männer), die ich interviewte, mir ihr Vertrauen schenkten. Ich danke ihnen allen dafür aus ganzem Herzen. Vitka Kempner-Kovner und Zila Amit danke ich ganz besonders dafür, daß sie mir ihre schriftlichen und auf Video aufgezeichneten umfassenden Zeitzeuginnenberichte zur Verfügung stellten. Bei Chava Raban bedanke ich mich für ihre ausführliche Antwort auf meinen Fragebogen. Zudem danke ich den vielen Frauen, die auf meinen Fragebogen geantwortet haben. Für die Vermittlung von Interviewpartnerinnen danke ich vor allem: Abraham Nejszaten, Sarah Goldberg, Claude Collin, Max Weinstein, Yvette Wirtschafter, Henri Krischer, Frieda Wattenberg, Meir Orkin, Heini Bornstein, Carry van Lakerveld, Max Arian, Robert Büchler, Yael Peled, Alisa Teitelbaum, Ita Schmolowsky, Menachem Ben Yami, Karl Pfeifer, Rafael Ruppin und Bronia Kribanski.

Ich hätte die Arbeit an diesem Buch nicht vollenden können ohne die finanziellen Zuwendungen, die mir zuteil wurden. Dem Herbert-Wehner-Stipendium verdanke ich es, daß ich mehrere Recherchereisen in verschiedene Länder unternehmen und dadurch die Zahl meiner Interviewpartnerinnen erheblich erhöhen konnte. Das Ökobildungswerk Saarbrücken hat mich zu Beginn meiner Arbeit unterstützt und mir damit auch Mut zur Weiterarbeit an diesem aufwendigen Projekt gemacht. Robert Hamlisch, Meran, Hertha Liebknecht, Paris, sowie Dorit und Martin Whiteman, New York, haben mir finanziell unter die Arme gegriffen, als ich dachte, ich müßte dieses Projekt aufgeben, weil es nicht mehr finanzierbar schien. Ihnen allen bin ich zu größtem Dank verpflichtet. Anja Rud in Tel Aviv, Barbara Distel in Dachau und Robert Büchler in Givat Haviva danke ich sehr herzlich dafür, daß sie meine Arbeit als förderungswürdig empfohlen haben.

Viele Dokumente konnte ich für diese Arbeit nur verwenden, weil Freunde und Bekannte sie für mich aus dem Hebräischen, Polnischen und Jiddischen übersetzt haben. Abi Ehrlich, Margita Weber, Uriel Leumi, Alisa und Raul Teitelbaum und Shoshana Ronen bin ich hierfür zu großem Dank verpflichtet. Ebenso bedanke ich mich bei Heini Bornstein, Zeev Betzer und Joseph Caspari, die für mich Interviews aus dem Hebräischen gedolmetscht haben; bei Sara Stebbins, die mehrere längere Texte für mich ins Englische übersetzt hat; und bei Gert Levy, der mir beim Transkribieren mehrerer französischer Interviews geholfen und Briefe und andere Texte für mich ins Französische übersetzt hat.

Ich danke Professor Dalia Ofer von der Hebrew University in Jerusalem dafür, daß sie es mir ermöglicht hat, am Institute of Contemporary Jewry meine Forschungsarbeit über die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand vorzustellen. Und ich danke den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieses Seminars für ihre Kritik und Anregungen.

Vidar Jacobson vom Centre de Documentation Juive Contemporaine in Paris und Robert Büchler von den Moreshet Archives danke ich für ihre langjährige freundliche und unermüdliche Hilfe bei der Suche nach Archivmaterial. Desgleichen danke ich Elisabeth Pastwa und Florence Belot vom Musée de la Résistance et de la Déportation in Besançon, Esther Aran von den Yad Vashem Archives, Judith Belinfante und Edward van Voolen vom Jüdischen Museum Amsterdam, Rudi van Doorslaer vom Centre de Recherches et d'Études Historiques de la Seconde Guerre Mondiale in Brüssel, Elke Rieck von der Kölner Germania Judaica und allen, die mir großzügig ihre privaten Archive zur Verfügung gestellt haben, insbesondere Henri Krischer, Herbert Herz, Hélène Taich, Paul Urman, Adam Rayski und Heini Bornstein. Volker Schlunk habe ich zu danken für seine wertvollen Informationen über die Stationierung von Wehrmachtseinheiten im französischschweizerischen Grenzgebiet.

Mein herzlicher Dank gilt meiner Lektorin Ingeborg Mues, die auch dieses Buch mit der ihr eigenen großen Sorgfalt und Sensibilität betreut hat. Ingeborg Haase danke ich dafür, daß sie das Manuskript nicht nur akribisch, sondern auch engagiert Korrektur gelesen hat.

In den vielen Jahren, die ich an diesem Forschungsprojekt gearbeitet habe, haben mich Renate Göllner, Martina Domke, Barbara Jasemi, Sarah Goldberg, Abraham Nejszaten, Chaika Grossman, Meir Orkin, Chasia Bielicka-Bornstein, Heini Bornstein, Anja Rud, Iiza Czapnik, Dina und Henri Krischer, Herbert Herz, Bronia Klibanski, Sara Stebbins, Georg Fülberth, Gerhard Scheit, Robert Hamlisch und Rosetta Jori mit Informationen, Material und vor allem ihrem Zuspruch und ihrer fürsorglichen Freundschaft unterstützt. Ich danke ihnen sehr dafür und möchte mich an dieser Stelle auch bei Heinz Schütte und bei Yvette Wirtschafter für ihre Hilfe und Freundlichkeit bedanken.

Meinen Freundinnen und Freunden in Köln danke ich für ihre unerschöpfliche Geduld und dafür, daß sie meinen völligen Rückzug in den letzten Monaten nicht nur akzeptiert, sondern mich darin unterstützt haben. Insbesondere danke ich Martina Domke dafür, daß sie mit großer Sorgfalt Interviews für mich transkribiert und mir bei den Korrekturen des Buches geholfen hat. Max Annas danke ich dafür, daß er mit dem Blick des kritischen Lektors das Manuskript gelesen und redigiert und mir wichtige Hinweise gegeben hat.

Last not least danke ich Gert Levy für vieles. Vor allem aber dafür, daß er an jedem Arbeitsschritt für dieses Buch Anteil genommen, jedes Kapitel sofort nach seiner Fertigstellung kritisch gelesen und mich immer wieder ermutigt hat, weiterzuschreiben.

Einleitung

Ist es möglich, nach 50 Jahren eine Geschichte zu rekonstruieren, über die häufig selbst von den Beteiligten jahrzehntelang geschwiegen wurde? Kann man eine Geschichte rekonstruieren, wenn der Bestand an schriftlichen Quellen gering, die emotionale Besetzung des Themas und die mit dem Thema verbundenen Vorurteile dafür um so größer sind? Sowohl Frauen als auch Juden wurde eine Beteiligung am »aktiven« Widerstand gegen die deutsche Besatzung und »Endlösung« lange Zeit weitgehend abgesprochen. Während den ermordeten Juden nachträglich vorgeworfen wurde, sie seien »wie die Lämmer zur Schlachtbank gegangen«, galt für Frauen das Diktum, sie hätten lediglich »passiven« Widerstand geleistet, sie hätten als »Kofferträgerinnen« beziehungsweise »Sanitäterinnen« der Résistance gedient und nur »die vielen Verwundeten eingesammelt«.[1]

Beide Behauptungen stützen sich, direkt oder indirekt, auf eine militärische Definition von Widerstand, die sowohl die Rettung von Menschen als auch die Aufrechterhaltung ihrer Moral nicht als »echten« Widerstand akzeptiert. Unter »aktivem Widerstand« wird hier lediglich der bewaffnete Kampf verstanden, zu dem allerdings schon der Transport, die Aufbewahrung und die Verteilung der Waffen – Aufgaben, die meist von Frauen erfüllt wurden – nicht mehr gezählt werden. Die Kampfgruppen jedoch hätten ohne die Arbeit der Verbindungsagentinnen weder existieren noch agieren können. Die bewaffneten Kämpferinnen und Kämpfer erhielten von den Verbindungsagentinnen Anweisungen und Informationen über Ort, Zeitpunkt und Objekt eines Anschlags, über drohende Gefahren, erfolgte Verhaftungen, enttarnte Spitzel etc., sie bekamen von ihnen Geld, Lebensmittelkarten, Nachrichten über die politische Lage und über ihre Familien. Die Verbindungsagentinnen hielten den Kontakt zwischen den Kommandanten, den Gruppen und den Kommandanten und den Gruppen untereinander. Sie transportierten den Sprengstoff von den Steinbrüchen in die Stadt, die Waffen von einer Stadt in die nächste und vom Waffendepot zum Anschlagsort und zurück. Sie schufen die Logistik und beschafften die Mittel und Informationen, ohne die der bewaffnete Widerstand nicht funktionsfähig gewesen wäre.

Angesichts der Vernichtung der europäischen Juden wurde die Rettung von Menschen zu einer dringlichen und bedeutenden Widerstandstätigkeit. Die jungen Frauen (und Männer), die jüdische Kinder, Jugendliche und Erwachsene außer Landes brachten oder Verstecke und falsche Papiere für sie organisierten und sie über teils lange Zeiträume hinweg versorgten, bekämpften den Feind auf einer anderen Ebene als die bewaffneten Kämpferinnen und Kämpfer: Diese versuchten, ihn aus dem Land zu treiben oder zumindest seine Kräfte zu schwächen, jene versuchten, ihm seine Opfer zu entreißen, Ersteres als »aktiven« und letzteres als »passiven« Widerstand zu bezeichnen, ergibt bei genauerer Betrachtung keinen Sinn. Renée Poznanski bezeichnet die Rettungsaktionen des jüdischen Widerstands als »humanitären« Widerstand.[2] Dem ist zuzustimmen, wenn das Begriffspaar »aktiv« und »passiv« grundsätzlich verworfen und durch andere, treffendere Termini ersetzt wird, wie etwa bewaffneter, humanitärer und politischer Widerstand.

