Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Kleine Gefallen - Jim Butcher - E-Book

Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Kleine Gefallen E-Book

Jim Butcher

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Beschreibung

Kleine Gefallen für Elfen erfordern immer einen hohen Preis. Der zehnte dunkle Fall des Harry Dresden.

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und als Magier musste ich schon so manchen Handel mit übernatürlichen Wesen eingehen. Als die Königin des Winterhofs der Elfen mich um einen »kleinen« Gefallen bat, wusste ich, dass ich in Schwierigkeiten steckte. Durch ihr Tun musste ich mich mit den mächtigsten Wesen des Sommerhofs anlegen, einen brutalen Verbrecherboss retten und meinem schrecklichsten Feind gegenübertreten. Dass ich diese Geschichte erzählen kann, beweist, dass ich überlebt habe – doch zu welchem Preis?

Die dunklen Fälle des Harry Dresden: spannend, überraschend, mitreißend. Lassen Sie sich kein Abenteuer des besten Magiers von Chicago entgehen!

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Seitenzahl: 654

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Buch

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden, und als Magier musste ich schon so manchen Handel mit übernatürlichen Wesen eingehen. Als die Königin des Winterhofs der Elfen mich um einen »kleinen« Gefallen bat, wusste ich, dass ich in Schwierigkeiten steckte. Durch ihr Tun musste ich mich mit den mächtigsten Wesen des Sommerhofs anlegen, einen brutalen Verbrecherboss retten und meinem schrecklichsten Feind gegenübertreten. Dass ich diese Geschichte erzählen kann, beweist, dass ich überlebt habe – doch zu welchem Preis?

Autor

Jim Butcher ist der Autor der Dresden Files, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren – wie zum Beispiel Kampfsport –, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.

Jim Butcher

KLEINE GEFALLEN

DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN

Roman

Deutsch von Dominik Heinrici

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Small Favor (The Dresden Files 10)« bei Penguin RoC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2007 by Jim ButcherPublished by Arrangement with IMAGINARY EMPIRE LLC

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas

Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Illustrationen: © www.buerosued.de

HK · Herstellung: Len

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-30442-3V001

www.blanvalet.de

Danksagung

Wie immer verdienen viele Leute Dank, vor allem meine Familie, die meinen Wahnsinn im Angesicht eines nahenden Abgabetermins erträgt, meine Agentin Jenn, die sich immer wieder Entschuldigungen für den Verleger einfallen lassen muss, wenn ich wieder zu spät dran bin, meine Verlegerin Anne, die sich wiederum Entschuldigungen für mich ihren Chefs gegenüber ausdenken muss, und das Beta Asylum, dem die verantwortungsvolle Aufgabe obliegt, all die Makel an meinen Babys aufzuzeigen. Die spinnen!

Doch diesmal muss ich ein paar weitere Leute zu dieser Liste hinzufügen – die örtlichen und auswärtigen Spieler bei NERO Central, die die Güte hatten, während diverser Rollenspiel- und Kampfaktionen einen Bogen um mich zu machen, während ich in einer Ecke der Taverne die letzten Kapitel von Kleine Gefallen fertigstellte.

1. Kapitel

Der Winter kam in diesem Jahr sehr früh, und das hätte mir eine Warnung sein sollen.

Ein Schneeball flog durch die Abendluft und traf meinen Lehrling mitten im Mund. Da sie gerade einen mantraartigen Zauber murmelte, brachte ihr das einen ordentlichen Happen eisgekühlten Vergnügens ein – was sie wahrscheinlich noch um einiges heftiger zusammenzucken ließ als die meisten anderen Leute in einer vergleichbaren Situation, da eine Unzahl von Stahlpiercings plötzlich Bekanntschaft mit dem Schnee machte.

Molly Carpenter spuckte Schnee, und das Gelächter der Kinder um sie herum brandete auf sie ein. Groß, blond und sportlich, in Jeans und einem schweren Wintermantel wirkte sie wie eine völlig normale junge Frau in der verschneiten Umgebung, vor allem, weil ihre Wangen und Nase wegen der Kälte rosig angelaufen waren.

»Konzentration, Molly!«, rief ich. Ich gab mir alle Mühe, das Lachen zu unterdrücken, das sich in meine Stimme schleichen wollte. »Du musst dich konzentrieren! Noch mal!«

Die Kinder, ihre jüngeren Geschwister, begannen augenblicklich, weitere Munition zu formen, um sie erneut aufs Korn zu nehmen. Der Hinterhof des Carpenter-Hauses hatte sich im Laufe des Nachmittages bereits in ein winterliches Schlachtfeld verwandelt, und zwei niedrige »Burgmauern« standen einander in zehn Meter Entfernung auf der verschneiten Wiese gegenüber. Molly stand zitternd dazwischen und warf mir einen missmutigen Blick zu.

»Das kann doch wohl kein echtes Training sein«, schniefte sie, und ihre Stimme bebte vor Kälte. »Das machst du doch nur zu deinem kranken Vergnügen, Harry Dresden.«

Ich strahlte sie an und nahm einen frisch geballten Schneeball von der kleinen Hope entgegen, die sich augenscheinlich zu meinem Knappen erklärt hatte. Ich bedankte mich mit ernsthafter Miene bei dem kleinen Mädchen und warf den Schneeball einige Male prüfend in die Luft. »Quatsch«, antwortete ich, »das ist eine hervorragende Übung, wie man Geschosse abwehrt.«

Molly bedachte mich erneut mit einem entnervten Blick. Dann holte sie tief Luft, neigte den Kopf in meine Richtung und hob die Hände, wobei sie die Finger spreizte. Sie begann wieder zu murmeln, und ich spürte eine subtile Veränderung im Fluss der Energien um mich herum, als sie die Umgebungsmagie zu einer fast stofflichen Barriere zusammenzog. Ein Schild erhob sich zwischen ihr und dem drohenden Geschosshagel.

»Legt an!«, befahl ich. »Zielt …!«

Alle Anwesenden, ich eingeschlossen, schleuderten frostige Wurfgeschosse, bevor ich das Wort zu Ende gesprochen hatte.

Schneebälle sausten durch die Luft, geworfen von Mollys Geschwistern, angefangen mit ihrem ältesten Bruder Daniel, der nun siebzehn Jahre alt war, bis zum jüngsten, Klein Harry, der noch nicht groß genug war, um einen ernst zu nehmenden Wurfarm entwickelt zu haben, was ihn aber nicht im Mindesten davon abhielt, den größten Schneeball zu formen, den er nur irgendwie hochstemmen konnte.

Die Schneebälle prasselten auf den Schild meines Lehrlings ein, wobei zwei der eisigen Geschosse in Explosionen weißen Puders zerstoben. Der Rest jedoch fand sein Ziel ohne den geringsten Widerstand, und bald war Molly über und über mit mehreren Pfund Schnee bedeckt. Klein Harry rannte zu ihr und pflanzte mit einem schrillen Triumphgeheul seinen brotlaibgroßen Schneeball mitten auf ihren Bauch.

»Feuer!«, rief ich verspätet.

Molly plumpste auf ihren Hintern – und brach in ein kehliges Lachen aus. Klein Harry und Hope, die jüngsten der Kinder, stürzten sich auf sie, und von da an artete meine schöne Unterrichtseinheit in Verteidigungsmagie darin aus, dass die Carpenter-Sprösslinge möglichst viel Schnee in den Halsausschnitt ihrer Geschwister schaufelten. Ich betrachtete das Schauspiel grinsend und bemerkte erst nach einigen Sekunden, dass die Mutter der Kinder neben mir stand.

Molly kam sehr nach Charity Carpenter, die ihrer Tochter ihre Haarfarbe und ihre Figur vererbt hatte. Charity und ich waren einander nicht immer ganz grün gewesen – nun ja, wenn man es genau nimmt, waren wir einander kaum jemals richtig grün gewesen –, aber aktuell lächelte sie angesichts der Faxen ihrer Kinder.

»Guten Abend, Mister Dresden«, brummte sie.

»Charity«, antwortete ich freundschaftlich. »Ist hier oft so ein Tohuwabohu?«

»Fast immer beim ersten richtigen Schneefall des Jahres. Aber für gewöhnlich eher um Weihnachten und nicht so kurz nach Halloween.«

Ich sah den Kindern beim Toben zu. Auch wenn Molly rasend schnell erwachsen wurde, und das in vielerlei Hinsicht, fiel es ihr hier leicht, das Kind herauszulassen, und es tat gut, das mit anzusehen.

Ich spürte Charitys außergewöhnlich eindringlichen Blick und linste zu ihr hinüber, wobei ich eine Augenbraue fragend nach oben zog.

»Sie hatten wohl nie eine Schneeballschlacht mit Ihrer Familie?«, fragte sie sanft. »Oder irre ich mich da?«

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Familie, mit der ich eine Schneeballschlacht hätte ausfechten können. Manchmal haben es die Kinder in der Schule versucht, aber die Lehrer haben das nicht zugelassen. Außerdem haben das die anderen Kinder meist einfach nur getan, um gemein zu sein, nicht, um Spaß zu haben. Das ist nicht dasselbe.«

Charity nickte, und ihr Blick schweifte zu ihren Kindern zurück. »Molly. Welche Fortschritte macht ihre Ausbildung?«

»Nun, ihr Talent liegt nicht im selben Bereich wie das meine. Sie wird nie eine tolle Kampfmagierin werden.«

Charity runzelte die Stirn. »Warum sagen Sie das? Glauben Sie, sie ist nicht stark genug?«

»Stärke hat damit nichts zu tun. Aber ihre größten Talente machen sie in mancher Hinsicht ungeeignet dafür.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Nun, sie ist gut bei subtilen Dingen. Komplexen Dingen. Sie hat eine außergewöhnliche Begabung, mit fein gewobener, äußerst sensibler Magie umzugehen, und sie entwickelt sich ständig weiter. Aber genau diese Sensibilität bedeutet auch, dass es ihr schwerfällt, mit dem psychischen Stress einer wahren Kampfsituation klarzukommen. Außerdem stellen deshalb rein physische Dinge eine wahre Herausforderung für sie dar.«

»Wie etwa Schneebälle abzuwehren?«, fragte Charity.

