Die Buchdruckerin von Köln - Ingeborg Bayer - E-Book
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Die Buchdruckerin von Köln E-Book

Ingeborg Bayer

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Beschreibung

Eine mutige Frau auf den Spuren der Vergangenheit: Der historische Roman »Die Buchdruckerin von Köln« von Ingeborg Bayer als eBook bei dotbooks. Die Buchmesse zu Frankfurt, Anno 1497. Die junge Buchdruckerin Bela ist zum ersten Mal auf der größten Zusammenkunft ihrer Zunft. Mit staunenden Augen durchstöbert sie die Stände und lauscht den gelehrten Reden der Magister, als ihr durch Zufall ein altes Manuskript in die Hände fällt: die Geschichte der Bethseba aus dem Zeitalter der Kreuzzüge. Sofort ist Bela fasziniert von dieser Frau, die vor so vielen Jahrhunderten gelebt hat – und fühlt sich ihr auf unerklärliche Weiße verbunden. Aber verbirgt sich zwischen den Seiten möglicherweise ein Geheimnis? Noch dazu zeigt Bolas Piscator, ein geheimnisvoller Patrizier aus Belas Heimatstadt Köln, größtes Interesse an dem Manuskript. Was verbirgt der weitgereiste Geschäftsmann, über den in der Stadt am Rhein seit Jahren die unglaublichsten Gerüchte erzählt werden? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der spannende historische Roman »Die Buchdruckerin von Köln« von Ingeborg Bayer. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 673

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Über dieses Buch:

Die Buchmesse zu Frankfurt, Anno 1497. Die junge Buchdruckerin Bela ist zum ersten Mal auf der größten Zusammenkunft ihrer Zunft. Mit staunenden Augen durchstöbert sie die Stände und lauscht den gelehrten Reden der Magister, als ihr durch Zufall ein altes Manuskript in die Hände fällt: die Geschichte der Bethseba aus dem Zeitalter der Kreuzzüge. Sofort ist Bela fasziniert von dieser Frau, die vor so vielen Jahrhunderten gelebt hat – und fühlt sich ihr auf unerklärliche Weiße verbunden. Aber verbirgt sich zwischen den Seiten möglicherweise ein Geheimnis? Noch dazu zeigt Bolas Piscator, ein geheimnisvoller Patrizier aus Belas Heimatstadt Köln, größtes Interesse an dem Manuskript. Was verbirgt der weitgereiste Geschäftsmann, über den in der Stadt am Rhein seit Jahren die unglaublichsten Gerüchte erzählt werden?

Über die Autorin:

Ingeborg Bayer (1927–2017) studierte nach ihrer Ausbildung zur Bibliothekarin Medizin und Hindi. Bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, arbeitete sie in einem medizinischen Archiv. Ihre Romane, Theaterstücke und Kurzgeschichten wurden vielfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Preis der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem deutschen Jugendliteraturpreis und dem Österreichischen Staatspreis.

Ingeborg Bayer veröffentlichte bei dotbooks die historischen Romane:

»Ärztin einer neuen Zeit«

»Der Maler von Florenz«

»In den Gärten von Monserrate«

Weiterhin veröffentlichte sie bei dotbooks ihre Venedig-Trilogie »Die Töchter Venedigs« mit den Einzelbänden:

»Stadt der Tausend Augen«

»Stadt der blauen Paläste«

»Stadt der dunklen Masken«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2021

Dieses Buch erschien bereits 1997 unter dem Titel »Das schwarze Pergament« bei Droemer Knaur.

Copyright © der Originalausgabe 1997 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Ulia Koltyrina

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-585-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Ingeborg Bayer

Die Buchdruckerin von Köln

Roman

dotbooks.

Buchmesse

Sie sah den Fremden mit dem schleppenden Schritt, der sich, vom Main heraufkommend, den Buchständen näherte, nicht zum erstenmal.

Er war ihr bereits am Abend zuvor aufgefallen, als sie dabei war, ihre Bücher auf dem Tisch vor dem Haus auszulegen, in dem sie während der Messe in Frankfurt wohnen würde. Sie hatte ihn beobachtet, wie er durch die Leonhardspforte kam und an der Kirche kurz stehenblieb, um einer Gruppe von Pilgern zuzuschauen, die sich hier zum Aufbruch nach Santiago de Compostela versammelte. Sie sah ihn dann zwischen den Buchständen in Richtung Kornmarkt weitergehen. Bei der nächsten Querstraße verharrte er, als scheine er unschlüssig, welchen Weg er wählen solle. An einem der Büchertische blieb er stehen und unterhielt sich mit dem Händler. Aber ganz offensichtlich war dies kein Gespräch über Bücher – der Händler lachte, machte eine vage Handbewegung, die die ganze Stadt zu umfangen schien, und schob eine unzüchtige Gebärde nach, so daß es den Anschein hatte, als habe sich der Fremde nach den Frauenhäusern erkundigt. Die Auskunft schien diesen allerdings nicht befriedigt zu haben. Er zögerte, machte ein paar Schritte auf die Innenstadt zu, kehrte jedoch mit einer plötzlichen Wendung um. Er ging den gleichen Weg, den er gekommen war, wieder zurück, den Kopf in einer lässigen Haltung leicht zur Seite geneigt, als denke er nach. Aber als er sich Belas Stand näherte, sah sie, daß sein Gesicht vor Schmerz verzerrt war und die nachdenkliche Haltung ihre Ursache vermutlich darin hatte, daß er den Nacken nicht bewegen konnte.

Er sollte einen Wickel aus Kräutersud bekommen, dachte sie, während der Fremde an ihrem Stand vorüberging, ohne einen Blick auf ihre Bücher zu werfen. Einen heißen Wickel, und dann sollte ihm jemand den Rücken durchkneten. Vielleicht würde ihm auch Elefantenschmalz oder Skorpionöl Linderung bringen, überlegte sie, und eine Zaubersche würde vermutlich irgendwelche Heilsprüche parat haben oder den Sud von Mandragora einsetzen. Aber davon hielt sie nicht viel, ganz abgesehen davon, daß diese Pflanze nicht ganz ungefährlich war, wenn man sie falsch anwandte.

Soll ich die restlichen Fässer auch noch auspacken?

Sie erschrak und drehte sich um. Während sie sich mit Elefantenschmalz und Skorpionöl für einen völlig Fremden beschäftigte, hatte Franz, ihr Geselle, die Bücherfässer im Gewölbe ihres Quartiers aufgebaut: an falscher Stelle. Und überdies hatte er sie teilweise ausgepackt, obwohl auf ihrem Tisch schon jetzt der Platz knapp wurde.

Sie ging mit Franz in das Gewölbe und ordnete die Fässer neu, damit für die Drucker aus Köln, von denen viele in diesem Haus nächtigten, nun ein breiter Durchgang blieb. Dann eilte sie wieder zurück, weil sie das Gefühl hatte, daß mit diesem Fremden noch irgend etwas geschehen müsse.

Und so war es dann auch. Der Mann verharrte plötzlich, als sei dicht vor ihm ein Hindernis aufgetaucht, wandte sich nochmals stadteinwärts, rieb sich dabei mit der Hand den Nacken und drehte den Kopf von der einen Seite auf die andere, vermutlich um die Muskeln zu lockern. Er tat dies mit einer Selbstverständlichkeit, als befinde er sich nicht inmitten von Menschen, sondern bei sich zu Hause, und als sei es ihm völlig egal, was die Leute von ihm dachten, ganz so, als habe jemand, der mit einem schwarzen samtenen Leibrock mit hoher Krause, einer Hose aus Damast und einem mit Marder gefütterten Seidenmantel daherkam, dazu ein schwarzes samtenes Barett trug, das ganz gewiß zwanzig Gulden wert war, das Recht, sich so zu verhalten. Nachdem er das Ritual des Kopfdrehens mindestens fünfmal praktiziert hatte, hielt er inne und schaute auf seine Füße. Dann hob er ganz langsam den linken Fuß und bewegte ihn einige Male behutsam im Kreis. Bela folgte seinem Blick und sah, daß die Spitze des Schuhs leicht nach innen gebogen war und der Absatz erhöht, was vermutlich die Ursache für seinen schleppenden Schritt sein mochte.

Als er endgültig zum Main hinunterging, war sein Gang noch schwerfälliger als zuvor, und sie hatte den Eindruck, daß dieser Mann, der, seiner Kleidung nach zu urteilen, zu den Patriziern gehörte, von einer Einsamkeit umgeben war, gegen die kostbare Gewänder ganz gewiß keinen Schutz boten.

Als sie den Fremden jetzt – am Morgen des ersten Messetages – ein zweites Mal die Straße vom Main heraufkommen sah, schien es ihr, als handle es sich um einen anderen Menschen. Der Mann befand sich nun in einer größeren Gruppe, mit der er von Stand zu Stand ging, von den Nürnberger Druckern zu den Esslinger Druckern, von den Kölnern zu den Ulmern, von den Bambergern zu den Augsburgern. Die Männer verweilten jeweils einige Minuten an den Messeständen, lachten dabei, riefen sich Sätze zu, die Bela aus der Ferne nicht verstehen konnte, aber es mußten fröhliche Sätze sein, da diese Männer sonst ganz gewiß nicht eine solche Heiterkeit ausgestrahlt hätten. Einige Gänse liefen den Fremden über den Weg, kamen laut schnatternd auf sie zu, und der Mann mit dem schleppenden Schritt, der heute zu einem dunkelgrünen Gewand ein meergrünes Seidenbarett trug, wedelte belustigt mit einem Buch vor den Köpfen der Gänse hin und her, ehe er zwei Finger spreizte, um die Tiere zu verjagen. Lachend taten es ihm die anderen eifrig nach.