Die Tatsache, daß in den als »passiver Widerstand« definierten Domänen primär Frauen aktiv waren, und die Tatsache, daß sowohl diese Tätigkeiten als auch die Widerstandskämpferinnen selbst nach dem Krieg wenig bis gar nicht gewürdigt wurden, hängen eng miteinander zusammen. Rachel Cheigham, die in Frankreich an der Rettung von jüdischen Kindern und Jugendlichen mitarbeitete und gleichzeitig Aktivistin einer bewaffneten Formation der Armée Juive (Jüdische Armee) war, stellt fest, daß zum Teil auch die Frauen selbst diese Minderbewertung verinnerlicht haben: »Die Männer, die direkt gegen den Feind gekämpft haben, in der direkten Konfrontation, haben nicht mehr gemacht als die Frauen, aber sie haben das Bewußtsein, gekämpft zu haben. Die Frauen haben nicht das Gefühl, gekämpft zu haben. Sie haben den Eindruck, sie haben getan, was getan werden mußte. Es ist noch heute so: Abgesehen von ein paar wenigen bekannten Frauen, die als Heldinnen verehrt werden, spricht man nicht von ihnen. Mit Auszeichnungen wurden nach dem Krieg die Männer dekoriert, nicht die Frauen. Als der Krieg beendet war und man die Ausweise für ehemalige Widerstandskämpfer verteilte, haben die Frauen kaum welche bekommen. Sie haben sich dann später doch noch darum bemüht, denn dieser Ausweis war auch wichtig für die Rente. Aber die Männer haben sich sofort darauf gestürzt, auch solche, die gar nichts gemacht haben.«[3]

Vivette Samuel, die nach dem Krieg als Beraterin einer Vereinigung ehemaliger Widerstandskämpferinnen arbeitete, machte die Erfahrung, daß die Rettung von Kindern und auch Erwachsenen nicht als Widerstand definiert wurde: »Die Netzwerke zur Kinderrettung, wie zum Beispiel auch der Circuit Garel (der illegale Rettungsdienst des jüdischen Kinderhilfswerks OSE, Œuvre de secours aux enfants, Anm.d.Verf.), wurden nicht als Widerstand betrachtet. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, daß es so viele Frauen waren, die diese Arbeit gemacht haben. Was wir getan haben, wurde und wird nicht als Widerstand anerkannt. Ich habe dafür keine einzige Auszeichnung erhalten. Meine Auszeichnungen erhielt ich auf Grund der Arbeit, die ich nach dem Krieg geleistet habe. Und so geht es allen. Diejenigen aus dem Circuit Garel zum Beispiel, die eine Anerkennung erhielten, bekamen sie, weil sie noch in einem anderen Rahmen am Widerstand beteiligt waren.«[4] Eine ähnliche Mißachtung ihrer Arbeit im Widerstand erfuhren auch Angehörige der zionistischen Jugendbewegungen, die in Ungarn jüdische Kinder und Erwachsene gerettet hatten. Als sie in Israel (beziehungsweise zu diesem Zeitpunkt Palästina) ankamen, wurde ihnen vorgeworfen, daß sie nicht bewaffnet gegen die Deutschen gekämpft hatten.[5]

Renée Poznanski konstatiert in ihrem Aufsatz über jüdischen Widerstand in Frankreich einen Paradigmenwechsel, der sich im Verlauf der letzten Jahre in der Beschäftigung mit dem jüdischen Widerstand und der Debatte darüber vollzog: »Das Modell für den jüdischen Résistant war nicht länger der Kämpfer der MOI (der Widerstandsorganisation der kommunistischen Immigranten, Anm.d.Verf.), sondern eher der junge jüdische Pfadfinder, der sich der Rettung jüdischer Kinder widmete.«[6] Diese Einschätzung trifft auch auf andere Länder zu, doch es ist kein Zufall, daß Poznanski jeweils die männliche Form wählt, obwohl es näherläge, von der jüdischen Pfadfinderin zu sprechen, die sich der Rettung der Kinder widmete. Und während der Kämpfer der MOI in den Hintergrund gedrängt wird, ist die Kämpferin nie in den Vordergrund getreten. Frauen, die mit der Waffe in der Hand gegen die deutschen Besatzer und »Endlöser« und ihre Verbündeten kämpften, galten und gelten als unweiblich, als nicht vorzeigbar. Lediglich den Ghettokämpferinnen und Partisaninnen in Osteuropa wird ein klassisches, das heißt militärisches Heldentum zugestanden, doch auch sie werden vergleichsweise häufiger als Kurierinnen und Kundschafterinnen als in direkten Kampfsituationen dargestellt.[7]

Der Vorwurf, »die Juden« seien wie die Lämmer zur Schlachtbank gegangen, wurde bereits vielfach kompetent zurückgewiesen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Argumente von Jehuda Bauer, Israel Gutman, Adam Rayski, Marek Edelman, Asher Cohen, Renée Poznanski.[8] Da die Historiographie des Widerstands von Juden stets die Gefahr in sich birgt, auch unabsichtlich die »aktiven« Widerständler gegen die »passiven« Opfer auszuspielen, habe ich in den Kapiteln über die besetzten Länder versucht, jeweils darzustellen, unter welchen Bedingungen die jüdische Bevölkerung des Landes vor dem Einmarsch der Deutschen lebte, wie sie sich zusammensetzte, wie sie ihre Interessen vertrat, welchen Belastungen sie durch die deutsche Besatzung ausgesetzt wurde, warm die ersten Informationen über das Vernichtungsprogramm beziehungsweise das Schicksal der Deportierten eine breitere jüdische Öffentlichkeit erreichten, mit welchen Methoden der Vernichtungsprozeß in dem jeweiligen Land in Gang gesetzt und durchgeführt wurde und in welchem Ausmaß sich im Vergleich zur jüdischen Bevölkerung die jeweilige nichtjüdische Bevölkerung eines Landes im Widerstand gegen die Besatzung und die »Endlösungs«-Politik der Besatzer engagierte. Mit anderen Worten: Ich habe versucht, deutlich zu machen, daß nicht die Tatsache erstaunlich ist, daß die Masse der Menschen sich nicht gewehrt hat, sondern umgekehrt die Tatsache, daß es einer angesichts der Umstände beachtlichen Zahl von Frauen und Männern gelingen konnte, Widerstand zu leisten.

Die Debatte darüber, welcher Widerstand das Recht hat, sich als jüdisch zu definieren, wird vor allem in Frankreich seit Jahren heftig und kontrovers und häufig polemisch geführt, und sie ist noch nicht beendet.[9] Ich verwende hier, ohne dadurch den Anspruch ehemaliger Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer der MOI, auch den von ihnen geführten Kampf als jüdischen Widerstand zu definieren, zurückzuweisen, aus Gründen der Vereinfachung den Begriff »jüdischer Widerstand« für Gruppen, Organisationen und Bewegungen, die ausschließlich aus Jüdinnen und Juden bestanden und sich selbst dezidiert als jüdische Widerstandsorganisationen verstanden und bezeichneten. Den Widerstand von Gruppen und Organisationen, die nichtjüdischen Parteien oder Verbänden angehörten oder deren Oberbefehl unterstanden und sich selbst primär als politisch (kommunistisch) definierten, bezeichne ich als Widerstand von Jüdinnen und Juden. Wo ich verallgemeinernd alle verschiedenen Formationen meine, verwende ich den neutraleren Begriff Widerstand von Jüdinnen und Juden, der in diesem Zusammenhang den jüdischen Widerstand impliziert.

Das Ziel meiner hier vorliegenden Arbeit ist es, den Widerstand jüdischer Frauen aus seinem Schattendasein ins Licht der Historiographie des Widerstands zu rücken. Ich habe versucht, eine erste vergleichende Geschichte der Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand im deutsch besetzten Europa zu schreiben. Ich habe mich bemüht, soweit dies überhaupt möglich ist, herauszufinden und darzustellen, welchen Beitrag jüdische Frauen qualitativ und quantitativ zum Widerstand im deutsch besetzten Europa geleistet haben, unter welchen Bedingungen und in welchen Bereichen jüdische Frauen im Widerstand aktiv waren, wer diese Frauen sind, woher sie kommen, wie sie dachten, handelten und empfanden. Eine solche Untersuchung unterliegt notwendigermaßen starken Eingrenzungen. Ich konnte mehrere Aspekte, die für die Erforschung des Widerstands von Jüdinnen und Juden von Bedeutung sind, wie etwa die Rolle der Judenräte, nicht berücksichtigen. Ich mußte auch individuelle, das heißt unorganisierte Widerstandshandlungen einzelner außer acht lassen und ebenso den Bereich der Solidarität als Widerstand: Wenn zum Beispiel eine Frau einer anderen Frau in Auschwitz ein Stück von ihrem Brot abgab, war dies bereits ein Akt des Widerstands. Ich beschränke mich hier jedoch auf die Beteiligung jüdischer Frauen am organisierten Widerstand von Gruppen, Parteien, Bewegungen, sozialen Einrichtungen, Selbstschutzorganisationen etc.

Den ursprünglichen Plan, alle deutsch besetzten Länder zu untersuchen, habe ich rasch aufgegeben. Für eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Widerstand jüdischer Frauen in Ländern, deren Sprache ich nicht beherrsche und deren Fach- und Memoirenliteratur nicht in eine mir zugängliche Sprache übersetzt ist, fehlten mir die Grundlagen. Die Interviews, die ich mit einigen ehemaligen jüdischen Widerstandskämpferinnen aus Jugoslawien, der Slowakei und dem »Protektorat Böhmen und Mähren« geführt habe, reichten dafür nicht aus, bereicherten jedoch mein Vergleichsmaterial über Herkommen, Erziehung, Politisierung etc. von jüdischen Widerstandskämpferinnen. Zudem wurde der Partisanenkampf in Jugoslawien und der Slowakei unter anderen Bedingungen geführt und gehorchte anderen Gesetzen als der Kampf städtischer Freischärlergruppen und des Ghettountergrunds oder die Aktionen zur Rettung jüdischer Kinder und Jugendlicher. Ich habe aus diesem Grund auch die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand der Partisanen in Italien ausgeklammert und ebenso die jüdischen Frauen, die in Partisanenformationen in Polen, dem Baltikum und Belorußland kämpften. Eine Erforschung der Beteiligung jüdischer Frauen am Partisanenkampf steht noch aus, und es wäre wünschenswert, daß Historikerinnen und Historiker sich dieses Themas annähmen.