»Schneebälle sind eine gute Übung«, sagte ich. »Bis auf ihren Stolz kommt nichts zu Schaden.«

Charity nickte mit gerunzelter Stirn. »Aber Sie haben es nicht mit Schneebällen gelernt, oder?«

Die Erinnerung an meine erste Lektion im Erschaffen von Schilden unter Justin DuMorne war keine besonders gute. »Baseballbälle.«

»Großer Gott«, sagte Charity und schüttelte den Kopf. »Wie alt waren Sie?«

»Dreizehn.« Ich zuckte mit den Schultern. »Schmerz ist ein guter Lehrer, darum hab ich schnell gelernt.«

»Aber Sie versuchen, meine Tochter nicht auf dieselbe Weise auszubilden«, stellte Charity fest.

»Wir haben es nicht eilig«, meinte ich.

Der Kinderlärm ebbte zu einem verschwörerischen Flüstern ab, und Charitys Blick wanderte von ihren Kindern zu mir herüber. Ich zwinkerte ihr zu, und sie gab sich keine Mühe, ihr Vergnügen zu verbergen.

Keine fünf Sekunden später rief Molly: »Jetzt!« Eine Kanonade Schneebälle sirrte in meine Richtung.

Ich hob die linke Hand, bündelte meine Magie und formte sie vor mir zu einer breiten, flachen Scheibe. Sie war sicher nicht stark genug, Kugeln abzufangen, nicht einmal scharf geworfene Baseballbälle, aber bei Schneebällen versah sie prima ihren Dienst. Auch sie zerplatzten auf meinem Schild zu Pulver, und kleine Blitze blässlich blauer Energie flackerten auf, als sich eine runde Scheibe aus purer Energie um die gespreizten Finger meiner ausgestreckten Hand bildete.

Die Kinder lachten und gaben gellend ihr Missfallen kund.

»Ha!«, brüllte ich und schleuderte meine Faust triumphierend in die Luft.

Dann schüttete Charity, die hinter mir stand, zwei Handvoll Schnee in den Kragen meines Mantels.

Ich schrie auf, als sich die Kälte meine Wirbelsäule entlangfraß, machte einen Satz nach vorn und führte einen Veitstanz auf, während ich versuchte, den Schnee aus meinen Klamotten zu schütteln. Die Kinder jubelten ihrer Mutter zu und begannen, mehr oder minder zufällige Ziele mit Schneebällen zu bewerfen.

In der allgemeinen leichtsinnigen Aufregung bemerkte ich nicht, dass wir angegriffen wurden, bis die Lichter ausgingen.

Der gesamte Straßenzug versank in Finsternis – die Flutlichter, die den Hinterhof der Carpenters beleuchteten, das Licht in den umstehenden Häusern und die Straßenlaternen verloschen auf einen Schlag.

Dafür waberte ein unheimliches Leuchten wie Elmsfeuer über den Schnee. Schatten tanzten, wo sich zuvor keine befunden hatten, und der Gestank von etwas auf halbem Weg zwischen einem Stinktier und einem Fass voller fauliger Eier drang mir stechend in die Nase.

Ich riss meinen Sprengstock aus seiner Halterung in der Innenseite meines Mantels und zischte Charity zu: »Bringen Sie sie nach drinnen!«

»Notfall!«, rief Charity mit einer viel ruhigeren Stimme, als ich sie zustande gebracht hätte. »Alle in den Schutzraum, wie wir es geübt haben!«

Die Kinder setzten sich in Bewegung, als plötzlich drei Kreaturen mit langen Sätzen über den Schnee gehetzt kamen. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, als Adrenalin durch meinen Körper schoss, und es fühlte sich an, als stünde mir eine gute halbe Stunde zur Verfügung, um sie eingehend zu mustern.

Sie waren nicht ungewöhnlich groß, vielleicht so um die eins siebzig, doch muskelbepackt und mit weißem Fell bedeckt. Ihre Köpfe ähnelten dem einer Ziege, doch die Hörner waren wie bei einem Stier nach vorn gebogen, statt sich nach hinten zu krümmen. Die Gelenke der Knie wiesen nach hinten, und ihre Beine endeten in Hufen. Sie bewegten sich eher mit wilden Sprüngen, als dass sie tatsächlich liefen. Ihre Sprünge trugen sie leichtfüßiger in die Luft als einen Basketballstar der Chicago Bulls, was bedeutete, dass ich es mit Wesen von übernatürlicher Stärke zu tun hatte.

Wenn ich es mir genau überlegte, konnte ich mich allerdings nicht erinnern, wann ich es das letzte Mal mit etwas ohne übernatürliche Stärke zu tun gehabt hatte. Das ist wohl eines der Mankos am Magiergeschäft. Ich meine, klar, manche Viecher sind stärker als andere, aber es macht im Endeffekt keinen Unterschied, ob ein übernatürlicher Schläger nun Lokomotiven stemmen kann oder ob er nur in der Lage ist, mit Kühlschränken zu jonglieren.

Ich nahm die heranstürmenden Kreaturen mit meinem Sprengstock ins Visier, doch dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie etwas Schnee an mir vorbeirieselte und mit einem sanften Platschen neben mir zur Erde fiel.

Ich hechtete nach vorn, rollte mich über eine Schulter ab und kam kaum einen Augenblick später knapp neben meiner Ausgangsposition wieder auf die Füße. Gerade noch rechtzeitig war ich dem Angriff der vierten Kreatur entgangen. Sie hatte sich von dem Baumhaus auf mich stürzen wollen, das Michael für seine Kinder gebaut hatte. Nun stieß sie ein wütendes, grollendes Knurren aus.

Ich hatte keine Zeit, mich um diesen arglistigen Frechdachs zu kümmern. Also riss ich den Sprengstock hoch, aus dessen Spitze rote Flammen brachen, und knurrte: »Fuego!«

Eine Lanze aus reinen Flammen, so breit wie mein Handgelenk, schoss aus dem Sprengstock und verschmorte den Oberkörper des Geschöpfs zu schwarzem Fleisch. Die überschüssige Hitze schmolz den Schnee um es herum und ließ eine Säule aus sengendem Dampf aufsteigen.

Die Kreatur ging zu Boden, und ich hoffte inständig, dass sie nicht clever genug war, sich einfach tot zu stellen.

Die Carpenter-Kinder schrien wie am Spieß.

Ich wirbelte herum und zielte mit dem Stock, hatte aber kein freies Schussfeld. Eines der weißpelzigen Wesen stürmte hinter Daniel, Mollys ältestem Bruder, her. Er hatte schon leichte Muskeln, die Finger in die Mantelkrägen von Klein Harry und Hope gekrallt und schleifte die jüngsten Kinder wie Gepäckstücke hinter sich her.

Er erreichte die Tür, die Kreatur, deren bösartig gekrümmte Hörner zu einem Sturmangriff gesenkt waren, kaum drei Meter hinter ihm. Daniel hastete durch die Tür, trat sie, ohne auch nur eine Sekunde langsamer zu werden, mit dem Fuß zu, und das Wesen donnerte dagegen.

Mir war nicht aufgefallen, dass Michael eine Sicherheitstür aus massivem Stahl eingebaut hatte, die mit einer Holzvertäfelung verkleidet war, wie auch ich eine hatte. Eine Holztür hätte die Kreatur wahrscheinlich zu Kleinholz verarbeitet. Stattdessen rammte sie mit dem Kopf, die Hörner voran, gegen massiven Stahl und hinterließ dabei einen dreißig Zentimeter langen Kratzer.

Dann stolperte sie zurück und stieß einen kehligen Schmerzensschrei aus. Rauch stieg von ihren Hörnern auf, und sie torkelte weiter nach hinten und schlug mit den dreifingrigen, klauenbewehrten Händen um sich. Es gibt nicht viele Dinge, die auf die Berührung von Stahl so heftig reagierten.

Die anderen beiden Kreaturen hatten inzwischen ihre Aufmerksamkeit auf zwei unterschiedliche Ziele gerichtet. Eine verfolgte Charity, die die kleine Amanda in ihren Armen trug und wie vom Teufel gehetzt auf die Werkstatt zuhielt, zu der Michael die freistehende Garage umgebaut hatte. Die andere stürmte auf Molly zu, die Alicia und Matthew hinter sich geschubst hatte.

Mir blieb nicht genug Zeit, beiden Gruppen zu helfen, und noch weniger, mir über das moralische Dilemma einer vertrackten Entscheidung den Kopf zu zerbrechen.

Ich zielte mit dem Sprengstock auf die Bestie, die Charity jagte, und schenkte ihr ordentlich ein. Der Flammenstoß traf sie voll und riss sie von den Hufen. Sie wurde zur Seite geschleudert, donnerte gegen die Wand der Werkstatt, und Charity stürmte mit ihrer Tochter durch die Tür.

Ich riss meinen Sprengstock zu der anderen Kreatur herum, doch ich wusste bereits, dass ich es nicht rechtzeitig schaffen würde. Das Wesen senkte die Hörner und erreichte Molly und ihre Geschwister, ohne mir Zeit für einen weiteren Angriff zu bieten.