Bela ordnete ein zweites Mal an diesem Vormittag ihren Tisch, schob die Fabeln des Äsop, ihre letzte Neuerscheinung, in die vorderste Reihe, den Arzneikalender und die dicken Foliobände des »Missale Romanum« und des »Vocabularius iuris« in die zweite, die Heiligenbildchen dagegen, zu denen sie nie stand, versteckte sie am hinteren Rand des Tisches unter Notizpapier. Der Mann, der den Kopf heute hoch erhoben trug – der schleppende Schritt war kaum wahrzunehmen –, schien seine Einsamkeit, falls es sie überhaupt gegeben hatte, vergessen zu haben. Wie er so die Straße heraufkam, erschien er ihr wie ein König mit seinem Gefolge, es fehlte nur noch der Troß. Und heute benötigt er ganz gewiß keinen Nackenwickel oder Elefantenschmalz, dachte Bela belustigt, als die Gruppe näher kam.

Franz, der soeben dabei war, über ihrem Tisch eine Schnur zu spannen, um die Buchankündigungen festzumachen, stieg vom Stuhl und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Du solltest dazu lieber ein Tuch nehmen, rügte ihn Bela mit einem neugierigen Blick zu den Männern hinüber. Bücher mögen keine Schweißflecken auf ihrem Einband.

Franz verzog das Gesicht, wischte die Hände an seinem Wams ab und zupfte die Plakate gerade, so daß sie nun für jedermann gut sichtbar exakt über der Mitte des Tisches hingen.

Inzwischen unterhielt sich der Fremde mit einem vornehm gekleideten Mann auf französisch, mit einem anderen, dessen Garderobe und hoher Hut nach England verwiesen, auf englisch, so daß Bela das Gefühl hatte, inmitten der großen Welt zu sein. Sie steckte ihre Haare, die sich gelockert hatten, sorgfältig unter die Haube – schließlich war es egal, ob es sich um Fremde aus dem Ausland oder um Fremde aus Deutschland handelte, die diese Stadt am Main besuchten, entscheidend war, daß sie etwas kaufen wollten.

Sie ordnete abermals ihre Bücher um, den Vergil nun nach vorne, den Äsop dahinter, um die Aufmerksamkeit des Fremden auf ihren Stand zu lenken.

Aber Franz kniff die Augen zusammen und legte ihr die Hand auf den Arm. Bemüht Euch nicht, der wird nichts kaufen.

Woher willst du das wissen?

Franz wandte sich weg. Meinetwegen kann er zur Hölle gehen, sagte er dann brüsk.

Sie starrte ihn an, wortlos, zupfte beunruhigt an seinem Ärmel, während die Gruppe näher kam. Wer?

Nun, der dort, der gleiche, den Ihr auch meint.

Du meinst den mit dem ...

Ja, den mit dem dunkelgrünen Gewand und dem Seidenbarett.

Und weshalb soll er zur Hölle gehen?

Weil er hier bei den Büchern nichts verloren hat, sagte Franz zornig. Er soll dort hingehen, wo er hingehört.

Und wo gehört er hin?

Zu den Tuchern. Schaut ihn Euch doch an! Das Tuch für den Leibrock aus England, die Hose aus Brabant, das Seidenbarett vermutlich aus Italien.

Wenn du dich mit den Lettern genauso gut auskennen würdest wie ganz offensichtlich in der Mode, wäre es ein Segen, sagte Barbara sanft.

Franz wollte aufbrausen. Ich habe genau einmal aus Versehen eine rundgotische Letter mit einer Gotico-Antiqua verwechselt ...

Nicht hier! wehrte sie ab. Nicht jetzt! Im Moment wolle sie Geschäfte machen, auch mit einem Tucher, wenn es sich ergebe, der nichts mit den Druckern zu tun habe.

Er hat schon mit den Druckern zu tun, sagte Franz leise. Er ist Drucker, wenn auch kein normaler. Er kauft sein Papier beileibe nicht in Süddeutschland wie die meisten von uns. Er kauft es in der Nähe von Basel, in Oberitalien oder in Spanien, Galliziani-Papier. Im übrigen vertreibt er nicht nur die Buchblöcke wie wir, sondern er läßt für bestimmte Kunden die Einbände selbst anfertigen, so daß diese Kunden keine Mühe damit haben und er das Buch bis zum Schluß nicht aus der Hand geben muß. Und durch seinen Fernhandel mit den Tuchen hat er auch die Möglichkeit, seine Bücher nach Dänemark, Schweden, sogar bis nach Rußland und Livland zu bringen. Und – Franz stockte einen Augenblick, fuhr damit aber mutig fort – seine Typen läßt er übrigens bei sich in der eigenen Offizin gießen, er kauft sie ganz gewiß nicht aus der Konkursmasse gestrandeter anderer Drucker.

Was sind »bestimmte Kunden«? fragte Bela, ohne sich auf die Anspielung im letzten Satz einzulassen.

Solche, die das Geld dazu haben, sich teure Einbände zu leisten. Schöne Lederbezüge über das ganze Buch hinweg, nicht nur Holzdeckel und lederne Rücken.

Und woher stammt dieser Tucher-Drucker oder Drucker-Tucher?

Franz schaute sie kopfschüttelnd an. Ihr wollt mir doch nicht weismachen, daß Ihr ihn nicht kennt?

Du wirst es mir ganz gewiß gleich mitteilen, sagte sie freundlich und beobachtete mit einem Blick an ihm vorbei die Männer, die nur noch zwei Stände von ihnen entfernt waren. Hätte sie sich mehr um Zauberdinge bemüht, wäre sie jetzt vielleicht in der Lage gewesen, die Gruppe an ihren Tisch zu locken.

Franz wandte ihr den Rücken zu. Falls Ihr es immer noch nicht wißt, im letzten Jahr hat er uns einen dicken Auftrag vor der Nase weggeschnappt.

Einen dicken Auftrag? Sie dachte kurz nach, schüttelte dann den Kopf. Falls dies etwa Boas Piscator sein solle, den sie noch nie gesehen habe, dann sei sie sicher, daß ihr Vater froh darüber gewesen war, daß er diesen Auftrag nicht übernehmen mußte. Ein Prinzipal mit einem Setzer, der sowohl die Druckerschwärze anrühren als auch das Einfärben des Satzes zu übernehmen hatte, und einem Drucker, der zugleich Letternschneider und Letterngießer war, hätte wohl kaum einen Auftrag dieses Ausmaßes bewältigen können und schon gar nicht in der vorgegebenen Zeit bis zur Fastenmesse.

Fastenmesse hin oder her, sagte Franz verärgert, dieser Mann nimmt den wirklichen Druckern das Geschäft weg, weil er sich leisten kann, nur das zu drucken, was er will. Und nicht das, was er aus Existenzgründen drucken müsse, um zu überleben und eine Familie zu ernähren. Und überdies drucke er ohnehin nur gelehrtes Zeug, alles in Latein, vor allem Philosophie und Theologie. Franz unterbrach sich, dann fügte er hämisch hinzu: Keine Ablaßzettel und Heiligenbildchen.

Sie zuckte zusammen. Falls es in der Zukunft je irgendeinen Weg geben sollte, ohne solche Aufträge auszukommen, so wären dies Arbeiten, auf die sie als erstes verzichten würde. Aber bis jetzt waren sie und ihr Vater darauf angewiesen, und sie waren selbst über jeden Druckauftrag froh, den sie vom Magistrat bekamen, auch wenn er mit Büchern überhaupt nichts zu tun hatte.

Und wer sind die Leute in seinem Gefolge?

Franz hob die Schultern. Vermutlich Buchführer, die seine Bücher bis nach Ungarn verkaufen, Kupferstecher und Holzschneider, mit denen er arbeitet, Professoren aus Cambridge oder Oxford und von der Sorbonne, Gelehrte aus Löwen oder Padua, Schriftsteller und Philosophen – so heißt es zumindest. Und in welchem Gasthof wohnt er?

Gasthof? Franz lachte. Einer wie der wohnt nicht im Gasthof. Er hat seine Häuser. In jeder Stadt, in der er Geschäfte macht, hat er ein Haus. So heißt es zumindest ebenfalls.

Etwa auch hier?

Er schaute sie spöttisch an. Wollt Ihr ihn vielleicht besuchen? Die Gruppe der Männer war inzwischen weitergegangen und näherte sich soeben dem Büchertisch auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, an dem ein Drucker aus Bamberg seine Erzeugnisse anbot. Boas Piscator blieb stehen, nahm einige der Bücher in die Hand und reichte sie an seine Begleiter weiter, die sie ganz offensichtlich begutachten sollten. Noch während Bela überlegte, ob die Gruppe wohl auch ihrem Tisch die Ehre erweisen würde, kam die Hausbesitzerin aus dem Gewölbe gehastet und bat, ihr beizustehen, da sich das Kind ihrer Schwester mit einem Topf heißen Wassers verbrüht habe, während sie gerade ein wichtiges Gespräch habe führen müssen.