Auch auf einen Exkurs über die Beteiligung österreichischer jüdischer Exilantinnen am Widerstand in Frankreich und Belgien habe ich nach längerem Zögern verzichtet. Die Darstellung und Analyse der spezifischen Situation dieser Frauen und ihrer ambivalenten Haltung gegenüber ihrem Herkunftsland würden den Rahmen dieser Studie sprengen. Sie waren in einem speziellen Sektor des Widerstands der kommunistischen Immigrantenorganisationen aktiv, der Travail anti-allemand (antideutschen Arbeit), kurz TA, Travail allemand, genannt. Ihre Aufgabe bestand darin, deutsche (und hier vorzugsweise österreichische) Soldaten anzusprechen, ihr Vertrauen zu gewinnen, Informationen von ihnen zu erlangen und ihnen Propagandamaterial zur Verteilung an andere Soldaten zu übergeben. Im Idealfall sollten die Soldaten desertieren und sich mit ihren Waffen der Resistance anschließen. Diese als »Mädelarbeit« bezeichnete Widerstandstätigkeit wurde, nicht zuletzt auf Grund ihres als »heikel« wahrgenommenen und gelegentlich als Prostitution mißverstandenen Charakters, trotz einiger vorliegender Publikationen bis heute nicht ausreichend erforscht.[10] Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, DÖW, befinden sich Dossiers zu einzelnen Frauen, Zeitschriften und »Streuzettel« der TA in Frankreich und Belgien. Interviews mit ehemaligen TA-Aktivistinnen wurden in Auszügen in den vom DÖW herausgegebenen Dokumentenbänden »Österreicher im Exil« und »Erzählte Geschichte« veröffentlicht. Ich verweise zudem auf meinen Beitrag auf dem Symposion »Frauen im Exil«, Wien 1995, in dem ich erste Ergebnisse meiner Untersuchung dieses Teilaspekts der Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand vorstelle.[11]

 

In den letzten 20 Jahren entstand in einigen ehemals besetzten Ländern, in Israel und in den USA eine wissenschaftliche Forschung zum Widerstand von Juden im deutsch besetzten Europa. Renée Poznanski weist zu Recht darauf hin, daß seit den Vorwürfen, die Hannah Arendt und vor allem Raul Hilberg gegen die »passiven« jüdischen Opfer beziehungsweise die Judenräte erhoben, die Literatur über den Widerstand von Juden häufig von dem Bemühen geprägt ist, jüdischen Heldenmut zu belegen.[12] Dies trifft mit Einschränkungen auch auf Veröffentlichungen zu, die auf die bis in die 60er Jahre vorherrschende negative israelische Rezeption des Verhaltens der jüdischen Bevölkerung in der Diaspora reagieren.[13] Der Vorbehalt betrifft jedoch die neueren Arbeiten, wie etwa die von Claude Collin, Sabine Zeitoun, Stéphane Courtois und Denis Peschanksi, Annette Wieviorka, Renée Poznanski, Maxime Steinberg, Asher Cohen, Yehoyakim Cochavi, Yael Peled und anderen, nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. Auch der Wert der älteren Literatur, wie etwa der großangelegten Studie von Reuben Ainsztein[14] über den jüdischen Widerstand in Osteuropa, der langjährigen Forschungsarbeit von Israel Gutman[15] und der Arbeit von Jehuda Bauer[16] wird durch eine, gelegentlich tatsächlich vorhandene, legitimatorische Motivation nicht gemindert. Als problematischer erweisen sich Publikationen, die in eindeutig apologetischer Absicht verfaßt wurden, wie etwa die dreibändige »Anthology on Armed Jewish Resistance«, die sich bemüht, so viele »Beweise« wie möglich für heldenhaftes Verhalten von Juden während des Zweiten Weltkrieges anzuführen und dabei, unter weitgehender Außerachtlassung von Quellenangaben, Tatsachenberichte mit Anekdoten und Legenden mischt.[17]

Das Gros der historischen Arbeiten über den jüdischen Widerstand in Polen, dem Baltikum und Belorußland erschien Ende der 70er und vor allem in den 80er Jahren. Die Forschung über den jüdischen Widerstand in Osteuropa wurde, mit Ausnahmen, wie etwa Reuben Ainsztein und Bernard Mark[18], vor allem in Israel betrieben, die entsprechenden Publikationen wurden mit einigen Jahren Verspätung zu einem gut Teil ins Englische beziehungsweise Amerikanische übersetzt. Diese Forschung stützt sich weitgehend auf Dokumente, die Untergrundbewegungen in verschiedenen Ghettos anlegen, sammeln, verstecken und retten konnten, und auf schriftliche und mündliche Zeitzeugenberichte, die zuerst vom Jüdischen Historischen Institut in Warschau und später von diversen israelischen Archiven gesammelt wurden. Vor allem das Archiv des Kibbuz der Ghettokämpfer, Lohamei Haghettaot, und später das Archiv der zionistischen Jugendbewegung, Moreshet, aber auch das Archiv von Yad Vashem sammelten nicht nur Dokumente jüdischen Lebens, Überlebens und Widerstands in der Shoa, sie initiierten auch Zeugenaussagen, indem sie Überlebende aufforderten, ihre Berichte niederzuschreiben, auf Tonband zu sprechen oder indem sie diese in späteren Jahren auf Video aufnahmen.

Bereits in den ersten Jahren nach Kriegsende erschienen Anthologien, Dokumentationen und autobiographische Berichte von überlebenden Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern über den jüdischen Widerstand in Polen, im Baltikum und in den besetzten Teilen der Sowjetunion (wie etwa die Berichte von Itzhak Zuckerman, Marek Edelman, Tuvya Borzykowski, Shmuel Zygelboim, Bernard Goldstein, Zivia Lubetkin, Roszka Korczak, Chaika Grossman, Vladka Meed [Wladka Feigele Peltel] und anderen);[*] die Aufzeichnungen von Emanuel Ringelblum und Gusta Drenger-Dawidsons »Tagebuch der Justyna«; die von Melech Neustadt herausgegebene Anthologie »Hurbn un oyfshtand fun di Yidn in Varshe« (Vernichtung und Aufstand der Juden in Warschau); die vom Bund in New York publizierte Sammlung »In di Yorn fun yidishn hurbn« (In den Jahren der jüdischen Katastrophe); der Dokumentenband »Martyrs and Fighters«; und der Band »Blessed is the Match«, in dem die amerikanische Journalistin Marie Syrkin Gespräche publizierte, die sie kurz nach Kriegsende in Palästina mit überlebenden Widerstandskämpfern, vor allem aber Widerstandskämpferinnen aus Osteuropa geführt hatte.[19]

In Frankreich wurde die Forschung über den jüdischen Widerstand beziehungsweise den Widerstand von Juden lange Zeit vernachlässigt bis ignoriert. Die Gründe dafür sind vielfältig: Jüdische Résistants aus den Organisationen des gaullistischen Widerstands, wie Combat, Libération etc., definierten sich selbst als französische Patrioten und sahen keinen Anlaß, ihr Jüdischsein eigens zu thematisieren. Sie verwahrten sich, im Gegenteil, gegen eine erneute »Aussonderung« der Juden, eine Trennung von Juden und Franzosen im Nachkriegsfrankreich und in der Historiographie der Resistance.[20] Von den Résistants, die in zionistischen Organisationen aktiv gewesen waren, gingen viele nach der Befreiung nach Palästina und später Israel. Es erschienen allerdings bereits in den späten 40er Jahren in Frankreich erste Veröffentlichungen über den jüdischen Widerstand, wie zum Beispiel die Bände von David Knout und Jacques Lazarus.[21] Beide Autoren waren führende Organisatoren und Aktivisten der Armée Juive (Jüdischen Armee). Sie gründen ihre Darstellung des jüdischen Widerstands auf die eigene Erfahrung und mündliche Berichte ihrer Kameradinnen und Kameraden. 1970 erschien die Untersuchung von Anny Latour (auch sie eine ehemalige Aktivistin der Armée Juive), »La Résistance juive en France« (Der jüdische Widerstand in Frankreich), die auf ausführlichen Interviews mit ehemaligen Aktivistinnen und Aktivisten und den persönlichen Erinnerungen der Autorin beruht.[22] Eine systematische Forschung zum jüdischen Widerstand in Frankreich hat sich jedoch bis dato nicht entwickelt.[23] In einem Leserbrief an die Zeitschrift »La lettre des résistants et déportés juifs« vom April/Mai 1997 erklärt ein ehemaliger Aktivist der jüdischen Kampforganisation Armée Juive: »Die Geschichte (unserer Organisation und unseres Maquis, Anm.d.Verf.) ist noch nicht geschrieben. Die paar Bücher, die bisher dazu erschienen sind, wurden, nicht ganz grundlos, als unzureichend kritisiert.« Eine nicht näher benannte »Generalversammlung«, berichtet der Briefschreiber weiter, habe daher vor einem Jahr beschlossen, einen Autor mit dem Verfassen eines neuen Buches zu betrauen – doch diesen Autor suche man noch immer.[24]