»Molly!«, schrie ich.

Mein Lehrling packte Alicia und Matthew an der Hand, stieß schnaufend ein Wort aus, und alle drei verschwanden urplötzlich.

Der Schwung des Sturmangriffs trug das Wesen an der Stelle vorbei, wo sie sich eben noch befunden hatten, und etwas, das ich nicht sehen konnte, prallte gegen seinen Huf und brachte es aus dem Gleichgewicht. Ohne langsamer zu werden, fuhr es herum, wobei es Schneefontänen vom Boden aufwirbelte, und ich spürte, wie in mir wilder, heißer Stolz und ein feuriges Hochgefühl aufflackerten. Der Grashüpfer ist vielleicht nicht in der Lage, einen ordentlichen Schild hochzuziehen, doch Molly ist erste Klasse, was Schleier anbelangt, und hatte in dieser Situation einen kühlen Kopf bewahrt.

Die Kreatur wurde langsamer, und ihr Kopf pendelte hin und her, doch dann entdeckte sie, wie unsichtbare Füße, die auf das Haus zuhielten, den Schnee zerdrückten. Sie stieß einen weiteren unirdischen Schrei aus und hetzte ihren Opfern nach, und ich wagte nicht, ihr eine weitere Flammenlanze nachzuschicken, weil sich das Carpenter-Haus direkt in der Schusslinie befand. Stattdessen hob ich die rechte Hand und löste mit einer Willensanstrengung einen der dreifach gewundenen Ringe aus, was eine Welle purer Kraft in Richtung der Kreatur fluten ließ.

Die unsichtbare Energie traf sie in Höhe der Knie und riss ihr die Beine mit derartiger Wucht weg, dass sie mit dem Hinterkopf in den Schnee prallte.

Die Fußspuren auf der verschneiten Wiese hielten eilig auf die Vordertür des Hauses zu. Molly musste bemerkt haben, dass die Sicherheitstür so verbogen war, dass sie sich nur noch sehr schwer, wenn überhaupt, öffnen lassen würde. Erneut durchfluteten mich Stolz und Anerkennung.

Das verging aber im Nu, als das Wesen, das sich in meinem Rücken tatsächlich nur tot gestellt hatte, wie eine mit Schwefel und faulen Eiern betriebene Lokomotive in mein Kreuz rammte.

Die Hörner trafen mich voll, und es tat höllisch weh, doch die Schutzmagie in meinem langen schwarzen Lederstaubmantel hielt sie davon ab, mich aufzuspießen. Der Aufprall trieb mir die Luft aus der Lunge, ließ meinen Kopf heftig zurückpeitschen, und ich flog in den Schnee. Für eine Sekunde schwirrte mir der Kopf, dann stellte ich fest, dass sich das Vieh über mich gebeugt hatte und mit den Krallen an meinem Nacken riss. Ich zog die Schultern hoch und rollte mich herum, nur um einen gespaltenen Huf auf die Nase zu bekommen. Eine überbordende Portion Schmerz, serviert mit einer Beilage aus wirbelnden Sternchen.

Ich gab weiter mein Bestes, zu entkommen, doch meine Bewegungen waren schwerfällig, und die Kreatur war einfach viel schneller als ich.

Charity trat aus der Werkstatt, bewaffnet mit einem Klauenhammer mit einem Schaft aus Metall in der linken und einer schweren Nagelpistole in der rechten Hand.

Sie hob die Nagelpistole und begann, aus kaum drei Metern Entfernung den Abzug zu betätigen, während sie ständig vorwärtsschritt. Der Apparat gab leise ploppende Geräusche von sich, und das bereits verbrutzelte Wesen heulte auf, sprang wie von der Tarantel gestochen auf, schüttelte sich, vor Schmerz zuckend, in der Luft und stürzte schließlich, um sich schlagend, in den Schnee. Ich sah, dass schwere Nägel aus seinem Rücken ragten, und aus den rauchenden Wunden blutete grün-weißes Feuer.

Es versuchte zu entkommen, doch ich trat ihm die Beine weg, ehe es sich auf die Hufe kämpfen konnte.

Charity wirbelte den Hammer in einem senkrechten Hieb herab. Sie stieß einen gellenden Schrei aus, als der Stahlkopf des Werkzeugs der Kreatur den Schädel einschlug. Aus der Wunde quoll gräulicher Matsch und mehr des grün-weißen Feuers, dann zuckte die Kreatur einmal mehr auf und blieb reglos liegen, während gespenstische Flammen ihren Körper verzehrten.

Ich stand auf, den Sprengstock immer noch in der Hand, und stellte fest, dass die restlichen Viecher zwar verwundet, aber immer noch auf den Beinen waren. Ihre gelblichen Augen mit den rechteckigen Pupillen musterten mich voller Hass und Hunger.

Ich ließ den Sprengstock aus meinen Fingern gleiten und angelte mir eine Schneeschaufel mit einem Blatt aus Metall, die neben einer der Schneeburgen der Kinder gelegen hatte. Charity hob ihre Nagelpistole, und wir gingen auf die Viecher zu.

Was auch immer die Dinger waren, sie hatten nicht den Mumm, sich mit Sterblichen anzulegen, die mit kaltem Stahl bewaffnet waren. Wie ein einziges Wesen zuckten sie zusammen, wandten sich ab und verschwanden mit weiten Sprüngen in der Nacht.

Ich stand keuchend da und sah mich um. Nach wenigen Atemzügen musste ich Blut spucken, das sich in meinem Mund sammelte. Meine Nase fühlte sich an, als hätte jemand glühende Kohlen mit Superkleber daran gepappt. Äderchen aus Schmerz zogen sich durch meinen Hals, offensichtlich ein Andenken an den Peitschenschlag, den ich mir zugezogen hatte, als mich die Kreatur von hinten umgerannt hatte, und mein Kreuz fühlte sich an wie eine einzige große Schramme.

»Sind Sie in Ordnung?«, fragte Charity.

»Feen«, murmelte ich. »Warum müssen es ausgerechnet Feen sein?«

2. Kapitel

»Tja«, sagte Charity, »die ist gebrochen.«

»Meinen Sie?«, fragte ich. Selbst die sanfte Berührung ihrer Finger auf meiner Nase war alles andere als angenehm gewesen, doch ich hatte kein einziges Mal gezuckt und auch keinen Schmerzenslaut von mir gegeben, während sie mich untersucht hatte. So machen Typen das eben.

»Zumindest ist sie nicht verschoben«, sagte Michael und stampfte sich den Schnee von den Stiefeln. »Eine Nase wieder eingerenkt zu kriegen, ist ein Erlebnis, das man ganz gern sofort wieder vergisst.«

»Was gefunden?«, wollte ich von ihm wissen.

Der hochgewachsene Mann nickte und stellte sein Breitschwert, das in der Scheide steckte, in einer Ecke an der Wand ab. Michael war nur eine Spur kleiner als ich, doch um einiges athletischer. Er hatte dunkles Haar und einen kurzen Bart, beide grau meliert, und trug blaue Arbeitsjeans, Arbeitsstiefel und ein blau-weiß kariertes Flanellhemd. »Der Kadaver ist noch dort. Er ist großteils eine verbrannte Sauerei, aber er hat sich nicht aufgelöst.«

»Ja«, sagte ich, »Feen sind nicht vollständig Wesen aus der Geisterwelt. Sie hinterlassen Leichen.«

Michael schnaubte. »Darüber hinaus waren da noch Fußstapfen, aber das war es dann auch schon. Nicht das geringste Anzeichen, dass sich diese Ziegendinger hier herumgedrückt haben.« Er spähte ins Esszimmer, wo sich die Carpenter-Kinder um den Tisch versammelt hatten, aufgeregt schnatterten und die Pizza mampften, die ihr Vater für sie abgeholt hatte, als der Angriff über uns hereingebrochen war. »Die Nachbarn glauben, ein durchgebrannter Transformator wäre für das Feuerwerk verantwortlich gewesen.«

»Mir ist jede Erklärung recht«, meinte ich.

»Ich danke Gott, dass niemand verletzt ist.« In Michaels Fall war das mit Gott nicht nur so dahergeredet. Er war gläubiger Katholik, und er trug ein heiliges Schwert, in dessen Klinge einer der Nägel eingearbeitet war, mit denen man Jesus Christus gekreuzigt hatte. Er schüttelte sich und bedachte mich mit einem kurzen Lächeln. »Dir natürlich auch, Harry.«

»Dank Daniel, Molly und Charity«, sagte ich. »Ich hab unsere Gäste nur beschäftigt gehalten. Deine Familie hat die Kleinen in Sicherheit gebracht, und Charity war für das eigentliche Hauen verantwortlich.«

Michaels Augenbrauen wanderten nach oben, und sein Blick schweifte zu seiner Frau. »Ach ja?«

Charitys Wangen liefen rosa an. Kurz entschlossen sammelte sie die verschiedenen Papiertaschentücher und Waschlappen ein, die ich vollgeblutet hatte, und verließ damit den Raum, um sie im Kamin des Wohnzimmers zu verbrennen. In meiner Branche ließ man nie Blutproben, Haare oder Fingernägel in der Gegend herumliegen.

Ich erzählte Michael, was genau sich zugetragen hatte, während sie weg war.

»Meine Nagelpistole?«, fragte er Charity grinsend, als sie in die Küche zurückkam. »Woher wusstest du, dass es sich um eine Fee handelt?«

»Ich wusste es nicht«, gab sie zu. »Ich hab mir einfach nur geschnappt, was gerade zur Hand war.«

»Da haben wir noch mal Glück gehabt«, seufzte ich.

Michael sah mich an und hob eine Braue.