Bela rannte hinter der Frau drein und fragte sich verärgert, ob das wichtige Gespräch vielleicht wieder jenes war, mit dem die Hausbesitzerin ihre Gäste nun schon seit zwei Tagen bei den Mahlzeiten langweilte, da sich kaum jemand ernsthaft dafür interessierte, ob dieses Haus nun »Zum alten Frosch« oder »Zum Affen« hieß. Die Frau jedoch erregte sich darüber und wollte einen Prozeß anstrengen, weil sie diese durch eine Hausteilung entstandene Verwirrung, die nun ständig zu Verwechslungen bei der Postzustellung führte, nicht länger dulden wollte.

Bis sie miteinander das schreiende Kind versorgt hatten, verging eine geraume Weile, und als Bela an ihren Stand zurückkehrte, war die Gruppe mit Piscator verschwunden, und Franz ordnete soeben mit verbissenem Gesicht die verrutschten Bücherstapel.

Haben sie ...

Sie haben gewühlt, nicht gewählt, sagte der Geselle verärgert. Nur gewühlt – und dazu noch unsinnige Fragen gestellt.

Welche Fragen?

Ob wir bereit wären, als Lohndrucker zu arbeiten, für ein Plenarium im Quartformat. Es müsse aber bis zum neuen Jahr fertig sein.

Und was hast du gesagt?

Daß ich das nicht entscheiden kann.

Du hast ihnen nicht gesagt, daß ich es entscheiden könnte, aber nur eben nicht am Stand bin? empörte sich Bela.

Franz schüttelte aufsässig den Kopf. Nein, das habe er nicht. Und soviel er wisse, wolle sie ja nicht im Lohnauftrag arbeiten. Zumindest habe sie das gestern einem Drucker, der deswegen hier am Stand gewesen sei, hochnäsig erklärt. Und überdies verhandle dieser Piscator auch ganz gewiß nicht mit einer Frau. Und falls er verhandeln wolle, könne er das genausogut in Köln tun. Mit ihrem Vater. Und überhaupt – ein Plenarium mit zweihundertsechs Blättern, Holzschnitten und Bordüren!

Sie spürte, wie der Zorn in ihr emporstieg. Aber es war klar, daß sie nicht hinter diesen Männern herlaufen und die Offizin ihres Vaters für ein Plenarium mit zweihundertsechs Blättern, Holzschnitten und Bordüren anbieten konnte, auch wenn sie Erfahrung mit dem Druck dieser Art von Büchern hatten. Sie konnte ebensowenig mit ihren niedrigen Kosten werben, da sie sich dabei vorgekommen wäre wie eine Frau aus einem billigen Frauenhaus. Und ob Boas Piscator in Köln wieder auf sie zukommen würde, war fraglich, da er hier auf der Messe gewiß genug andere Lohndrucker finden würde, die gern für ihn arbeiteten.

Wir haben solche Bücher schon gemacht, als sie andere Drucker noch nicht gemacht haben, sagte sie verärgert, schon vor Jahren.

Ach ja, etwa damals, zur Zeit Eurer Wanderdruckerei?

Gewiß nicht, sagte sie mit Nachdruck. Davor.

Und wann davor?

Sie wandte sich ab, nahm einige Bücher aus den Fässern, die hinter ihnen standen, und verteilte sie auf dem Tisch, obwohl er mehr als voll war. Sie wußte, daß es sinnlos war, mit Franz über das Damals zu diskutieren, weil sie jedesmal, wenn die Rede darauf kam, das Gefühl hatte, er wolle dieses Damals am liebsten aus ihr herausprügeln. Wäre sie in einem normalen Haus aufgewachsen, in einer normalen Familie, und nicht jahrelang an der Seite ihres Vaters mit einem Esel und einem Setzkasten als Wanderdrucker durch die Lande gezogen, wäre sie heute auch ganz gewiß eine in Franz’ Augen normale Frau.

Dies war der Punkt, an dem selbst Berthe, die Schwester ihres Vaters, die ihnen in Köln den Haushalt führte, mit Franz übereinstimmte. Eine normale Frau, eine Frau wie jede andere, mit einem Mann, einem Hausstand, Kindern – das Höchste, was in einer Familie wie der ihren zählte.

Wie lange lebt er eigentlich schon in Köln, dieser Boas Piscator? fragte sie, um die Spannung, die bei diesem Thema jedesmal zwischen ihnen entstand, zu mildern.

Seit der Römerzeit, sagte Franz böse. Zumindest behauptet er das, wenn ihm der Patrizierstand nicht ausreicht und er seinen Einfluß in der Stadt noch weiter ausbauen will. Sein Haus steht übrigens am Ende der Severinstraße, wenn ich Euch weiterhin aufklären darf.

Das mit der Sonnenuhr, dem Pomeranzenhaus und der Venus im Garten?

Vermutlich, meinte Franz. Ihn interessierte es nicht.

Sie wollte nicht weiter fragen, obwohl sie dieses Haus und sein Garten, der von der Straße aus nicht einsehbar war, bereits seit Jahren interessierte. Sie hatte gehört, daß dieser Boas Piscator Kunstschätze aus der ganzen Welt zusammengetragen hatte, und sie wußte, daß es kaum ein Haus in der Stadt gab, das sich mit dem Gebäude in der Severinstraße messen konnte.

Manchmal frage ich mich wirklich, wo Ihr lebt, fuhr Franz fort. Vor Euren Augen können sich die spannendsten Geschichten abspielen, Ihr nehmt sie einfach nicht wahr. Und wißt Ihr auch, weshalb?

Sie stellte kleine Schildchen vor die einzelnen Bücherpacken und schrieb die Preise darauf.

Weil ihr Euch zu gut seid, Euch unters gemeine Volk zu mischen, ereiferte sich Franz. Keine Kirmes, kein Holzfahrtag, kein Jahrmarkt, kein Mummenschanz. Wenn alle am Rosenmontag auf der Straße sind und tanzen, bleibt Ihr zu Hause in der Stube bei Euren Büchern. Immer nur Bücher, Bücher, Bücher. Aber – er zögerte kurz – irgendwann wird dies ja aufhören.

Ach ja, sagte sie freundlich, wann wird das sein?

Das wißt Ihr genau, sagte Franz mutig.

Wir werden sehen, wir werden sehen, sagte sie gutmütig und schaute zur anderen Seite des Platzes, wo die Drucker aus Bamberg soeben versuchten, ihren Stand vor einer Gruppe ausgebrochener Kälber zu retten. Wie alt ist er denn, dieser – nun dieser Boas Piscator? fragte sie nach einer Weile zögernd, als habe sie Mühe, sich an den Namen zu erinnern.

Hundert, sagte Franz, dieser Boas Piscator ist hundert. Oder noch älter.

Sie entdeckte die Handschrift am dritten Tag bei ihrem ersten Rundgang über die Messe.

Sie hatte den Vormittag an ihrem Stand verbracht, fünf »Missale Coloniense« verkauft, zwei »Christenspiegel« eingekauft, zehn Exemplare von Vergils »Bucolica« gegen zehn Exemplare der Aristotelischen »Libri de anima« getauscht, von denen sie hoffte, sie in Köln verkaufen zu können, ein Gespräch mit einem Drucker aus Mainz für den nächsten Tag verabredet, bei dem sie möglicherweise Petrarcas »Historia Griseldis« kaufen konnte, und dreißig Dukaten von einem Buchführer erhalten, die er ihnen von der Fastenmesse her noch schuldete.

Für den Nachmittag hatte sie sich vorgenommen, eine Angelegenheit zu klären, die seit einem Monat schwelte und von der ihr Vater gesagt hatte, sie könne es ja versuchen, aber er sei nicht sicher, ob sie Erfolg habe – der Mann sei ein Prozeßhansel, er aber wolle ganz gewiß keinen Prozeß. Als sie jedoch den Stand des betreffenden Buchführers aufsuchte, stellte sich heraus, daß er erst am folgenden Tag eintreffen würde, und da sie keine Lust hatte, sofort zurückzukehren, beschloß sie, das zu tun, wovon ihr Franz dringend abgeraten hatte: planlos über die gesamte Messe zu streifen. Das hieß, nicht nur im Bereich der Bücherstände zu bleiben, die sich von der Buchgasse bis zum Karmeliterkloster erstreckten, über den Kornmarkt, die alte Mainzergasse und den Bereich der Leonhardskirche, sondern zum Roßmarkt, dem Römerberg, dem Heumarkt, dem Liebfrauenberg, der Neuen Kräme und ans Mainufer zu schlendern, wo die anderen Handelsstände errichtet waren.

Sie werde sich in diesem Chaos ganz gewiß verlaufen, hatte Franz mürrisch gesagt, und er habe keine Lust, die Tochter seines Prinzipals aus dubiosen Scharmützeln herauszupauken oder gar irgendwelchen Dieben nachzujagen. Und im übrigen wolle er heute nach Feierabend frühzeitig in die Badstube gehen und sich anschließend mit Freunden treffen.

Sie hatte gedacht, daß diese Freunde vermutlich die Rosenthaler Frauen waren und die Badstube das Spielhaus, in dem Franz gerne die halbe Nacht beim Würfelspiel zugebracht hätte, wenn ihm das Geld nicht zuvor ausgegangen wäre. Aber weder sie noch ihr Vater konnten etwas dagegen tun, wenn ihr Geselle in seiner freien Zeit einer Leidenschaft frönte, die ringsum immer mehr zunahm – auf der letzten Fastenmesse seien achttausend Würfel verkauft worden, hieß es.