»Schweigen umgibt die Geschichte der kommunistischen Juden« [25], konstatierte David Douvette 1984 auf dem Pariser Symposion über die Beteiligung der Juden am Widerstand in Frankreich. Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf Versäumnisse der, durch den Antikommunismus des kalten Krieges geprägten, »bürgerlichen« Geschichtsschreibung. Auch die kommunistische Historiographie verschwieg über Jahrzehnte hinweg den dominanten Anteil der jüdischen Immigrantinnen und Immigranten am kommunistischen Widerstand in Frankreich. Das politische Interesse an der Machtbeteiligung im Nachkriegsfrankreich, die Konkurrenz gegen die gaullistischen Widerstandsbewegungen, die weitgehend von nichtjüdischen Franzosen und französischen Juden getragen wurden (und nicht von jüdischen Immigrantinnen und Immigranten), und eine seit 1947/48 ausgeprägte antisemitische Tendenz in den »Bruderparteien« der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, Ungarns und später Polens bewirkten eine nachträgliche »Französisierung« des kommunistischen Widerstands durch die Partei. Zu dieser Geschichtsverfälschung trugen allerdings die jüdischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer zum Teil selbst bei. Wie ein Großteil der gaullistischen jüdischen Résistants definierten sich einige von ihnen nicht primär ethnisch, sondern politisch und wollten die von den deutschen Besatzern und dem Vichy-Regime erzwungene Trennung zwischen Juden und Franzosen aufheben und die Immigrantinnen und Immigranten in die französische Gesellschaft integrieren. Andere gingen in ihre Herkunftsländer (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn) zurück, um sich dort am Aufbau des jeweiligen neuen sozialistischen Staates zu beteiligen. Die Partei löste schließlich den politischen Apparat der MOI (Main d'Œuvre Immigrée) auf, gliederte die jüdische Sektion der MOI aus und unterstellte sie direkt dem Zentralkomitee. Ein großer Teil der in Frankreich gebliebenen jüdischen Résistants stimmte dieser als integrativ definierten (und auch häufig so rezipierten) Marginalisierungspolitik, die sich in der Geschichtsschreibung fortsetzte, zu oder nahm sie stillschweigend hin.[26] Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Widerstand von Juden in Frankreich, die in den 80er Jahren einsetzte, widmete sich nun allerdings vorwiegend dem Anteil der (vor allem osteuropäischen) jüdischen Immigranten am kommunistischen Widerstand. Neben dem ehemaligen Résistant Adam Rayski sind es vor allem Angehörige der »zweiten Generation«, die sich dem Thema widmen und die (mehr oder weniger) subjektiv gefärbten Darstellungen der ehemals Beteiligten durch wissenschaftliche Forschung und kritische Analyse ergänzen.[27]

Trotz der Ausgrenzung der jüdischen Immigrantinnen und Immigranten aus der offiziellen Geschichtsschreibung der Partei erschienen nach 1945 einzelne autobiographische Berichte und Dokumentationen zu ihrer Beteiligung am Widerstand (vor allem) der Kommunistischen Partei, wie etwa die Biographien- und Dokumentensammlungen von David Diamant, die von Jacques Ravine gesammelten und publizierten Berichte und Dokumente, der Bericht »eines jüdischen Freischärlers« von Abraham Lissner, die Dokumentation der jiddischen und französischen Untergrundpresse der jüdischen Sektion der MOI, die Autobiographien von Adam Rayski und Louis Gronowski, die kritische Darstellung von Annie Kriegel und die in Romanform verfaßte Geschichte der 35. Brigade der FTP-MOI in Toulouse von Claude Lévy.[28]

In auffallendem Gegensatz zur vergleichsweise umfangreichen Aufarbeitung des Widerstands und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Widerstand von Juden in Osteuropa und Frankreich steht die wissenschaftliche, aber auch die (publizierte) (auto-)biographische und dokumentarische Beschäftigung mit diesem Thema in anderen ehemals deutsch besetzten Ländern. Zur Beteiligung von Juden am Widerstand in Belgien erschienen bislang im wesentlichen drei größere Publikationen: die zweibändige Studie von Maxime Steinberg, die Sammlung von Zeitzeugenberichten ehemaliger jüdischer Partisanen, »Partisans armés juifs. 38 témoignages«, und Viviane Teitelbaum-Hirschs Darstellung der Rettung jüdischer Kinder unter anderem durch das jüdische Selbstschutzkomitee CDJ (Comité de Defense des Juifs).[29] Daneben existieren kleinere Broschüren und einige Aufsätze.[30]

In den Niederlanden begann die Beschäftigung mit dem Widerstand von Juden Anfang der 80er Jahre mit dem Band »Joods Verzet« (Jüdischer Widerstand) von Jac van de Kar[31], dem schließlich fast zehn Jahre später Ben Brabers Darstellung von »Joden in verzet en illegaliteit«[32] (Juden in Widerstand und Illegalität) folgte. Wichtige Vorarbeiten zur Erforschung des Widerstands von Juden in den Niederlanden leistete der holländische Historiker Jacob Presser, der Verfasser von »Ondergang«, dem Standardwerk über die Vernichtung der holländischen Juden.[33]

Die Erforschung des jüdischen Widerstands in Ungarn wurde bislang in Israel geleistet, da die kommunistische Geschichtsschreibung eine spezifisch jüdische Fragestellung nicht zuließ. Einzelne bisher erschienene Arbeiten, vor allem die Studien von Asher Cohen[34], beschäftigen sich mit den Aktivitäten der zionistischen Jugendbewegungen. Die Beteiligung von Jüdinnen und Juden am kommunistischen Widerstand in Ungarn ist meines Wissens noch nicht erforscht. In deutscher Übersetzung erschien 1996 der Erinnerungsbericht von Tusia Herzberg, einer polnischen Widerstandskämpferin, die nach Ungarn flüchtete und sich in Budapest am Widerstand beteiligte.[35] Wichtige Einblicke in den Alltag und die Arbeit der zionistischen Jugendbewegungen in Budapest gewährt der Briefwechsel zwischen deren Aktivisten und Vertretern der Zentrale des Hechaluz (der zionistischen Pionier-Jugendbewegungen) in Genf. Diese Korrespondenz befindet sich in Teilen im Archiv von Moreshet in Givat Haviva, im Privatarchiv von Heini Bornstein und im Archiv von Lohamei Haghettaot.

1997 erschien in Israel ein autobiographischer Bericht von Heini Bornstein über die Aktivitäten der Vertreter der Welt-Hechaluz-Zentrale (Zentrale der zionistischen Jugendbewegung) in Genf, der an Hand bisher unveröffentlichter Dokumente und der persönlichen Erinnerungen des Autors erstmals detailliert die Rettungs- und Hilfsaktionen der Vertretungen des Hechaluz und des Joint Distribution Committee (amerikanische jüdische Hilfsorganisation) in der Schweiz für den jüdischen Widerstand in mehreren besetzten Ländern darstellt.[36] Eine erste Darstellung des Widerstands von Juden in den besetzten Ländern Europas in deutscher Sprache veröffentlichte Arno Lustiger 1994.[37]

Die Rolle, die Frauen im Widerstand gegen die deutsche Besatzung und »Endlösung« spielten, stößt seit einigen Jahren auf ein gewisses Interesse von seiten der Historikerinnen in verschiedenen Ländern. Mitte der 80er Jahre zählte Rita Thalmann auf dem Pariser Symposion über die Beteiligung von Juden an der Resistance 17 Werke zum Thema Frauen im französischen Widerstand, von denen 13 bereits vor 1971 erschienen waren.[38] Florence Hervé bemerkt 1997 in ihrer vergleichenden Untersuchung über deutsche und französische Frauen im Widerstand, daß in Frankreich zwischen 1972 und 1989 fünf ausführliche Darstellungen der Resistance erschienen, in denen Frauen zu Wort kommen und/oder die sich auf Frauen beziehen.[39] Die von Thalmann und Hervé genannten Arbeiten und Dokumentationen handeln von französischen Frauen, die sich am Widerstand beteiligten. Jüdische Frauen kommen darin vor, werden jedoch weder eigens als solche benannt, noch wird die Spezifik ihrer Situation und ihres Handelns thematisiert. Eine wissenschaftliche Literatur über die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand ist noch immer nicht oder nur marginal vorhanden. Arbeiten wie Sabine Zeitouns Dissertation über die Aktivitäten des jüdischen Kinderhilfswerks OSE (Œuvre de Secours aux Enfants) unter der deutschen Besatzung in Frankreich implizieren thematisch bedingt eine Darstellung und Erforschung des hohen Anteils von Frauen an den Widerstandsaktivitäten der untersuchten Organisation. Den Schwerpunkt der Studie aber bilden Tätigkeit und Politik von OSE und nicht dessen weibliche Mitarbeiter. Ähnliches gilt für Polen: Die große Bedeutung etwa der Emissärinnen des jüdischen Widerstands oder die wichtige Rolle, die Frauen in den Untergrundführungen in diversen Ghettos spielten, spiegelt sich in der Forschungs- wie in der Memoirenliteratur wider, wird jedoch nicht eigens thematisiert und untersucht. Erste Vorarbeiten zu einer Untersuchung dieses Themenbereiches habe ich in meinem 1989 erschienenen Band »Sag nie, du gehst den letzten Weg. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung« geleistet.[40]

Weder in Belgien noch in den Niederlanden und meines Wissens auch nicht für Ungarn wurde bislang die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand untersucht und/oder dokumentiert. In der Geschichtsschreibung des jüdischen Widerstands in diesen Ländern tauchen Frauen auch auffallend weniger häufig und weniger explizit auf als in den Arbeiten über Frankreich und Osteuropa.