»Nicht hinter jeder guten Sache steckt göttliches Eingreifen, Michael.«

»Das ist wahr. Aber ich erweise lieber ihm die Ehre, solange ich keinen wirklich guten Grund habe, etwas anderes zu glauben. Das scheint mir einfach ehrerbietiger, als es umgekehrt zu machen.«

Charity trat an Michaels Seite. Auch wenn sie lächelten und gelassen über den Angriff sprachen, mir fiel auf, wie fest sie einander an der Hand hielten, und Charitys Blick zuckte immer wieder zu ihren Kindern hinüber, als müsse sie sich vergewissern, dass sie noch immer da und in Sicherheit waren.

Plötzlich fühlte ich mich wie ein Eindringling.

»Nun«, sagte ich und erhob mich, »sieht ganz so aus, als hätte ich ein neues Projekt.«

Michael nickte. »Kennst du den Grund für den Angriff?«

»Den herauszufinden, ist das Projekt.« Ich zog meinen Staubmantel an und zuckte zusammen, als ich dabei meinen rasch steifer werdenden Nacken bewegte. »Ich denke, die waren hinter mir her. Der Angriff auf die Kinder war ein Ablenkungsmanöver, damit mir die Kreatur im Baum in den Rücken fallen konnte.«

»Sind Sie da sicher?«, fragte Charity ruhig.

»Nein«, gestand ich. »Es ist denkbar, dass sie wegen der ganzen Angelegenheit in Arctis Tor noch immer angefressen sind.«

Charitys Augen verengten sich und wurden hart wie Stahl.

Arctis Tor war das Herz des Winterhofes, die Festung und das Allerheiligste von Königin Mab selbst. Einige fiese Typen vom Winterhof hatten Molly entführt, und Charity und ich hatten mit ein klein wenig Hilfe den Turm gestürmt und sie uns mit Gewalt zurückgeholt. Der ganze Schlamassel hatte ordentlich Staub aufgewirbelt, und wir hatten einer ganzen Nation fieser Feen ans Bein gepinkelt, als wir das abgezogen hatten.

»Halten Sie auf jeden Fall die Augen offen«, riet ich ihr, »und richten Sie Molly aus, ich hätte es gern, wenn sie im Moment hierbliebe.«

»Glaubst du, sie braucht unseren Schutz?«, fragte Michael.

»Ich denke, ihr braucht möglicherweise ihren.«

Charity zog ein finsteres Gesicht, zettelte aber keinen Streit mit mir an.

Ich nickte beiden zu und ging. Molly rebellierte nicht mehr aus purem Reflex gegen alles, was ich ihr sagte, aber sie vor vollendete Tatsachen zu stellen, war immer noch die effektivste Methode, Auseinandersetzungen mit ihr zu vermeiden.

Ich schloss die Tür des Carpenter-Hauses hinter mir, was mich jäh vom Duft frischer Pizza und den lauten, lebhaften Kinderstimmen abschnitt, die sich nach der vergangenen Aufregung schier überschlugen.

Die Novembernacht war ruhig und sehr kalt.

Ich unterdrückte ein Schaudern und eilte zu meinem Wagen, einem verbeulten, alten VW Käfer, der ursprünglich einmal leuchtend blau gewesen war, doch nun nur noch aus einer bunten Mischung aus Rot, Blau, Grün, Weiß, Gelb und jetzt auch noch dem Grau von Grundierfarbe bestand, die die neue Kühlerhaube zierte, die mein Mechaniker irgendwo aufgetrieben hatte.

Ich setzte mich hinters Lenkrad und stierte für einen Augenblick in das warme goldene Licht, das aus dem Haus drang.

Dann startete ich den Käfer und fuhr heim.

3. Kapitel

»Bist du dir sicher, dass es Feen waren?«, fragte Bob der Schädel.

Ich schaute finster drein. »Bei wie vielen anderen Dingen fängt das Blut zu brennen an, wenn es mit Eisen oder Stahl in Berührung kommt? Ja, ich glaube, ich erkenne eine Fee, wenn sie mir das Nasenbein bricht.«

Ich war unten in meinem Labor im Keller meiner Wohnung, in das man durch eine Falltür im Boden des Wohnzimmers und über eine Klappleiter gelangte. Der Raum ist nur eine Betonschachtel tief unter dem Rest des Pensionshauses, in dem ich lebe. Er liegt tief genug, dass hier ständig Kühle herrscht. Im Sommer ist das ganz nett. Wenn der Winter hereinbricht, jedoch nicht mehr.

Das Labor besteht aus einem Holztisch in der Mitte des Raums, der an drei Seiten von Arbeitsplatten und Werkbänken umgeben ist, die sich an die Wände schmiegen und einen engen Gang dazwischen frei lassen. Auf den Werkbänken tummeln sich diverse Gerätschaften, die ich für meine Arbeit benötige, und ich habe diese weißen Drahtregal-Dinger, die man bei Wal-Mart so billig nachgeworfen bekommt, an den Wänden über den Bänken aufgehängt, um weiteren Stauraum zu schaffen. Die Regale sind vollgestopft mit allen möglichen Behältnissen, von mit Blei ausgekleideten Kisten bis zu Jutetaschen, von Tupperdosen zu einem Beutel, der aus dem Hodensack eines afrikanischen Löwen hergestellt ist – kein Scheiß.

Er war ein Geschenk. Bitte fragen Sie nicht.

Überall in dem Raum brannten Kerzen, was ihn ausreichend mit Licht erfüllte, das sich auf den winzigen Zinngebäuden auf der Mitte des zentralen Tisches widerspiegelte, die ein maßstabsgetreues Modell der Chicagoer Innenstadt bilden. Ich habe auch einen winzigen Sekretär für Molly hier heruntergeschleppt – mehr Platz habe ich einfach nicht –, und irgendwie schafft sie es trotz der bedrängten Verhältnisse, ihre Notizbücher und ständig wachsende Sammlung magischer Kinkerlitzchen in peinlicher Ordnung zu halten.

»Nun, sieht ganz danach aus, als würde dir jemand die Sache mit Arctis Tor nachtragen«, sagte Bob. Der Totenschädel, dessen Augenhöhlen von einem orangenen Flackern wie von Kerzenflammen erfüllt waren, thronte auf einem eigenen Regal an der nackten Wand. Ein halbes Dutzend Liebesromane im Taschenbuchformat war über das Regal verstreut, und ein siebter war zu Boden gepurzelt, wo er nun einen Teil des silbernen Beschwörungskreises verdeckte, den ich dort eingelassen habe. »Feen vergessen so was nie, Boss.«

Ich schüttelte den Kopf, hob das heruntergefallene Buch auf und stellte es ins Regal zurück. »Hast du von diesen Typen schon mal gehört?«

»Mein Wissen über das Feenreich beschränkt sich fast ausnahmslos auf die Winterseite«, erklärte Bob. »Diese Wesen scheinen mir nichts zu sein, dem ich je begegnet wäre.«

»Warum werfen sie mir dann den Kampf von Arctis Tor vor?«, fragte ich. »Hölle, es waren ja nicht einmal wir, die damals die Hauptstadt des Winters wirklich angegriffen haben. Wir sind nur in die Nachwehen gestolpert und haben uns mit ein paar Laufburschen des Winters angelegt, die Molly entführt hatten.«

»Vielleicht hat ja irgendeine Winter-Sidhe den Racheakt öffentlich ausgeschrieben. Vielleicht waren das ja auch Wildelfen, du weißt schon. Es gibt um einiges mehr wilde als sonstige. Es könnten auch Satyrn gewesen sein.« Seine Augen flackerten heller. »Hast du möglicherweise irgendwo Nymphen gesehen? Wo es Satyrn gibt, müssen auch ein oder zwei Nymphen in der Nähe herumlungern.«

»Nein.«

»Bist du sicher? Nackte Mädels, zum Umfallen hübsch, alt genug, um es besser zu wissen, aber jung genug, dass es ihnen egal ist?«

»Ich würde mich daran erinnern, wenn ich hübsche nackte Frauen gesehen hätte.«

»Pah!« Die Lichter in seinen Augen schrumpften enttäuscht. »Du kannst aber auch überhaupt nichts richtig machen.«

Ich rieb mir den Nacken. Das vertrieb zwar den Schmerz in keiner Weise, aber es gab mir etwas zu tun. »Ich bin schon mal über diese Ziegenkerle gestolpert oder hab zumindest etwas über sie gelesen. Zumindest über etwas sehr Ähnliches. Wo hab ich noch schnell die Texte über die nahen Bereiche des Niemalslands hingelegt?«

»Nordwand, hellgrüne Plastikkiste unter der Werkbank.«

»Danke.« Ich zog die schwere Plastikkiste hervor. Sie war mit Büchern vollgestopft, die meisten davon ledergebunden, die handschriftliche Abhandlungen über diverse übernatürliche Themen enthielten. Mit Ausnahme eines Buches, eines Sammelbandes von »Calvin und Hobbes«-Comics. Wie war der wohl dort reingekommen?

Ich griff mir einige Bücher, trug sie zu dem Teil des Tisches, den ich als Michigansee gestaltet hatte, und legte sie dort ab. Dann zog ich einen Stuhl heran und begann, sie durchzublättern.

»Wie war der Ausflug nach Dallas?«, fragte Bob.