Sie komme zeitig zurück, hatte sie versprochen und sich zugleich darüber geärgert, daß sie sich ständig bei ihrem Gesellen, dem sie gewiß keine Rechenschaft schuldig war, entschuldigte, wenn sie Geschäften nachging.

Sie hatte kaum mit ihrem Rundgang begonnen, als ihr jemand ungestüm auf die Schulter klopfte. Sie riß ihren Korb mit einer heftigen Bewegung an sich, ehe ein Schwall von italienischen Sätzen auf sie niederging. Ein Mann lachte und machte einen Kratzfuß.

Signora, welch ein Glück!

Giuseppe Fertucci! rief sie, lachte ebenfalls und erzählte, unter Prusten auf italienisch, daß sie schon geglaubt habe, Diebe wollten ihr den Korb entreißen. Nun aber sei sie mehr als glücklich, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen.

Drei Jahre, sagte der Mann und zog sie aus dem Getümmel, drei Jahre oder gar vier?

Seit Eurem Besuch in Köln drei, sagte sie seufzend, vor vier Jahren hat mein Vater noch selber die Messen besucht. Aber nun ist die Gicht so schlimm geworden, daß er so gut wie gar nicht mehr aus dem Haus kann.

Und außerdem fehlt Euch Thomas, sagte der Mann mitfühlend. Thomas fehlt, sagte sie leise und erkundigte sich dann rasch nach den Geschäften des Venezianers.

Kommt mit! sagte Giuseppe Fertucci eifrig. Daß wir uns hier treffen, ist gewiß so etwas wie Gedankenübertragung, ich hätte Euch ohnehin morgen aufgesucht. Es gibt da etwas, was Euch ganz gewiß interessieren wird.

Sie gingen eine der verwinkelten Seitengassen entlang, eine zweite und kamen dann in der Alten Mainzergasse an Fertuccis Stand, der von einer ganzen Reihe von Kaufinteressenten umlagert war.

Es sieht lebendig bei Euch aus, sagte sie lächelnd, nach viel Geschäft.

Wir haben den »Fasciculus medicinae« nachgedruckt, sagte er stolz. Ihr solltet Euch einmal die Illustrationen anschauen, sie sind mehr als ungewöhnlich, vor allem der Tierkreismensch. Und die »Opera« des Galen haben wir ebenfalls nachgedruckt, schon nach einem Jahr, sie verkaufen sich sehr gut. Vorige Woche haben wir bereits die nächsten zweihundert Exemplare gedruckt.

Er schob ihr einen Schemel zum Sitzen zurecht, kredenzte ihr einen Becher Wein. Sie nahm beides dankbar an und stellte fest, daß es sie glücklich machte, nach langer Zeit die Sprache ihrer Kindheit wieder zu sprechen, und sie beschloß, ihre Geschäfte zunächst in den Hintergrund zu schieben.

Giuseppe Fertucci, der Drucker und zugleich Händler war, bückte sich, zog eine Kiste unter seinem Tisch hervor und nahm einen Packen heraus, der mit einem blaßblauen verschossenen Tuch umhüllt war, das früher einmal ein Männerwams gewesen sein konnte. Ich bin sicher, daß es Euer Interesse findet, sagte er dann, während er das Tuch entfernte und Bela eine Handschrift im Quartformat entgegenhielt.

Sie nahm das Buch, dessen Holzdeckel in der unteren Hälfte mit Leder überzogen war, und fuhr behutsam mit dem Finger darüber. Das Leder war abgegriffen, wies Spuren des Alters auf, die obere Hälfte des Holzdeckels war mit einer Fülle von kleinen runden Löchern übersät.

Ist er noch drin? fragte sie, während sie das Buch umdrehte und feststellte, daß der Holzdeckel auf der Rückseite ebenso viele Löcher aufwies wie der auf der Vorderseite.

Der Händler zuckte mit den Achseln, ehe er erwiderte: Vielleicht seine Kinder. Ich weiß nicht, wie alt Holzwürmer werden. Diese Handschrift dürfte dreihundert Jahre alt sein, vielleicht auch mehr.

Und woher kommt sie, fragte Bela, als sie die Handschrift, die aus eng beschriebenen Pergamentblättern bestand, vorsichtig öffnete.

Aus dem Heiligen Land.

Aus dem Heiligen Land? wiederholte sie verblüfft und spürte, wie in ihrem Kopf eine Glocke anschlug. Seid Ihr sicher?

Ja, sagte Fertucci, natürlich.

Und was steht darin?

Sein Latein sei nicht gut genug, um alles zu verstehen, außerdem habe er die Handschrift erst kurz vor der Messe erhalten, so daß er sich nicht mehr in Ruhe mit ihr habe beschäftigen können. Fest stehe, daß sie ein äußerst kostbares Exemplar sei. Schaut Euch nur das schwarze Pergamentblatt an! sagte er und wandte sich anderen Kunden zu.

Da unter den ersten Seiten kein schwarzes Pergamentblatt zu entdecken war, blätterte sie weiter. Aber erst als sie zur Mitte kam, fand sie das mit einer kostbaren Goldschrift beschriebene Blatt. Eine kunstvolle Miniatur stellte vermutlich eine heiße Quelle dar. Sie blätterte zurück und stellte fest, daß das Buch keinen Anfang hatte, es begann mit einem unvollständigen lateinischen Satz, der lautete: ... erhob sich ein gewaltiger Sturm. Dann folgten etwa zwanzig leere Seiten, die an der Seite mit Blumenranken verziert waren. Erst mit dem schwarzen Pergament schien das eigentliche Buch, das in Latein geschrieben war, anzufangen.

Die Seite, die auf das schwarze Pergament folgte, begann mit dem Anfangsbuchstaben S und mußte von einem geübten Rubrikator ausgeführt worden sein. Die Tinte, vermutlich eine Eisen-Gallus-Tinte, war zum Teil verblaßt, so daß es schwierig war, den Inhalt zu entziffern. Die vielen unbeschriebenen Blätter zeigten zum Teil Benutzungsspuren. Da Pergament ein kostbares Material war, handelte es sich vermutlich um Pergamentseiten, die zu früheren Zeiten bereits beschrieben worden waren und die man dann abgeschabt hatte, um sie erneut zu benutzen.

Auf den Seiten im Anschluß an das schwarze Pergament kehrte ein Wort ständig wieder, dessen Initiale B sich zum Namen Bathseba ergänzte: Wie Bathseba unter dem Granatapfelbaum tanzt – Wie Bathseba auf Ebulon nach Yerushalayim reitet – Wie Bathseba den Vogel der Nacht atzte – Wie wir bei den Hörnern von Hattin den Krieg verloren – Wie Bathseba in der Wüste Gott gesehen hat.

Sie las langsam, was nichts mit ihren Lateinkenntnissen zu tun hatte, sondern mit der verschnörkelten Schrift, die an einigen Stellen dem Tintenfraß zum Opfer gefallen war, so daß sich manche Zeilen nur mühsam erschließen ließen.

Die Miniaturen, die das Buch schmückten, waren kunstvoll und mit Liebe gemacht: Landschaften, Pflanzen, Tiere – vor allem Kamele, Dromedare und Esel. Aus der Tiefe eines Felsens schien zwischen geborstenen Säulenstümpfen Wasser emporzusteigen, Gestalten waren in seinem Dampf nur schemenhaft wahrzunehmen. Vermutlich handelte es sich um jene heiße Quelle, die auf der ersten Miniatur dargestellt war. Dann dicke Mauern, Häuser, Burgen, ganze Städte, die jedoch keinen Namen trugen. Eine der Burgen erinnerte Bela an Krak des Chevaliers, jene Kreuzfahrerburg, deren Eßsaal einhundertzwanzig Meter lang gewesen sein soll, acht Meter breit und zehn Meter hoch und in der angeblich zweitausend Ritter als Besatzung Platz fanden, wie sie irgendwo einmal gelesen hatte. Dann Kirchen, eine Moschee und eine Synagoge, jeweils mit den dazu gehörenden Gläubigen. Schließlich ein See, so groß und gewaltig, daß ihm eine ausklappbare Seite zugestanden worden war. Fischerboote kreuzten auf diesem See, an seinem Ufer saßen Männer und flickten ihre Netze, Frauen brieten auf flachen Holzstößen die Fische. Ein Wort, das immer wieder auftauchte und mit wunderbaren Initialen geschmückt war, konnte Tiberias heißen.

Sie wußte später nicht mehr, wie lange sie auf diesem niederen Schemel inmitten all der Menschen gesessen hatte. Sie hatte sich in Bathsebas Aufzeichnungen festgelesen, war gefangen von dieser fremden Welt, abgetaucht, als befände sie sich auf dem Grund des Meeres, wo niemand sie erreichen konnte. Es interessierten sie keine Buchführer mehr, keine Schulden, keine Pfändungen, keine Verträge. Alles, was sie verspürte, war das schon an Gier grenzende Bedürfnis, diesen Text zu entschlüsseln, ihn ins Deutsche zu übertragen. Und ihn dann zu veröffentlichen. Sie hätte damit ein Buch gehabt, für das sich das Volk interessierte und nicht nur die gelehrte Welt. Es in Köln herauszubringen schien ihr besonders wichtig, denn nur wenige der hier erscheinenden Bücher waren in deutscher Sprache abgefaßt, die Mehrzahl – meist theologische, philosophische und juristische Schriften – in Latein und deshalb nicht geeignet für eine in dieser Sprache ungeübte Leserschaft.

