Die Chronik der Unsterblichen - Göttersterben - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Die Chronik der Unsterblichen - Göttersterben E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Band 10 der spektakulären Vampir-Serie vom Fantasy-Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein!

Als Andrej und Abu Dun im Hafen von Cádiz eintreffen, rüstet sich die mächtige spanische Armada gerade für die Schlacht gegen die Engländer. Doch der Schwertkämpfer Andrej verfolgt seinen eigenen Krieg Z: Er will Loki finden und zu töten. Der gefallene Gott aber ist stärker als jeder Gegner, dem die Unsterblichen bisher gegenübergestanden haben. Während Andrej Lokis Spur verfolgt, muss er erkennen, dass die Blutgier, die er lange unter Kontrolle gehalten hat, sich machtvoll ihren Weg bahnt ...

Wolfgang Hohlbeins erfolgreicher Fantasy-Zyklus "Die Chronik der Unsterblichen" als eBook bei beBEYOND. Die weiteren Folgen:

Band 1: Am Abgrund

Band 2: Der Vampyr

Band 3: Der Todesstoß

Band 4: Der Untergang

Band 5: Die Wiederkehr

Band 6: Die Blutgräfin

Band 7: Der Gejagte

Band 8: Die Verfluchten

Band 8,5: Blutkrieg

Band 9: Das Dämonenschiff

Band 10: Göttersterben

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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EPUB

Seitenzahl: 675

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Inhalt

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

1

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Epilog

Über das Buch

Band 10 der spektakulären Vampir-Serie vom Fantasy-Bestseller-Autor Wolfgang Hohlbein! Als Andrej und Abu Dun im Hafen von Cádiz eintreffen, rüstet sich die mächtige spanische Armada gerade für die Schlacht gegen die Engländer. Doch der Schwertkämpfer Andrej verfolgt seinen eigenen Krieg Z: Er will Loki finden und zu töten. Der gefallene Gott aber ist stärker als jeder Gegner, dem die Unsterblichen bisher gegenübergestanden haben. Während Andrej Lokis Spur verfolgt, muss er erkennen, dass die Blutgier, die er lange unter Kontrolle gehalten hat, sich machtvoll ihren Weg bahnt ...

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Heike und seinen Kindern am Niederrhein, umgeben von einer Schar Katzen und Hunde. Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart. Seine Werke wurden in 47 Sprachen übersetzt und mit über zwanzig nationalen und ungezählten internationalen Preisen ausgezeichnet. Weitere Informationen unter: www.hohlbein.de.

WOLFGANG HOHLBEIN

GÖTTERSTERBEN

beBEYOND

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe

© 2008 by LYX.digital, Köln

Für diese Ausgabe

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Redaktion: Dieter Winkler

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © thinkstock: Betty4240 | Colin_Hunter; © shutterstock: Dm_Cherry; ©iStock: Dorottya_Mathe

Satz und eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN: 978-3-7325-5911-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

Von der Höhe des Hügels herab betrachtet und im Licht der allmählich untergehenden Sonne, die das Meer in einen kupferfarbenen Spiegel verwandelte und die Konturen der Mauern und Türme aufzuweichen schien, bot die Stadt einen geradezu friedlichen Anblick. Über die große Entfernung hinweg war in den schmalen Straßen und verwinkelten Gässchen kein menschliches Leben zu erkennen, nicht einmal für seine scharfen Augen, und auch das weit offen stehende Stadttor schien leer, wie eine Einladung an jeden, hereinzukommen und eine Gastfreundschaft zu genießen, von der er doch nur zu gut wusste, dass es sie nicht gab; schon gar nicht für ihn. Wenn er genau hinsah, meinte er etwas wie einen flüchtigen Dunst wahrzunehmen, etwas wie Nebel, der über der Stadt hing und zu fein war, als dass sein Blick ihn tatsächlich erfassen konnte; ein Feengespinst, das dieser Stadt, so hässlich und wehrhaft sie in Wahrheit auch sein mochte, etwas Verlockendes verlieh. Sie schien nicht hierher zu gehören, weder in dieses Land noch in diese Zeit; ein Überbleibsel aus einer Epoche, in der nicht nur die Dinge, sondern auch die Menschen anders gewesen waren, und in der noch Frieden und Vertrauen das Leben bestimmt hatten.

Andrej wusste jedoch nur zu gut, wie falsch dieser Eindruck war. Und hätte er es nicht schon vorher gewusst, so hätte er es wohl spätestens zugeben müssen, als er seinen Blick – mit einiger Mühe – von den pittoresken Dächern und Zinnen der Stadt löste und über das dahinterliegende Meer schweifen ließ.

Es war schwarz von Schiffen.

Er hatte versucht, sie zu zählen, war aber irgendwo zwischen hundert und hundertfünfzig durcheinandergeraten (und somit noch weit von ihrer wahren Anzahl entfernt) und hatte es beim zweiten, ebenfalls misslungenen Versuch aufgegeben. Eines jedoch war ihm klar: Mit einer einzigen Ausnahme, die lange zurücklag und ihn nur noch manchmal in seinen schlimmsten und schwärzesten Träume heimsuchte, war dies die größte Flotte, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Und was er jetzt vor sich sah, das war nur ein kleiner Teil der gewaltigen Armee, die zum Krieg rüstete.

»Wenn wir die Stadt noch vor der Dämmerung erreichen wollen, sollten wir aufbrechen«, sagte Abu Dun neben ihm. Andrej wandte sich im Sattel um, biss die Zähne zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken, und warf ihm einen fragenden Blick aus seinem gesunden Auge zu. Das andere tränte so stark, dass er die hünenhafte Gestalt des Nubiers nur schemenhaft wahrnahm, und seine verletzte Schulter bereitete ihm immer noch starke Schmerzen.

»Es ist natürlich Eure Entscheidung, Sahib«, fuhr Abu Dun, der seinen Blick wohl falsch gedeutet hatte, fort und verzog spöttisch die Lippen. »Aber ich vermute, dass sie die Tore mit Einbruch der Dämmerung schließen. Und ich für meinen Teil würde gerne einmal wieder in einem richtigen Bett übernachten. Ganz davon zu schweigen«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »dass du ebenfalls aussiehst, als täte dir ein Bett gut.«

Andrej wollte mit der Hand nach seinem verletzten Auge tasten, hielt dann aber inne. »Du hast recht«, sagte er, wandte sich mühsam wieder im Sattel nach vorne, machte aber dennoch keine Anstalten, Abu Duns Aufforderung nachzukommen. Sein Pferd begann, unruhig mit den Vorderhufen im Boden zu scharren. Nach Tagen, in denen sie jeder menschlichen Ansiedlung und Nähe sorgsam ausgewichen und sich stets in den Wäldern gehalten hatten, witterte das Tier nun die Nähe eines Stalls und sehnte sich wohl ebenso sehr nach frischem Heu und einem warmen Verschlag für die Nacht, wie Abu Dun nach einem Bett und einer Mahlzeit, die nicht nur aus einer Handvoll Beeren und einem halb verhungerten Kaninchen bestand. Andrej erging es nicht anders. Dennoch zog er sachte an den Zügeln, um das Tier zu beruhigen, und sah noch einmal lange und nachdenklich auf die weiß getünchten Mauern und die mit Kanonenläufen gespickten Zinnen Cádizs hinab. Nun konnte er dort unten doch Bewegung ausmachen, wenn sich ein Lichtstrahl auf poliertem Metall, das zu den Rüstungen und Helmen der Soldaten gehörte, brach. Gerade, als er sich wieder an den Nubier wenden wollte, tauchte ein Trupp von gut hundert bewaffneten Reitern aus dem Wald zu ihren Füßen auf und näherte sich in scharfem Galopp der Stadt.

Abu Dun räusperte sich ebenso laut wie nachdrücklich, und Andrej wurde erst jetzt klar, dass abermals Minuten verstrichen waren, in denen er einfach dagesessen und ins Leere gestarrt hatte. Ein wenig schuldbewusst ließ er sein Pferd antraben, nur, um es unmittelbar darauf schon wieder zu zügeln. Das Tier schnaubte verärgert, und auch zwischen Abu Duns Augenbrauen entstand eine tiefe, vielsagende Falte. Der neuerliche Vorwurf, auf den Andrej wartete, kam jedoch nicht. Stattdessen sah er Sorge in den Augen des Nubiers, und das machte ihm noch mehr zu schaffen.

»Tut mir leid«, murmelte er. »Ich weiß, ich benehme mich albern, aber …«

»Das ist es nicht«, unterbrach ihn Abu Dun. Sein Pferd wieherte ebenso unwillig wie das Andrejs und es klang, als wolle es seinem Reiter recht geben.

