Die Chronik der Unsterblichen - Die Verfluchten - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Die Chronik der Unsterblichen - Die Verfluchten E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Band 8 der spektakulären Vampir-Serie vom Fantasy-Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein!

Libyen im 16. Jahrhundert: Mitten in der Wüste werden der Schwertkämpfer Andrej und Abu Dun von Sklavenhändlern überfallen. Um sich Zugang zur Festung der Sklavenhändler zu verschaffen, lassen sich die Unsterblichen zum Schein gefangen nehmen. Ein vorschneller Entschluss, wie sie zu spät feststellen müssen, als sie dem Anführer Ali Jhin und seinen dreihundert Räubern waffenlos gegenüberstehen ...

Wolfgang Hohlbeins erfolgreicher Fantasy-Zyklus "Die Chronik der Unsterblichen" als eBook bei beBEYOND. Die weiteren Folgen:

Band 1: Am Abgrund

Band 2: Der Vampyr

Band 3: Der Todesstoß

Band 4: Der Untergang

Band 5: Die Wiederkehr

Band 6: Die Blutgräfin

Band 7: Der Gejagte

Band 8,5: Blutkrieg

Band 9: Das Dämonenschiff

Band 10: Göttersterben

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.


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EPUB

Seitenzahl: 756

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Inhalt

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Story

Über das Buch

Sonderband der spektakulären Vampir-Serie vom Fantasy-Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein! Die Jagd nach einem bestialischen Werwolf führt die Unsterblichen Andrej und Abu Dun immer tiefer in unbekannte Länder. Deren eisige Kälte und unwirtliche Landschaften bringen sie an den Rand ihrer körperlichen und geistigen Kräfte. Täuschung und Wahrheit liegen so dicht beieinander, dass Andrej zweifelt, wem er auf dem Weg durch die Schneewüste trauen kann. Gequält von den Dämonen des eigenen Gewissens, steht er bald selbst an der Schwelle zum Wahnsinn. Es kommt zum entscheidenden Kampf mit den Werwölfen ...

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Heike und seinen Kindern am Niederrhein, umgeben von einer Schar Katzen und Hunde. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart. Seine Werke wurden in 47 Sprachen übersetzt und mit über zwanzig nationalen und ungezählten internationalen Preisen ausgezeichnet. Weitere Informationen unter: www.hohlbein.de.

WOLFGANG HOHLBEIN

DIE VERFLUCHTEN

beBEYOND

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe

© 2004 by LYX.digital, Köln

Für diese Ausgabe

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Redaktion: Dieter Winkler

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: Betty4240 | Colin_Hunter | ozandogan; © shutterstock: Dm_Cherry

Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-5908-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Story

Lass uns irgendwohin gehen, wo Frieden ist. Falls es einen solchen Ort gibt. Andrej hatte keine Ahnung, warum ihm diese Worte, die er vor so langer Zeit zu Abu Dun gesagt hatte, ausgerechnet jetzt – wenn auch weiß Gott nicht zum ersten Mal – wieder einfielen, aber eines wusste er mit unerschütterlicher Sicherheit: Wenn es irgendwo auf der Welt einen solchen Ort gab, dann sicherlich nicht hier. Und auch nicht an irgendeinem der anderen zahllosen Plätze, an denen sie auf dem Weg hierher vorbeigekommen waren. An manchen hatten sie eine kurze Zeit verweilt, viele hatten sie so schnell wie möglich wieder verlassen, und einige wenige hatten sie gemieden – oder hätten sich doch zumindest gewünscht, es getan zu haben, hätten sie gewusst, was sie dort erwartete. Vielleicht ihr Schicksal, das immer einen Schritt schneller zu sein schien als sie selbst und immer schon an ihrem Ziel auf sie wartete, auch wenn sie dieses Ziel oft genug selbst nicht gekannt hatten, bevor sie es erreichten.

»Pass auf!«

Andrej hörte Abu Duns Schrei, mit dem er ihn vor einem erneuten Angriff warnte, gerade noch rechtzeitig genug, um darauf zu reagieren und sich blindlings zur Seite und in den warmen Sand fallen zu lassen. Etwas Helles, das das Sonnenlicht einfing und ihn mit seinem grellen Glanz blendete, fuhr mit einem Geräusch über ihm durch die Luft, wie es nur scharfer Stahl verursachen konnte, der mit gewaltiger Kraft geschwungen wurde. Andrej trat ebenso blindlings zu, wie er sich hatte fallen lassen. Er sah seinen Gegner nicht, aber er traf und hörte das Geräusch eines brechenden Knochens und einen halben Herzschlag später einen gellenden Schmerzensschrei. Es war auch nicht nötig gewesen, wirklich zu sehen, wohin er trat, dachte er spöttisch. An Zielen herrschte im Moment wahrlich kein Mangel.

Andrej minderte die Wucht seines Sturzes, indem er sich über die Schulter abrollen ließ und aus der gleichen Bewegung heraus auf die Füße sprang, wechselte das armlange Damaszenerschwert von der rechten in die linke Hand und führte nahezu gleichzeitig einen wuchtigen Hieb aus, der zwar diesmal nichts traf, ihm aber zumindest für einen kurzen Moment Luft verschaffte. Noch während er sich den Sand aus den Augen blinzelte, sah er eine Anzahl verschwommener Schemen, die ebenso hastig wie ungeschickt vor ihm zurückwichen, um nicht von dem tödlichen Stahl getroffen zu werden. Zugleich warnte ihn sein Instinkt vor einer Gefahr hinter ihm. Andrej machte eine Bewegung, als wolle er sich zur Seite fallen lassen, riss sich dann im allerletzten Moment selbst zurück und kippte stattdessen nach hinten, während er das Schwert gleichzeitig mit beiden Händen packte und kraftvoll schräg nach oben stieß. Stahl klirrte auf Stahl. Funken stoben. Der Widerstand, der sich dem Schwert entgegensetzte, war plötzlich verschwunden, und er hörte einen grunzenden Schmerzenslaut, gefolgt vom dumpfen Aufprall eines schweren Körpers im Sand, aber auch fast unmittelbar darauf von den Geräuschen eines Mannes, der sich hochrappelte und hastig davonstürmte.

Dann war es vorbei. Andrej konnte immer noch nicht richtig sehen, aber er war auch nicht allein auf seine Augen angewiesen, um sich ein Bild von dem zu machen, was um ihn herum vorging. Sein scharfes Gehör, sein Geruchs- und Tastsinn, die unendlich feiner waren als die eines normalen Menschen, verrieten ihm auch so, dass die wenigen Angreifer, die den Kampf überlebt hatten und noch dazu in der Lage waren, nunmehr ihr Heil in der Flucht suchten. Trotzdem blieb er auf der Hut. Wenn man einen sicher geglaubten Vorteil wieder verspielen wollte, brauchte man nichts weiter zu tun, als sich seiner Sache vollkommen sicher zu sein.

Das Schwert in langsamen, kreisförmigen Bewegungen vor sich schwenkend und sich dabei gleichzeitig um seine eigene Achse drehend, um auf jeden plötzlichen Angriff reagieren zu können, blinzelte Andrej ununterbrochen weiter und fuhr sich dabei mit Daumen und Zeigefinger der freien Hand immer wieder über die Augen, um diesen verfluchten Sand loszuwerden. Es war ein Sand, wie er ihn erst in diesem Teil der Welt kennen gelernt hatte. Er unterschied sich von allem, was er bisher unter diesem Wort verstanden hatte. Fein wie Staub und von wechselnder Farbe musste er mit irgendwelchen bösen Geistern im Bunde stehen oder gar eine eigene, tückische Intelligenz besitzen, denn man konnte dagegen machen, was man wollte, er kroch durch die schmalsten Ritzen, unter jedes noch so eng sitzende Kleidungsstück und in jede Körperöffnung, ja, sogar in fest verschlossene Wasserflaschen und verschnürte Lederbeutel.

Im Moment hatte er genug von dem verdammten Zeug im Mund, um die Frachträume eines Flusskahnes zu füllen, und so viel in den Augen, dass er das Gefühl hatte, die Innenseiten seiner Lider wären mit Tausenden winziger Glassplitter gespickt. Der Sand schmerzte nicht nur höllisch, er konnte auch blinzeln und reiben, so viel er wollte, es gelang ihm einfach nicht, richtig zu sehen. Die Schleier vor seinen Augen lichteten sich nur ganz allmählich.

Irgendwo hinter ihm erscholl ein seltsamer, klatschender Laut, dann noch einer, noch einer und noch einer. Andrej vermochte zwar die ungefähre Richtung zu identifizieren, aus der er kam, nicht aber seine Ursache. Unbeholfen drehte er sich um, deutete mit dem Schwert in die entsprechende Richtung und blinzelte und rieb, bis sich sein Blick endlich doch zu klären begann.

Als er wieder sehen konnte, hielt er verblüfft in der Bewegung inne und ließ seine Waffe sinken.

Der Verursacher des sonderbaren Geräusches war Abu Dun. Der riesige Nubier stand über ihm auf dem Kamm der Düne, auf der sie gekämpft hatten, und hatte seinen kaum weniger riesigen Krummsäbel tief genug in den Sand gerammt, um sich mit den Unterarmen bequem darauf abstützen zu können. Das rhythmische Geräusch, das Andrej hörte, stammte von seinen Händen, mit denen er ihm – warum auch immer – applaudierte.