Allgemein kann festgestellt werden: Widerstandskämpferinnen kommen in der allgemeinen Literatur über den Widerstand von Juden je nach Land mehr oder weniger ausführlich vor, doch weder wird ihre spezifische Rolle darin dargestellt, noch werden ihre Herkunft, Motivationen, Eigenarten etc. erforscht. In der Erforschung des Widerstands von Juden ist ein gewisser Anteil von weiblichen Autoren festzustellen, und in den Arbeiten dieser Historikerinnen werden häufig, doch nicht immer, die schriftlichen und mündlichen Aussagen weiblicher Beteiligter berücksichtigt. Dies gilt jedoch weitgehend auch für die Forschungsarbeit männlicher Historiker des Widerstands von Juden. Es zeigt sich allerdings, daß in den Studien, die von ehemaligen Widerstandskämpfern und Überlebenden der Shoa verfaßt wurden, sowohl die Zeugnisse von Frauen als Quellen stärker berücksichtigt als auch die Beteiligung der Frauen am und ihre Bedeutung für den Widerstand expliziter erwähnt werden. Um so stärker fällt die fast völlige geschlechtsspezifische Ignoranz der neuesten Literatur auf, die versucht, Bedingungen, Genese, Formen des Widerstands von Juden über die historische Darstellung hinaus kritisch zu analysieren. Weder in der umfassenden Arbeit von Maxime Steinberg über den Widerstand der Juden in Belgien noch in der detaillierten Studie von Asher Cohen über den Widerstand der zionistischen Jugendbewegungen in Ungarn, weder in den diversen Beiträgen zum Thema in den neueren Bänden der Yad Vashem Studies noch etwa in dem von Asher Cohen und Yehoyakim Cochavi herausgegebenen Sammelband über den Widerstand der zionistischen Jugendbewegungen im besetzten Europa[41], noch in den in »Le Monde Juif« publizierten Forschungsergebnissen werden Spezifik und Bedeutung der weiblichen Beteiligung am Widerstand von Juden berücksichtigt.

Insgesamt gilt für die Forschung über die Beteiligung von Frauen am Widerstand allgemein und am Widerstand von Juden im besonderen: Initiiert durch die neue Frauenbewegung und deren Interesse an der (Sozial-)Geschichte der Frauen, entstand in den letzten 20 Jahren eine gewisse Beschäftigung auch mit diesem speziellen Forschungsbereich. Das neu erwachte (primär weibliche) Interesse an der Rolle, die jüdische Frauen im Widerstand spielten, korrespondiert mit einem etwa im selben Zeitraum neu entdeckten Interesse am Widerstand von Juden insgesamt. Diese parallele Entwicklung drückte sich zum Beispiel 1984 auf dem ersten französischen Symposion über die Beteiligung der Juden an der Résistance dadurch aus, daß den Frauen ein eigener Block gewidmet wurde. Umgekehrt beschäftigte sich eine große Sektion der Jerusalemer Konferenz von 1995 über Frauen in der Shoa mit der Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand. Dennoch ist festzustellen, daß einerseits in der allgemeinen wissenschaftlichen Literatur über den Zweiten Weltkrieg die Teilnahme von Frauen am Widerstand noch immer bestenfalls eine marginale Rolle spielt und daß andererseits in der internationalen Frauenforschung der Bereich Frauen im Widerstand und noch viel mehr das Thema jüdische Frauen im Widerstand gleichfalls eine Randexistenz führt.

Die Historikerinnen und Historiker, die sich mit dem Widerstand allgemein und dem von Juden im besonderen beschäftigen, beklagen, von Frankreich bis Ungarn und zum Teil auch in bezug auf Polen, den Mangel an schriftlichem Quellenmaterial. Die Conditio sine qua non der konspirativen Tätigkeit ist es, keine Spuren zu hinterlassen. Zu den grundlegenden Regeln der Illegalität gehörte es, möglichst kein schriftliches Material anzulegen oder gar zu sammeln. Dazu kommt, daß die ehemaligen Illegalen die Gesetze der Konspiration teilweise so tief verinnerlicht haben, daß es ihnen noch heute schwerfällt, Namen und Adressen zu nennen und über bestimmte Dinge zu sprechen. Häufig haben sie derlei Fakten auch vergessen, auf Grund eines bewußten Aktes des Vergessens, nach dem Sicherheitsgrundsatz: »Was ich nicht weiß, kann die Gestapo selbst mit der schlimmsten Folter nicht aus mir herauspressen.« Zudem haben viele von ihnen die Erfahrung gemacht, daß ihre Aktivitäten auch von der europäischen Nachkriegsgesellschaft nicht unbedingt positiv registriert wurden. Der französische Historiker Claude Collin faßt die Schwierigkeiten, über den Widerstand zu arbeiten, treffend in der Bemerkung zusammen, es gebe zu diesem Thema aus einleuchtenden Gründen kaum Spüren, aber noch immer starke Emotionen.[42]

An schriftlichen Quellen habe ich für diese Untersuchung verwendet: Rechenschaftsberichte und Kommuniques von Gruppen und Organisationen, die sowohl nach einzelnen Aktionen als auch, vor allem, während oder direkt nach der Befreiung verfaßt wurden; illegale Zeitschriften, Aufrufe, Flugblätter etc.; Tagebücher und Briefe aus Ghettos und Gefängnissen; nach der Befreiung erstellte Vorschlagslisten für Ordensverleihungen und die Personaldaten auf diesen Listen; Personendossiers, die von Widerstandskämpfern in führender Position über im Kampf gefallene und ermordete Kameradinnen und Kameraden erstellt wurden und für Überlebende, die sie für eine Ordensverleihung vorschlugen; Berichte, die von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern in den ersten Monaten und Jahren nach der Befreiung verfaßt wurden. Daneben benutzte ich Prozeßakten, Aussagen angeklagter Kriegsverbrecher gegenüber Verhörbeamten oder Zellengenossen im Gefängnis und Akten der deutschen Sicherheitsorgane und der kollaborierenden Länderpolizeien.

Klassische Quellen, wie Prozeßakten, die für die Erforschung des Widerstands im allgemeinen herangezogen werden, sind für die Untersuchung des Widerstands von Jüdinnen und Juden nur teilweise verfügbar. Vielen jüdischen Widerständlern in Westeuropa wurde kein Prozeß gemacht, da man sie direkt in die Vernichtungslager deportierte; Ghettokämpferinnen und -kämpfer in Osteuropa wurden gleichfalls deportiert, fielen im Kampf oder wurden bei ihrer Gefangennahme erschossen, auch ihnen wurde kein Prozeß gemacht. Aus denselben Gründen liegen auch im Vergleich zu nichtjüdischen Widerständlern wenige letzte Briefe jüdischer Kämpferinnen und Kämpfer vor: Aus den Vernichtungslagern konnte man keine Abschiedsbriefe schreiben und ebensowenig war man dazu, aus anderen Gründen, im Ghetto in der Lage. Die letzten Briefe der Angeklagten im Prozeß gegen die Pariser Kampfgruppen der MOI, der letzte Brief des belgischen jüdischen Widerstandskämpfers Shmuel Potasznik und der des Kommandanten des Warschauer Ghettoaufstands, Mordechai Anielewicz, stellen eher Ausnahmen dar. Angehörige des jeweiligen nationalen oder des nichtjüdischen kommunistischen Widerstands hatten meist Verwandte und Freunde, denen sie persönliche Schriften, Fotos, Familienerinnerungen anvertrauen konnten und die sie für sie aufbewahrten. Die Verwandten, Freundinnen und Freunde der jüdischen Widerstandsaktivistinnen und -aktivisten waren entweder bereits deportiert worden oder lebten selbst, meist nur mit dem Nötigsten ausgestattet, in einem Versteck. Aus diesem Grund verfügen überlebende jüdische Résistants und die einschlägigen Archive auch über keine oder wenige persönliche Dokumente.

Die Schwierigkeiten, denen sich eine Geschichtsschreibung des Widerstands von Juden gegenübersieht, vervielfältigen sich noch in der Erforschung der Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand. Frauen werden in der Literatur zwar, sofern sie eine besonders wichtige Rolle spielten oder eine ungewöhnlich hochrangige Funktion innehatten, erwähnt, sie werden jedoch seltener als Männer mit Biographien ausgestattet. Sie tauchen häufig aus dem Nichts auf und verschwinden wieder, ohne daß man etwas über ihr Ende oder Weiterleben erfährt. Der Mangel an Quellen ist hier noch größer als zum Widerstand von Juden allgemein. Ich habe für diese Untersuchung das bereits genannte Quellenmaterial auf Aussagen über Frauen überprüft. So geben zum Beispiel die Aktionsberichte der 35. Brigade der FTP-MOI in Toulouse für einen bestimmten Zeitabschnitt in verschlüsselter Form an, welche Mitglieder der Brigade welche Aktionen durchgeführt haben.[43] In den in öffentlichen und privaten Archiven angelegten Personendossiers finden sich auch Unterlagen zu einzelnen jüdischen Widerstandskämpferinnen, wie, von ihren ehemaligen Vorgesetzten verfaßte, Bestätigungen und Würdigungen ihrer Teilnahme am Widerstand, biographische Notizen, gelegentlich auch Polizeiakten, Gerichtsurteile, Kopien von Eintragungen in Eingangsbücher von Gefängnissen, Hinrichtungsbescheide und Sterbeurkunden. Als weitere Quelle dienten mir Briefe und Tagebücher von jüdischen Widerstandskämpferinnen aus der Zeit der Besatzung; speziell an weibliche Aktivisten adressierte Anweisungen zu Sicherheitsregeln. und Arbeitsanleitungen; Artikel in der illegalen Presse und Aufrufe, die sich direkt an Frauen wenden, sowie von Frauen verfaßte oder unterzeichnete Artikel und Aufrufe.

Als die ertragreichste und wichtigste Quelle für diese Untersuchung erwiesen sich, neben den schriftlichen Berichten Überlebender, die ausführlichen Interviews, die ich mit ehemaligen jüdischen Widerstandskämpferinnen geführt habe, und ihre schriftlichen Antworten auf meinen Fragebogen. 28 ehemalige jüdische Widerstandskämpferinnen haben, zum Teil ausführlich, auf den Fragebogen geantwortet. Mit 52 ehemaligen jüdischen Widerstandskämpferinnen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei (dem »Protektorat Böhmen und Mähren« und der Slowakei), Österreich und Jugoslawien und einer Frau aus der Gruppe der Fallschirmspringer aus Palästina habe ich eingehende Interviews geführt. Einige dieser Frauen konnte ich über mehrere Jahre hinweg immer wieder befragen und das Thema in informellen Gesprächen mit ihnen vertiefen. Ich habe daneben auch sieben ehemalige jüdische Widerstandskämpfer aus Frankreich, Belgien, Ungarn und Deutschland befragt, teils in Interviewform, teils in informellen Gesprächen. Ein ehemaliger Gruppenleiter des Haschomer Hazair aus Polen vermittelte mir über die einschlägige Literatur hinausgehende Einblicke in Struktur und Ideologie der linkszionistischen Jugendbewegung im Polen der 30er Jahre.