»Was dann?«

»Das gefällt mir nicht«, antwortete Abu Dun. Er löste die rechte Hand vom Zügel und deutete auf die weiß getünchten Mauern und Dächer der Stadt hinab. Die Sonne war weiter gesunken und die Schatten waren länger und dunkler geworden, was die Farbe des Mauerwerks noch heller aufleuchten ließ. »Das ist eine Falle.«

Vermutlich hatte er recht, dachte Andrej betrübt. Gleichzeitig fragte er sich, warum er nicht auf diesen Gedanken gekommen war. Trotz allen großspurigen Geredes und seiner manchmal an den Nerven zerrenden Art, den ungebildeten Barbaren zu spielen, war Abu Dun im Grunde ein Pragmatiker und von den beiden Freunden derjenige, der nur zu oft vor Andrej die wahre Bedeutung der Dinge erkannte. Nach allem, was sie auf den Weg hierher erlebt hatten, hätten sich allenfalls ihre Pferde von dem Anblick der Stadt, in deren festen Mauern und sauber verputzten Häusern schon unter normalen Umständen Zehntausende leben mussten und die jetzt vermutlich ein Mehrfaches dieser Zahl an Menschen beherbergte, täuschen lassen dürfen. Vielleicht lag es an seiner Müdigkeit. Er schob die Hand unter den Mantel und legte sie um den Griff des gewaltigen Breitschwerts, das vor Jahren den Platz seiner geliebten Damaszenerklinge eingenommen hatte, ohne sie jemals wirklich ersetzen zu können. Doch dann zog er sie so rasch und erschrocken wieder zurück, als hätte er glühendes Eisen berührt. Auch diese Bewegung entging Abu Dun nicht, aber er reagierte auch darauf nur mit einem besorgten Stirnrunzeln.

»Er ist dort«, sagte Andrej. »Ich spüre es.«

»So wie in Göteborg?«, vermutete Abu Dun. »Oder in Hamburg? Oder in Wien? Oder Prag?«

Andrej brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Verstummen, bevor Abu Dun die Aufzählung fortführen und womöglich zu Ende bringen konnte – wofür er vermutlich länger gebraucht hätte, als die Sonne noch am Himmel stand.

»Ja«, antwortete er. »Aber diesmal ist es anders. Er ist hier. Ich weiß es. Und du weißt es auch.«

Der Nubier verzog abfällig die Lippen, aber seine Antwort klang weder spöttisch noch verärgert, sondern besorgt. »Etwas ist hier«, bestätigte er. »Das ist wahr. Aber ich bin nicht sicher, ob ich wirklich herausfinden möchte, was es ist.«

Andrej wies den Freund nicht darauf hin, dass er keineswegs darauf beharrte, dass Abu Dun ihn begleitete. Dieses Gespräch hatten sie ein einziges Mal geführt, und Abu Duns Antwort war so deutlich gewesen, dass es sinnlos gewesen wäre, diesen Vorschlag noch einmal zu wiederholen. Also zuckte er nur noch einmal (vorsichtig) mit den Schultern, blinzelte die Tränen weg, die nach wie vor den Blick seines verletzten Auges verschleierten, und gab seinem Pferd mit einem sachten Schenkeldruck die Erlaubnis, weiterzutraben. Das Tier setzte sich mit einem erfreuten Schnauben in Bewegung und auch Abu Duns riesiger weißer Hengst lief los, ohne dass sein Reiter ihn eigens dazu auffordern musste.

Sie überquerten eine schmale, aber sehr lang gestreckte und so präzise wie mit einem Lineal gezogene Lichtung, drangen noch einmal in den Halbschatten des Waldes ein und erreichten schon nach wenigen Minuten einen gewundenen Pfad, der weiter hangabwärts führte und schließlich in einer schmalen Straße mündete, die weder gepflastert noch auf andere Weise befestigt, aber von so vielen Hufen und Füßen festgetreten war, dass sich der Hufschlag ihrer Pferde anhörte, als ritten sie über Stein. Der Wald war hier weniger dicht als der, in dem sie sich in den vergangenen Tagen und Nächten versteckt hatten, sodass es nicht Andrejs übermenschlich scharfer Sinne bedurft hätte, um ihm zu verraten, dass sie die einzigen Menschen in weitem Umkreis waren. Die Reiter, die sie gerade beobachtet hatten, waren hier entlanggekommen; selbst jetzt hing noch der Schweißgeruch von Mensch und Tier in der Luft, und hier und da entdeckte er am Wegesrand einen Stofffetzen, einen weggeworfenen oder verlorenen Gegenstand, einmal sogar eine kleine Münze – die allerdings nicht so klein war, dass Abu Dun es nicht der Mühe wert befunden hätte, sein Pferd anzuhalten und abzusteigen, um sie aufzuheben. Wäre da nicht das nagende Gefühl der Unruhe in ihm gewesen (und die Tatsache, dass die Sonne jetzt immer rascher sank und die Stadttore bei der Dämmerung schließen würden), hätte er jetzt vermutlich zu einer spöttischen Bemerkung angesetzt. So aber hielt er nicht einmal an, sondern ritt nur ein wenig langsamer, bis der Nubier wieder zu ihm aufgeholt hatte.

Die Sonne berührte das Meer im Westen und verwandelte die zahllosen Masten und Rahen der Schiffe, deren Zahl das Fassungsvermögen des kleinen Hafens längst überschritten hatte, in den schwarzen, seltsam geometrischen Scherenschnitt eines abgebrannten Waldes. Andrej atmete erleichtert auf, als das letzte, sorgsam gerodete Stück bis zur Stadt vor ihnen auftauchte, und wollte gerade schneller reiten, als Abu Dun ihn beim Arm packte, den Kopf schüttelte und sein eigenes Tier zum Stehen brachte.

»Irre ich mich, oder warst du gerade derjenige von uns, der zur Eile gedrängt hat?«, fragte Andrej.

Der Nubier maß ihn nur mit einem fast mitleidigen Blick, griff hinter sich und kramte einen Moment lang in seiner Satteltasche. Seine Hand hielt einen schwarzen, sorgsam aufgerollten Streifen Stoff, als sie wieder zum Vorschein kam – Abu Duns Ersatz-Turban, den er normalerweise hütete wie seinen Augapfel. Andrej sah ihn fragend an.

»Bind ihn dir um«, sagte der Nubier.

»Ich dachte, ich hätte dir schon vor zweihundert Jahren klargemacht, dass ich nicht zum Islam übertreten werde«, witzelte Andrej.

Abu Dun machte nur eine ungeduldige Geste mit dem Stoffstreifen. »Du solltest dein Auge damit verbergen«, sagte er. »Es sieht nicht besonders schön aus.«

Wenn es so aussah, wie es sich anfühlte, dachte Andrej, musste es ganz ausgesprochen hässlich aussehen. Trotzdem rührte er keinen Finger, um nach dem schwarzen Stoff zu greifen. »Dieses Land befindet sich im Krieg«, erinnerte er. »Ich nehme an, die Leute hier haben schon Verwundete gesehen.«

»Aber noch niemanden mit einem halb ausgeschossenen Auge«, erwiderte Abu Dun und kam Andrejs Widerspruch zuvor, indem er ihn kurzerhand mit einer seiner gewaltigen Pranken ergriff und festhielt und mit der anderen den Turban so um seinen Kopf wickelte, dass der Stoff sein zerstörtes Auge verbarg. »Und ganz bestimmt noch niemanden, dessen Verletzung ein paar Stunden später wie durch Zauberei verschwunden ist.«

Andrej wollte mit einer spöttischen Bemerkung dagegenhalten, aber stattdessen biss er die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen, als Abu Dun den improvisierten Verband fester als notwendig verknotete. Gleichzeitig sagte er sich, dass der Nubier natürlich recht hatte. Die Verletzung heilte bereits – immer noch nicht annähernd so schnell wie gewöhnlich, aber sie heilte – und in ein paar Stunden, spätestens morgen früh, würde nichts mehr davon zu sehen sein. Der Gedanke daran schürte seinen Ärger nur noch, auch wenn dieses Gefühl jetzt nur ihm selbst galt, nicht mehr dem Nubier. Die Kugel musste ihn schlimmer verletzt haben, als er sich eingestehen wollte. Die Handvoll Möchtegern-Wegelagerer, die geglaubt hatten, mit den beiden ahnungslosen und sichtbar zu Tode erschöpften Reitern leichtes Spiel zu haben, hatten nicht einmal mehr Zeit gefunden, diesen Irrtum gebührend zu bedauern. Dennoch war auch er selbst nur knapp dem Tod entronnen. Nicht dem scheinbaren Tod, den er schon zahllose Male er- und überlebt hatte, sondern dem endgültigen Ende. Die beiden Schüsse, die erstaunlicherweise beide auf ihn abgegeben worden waren statt auf Abu Dun, der zumindest dem äußeren Anschein nach der eindeutig gefährlichere Gegner hätte sein sollen, hatten beide getroffen; die erste Kugel hatte ein sauberes Loch in seine linke Schulter gestanzt und sein Herz um Haaresbreite verfehlt, die zweite hatte sein linkes Auge getroffen und ihn nur deshalb nicht auf der Stelle getötet, weil sie aus der Schläfe wieder ausgetreten war, ohne durch sein Gehirn zu pflügen. Andrej hasste Schusswaffen, seit er das erste Mal mit dieser Erfindung des Teufels in Berührung gekommen war, und tief in seinem Innersten war er davon überzeugt (und hatte es Abu Dun schon hunderte Male versichert), dass ihn eines Tages eine Kugel und kein ehrlicher Schwertstreich in einem Kampf Mann gegen Mann töten würde. Aber erst jetzt wurde ihm klar, dass dieser Tag um Haaresbreite der heutige gewesen wäre.