Als sich der Gedanke zum erstenmal in ihren Kopf schlich, erschrak sie. Sie hatte das Gefühl, sich in Gefilde vorgewagt zu haben, die ihr bisher verschlossen waren; als Frau und als Tochter eines Druckers gleichermaßen. Aber sie empfand zugleich eine Art von Neugier, von Wagemut, ja von Verwegenheit, und so beschloß sie, sich genauer mit dieser Handschrift zu beschäftigen, obwohl ihr klar war, daß es sinnvoller gewesen wäre, sich erst gar nicht darauf einzulassen.

Wie alt, sagtet Ihr gleich, sei das Buch? Und wovon handelt es? Der Händler zuckte mit den Achseln. Genau wisse er es nicht, aber der Mann, von dem er die Handschrift gekauft habe, habe gesagt, es handle sich um eine Peregrinatio aus der Zeit, als das Heilige Grab von den Ungläubigen genommen worden war und die Christen es hätten befreien wollen.

Eine Pilgerreise nach Jerusalem?

Er schüttelte den Kopf. Nein, nach Köln.

Nach Köln? fragte sie verblüfft.

Ja, nach Köln. Deswegen habe er das Buch für sie aufgehoben, als er gehört habe, daß sie zur Messe komme. Schließlich kenne er ihr Interesse an solchen Schriften über das Heilige Land noch aus der Zeit, als ihr Vater in Venedig bei ihm arbeitete.

Nun ja, Interesse schon, sagte sie verlegen, aber Interesse allein genügt ja wohl kaum. Es gehe doch wohl zunächst einmal um die Verkäuflichkeit eines Buches.

Bücher über das Heilige Land sind verkäuflich, sagte Fertucci entschieden, das beweist Breydenbach.

Sie unterhielten sich über den Mainzer Domdekan Breydenbach, dessen Buch über eine Reise ins Heilige Land in Latein, Deutsch, Französisch, Spanisch und Flämisch erschienen war, ein Buch, das die Leser nur so verschlangen.

Der Text fängt mitten im Satz an, vermutlich auf einem Schiff, nicht im Heiligen Land, stellte Bela nüchtern fest. Das schwarze Pergament folgt erst später. Gibt es eine Erklärung dafür? Mag sein, daß es eine gibt. Ich kenne sie nicht.

Und die vielen leeren Blätter, sagte Bela und hielt ihm die Handschrift hin.

Der Venezianer lachte. Nun, die müsse sie natürlich mitzahlen, er könne sie nicht herausreißen. Aber eigentlich seien sie ja nicht ganz blank; möglicherweise habe früher etwas auf ihnen gestanden.

Sie hielt das Manuskript ins Licht. Die Spuren waren zwar an manchen Stellen sichtbar, und es bestand kein Zweifel, daß von den jetzt leeren Pergamentblättern irgendwann einmal eine Schrift abgeschabt worden war. Aber die Buchstaben waren sorgfältig beseitigt worden, als habe man das Geschriebene für immer und alle Zeiten löschen wollen.

Als die Sonne bereits schräg über die Buchstände fiel, war Bela klar, daß sie das Studium dieses seltsamen Manuskripts wohl für heute beenden mußte. Ihr war auch klar, daß sie sich eine gute Ausrede einfallen lassen mußte, wie sie ihren Nachmittag verbracht hatte, dessen Ausbeute in den Augen von Franz gewiß gering war. Sie hatte nur eine mehr als ungewöhnliche Handschrift studiert, die bis jetzt allerdings mehr Rätsel bot als die Gewißheit, in ein verkäufliches Buch verwandelt werden zu können.

Hebt es auf für mich! sagte sie und wickelte das Buch wieder in das Tuch, das ihr der Rest eines Männerwamses zu sein schien. Ich werde in den nächsten Tagen wiederkommen.

Ihr wollt den Preis nicht wissen?

Er wird so hoch sein, daß ich mir meine Träume werde verbieten müssen, sagte sie lächelnd. Daher will ich ihn lieber gar nicht wissen.

Wenn Ihr das Buch nicht nehmt, möchte ich es selbstverständlich jemand anderem anbieten, sagte der Händler sachlich.

Wie hoch also? fragte sie seufzend.

Er nannte den Preis, sie lachte. Dafür kann ich mir schon fast einen Schlachtochsen kaufen!

Ihr seid wohl über die Preise von Handschriften nicht mehr auf dem laufenden, sagte Giuseppe Fertucci beleidigt und erklärte ihr, daß deren Preise zwar im Gefolge des Buchdrucks gewaltig gesunken seien, daß es aber noch immer Leute gebe, die lieber Handschriften erwerben wollten denn gedruckte Bücher. Auch Kunden von der Universität, fügte er bedeutsam hinzu.

Ich kann mich im Augenblick nicht entscheiden. Ich muß erst sehen, wieviel Geld ich hier eintreibe, wie die Geschäfte gehen.

Gut, gut, ich werde die Handschrift für Euch aufheben.

Wie lange?

Nun, zunächst einmal acht Tage, dann sehen wir weiter. Habt Ihr überhaupt die Briefe gesehen, die in einem Fach am hinteren Deckel stecken? rief er ihr nach, als sie schon im Gehen war. Und das Lesezeichen?

Sie schüttelte den Kopf. Beim nächsten Mal!

Am Abend in ihrem Bett hatte sie das Gefühl, als beginne das Buch bereits in ihr zu wirken. Wie ein berauschendes Mittel, das ganz langsam von ihrem Körper Besitz ergriff – Zaubersprüche, die sie zu umgarnen versuchten.

Wie der Vogel der Nacht Bathseba einen Schlaftrunk kredenzt – Wie Bathseba im Mondlicht in der Wüste tanzt – Was der Chamsin mit Bathseba macht.

Am anderen Morgen regnete es. Nicht heftig, aber doch so stark, daß Bela und Franz ihre Bücher, für die sie nur den Tisch ohne Überdachung gemietet hatten, so rasch wie möglich in das Gewölbe des Hauses schaffen mußten.

Eine Bude wäre auch nicht viel teurer gewesen als ein Tisch, sagte Franz verdrießlich, während er die Fässer unter die schützenden Arkaden schleppte. Aber sein Rat sei ja nie für irgend jemanden interessant.

Sie sah ihn kurz an und sagte dann so sachlich wie möglich, sie habe wenig Lust, sich den Rest der Messe Maßregeln erteilen zu lassen. Was richtig sei und was falsch, entscheide sie. Ob das klar sei?

Franz lief rot an, öffnete nur den Mund.

Für diesen Tisch zahle sie ein ziemlich hohes Standgeld an die Hausbesitzerin, und an ihren Einnahmen sei die Hausbesitzerin ebenfalls beteiligt. Ob das zu begreifen sei?

Franz nickte und schichtete im Trockenen die Bücher wie mit einem Lineal gezogen nebeneinander auf, als seien es Soldaten bei einem Manöver.

Und jetzt gehe sie Geschäfte machen. Sie sei bis zur Vesper wieder zurück, falls jemand nach ihr frage.

Franz nickte wieder und ging dann mit freundlichem Gesicht auf einen Besucher zu, der gerade überlegte, ob er unter die Arkaden kommen solle.

Bela atmete auf. Während sie den Kornmarkt hinaufging, überlegte sie, ob sie Franz gegenüber nicht zu hart gewesen war. Aber dann entschied sie, daß sie richtig gehandelt hatte. Allmählich hatte sie nämlich das Gefühl, als würde Franz diese Messe dazu benutzen, sein Terrain auszuweiten, sich Dinge zu erlauben, die er in Köln unter den Augen seines Prinzipals und denen Berthes niemals wagen würde.

Als sie den Stand jenes Buchführers erreichte, der am Tag zuvor noch nicht eingetroffen war, erfuhr sie, daß er seinen Platz gerade verlassen hatte, aber in einer Stunde zurück sein wolle. Ein anderer Buchführer, mit dem sie Geschäfte besprechen wollte, hatte die Nachricht hinterlassen, er werde sie am nächsten Tag in ihrem Quartier aufsuchen.

Es blieb ihr also eine Stunde Zeit, und sie beschloß, den am Vortag unterbrochenen Rundgang durch die Messe fortzusetzen. Ein Vorsatz, der, wie sich bereits nach Minuten zeigte, kaum zu verwirklichen war: Gürtelschläger, Hutmacher, Kupferschläger, Pelzer, Nadelmacher, Bildschnitzer, Böttcher, Waidner, Tuchscherer, Wappensticker, Gewandmacher, Decklakenweber, Kistenmacher, Leinwandhändler, Goldspinnerinnen, Sacktuchweber, Ölschläger, Kerzenmacher, Seidenfärber ... Das Gedränge war hier, außerhalb der Buchmesse, noch weitaus schlimmer als bei ihrem Stand. Um sich in dem Chaos durchzusetzen, waren einige Händler dazu übergegangen, sich auf die Tische zu stellen und von dort oben aus ihre Waren anzupreisen, mit Stimmen, die man auch jenseits des Meers vernommen hätte. Andere versuchten den Besuchern einzureden, daß sie unbedingt Dinge brauchten, ohne die das Leben nichts wert war. Wieder andere bemühten sich verzweifelt, auch noch die letzten Ladenhüter zu verkaufen, die sie gewiß schon auf x Messen angeboten und anschließend wieder nach Hause geschleppt hatten. Wunderheiler priesen ihre Elixiere für ein ewiges Leben in Jugend und Schönheit an, ein Zahnbrecher bot, über den Platz hinweg schreiend, seine Künste an. Gaukler auf Stelzen und eine Bärenführerin drängten sich durch die Menge, ein Klingelmann sammelte mit Sack und Büchse für die Siechen in der Stadt, zwei Bettlermeister versuchten soeben, eine Gruppe von fremden Bettlern aus einem der Stadttore hinauszujagen, dabei war sicher, daß die Vertriebenen kurze Zeit später am nächsten Tor erneut probieren würden, wieder hereinzukommen.