Die meisten verfügbaren schriftlichen Quellen sind nur mit Einschränkungen und unter Vorbehalten zu verwenden. Eine zum Beispiel von Raul Hilberg, aber auch von Peschanski, Courtois und Rayski in »L'Affiche rouge« vertretene Bevorzugung deutscher beziehungsweise französischer Polizeiakten auf Grund einer unterstellten Objektivität dieses Materials ist nicht nachvollziehbar.[44] Auch die deutschen und kollaborierenden Sicherheitsbehörden vertraten eigene Interessen, nicht alle Geschehnisse wurden in Akten festgehalten, und nicht alles, was in Akten festgehalten wurde, muß in Wahrheit genau so geschehen sein. Leopold Trepper und Gilles Perrault weisen an Hand des Umgangs verschiedener deutscher Sicherheitsapparate mit der »Roten Kapelle« nach, wie sehr interne Konkurrenz und Machtinteressen die Rapporte beeinflußten, die der jeweilige Dienst nach Berlin sandte.[45] Claude Collin, der Aktionskommuniques von Einheiten der FTP-MOI mit den entsprechenden Polizeiakten verglich, stellt fest, daß die Sicherheitsorgane untertreiben, wo die Resistance übertreibt.[46] Beide Arten von Rapporten sind im Interesse der Verfasser beziehungsweise deren Auftraggebern geschrieben: Die Resistance hat ein Interesse daran, sich als aktiv und erfolgreich darzustellen, während die Polizei nicht zugeben kann, daß sie keine absolute Kontrolle über ihren Zuständigkeitsbereich hat.

Neben taktischen Manipulationen von Akten spielen auch Verfälschungen, die durch Vorurteile entstehen, eine Rolle. Ein eklatantes Beispiel für die von Ressentiments gefärbte Darstellung jüdischen Widerstands in deutschen Berichten hefern die Aussagen von Jürgen Stroop über den Warschauer Ghettoaufstand.[47] Der SS-Brigadeführer verfaßte vom 19. April bis zum 24. Mai 1943 »Tägliche Meldungen« über den Fortgang der von ihm geleiteten »Aktion«. Seine Sprache wird im Verlauf der Kämpfe zusehends ausfallender. Er beschränkt sich nicht auf den üblichen Sprachgebrauch, Widerstandskämpfer als »Banditen« und »Terroristen« zu bezeichnen, er hat es, macht er seinen Vorgesetzten deutlich, mit »Untermenschentum« zu tun, mit »Kreaturen«, die sich »in Schlupflöcher verkriechen« und versuchen, die Männer der Wehrmacht und Waffen-SS »umzulegen«.[48] Gleich dreimal (am 3., 8. und 13. Mai 1943) berichtet Stroop in seinen »Täglichen Meldungen« und noch einmal in seinem zusammenfassenden Bericht an den Höheren SS- und Polizeiführer Ost, Friedrich Krüger, Jüdinnen hätten aus ihren Schlüpfern geladene und entsicherte Pistolen beziehungsweise eine Eierhandgranate gezogen.[49] Er scheint von diesem Bild besessen. Seinem Zellengenossen im Warschauer Mokotow-Gefängnis, einem von der kommunistischen Regierung angeklagten Angehörigen der Armia Krajowa (Heimatarmee), erzählte Stroop mehrmals von den »beidhändig« schießenden »Mädels« der »Chaluzzenbewegung«, die sein männliches Selbstvertrauen offenbar erschütterten.[50] Die »Täglichen Meldungen«, der abschließende Bericht von SS-Brigadeführer Jürgen Stroop und seine späteren Aussagen im Gefängnis liefern anschauliche Belege für den Antisemitismus, die generelle Menschenverachtung und die Misogynie dieses Mannes. Als Quelle für eine Geschichte des Warschauer Ghettoaufstands sind sie jedoch nur von eingeschränktem Nutzen. Joseph Wulf macht in seinem Dokumentenband »Das Dritte Reich und seine Vollstrecker« durch eine einfache Gegenüberstellung die Schwierigkeiten einer Geschichtsschreibung des jüdischen Widerstands und die Schwächen, Beschränkungen und Gefahren deutlich, die in den Quellen liegen: Er dokumentiert für jeden Tag des Aufstands im Warschauer Ghetto den Bericht von Stroop zu diesem Tag und – so vorhanden – die jeweiligen Bulletins der ZOB, der jüdischen Kampforganisation, ergänzt durch persönliche Berichte von Aufständischen. Diese unterschiedlichen Dokumente zeigen, daß es keine objektiven Quellen zu diesem Forschungsbereich gibt und geben kann.[51]

Auch der Bericht des SS- und Polizeiführers Katzman über die Liquidierung und den Widerstand der Juden in Galizien ist dermaßen gefärbt von einem Antisemitismus auf »Stürmer«-Niveau, daß sich seriöse Historiker fragen sollten, was von diesem Text als »objektiver Quelle« zu halten ist.[52] Selbst der vergleichsweise neutrale Bericht des Königsberger Propagandaamtes an das Reichspropagandaministerium in Berlin über die Liquidierung des Bialystoker Ghettos und den Ghettoaufstand weist in beinahe jedem zweiten Satz sachliche Fehler auf, begonnen damit, daß der Name des Leiters der Liquidierungsaktion, Odilo Globocnik, falsch geschrieben wird.[53]

Die beinahe ausschließliche Benutzung deutscher Quellen führte Raul Hilberg zu der Behauptung: »Das Reaktionsmuster der Juden ist durch ein nahezu vollständiges Fehlen von Widerstand gekennzeichnet. In auffälligem Gegensatz zur deutschen Propaganda sind die Zeugnisse eines – offenen oder versteckten – jüdischen Widerstands äußerst rar. Nirgends in Europa verfügten die Juden über eine Widerstandsaktion, nirgends besaßen sie Pläne für bewaffnete Aktionen oder auch nur für eine psychologische Kriegsführung.«[54] Diese angesichts der historischen Realität nicht haltbare Behauptung, die dem Autor zugleich als Verdikt dient, stützt er auf die Aussagen von drei hochrangigen Vollstreckern der »Endlösung«: von dem Bach, Stroop und Katzman. Hilberg begann mit seiner Arbeit an »Die Vernichtung der europäischen Juden« 1948 und legte die umfassende Studie 1961 vor. Es ist ihm zugute zu halten, daß zu diesem Zeitpunkt eine Erforschung des jüdischen Widerstands noch kaum existierte. Es lagen aber sehr wohl Quellen vor, die Hilberg offenbar nicht kannte und nicht berücksichtigte. Die Tatsache, daß ein so bedeutender und seriöser Forscher wie Raul Hilberg in einem Bereich, der nicht von den von ihm bevorzugten Quellenbeständen abgedeckt werden kann, zu geradezu absurden Fehlschlüssen gelangte, führte dazu, daß sich Forscherinnen und Forscher über den Widerstand von Juden einem gewissen Legitimationszwang ausgesetzt sahen.

Auch bei der Verwendung der jüdischen Quellen ist Vorsicht geboten. Claude Collin, Historiker des jüdisch-kommunistischen Widerstands in Frankreich, verweist darauf, daß die von den Organisationen verfaßten Rechenschafts- und Tätigkeitsberichte sich nicht immer streng an das tatsächlich Erreichte halten: Jede Organisation schreibt sich möglichst viele Aktionen zu, in dem Bemühen, die eigene Bedeutung größer erscheinen zu lassen als die anderer Organisationen. Diese Dokumente, so Collin, »sind nicht völlig aus der Luft gegriffen, sie erfinden keine Aktionen, die nicht stattgefunden haben, aber sie übertreiben, sie vergrößern und verschönern das, was in der Realität existierte, sie rationalisieren, was sich dem Zufall verdankte, sie systematisieren, was nur gelegentlich vorkam, sie schreiben sich Aktionen zu, die manchmal auf das Konto anderer gingen.«[55]

Ähnliche Einschränkungen gelten für die Personendossiers über gefallene und deportierte Angehörige des Widerstands und die autobiographischen Berichte, die nach der Befreiung verfaßt wurden. Der Impetus, diese Berichte zu verfassen, war weniger das Bedürfnis, das eigene Handeln darzustellen, als das, die Leistungen der Gruppe oder Bewegung, der die Verfasserin oder der Verfasser angehörte, zu dokumentieren und, häufig auch in Konkurrenz zu anderen Gruppen und Bewegungen, hervorzuheben. So wird etwa in den Texten von Mitgliedern der linkszionistischen Jugendbewegung Haschomer Hazair die Initiative und Führung des jüdischen Widerstands in einer Stadt beziehungsweise einem Ghetto vor allem dem Haschomer Hazair zugeschrieben, während Mitglieder der zionistischen Jugendbewegung Dror in ihren Berichten der eigenen Bewegung diese Rolle zuweisen und kommunistische Autorinnen und Autoren wiederum die einzigartige Bedeutung der Kommunisten für den Widerstand hervorheben. Dieses Phänomen ist nicht nur in den Quellen zum jüdischen Widerstand zu finden, sondern kennzeichnet die Kommuniqués aller Widerstandsorganisationen und die meisten in der ersten Zeit nach der Befreiung geschriebenen (autobiographischen) Zeugnisse ehemaliger Widerständler. Mit Blick auf die machtpolitischen Interessen der Nachkriegsära wurden die in einer bestimmten Phase des Krieges von Sektoren des jeweiligen Widerstands praktizierte Bündnispolitik und die darin von den Beteiligten erlebte Solidarität über Partei- und Organisationsschranken hinweg den partikularen Interessen der einzelnen Parteien oder Organisationen untergeordnet oder gänzlich geopfert.