Andrej warf einen verwirrten Blick nach rechts und links. Bis auf die reglos daliegenden Körper von drei oder vier Männern, die den Fehler begangen hatten, in den beiden einsamen Reisenden leichte Beute zu sehen, aber glückloser als der Rest der Räuberbande gewesen waren, der jetzt in einiger Entfernung davonrannte und -humpelte, sah er absolut nichts Außergewöhnliches. Schon gar nichts, was Abu Dun Anlass zum Applaudieren oder gar zu diesem breiten Grinsen auf seinem nachtschwarzen Gesicht gegeben hätte.

»Was soll der Unsinn?«, fragte Andrej.

Abu Dun hörte zwar auf, die Hände wie ein übermütiger Riesengorilla aufeinander zu schlagen, aber sein Grinsen wurde eher noch breiter. »Dieser Unsinn?«, erkundigte er sich mit gespielter Verblüffung. »Hast du mir nicht selbst oft genug erzählt, der Applaus wäre des Künstlers Brot?«

Andrej starrte den Nubier weiter verständnislos, auch ein wenig verärgert, an. Abu Duns Humor, der noch um etliches schwärzer war als sein Gesicht, ging manchmal selbst für seinen Geschmack eindeutig zu weit. Dass sich eine Räuberbande, die das Land seit einem guten Jahr terrorisierte und glaubhaft verkündet hatte, dass sie sich als die wahren Herren dieses Landstriches betrachtete – und auch die Truppen des Kalifen nicht zu fürchten brauchte –, sich ausgerechnet an Abu Dun und ihn gewagt und ein wenig zu spät begriffen hatte, dass aus Jägern nur zu leicht Gejagte werden konnten, entbehrte vielleicht nicht einer gewissen Ironie.

Komisch fand Andrej die Situation allerdings nicht. Sie hatten etliche von ihnen erschlagen und den Rest so übel zugerichtet, dass die Hälfte davon entweder auch noch sterben oder für sehr lange Zeit keine Waffe mehr anrühren würde. Auch, wenn es sich um Diebe, Räuber und Halsabschneider handelte, von denen jeder Einzelne den Tod vermutlich hundertfach verdiente, so waren es doch Menschen gewesen. Andrej hatte schon vor einem Menschenalter aufgehört, zu zählen, wie viele Leben er ausgelöscht hatte. Der Tod war sein Beruf. Aber er hatte es niemals genossen, einen Menschen zu töten, verdient oder nicht, und er hatte kein einziges Mal irgendetwas daran komisch gefunden.

»Hör auf!«, sagte Andrej, während er sich ein letztes Mal mit dem Handrücken über die Augen fuhr und vergeblich versuchte, auch noch das allerletzte Sandkorn loszuwerden, und zugleich das Schwert in die Scheide schob, die unter seinem sandbraunen Kaftan verborgen war.

»Wieso?«, erkundigte sich Abu Dun, während sein Grinsen nur noch breiter wurde. Noch ein bisschen mehr, dachte Andrej verärgert, und er lief Gefahr, seine eigenen Ohrläppchen zu verschlucken. »Ich dachte, du liebst das Balletttanzen. So, wie du auf den Zehenspitzen herumgetänzelt bist, könntest du es am Hofe des Kalifen zu großem Ruhm und noch größerem Reichtum bringen, weißt du das?« Er grinste unerschütterlich weiter, brachte dabei aber das Kunststück fertig, zugleich fragend die Stirn in Falten zu legen. »Natürlich nur so lange, bis der Kalif beschließt, dich in seinen Harem aufzunehmen. Schließlich …«, sein Lächeln erlosch und machte jetzt einem fast nachdenklichen Ausdruck Platz, »hört man, dass er nicht abgeneigt ist, über gewisse kleine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tänzern hinwegzusehen.«

Er schien nun doch einzusehen, dass er dabei war, den Bogen zu überspannen, und wurde schlagartig ernst. »Was war gerade los mit dir, Hexenmeister? Wenn ich dich nicht gewarnt hätte, hätte dieser Kerl dir den Kopf abgeschlagen. Wirst du allmählich alt?«

Andrej beschloss, den letzten Teil seiner Frage zu ignorieren. »Wenn du mich nicht abgelenkt hättest«, antwortete er scharf, »wäre ich nicht gestürzt und hätte den Kerl erwischt, statt ihm nur das Bein zu brechen.«

»Ja, sicher«, pflichtete ihm Abu Dun mit ernstem Gesicht bei, während er sich ächzend von seiner improvisierten Stütze erhob. »Und meine Mutter ist eine unberührte Jungfrau, die nur Allah selbst gehörte.« Er machte ein betroffenes Gesicht und kratzte sich am Schädel. Es klang wie Kreide, die über harten Fels schrammte. »Halt! Diese verrückte Geschichte haben, glaube ich, schon andere für sich beansprucht.«

Andrej gab es auf. Wenn Abu Dun in einer Stimmung wie dieser war, dann hatte es überhaupt keinen Sinn, ihn zur Vernunft bringen zu wollen. Das Beste war, er ließ ihn einfach reden und wartete darauf, dass er von selbst wieder aufhörte. Auch, wenn das Stunden dauern konnte.

Statt dieses unsinnige Gespräch also fortzusetzen, klopfte er sich mit Bewegungen, von denen er selbst merkte, wie affektiert sie wirkten, den Sand aus den Kleidern und versuchte, den verrutschten Turban wieder zu ordnen, während er auf Abu Dun zuging. Der Nubier sah ihm immer noch unerschütterlich grinsend entgegen, aber Andrej kannte ihn zu gut, als dass ihm der Ausdruck mühsam unterdrückter Sorge in seinen Augen entgangen wäre.

»Also?«, fragte Abu Dun, plötzlich in sehr ernstem Ton. »Was war los?«

»Nichts«, beharrte Andrej, nur, um gleich darauf mit den Schultern zu zucken und etwas leiser hinzuzufügen: »Ich musste an etwas denken, was ich dir gesagt habe, vor ziemlich langer Zeit. Und an ein Versprechen, das du nicht gehalten hast.«

»Ich halte meine Versprechen immer«, antwortete Abu Dun beleidigt. »Manchmal dauert es eben nur eine Weile … Was für ein Versprechen?«

»Ich hatte dich gefragt, ob du einen Ort auf der Welt kennst, an dem Frieden herrscht«, antwortete Andrej, was vielleicht nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber offensichtlich ausreichte, um den Nubier an den schrecklichen Moment auf dem höchsten Turm der Festung St. Elmo zu erinnern, wie er an dem Ausdruck plötzlicher Betroffenheit erkannte, der über Abu Duns Züge huschte und dann genauso schnell wieder verschwand. »Du hast gesagt, du würdest einen solchen Ort kennen und mich dorthin bringen.«

Das hatte er Andrej ganz und gar nicht gesagt, aber Abu Dun sparte es sich, diesen Fehler zu korrigieren. Stattdessen grinste er nur noch einmal und – obwohl es Andrej noch vor einem Moment für unmöglich erklärt hätte – noch breiter und machte dann eine weit ausholende Geste mit der flachen Hand, wie ein Händler auf einem arabischen Basar, der seine Ware anpreist. »Ist es dir hier etwa nicht friedlich genug, Hexenmeister? Sieh dich um. Weit und breit ist niemand, der uns nach dem Leben trachtet.« Sein Blick blieb an den reglosen Gestalten hängen, die im blutbefleckten Sand der Düne lagen, und er fügte leiser und fast verlegen hinzu: »Jedenfalls niemand mehr.«

Andrej starrte ihn nur finster an und resignierte dann endgültig. Abu Dun hatte offensichtlich wieder einmal beschlossen, das zu groß geratene Kind zu spielen. In letzter Zeit tat er das öfters, vielleicht häufiger, als gut war. Andrej fragte sich, ob er vielleicht Grund hatte, sich ernsthafte Sorgen um seinen Freund zu machen, schob den Gedanken aber dann von sich. Wahrscheinlich war es nur Abu Duns Art, mit dem fertig zu werden, was das Schicksal ihm angetan hatte. Wenn das der ganze Preis war, dachte er, dann war er gering. Andrej hatte Männer getroffen, starke Männer, die dem Tod ins Gesicht gelacht und vor nichts und niemandem Angst gehabt hatten, die an weniger zerbrochen waren als dem, was Abu Dun widerfahren war.

Er schlug sich noch einmal mit den flachen Händen auf den sandbraunen Kaftan, den er über seiner normalen Kleidung trug, warf Abu Dun einen bösen Blick zu, als sich auf dessen Lippen angesichts der aufwirbelnden Staubwolke schon wieder ein breites und diesmal unübersehbar schadenfrohes Grinsen bemerkbar machte, und drehte sich einmal im Kreis. Jetzt aber sehr langsam und ohne das Schwert in der ausgestreckten Hand vor sich zu halten, um Abu Dun keinen Anlass zu einer noch kindischeren Bemerkung zu geben. Allzu viel gab es allerdings nicht zu sehen. So weit sein Auge reichte, und in jeder erdenklichen Richtung, erstreckte sich das fleckige Gelb eines erstarrten, trockenen Ozeans. Im Osten, bereits erstaunlich weit entfernt, konnte er die winzigen Gestalten der flüchtenden Räuber auf ihren Pferden erkennen, davon abgesehen jedoch war das Land von einer erschreckenden Leere erfüllt. Es war nicht die erste Wüste, die Andrej sah, nicht einmal die erste, die er durchquerte, aber er hatte noch nie so etwas gesehen. Während seiner Zeit als Seefahrer hatte er geglaubt, das Meer zu hassen, seine endlosen, monotonen Wellen, die aus einem nicht vorhandenen Horizont kamen und auf der anderen Seite der Welt wieder darin verschwanden, und vor allem das ununterbrochene Schaukeln und Zittern der hölzernen Planken unter seinen Füßen. Jetzt wünschte er sich dieses Gefühl beinahe zurück. Es hätte ihm zumindest die Illusion von Leben vermittelt. Dieses Land hier war … tot. Nicht zum ersten Mal fragte sich Andrej, was sie hier eigentlich taten.