Sämtliche Messestände waren von Menschentrauben umlagert, in manchen Gassen gelang es ihr gar nicht, bis zu den Tischen vorzudringen. Sie wurde vom Strom in der Mitte der Gasse mitgerissen, und der Sog war stärker als ihr Bemühen, sich irgendwo durchzuzwängen. Bereits nach kurzer Zeit wußte sie nicht mehr, wo sie sich befand. Da sie sich bei den beiden letzten Messen lediglich unter den Buchständen umgesehen hatte, war dies ein völlig neues Erlebnis für sie – verlor man in dem Gedränge jemanden, so war klar, daß man ihn erst am Abend im Gasthof wiederfinden würde.

Als es ihr schließlich mit großer Mühe gelungen war, für Berthe ein Etui mit Nadeln und eine hübsche Seidenhaube zu erstehen, für Franz drei Sacktücher und für ihren Vater ein Paar fellgefütterte Hausschuhe, beschloß sie, ihren Gang durch diesen Teil der Stadt für heute zu beenden und sich wieder den Buchgeschäften zuzuwenden.

Sie wußte, daß das Gespräch mit dem Buchführer kein leichtes sein würde. Sie wollten den Mann einerseits behalten, andererseits wollten sie nicht von den Gepflogenheiten abgehen, die nun einmal üblich waren; dazu gehörte unter anderem auch die Teilung der Transportkosten, etwa wenn die Bücher von Köln nach Leipzig gebracht werden mußten, wo sie rubriziert, gebunden und später nach Böhmen und Mähren verkauft wurden.

Er zahle ganz gewiß keine Transportkosten, sagte der Buchführer abweisend, kaum daß sie einander begrüßt hatten. Denn es sei ganz allein Sache des Druckers, diese Kosten voll zu übernehmen.

Nun, dies sei es ganz gewiß nicht, und sie wisse ...

Sie wisse gar nichts, sagte der Buchführer lautstark, aber er wisse, daß er die Ware anderer Drucker nun mal ohne Transportkosten verkaufe.

Da es noch andere Punkte gab, über die sie sprechen wollte, und sie die Unterredung nicht gleich zu Beginn abbrechen wollte, sagte sie, man rede später darüber.

Nein, sagte der Buchführer sanft, das tue man nicht. Man rede jetzt. Oder gar nicht.

Er bekomme zehn Prozent für jedes verkaufte Buch, erwiderte sie, ohne auf seinen gereizten Ton einzugehen, und zehn Prozent sei viel.

Zehn Prozent seien nicht zehn Prozent. Bei Ritterromanen zum Beispiel ...

Ich weiß, ich weiß, Ritterromane schiebt Ihr über den Tisch, und sie verkaufen sich von alleine.

Genauso sei es, sagte der Mann zufrieden. Und überhaupt seien die meisten ihrer Bücher zu teuer.

Sie sind exakt kalkuliert, wehrte sie sich. Mein Vater ...

Euer Vater peilt die Preise über den Daumen, sagte der Mann.

Er rechnet das doch nicht aus, oder? Woher denn sonst immer die runden Zahlen? Zwei Gulden. Drei Alb. Zehn Schilling ... Allein das Umrechnen in andere Bezahlungsmittel koste ihn schon eine Stunde Zeit, wenn er von einem Gebiet in das andere fahre.

Für einen Augenblick blieb sie stumm, da sie wußte, daß dieses Ausrechnen bis auf den letzten Heller nicht zu ihres Vaters Stärken gehörte, wenn er die Kalkulation ohne ihre Hilfe machte.

Ihr verkauft Eure Bücher sechsmal so teuer, als sie Euch kosten, fuhr der Mann fort, das ist gut verdient. Und er sehe nicht ein, weshalb er nicht auch gut verdienen solle. Also: keine Transportkosten, sagte er abschließend und wandte sich demonstrativ dem nächsten Kunden zu.

Sie blieb stehen und atmete tief durch, dann sagte sie ruhig: Ich denke, wir können auf Eure Arbeit in Zukunft verzichten. Aber zunächst erwarte ich von Euch, daß Ihr Eure Schulden bei uns bezahlt. Die von der vorletzten Messe und die von der letzten. Dann wandte sie sich zum Gehen.

Einen Augenblick, bitte! sagte der Buchführer plötzlich freundlich. So habe er es natürlich nicht gemeint. Und wenn er mit ihrem Vater verhandelt hätte, vielleicht hätte er dann ...

Dann hättet Ihr vielleicht Eure Forderungen nicht so hoch getrieben, ergänzte sie seinen Satz.

Nun ja, vielleicht, gab er zu. Und wenn Ihr ein Lager hättet wie andere Drucker, wäre alles besser, dann müßte man die Bücher nicht ständig über diese weiten Strecken befördern. Dieser Drach aus Speyer zum Beispiel habe seine Lager überall im Land und Koberger aus Nürnberg ebenfalls nicht nur hier in Frankfurt, sondern sogar in Paris und Lyon.

Sie seien weder Koberger noch Drach, sagte sie mit Nachdruck.

Das werfe er ihr auch nicht vor. Aber an ihren Sachen verdiene man nun mal nicht so viel wie an anderen. Es sei zum Teil schwer verkäufliche Ware. Und wenn es das nicht sei, verdiene man nichts – Schulbücher, Kalender, Heiligenbilder gebe es wie Sand am Meer, und Kommentare zu irgendwelchen alten Autoren könne er nur in Universitätsstädten loswerden. Ihre Neujahrsdrucke seien zwar gefällig gemacht, aber wer von den Leuten auf dem Land verschicke schon Neujahrswünsche, wenn sie in Notzeiten kaum etwas zum Essen hätten und die Empfänger ohnehin so gut wie nicht lesen könnten? Also, sie solle morgen wiederkommen, da könne man sich noch einmal unterhalten.

Nein, sagte sie fest. Nicht morgen, jetzt. Und sie sage jetzt, daß sie in Zukunft auf seine Dienste verzichten wollten. Und wenn er das noch ausstehende Geld nicht in wenigen Tagen bezahle, so lasse sie seinen Stand pfänden. Vor einiger Zeit habe das die Witwe eines Druckers ebenfalls schon getan, wegen einer Forderung von fünfhundert Dukaten. Und er schulde ihnen mehr als fünfhundert Dukaten.

Der Buchführer blieb stumm.

Haare auf den Zähnen, murmelte ein Mann hinter ihr, ganz schön Haare. Aber er meinte es anerkennend.

Als sie den Stand verließ, war ihr klar, daß sie nun einen neuen Buchführer finden mußte, einen Mann, der das gleiche Gebiet bereiste und bereit war, ihre Waren bis nach Leipzig und noch weiter zu transportieren. Sie hatte sich bereits zu Hause auf diesen Extremfall vorbereitet und eine Liste mit den Namen von Buchführern aus anderen Städten angefertigt. Sie fragte beim ersten der Liste an, bei einem zweiten, aber beide lehnten ab, weil sie bereits voll ausgelastet waren. Der dritte, ein freundlicher junger Mann, ein Humanist, der bis vor kurzem die Universität besucht hatte, stieg mit Begeisterung in das Geschäft ein. Er vertrete erst zwei Drucker, erklärte er, er nehme gern einen dritten dazu. Acht Prozent?

Zehn, sagte sie entschieden. Er bekomme zehn Prozent wie der bisherige Buchführer auch.

Und die Transportkosten?

Für die erste Fuhre komme sie auf, weil er gerade erst anfange, danach halbiere man die Kosten bis zur nächsten Messe. Das sei entgegenkommender als sonst üblich.

Der junge Mann bedankte sich überschwenglich. Er versprach, tags darauf zu ihr zu kommen, um sich ein Bild von ihren Büchern zu machen.

Sie war zufrieden, als sie zu ihrem Stand zurückging. Sie hatte eine klare Entscheidung getroffen, hatte einem jungen Mann ein ehrliches Angebot gemacht, und sie hatte bis jetzt nicht ihre gesamte Verhandlungsmunition einsetzen müssen, wobei sie sich über den exakten Ablauf einer Pfändung ohnedies nicht informiert hatte. Aber ganz offensichtlich war dies auch nicht mehr nötig.

Der hat seine ganzen Schulden bezahlt, empfing Franz sie nahezu fassungslos und hielt ihr einen leinenen Beutel entgegen, als sie an ihren Tisch zurückkehrte. Das Geld von der vorletzten Messe und das von der Fastenmesse. Er war gerade hier. Na also, sagte sie zufrieden, dann war dies heute wohl ein guter Tag. Aber sie fragte sich, wie der Mann die Strecke in dieser kurzen Zeit geschafft hatte. Vermutlich verkaufte er Zauberbücher, dachte sie amüsiert, und weiß, wie man fliegt.