»So!« Abu Dun betrachtete sein Werk kritisch, grinste dann plötzlich so breit wie ein Schuljunge, der sich über einen besonders gelungenen Scherz freut, und versetzte ihm einen Schlag mit der flachen Hand auf den Rücken, der ihn beinahe aus dem Sattel geworfen hätte. »Jetzt siehst du wieder einigermaßen ansehnlich aus. Jedenfalls wird nicht gleich jeder schreiend davonlaufen, der dich sieht.«

»Ansehnlich?« Andrej betastete missmutig sein Gesicht. Seine Fingerspitzen verrieten ihm, dass der improvisierte Verband viel mehr als sein Auge bedeckte.

»Glaub mir, Hexenmeister«, versicherte Abu Dun mit todernster Miene, »es gibt durchaus Männer, denen es zum Vorteil gereicht, wenn man nur die Hälfte ihres Gesichtes sieht. Du solltest dir überlegen, dieses Tuch ständig zu tragen.«

Andrej verzichtete vorsichtshalber auf jedwede Antwort, sondern starrte den Nubier finster an – nicht finster genug, denn Abu Duns Grinsen wurde nur noch breiter – und griff trotzig nach den Zügeln. Diesmal hielt er sein Pferd nicht zurück, sondern spornte es an, zuerst in einen raschen Trab, dann in einen langsamen Galopp zu fallen.

Dennoch hätten sie es beinahe nicht rechtzeitig geschafft. Ganz wie Abu Dun erwartet hatte, begannen die Wachen die Stadttore zu schließen, als die Sonne hinter dem Horizont verschwand und aus dem Gold des letzten Tageslichtes das Grau der Dämmerung wurde. Einer der beiden riesigen Torflügel war bereits geschlossen, der andere wäre ihnen buchstäblich vor der Nase zugeschlagen worden, hätte ihn nicht ein Mann in einer blau-weißen Uniform, der einen verbeulten Bronzehelm auf dem Kopf und einen schartigen, aber tadellos sauberen Säbel am Gürtel trug, im letzten Moment zurückgehalten, um sie passieren zu lassen. Kurz darauf brachten sie ihre unwillig schnaubenden Tiere zum Stehen.

Der Mann mit dem Bronzehelm war nicht allein. Abu Dun und Andrej sahen sich plötzlich von einem knappen Dutzend Soldaten umringt, die nicht nur die unterschiedlichsten Uniformen und Rüstungen trugen, sondern auch mit einem schon beinahe lächerlich anmutenden Sammelsurium der verschiedensten Waffen auf sie zielten: Speere, Armbrüste und Bögen. Einer legte sogar eine Muskete an, die Andrej unangenehm den Schmerz in Auge und Schulter in Erinnerung rief.

»Steigt ab!«, befahl der Soldat, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. Andrej überlegte einen halben Atemzug lang, ihm genau die Antwort zukommen zu lassen, die dieser unverschämte Ton verdiente, besann sich dann darauf, ausnahmsweise einmal vernünftig zu reagieren, und ließ sich mit einer bewusst langsamen und umständlich anmutenden Bewegung aus dem Sattel gleiten, wobei er sorgsam darauf achtete, dass sein Mantel geschlossen blieb und seinem Gegenüber die gewaltige Waffe an seinem Gürtel nicht auffiel. Nicht nur Abu Dun und er selbst, auch und vielleicht sogar vor allem Gunjir erregten fast überall Aufsehen, wohin sie kamen; tatsächlich hatte ihnen das auffällige Bastardschwert schon mehr als einmal Ärger eingehandelt. Zum einen lag das an seinem Aussehen. Man sah der Waffe nicht nur ihr Alter an, sondern auch ihr Gewicht, das es selbst einem Mann von Andrejs kräftiger Statur schwerfallen musste, sie auch nur zu heben, geschweige denn, damit zu kämpfen. Aber das war es längst nicht allein. Gunjir war kein normales Schwert. Es war eine Waffe der Götter, geschmiedet in den heiligen Feuern Asgards und dazu geschaffen, Götter zu töten. Sein bloßer Anblick erfüllte die Herzen sterblicher Menschen mit einer Furcht, die sie sich nicht erklären konnten, und die vielleicht gerade deshalb nur zu oft in Aggressivität umschlug.

»Ich danke Euch, dass Ihr uns noch eingelassen habt«, begann Abu Dun, indem er rasch an Andrej vorbeitrat und so versuchte, die Aufmerksamkeit des Soldaten zu erheischen. »Wir haben auf dem Weg zu viel Zeit verloren und …«

Der Soldat mit dem Bronzehelm – Andrej sah erst jetzt, dass er fast noch ein Kind war, höchstens siebzehn oder achtzehn Jahre alt und trotzdem augenscheinlich schon der Kommandant dieser kleinen Truppe – brachte Abu Dun mit einer herrischen Geste zum Verstummen, würdigte ihn darüber hinaus aber nicht einmal eines Blickes, sondern starrte Andrej an. Er sah ein bisschen erschrocken aus, auf jeden Fall aber verwirrt, doch Andrej spürte zugleich auch, wie ernst er seine Aufgabe nahm. »Wer ist dieser Kerl?«, fragte er. »Euer Sklave? Ich rede nicht mit Muselmanen. Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier in Cádiz?«

»Zuallererst ein Dach über dem Kopf und vielleicht eine warme Mahlzeit«, antwortete Abu Dun, bevor Andrej es tun konnte. Doch der junge Soldat sah ihn immer noch nicht an und presste die Zähne so heftig aufeinander, dass seine Lippen zu einem blutleeren, schmalen Strich wurden, der sein Gesicht wie eine schlecht verheilte Narbe teilte.

»Vergebt meinem Freund, Señor«, sagte Andrej rasch. »Ich glaube, wir waren zu lange unterwegs. Er beginnt seine guten Manieren zu vergessen.«

»Das ist keine Antwort auf die Frage, was Euch hierher führt, Señor«, erwiderte der Soldat. Andrejs Blick ließ sein Gesicht keinen Moment lang los, dennoch sah er aus den Augenwinkeln, wie sich der Halbkreis der anderen Männer um sie herum schloss. Keiner von ihnen hatte seine Waffen sinken lassen und auch die Muskete zielte nach wie vor auf ihn.

»Bitte verzeiht«, fuhr er fort. »Aber es ist so, wie mein Freund sagt. Wir haben eine lange Reise hinter uns und sind müde. Könnt Ihr uns ein Gasthaus empfehlen? Eines«, fügte er mit einem angedeutet-verlegenen Lächeln hinzu, »das nicht zu teuer ist?«

Schon bevor er die Worte ganz zu Ende ausgesprochen hatte, begriff er, dass er nicht den richtigen Ton angeschlagen hatte. Das Misstrauen aus dem Blick seines Gegenübers wich nicht, und er setzte auch zu einer Antwort an, als sich in diesem Moment zwei weitere Gestalten aus dem Schatten eines der umliegenden Häuser lösten. Die beiden Männer, der eine älter und größer als der andere, trugen beide Uniform, und auch wenn Andrej sich mit dem spanischen Militär nicht auskannte, war ihm doch sofort klar, dass sie im Rang weit über den Männern stehen mussten, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatten. Einer von ihnen – der ältere, dessen gewelltes weißes Haar unter einem Dreispitz hervor bis auf seine Schultern herabfiel – maß zuerst Abu Dun und dann ihn mit einem flüchtigen Blick, bevor er sich in scharfem Ton und mit einer herrischen Geste an den jungen Soldaten wendete. »Leutnant! Verratet Ihr mir, was Ihr hier tut?«

Der junge Mann mit dem Bronzehelm fuhr sichtbar erschrocken herum, und für die Dauer eines halben Atemzuges schien es Andrej, als wollte er Widerstand leisten. Dann aber traf sein Blick auf den des Weißhaarigen und da verließ ihn der Mut. »Colonel«, stammelte er. »Ich wollte nur …«

»… einem Reisenden, der nach Unterkunft und einer Mahlzeit verlangt, zeigen, wie weit es mit der spanischen Gastfreundschaft gekommen ist?«, unterbrach ihn der Colonel scharf. Er schüttelte den Kopf. »Genug! Euren Diensteifer in allen Ehren, aber diese Männer haben Euch gesagt, was ihr Anliegen ist, und damit solltet Ihr Euch zufriedengeben.« Er drehte sich dann auf dem Absatz herum und deutete eine knappe Verbeugung in Andrejs Richtung an. »Bitte verzeiht diesem übereifrigen jungen Mann, Señor«, sagte er. »Ich fürchte, er nimmt seine Aufgabe zu ernst.«

»Besser, als nicht ernst genug«, antwortete Andrej.

Der Weißhaarige lächelte knapp, doch seine Augen blieben ernst, während ihr Blick aufmerksam und unverhohlen neugierig über Andrejs Gesicht tastete.

»Ihr seid verletzt, Señor?«

»Das ist nichts«, antwortete Andrej vielleicht eine Spur zu hastig. »Ich war unaufmerksam. Mein Freund hat mich gewarnt, auf tief hängende Äste zu achten, wenn ich durch den Wald reite, aber ich habe nicht auf ihn gehört. Geschieht mir recht.«

»Falls Ihr einen Arzt braucht, so …«, begann der Offizier.

»Das wird nicht nötig sein«, unterbrach ihn Andrej. »Wie gesagt: Es ist nur ein Kratzer. Abu Dun hat darauf bestanden, mich zu verbinden, als hätte man mir den Schädel gespalten, dabei ist es nur eine Schramme. Kaum der Rede wert.«

Er konnte seinem Gegenüber ansehen, wie wenig ihn diese Behauptung überzeugte, und fragte sich, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte. Was, wenn der Offizier darauf bestand, sich die Wunde, die er als einen einfachen Kratzer abgetan hatte, anzusehen?