Er drehte sich wieder zu Abu Dun um. »Wohin gehen wir?«

»Dorthin«, antwortete Abu Dun, ohne einen Finger zu rühren oder auch nur in eine bestimmte Richtung zu sehen.

»Du gibst also endlich zu, dass wir uns verirrt haben. Du kennst den richtigen Weg nicht.«

Abu Dun sah ihn vorwurfsvoll an. »Ich? Aber woher sollte ich den richtigen Weg kennen, oh Sahib. Ich bin nur ein kleiner, dummer Mohr, der …«

»Du bist nicht klein«, unterbrach ihn Andrej. Er machte eine verärgerte Geste, von der er wenigstens hoffte, dass sie Abu Dun davon abhielt, schon wieder mit einer Albernheit zu antworten. »Wir haben nichts mehr zu essen und fast kein Wasser mehr, muss ich dich daran erinnern?«

»Und keine Reittiere«, fügte Abu Dun in einem Ton hinzu, als fände er diesen Umstand höchst amüsant. »Unsere Pferde waren das Erste, was diese feigen Hunde aus dem Hinterhalt erschossen haben.«

Das stimmte nicht ganz, wie sich Andrej erinnerte. Alles war so unglaublich schnell gegangen, dass es selbst seinen übermenschlich scharfen Sinnen schwer gefallen war, die Ereignisse zu verarbeiten und sich in der richtigen Reihenfolge daran zu erinnern, aber das Allererste, was von gleich drei Pfeilen getroffen worden war, die die Räuber ebenso heimtückisch wie präzise aus dem Hinterhalt einer Sanddüne auf sie abgeschossen hatten, war Abu Duns breiter Rücken gewesen. Nahezu im gleichen Moment hatte auch ihn ein Pfeil dicht unterhalb des Herzens getroffen. Die Stelle, an der das Geschoss seinen Kaftan, die Lederweste und das Wams darunter durchschlagen und sich tief in seine Brust gebohrt hatte, schmerzte noch jetzt und erinnerte ihn daran, dass sein Mitleid den Erschlagenen gegenüber vielleicht doch fehl am Platze war. Die Männer waren nicht auf Gefangene aus gewesen, sondern nur auf Beute. Die beiden Pferde waren während des anschließenden Kampfes mehr aus Zufall getötet worden, als die Räuber aus ihren Verstecken hinter den nächstgelegenen Dünen auftauchten und sich ihren vermeintlichen Opfern näherten und dabei die schlimmste Überraschung ihres Daseins erlebten. Den Ausdruck im Gesicht des Mannes, der sich über ihn gebeugt und ihm die Mühe abgenommen hatte, sich selbst den Pfeil aus der Brust zu ziehen, würde Andrej lange Zeit nicht vergessen. Er selbst wäre wahrscheinlich auch verblüfft gewesen, wenn er sich über einen Mann gebeugt hätte, dem er kurz zuvor einen Pfeil ins Herz geschossen hatte, nur um unvermittelt dessen Hand an der Kehle zu spüren.

Er verscheuchte auch diesen Gedanken. Die Situation war ernst. Vielleicht ernster, als er sich bisher selbst eingestanden hatte. »Haben wir uns verirrt?«, fragte er noch einmal, und jetzt in besorgtem Ton.

Die Art, in der Abu Dun zögerte, seine Frage zu beantworten, gefiel ihm nicht. »Ich weiß es nicht«, gestand der Nubier schließlich, schüttelte dann den Kopf und sagte mit wenig Überzeugung: »Nein. Verirrt nicht, aber …«

»Aber was?«, fragte Andrej.

Wieder zögerte Abu Dun, und wieder ein wenig zu lange, als dass es Andrej nicht alarmiert hätte. Er wartete geduldig darauf, eine Antwort zu bekommen, doch Abu Dun sah ihn nur noch einen weiteren Moment lang auf diese sonderbar beunruhigende Weise an, dann rammte er sein Schwert abermals in den Sand und ging mit schnellen Schritten zu einem der erschlagenen Räuber hin. Andrej sah verblüfft zu, wie er ihn auf den Rücken drehte und dann mit raschen Bewegungen seine Kleider durchsuchte. Er konnte nicht sagen, ob der Nubier irgendetwas von Wert oder Interesse bei dem Toten fand, doch wenn, dann nahm er es nicht mit. Rasch ging er zu der nächsten Leiche, untersuchte auch sie und verfuhr methodisch und sehr schnell ebenso mit allen anderen. Ein nachdenklicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als er zurückkam und sich abermals, diesmal aber in einer eindeutig erschöpften Haltung, auf den Griff seines Säbels stützte.

»Gibst du dich jetzt schon der Leichenfledderei hin?«, fragte Andrej.

»Nur, wenn es sich lohnt«, gab der Nubier gelassen zurück. »Sie haben nichts. Jedenfalls nichts, was mich interessiert.« Er hob die mächtigen Schultern. »Auf der anderen Seite – wären sie reich, müssten sie sich ihren Lebensunterhalt wohl nicht als Räuber verdienen.«

»Du musst es ja wissen. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Haben wir uns verirrt?«

»Nicht verirrt«, beharrte Abu Dun mit einem Achselzucken, das seiner Behauptung auch noch den allerletzten Rest von Glaubwürdigkeit nahm. »Aber der Weg zur Karawanserei ist weit.«

»Wie weit?«

»Zu Pferde bis Sonnenuntergang. Vielleicht eine Stunde mehr.« Abu Dun sah ein bisschen unglücklich aus, fand Andrej.

»Und zu Fuß?«

»Bis Sonnenaufgang«, antwortete Abu Dun mit gedämpfter Stimme. Andrej sah ihn zweifelnd an, und der Nubier fügte noch leiser hinzu: »Des übernächsten Tages.«

Andrej war nicht überrascht. Auch die Pferde kamen auf diesem lockeren Untergrund und bei den mörderischen Temperaturen, mit denen die Sonne dieses Land verbrannte, nur langsam voran – aber immerhin schneller als sie selbst. Seit er das erste Mal versucht hatte, in diesem feinen Sand zu Fuß zu gehen, der nicht nur glühend heiß war, sondern sich allzu oft fast wie Wasser verhielt und unter den Schuhsohlen wegrutschte, sodass jeder Schritt zu einer kräftezehrenden Anstrengung wurde, war ihm klar, dass lange Fußmärsche durch die Wüste Selbstmord waren. Abu Duns Schätzung war vermutlich noch sehr optimistisch.

Er beschattete die Augen mit der Hand und blinzelte zur Sonne hinauf. Sie hatte den Zenit gerade überschritten, was bedeutete, dass jetzt nicht nur die heißeste Zeit des Tages war, sondern auch noch endlose Stunden bis Sonnenuntergang vor ihnen lagen, in denen es zwar kühler werden würde, aber das nicht in einem Maße, das wirklich Erleichterung verschaffte. Danach würde eine umso kältere Nacht folgen und noch ein endloser, unvorstellbar heißer Tag und eine weitere Nacht, in der die Temperaturen bis nahe an den Gefrierpunkt fallen konnten, sobald die Sonne den Horizont auch nur berührte. Andrej wusste, wozu er und vor allem der riesenhafte Nubier imstande waren, aber er kannte auch ihre Grenzen. Er war nicht sicher, ob sie es schaffen würden.

Abu Dun schien seine Befürchtungen zu teilen, denn er sah nachdenklich in die Richtung, in die sich die Räuber zurückgezogen hatten. Die Männer selbst konnte er jetzt nicht mehr sehen, aber Andrejs scharfe Augen machten ohne Mühe die Staubwolke aus, die ihren Weg markierte.

»Vielleicht sollten wir ihnen folgen«, erwog Abu Dun.

»Warum?«, fragte Andrej. »Möchtest du noch ein paar Schädel einschlagen?«

»Warum nicht?«, erwiderte der Nubier, blickte aber weiter konzentriert nach Osten. »Auf der anderen Seite … in diesem Land ist Gastfreundschaft das höchste Gut. Ich bin sicher, wenn wir sie höflich fragen und ihnen unsere Notlage erklären, dann werden sie uns Wasser geben, und wahrscheinlich auch Pferde.« Er wurde ernst, als er sah, wie sich Andrejs Gesicht erneut vor Zorn verdüsterte. »Sind dir ihre Pferde aufgefallen?«

»Sicher«, sagte Andrej. »Was ist damit?«

»Es waren Pferde«, wiederholte Abu Dun auf eine Art, als wäre das allein schon Antwort genug auf Andrejs Frage.