»Hmmm? Oh, prima. Jemand ist von einem Schwarzen Hund verfolgt worden.« Ich blinzelte zur Karte der USA hinüber, die unter Bobs Regal auf einer Korktafel prangte. Geistesabwesend lupfte ich eine Stecknadel mit grünem Kopf von der Tafel und pikste sie dorthin, wo sich Dallas, Texas, befand, wo sie sich zu einem guten Dutzend weiterer grüner und auch einiger roter Stecknadeln gesellte, bei denen es sich um Fehlalarme gehandelt hatte. »Man ist über das Paranet mit mir in Verbindung getreten, und ich hab Hasso mit einem Besen aus der Stadt gejagt.«

»Dieses Unterstützungsnetzwerk, das du und Elaine da am Laufen habt, ist wirklich eine schlaue Idee«, meinte Bob. »Lehre die Sardinen, einen Schwarm zu bilden, wenn ein großer Fisch auftaucht, um sie zu fressen.«

»Mir gefällt die Idee von Spatzen besser, denen man beibringt, sich zusammenzurotten, um einen Falken zu verscheuchen.« Ich kehrte zu meinem Sitzplatz zurück.

»Wie auch immer, es kommt darauf an, dass sich weniger Leute Gefahren aussetzen, was wiederum auf lange Sicht weniger Arbeit für dich bedeutet. Nutzbringende Feigheit. Extrem geschickt. Ich beuge mein Haupt in Ehrerbietung. Ach ja, wie ich gehört habe, befinden sich einige der besten Stripclubs in Dallas.«

Ich bedachte Bob mit einem strengen Blick. »Wenn du mir schon nicht hilfst, könntest du bitte aufhören, mich abzulenken?«

»Oh«, sagte Bob. »Klar.« Der Liebesroman, den ich zurück aufs Regal gestellt hatte, erbebte kurz, kippte um und öffnete sich auf der ersten Seite. Der Schädel wandte sich dem Buch zu, und das orange Licht seiner Augen fiel auf die Seiten.

Ich ging eine der alten Schriften durch. Dann die zweite. Dann die dritte. Bei den Toren der Hölle, ich wusste, dass ich diese Viecher bereits gesehen oder von ihnen gelesen hatte.

»Reiß ihr das Kleid vom Leib!«, schrie Bob.

Er nimmt diese Taschenbuchschnulzen äußerst ernst. Die Seite blätterte sich so schnell um, dass das Papier ein wenig einriss. Bob ging noch rücksichtsloser mit Büchern um als ich selbst.

»So wollen wir das haben!«, geiferte er.

»Das können keine Satyrn gewesen sein«, grummelte ich laut und versuchte so, meine Gedanken zu ordnen. Meine Nase schmerzte wie die Hölle und mein Nacken wie etwas mit derselben Postleitzahl. Diese Art Schmerzen kosten jede Menge Kraft, selbst wenn man ein Magier ist, der die Grundlagen gelernt hat, indem man ihn mit Baseballbällen bombardierte. »Satyrn haben menschliche Gesichter. Bei diesen Dingern war das nicht so.«

»Werziegen?«, schlug Bob vor. Er blätterte eine weitere Seite um und las weiter. Bob ist ein Geist des Wissens, und wenn er etwas draufhat, dann Multitasking. Darin ist er wahrscheinlich Weltspitze. »Oder vielleicht Ziegenwere.«

Ich warf dem Schädel einen genervten Blick zu. »Ich kann gar nicht glauben, dass ich dieses Wort gerade gehört habe.«

»Was?«, fragte Bob heiter. »Werziegen?«

»Werziegen. Ich bin recht sicher, dass ich ein großartiges, erfülltes Leben hätte führen können, ohne dieses Wort jemals gehört zu haben, ganz zu schweigen von den geistigen Bildern, die es hervorruft.«

Bob kicherte. »Sterne und Steine, du bist aber zart besaitet, Harry.«

»Werziegen«, brummte ich und widmete mich erneut meiner Lektüre.

Nachdem ich das fünfte Buch durchgeblättert hatte, holte ich mir einen weiteren Arm voller Folianten. Bob brüllte sein Buch an. Er jubelte bei Liebesszenen und plapperte auch beim Rest immer wieder dazwischen, ganz so, als handle es sich um eine Liveshow auf einer Bühne.

Was mir höchstwahrscheinlich etwas Wichtiges über Bob verraten könnte, wäre ich eine intelligente Person. Im Grunde ist Bob ein spirituelles Wesen, bestehend aus der Energie von Gedanken. Und von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet, sind die Figuren in diesen Büchern nichts anderes. Sie haben keine feste Form, man kann sie nicht physisch berühren. Die Bilder von ihnen entstehen im Kopf des Lesers, Konstrukte seiner Fantasie und Gedanken, denen die Arbeit und das Geschick eines Autors und die Vorstellung eines Lesers Gestalt verliehen haben. Autor und Leser sind sozusagen die Eltern dieser Figuren.

Wenn Bob diese Bücher liest und sich die Geschichte vorstellt, sieht er diese konstruierten Wesen dann … als eine Art von Geschwistern an? Seelenverwandte? Kinder? Kann ein Wesen wie Bob Gefallen an einer eigenen Familie entwickeln? Es wäre im Bereich des Denkbaren und würde außerdem seine ständige Faszination für den ganzen literarischen Themenbereich, der die Entstehung einer sterblichen Familie anbelangt, erklären.

Andererseits betrachtet er die Figuren in seinen Büchern vielleicht wie manche Männer eine aufblasbare Gummipuppe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen will.

Wie gut, dass ich keine intelligente Person bin.

Ich fand unsere Angreifer nach der Hälfte des achten Buches, mit Skizzen, Notizen und allem Drum und Dran.

»O Mann!«, murmelte ich und setzte mich kerzengerade auf.

»Fündig geworden?«

»Allerdings.« Ich hielt das Buch hoch, sodass Bob die Zeichnung sehen konnte. Sie fing unsere ziegenhaften Feinde um einiges besser ein als die meisten Phantombilder der Polizei von irgendwelchen Verdächtigen. »Wenn stimmt, was in dem Buch steht, haben mich die Böcke Brausewind angegriffen.«

Der Liebesroman kippte vom Rand des Regals. Bob stieß einen erstickten Laut aus. »Äh, hast du gerade ›Brausewind‹ gesagt?« Der Schädel begann zu lachen und klapperte gegen das Regal. »›Brausewind‹?«

»Was?«, brummte ich.

Der Schädel platzte schier vor lauter Gelächter. »›Die drei Böcke Brausewind‹! Du hast dir den Arsch von einer Kindergeschichte versohlen lassen?«

»Ich würde nicht sagen, dass sie mir den Arsch versohlt haben!«, fauchte ich.

»Nur weil du dich selbst nicht sehen kannst!« Bob drohte an seinem Lachanfall zu ersticken, was ganz schön eindrucksvoll war, bedenkt man, dass er keine Lunge hat. »Deine Nase ist ganz angeschwollen, und du hast zwei blaue Augen. Du siehst aus wie ’n Waschbär. Der ’nen vermöbelten Arsch in Händen hält.«

»Du hast die Dinger nicht in Aktion erlebt«, sagte ich. »Die waren stark und ziemlich gerissen. Außerdem waren es vier.«

»Wie die vier Reiter der Apokalypse!«, sagte er. »Nur aus dem Streichelzoo!«

Ich versuchte, ihn mit meinem Blick zu durchbohren. »Mach dich nur darüber lustig!«

»Oh, absolut!«, rief Bob mit unverkennbarem Vergnügen. »Hilfe, Hilfe! Es ist ein Bock Brausewind!«

Ich funkelte ihn an. »Dir entgeht das Wesentliche, Bob.«

»Der kann gar nicht so witzig sein wie das Vorangegangene«, behauptete er. »Ich bin sicher, jede Sidhe lacht sich den Arsch ab.«

»Das ist ja der Punkt. Die Böcke Brausewind arbeiten für den Sommer. Sie gehören zu Königin Titanias Exekutoren!«

Bobs Hohngelächter erstarb abrupt. »Oh.«

Ich nickte. »Nach der Sache im Arctis Tor könnte ich ja nachvollziehen, wenn jemand vom Winter hinter mir her wäre. Aber wir haben es mit dem Sommer zu tun.«

»Nun«, gab Bob zu bedenken, »du hast Königin Titanias Tochter quasi dem Tod der Tausend Schnitte ausgeliefert.«

»Stimmt. Aber warum schickt sie ihre Häscher erst jetzt? Das hätte sie schon vor Jahren tun können.«

»So ist es nun mal mit Feen«, meinte Bob. »Logik ist nicht gerade eine ihrer Stärken.«

Ich schnaubte. »Das Leben könnte so einfach sein.« Gedankenverloren trommelte ich mit den Fingern auf ein Buch. »Da steckt mehr dahinter, da bin ich mir sicher.«

»Wie weit oben stehen die in der Hierarchie des Sommers?«, fragte Bob.

»Ganz oben. Zumindest als Gruppe. Sie haben einen erstaunlichen Ruf als Trolltöter. Daher kommt auch zumindest die norwegische Version des Märchens mit den Böcken Brausewind.«

»Trolltöter«, sagte Bob. »Trolle. Wie Mabs Leibgarde, deren Stücke du über ganz Arctis Tor verteilt gefunden hast?«

»Exakt«, sagte ich. »Aber was ich dort angestellt habe, hat den Winter auf die Palme gebracht, nicht den Sommer.«

»Ich hab dich immer für deine Gabe bewundert, alle gleichermaßen zur Weißglut zu treiben.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich muss etwas getan haben, das dem Sommer irgendwie geschadet hat.« Ich runzelte die Stirn. »Oder dem Winter geholfen. Bob, weißt du …«

Das Telefon begann zu klingeln. Ich hatte ein Verlängerungskabel von der Buchse im Schlafzimmer verlegt, nachdem sich Molly fast das Genick gebrochen hatte, als sie die Klappleiter hinaufgewieselt war, um einen Anruf entgegenzunehmen. Die alte Aufziehuhr auf dem Regal verriet mir, dass es nach Mitternacht war. Niemand rief mich so spät an, außer es war etwas Schlimmes.