Er tat es nicht. Nach einer weiteren, schier endlosen Sekunde zuckte der Weißhaarige nur mit den Schultern und machte dann eine Bewegung, wie um nun auch offiziell den Weg freizugeben. »Nun, das ist Eure Entscheidung. Wenn Ihr ein Gasthaus sucht, dann kann ich Euch vielleicht behilflich sein.«

»Das ist sehr freundlich von Euch, Colonel«, sagte Andrej, »aber …«

»Ich will mich nicht aufdrängen«, unterbrach ihn der Offizier. »Es ist nur so, dass die Stadt aus den Nähten platzt. Ihr werdet Mühe haben, ein Zimmer zu finden – noch dazu eines, dessen Besitzer nicht versucht, Euch zu übervorteilen. Zeiten wie diese bringen leider meist das Schlechte im Menschen zutage.«

»Zeiten wie diese?«, wiederholte Andrej.

»Ihr habt die Schiffe nicht gesehen?«

»Doch«, antwortete Andrej, »und wir haben uns gefragt …« Er brach ab und mimte den Überraschten. »Sagt es nicht! Das ist die Armada?«, hauchte er dann.

»Zumindest ein Teil davon«, erwiderte der Weißhaarige. »Die Stadt ist voller Soldaten, Söldner und Freiwilliger, die sich der Flotte anschließen wollen. Ihr werdet kaum ein Zimmer finden – es sei denn, Ihr seid nicht allzu anspruchsvoll. Geht am Ende der Straße nach links und biegt dann zweimal rechts ab, bis Ihr zum Goldenen Eber kommt. Wenn Ihr dem Besitzer Grüße von Colonel Rodriguez ausrichtet, dann wird er vielleicht noch ein Plätzchen für Euch finden und möglicherweise sogar darauf verzichten, Euch den zehnfachen Preis für einen Krug schales Bier und einen vertrockneten Fisch abzuknöpfen.« Er lachte leise.

Andrej stimmte – ganz bewusst ein wenig unsicher – in dieses Lachen ein, gemahnte sich im Stillen aber zur Vorsicht. Er traute dem Weißhaarigen nicht und spürte ganz instinktiv, dass dieses Misstrauen auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Dorthin werden wir gehen«, sagte er. »Vielen Dank. Und macht Euch keine Sorgen, Colonel. Abu Dun und ich werden die spanische Gastfreundschaft in guter Erinnerung behalten. Zumindest die Cádizs.«

2

Der Goldene Eber war nicht so schlimm, wie Andrej nach der Beschreibung des Colonels erwartet hatte – er war schlimmer. Das einzig Prachtvolle daran war das sorgsam gemalte und mit Blattgold verzierte Schild über dem niedrigen Eingang, unter dem selbst er sich hindurchbücken musste, um nicht mit dem Kopf anzuschlagen. Und das einzige Zimmer, das der vermeintliche Freund des Colonels ihnen anbieten konnte (für einen geradezu unverschämten Preis, von dem er mindestens ein Dutzend Mal behauptete, er würde nicht einmal seine Unkosten decken und er böte ihn ihnen nur an, weil der Colonel ein guter Freund des Neffen des Schwagers seiner Frau wäre), war ein nach faulendem Stroh und Exkrementen stinkender Verschlag hinter dem Pferdestall. Aber immerhin hatte er vier Wände und ein Dach und es war das erste Mal seit Tagen, dass sie nicht auf feuchtem Waldboden, wenngleich auf nicht minder feuchtem Stroh schlafen mussten.

Dennoch erwachte Andrej am nächsten Morgen so ausgeruht wie schon seit langer Zeit nicht mehr, dafür aber mit hämmernden Kopfschmerzen und einem widerwärtigen Geschmack im Mund pünktlich mit dem ersten Licht der Sonne, das durch die fingerbreiten Ritzen der morschen Bretterwand drang. Das Erste, was ihm auffiel, war, dass er allein war. Abu Dun war nicht bei ihm, und doch konnte Andrej seine Nähe spüren; eine sachte Präsenz, kaum fühlbar. Vielleicht war er nur hinausgegangen, um sich umzusehen oder einem körperlichen Bedürfnis nachzukommen, dem sich von Zeit zu Zeit sogar Unsterbliche beugen mussten.

Andrej setzte sich auf und wäre um ein Haar gleich vornübergefallen, als ihn ein heftiges Schwindelgefühl ergriff und ein stechender Schmerz durch seinen Schädel fuhr. Stöhnend verbarg er das Gesicht in den Händen, wartete, bis das Pochen hinter seiner Stirn nachließ, und richtete sich dann ein zweites Mal und sehr viel vorsichtiger auf. In Erwartung eines neuerlichen Schmerzes tastete er behutsam mit den Fingerspitzen zuerst nach seiner Schläfe, dann nach seinem Auge. Er fühlte nur den rauen Stoff des Turbans, aber immerhin, sowohl Schläfe als auch Auge waren noch an ihrem Platz, denn schon die bloße Berührung tat weh. Auch seine linke Schulter meldete sich mit einem leichten Ziehen wieder zurück. Was um alles in der Welt war nur mit ihm los? Sicher, die Verletzungen waren schlimm gewesen, jede einzelne davon schwer genug, um einen normalen Menschen augenblicklich zu töten – aber er war kein normaler Mensch.

Und warum waren die beiden Wunden nicht schon längst verheilt? Das letzte Mal, dass er eine Verletzung erlitten hatte, die nicht nach wenigen Stunden (meistens jedoch schon nach Minuten) spurlos verschwunden war, war ein Jahrhundert her, und vielleicht sogar länger. Waren die beiden Musketenkugeln vielleicht vergiftet gewesen?

Sofort verwarf Andrej diesen Gedanken mit einem überzeugten Nein. Geschöpfe wie die, in die Abu Dun und er sich verwandelt hatten, konnten nicht vergiftet werden.

Andrej sah ein, dass er dieses Rätsel jetzt nicht lösen würde, und stemmte sich behutsam zuerst auf die Knie, dann ganz hoch. Aufmerksam sah er sich um. Der Geruch der Fäulnis des auf dem Boden liegenden Strohs würde für die nächsten Wochen in seinen Kleidern haften, und die Bretterwand verdiente ihren Namen kaum, denn sie bestand mehr aus Ritzen und Spalten als aus Holz. Die schmale Tür, durch die sie hereingekommen waren, hatte keinen Riegel, und er konnte sowohl den Geruch als auch die gereizte Unwilligkeit der zwei Dutzend Pferde durch das dünne Holz hindurch wahrnehmen, die in dem engen Stall dahinter zusammengepfercht waren. Einen Moment lang lauschte er konzentriert nach Abu Dun. Der Nubier befand sich in seiner Nähe, zugleich aber auch zu weit entfernt, als dass er ihn hätte rufen oder die genaue Richtung erkennen können, in der er sich befand.

Andrej runzelte die Stirn, verärgert über sich selbst. Er benahm sich wie ein Kind, das nachts in einem fremden Zimmer erwachte und nach seiner Mutter suchte.

Andrej öffnete die Tür und trat in den Pferdestall hinaus. Wie er erwartet hatte, war der winzige Verschlag so hoffnungslos überfüllt, dass er sich dicht an der Wand entlangschieben musste, um zum Ausgang zu gelangen. Die schwarze Stute, die er seit zwei Jahren ritt, begrüßte ihn mit einem erfreuten Schnauben, in das sich leichter Vorwurf mischte. Andrej schenkte dem treuen Tier ein um Vergebung bittendes Lächeln und hätte sich im nächsten Moment beinahe einen weiteren blauen Fleck oder gar einen Knochenbruch eingehandelt, als eines der anderen Pferde verärgert auf seine Nähe reagierte und mit den Hinterläufen austrat. Andrej drehte sich im letzten Moment zur Seite, und der beschlagene Huf zertrümmerte die morsche Bretterwand neben ihm so mühelos, als wäre sie aus Papier.

Er erlebte eine weitere, nicht unbedingt angenehme Überraschung, als er aus dem Stall heraus und in den winzigen, von fensterlosen, schmutzigen Mauern gerahmten Innenhof trat. Die Sonne stand deutlich höher am Himmel, als er angenommen hatte; es war nicht früher Morgen, sondern früher Vormittag. Er hatte verschlafen, und das geschah so selten und war so ganz und gar nicht seine Gewohnheit, dass er sich erneut die Frage stellte, ob es an seinen Verletzungen liegen mochte, die so langsam heilten. Immerhin konnte er sich nun erklären, warum er sich trotz allem so ausgeruht und erfrischt fühlte.