»Ja, ich weiß«, erwiderte Andrej unwillig. »Und?«

Abu Dun schüttelte den Kopf. »Niemand, der dieses Land kennt und seine fünf Sinne noch beieinander hat, würde versuchen, die Wüste mit einem Pferd zu durchqueren.«

»Jetzt verstehe ich auch, warumdu das vorgeschlagen hast«, sagte Andrej, doch Abu Dun blieb ernst und wiederholte nur sein überzeugtes Kopfschütteln.

»Das hier ist meine Heimat, Hexenmeister«, sagte er beleidigt. »Ich kenne mich in dieser Gegend aus, so wie du dich in den dunklen und kalten Wäldern deiner Heimat auskennst.« Er zeichnete mit der Spitze seines Schwertes einen unförmigen, lang gestreckten Umriss in den Sand. »Wir sind von hier aufgebrochen«, sagte er, indem er mit dem Fuß an einem Punkt dicht oberhalb des schmalsten Zipfels aufstampfte, »und die Karawanserei liegt hier.« Er zog mit dem Schwert eine gerade Linie durch die improvisierte Karte, die er in den Sand gemalt hatte und die wohl die lebensfeindliche Libysche Wüste darstellen sollte, die sich rings um sie herum ausbreitete. Der Umstand, dass Abu Dun zumindest glaubte, ihre ungefähren Umrisse und ihre Größe zu kennen, bedeutete, dass Menschen diesen gigantischen Ozean aus Sand durchquert und erforscht haben mussten, eine Vorstellung, bei der Andrej ein Schauer über den Rücken lief. Wenn es diese Menschen tatsächlich gegeben hatte, dann verdienten sie seinen Respekt.

»Und?«, fragte er.

»Dieses kurze Stück kann man zu Pferde bewältigen«, antwortete Abu Dun in einem Ton, in dem ein Lehrer mit einem besonders dummen Schüler reden mochte, während er ihm gerade zum fünften Mal zu erklären versuchte, warum zwei und zwei nicht neun ergaben. Er zog mit der Schwertspitze eine weitere Linie, die im rechten Winkel von der abwich, die ihren Weg markierte und somit in die Weite der Wüste hineinlief. Gleichzeitig machte er eine Handbewegung in die entsprechende Richtung, in der auch die Räuber verschwunden waren. »Dort ist nichts als Sand. Sand und Steine und Hitze. Jeder, der vorhat, weiter als einen halben Tagesritt in die Wüste vorzudringen, würde ein Kamel nehmen. Es sei denn, er wäre vollkommen wahnsinnig.«

»Oder hätte ein Lager, nicht allzu weit von hier entfernt«, fügte Andrej in nachdenklicherem Ton hinzu.

»Die Pferde hatten keine Packtaschen«, bestätigte Abu Dun. Er machte eine Kopfbewegung zu den Toten hin, die er gerade durchsucht hatte. »Und von denen da hat nicht ein Einziger einen Wasserschlauch bei sich.« Nach einer winzigen Pause und in vorwurfsvollem Ton fügte er hinzu: »Danach habe ich gerade gefleddert.«

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Andrej.

Obwohl Andrej jetzt schon seit einer geraumen Weile im Sand lag und auf das gewaltige Bauwerk hinabsah, das sich an die Schmalseite des lang gestreckten Dünentals schmiegte, war er immer noch nicht völlig sicher, was sie da eigentlich entdeckt hatten: eine von der Natur erschaffene Felsformation, die den Eindruck zu erwecken versuchte, sie wäre von Menschenhand erschaffen worden, oder ein tatsächlich künstliches Gebilde, das sich alle Mühe gab, wie etwas natürlich Gewachsenes auszusehen. Die Nacht war so dunkel, dass selbst seine scharfen Augen kaum mehr als Umrisse und Schatten erkannten. Wie immer, wenn es wirklich darauf ankam, dachte er missmutig, schien sich nun auch die Natur gegen sie verschworen zu haben. Der Himmel war zwar wolkenlos und sternenklar, wie er es in diesem Teil der Welt vermutlich seit Anbeginn der Zeit gewesen war, aber der Mond war zu einer Sichel von der Breite einer Messerklinge zusammengeschrumpft und spendete kaum noch Licht.

Hinzu kam, dass sich der Weg hierher nicht als so anstrengend erwiesen hatte, wie Andrej befürchtet hatte, sondern als ungleich viel anstrengender. Sein Verstand mochte ihm noch so oft klar zu machen versuchen, dass die Temperaturen im gleichen Maße gefallen waren, wie sich die Sonne dem Horizont genähert hatte, sein Gefühl hatte ihm gesagt, dass es heißer geworden war, ununterbrochen und unerbittlich. Selbst sein unvorstellbar leistungsfähiger Körper war längst an seine Grenzen gestoßen, als die für diesen Teil der Welt typische, kurze Dämmerung hereingebrochen war. Andrej hätte mittlerweile seine rechte Hand für einen Schluck Wasser gegeben. Wie die Männer, deren Spuren sie hierher gefolgt waren, den Weg geschafft hatten, war ihm ein Rätsel. Sie mochten hundertmal in dieser Wüste geboren worden und aufgewachsen sein, letztendlich aber waren sie sterbliche Menschen, die ihr kurzes Leben in furchtbar zerbrechlichen Körpern verbrachten.

Nicht alle hatten es geschafft. Während sie der Spur der flüchtenden Räuber gefolgt waren, hatten sie insgesamt drei Tote gefunden. Zwei waren offensichtlich an den Verletzungen gestorben, die sie sich im Kampf gegen ihn und Abu Dun zugezogen hatten, der Dritte wies, abgesehen von ein paar Schrammen, keinerlei äußerliche Verletzungen auf und musste ein Opfer von Hitze und Durst geworden sein.

»Was meinst du?«, flüsterte Abu Dun neben ihm. Andrej riss seinen Blick mit einiger Mühe von dem sonderbaren Gebilde dort unten los und sah den Nubier nachdenklich an. Abu Dun hatte seinen schweren Mantel so eng um sich geschlungen, wie es ging, und sich das lose Ende seines Turbans, das er normalerweise wie einen Schal um den Hals schlang, schräg um die Ohren gewickelt. Es sah albern aus, aber Andrej verstand nur zu gut, warum er das getan hatte. Nachdem die kurze Dämmerung vorüber gewesen war, war es kühl geworden, dann bitterkalt. Wenn es wirklich einen Gott gab, dachte Andrej, der für all das hier verantwortlich war, dann musste er diesen Landstrich wohl in besonders übler Laune erschaffen haben. Oder für zwei grundverschiedene Arten von Bewohnern. Tagsüber wurde es so heiß, dass einem fast das Blut in den Adern kochte, und kaum war die Sonne vom Himmel verschwunden, tat man gut daran, ständig in Bewegung zu bleiben, damit es nicht zu Eis erstarrte.

»Was wolltest du gerade wissen?«, gab er zurück.

Abu Dun schenkte ihm einen verärgerten Blick. Sein Herumalbern hatte im Laufe des Tages aufgehört, und so, wie es seit einiger Zeit Abu Duns Art war, war seine Laune danach ins genaue Gegenteil umgeschlagen. »Gehen wir hinein?«, knurrte er.

Die Frage war nicht nötig gewesen; ebenso wenig wie die, die Andrej zuvor gestellt hatte. Schließlich waren sie aus keinem anderen Grund hier. Und sie hatten auch gar keine andere Wahl. Andrej wusste so gut wie Abu Dun, dass sie den Rückweg nicht mehr schaffen würden. Er musste sich eingestehen, dass er nicht wusste, ob sie verdursten oder an einem Hitzschlag sterben konnten, oder ob die geheimnisvolle Kraft, die sie nunmehr seit so unendlich vielen Jahren am Leben erhielt und sie langsamer altern ließ als eine mächtige Eiche, sie auch davor schützen würde. Aber es fühlte sich auf jeden Fall so an, als wären sie auf Dauer der unbarmherzigen Hitze nicht gewachsen, und er war nicht besonders begierig darauf herauszufinden, ob das stimmte. Immerhin brauchten sie Essen und Wasser wie ganz normale Menschen, und dann und wann auch ein wenig Schlaf.

Trotzdem zögerte er erneut mit einer Antwort. Stattdessen wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Dünental unter ihnen zu. Dieses Was-auch-immer dort unten gefiel ihm nicht. Statt Abu Duns Frage direkt zu beantworten, fragte er selbst: »Was ist das?«

»Ich nehme an, eine alte Festung meines Volkes«, antwortete der Nubier.

Andrej warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Er hatte die Karte dieses Landes nicht annähernd so gut im Kopf wie Abu Dun, wusste aber dennoch, dass sie noch etliche Tagesreisen (zu Pferde!) von den Grenzen seiner Heimat entfernt waren.