Eine wichtige Quelle für die Erforschung des jüdischen Widerstands bilden die Aussagen von Überlebenden. Von Ausnahmen abgesehen, sind sich die Historikerinnen und Historiker des Widerstands, und hier vor allem des jüdischen Widerstands, einig über den Wert der Zeitzeugenaussagen für ihre Forschung. Trotz – und unter Berücksichtigung – aller gebotenen Zweifel an der Brauchbarkeit von oral history verweisen die Historikerinnen und Historiker des Widerstands darauf, daß in ihrem Bereich die Aussagen der ehemals Beteiligten unverzichtbar sind: Nur sie können – mit allen Einschränkungen, Mängeln und Fehlern – die Geschichte des Widerstands rekonstruieren, denn sie haben diese Geschichte gemacht. Der Widerstand von Jüdinnen und Juden gegen die deutsche Besatzung und »Endlösung« war kein Kampf von großen Armeen mit Heerführern und Stäben gegen eine andere Armee. Dem Widerstand der Jüdinnen und Juden fehlte es an Adjutanten, die Tagesberichte verfaßten, und an Kriegsberichterstattern, die ihren Kampf dokumentierten. Dafür waren die meisten Aktivistinnen und Aktivisten aktiv und bewußt am Geschehen beteiligt. Sie führten nicht blind Befehle irgendwelcher Kommandanten aus, sondern übernahmen die Verantwortung für das, was sie in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich taten. Liegen keine Tages- oder Aktionskommuniques vor (die vor der Befreiung, wenn überhaupt, eher sporadisch als regelmäßig erstellt wurden), wissen nur noch die Beteiligten, was sie wie gemacht haben. Die Polizeiakten können Auskunft darüber geben, welchen Schaden ein Anschlag anrichtete, wie viele Personen dabei verletzt oder getötet wurden, wo welcher Zug zum Entgleisen gebracht wurde etc., wo sich welches von der Polizei observierte Mitglied des Untergrunds wann mit wem traf und wann jemand verhaftet wurde. Sie geben jedoch keine Auskunft darüber, warum eine Aktion durchgeführt, wie sie geplant, wie sie ausgeführt wurde und welche Folgen sie für die Ausführenden hatte. Und sie geben schon gar keine Auskunft darüber, wer diese »Terroristen«, »Chaluzzenmädels«, Freischärler und Partisaninnen waren, woher sie kamen, wie sie sich dem Widerstand anschlossen oder warum sie ihn organisierten.

Die Aussagen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen eignen sich, wie Collin feststellt, nicht für Zeitangaben und chronologische Bestimmungen.[56] Das Gedächtnis der Menschen wird zudem durch das mitgeprägt, was sie zwischen dem befragten Zeitraum und dem Zeitpunkt der Befragung erlebt, gelesen, gehört, getan haben. Erinnerung ist, das ist allgemein bekannt, selektiv, und sie verwandelt ihr Material im Laufe der Zeit. Diese Schwächen mündlicher Berichte, die 50 Jahre nach dem Geschehen erfolgen, sind auch vielen Befragten bewußt. Andererseits steigert sich mit zunehmendem Alter die Erinnerungsfähigkeit an Ereignisse der Kindheit und Jugend. Lange Zeit Verdrängtes steigt an die Oberfläche. Und, darauf verweist Claude Collin, die große zeitliche Distanz gibt den Befragten auch eine gewisse innere Distanz, sie müssen die Ereignisse nicht mehr vergrößern oder heroisieren.[57] Ich bin bei den Interviews, die ich für diese Untersuchung geführt habe, häufig auf eine lakonische Haltung, Skepsis gegenüber gängigen Erklärungen und ein großes Maß an Selbstironie gestoßen. Catherine Varlin, eine der wenigen Frauen, die eine militärische Führungsposition in der Resistance einnahmen, betont zum Beispiel, daß vieles, das nachträglich als absichtsvoll und durchdacht dargestellt wurde, in der Situation selbst oft dem Zufall geschuldet war oder von der Disposition des Individuums abhing. Sie fügt hinzu: »Unsere Erfahrung zu beschreiben, ist sehr schwierig, denn sie besteht aus vielen Widersprüchen. Diese Erfahrung hat jeder anders erlebt und beschreibt sie daher auch anders. Das hat auch mit den verschiedenen Temperamenten der Menschen zu tun. Der Widerstand war eine sehr individuelle Erfahrung, denn wir waren keine Armee, die einem Befehl gehorcht, wir waren alle ständig verantwortlich.«[58]

Eine Darstellung von Zeitzeugen als bewußtlosen Sklaven ihrer verfälschten Erinnerungen tut den realen Menschen meist Unrecht. Weist ein Historiker, wie etwa Maxime Steinberg in seiner Studie über den jüdischen Widerstand in Belgien, die Brauchbarkeit mündlicher Zeitzeugenberichte generell zurück oder zieht die Aussagen von Überlebenden a priori in Zweifel, gewinnt seine Darstellung damit nicht automatisch an Objektivität. Seine Ablehnung kann auch einer Selbstüberschätzung geschuldet sein oder zu einer solchen führen.[59] Das Vertrauen in die Herstellbarkeit einer »objektiven« Geschichtsschreibung führt häufig auch zu einer vorgeblich »wissenschaftlichen« Kälte gegenüber dem Forschungsgegenstand. So sehr manche ältere Arbeiten über den Widerstand von Juden an einem unkritischen Umgang mit den Berichten der Überlebenden leiden und zur Heroisierung ihres Gegenstandes neigen, so wenig dient eine von wissenschaftlicher Arroganz und prinzipiellem Mißtrauen geprägte Herangehensweise der Suche nach der historischen Wahrheit. »Sehr schnell wurde mir klar«, schreibt Annette Wieviorka in ihrer Studie über den Widerstand jüdisch-kommunistischer Immigrantinnen und Immigranten in Frankreich, »daß die Zeitzeugenaussagen ihren eigenen, inneren Wert haben, daß sie nicht nur nützlich sind, um die Lücken zu schließen, die das schriftliche Quellenmaterial offenläßt; sie vermitteln ein grundlegendes Verständnis der Menschen und der Epoche. Einer tragischen Epoche, die noch nicht lange zurückliegt und über die mit kalter Distanz zu schreiben, mir nicht hilfreich scheint. Hier ist vielmehr Empathie vonnöten.« [60]

 

Im ersten Teil dieser Studie untersuche ich an Hand einzelner Länderbeispiele, was jüdische Frauen in welchen Organisationen des Widerstands getan haben, worin ihre verschiedenen Aufgaben bestanden, welche Funktionen sie innehatten, welchen Verlauf ihre »Karrieren« im Widerstand nahmen. Es handelt sich dabei um Frankreich, Belgien, die Niederlande, Ungarn und Polen. In allen diesen Ländern waren Jüdinnen und Juden in eigenen jüdischen und/oder den Widerstandsorganisationen der politischen Parteien und Bewegungen des entsprechenden Landes aktiv. Das Hauptgewicht meiner Untersuchung lege ich auf Frankreich und Polen. In Frankreich existierten nicht nur mehrere jüdische oder mehrheitlich aus Jüdinnen und Juden zusammengesetzte Widerstandsorganisationen, es wurden auch verschiedene Formen des Widerstands praktiziert, von der Rettung der Kinder über die Herstellung falscher Papiere bis zum bewaffneten Kampf. Der Widerstand von Jüdinnen und Juden bildete einen quantitativ wie qualitativ bedeutenden Sektor der Resistance. Polen wiederum stellte das Zentrum des jüdischen Widerstands in Europa dar: Hier lebten mehr Juden als in jedem anderen europäischen Land, hier war eine größere Anzahl der Juden politisch in jüdischen Parteien und Bewegungen organisiert, hier wurde die Vernichtungspolitik der deutschen Besatzer rascher, direkter und offener in Gang gesetzt und durchgeführt als in den westeuropäischen Ländern. Ich habe Frankreich, Belgien, die Niederlande, Polen und Ungarn nicht zuletzt auch deshalb als Länderbeispiele gewählt, weil mir die jeweiligen Sprachen, Französisch, Niederländisch und gesprochenes Jiddisch, verständlich sind beziehungsweise Literatur und teilweise auch Dokumente aus dem Polnischen, Hebräischen und Jiddischen in englischer, gelegentlich auch deutscher und französischer Übersetzung vorliegen und mir zudem freundlicherweise Interviews in hebräischer Sprache von Freunden gedolmetscht und Dokumente aus dem Hebräischen, Jiddischen und Polnischen von Freundinnen und Bekannten übersetzt wurden. Da inzwischen einige wichtige Aufsätze und Bücher über die Geschichte der ungarischen Juden im Zweiten Weltkrieg und den Widerstand der zionistischen Jugendbewegungen in englischer Übersetzung vorliegen und meine aus Ungarn stammenden Interviewpartnerinnen und -partner alle Deutsch sprechen, konnte ich trotz mangelnder Sprachkenntnisse zumindest einen gewissen Eindruck von der Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand in Ungarn gewinnen und vermitteln.

Um die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand in den von mir behandelten Ländern darstellen zu können, mußte ich zuerst erklären, unter welchen Bedingungen die jüdische Bevölkerung in dem jeweiligen Land lebte, welchen Repressalien sie unterworfen war und welchen Verlauf der Vernichtungsprozeß in dem jeweiligen Land nahm. Im Anschluß erläutere ich, welche Formen von Widerstand Juden in dem jeweiligen Land wählten, welche Organisationen sie selbst gründeten und welchen »gemischten« (aus jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern bestehenden) Verbänden sie sich anschlossen. Renée Poznanski bemerkt in ihrer Studie über die Juden in Frankreich während des Zweiten Weltkriegs, »die Juden« zum Thema zu machen bedeute, das Thema zu vervielfachen.[61] Dies gilt vor allem für Frankreich, aber auch, mit Einschränkungen, für Belgien und die Niederlande, für die westeuropäischen Staaten also, in denen neben der alteingesessenen »einheimischen« jüdischen Bevölkerung eine größere Zahl jüdischer Immigrantinnen und Immigranten lebte. In Polen, dessen jüdische Gemeinschaft homogener war, existierten gleichwohl große Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten, den verschiedenen Regionen (vor allem West- und Ostpolen) und den verschiedenen Glaubenshaltungen (von orthodox bis liberal). Die Tatsache, daß die große Mehrheit der in Frankreich und Belgien lebenden Juden aus osteuropäischen Ländern eingewandert war, hob, bis zum Beginn der antijüdischen Maßnahmen durch die deutsche Besatzungsmacht, gewisse Unterschiede zwischen den jüdischen Bevölkerungen in West- und Osteuropa auf.