Nun erspürte er auch die Richtung, in der er Abu Dun zu suchen hatte: eine schmale Tür in einer der schmuddeligen Wände, hinter der sich der Schankraum der Gaststube verbarg, die ebenso schäbig wie ihr Name hochtrabend war. Instinktiv wandte er sich dorthin, besann sich dann aber eines Besseren und trat noch einmal in den überfüllten Pferdestall zurück, um sich suchend umzusehen. Nach einem Moment gewahrte er einen ledernen Wassereimer, der noch zu einem guten Drittel gefüllt war, trug ihn ins Freie – was ihm ein unwilliges Schnauben und Zähnefletschen des vierbeinigen Besitzers des Eimers eintrug, der sich seinen Inhalt anscheinend für später aufgespart hatte – und ließ sich davor auf ein Knie sinken, nachdem er ihn zu Boden gestellt hatte. Andrej tastete mit steifen Fingern nach dem improvisierten Verband und versuchte, den Knoten des Turbans zu lösen, den Abu Dun – natürlich viel zu fest – angelegt hatte.

Der Stoff klebte an seiner zerschmetterten Augenhöhle, und als er ihn schließlich mit einem unwilligen Ruck (und zusammengebissenen Zähnen) abriss, spürte er, wie die Wunde aufbrach und wieder leicht zu bluten begann. Auf das Schlimmste vorbereitet, beugte Andrej sich vor und betrachtete sein eigenes Spiegelbild im Wasser. Es war trüb und hatte sich noch immer nicht vollends beruhigt, sodass er das seitenverkehrte Abbild seines Gesichts nur verzerrt erkennen konnte. So konnte er sich einreden, dass der Anblick in Wahrheit vielleicht nicht ganz so schlimm sein mochte.

Nicht, dass er diese Lüge auch nur einen Moment lang wirklich glaubte.

Sein Auge war zu- und gleichzeitig angeschwollen, und die Schläfe sah aus, als hätte ihn ein Pferd getreten; die Haut hatte sich dunkelblau und schwarz verfärbt, und der dazugehörige Bluterguss reichte fast bis zur Mitte seiner Wange hinab. Im Geiste leistete Andrej Abbitte, weil er Abu Dun gestern Übereifer vorgeworfen hatte, und bedankte sich stattdessen bei seinem Freund. Hätte Abu Dun nicht so hartnäckig darauf bestanden, sein Gesicht zu verbinden, dann hätten die Wachen am Tor sie ganz gewiss nicht eingelassen, sondern vermutlich ohne zu Zögern auf sie geschossen. Dieses Land befand sich seit Jahren im Krieg, und wenn es irgendetwas gab, was seine Bewohner noch mehr fürchteten als einen unerwarteten Überfall oder feindliche Spione, so waren es Krankheiten. Sein Gesicht sah aus, als hätte er die Lepra oder etwas noch Schlimmeres … und jetzt, einmal darauf aufmerksam geworden, spürte Andrej auch, dass er auch ganz genauso roch. Vielleicht war es nicht nur der Gestank nach verschimmeltem Heu, der in seiner Kehle würgte.

Lange saß Andrej so auf den Knien und starrte sein eigenes Spiegelbild an. Das Wasser beruhigte sich zusehends, und sein eigenes Abbild wurde klarer, verlor dabei aber nichts von seinem Schrecken. Schließlich raffte er all seinen Mut zusammen, tauchte beide Hände in den Eimer und schöpfte sich, ungeachtet der Schmerzen, das eiskalte Wasser ins Gesicht. Die Tropfen, die in den Eimer zurückfielen, waren schmutzig von Blut und Eiter.

Immerhin war er es gewohnt, Schmerzen klaglos zu ertragen, und so biss er nur die Zähne zusammen und wusch sich nicht nur gründlich das Gesicht, sondern säuberte auch die Wunde, so gut er es ohne Spiegel oder Hilfe konnte. Nachdem er sich das Wasser aus den Augen gewischt hatte, konnte er sogar wieder sehen, wenn auch immer noch nicht klar, und selbst diese kleine Anstrengung führte dazu, dass sein Auge wieder zu tränen begann. Angewidert betrachtete er den schwarzen Stoffstreifen, den Abu Dun um seinen Kopf gewickelt hatte. Der Gestank stieg ihm jetzt so deutlich in die Nase, dass er beinahe würgen musste. Es war ein Geruch, den er nur zu gut kannte: der Geruch des Schlachtfeldes. Der Gestank des Todes, den er in zahllosen Lazaretten und Siechenhäusern wahrgenommen hatte. Das Tuch stank nach Wundbrand – abgesehen vielleicht von einem Mann mit einem Schwert (oder einer Muskete) in der Hand der schlimmste Feind eines jeden Soldaten.

Aber das war vollkommen unmöglich. So wenig, wie er vergiftet oder mit einer Krankheit infiziert werden konnte, die die Leben der Menschen bedrohten, konnte er Wundbrand erleiden. Wäre es so, dann würde das nichts anderes bedeuten, als dass …

Andrej weigerte sich, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Er schöpfte sich nur noch eine weitere Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht, atmete ein paar Mal tief ein und aus, um die Furcht zu vertreiben, und tunkte schließlich das Tuch in den Eimer, um es gründlich auszuwaschen. Das eisige Wasser ließ seine Fingerspitzen taub werden, und kribbelnde Lähmung kroch langsam in den Händen bis in die Unterarme hinauf. Verwirrt nahm Andrej die Arme hoch, betrachtete seine Finger und stellte fest, dass ein eingerissener Fingernagel zwar aufgehört hatte zu bluten, aber noch längst nicht verheilt, geschweige denn nachgewachsen war. Was bedeutete das? Hatte er seine Unverwundbarkeit verloren?

Statt weiter nach einer Antwort zu suchen, wrang er das schwarze Tuch so gründlich aus, wie er konnte, und wickelte es sich dann wieder um den Kopf. Andrej zupfte und schob den Verband zurecht und beugte sich dann noch einmal über den Wassereimer, um sein Werk zu begutachten.

Alles, was er sah, war die Spiegelung eines hohlwangigen Totenkopfs, der fast zur Hälfte unter einem nassen Tuch verborgen war – und die Umrisse einer zweiten, dunklen Gestalt, die hinter ihm stand.

Andrej fuhr so schnell in die Höhe und herum, dass er in kampfbereiter Haltung und mit gezogenem Schwert dastand, noch bevor der Eimer, den er in seiner Hast umgestoßen hatte, seinen Inhalt über den Boden ergossen hatte. Gunjir in seiner Hand schrie tief in seiner Seele nach Blut, so wie immer, wenn er die Waffe aus ihrer ledernen Umhüllung zog, und Schmerz und Schwäche waren augenblicklich vergessen.

Aber hinter ihm war niemand.

Andrej ließ sich nicht die Zeit, um diese – unerhörte – Erkenntnis ganz in sein Bewusstsein sickern zu lassen, sondern wirbelte in einer halben Drehung nach links und im gleichen Augenblick nach rechts und dann abermals herum, um einem potenziellen Angreifer keine Gelegenheit zu geben, sich etwa von hinten auf ihn zu stürzen, alles in einer einzigen, geschmeidigen Bewegung, so schnell, dass ihr kein menschliches Auge hätte folgen können. Gunjirs mehr als zwanzig Pfund Gewicht verwandelten sich in einen bronzefarbenen Blitz, der die Luft rings um ihn herum in einem perfekten Kreis spaltete.

Doch dann sah er: Auch hinter ihm war niemand. Der Hof war leer.

Andrej fuhr noch einmal und womöglich noch schneller auf dem Absatz herum, wechselte das Schwert von der rechten in die linke Hand und wieder zurück und sah sich gehetzt um.

Sein Blick tastete über jeden Schatten, jede noch so winzige Unebenheit und jedes mögliche Versteck, das groß genug für eine Ratte gewesen wäre, und zugleich lauschte er mit all seinen anderen, übermenschlich scharfen Sinnen. Aber es blieb dabei: Der Hof war leer. Das einzige andere Lebewesen, das er sah, war der gescheckte Hengst, dessen gehortete Wasservorräte er sich angeeignet hatte und der ihn jetzt hinter der Stalltür hervor vorwurfsvoll ansah, vielleicht auch ein bisschen schadenfroh.

Lässig an den Türrahmen des Goldenen Ebers gelehnt, stand ein schwarz gekleideter Riese mit einem noch schwärzeren Gesicht, der ihm nun spöttischen Beifall zollte.

»Mein Kompliment, Hexenmeister«, sagte Abu Dun auf Arabisch. »Für einen Mann, der gestern beinahe ein Auge und um ein Haar das Leben verloren hätte, bist du schon wieder in erstaunlicher Verfassung … aber übertreib es nicht. Es reicht vollkommen aus, wenn du deine morgendlichen Übungen nach dem Frühstück absolvierst.«

Andrej würdigte ihn keiner Antwort, sondern drehte sich noch einmal – langsam – im Kreis und lauschte angestrengt. Nichts. Der einzige andere Mensch weit und breit außer ihm war Abu Dun.

»Hast du irgendjemanden gesehen oder gehört?«, fragte er, während er Gunjir langsam sinken ließ. Sein Herz klopfte, als wäre er eine Meile weit aus Leibeskräften gerannt, und er begann das enorme Gewicht der Waffe zu spüren; selbst ihm fiel es nicht leicht, das schwere Schwert länger als einige wenige Augenblicke mit ausgestrecktem Arm zu halten.

»Außer dir?« Abu Dun hörte endlich mit dem albernen Klatschen auf und schüttelte den Kopf. »Nein. Ist alles in Ordnung mit dir?« Das spöttische Grinsen blieb wie eingemeißelt auf seinem Gesicht, aber Andrej spürte auch die unterdrückte Sorge, die in seinen letzten Worten mitschwang.