Abu Dun starrte anscheinend ebenso konzentriert ins Tal hinab wie Andrej, registrierte seinen Blick aber trotzdem. »Mein Volk hat einst über all das hier geherrscht«, sagte er. »Und über noch viel mehr. Nicht wenige der letzten Pharaonen waren Nubier.«

»Dann verstehe ich auch, warum das Ägyptische Reich untergegangen ist.« Andrej bedauerte die Worte fast augenblicklich. So albern Abu Dun am Mittag noch gewesen war, so gering schien sein Sinn für Humor jetzt zu sein. In dem Blick, mit dem er Andrej maß, funkelte etwas, was an Mordlust grenzte. Vielleicht hauptsächlich um Abu Dun wieder zu besänftigen, fügte er mit einer wedelnden Handbewegung auf das sonderbare Gebilde unter ihnen hinzu: »Es sieht nicht aus wie etwas, das Menschen gebaut haben.«

Abu Duns Blick wurde lauernd, aber schließlich gab er sich widerwillig mit dieser Wendung zufrieden, obwohl er sie zweifellos als die Ausflucht erkannt hatte, die sie war. »Khamsin«, sagte er.

Andrej starrte ihn an. »Ach so«, murmelte er. »Warum hast du das nicht gleich gesagt, oh weiser Mann aus dem Morgenland?«

Abu Duns Blick wurde eher noch finsterer. »Du hast noch nie einen Wüstensturm erlebt, wie?«, fragte er und beantwortete seine Frage gleich mit einem heftigen Kopfschütteln. »Ein Khamsin ist nicht mit dem lauen Lüftchen zu vergleichen, von denen ihr in eurer Heimat behauptet, es seien Stürme.«

»Weil ja hier alles besser und größer und gewaltiger ist«, konterte Andrej. Doch Abu Dun blieb ernst.

»Du hast noch nie einen Khamsin erlebt«, wiederholte er. »Es ist tatsächlich kein Sturm, wie du ihn kennst. Der Wind türmt den Sand bis zum Himmel auf. Er ist heiß, und wenn du nicht erstickst oder erschlagen wirst, dann reißt er dir das Fleisch von den Knochen. Manchmal«, sagte er mit einer erklärenden Geste auf die sonderbar weichen Konturen und Linien der angeblichen Nubierfestung unten im Tal, »bieten nicht einmal so dicke Mauern Schutz.«

Andrej blickte weiter skeptisch. Schließlich kannte er den Hang des Freundes zum Übertreiben, doch Abu Dun nickte noch einmal bekräftigend. Dann sagte er: »Also, wie gehen wir vor? Stürmen wir hinein, erschlagen alle und nehmen uns dann, was wir brauchen, oder nehmen wir uns erst, was wir brauchen, und erschlagen dann alle?«

Andrej lächelte zwar matt, aber er verstand durchaus, was Abu Dun meinte. Ganz gleich, ob ausschließlich von Menschenhand erschaffen oder von einer Laune der Natur aufgeworfen, das Gebilde dort unten war riesig. Zwischen den verfallenen Mauern mit ihren sonderbar weichen Kanten und den Resten bizarr geformter Türme und Torbögen brannten zahlreiche Feuer. Manchmal trug der Wind ein dumpfes Stimmengemurmel zu ihnen herauf; Lachen, das Wiehern von Pferden und das dunklere, lang anhaltende Blöken eines Kamels. In dieser verfallenen Festung mussten sich Dutzende von Männern aufhalten, wenn nicht Hunderte. Selbst für Abu Dun und ihn waren das zu viele, um einfach hineinzuspazieren und sich zu nehmen, was sie brauchten. Außerdem, brachte er sich mit einem heftigen Gefühl schlechten Gewissens in Erinnerung, waren sie nicht hierher gekommen, um ein Blutbad anzurichten. Selbst, wenn es wirklich die Räuberbande war, von der ihnen der Händler in der Karawanserei berichtet hatte, und jeder einzelne dieser Männer den Tod verdiente, ging sie das nichts an.

Nach einer Weile schien Abu Dun seines Zögerns überdrüssig zu werden. »Ich könnte warten, bis sie eingeschlafen sind«, schlug er vor, »und mich dann hinunterschleichen.«

»Um lautlos wie ein Schatten ins Lager einzudringen und zwei Pferde samt Wasser und Nahrung zu stehlen und zurückzukommen, ohne dass jemand das merkt?«, gab Andrej spöttisch zurück. Beim bloßen Anblick des Nubiers, der selbst ohne seinen gewaltigen Turban gut zwei Meter groß und breitschultrig genug war, dass sich ein normal gewachsener Mann ohne Mühe hinter ihm verstecken konnte, hatte diese Vorstellung schon etwas Lächerliches; obwohl er natürlich wusste, dass Abu Dun sehr wohl dazu imstande war, sich mit einer für einen Mann seiner Statur und Massigkeit schon geradezu unheimlichen Eleganz zu bewegen.

Aber das dort unten war keine Hafenkneipe voller Betrunkener, in die er sich hineinschleichen und mit ein wenig Glück erwarten konnte, auch ungesehen wieder herauszukommen. Andrej hatte an genügend Feldzügen teilgenommen, um zu wissen, dass sie auf nichts anderes als ein Heerlager hinabstarrten. Und ein solches Lager schlief nie. Außerdem waren die meisten der Räuber, die sie angegriffen hatten, entkommen und mittlerweile zweifellos zurück im Lager, und wenn schon nicht von ihm, so hatten sie doch gewiss von Abu Dun eine Beschreibung abgegeben, nach der ihn jeder sofort wiedererkennen würde. Obwohl er noch nicht lange in diesem Teil der Welt war, hatte er doch eine der Eigenarten seiner Bewohner bereits hinlänglich kennen gelernt: Sie waren ein schwatzhaftes Volk mit einer mehr als blumigen Sprache. In den Erzählungen der Entkommenen war Abu Dun vermutlich mittlerweile drei Meter groß, hatte vier Arme und konnte Feuer speien.

Kurz entschlossen schüttelte er den Kopf. »Ich gehe. Du wartest hier.«

»Und zähle die Sterne am Himmel?«, erwiderte Abu Dun spöttisch. »Warum nicht? Wir machen das doch immer so, nicht wahr? Du riskierst deinen Hals, und ich lasse es mir gut gehen und warte, bis du zurückkommst.« Er grunzte verärgert. »Sie würden dich sofort als Ungläubigen erkennen, Hexenmeister.«

Das war Unsinn, und Abu Dun wusste das. Andrej trug die typische Kleidung der Einheimischen, einen Kaftan aus schwerer Baumwolle, eng sitzende Stiefel, einen Turban – und mit seiner sonnengebräunten Haut, den schmalen Zügen und dem pedantisch ausrasierten Bart wirkte er zumindest auf den ersten Blick und bei einem so schlechten Licht, wie es dort unten herrschte, durchaus wie ein Araber. Wenigstens solange er nicht gezwungen war zu sprechen. Die langen Jahre, die er zusammen mit Abu Dun verbracht hatte, hatten ihm hinlänglich Gelegenheit gegeben, die Muttersprache des Nubiers zu erlernen. Aber nach ihrer Ankunft hier war ihm schnell klar geworden, dass der Nubier nicht nur einen anscheinend fürchterlichen Dialekt sprach, sondern es auch ein himmelweiter Unterschied war, eine Sprache zu verstehen, oder sie fließend zu sprechen.

»Vielleicht können wir uns im Schutz der Dunkelheit anschleichen, ohne dass sie uns überhaupt bemerken«, schlug er ohne viel Hoffnung vor.

»Wo ich mich doch so leicht wie eine Feder zu bewegen vermag«, spottete Abu Dun und schüttelte abermals den Kopf, diesmal so heftig, dass Andrej hastig ein Stück zur Seite rutschte, um sich nicht von dem losen Ende seines Turbans eine Ohrfeige einzufangen. »Wir gehen beide, und …«

Er verstummte mitten im Satz, und auch Andrej fuhr erschrocken zusammen und hielt instinktiv den Atem an, um zu lauschen. Der Wind hatte ein Geräusch zu ihnen herangetragen, das nicht aus dem Lager stammte.

»Kamele«, wisperte Abu Dun.

Es wäre nicht nötig gewesen, zu flüstern. Das Geräusch war selbst für ihre scharfen Ohren kaum wahrnehmbar; seine Quelle musste noch sehr weit entfernt sein. Trotzdem antwortete Andrej im gleichen, gedämpften Tonfall. »Eine Karawane?«

Abu Dun nickte, zuckte dann mit den Schultern und nickte wieder. Er sah ratlos aus, fand Andrej.

»Stimmt etwas nicht?«, erkundigte er sich deshalb.

»Nein«, antwortete Abu Dun, gemahnte ihn aber gleichzeitig mit einer abrupten Handbewegung zum Schweigen, lauschte einen Moment mit schräg gehaltenem Kopf und deutete dann tiefer in die Wüste hinein. Ohne ein weiteres Wort stand er auf und lief geduckt die Dünen gerade weit genug hinunter, bis er sich aufrichten und ganz normal gehen konnte, ohne Gefahr zu laufen, von einem aufmerksamen Augenpaar gesehen zu werden. Andrej wusste, dass die Räuber Wachen aufgestellt hatten, aber sie waren entweder nicht sonderlich gut darin oder sich ihrer Sache sehr sicher. Selbst weit weniger geschickten Männern, als Abu Dun und er es waren, wäre es leicht gefallen, sich an ihnen vorbeizuschleichen. Der Nubier und er hatten den Geruch der Wachtposten wahrgenommen, lange bevor sie auch nur in deren Sichtweite gekommen waren. Dennoch hatte Andrej es sich schon vor langer Zeit zur Maxime gemacht, lieber hundertmal zu vorsichtig als ein einziges Mal zu leichtsinnig zu sein, eine Angewohnheit, die ihnen beiden schon des Öfteren den Hals gerettet hatte.