»Erinner mich später an den Gedanken«, trug ich Bob auf.

»Ich bin’s«, sagte Murphy, als ich abhob. »Ich brauche dich.«

»Sergeant, ich bin äußerst gerührt. Endlich gestehen Sie sich die Wahrheit ein.«

»Ich meine es ernst«, entgegnete sie, und etwas in ihrer Stimme klang angestrengt und müde.

»Wo?«, fragte ich.

Sie gab mir eine Adresse, und wir legten beide auf.

Ich erhalte kaum noch Aufträge von der Polizei von Chicago, und aufgrund meiner Pflichten als Hüter komme ich auch kaum noch dazu, meinem Job als Privatermittler nachzugehen. Die Unterstützung, die mir als Hüter des Weißen Rates zusteht, hatte mich vor dem Bankrott bewahrt, doch mein Konto war auf einen Stand zusammengeschmolzen, an dem ich mir alle Mühe geben musste, damit keiner meiner Schecks platzte.

Ich brauchte Arbeit.

»Das war Murphy«, sagte ich. »Sie ruft mich zur Pflicht.«

»So spät in der Nacht hätte ich nichts anderes erwartet«, meinte Bob. »Achte noch etwas mehr auf deinen Allerwertesten als sonst, Boss.«

»Warum sagst du das?«, wollte ich wissen, während ich in meinen Mantel schlüpfte.

»Ich weiß nicht, ob du das norwegische Märchen gelesen hast«, erklärte Bob. »Die Böcke Brausewind darin hatten eine ganze Reihe Brüder.«

»O ja«, seufzte ich, »und jeder davon größer und gemeiner als der letzte.«

Ich fuhr los, um Murphy zu treffen.

Werziegen. Mein Gott!

4. Kapitel

Ich stand wie alle anderen herum und sah mir den Brand an, als ein Cop Murphy zu mir führte.

»Wird auch langsam Zeit«, stieß sie hervor. Sie hob das Absperrband an und gab mir ein Zeichen, darunter hindurchzuschlüpfen. Ich hatte längst meinen kleinen laminierten Beraterausweis an das Revers meines Staubmantels geklemmt. »Warum hast du so lange gebraucht?«

»Der Schnee ist fast dreißig Zentimeter hoch«, erwiderte ich, »und es hört einfach nicht auf zu schneien.«

Sie sah zu mir auf. Karrin Murphy ist ein winziges Persönchen, und der schwere Wintermantel, den sie trug, ließ sie sogar noch kleiner erscheinen. Die riesengroßen Watteschneeflocken, die nach wie vor herabrieselten, hafteten an ihrem goldenen Haar und glitzerten an ihren Wimpern, was ihren Augen einen gletscherblauen Ton verlieh. »Ist dein Clownauto etwa in einer Schneewehe hängen geblieben? Was ist mit deinem Gesicht passiert?«

Ich ließ meinen Blick über die Normalsterblichen schweifen. »Ich hatte eine Schneeballschlacht.«

Murphy schnaufte. »Die hast du offensichtlich verloren.«

»Du hättest den anderen Kerl sehen sollen.«

Wir standen vor der Vorderfront eines kleinen fünfstöckigen Wohngebäudes, das jemand in die Luft gejagt hatte.

Die Fassade des Gebäudes war einfach verschwunden, als hätte sie jemand mit einer gigantischen Axt abgetrennt. Man sah die verschiedenen Stockwerke und das Innere mehrerer leerer Wohnungen, wenn man es schaffte, die Nebelwand aus Staub, Rauch und fallendem Schnee mit seinem Blick zu durchdringen. Im Haus loderten mehrere Brände, die aber durch den Dunst aus Rauch und dicht fallendem Schnee kaum auszumachen waren. Trümmer hatten sich über die Straße ergossen und selbst die Häuser auf der anderen Seite beschädigt, und die Polizei hatte einen ganzen Straßenblock abgeriegelt. Zerborstenes Glas und Ziegel waren überall verstreut. Der Geruch brennender Materialien, die nie dazu gedacht gewesen waren, ein Feuer zu speisen, hing stechend in der Luft.

Trotz des Wetters hatten sich einige Hundert Leute an der Polizeiabsperrung versammelt. Eine geschäftstüchtige Seele verkaufte Kaffee aus einer riesigen Thermoskanne, und ich war nicht zu stolz, ein paar Dollar für einen Becher brodelnden Göttertranks, etwas Kaffeeweißer und ein Päckchen Zucker hinzublättern.

»Eine ganz schöne Menge Feuerwehrautos«, bemerkte ich. »Aber nur ein Krankenwagen. Außerdem kippt sich die Rettungsmannschaft gerade Kaffee hinter die Binde, während alle anderen in der Kälte frieren.« Ich nippte an meinem Becher. »Diese Bastarde!«

»Das Gebäude war unbewohnt«, sagte Murphy. »Es wurde gerade modernisiert.«

»Keine Verletzten also. Das ist ein Vorteil.«

Murphy warf mir einen kryptischen Blick zu. »Bist du bereit, inoffiziell zu arbeiten? Auf Tageshonorarbasis?«

Ich nippte, um mein Zusammenzucken zu überspielen. Mir war ein Zweitagesminimum um einiges lieber. »Schätze, die Stadt spuckt nicht mehr besonders viel Kohle für externe Berater aus, hm?«

»Die Sondereinheit hat das Geld aus der Kaffeekasse zusammengelegt, falls wir einmal deine Meinung in einem Fall brauchen.«

Diesmal gab ich mir keine Mühe, mein Zusammenzucken zu verbergen. Geld von der Stadt war eine Sache, Geld von den Polizisten der Sondereinheit zu akzeptieren eine völlig andere.

Die Sondereinheit ist eine Art Poolfilter der Polizei von Chicago. Alle Dinge, die nicht in die Zuständigkeitsbereiche der verschiedenen anderen Abteilungen fallen, landen bei der Sondereinheit. Sehr oft handelt es sich dabei einfach um Dinge, um die sich sonst niemand kümmern will, also nimmt sich die Sondereinheit der Sache an, angefangen mit vom Himmel regnenden Fröschen bis zu Berichten, dass irgendwo ein Chupacabra – Sie wissen schon, dieses angeblich lateinamerikanische Fabelwesen – aus seinem Versteck in der Kanalisation heraus die örtlichen Haustierchen belästigt. Es ist ein Scheißjob – nein, das Wortspiel war nicht beabsichtigt –, und all das hat zur Folge, dass diese Abteilung als eine Art Irrenanstalt für Inkompetente gilt. Das ist sie aber nicht, auch wenn die Insassen dieses polizeilichen Irrenhauses einige Charaktereigenschaften teilen – genug Verstand, um Dinge zu hinterfragen, und eine unentschuldbare Unfähigkeit, wenn es darum geht, in den trüben Wassern der polizeiinternen Politik zu navigieren.

Als Sergeant Murphy noch Lieutenant Murphy war, hat sie die Sondereinheit geleitet. Man hat sie aus Amt und Würden gejagt, als sie während besonders haariger Ermittlungen für vierundzwanzig Stunden verschwunden war. Sie hat ihren Vorgesetzten nicht erzählen können, dass sie alle Hände voll damit zu tun hatte, eine eisige Festung in den nächstgelegenen Bereichen des Niemalslandes zu erstürmen. Nun ist ihr alter Partner, Lieutenant John Stallings, der offizielle Boss und führt die Abteilung mit einem ausgefransten, manchmal übel notverknoteten Schnürsenkel von Budget.

Daher die bedauerliche Abwesenheit eines entsprechenden Einkommens für Chicagos einzigen Profimagier.

Ich konnte ihr Geld nicht nehmen. Es ist ja nicht so, als würden sie in Kohle baden. Andererseits haben sie auch ihren Stolz, und auch den konnte ich ihnen nicht einfach nehmen.

»Tageshonorarbasis?«, fragte ich. »Zum Geier, mein Konto ist dünner als die moralischen Grundsätze eines Tabaklobbyisten. Ich mach’s zum Stundensatz.«

Murphy funkelte mich kurz säuerlich an, bevor sie mir leicht dankbar zunickte. Stolz wiegt gesunden Menschenverstand nicht immer auf.

»Also, was geht?«, fragte ich. »Brandstiftung?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Eine Art Explosion. Möglicherweise ein Unfall. Möglicherweise auch nicht.«

Ich schnaubte. »Klar, weil du mich bei möglichen Unfällen zurate ziehst.«

»Komm.« Murphy zog eine Staubmaske aus ihrer Manteltasche und legte sie an.

Ich zog ein Kopftuch hervor und band es mir vor Mund und Nase. Was ich jetzt noch brauchte, war ein cooler Cowboyhut und Sporen, um das Klischee zu vervollständigen. Yippieahee, Schweinebacke!

Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu, doch ihre Züge waren unter der Staubmaske schwer zu lesen. Dann führte sie mich zu einem Gebäude neben dem zerstörten Wohnhaus. Murphys Partner wartete schon auf uns.

Rawlins war ein untersetzter Mann Mitte fünfzig, akzeptabel übergewichtig und wirkte so gütig wie ein Sattelschlepper. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, der grau meliert war, ein scharfer Kontrast zu seiner dunklen Haut, und trug einen ausgebeulten alten Wintermantel über seinem Anzug von der Stange.