Es ist irreal, sagte sie sich, es ist ganz und gar irreal.

Sie hatte Giuseppe Fertucci nicht mehr besucht, da sie wußte, daß ihr Geld keinesfalls reichte, um diese Handschrift zu kaufen, trotz des Geldes, das sie eingenommen hatte, und der beglichenen Schulden des Buchführers. Sie hatte erwogen, ihrem Vater einen Brief zu schreiben, ihn um seinen Rat zu bitten, aber dann hatte dies ihr Stolz nicht zugelassen, und sie hatte in Erwägung gezogen, das Buch auf eigenes Risiko zu kaufen, vom Erbteil ihrer Großmutter, das sie bisher allerdings noch nie angegriffen hatte.

Erst nach Tagen zog es sie wieder an Fertuccis Stand. Der räumte bereitwillig zum zweitenmal seine Bücher vom Schemel, damit sie sich setzen und erneut in die Handschrift vertiefen konnte.

Hört Euch das an! sagte sie und übersetzte einen kurzen Absatz des Manuskripts. Das klingt wie ein Märchen, und es hat sich so gewiß nicht abgespielt. Diese Bathseba erzählt Geschichten, die sie geradesogut auch erfunden haben kann. Sie muß nicht einmal im Heiligen Land gelebt haben. Sie kann alles auch irgendwo gehört haben, vielleicht sogar in Venedig, auf jenem Schiff, von dem auf den ersten Seiten die Rede ist. Es scheint ja von dort gekommen zu sein.

Habt Ihr je Jean de Mandeville gelesen, seine Fahrten ins Gelobte Land? fragte Fertucci.

Natürlich. Aber bei Mandeville weiß der Leser vorweg, worauf er sich einläßt. Er weiß, daß das, was er liest, zum überwiegenden Teil haarsträubender Unsinn ist: Menschen, die keinen Kopf und die Augen unter dem Arm haben, Hennen ohne Federn, dafür in Wolle gehüllt wie Schafe – wer glaubt schon so etwas? Und die Illustrationen dazu sind so kurios, daß der Beschauer über sie lacht.

Und?

Was und?

Nun, es ist zwar haarsträubend, aber die Leute lesen es trotzdem. Und amüsieren sich dabei. Darauf kommt es doch an! Inzwischen wurde das Buch x-mal nachgedruckt, nicht nur von einem Drucker.

Sie versuchte ihre Zweifel zu begraben, ließ sich erneut auf die Handschrift ein, las Sätze, die ihre Neugier weckten: Wie das Licht in der Nacht auf den Jujubusch fällt – Der Sinn des Lebens ist die Lust – Wie die Nachtigall schlägt, wenn wir in die Wüste hinausreiten.

Dann zwei Seiten ohne Text, nur mit Blumenranken geschmückt, vor allem mit Rosen in verschiedenen Farben, und über ein ganzes Blatt hinweg ein Granatapfelbaum mit roten Blüten. Dann plötzlich eine Malanleitung: Wenn du mit Gold schreiben willst, nimm Pulvergold und vermische es mit Leim von jenem Pergament, auf welches du schreiben willst. Und wenn der Buchstabe trocken ist, poliere ihn mit einem sehr glatten Stein oder einem Eberzahn.

Sie nahm das, was Giuseppe bei ihrem ersten Besuch als Lesezeichen bezeichnet hatte, in die Hand. Es war ein Zahn, vielleicht solch ein Eberzahn, mit dem man das Pergament polieren konnte.

Auf den folgenden Seiten schlossen sich Details aus dem Skriptorium, jener Schreibstube, in der die Handschrift entstanden ist, an. Darin fanden sich Hinweise darauf, wer von den Frauen – Bathseba schien nur Frauen beschäftigt zu haben – welche Texte abschrieb, wie lange man für einzelne Teile brauchte und was man beim Abschreiben dachte, wenn es einem langweilig wurde. Auch eine Anleitung für das Malen der Gesichter von Heiligen fehlte nicht.

Vielleicht sollte das Ganze zunächst nichts anderes werden als ein Rezeptbuch, eines jener Musterbücher, wie sie aus Straßburg oder Göttingen bekannt waren, und diese Bathseba oder irgendwer hat sich dann eine Geschichte dazu ausgedacht, damit die Sache interessanter wurde und man sie verkaufen konnte. Und möglicherweise saß der Autor in Nürnberg, in Augsburg oder gar in Köln, mutmaßte sie.

Das Pergament stammt nicht von hier, widersprach Giuseppe Fertucci. Ich verwende in den wenigen Fällen, wo ich es verwende, grundsätzlich Ziegenpergament. Dies hier ist weder Ziege noch Schaf, noch Kalb. Außerdem ist es mit Bimsstein aufgerauht, das macht kein Pergamenter bei uns.

Was ist es dann?

Vielleicht Kamel, überlegte er. Oder Tiger, Löwe, Gazelle.

Sie lachte. Tiger gibt’s dort nicht, sagte sie und betrachtete den Falz der gerade aufgeschlagenen Seiten. Da steht was drauf, habt Ihr es gesehen?

Es könnte Jerusalem heißen, buchstabierte der Händler, und das auf deutsch, was mehr als merkwürdig ist.

Eine Handschrift voller Geheimnisse, überlegte Bela laut, genügt das, um ein Buch daraus zu machen, das man verkaufen kann?

Habt Ihr Euch eigentlich schon die Briefe in dem Fach am hinteren Deckel angeschaut? lenkte der Händler ab.

Sie schüttelte den Kopf, schloß das Buch und entdeckte dann die Tasche am hinteren Buchdeckel, die sie bisher nicht bemerkt hatte. Sie fand darin vier Briefe, einer der Briefe war geöffnet. Sie zog ihn heraus, entfaltete ihn und sah verblüfft auf die exotische Schrift.

Nun? fragte der Händler gespannt.

Sie lachte. Ihr sägt Euch selber den Ast ab, auf dem Ihr sitzt. Das erhöht nicht den Wert dieser Handschrift, es erhöht allenfalls das Unwägbare an ihr. Oder habt Ihr bereits eine Lösung dafür?

Nein, das habe er nicht, sagte Giuseppe Fertucci geduldig, dazu habe er nicht genügend Zeit gehabt. Vielleicht seien es chinesische Schriftzeichen.

Sicher nicht, erwiderte Bela, aber vielleicht hebräische, was meint Ihr?

Er könne kein Hebräisch, sie etwa?

In Esslingen haben sie vor kurzem ein Buch in Hebräisch gedruckt, sagte sie, das erste in Deutschland, soviel sie wisse. Die Schriftzeichen hier seien ähnlich.

Nun, vielleicht hebräisch, vielleicht chaldäisch, vielleicht arabisch – was wäre das Leben ohne Geheimnisse, sagte der Händler vergnügt, und er beendete die Audienz, indem er ihr das Buch aus der Hand nahm und sagte, nun brauche er seinen Schemel. Noch sei ja Zeit, um gründlich darüber nachzudenken, auf welche Seite sie sich schlagen wolle: auf die Seite der nüchternen Vernunft oder auf die Seite des Unwägbaren, des Abenteuers. Und Büchermachen sei in jedem Fall ein Abenteuer, so oder so.

Ihre Abende mit Franz in der Schenkstube.

Sie war nicht darauf erpicht gewesen, die Abende beim Wein zu verbringen, aber da alle, die mit dem Druckgeschäft zu tun hatten, behaupteten, die wirklichen Geschäfte würden nicht an den Messetischen, sondern des Abends beim Wein gemacht, hatte sie, wenn auch widerwillig, nachgegeben. Und da sowohl ihr Vater wie auch Berthe der Meinung gewesen waren, daß sie kaum allein zum Weintrinken gehen könne, war nur die Möglichkeit geblieben, mit Franz zu gehen. Sie war bei dieser Entscheidung geblieben, auch als Franz aufmüpfig wurde und behauptete, weibliche Begleitung schade seinem Ansehen als Mann – zumindest solange sie nicht wirklich versprochen seien.

Am ersten Abend dann der Schock. Wenn sie sich als Kind die Hölle vorgestellt hatte, so hatte sie stets gedacht, daß es dort laut zugehen müsse, über die Maßen laut. Der Lärm, der ihr in dieser Schenkstube entgegenschlug, schien mehr als die Hölle zu bedeuten. Franz bahnte sich zwar mit seiner massigen Gestalt durch das Gewimmel von Besuchern und Schenkmägden einen Weg und stellte sie dann an einer Säule ab, um allein weiter von Tisch zu Tisch zu ziehen und einen Platz zu suchen, doch niemand war bereit, noch enger auf den Bänken zusammenzurücken.

Nach einer Viertelstunde war sie es leid, an dieser Säule zu warten, und sie schlug vor, wieder zu gehen. Woanders sei es vermutlich ...

Woanders ist es genauso, sagte Franz und quetschte sich entschieden auf einen Hocker, der soeben frei geworden war. Sie mußten sich diesen Hocker für eine Weile teilen, bis irgendwann ein Platz auf der Bank frei wurde, auf den Bela überwechseln konnte. Sie kam neben einen Mann zu sitzen, dem sie auf keinen Fall in der Nacht begegnen wollte.

Aber Franz nickte ihr ermutigend zu. Ein großer Buchführer, flüsterte er, aus Nürnberg. Er könnte Euch nützlich sein.