»Nein«, raunzte er. »Nichts ist in Ordnung. Jemand war hier.« Er rammte das Schwert so heftig in die Lederscheide an seinem Gürtel zurück, dass die Klinge schmerzhaft gegen seinen Knöchel schlug, und musste plötzlich mit aller Macht gegen den Impuls ankämpfen, den leeren Eimer zu nehmen und dem grinsenden Gaul auf den Schädel zu schlagen.

»Hast du gerade irgendetwas von Frühstück gesagt?«

Abu Dun verbeugte sich so tief, dass sein Turban bedrohlich zu wackeln begann und er ihn hastig mit der linken Hand festhalten musste. Mit der anderen machte er eine übertrieben einladende Geste auf die Tür hinter sich. »Wenn Ihr mir in Eurer unendlichen Großmut folgen würdet, Sahib? Euer Mahl ist angerichtet.«

Andrej sagte nichts, sah sich noch einmal prüfend um (wobei er die Gelegenheit nutzte, dem Schecken hinter der Stalltür einen so mordlüsternen Blick zuzuwerfen, dass der Hengst es vorzog, hastig zurückzuweichen) und stolzierte hoch erhobenen Hauptes an dem Nubier vorbei; wenn auch nicht annähernd so sicheren Schrittes, wie ihm lieb gewesen wäre.

Sie durchquerten einen halbdunklen, schlecht riechenden Raum, der so niedrig war, dass nicht einmal Andrej sich zu seiner ganzen Größe aufrichten konnte – von Abu Dun ganz zu schweigen –, und betraten den eigentlichen Schankraum. Er war nicht nennenswert höher als die Kammer, durch die sie gerade gekommen waren, roch beinahe genauso schlecht und kam ihm sonderbarerweise dunkler vor als am Abend zuvor, obwohl Türen und Fenster weit offen standen, um das Tageslicht und den stickigen Hauch hereinzulassen, den die Menschen hierzulande anscheinend für frische Luft hielten. Immerhin war der Schankraum nicht mehr voller Betrunkener und Raufbolde, wie am vergangenen Abend.

Abu Dun deutete auf einen Tisch am anderen Ende des Raumes, schob ihn mit sanfter Gewalt voran und hob die andere Hand, um dem Wirt zuzuwinken.

Auf dem Tisch wartete bereits ein einfaches, dafür aber umso reichhaltigeres Frühstück auf sie: Brot, Käse und ein hölzernes Tablett mit dünn geschnittenem Schinken, dazu zwei kostspielig aussehende Zinnbecher. Den dazugehörigen Krug brachte der Wirt genau in dem Moment, in dem Andrej sich setzte. Beiläufig bemerkte er, dass Abu Dun erst nach ihm Platz nahm … und auch das erst, nachdem er ihm einen weiteren, nun unverhohlen besorgten Blick zugeworfen hatte.

»Iss«, sagte Abu Dun. »du musst hungrig sein.«

Doch schon der Gedanke, das Essen auch nur anzurühren, erfüllte ihn mit Unbehagen. »Ich … fühle mich nicht nach Essen«, sagte er.

»So, wie du aussiehst«, sagte Abu Dun ernst, »fühlst du dich wahrscheinlich nach gar nichts. Was ist los mit dir?«

Andrej hätte viel für die Antwort auf diese Frage gegeben, antwortete aber nur mit einem ruppigen Schulterzucken und wich Abu Duns direktem Blick aus.

»Vielleicht sollten wir dem Rat des freundlichen Colonels von gestern Abend folgen und einen Arzt aufsuchen«, fuhr Abu Dun fort.

Andrej starrte ihn an. »Das meinst du nicht ernst!«

»Natürlich nicht«, erwiderte der Nubier. Doch die Sorge blieb in seinem Blick. »Deine Wunde heilt nicht«, sagte er unvermittelt.

Bevor Andrej antwortete, warf er einen flüchtigen Blick auf seinen eingerissenen Fingernagel, den Abu Dun, so hoffte er, nicht bemerkte. Immerhin war diese Verletzung verschwunden, wenn auch nicht vollkommen. »Doch«, behauptete er. »Nur nicht so schnell, wie ich gehofft habe.«

»Und das sollte eigentlich unmöglich sein«, beharrte Abu Dun. »Muss ich mir Sorgen um dich machen, Hexenmeister?«

»Nein«, versetzte Andrej unfreundlich. »Du ganz bestimmt nicht. Ich werde mich schon erholen. Schließlich ist es nicht nur ein Kratzer gewesen.«

»Du bist schon oft schwer verwundet worden«, beharrte der Nubier. »Und ich auch.«

»Aber bisher hat noch niemand versucht, mir ein Auge auszuschießen«, knurrte Andrej. »Und die zweite Kugel hat mein Herz nur knapp verfehlt.«

Er sah Abu Dun an, wie wenig ihn diese Antwort zufriedenstellte (obwohl er einen Moment lang ernsthaft überlegte, dass es gut die Wahrheit sein konnte. Abu Dun und er waren weder wirklich unverwundbar noch tatsächlich unsterblich. Man konnte Wesen wie sie töten, wenn man sich nur genügend Mühe gab. Und die Wegelagerer gestern hatten sich alle Mühe gegeben). Er hob unwillig die Hand und deutete, eigentlich nur, um den Nubier auf andere Gedanken zu bringen, auf das reichhaltige Frühstück. »Können wir uns das leisten?«

»Euer fürstliches Frühstück, Sahib?«, fragte Abu Dun. Der Stuhl knarrte bedrohlich, als er sein Gewicht ein wenig zu heftig verlagerte. »Aber Ihr wisst doch, oh Ihr Zierde des Okzidents und einziges Licht meiner mondlosen Nächte, Sahib, dass mir für Euch und Euer Wohlergehen nichts zu teuer ist, und …«

»Ich meine es ernst«, fiel ihm Andrej ins Wort, lauter und in schärferem Ton, als er es beabsichtigt hatte.

Der Nubier zog vielsagend die linke Augenbraue hoch. »Ja«, sagte er nur. »Heute, und vielleicht auch noch morgen. Danach sind wir mittellos … . Wieder einmal.«

Geld hatte Andrej noch nie interessiert und interessierte ihn auch jetzt nicht, auch wenn Abu Dun und er über dieses Thema in letzter Zeit immer häufiger aneinandergerieten. Das Schlimme an diesen endlosen Diskussionen war, dachte er, dass der ehemalige Pirat und Sklavenhändler vollkommen recht hatte. Die Zeiten, in denen ein Mann nur mit einem Schwert in der Hand, einem guten Pferd und genügend Optimismus überleben konnte, neigten sich unerbittlich ihrem Ende entgegen. Vielleicht gehörte die Zukunft nicht nur den Kanonieren und Musketenschützen, sondern auch und vor allem den Krämern.

»Das heißt, wir haben noch zwei Tage, um Loki zu finden«, sagte er.

»Einen Tag und ein paar Stunden von morgen«, korrigierte ihn Abu Dun. »Es sei denn, wir lassen unsere morgigen Mittags- und Abendmahlzeiten aus.« Er langte nach dem Krug, den der Wirt gebracht hatte, und goss zuerst sich und dann Andrej ein; Bier, dessen bloßer Geruch am frühen Morgen Andrej beinahe den Magen umdrehte. »Immer vorausgesetzt, er ist wirklich hier.«

Auch dazu sagte Andrej nichts. Sie hatten dieses Gespräch schon unzählige Male geführt, so oft, dass jeder alle nur denkbaren Argumente des jeweils anderen schon kannte, bevor er auch nur dazu ansetzen konnte, sie auszusprechen. Andrej hatte längst aufgehört zu zählen, wie oft er schon vollkommen sicher gewesen war, diesmal auf der richtigen Spur zu sein, nur um am Ende doch wieder enttäuscht zu werden. Aber dieses Mal war es anders. Loki war hier, hier in Cádiz. Er wusste es einfach.

Abu Dun maß ihn mit einem Blick, als könnte er seine Gedanken wie mit glühenden Lettern geschrieben von seiner Stirn ablesen, griff dann mit einer bedächtigen Bewegung nach seinem Becher und leerte ihn mit einem einzigen, gewaltigen Schluck.

»Nehmen wir einmal an, dass du recht hast«, fuhr Abu Dun fort, nachdem er sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen gewischt und so lautstark gerülpst hatte, dass der Wirt ihm einen missbilligenden Blick zuwarf. »Wie genau willst du ihn finden? Ich meine: Du weißt, dass wir sie nicht aufspüren können, wenn sie es nicht wollen?«

»Ich weiß, dass er hier ist«, beharrte Andrej stur. »Alles andere wird sich ergeben.«

»Wird sich ergeben«, wiederholte Abu Dun … und Zweifel schwang in seiner Stimme mit. Er goss sich einen zweiten Becher Bier ein, trank aber nicht davon, sondern begann nur, wie in Gedanken verloren damit zu spielen.

»Du weißt, wie es angefangen hat?«

Andrej starrte ihn nur an.

»Jetzt töten wir einen Gott«, zitierte Abu Dun. »Das waren deine Worte, nicht wahr?«

Andrej schwieg noch immer.

»Ich will ja nicht kleinlich erscheinen«, fuhr Abu Dun fort, als ihm klar wurde, dass er keine Antwort bekommen würde. »Aber ist dir schon einmal der Gedanke gekommen, dass er vielleicht uns töten könnte?«

»Hat er das nicht schon?«, fragte Andrej bitter.