»Dresden«, sagte er lässig. »Gut, Sie zu sehen.«

Ich schüttelte ihm die Hand. »Wie geht’s dem Fuß?«

»Der fängt immer zu zwicken an, wenn mir jemand gleich sagen will, dass ich verduften soll«, sagte er sachlich. »Au.«

»Es ist besser, wenn Sie alles abstreiten können«, sagte Murphy in einem Tonfall, den ein aufmerksamer Beobachter als Vorbereitung zu einer handfesten Auseinandersetzung hätte deuten können, und verschränkte ihre Arme. »Sie müssen eine Familie ernähren.«

Rawlins seufzte. »Ja, ja. Bin draußen auf der Straße.« Er nickte mir zu und ging von dannen. Er hatte sich ziemlich gut davon erholt, dass man ihn in den Fuß geschossen hatte, und hinkte nicht mehr. Gut für ihn. Auch gut für mich. Ich hatte ihn in dieses Schlamassel hineingezogen.

»Abstreiten?«, fragte ich Murphy.

»Nichts Konkretes, aber ein paar Leute weiter oben in der Sondereinheit haben sich äußerst klar ausgedrückt, dass du bei uns eine Persona non grata bist.«

Das tat ein wenig weh, und meine Stimme klang etwas harscher, als ich es eigentlich beabsichtigt hatte. »Oh, klar. Die Art, wie ich der Sondereinheit bei Dingen weitergeholfen habe, die sie nicht in den Griff bekommen hat, ist auch wirklich unentschuldbar.«

»Ich weiß«, sagte Murphy.

»Da habe ich ja Glück, dass sie mir keine Anzeige wegen überbordender Kompetenz angehängt haben oder mich einsperren wollen, weil ich die öffentliche Ordnung aufrechterhalte.«

Sie wedelte müde, aber beschwichtigend mit der Hand. »Was soll ich tun, Harry? Ich hab jeden Gefallen, den ich irgendwo guthatte, eingelöst, nur um meinen Scheißjob zu behalten. Es besteht nicht die geringste Chance, dass ich je wieder in eine Position gelange, wo ich was zu melden habe.«

Ich biss die Zähne zusammen und spürte, wie ich rot anlief. Sie hatte es nicht gesagt, doch sie hatte ihre Führungsposition und die Hoffnung auf eine strahlende Karrierezukunft verspielt, weil sie mir den Rücken gedeckt hatte. »Murph …«

»Nein«, unterbrach sie mich in einem ruhigeren, gelasseneren Tonfall, als in dieser Situation verständlich gewesen wäre. »Eine Sache möchte ich echt wissen. Ich hab dich aus eigener Tasche bezahlt, wenn die Stadt kein Geld rausrücken wollte. Der Rest der Sondereinheit wirft alles Geld, das die Jungs entbehren können, ins Sparschwein, damit wir dich bezahlen können, wenn wir dich wirklich brauchen. Willst du, dass ich Spätschicht in einem Burgerschuppen schiebe, um dein Honorar zu begleichen?«

»Herrje, Murphy«, seufzte ich, »es geht nicht ums Geld. Es ging nie um Geld.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Warum jammerst du dann?«

Ich ließ mir das durch den Kopf gehen und sagte: »Du solltest einfach nicht um die ganzen Befindlichkeiten der Emporkömmlinge um dich herum tänzeln müssen, um deinen Job zu erledigen.«

»Nein, nicht in einer normalen Welt. Aber falls es dir noch nicht aufgefallen ist, hat diese Welt ganz augenscheinlich eine völlig andere Postleitzahl. Außerdem glaube ich mich zu erinnern, dass du deinen eigenen Vorgesetzten auch das ein oder andere Schnippchen schlagen musstest.«

»Pah!«, brummte ich. »Touché.«

Sie grinste schwach. »Ich weiß, es ist Scheiße, aber es ist alles, was wir haben. Bist du jetzt mit dem Gejammer fertig?«

»Zur Hölle damit«, entschied ich. »An die Arbeit.«

Murphy nickte in Richtung der trümmerübersäten Gasse zwischen dem beschädigten Gebäude und seinem Nachbarn, und wir betraten sie, wobei wir immer wieder über herabgestürzte Ziegel und Balken klettern mussten.

Wir waren kaum einen Meter weit gekommen, als mir der scharfe Gestank von Schwefel in die Nase drang, kaum überlagert vom Geruch des ausgeweideten Gebäudes. Es gab nur eine Sache, die so roch.

»Kacke«, brummte ich.

»Dachte mir doch, dass mir der Geruch bekannt vorkommt«, meinte Murphy. »Wie damals in der Festung.« Sie warf mir einen Blick zu. »Und … zu den anderen Zeiten, wo ich es gerochen habe.«

Ich gab vor, ihren Blick nicht zu bemerken. »Ja, das ist Höllenfeuer.«

»Da ist noch mehr«, flüsterte Murphy leise. »Komm.«

Wir kämpften uns weiter die Gasse entlang, bis wir am Rand des verwüsteten Teils des ausgeweideten Gebäudes vorbeischritten. Eben noch hatte totale Verwüstung geherrscht, im nächsten Augenblick stand die Ziegelmauer des Hauses wieder. Die Demarkationslinie zwischen Haus und totaler Vernichtung war eine gezackte Linie, die sich durch den Staub und den Schnee und den Rauch zog – mit Ausnahme eines Mauerabschnitts in vielleicht einem Meter fünfzig Höhe.

Statt einer zerborstenen Linie zerschmetterter Ziegel und verbogener Dämmplatten fraß sich dort ein glatter Halbkreis in die Wand.

Mit gerunzelter Stirn beugte ich mich näher. Der Geruch nach Höllenfeuer wurde stärker, und ich war sicher, dass sich etwas durch die Ziegelwand geschmolzen hatte – ein Energiestrahl wie ein gigantischer Bohrer. Er musste unvorstellbar heiß gewesen sein, um Ziegel, Stahl und Beton einfach zu verdampfen. Er hatte den Rand des Gebiets, den er berührt hatte, zu glattem Glas geschmolzen, auch wenn die Hälfte des etwa basketballgroßen Kreises fehlte, da ihn die einstürzende Mauer mitgerissen hatte.

Jede natürliche derartige Hitzequelle hätte wahrscheinlich eine Feuersbrunst vor sich hergeschickt, die die Gasse, in der ich nun stand, in eine Landschaft aus Ruß und Kohle verwandelt hätte. Doch die Gasse war, wo sich keine Trümmer türmten, nur mit dem üblichen Müll einer Großstadt übersät, und der Schnee einiger Stunden bedeckte ebenfalls das Pflaster.

»Rede mit mir«, forderte mich Murphy auf.

»Kein normales Feuer ist je dermaßen begrenzt.«

»Was meinst du?«

Ich vollführte eine vage Geste mit der Hand. »Auch durch Magie erschaffenes Feuer ist immer noch Feuer. Ich meine, klar, man kann gewaltige Hitze und Energie hervorrufen, doch die verhält sich dann immer noch wie Hitze und muss den Gesetzen der Thermodynamik gehorchen.«

»Wir haben es also mit Mojo zu tun«, sagte Murphy.

»Rein technisch gesehen, ist Mojo kein …«

Sie seufzte. »Haben wir es mit Magie zu tun?«

Als hätte der Gestank von Höllenfeuer nicht ausgereicht, um ihr diese Frage zu beantworten. »Ja.«

Murphy nickte. »Du beschwörst doch auch immer wieder Feuer, und das macht Dinge, die normales Feuer nicht tut.«

Ich hielt meine Hand über die flammenzerbohrten Ziegel. Sie waren immer noch warm. »Aber wenn man es kontrollieren will, wenn man es erst einmal beschworen hat, bedarf es weiterer Energie, das Feuer in eine gewünschte Bahn zu bündeln. Diese Energie zu kontrollieren, kostet meist genauso viel Anstrengung, wie das Feuer selbst zu beherrschen, wenn nicht mehr.«

»Könntest du so etwas?«, fragte sie und deutete auf das Gebäude.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie die Frage völlig anders betont als an diesem Tag, und ich wäre verdammt nervös geworden, weil ich hätte fürchten müssen, dass sie hinter ihrem Rücken bereits Pistole und Handschellen bereithielt. Aber das war schon lange her. Natürlich hätte ich ihr damals höchstwahrscheinlich auch keine der Wahrheit entsprechende Antwort gegeben, wie ich es jetzt tat.

»Da friert eher die Hölle ein«, antwortete ich leise und nur teilweise im übertragenen Sinn. »Ich bin verdammt sicher, dass ich nie derartig viel Energie beschwören könnte, und selbst wenn es mir gelingen sollte, hätte ich keinen Saft mehr übrig, um sie zu kontrollieren.«

Ich schloss für einen Moment die Augen und versuchte, die zurückgebliebenen Schwingungen von magischer Macht in diesem Gebiet zu erspüren, doch das Vernichtungswerk und Staub, Schnee und Rauch überdeckten jegliche zusammenhängenden Muster, die mir vielleicht einen Hinweis darauf hätten geben können, wie jemand dieses magische Werk zustande gebracht hatte.

Mir fiel allerdings etwas anderes auf. Die Oberfläche des Schnitts verlief nicht deckungsgleich mit der Mauer, sondern in einem Winkel. Ich runzelte die Stirn und sah über die Schulter, um zu versuchen, eine Linie zu der Wand des Gebäudes auf der anderen Seite der Gasse zu bilden.

Murphy kannte mich gut genug, um zu sehen, dass ich etwas entdeckt hatte, und ihr plötzliches Interesse spiegelte sich in einer steilen Denkfalte zwischen ihren Augenbrauen wieder, während sie sich zwang, still zu bleiben und mich meine Arbeit machen zu lassen.