Der Wind drehte, und die Geräusche wurden nun deutlicher. Andrej hörte Schritte, das Rascheln von Stoff und das Knarren von Leder, die typischen Laute, mit denen Waffen über Stoff oder Harnische scheuerten, das schwere Stampfen von Kamelen und dann und wann ein unwilliges Blöken, geflüsterte Stimmen, dazwischen aber auch das Knallen einer Peitsche, das Klirren von Ketten und ein leises, aber anhaltendes Wehklagen und Wimmern. Er tauschte einen beunruhigten Blick mit Abu Dun, erntete aber nur ein Achselzucken und ein grimmiges Lächeln, das ihm verriet, dass sich die Gedanken des Nubiers wohl auf ganz ähnlichen Pfaden bewegten wie seine eigenen.

Sie mussten nicht allzu weit gehen. Nach kurzer Zeit blieb Abu Dun stehen, duckte sich leicht und deutete zugleich mit dem linken Arm nach vorn. Andrejs Blick folgte der Geste. Obwohl der Nachthimmel nahezu vollkommen schwarz war, konnte er die Silhouette des Reiters, der sich ihnen auf dem Dünenkamm näherte, doch deutlich ausmachen. Instinktiv wollte er sich noch weiter ducken und ein Versteck suchen, dann machte er sich klar, dass der Fremde, der schließlich nur normale, menschliche Augen hatte, sie unmöglich sehen konnte.

Sehr viel Zeit blieb ihnen allerdings trotzdem nicht. Das Pferd kam zwar nicht im Galopp näher, wohl aber in einem raschen Trab.

Andrej überlegte noch, was zu tun sei, als Abu Dun bereits handelte. Mit einem gewaltigen Satz sprang er über den Dünenkamm hinweg und auf der anderen Seite gute drei oder vier Meter weit hinunter, bevor seine Füße den Sand wieder berührten.

Jedem anderen wäre dieser beeindruckende Sprung wohl wie Prahlerei erschienen, aber Andrej war klar, warum Abu Dun das getan hatte. Trotz oder vielleicht gerade wegen der fast vollkommenen Dunkelheit schien der Sand rings um sie herum unnatürlich hell zu schimmern. In den riesigen Wogen, die der Wind aufgetürmt hatte, waren kleinere Wellen, ein gleichmäßiges Muster, das einem die Sinne verwirrte, wenn man den Fehler beging, zu lange hinzusehen. Der Mann, der ihnen auf dem Dünenkamm entgegengeritten kam, war zweifellos ein Wächter, der vorausritt.

Andrej fragte sich, warum Abu Dun nicht in die entgegengesetzte Richtung ausgewichen war, schob diese Frage aber auf, bis er den Nubier eingeholt hatte und sie ihm selbst stellen konnte, und folgte ihm auf dieselbe Weise.

Wenigstens versuchte er es. Sein Sprung war womöglich eleganter, aber nicht ganz so kraftvoll wie der Abu Duns. Einen guten Meter oberhalb der Stelle, an der die Füße des Nubiers den Sand aufgewühlt hatten, prallte er auf und verlor zu allem Überfluss auch noch das Gleichgewicht, sodass er nicht weiterlief, sondern mit wirbelnden Armen hilflos nach vorn kippte und in einer Lawine aus feinem Sand die Düne hinunterschlitterte. Lautlos fluchend richtete er sich auf, spuckte Sand und war schon wieder so gut wie blind. Das Erste, was er erblickte, als er wieder einigermaßen sehen konnte, war Abu Duns schadenfrohes Grinsen.

Der Nubier hockte neben ihm auf einem Knie und schien alle Mühe zu haben, nicht vor Lachen laut herauszuplatzen, bedeutete Andrej aber dennoch zugleich mit einer sehr hastigen Geste, still zu sein. Andrej verfluchte sich für seine Ungeschicklichkeit. Normalerweise war es Abu Dun, der sich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen benahm und er, Andrej, derjenige, der sich darüber nach Kräften lustig machte. Sein kleines Missgeschick würde ihm der Nubier wahrscheinlich noch in drei Jahren vorhalten, dachte er übellaunig. Oder auch in dreihundert.

Abermals sah er in die Richtung, aus der der Reiter näher kam. Andrej konnte das weiche Geräusch hören, das die Hufe seines Pferdes auf dem Sand verursachten. War er schneller geworden?

Mit klopfendem Herzen sah er zu der Stelle hin, an der er gestürzt war. Für seine scharfen Augen war die breite Spur, die er in den Sand gegraben hatte, unübersehbar, ebenso wie für die Abu Duns. Andrej fragte sich, ob der Reiter dort oben sie ebenfalls sehen konnte, kam aber zu keinem Ergebnis. Es war einfach zu lange her, dass seine Augen die Sehkraft eines normalen Sterblichen gehabt hatten.

Er versuchte sich damit zu trösten, dass der Mann gar keinen Grund hatte, die Flanken der Düne aufmerksam abzusuchen, und drehte sich wieder zu Abu Dun um. Der Nubier hockte noch in der gleichen Haltung da, hatte aber den Kopf gedreht und sah konzentriert in die Richtung, aus der sich der Kamelreiter näherte. Andrej tat dasselbe, jedoch nicht, ohne die mindestens zwanzig Meter hohe Barriere hinter ihnen noch einmal mit aufmerksamen Blicken abgetastet zu haben. Das Dünental und der allergrößte Teil seiner Wände lagen in vollkommener Dunkelheit da. In ihrer dunklen Kleidung mussten sie für den Mann dort oben vollkommen unsichtbar sein.

»Was hast du?«, flüsterte er.

Obwohl er so leise gesprochen hatte, dass sich der Klang seiner Stimme schon nach wenigen Schritten verlieren musste, hob Abu Dun abwehrend die Hand und machte eine fast erschrockene Bewegung. »Still!«, zischte er – weitaus lauter als Andrej.

Andrej gehorchte und konzentrierte sich ganz darauf, angestrengt in dieselbe Richtung zu spähen wie der Nubier. Im ersten Moment sah er nichts anderes als das, was er die ganze Zeit schon gesehen hatte: Sand und Dunkelheit. Dann aber bemerkte er eine Bewegung, Schatten, die langsam näher kamen, und jetzt hörte er auch die Geräusche wieder deutlicher. Die Karawane war nicht mehr sehr weit entfernt.

»Und jetzt?«, flüsterte er.

Diesmal verzichtete Abu Dun wenigstens darauf, ihm zuzuschreien, dass er leiser sein sollte. Er deutete nur ein Schulterzucken an und sah unentschlossen aus. Auch, wenn er sein Gefühl nicht in Worte fassen wollte oder konnte – es war nicht zu übersehen, dass ihm irgendetwas an dem, was da auf sie zukam, nicht gefiel.

So wenig wie Andrej.

Der Nubier ließ noch einen Moment verstreichen, dann schlich er geduckt ein gutes Stück den Weg zurück, den sie gekommen waren, lief zwei oder drei Schritte weit die Düne hinauf und begann dann rasch, aber vollkommen lautlos, mit den Händen eine flache Grube im lockeren Sand auszuheben.

»Würdest du mir verraten, was du da tust?«, murrte Andrej, obwohl er es nur zu gut wusste.

»Ich grabe mich ein. Du hast das ja nicht nötig, ich weiß. Du verwandelst dich einfach in eine Fledermaus und wartest, bis sie an uns vorübergezogen sind. Ich würde das auch gern tun, aber ich bin ja nur ein armer, dummer Mohr, kein Hexenmeister.«

Eine Zeit lang sah Andrej Abu Dun interessiert dabei zu, wie er rasch eine flache Mulde schaufelte, die kaum auszureichen schien, um seinen mächtigen Körper aufzunehmen, sich dann flach hineinlegte und ebenso hektisch wie erfolglos versuchte, sich selbst einzugraben. Schließlich seufzte er tief, schüttelte den Kopf und half dem Nubier. »Ich wusste, dass ich dich eines Tages würde begraben müssen. Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Aber du hörst ja nicht auf mich.«

Abu Dun, von dem mittlerweile nur noch das Gesicht und ein Teil des Turbans sichtbar waren, funkelte zu ihm hoch und setzte zu einer wütenden Antwort an, die Andrej aber erstickte, indem er mit beiden Händen eine gewaltige Ladung Sand auch noch über den sichtbaren Rest des Nubiers schaufelte und dann aufstand, um sich rasch zu entfernen. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass die Schatten näher gekommen waren. Aus der bloßen Bewegung waren Umrisse geworden, die auf sonderbar anzusehende Art hin und her zu wanken schienen. Trotzdem blieb ihm noch Zeit genug, sich ebenfalls zu verstecken.

Der sandfarbene Kaftan, den er trug und über den sich Abu Dun so oft lustig gemacht hatte, gab ihm jede Deckung, die er brauchte. Nur ein paar Schritte von Abu Dun entfernt öffnete Andrej seinen Gürtel, legte sich flach in den Sand und breitete das Kleidungsstück dann so über sich aus, dass es ihn vollkommen verbarg. Bei Tageslicht wäre das wenig wirksam gewesen, doch nun kam ihm die fast völlige Schwärze dieser Neumondnacht zugute, über die er noch vor wenigen Augenblicken innerlich geflucht hatte. Niemand würde ihn bemerken, wenn er nicht gerade versehentlich auf ihn trat.