Abu Dun überging den Einwand. »Und wenn du die Wahrheit gesagt hast, ohne es zu wissen?«

»Wie meinst du das?«

Abu Dun hob scheinbar beiläufig die Schultern und trank nun doch von seinem Bier, wenn auch nur einen winzigen Schluck. »Was, wenn er wirklich ein Gott ist? Glaubst du, du bist stark genug, einen leibhaftigen Gott zu besiegen?« Er stellte seinen Becher ab, rülpste noch einmal, leiser diesmal, und schob Andrej mit der linken Hand den Brotkorb und mit der anderen den Schinken hin. »Iss etwas. Du musst zu Kräften kommen.«

»Götter«, antwortete Andrej leichthin, »gibt es mindestens so lange, wie es Menschen gibt. Sie wurden schon unzählige Male besiegt.«

»Ja«, antwortete der Nubier. »Von der Zeit.« Andrej sah ihm an, dass er noch mehr sagen wollte, und er war ziemlich sicher, dass es ihm nicht gefallen würde … aber dann seufzte Abu Dun nur, trank sein Bier aus und schenkte sich mit der linken Hand nach, während er ihm mit der anderen auch den Käse zuschob. »Iss.«

Andrej stellte mit einem Gefühl sachter Überraschung fest, dass er tatsächlich sehr hungrig war.

Trotz des Ekels, der ihn immer noch erfüllte, griff er zu, knabberte lustlos an einem Stück Brot, dessen Geschmack nicht zu seinem appetitlichen Äußeren zu passen schien, und spülte den Bissen mit einem Schluck Bier herunter, das ebenfalls köstlich aussah und zweifellos frisch gezapft war, aber so schmeckte, als wäre es schon vor einer Woche schal geworden. Er zwang sich dennoch, weiterzuessen, und fühlte sich nachher zwar gesättigt, doch zugleich schien es ihm, als habe sein Hunger nur noch zugenommen.

Der Wirt kam, nahm den leeren Bierkrug und warf Abu Dun einen fragenden Blick zu. Der Nubier nickte, und der Wirt wollte sich gerade umdrehen, um einen neuen Krug Bier zu holen, als Andrej ihn mit einem raschen (und offenbar zu festen) Griff am Arm zurückhielt.

»Bring diesmal frisches Bier«, sagte er grob. »Das Zeug schmeckt wie Pferdepisse.«

Erst sah es aus, als wollte der Mann auffahren, doch dann zuckte er nur mit den Schultern, bedachte Abu Dun mit einem kurzen und anklagenden Blick und trollte sich.

Der Nubier wartete, bis der Mann außer Hörweite war. »Lass den armen Kerl in Ruhe«, sagte er dann, leise, und in sehr ernstem Ton. »Das Bier ist gut. Und du hast ihm gestern Abend genug zugesetzt.«

»Gestern Abend?«

»Du erinnerst dich nicht?«

Andrej versuchte es. Irgendetwas war gestern Abend geschehen, das ahnte er noch, ohne es wirklich zu wissen.

»Was … habe ich denn getan?«, erkundigte er sich vorsichtig.

Abu Dun grinste ohne eine Spur von echtem Humor. »Das willst du gar nicht wissen«, antwortete er. »Aber ich hätte da noch eine Frage.«

»Und welche?« Als ob er das nicht wüsste.

»Ich habe sie schon einmal gestellt, aber du hast nicht geantwortet«, sagte Abu Dun. »Nicht, dass es Euren unwürdigen Diener und Sklaven etwas anginge, oh erleuchteter Sahib, doch was tun wir jetzt? Hast du vor, dir ein Schild um den Hals zu hängen, auf dem Lokis Name geschrieben steht, und die Bitte, sich bei uns zu melden, oder gibt es so etwas wie einen Plan?«

Andrej musste sich beherrschen, um den Nubier nicht anzufahren. Er hatte schon vor einem oder zwei Menschenaltern aufgehört, Abu Duns albernes Gehabe komisch zu finden, sich aber irgendwie damit abgefunden. Doch jetzt fand er Abu Duns gespielte Unterwürfigkeit nicht mehr nur albern; sie ärgerte ihn. Vielleicht zum ersten Mal, seit sie zusammen waren, fragte er sich allen Ernstes, ob der Nubier ihn auf diese Weise möglicherweise verhöhnte.

»Was wir immer tun«, antwortete er gepresst, ohne Abu Dun dabei anzusehen.

»Alle umbringen und hinterher nachsehen, ob der Richtige dabei war?«, fragte Abu Dun.

Das ärgerte Andrej noch mehr, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Wir werden uns umsehen«, sagte er, so ruhig er konnte. »Cádiz ist groß, aber wir haben den Kerl auf einem ganzen Kontinent aufgespürt. Da wird es uns wohl gelingen, ihn in einer einzelnen Stadt zu finden.«

Er sah Abu Dun an, dass ihm eine Menge auf der Zunge lag … doch der Nubier schüttelte nur den Kopf, seufzte tief und klaubte die letzte Scheibe Schinken von der Platte, um sie zwischen seinen strahlend weißen Zähnen verschwinden zu lassen.

»Was für ein genialer Plan«, sagte er schmatzend. »Nicht, dass ich als Besserwisser dastehen will … aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man hier Fremden, die neugierige Fragen stellen, bereitwillig Auskunft erteilt.« Er deutete mit großer Geste auf den Schankraum. »Diese Stadt bereitet sich auf einen Krieg vor. Die Menschen sind misstrauisch.«

»Tut das nicht irgendwie jede Stadt, in die wir kommen, und zu allen Zeiten?«, murmelte Andrej lahm. Der Anblick des Schinkens, der zwischen Abu Duns mahlenden Zähnen verschwand, erfüllte ihn mit Ekel. Saurer Speichel sammelte sich unter seiner Zunge, und er musste einige Male krampfhaft schlucken.

Abu Dun griff nach einem Apfel und biss krachend hinein. »Aber da ich in weiser Voraussicht mit einer solchen Antwort gerechnet habe«, fuhr er mit vollem Mund und ungeniert kauend fort, »habe ich bereits ein paar Erkundigungen eingezogen, während du deinen Schönheitsschlaf gehalten hast … wenn auch mit wenig Erfolg, wenn du mir die Bemerkung gestattest.« Speichel und Saft liefen aus seinem Mundwinkel und zogen eine glitzernde Spur an seinem Kinn hinab; ein Anblick, der Andrejs Magen vollends rebellieren ließ. Sein Ekel wurde so stark, dass er befürchtete, sich übergeben zu müssen, wenn er dem Nubier noch länger beim Essen zusah.

Unbeschadet – weil nichts ahnend – von alledem biss Abu Dun ein weiteres gewaltiges Stück von seinem Apfel und deutete mit der anderen Hand auf den Wirt. »Der Bursche da ist gar nicht so übel, wenn man ihn halbwegs freundlich behandelt«, sagte er. »Er hat mir eine Menge über die Stadt und die Lage hier verraten. Was möchtest du zuerst hören? Die guten oder die schlechten Neuigkeiten?«

Als Andrej nicht antwortete, deutete Abu Dun nur ein Schulterzucken an und biss zum dritten Mal in den Apfel und redete kauend weiter. Wieder schluckte Andrej sauren Speichel. »Die gute Nachricht ist, dass viele Fremde in der Stadt sind. So viele, dass nicht einmal du und ich sonderlich auffallen – solange du deinen Verband nicht abnimmst, heißt das.«

Er wartete einen Moment vergebens darauf, dass Andrej lachte, schluckte seinen Bissen geräuschvoll herunter und fuhr in unverändertem Ton fort: »Die schlechte Nachricht ist, dass viele Fremde in der Stadt sind. Niemand weiß genau, wie viele. Der Wirt meinte, sicherlich zehntausend, aber ich denke, es ist ein Mehrfaches dieser Zahl. Es wird schwer werden, hier jemanden zu finden. Selbst jemanden, der sich nicht vor uns versteckt.«

»Vor allem, wenn wir hier herumsitzen und darauf warten, dass er zur Tür hereinspaziert kommt«, fügte Andrej hinzu.

»Oh, wir wären längst unterwegs, wenn du nicht verschlafen hättest«, versetzte Abu Dun. »Nicht zu vergessen den Krug Bier, den ich noch bestellt habe. Aber keine Sorge, ich weiß, wo wir mit unserer Suche beginnen können … wenn du dich kräftig genug dazu fühlst, heißt das.« Andrej wollte auffahren, doch er spürte auch, dass Abu Dun ihn keineswegs auf den Arm hatte nehmen wollen. Seine Sorge war echt. Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, beugte sich der Nubier über den Tisch und legte die flache Hand auf seine Stirn.