Das, was dann folgte, ging zunächst über sie hinweg wie Meeresrauschen, in dem sie erst allmählich einzelne Stimmen unterscheiden konnte.

Ja, sie komme aus Köln. Nein, nicht die Schwester von Franz. Ja, die Tochter eines Druckers. Dem Gesellen bereits versprochen? Sie schüttelt energisch den Kopf. Der Nürnberger rückt näher an sie heran. Ob man in Köln wirklich nur Latein drucke? Ja, weitgehend. Und nur Theologie und Philosophie? Juristische Bücher auch. Ob sich das alles gut verkaufe? Mal gut, mal weniger gut, wie eben alles andere auch. Das meiste in den Universitätsstädten. Wie viele Gesellen? Zur Zeit nur einen, aber bald komme ein Lehrjunge. Wer denn bei ihnen die Druckerschwärze anrühre, den Satz einfärbe, die Lettern gieße? Aha, die Lettern aus der Konkursmasse eines gescheiterten Kollegen. Also eine kleine Druckerei, stellen die Männer am Tisch befriedigt fest, keine Konkurrenz. Bevor sie das Verhör fortsetzen, sie nach ihrer Zeit als Wanderdrucker fragen können, macht sie den Schritt nach vorne und erwähnt Rom. Und die große Druckerei, ihre eigene. Vier Gesellen, zwei Pressen. Als sie Rom in die Debatte wirft, entsteht eine Pause. Der Lärm um sie herum flaut deutlich ab. Rom, wirklich Rom? Wie lange denn? Fünf Jahre, so so. Und die Druckereien dort wirklich zur Hälfte in den Händen deutscher Handwerker? Der Gesprächslärm schwillt wieder an, nachdem die Unterhaltung bei den deutschen Druckern gelandet ist und wie diese in der Frühzeit die Schwarze Kunst in die halbe Welt hinausgetragen haben, nach Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Böhmen und Ungarn. Nach Rußland, sagt einer, vom Zaren eingeladen. Das sei nicht bewiesen, kontert ein anderer, nur Novgorod sei sicher, aber offenbar sei der, der dort hinging, bald gestorben, noch bevor er die Druckerei eröffnen konnte.

Franz sitzt breit auf seinem Hocker. Sie sieht, wie er einerseits stolz auf sie ist, daß sie soviel Interesse auf sich zieht und als Tochter des Prinzipals ernstgenommen wird, eine Frau, die sich bei den Papierpreisen und Papiersorten ebenso auskennt wie bei der Drucktechnik. Andrerseits ist er beleidigt, weil sie nicht ihn fragen. Also mischt er sich ab und zu auch ungefragt in das Gespräch ein, das allmählich in eine andere Richtung driftet. Nun wird geprotzt. Jetzt geht es darum, wieviel wer wo und nach welcher Zeit bereits verkauft hat. Die Gesprächsrunde formiert sich neu. Bela steht nicht mehr im Mittelpunkt, ist nahezu überflüssig, wenn sich die Männer ihre Auflagezahlen um den Kopf schleudern, sich mit ihren Übersetzungen übertrumpfen. Wer keine hat, taugt nichts.

Und dann sind sie – keiner weiß später mehr, wie es geschehen ist – bei den Nachdrucken. Oder Raubdrucken. Je nachdem, von welchem Gesichtspunkt aus man die Sache betrachtet. Fest steht, daß ein Geselle aus Nürnberg, der bei Koberger arbeitet, mit einem Gesellen aus Augsburg, der bei Schönsperger arbeitet, in Streit gerät und daß damit das Ganze fast zu einer Schlägerei ausartet. Nachgedruckt habe er, dieser Schönsperger, nachgedruckt ohne jegliches Gefühl für Moral. Nicht nur einmal, viele Male. Und jetzt diese »Weltchronik« von Schedel – ein Raubdruck in jedem Fall. Kaum erschienen bei Koberger, schon geplant bei Schönsperger. Wieso? schreit einer, der sich auf die Seite der Augsburger geschlagen hat, da lägen doch drei Jahre dazwischen. Aber begonnen habe man doch schon vorher, das sei außer Frage. Und weshalb denn in diesem Vertrag gestanden habe, daß alles heimlich geschehen müsse, wenn Schönspergers Nachdruck nicht zu schnell erschienen sei?

Wer wolle denn schon ein Buch im Folioformat, ereifern sich welche, man hebe sich ja einen Bruch, wenn man so ein schweres Buch von einem Ort zum anderen bringen wolle, Frauen zumal. Frauen lesen keine Bücher, schreit einer, sie stehen am Herd. Und die Holzschnitte von Schönsperger seien grob, die von Koberger dagegen von guter Qualität. Und vermutlich sei an allem der Übersetzer schuld, dieser Alt. Er habe wohl alles ausgeplaudert, schon als er die Übersetzung für Koberger gemacht habe, schließlich stamme er ja aus Augsburg. Weshalb sollte er sein Salär nicht ein wenig aufgebessert haben. Ein Notar, ein angesehener Mann – das sei lächerlich. Und ob nun Nachdruck oder Raubdruck, sei Schedel überhaupt ein Autor? Zusammengetragen habe er alles, ein wenig von hier, ein wenig von dort. Und Koberger habe von Anfang an gewußt, daß es klüger sei, das Buch im Lohndruck zu machen, als das Risiko einzugehen, es selber zu verlegen. Er habe also nichts verloren, verloren hätten lediglich die beiden Geldgeber, und die seien nicht eben arm.

Irgendwann bebt der Tisch von den Fäusten, die auf ihm trommeln. Die Augsburger verlassen den Tisch gemeinsam, egal, ob sie nun bei Schönsperger arbeiten oder nicht, sie haben keine Lust, in den Sog des Verfemten zu geraten.

Später dann, noch später, nachdem sich die Stimmung von Weinkrug zu Weinkrug wie eine Spirale hochgeschraubt hat, gerät alles zu einem dicken, zähen Brei, in dem Auflagen und Übersetzungen, Gewinne, die Anzahl der Gesellen und der Pressen, die Buchführer und die Typen ins Gigantische wachsen. Alles multipliziert sich, wird von Stunde zu Stunde vager. Ein Außenstehender müßte annehmen, daß hier an diesem Tisch die potentesten Drucker Deutschlands versammelt sind, denen die Dukaten nur so aus den Beuteln rollen. Wohlgemerkt Drucker, keine Buchführer, Setzer, Pergamenter, Papiermüller, Schriftgießer oder was sie sonst noch alles sein mögen.

Bela sitzt mittendrin, längst übermüdet und heiser vom lauten Reden. Sie hört sich schreien mit einer Stimme, die ihr nicht zu gehören scheint, weil ihr sonst niemand zuhört. Und wieder schwappt das Gespräch um, die Tischrunde teilt sich. Sie sieht Franz mit schweren Schritten zum Nebentisch torkeln, wo es schon seit einiger Zeit nicht mehr um Bücher geht. Also, Halseisen habe man nun angebracht an den Frauenhäusern. Und vor den Häusern sollten die Dirnen nicht mehr sitzen, auch nicht auf den Treppen. Egal, wieviel dort verdient werde, zwei Drittelgulden pro Haus gehen an den Stöcker und jetzt während der Messe sogar sechs Gulden, dazu müsse jede Dirne pro Woche einen Schilling extra abführen. Alles werde teurer, besonders in den beiden vom Rat gebilligten Frauenhäusern. Was für die städtischen Bediensteten ja nicht weiter schlimm sei, empört sich einer, da sie den Besuch in diesen Häusern bei den Abgaben anrechnen könnten – aber unsereins? Es sei gut, daß aus allen umliegenden Städten sämtliche Frauenhäuser geschlossen angereist kämen, weil sonst die Dirnen in Frankfurt knapp würden. Aber sie seien nun mal ihr Geld wert, diese Rosenthaler, prahlt Franz lautstark, er gehe schon seit Jahren nur zu ihnen.

Bela hört mit halbem Ohr zu. Daß sie eine Frau ist, interessiert zu dieser späten Stunde niemand mehr, über die selbstverständlichste Sache der Welt könne man schließlich offen reden, sagt ihr Nürnberger Nachbar, rammt ihr vertraulich seinen Arm in die Seite und flüstert ihr den Namen seines Gasthofes zu.

Mit geröteten Augen, benommenem Kopf und vom verkrampften Sitzen steifen Beinen gehen Franz und Bela schließlich irgendwann spät in der Nacht nach Hause. Schweigend wie ein uraltes Ehepaar, dem die Sprache abhanden gekommen ist nach soviel Geschwätz. Aber zugleich auch stolz. Sie haben eine Schlacht geschlagen, gemeinsam. Und Franz ist sicher, daß sein Part dabei genauso wichtig war wie der seiner Herrin. Vor der Haustüre des Gasthofes bleibt er dann abrupt stehen, als habe sich plötzlich ein Graben vor ihnen aufgetan.

Das Programm, sagt er dann mühsam, das rechte Programm fehlt. Ihr habt das heute abend ja gehört. Euer Programm, es taugt nichts. Philosophie, nichts wie Philosophie. Diese ganze Philosophie und Juristerei, sie bringt nichts ein. Mit einem Magister als Prinzipal, wo soll es da auch herkommen, das große Geld? Man kann nicht davon runteressen, von diesem Magister, nicht wahr?