Der Nachteil dieser Art der Tarnung war natürlich der, dass Andrej nichts sah. Nicht einmal seine scharfen Augen vermochten den dicken Stoff zu durchdringen, den er sich auch über das Gesicht gezogen hatte, doch er hörte alles, was nötig war.

Die Karawane kam nur langsam näher, und Andrej korrigierte seine Einschätzung, was ihre Größe anging, mit jedem Augenblick, der verging. Es mussten Dutzende von Tieren sein, Pferde, zum größten Teil aber Kamele, und noch sehr viel mehr Menschen, die sich zu Fuß bewegten. Er roch ihren Schweiß, hörte geflüsterte Stimmen, das leise Schluchzen einer Frau und immer wieder das Knallen einer Peitsche, dem aber nicht der Laut folgte, mit dem sie auf Stoff oder nackte Haut traf. Er hatte eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was er sehen würde, hätte er auch nur einen einzigen Blick aus seinem Versteck geworfen.

Vorsichtshalber tat er es nicht. Die Chance, dass jemand genau in diesem Moment in seine Richtung sehen und sich wundern würde, wieso sich ein Stück der Düne bewegte, war zwar nur verschwindend gering, aber wozu ein Risiko eingehen? Andrej wartete, bis die letzten Schritte an ihm vorübergezogen waren, zählte in Gedanken langsam bis fünfzig und hob erst dann und unendlich behutsam einen Zipfel seines Mantels an, um darunter hervorzuspähen.

Die Karawane war vorübergezogen. Der Schweiß von Mensch und Tier lag noch in der Luft, und auch der ganz schwache Geruch nach Blut, der Andrejs Beunruhigung zusätzliche Nahrung gab. Doch der dunkel gekleidete Kamelreiter, der den Abschluss der Kolonne bildete, war schon gut vierzig oder fünfzig Schritte entfernt. Selbst, wenn er sich in diesem Moment in dem sonderbar geformten Sattel seines Reittieres umgedreht hätte, hätte er ihn nicht mehr sehen können.

Trotzdem vermied Andrej jede hastige Bewegung, während er aufstand. Sofort setzte er dazu an, sich den Sand aus dem Mantel zu klopfen, bevor ihm die Sinnlosigkeit dieser Bemühungen aufging und er es einfach dabei beließ, das Kleidungsstück wieder fest um sich zu wickeln und den Gürtel zu schließen. Abu Dun befreite sich ungefähr so geschickt aus seinem selbst geschaufelten Grab im Sand wie ein zu groß geratener Käfer, der auf den Rücken gefallen war, und spießte ihn mit Blicken geradezu auf. Als er neben ihm anlangte, enthielt er sich zu Andrejs Überraschung aber jeglichen Kommentars und sah noch einmal aufmerksam in die Runde. Andrej tat dasselbe und stellte ohne Überraschung fest, dass nicht nur vor, sondern auch hinter der Karawane zwei Reiter wachten; einer auf dieser und einer auf der Kuppe der gegenüberliegenden Düne.

»Und?«, fragte er. »Hast du gesehen, was du sehen wolltest?«

»Sklavenhändler«, sagte Abu Dun leise. »Das sind verdammte Sklavenhändler!«

Der Ton in seiner Stimme ließ Andrej besorgt aufhorchen. Es war so lange her, dass er es manchmal zu vergessen begann, doch als Abu Dun und er sich kennen gelernt hatten, da war der nubische Riese genau das gewesen: ein Sklavenhändler. Abu Dun behauptete bei jeder Gelegenheit, die sich bot, dass dieser Teil seines Lebens abgeschlossen sei und weit hinter ihm liege und er Sklavenhändler heute verabscheue, und Andrej war auch überzeugt davon, dass das die Wahrheit war. Was er aber nun in seiner Stimme hörte, das war keine Abscheu, sondern ganz eindeutig Hass.

»Und?«, fragte er noch einmal. »Was hast du jetzt vor? Willst du sie angreifen und die Sklaven befreien? Es sind ein bisschen viele.«

»Verstehst du denn nicht?«, grollte Abu Dun. »Wenn das eine Sklavenkarawane ist, dann sind das da vorn keine gewöhnlichen Räuber. Es waren mindestens vierzig oder fünfzig Mann, wahrscheinlich mehr. Zusammen mit denen in der Festung müssen es zwei- oder dreihundert sein!«

Andrej überschlug rasch seine eigene Schätzung und kam zu dem Ergebnis, dass Abu Dun diesmal wohl kaum übertrieben hatte. Er hob abermals die Schultern. »Dann ist es eben eine große Räuberbande.«

»Eine verdammt große, meinst du nicht?«, fragte Abu Dun.

»Ich kenne Räuberbanden drüben in Europa, die noch viel größer sind«, antwortete Andrej. Worauf wollte Abu Dun hinaus? »Nur nennen sich ihre Anführer nicht Räuber, sondern Könige oder Barone.«

Abu Dun blieb ernst. »Wir müssen ihnen nach.«

Andrej starrte ihn an. »Bist du verrückt?«

Der Nubier schüttelte so heftig den Kopf, dass sein Turban verrutschte. »Kein bisschen. Ich muss ihnen nach, Andrej. Du kannst hier bleiben, wenn du willst.«

Er fuhr herum und wollte unverzüglich losstürmen, doch Andrej hielt ihn mit einem raschen Griff zurück. »Nicht so schnell. Was hast du vor?«

Abu Dun machte eine Bewegung, wie um sich loszureißen, was er ohne Mühe gekonnt hätte, denn er war mindestens doppelt so stark wie Andrej, ließ den Arm dann aber wieder sinken und warf noch einen Blick in Richtung der langsam abziehenden Sklavenkarawane. »Das sind die, nach denen ich gesucht habe.«

»Nach denen du gesucht hast?«, wiederholte Andrej verständnislos. »Was soll das heißen? Wer sind diese Männer? Wieso suchst du nach ihnen?«

Im Grunde stellte er keine dieser Fragen, weil er eine Antwort darauf erwartete. Abu Dun und er waren jetzt seit mehr als einem Jahrhundert zusammen. Sie hatten zahllose Abenteuer erlebt und hatten gemeinsam zahllose fremde Länder bereist. Er wusste über den Nubier fast ebenso viel wie über sich selbst. Dennoch schien es Dinge zu geben, die noch im Dunkel lagen.

Wieder zögerte Abu Dun, bis er antwortete, und als er es tat, da war seine Stimme leiser geworden, und der Hass, den Andrej noch vor einem Atemzug darin gehört hatte, hatte Bitterkeit und Schmerz Platz gemacht. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich als Kind in die Sklaverei verschleppt und auf dem Markt verkauft worden bin.«

»Ja«, sagte Andrej. »Und was hat das mit diesen Männern zu tun?«

Abu Dun atmete hörbar ein. »Ich glaube, sie gehören der Sippe derer an, die mich damals verschleppt haben. Die, die meine ganze Familie ausgelöscht und mein Heimatdorf zerstört haben.« Er machte sich – jetzt allerdings fast sanft – nun doch los und ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass Andrej das Knacken seiner Gelenke hören konnte.

»Aber du hast mir auch erzählt, dass du den Mann, der den Überfall auf dein Dorf angeführt hat, aufgespürt und umgebracht hast.«

»Ja, und ich habe sein Schiff genommen und bin selbst Sklavenhändler geworden«, bestätigte Abu Dun. »Aber ich habe dir nie erzählt, warum ich es geworden bin.«

»Weil man auf diesem Wege schnell und leicht zu großen Reichtümern gelangen kann?«, fragte Andrej in bewusst ironischem Ton. Abu Dun blieb jedoch ernst, und als er seinen Blick endlich von der weiterziehenden Sklavenkarawane losriss und sich wieder zu Andrej umwandte, da las er in den Augen des Nubiers keinen Zorn, sondern nur eine Mischung aus Trauer und einem uralten Schmerz, der niemals ganz verheilt war.

»Nein«, sagte er ernst. »Dieser Mann, dessen Leben und dessen Schiff ich genommen habe, gehörte zu einer mächtigen Organisation von Sklavenhändlern in der Libyschen Wüste, deren Einfluss weit bis nach Nubien, Ägypten und sogar bis in die Ausläufer der Sahara reicht, wo sie sich gelegentlich mit den Blaukitteln, den Tuareg, herumschlagen. Es gibt sie seit Jahrhunderten. Sie sind so alt wie dieses Land und so hartnäckig und heimtückisch wie eine Krankheit, die man nicht loswird. Niemand weiß genau, wer sie sind. Niemand weiß, wo sie herkommen und wohin sie verschwinden. Ich habe mich ihnen nur angeschlossen, weil ich herausfinden wollte, wer sie wirklich sind.«

»Und hast du es erfahren?«, fragte Andrej.

Abu Dun schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Nein. Wäre das Geheimnis so leicht zu lösen, hätte es längst jemand getan. Immer wieder haben Emire und ihre Kriegsfürsten in der Vergangenheit versucht, dieser Plage Herr zu werden. Sie haben Heere losgeschickt, um nach den Sklavenhändlern zu suchen, und mehr als eines ihrer Nester ausgeräuchert. Aber sie konnten sie niemals völlig ausrotten.«

»Und diese Kleinigkeit willst du jetzt ganz allein erledigen?«, erkundigte sich Andrej.