Ärgerlich schlug Andrej seinen Arm zur Seite. »Was soll das?«

»Du hast Fieber.«

»Unsinn!«, fauchte Andrej. »Ich kann kein Fieber bekommen, so wenig wie du.«

»Dann musst du die Nacht wohl versehentlich auf dem Herd verbracht haben statt dahinter«, antwortete Abu Dun ungerührt. »Du glühst. Was zum Teufel ist los mit dir, Andrej?«

»Gar nichts!«, antwortete Andrej ärgerlich. »Mir fehlt nichts.« Er stand auf. »Du sagst, du weißt, wo wir mit unserer Suche anfangen können?«

3

Nach der stickigen Luft und der Dunkelheit im Schankraum hätte er die hell strahlende Vormittagsonne als wohltuend empfinden müssen, doch das genaue Gegenteil war der Fall. Das Licht stach unangenehm grell in Andrejs Augen, und obwohl die Sonne noch Stunden vom Zenit entfernt war, schien die Luft in den schmalen Gassen zwischen den Häusern zu heißem Sirup geronnen zu sein, der sie kaum atmen ließ und jede Bewegung schwer machte. Außerdem stank die Stadt.

Dazu kam, dass Abu Dun keineswegs übertrieben hatte: Cádiz platzte buchstäblich aus den Nähten vor Menschen. Nicht nur alle Gasthäuser und privat vermieteten Unterkünfte waren hoffnungslos überfüllt, auch auf den Straßen drängten sich die Menschen so dicht, dass es kaum ein Durchkommen zu geben schien. Nicht einmal Abu Duns Ehrfurcht gebietende Statur, die die Menschen sonst instinktiv einen respektvollen Abstand einhalten ließ, brachte ihnen heute einen Vorteil. Niemand konnte ihnen ausweichen, wenn ihm einfach der dazu notwendige Platz fehlte. Sie waren erst seit einigen Augenblicken unterwegs, aber Andrej war für sich schon längst zu dem Schluss gekommen, dass er besser auf Abu Dun gehört hätte. Nicht nur das grelle Licht, die Hitze und die Menschen mit ihrem Lärm und ihren unangenehmen Gerüchen und Gefühlen setzten ihm zu. Immer noch weigerte er sich zu glauben, er könnte Fieber haben (das war unmöglich, basta!), aber er fühlte sich schlecht. Das Essen hatte ihn gesättigt, schien seinen Hunger gleichzeitig aber auch noch weiter angestachelt zu haben, und der schale Geschmack des Bieres hatte sich mit dem nicht minder schlechten Geschmack auf seiner Zunge verbunden, mit dem er aufgewacht war, sodass er das Gefühl einfach nicht loswurde, etwas Verdorbenes gegessen zu haben. Außerdem bewegten sich seine Gedanken so träge, dass Abu Dun ihn gerade zwei Mal hatte ansprechen müssen, bevor er es nur gemerkt hatte.

Und dazu kamen natürlich die Blicke, mit denen sie gemustert wurden. Niemand wagte es, sie offen anzustarren. Ganz im Gegenteil versuchte jedermann, ihnen Platz zu machen oder es doch zumindest zu vermeiden, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – und sei es nur durch einen allzu neugierigen Blick. Natürlich war Andrej klar, was für einen Anblick sie bieten mussten. Abu Dun, ein ganz in Schwarz gekleideter Riese, der es gut zu verbergen wusste, was für ein sanftmütiger und verständnisvoller Mensch er sein konnte (wenn er wollte), und er selbst, ebenfalls hochgewachsen und von kräftiger Statur, dem das schwarze Band, halb Piratentuch, halb Augenklappe, das er sich um den Schädel gewickelt hatte, etwas sehr viel mehr Erschreckendes als Beeindruckendes gab. Vermutlich, dachte er spöttisch, waren Abu Duns Bedenken überflüssig – sie würden keine Mühe haben, Loki zu finden. Falls der nordische Halbgott nicht taub war, dann würde er bald erfahren, dass sie in der Stadt waren.

Abu Dun, dem es offensichtlich zu viel wurde, drängte sich unsanft an ihm vorbei und setzte seine gewaltige Körpermasse nun rücksichtslos ein, um für sich selbst und Andrej einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Es gelang ihm auch, wenn auch nicht mit dem erwünschten Erfolg und um den Preis, dass ihnen nun ein ganzer Chor von Flüchen, Verwünschungen und Drohungen folgte. Immerhin kamen sie auf diese Weise ein wenig besser voran, und schließlich bog der Nubier – wie Andrej annahm – wahllos nach rechts in eine schmale Gasse ab, in der es zumindest wieder genug Platz zum Atmen gab. Auch die Luft war etwas besser. Es war noch immer stickig und heiß, zugleich aber spürte er einen sachten Windhauch auf dem Gesicht und roch den charakteristischen Geruch von Salzwasser, unter den sich nach ein paar Schritten noch der von nassem Holz und feuchtem Tau und Segelzeug mischte. Sein feines Gehör vernahm das Klatschen von Wellen, die sich an Kaimauern und Schiffsrümpfen brachen, und ein vielstimmiges Gemurmel, anders als der dumpfe Straßenlärm, der sie bisher begleitet hatte. Jetzt wusste er, dass sie sich dem Hafen näherten, und auch wenn seine Gedanken sich noch immer nicht so schnell und präzise bewegten wie gewohnt, so war er dennoch nicht benommen genug, um sich nicht ein wenig über seine eigene Trägheit zu ärgern. Ein Hafen war überall auf der Welt der geeignete Ort, um die aktuellsten Neuigkeiten und Gerüchte aufzuschnappen. Wieso war er nicht auf diese Idee gekommen?

Gerade als sie das Ende der Gasse erreicht hatten, vertraten ihnen zwei Männer in dunkelblauen Uniformen und mit Musketen den Weg. Selbst der Größere von beiden war fast einen Kopf kleiner als er selbst, und beide waren weder besonders gut genährt noch in guter Verfassung. Keine Gegner für ihn, nicht einmal in seinem momentanen Zustand, dachte er.

Andrej war nicht sicher, ob er diesen Gedanken nicht sogar laut ausgesprochen hatte; wenn nicht, so musste Abu Dun ihn wohl irgendwie erraten haben, denn er warf ihm einen raschen und fast beschwörenden Blick zu, dann zauberte er ein ebenso breites wie dümmliches Grinsen auf sein schwarzes Mohrengesicht und trat mit weit ausgebreiteten Armen auf die beiden Soldaten zu.

»Señores!«, radebrechte er in bewusst schlechtem Spanisch. »Gutes euch treffen! Wo gehen Hafen?«

Einer der beiden Soldaten prallte erschrocken vor dem schwarzen Riesen zurück und nahm seine Muskete von der Schulter, der andere brachte immerhin genug Mut auf, Abu Duns imposanter Gestalt entgegenzutreten; auch wenn sein Gesicht unter der Sonnenbräune alle Farbe verlor. Er raunzte den Nubier an: »Wer bist du, Bursche? Was sucht ihr hier am Hafen?«

Abu Dun schauspielerte Verständnislosigkeit und wiederholte nur: »Hafen? Richtige Weg?«

Der Soldat machte eine Geste, von der Andrej nicht ganz sicher war, ob sie tatsächlich Verärgerung ausdrücken oder nur seine Unsicherheit überspielen sollte, setzte zu einer geharnischten Entgegnung an und besann sich dann eines Besseren, indem er sich an Andrej wandte. »Du da! Sprichst du unsere Sprache besser als dieser Dummkopf?«

»Etwas, wenn ich mir Mühe gebe«, antwortete Andrej, nicht nur in perfektem Spanisch, sondern auch dem in diesem Teil des Landes geläufigen Dialekt. Er sah, wie der zweite Soldat, der gerade so erschrocken vor Abu Dun zurückgewichen war, mit fliegenden Fingern an seiner Muskete herumfummelte, um die Waffe schussbereit zu machen. Vor lauter Nervosität gelang es ihm nicht.

»Dann wirst du mir meine Fragen beantworten«, fuhr der Soldat fort. »Was sucht ihr hier? Und was hast du mit diesem Muselmanen zu schaffen? Zeigt mir eure Papiere!«

»Papiere?«, wiederholte Andrej. »Was für Papiere?«

»Eure Legitimation! Niemand betritt den Hafen, ohne die entsprechenden Papiere vorzuweisen«, belehrte ihn der Soldat. Eben noch erschrocken, musterte er jetzt misstrauisch die beiden Freunde. »Wenn ihr keine habt, dann solltest du besser eine gute Ausrede dafür haben, hier herumzuschnüffeln, noch dazu in Begleitung von dem da!«

Er deutete auf Abu Dun, und hinter Andrej erklang ein leises, amüsiertes Lachen. »Mein Kompliment, Sergeant. Da habt Ihr ja einen ganz besonders guten Fang gemacht, wie mir scheint. Ganz zweifellos sehen diese beiden aus wie die typischen britischen Spione.«

Andrej drehte sich um und erkannte überrascht einen in eine tadellos sitzende Uniform gekleideten, weißhaarigen Marineoffizier, der gemächlich auf sie zugeschlendert kam. »Colonel Rodriguez?«

»Ihr habt Euch meinen Namen gemerkt«, sagte Rodriguez anerkennend. »Das nehme ich einmal als Kompliment.« Er lachte erneut, leise und gutmütig. »Wie es scheint, ist es wohl mein Schicksal, Euch und Euren Freund unentwegt vor übereifrigen jungen Soldaten zu retten.« Er wartete Andrejs Antwort nicht erst ab, sondern kam näher und wandte sich dann mit einer sachten, doch keinen Widerspruch duldenden Geste an den Sergeant. »Es ist alles in Ordnung, Sergeant. Ich kenne die beiden. Sie sind vertrauenswürdig. Geht und setzt Eure Runde fort –