Ich ging zum anderen Ende der Gasse. Eine leichte Schnee- und Staubschicht hatte sich über die Wand gelegt.

»Gib auf deine Augen acht«, mahnte ich und verengte meine zu Schlitzen. Dann hob ich die rechte Hand, bündelte meinen Willen und murmelte: »Ventas reductas.«

Der Wind, den ich beschwor, war nicht die Sturmböe, die ich normalerweise einsetze. Diese war um einiges abgemildert und wehte stetig aus meiner ausgestreckten Hand.

Ich hatte mich bemüht, Molly Luftmagie beizubringen, doch sie verfügt einfach nicht über die rohe Kraft, die mir zur Verfügung steht, und es hätte sie auf die Bretter geschickt, hätte sie versucht, eine Sturmböe hervorzurufen. Darum hatte ich an meinen Lehrmethoden gefeilt, und durch Zufall hatten wir eine ganz passable Version eines magischen Föhns ausgetüftelt.

Ich benutzte nun diesen Föhnzauber, um den Staub und den Schnee sanft von der Wand zu blasen. Das kostete mich vielleicht anderthalb Minuten, und als ich fertig war, erschnupperte ich einen zweiten Geruch unter dem Schwefelgestank und verkündete: »Doppelkacke!«

Murphy trat mit einer Taschenlampe vor und leuchtete damit auf die Mauer.

Das Zeichen war mit etwas Dickflüssigem, Braunem, das nach Blut roch, an die Wand gemalt. Zunächst hielt ich es für ein Pentagramm, doch ich stellte den Unterschied sofort fest.

»Harry«, sagte Murphy leise, »ist das Menschenblut?«

»Wahrscheinlich«, sagte ich. »Das Blut von Sterblichen ist die mächtigste Farbe, die man für Symbole bei kraftraubenden Zaubern wie diesem verwenden kann. Ich glaube nicht, dass etwas anderes die schiere Menge an Energie hätte einfangen können, die es bedurfte, um dieses Gebäude in die Luft zu jagen.«

»Das ist doch ein Pentagramm, nicht wahr?«, fragte Murphy. »Wie das, das du als Anhänger trägst?«

Ich schüttelte den Kopf. »Es ist anders.«

»Wie, anders?« Ihr Mundwinkel zuckte. »Ich meine, mal abgesehen davon, dass es aus Blut ist.«

»Ein Pentagramm ist ein Symbol der Ordnung«, erklärte ich leise. »Fünf Zacken, fünf Schenkel. Es symbolisiert die Kräfte des Feuers, des Wassers, der Erde, der Luft und des Geistes. Es ist von einem Kreis umschlossen, die Spitzen berühren den äußeren Ring. Das stellt die Kräfte der Magie dar, die unter menschlicher Kontrolle stehen. Macht, die durch Zurückhaltung aufgewogen wird.« Ich wies auf das Symbol. »Siehst du, die Zacken des Sterns ragen über den Kreis hinaus.«

Sie runzelte die Stirn. »Was hat das zu bedeuten?«

»Ich hab nicht den blassesten Schimmer«, gab ich zu.

»Donnerwetter!« Sie grinste. »Du bist dein Geld absolut wert.«

»Haha! Selbst wenn ich dieses Symbol schon mal gesehen hätte, könnte es für verschiedene Leute etwas völlig anderes bedeuten. Die Hindus und die Nazis haben zum Beispiel völlig andere Vorstellungen vom Hakenkreuz.«

»Kannst du mir denn einen Tipp geben?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Jetzt mal ins Blaue hinein? Das hier macht unangenehm den Eindruck einer Kombination eines Pentagramms mit dem Anarchiezeichen. Ungezähmte Magie.«

»Anarchistenmagier?«, fragte Murphy.

»Ist nur geraten.« Mein Bauchgefühl allerdings verriet mir, dass es nicht die schlechteste Vermutung war, und Murphy schien diese Einschätzung zu teilen.

»Wozu ist dieses Symbol gut?«, fragte Murphy. »Was soll es bewirken?«

»Macht zurückwerfen«, entgegnete ich. »Ich tippe mal darauf, dass die Energie, die sich durch das Gebäude gefressen hat, von diesem Zeichen reflektiert wurde, was bedeutet …« Meine Gedanken fuhren Kajak auf dem Wildbach logischer Schlussfolgerungen. »Was bedeutet, dass die Energie auch von irgendwoher gekommen sein muss.« Ich wandte mich langsam um und versuchte, die Winkel richtig einzuschätzen. »Der einfallende Strahl muss direkt durch den eingestürzten Teil des Gebäudes gedrungen sein und …«

»Strahl?«

Ich wies auf das halbkreisförmige Loch in der kaputten Wand. »Ja. Wärmeenergie, und zwar jede Menge.«

Sie betrachtete das Loch. »Sieht nicht danach aus, als sei der Strahl breit genug gewesen, das gesamte Haus einzureißen.«

»Richtig«, pflichtete ich ihr bei. »Auf jeden Fall hat er keine Explosion auslösen können. Er hat einfach nur ein Loch gebohrt. Vielleicht hat er irgendwo einen Brand ausgelöst, aber es hätte nicht die Fassade abrasieren können, wie wir es hier sehen.«

Murphy zog die Stirn kraus. »Was war es dann?«

»Ich arbeite dran«, murmelte ich und gab mir alle Mühe, die Winkel so gut wie möglich zu berechnen, dann ging ich die Gasse entlang.

Die Feuerwehrmänner waren noch verbissen darum bemüht, das Gebäude zu sichern, und wir mussten über einige Schläuche steigen, als wir auf die Straße hinter dem Wohngebäude traten. Ich überquerte sie und wanderte eine Häuserfront entlang, wobei ich eine Hand erhoben hatte, um nach Rückständen von Energie zu tasten. Ich konnte nichts mehr feststellen, doch ich witterte erneut Höllenfeuer, und ein paar Schritte weiter fand ich ein weiteres Nicht-Pentagramm, das dem ersten glich und das ebenfalls unter einer leichten Schneeschicht verborgen war.

Ich umrundete das zerstörte Haus im Uhrzeigersinn und entdeckte zwei weitere Symbole an den intakten Gebäuden, die das Haus flankierten, und ein weiteres auf der anderen Straßenseite, den zerstörten Wohnungen gegenüber. Ich beendete meinen Rundgang und gelangte wieder zum ersten Spiegelzeichen.

Fünf Reflexionspunkte, die eine wirklich gruselige Menge an Energie durch das Gebäude gejagt und damit ein einzelnes großes Zeichen gebildet hatten.

»Es ist ein Pentagramm«, sagte ich leise.

»Was?«

Ich berührte das glatte, runde Bohrloch an der eingestürzten Hauswand. »Der Energiestrahl, der hier durch das Gebäude gerast ist, war einer von fünf Schenkeln eines Pentagramms, eines fünfzackigen Sterns.«

Murphy sah mich verständnislos an.

Ich zog ein Stück Kreide aus meiner Tasche. »Gut, schau. Jeder lernt doch, so was in der Grundschule zu zeichnen, nicht wahr?« Ich krakelte mit der Kreide schnell einen Stern auf ein Stück Ziegelmauer – fünf Striche, die einen fünfzackigen Stern formten. »Klar?«

»Klar«, sagte Murphy.

»Aber schau dir mal die Mitte an. Das ist ein Fünfeck, siehst du? Das Zentrum eines Pentagramms. Da sperrst du ein, was du einsperren willst.«

»Was meinst du damit?«

»Ein Pentagramm wie dieses ist ein Symbol der Macht«, erklärte ich. »Es hat viele Einsatzmöglichkeiten, kommt immer darauf an, wie du es benutzt. Aber meist wird es dazu verwandt, gewisse Wesen von ihrer Macht abzuschneiden und einzusperren.«

»Du meinst wie bei einer Dämonenbeschwörung.«

»Genau. Aber man kann darin noch ganz andere Dinge einsperren, wenn man es richtig macht. Erinnerst du dich an den Kreis der Macht in Harley MacFinns Wohnung? Dort bildeten fünf Kerzen das Pentagramm.«

Murphy erschauderte. »Ich erinnere mich. Aber so groß war es nicht.«

»Nein«, gab ich zu. »Denn je größer du es anlegst, desto mehr Saft musst du einspeisen, um es am Laufen zu halten. Ich hab noch nie von etwas gehört, dessen Aktivierung so viel Energie benötigt.«

Ich kritzelte kleine x-förmige Krakel an die Spitzen der Zacken des Sterns und fuhr die Linien meines Beispielpentagramms nach. »Begriffen? Der Strahl ist von einem Spiegel zum nächsten und hat unterwegs Löcher ins Gebäude geschmolzen, und diese Spiegel haben aus dem Strahl in Höhe des Erdgeschosses ein gigantisches Pentagramm gebildet.«

Murphy sah immer finsterer drein und betrachtete meine primitive Skizze. »Das Zentrum so einer Form kann aber nicht das gesamte Haus abgedeckt haben.«

»Nein«, sagte ich. »Ich bräuchte eine gute Straßenkarte, um völlig sicherzugehen, aber ich denke mal, dass die Mitte des Pentagramms etwa sieben Meter hinter der Eingangstür gelegen hat. Deshalb ist auch nur der vordere Teil des Gebäudes eingestürzt.«

»Die Explosion kam aus dem Inneren dieses Pentagramm-Dings? Magisches TNT?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Die Explosion fand im Zentrum des Pentagramms statt, wurde jedoch nicht notwendigerweise von dem Pentagramm selbst verursacht. Es könnte sich auch um einen ganz normalen Sprengsatz gehandelt haben.«

»Mitten im Zentrum eines riesigen, gruseligen Pentagramms?«