Abu Dun ignorierte seine Frage. »Diese alte Festung muss einer ihrer Stützpunkte sein. Vielleicht finde ich dort eine Spur, die mich zu denen führt, die dahinterstecken.«

Andrej seufzte tief. Einen Moment lang wusste er nicht, was er sagen sollte. Er konnte Abu Dun verstehen. Der Schmerz, den er in seinen Augen gesehen hatte, war echt. Auch in seiner Vergangenheit gab es ein Ereignis, das er nie wieder vergessen würde und das auf seiner Seele eine Wunde hinterlassen hatte, die niemals ganz aufgehört hatte zu schwären. Aber das da vorn war eine ganze Armee.

»Selbst, wenn du Recht hast, Abu Dun«, sagte er, so sanft, wie er nur konnte. »Es ist lange her. Keiner von denen, die für das verantwortlich waren, was dir angetan wurde, ist heute noch am Leben.«

»Und?«, schnappte Abu Dun. »Macht es das besser?« Er schüttelte wütend den Kopf. »Ich verlange nicht von dir, dass du mich begleitest! Wahrscheinlich hast du Recht, und es ist Wahnsinn und Selbstmord in einem, aber ich kann nicht anders. Als ich damals im Bauch dieses Piratenseglers in Ketten lag, da habe ich mir geschworen, dass ich diese Pest ausrotten werde. Es ist lange her. So lange, dass ich es fast schon vergessen hatte. Aber ich habe es geschworen, und ich werde diesen Schwur halten.«

Andrej sagte nichts mehr. Es waren nicht Abu Duns Worte, sondern die Art, in der er sie ausgesprochen hatte, die ihn schweigen ließen. Er fragte sich, was er tun würde, böte sich ihm die Gelegenheit, sich an denen zu rächen, die ihm seine Familie und auch Maria genommen hatten, aber im Grunde hatte er diese Frage bereits beantwortet. Vor langer Zeit.

Die Seite der Festung, der sich die Karawane näherte, schien sich in wesentlich besserem Zustand zu befinden als die, auf die Abu Dun und er vorhin von der Höhe des Dünenkammes herabgesehen hatten. In der Nacht wirkten alle Linien und Kanten immer noch sonderbar rund, wie glatt geschliffen. Die wuchtigen Türme, die die vier Ecken des Bauwerkes bildeten, waren schon vor langer Zeit eingestürzt, und ihre zerbröckelnden Reste ragten wie faulende Drachenzähne in den Himmel. Der rote Widerschein zahlreicher Feuer ließ das Firmament unmittelbar über dem Burghof in einem düsteren matten Glanz erstrahlen, und der Wind trug jetzt nicht nur das entfernte Rauschen zahlreicher Stimmen zu ihnen, sondern auch Gelächter, Fetzen von Musik und ein helles, metallisches Klingen. Vielleicht auch ein leises Wehklagen, doch in diesem Punkt war sich Andrej nicht sicher.

Sie waren der Sklavenkarawane zwar in sicherem, dennoch aber nicht allzu großem Abstand gefolgt. Nahe genug, um die ganze Zeit über das Schluchzen und Weinen der unglückseligen Männer und Frauen zu hören, die die Sklavenhändler in Ketten zwischen sich hergetrieben hatten. Es war ein Geräusch, das man so schnell nicht vergaß.

Jetzt hatten sie angehalten, wiederum im Schatten einer mächtigen Sanddüne, die eine Art zweites, natürliches Bollwerk rechts und links um diese vor langer Zeit von Menschenhand geschaffene Festung bildete. Die Karawane war noch ein gutes Stück weitergezogen und dann ebenfalls zum Stillstand gekommen. Soweit Andrej das über die große Entfernung hinweg beurteilen konnte, herrschte vor dem Eingang der Festung ein heilloses Chaos. Es gab zwar ein Tor, das, wenn es gänzlich offen stand, weit genug sein musste, um mindestens fünf oder sechs Reitern nebeneinander Platz zu bieten, aber es stand nicht offen. Stattdessen hatte sich in dem aus gewaltigen, verwitterten Balken gefertigten Tor ein geradezu lächerlich kleines Türchen geöffnet, durch das die Männer einzeln eintraten, und auch das nur langsam und in großem Abstand.

Andrej war natürlich klar, warum das so war. Jeder einzelne Mann, der die Festung der Sklavenhändler betreten wollte, wurde offensichtlich sorgfältig kontrolliert. Was ihr Vorhaben nicht unbedingt leichter machte. »Man könnte meinen, sie erwarten uns«, murmelte er.

»Vielleicht tun sie das ja«, sagte Abu Dun. Andrej sah ihn fragend an. »Wir hätten sie doch alle töten sollen«, grollte der Nubier, kam Andrejs Widerspruch aber mit einer raschen Handbewegung zuvor. »Nein, nicht, weil sie Sklavenhändler sind und ich sie allein deswegen umbringen würde. Die Überlebenden von heute Mittag haben den missglückten Überfall sicherlich in den buntesten Farben ausgeschmückt. Wahrscheinlich habe ich mich nach ihren Erzählungen mitten im Kampf in einen drei Meter hohen Riesen oder einen fürchterlichen Dschinn verwandelt.«

Andrej hätte ihm gerne widersprochen, konnte es aber nicht. Natürlich hatten die Männer, die vor ihnen geflohen waren, von dem Gemetzel berichtet, das zwei auf den ersten Blick harmlos wirkende Reisende unter ihnen angerichtet hatten. Die Herren dieser sonderbaren Wüstenfestung hätten schon Narren sein müssen, hätten sie die Sicherheitsvorkehrungen nicht zumindest so lange verschärft, bis sie sicher sein konnten, dass die beiden Fremden entweder tot oder endgültig weitergezogen waren. »Und wie kommen wir jetzt dort hinein?«, fragte er.

Abu Dun antwortete nicht. Einen kurzen Moment lang blickte er noch aufmerksam zur Festung hin, dann begann er seinen Turban abzuwickeln, streifte Mantel und Schwert ab und schlüpfte anschließend ächzend aus den Stiefeln. Er trug jetzt nur noch eine nachtschwarze Pluderhose, die von einem kunstvoll gefertigten Gürtel allen Naturgesetzen zum Trotz daran gehindert wurde, von seinem gewaltigen Bauch zu rutschen.

»Das ist nicht dein Ernst!«, sagte Andrej entsetzt.

Abu Dun machte sich ungeschickt an seinem Gürtel zu schaffen. Es klimperte leise, als er ihn abschnallte und zu seinen übrigen Sachen warf. »Hast du vielleicht eine bessere Idee?«

»Mehr als eine.« Andrej deutete auf die Männer, die ungeduldig darauf warteten, eingelassen zu werden. »Wir schnappen uns zwei Pferde und machen, dass wir von hier wegkommen. Meinetwegen auch Kamele.«

Abu Dun ließ sich ächzend in den Sand plumpsen und begann, seine abgelegten Habseligkeiten in den schwarzen Mantel einzuwickeln. »Du hast mir nicht zugehört, Hexenmeister«, behauptete er.

»Doch«, erwiderte Andrej. »Und ich kann dich sogar verstehen. Du hast vollkommen Recht. Diese Pest gehört ausgerottet, mit Stumpf und Stiel. Aber wir sind nur zu zweit. Und ich glaube nicht, dass wir wirklich etwas gegen sie unternehmen können, wenn wir uns waffenlos und als Sklaven verkleidet in ihre Festung einschleichen!«

Er deutete noch einmal, diesmal energischer, mit der Hand in dieselbe Richtung. »Lass uns zurückreiten und den nächsten Emir oder Scheich oder Obermufti oder wer immer hier etwas zu sagen hat alarmieren. Wir können morgen Abend mit Truppen wieder hier sein, und dann bekommst du deine Rache.«

Abu Dun hatte indessen schon eine flache Grube im Sand gebuddelt, warf seinen Mantel hinein und begann sie mit schnellen Bewegungen wieder zuzuschaufeln. Andrej fragte sich vergeblich, wie um alles in der Welt er diese Stelle wiederfinden wollte, sagte sich aber auch zugleich, dass das vermutlich gar nicht nötig war. Wenn Abu Dun wirklich tat, wozu er allem Anschein nach wild entschlossen war, würde er seine Sachen nicht mehr brauchen.

»Das ist verrückt«, beharrte er noch einmal.

»Stimmt«, antwortete Abu Dun in fast fröhlichem Ton, spannte seine gewaltigen Muskeln an und riss seine knielange Hosen an den Bünden ein. »Und genau deshalb werden sie damit niemals rechnen.«

»Womit?«, murmelte Andrej kopfschüttelnd. »Dass wir uns freiwillig in Ketten legen lassen?«

»Die meisten Sklaven sind nicht angekettet, sondern nur mit Stricken gebunden«, erwiderte Abu Dun. »Aus wie vielen Kerkern sind wir schon entkommen?«

»Aus so vielen, dass ich keine große Lust verspüre, noch einen weiteren kennen zu lernen«, antwortete Andrej. Aber seiner Stimme fehlte die nötige Entschlossenheit. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass er Abu Dun auf gar keinen Fall von diesem Wahnsinn würde abhalten können.

»Kommst du nun mit oder nicht?«, wollte Abu Dun wissen.