Der Einmarsch der Deutschen änderte die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerungen in den verschiedenen Ländern in unterschiedlicher Weise. Die Besatzungmacht verhielt sich zum einen in Frankreich, Belgien und Holland anders als in Polen, sie verhielt sich zum andern aber auch innerhalb der besetzten westeuropäischen Länder gegenüber jüdischen Immigranten anders als gegenüber jüdischen Staatsbürgern des betreffenden Landes. Diese divergierende und an den nationalistischen und rassistischen Kriterien des Nationalsozialismus orientierten Vorgehensweisen führten bei der betroffenen Bevölkerung zu entsprechend unterschiedlichen Reaktionsweisen. Während die polnischen Juden in Paris bereits gejagt wurden, konnten sich die alten elsässisch-jüdischen Familien noch vormachen, sie seien nicht gemeint. Während in Frankreich auch jüdische Widerstandskämpfer noch im Herbst 1943 die Nachrichten über Vernichtungslager und Gaskammern für Greuelpropaganda hielten, lebten die Juden in Polen in mehr oder weniger unmittelbarer Nachbarschaft der Krematorien.

Das Beispiel Ungarns habe ich gewählt, um die Vielfalt jüdischen Widerstands darzustellen. Die Situation in Ungarn ist nicht mit der anderer besetzter Länder zu vergleichen. Ungarn wurde als Verbündeter des nationalsozialistischen Deutschland erst 1944 besetzt, und der Vernichtungsprozeß lief hier quasi im Zeitraffertempo ab. Der Prozeß von Erfassung, Aussonderung, Entrechtung und schließlich Deportation, der in anderen Ländern über drei Jahre hinweg Schritt für Schritt vollzogen wurde, wurde in Ungarn (mit Ausnahme von Budapest) binnen weniger Wochen abgewickelt. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Bedingungen, unter denen Widerstand sich entwickeln und geleistet werden konnte.

Um die verschiedenen Organisationsformen, die Ungleichzeitigkeiten und die divergenten Aktionsweisen des Widerstands von Jüdinnen und Juden in verschiedenen deutsch besetzten Ländern und damit die unterschiedlichen Arbeitsbereiche, Aufgaben und Funktionen der jüdischen Frauen im Widerstand verständlich zu machen, habe ich die Bedingungen aufgezeigt, unter denen der Widerstand von Jüdinnen und Juden in den einzelnen Ländern sich formierte und agierte. Ich stütze mich dabei auf die vorhandene Literatur zum Widerstand (von Juden) und meine eigenen Forschungsergebnisse zur Beteiligung der jüdischen Frauen am Widerstand.

Die Frage, wie hoch der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der jüdischen Widerstandsaktivisten war, erwies sich als nur in bezug auf einzelne Organisationen und auch hier nur schwer zu beantworten. Ich habe in jedem der einzelnen Länderkapitel versucht, an Hand von Vorschlagslisten für die Verleihung von Verdienstorden, von Gefallenenlisten und, sofern vorhanden, Mitgliederlisten von Widerstandsorganisationen, von Verhaftungsprotokollen, Aussagen ehemaliger Gruppenmitglieder und Namenszählungen in schriftlichen Berichten zu ermitteln, wie hoch in etwa der Anteil der Frauen an Widerstandsgruppen oder Zusammenschlüssen von Widerstandsorganisationen in den einzelnen Ländern war.

 

Im zweiten Teil dieses Bandes stelle ich die Ergebnisse meiner vergleichenden Untersuchung über jüdische Frauen im Widerstand vor. In fünf Kapiteln behandle ich die Themenbereiche: Herkunft, Familie, Jugend; Politisierung und Motivation; die Probleme und Gefahren des Alltags im Untergrund; die konkrete Arbeitspraxis im Widerstand und die damit verbundenen Gefühle und moralischen Haltungen; das Leben nach der Befreiung. Mein Interesse galt nicht nur dem Lebensabschnitt, in dem die Frauen im Widerstand aktiv waren, ich wollte auch die Vorgeschichte und den Hintergrund ihrer Aktivität erkennen. Ich wollte herausfinden, woher die Frauen, die im Widerstand aktiv waren, kamen, zu welcher Gesellschaftsschicht ihre Eltern gehörten; wie sie ihre Kindheit und Jugend erlebten; ob sie aus einem religiösen oder assimilierten, einem politischen oder unpolitischen Elternhaus kamen; welche Rolle Religion, Politik und die Tatsache, daß sie Mädchen waren, für ihre Entwicklung spielten. Ich habe untersucht, wie sie den Alltag im Untergrund organisiert und gestaltet haben, worin genau ihre verschiedenen Aufgaben bestanden und wie sie diese konkret ausführten. Ich habe nach Gefühlen und Ängsten gefragt und nach Strategien zur Bewältigung des täglichen Grauens. Und ich wollte wissen, was die Frauen nach der Befreiung taten, wie sie ihr Leben in der »Normalität« der Nachkriegsjahre gestalteten.

Im Kapitel »Herkunft: Familie, Kindheit, Jugend« untersuche ich die soziale Herkunft der Frauen, die religiöse und politische Orientierung ihrer Eltern, die Atmosphäre im Elternhaus, die Rolle, die die Mutter in der Familie und für die Entwicklung der Tochter spielte. Ich frage nach dem Mädchen, das die Frauen einmal waren, nach seinen Zukunftsträumen und ob die Frauen dieses Mädchen als eher angepaßt oder eher rebellisch erinnern, als jüdisch identifiziert oder assimiliert, als »Vaterkind« oder »Puppenmutter«. Ich untersuche den schulischen und beruflichen Werdegang der Frauen und ihre Konflikte mit dem weiblichen Rollenbild. Das Kapitel »Der Weg in den Widerstand: Politisierung und Motivation« handelt von der politischen Herkunft der jüdischen Widerstandskämpferinnen: von den Organisationen und Bewegungen, denen sie sich als Mädchen oder junge Frauen anschlossen, von der Frage, warum sie überhaupt in eine politische Organisation oder eine Jugendbewegung eintraten, was die politischen und ideologischen Inhalte dieser Organisationen waren und wie sich ihr Gruppenleben gestaltete. In diesem Kapitel untersuche ich des weiteren die Motivationen, die diese Frauen bewegten, Widerstand zu leisten, ihre unterschiedlichen Formen der Annäherung an, des »Hineinwachsens« in und der Rekrutierung für die Illegalität.

Im Kapitel »Der Alltag im Untergrund« untersuche ich die Bedingungen, die jüdische Frauen erfüllen mußten, um unter der deutschen Besatzung als Illegale überleben zu können: Wie beschafften sie sich falsche Papiere, konspirative Wohnungen und das nötige Einkommen? Über welches Aussehen und welche Kenntnisse (zum Beispiel der Landessprache und der katholischen Religion) mußten sie verfügen, welches Auftreten sich aneignen? Ich frage auch nach den persönlichen Bedürfnissen der Frauen, nach ihrer Einsamkeit, ihren Kontakten zur Familie oder dem Beziehungspartner. Ich frage nach den Sicherheitsregeln der Konspirativität, denen sie unterworfen waren, ob sie sich an (alle) diese Regeln hielten und warum sie bestimmte Regeln brachen. Das Kapitel »Die Praxis: Verstand und Gefühl« handelt von der konkreten Arbeit, die jüdische Frauen im Widerstand leisteten. Ich untersuche darin vor allem die Arbeit der Verbindungsagentinnen und Kurierinnen, einschließlich des Waffentransports und des Kundschafterdienstes, und die Arbeit der Frauen, die an der Rettung von jüdischen Kindern und Jugendlichen beteiligt waren. Ich habe mich auf diese beiden Bereiche konzentriert, weil sie einerseits die »typischen« Frauenbereiche darstellen und andererseits eine Erforschung dieser weiblichen Domänen im Widerstand deutlich macht, daß es sich hier um Aufgabenbereiche handelt, die für das Funktionieren sowohl des bewaffneten als auch des humanitären Widerstands unverzichtbar waren. Ich habe in diesem Kapitel auch danach gefragt, wie die Frauen, die in ihrer Arbeit ständig ihr Leben riskierten, mit ihren Ängsten umgingen und mit persönlichen Problemen, die sich aus der Arbeit ergaben. Und ich habe last not least versucht, zumindest in Ansätzen der Frage nachzugehen, wie die jüdischen Widerstandskämpferinnen die Balance zwischen ihrem im Sinne ihrer Erziehung unmoralischen, aber unabdingbaren Verhalten im Widerstand – lügen, sich verstellen, töten – und ihren moralischen Ansprüchen halten konnten, wo sie gezwungen waren, von ihren moralischen Maßstäben abzuweichen, und ob und wie es ihnen gelang, dennoch nicht zu werden wie der Gegner.

Das letzte Kapitel schließlich fragt nach den Gefühlen, die jüdische Widerstandskämpferinnen bei der Befreiung empfanden, und nach dem Leben, das sie danach führten; nach den Schwierigkeiten, sich wieder »normal« zu verhalten, sich in eine Gesellschaft einzugliedern, die nicht nach ihren Erfahrungen und Erlebnissen fragte, die sich auf den Aufbau eines neuen Lebens konzentrierte, in eine Gesellschaft, die noch immer antisemitisch war und zunehmend antikommunistisch wurde, in eine Gesellschaft, die von Frauen erwartete, daß sie dem tradierten und nach den »Wirrnissen des Krieges« wiederbelebten Rollenbild entsprachen.