Die echte, inoffizielle, geheime Biografie von Bullet for my Valentine - Trevor Baker - E-Book

Die echte, inoffizielle, geheime Biografie von Bullet for my Valentine E-Book

Trevor Baker

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Beschreibung

Seit 1999 machen Matthew "Matt" Tuck und seine Mannen harte Musik. Die Waliser, deren Einflüsse Iron Maiden, Metallica und andere klassische Metalbands sind, kreieren dabei einen vollkommen eigenständigen Sound, der sich nur schwer in Schubladen stecken lässt. Ihren Durchbruch hat die Band 2006, die nachfolgenden Alben platzierten sich ganz vorne in den deutschen, englischen und US-amerikanischen Charts. Seitdem gehören sie zu den Zugpferden moderner und zeitgemäßer Rock- und Metal-Musik, haben Fans auf der ganzen Welt, spielen die großen Festivals und aktuell zusammen mit Ozzy Osbourne in Deutschland. Trevor Baker beleuchtet in diesem Buch die Geschichte von Bullet for my Valentine von der Coverband zum weltweit gefeierten Topact, wirft einen Blick hinter die Kulissen und bringt uns so die Idole auch menschlich ein großes Stück näher.

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Trevor Baker

Die echte, inoffizielle, geheime Biografie von

BULLET FOR MY VALENTINE

Übersetzt von Katrin Reichardt

1. Auflage Juni 2012

Titelbild: Steve Brown,

www.stevebrownphoto.co.uk

©opyright 2012 by U-Line & Trevor Baker

Übersetzt von Katrin Reichardt

Lektorat: Franziska Köhler

Satz: nimatypografik

Druck & Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH

www.aalexx.de

ISBN: 978-3-939239-68-0

Die Bilder im Innenteil stammen

von Darren Dodds (die frühen Jahre)

und Nicole Imhof, artnoir.ch

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

Genehmigung des Verlags gestattet.

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Ubooks-Verlag | U-line UG (haftungsbeschränkt)

Neudorf 6 | 64756 Mossautal

www.u-line-verlag.de

Vorwort

Ich traf Bullet For My Valentine zum ersten Mal im Dezember 2005 imStahlwerkin Düsseldorf, wo ich sie für ein britisches Magazin namens Rock Sound interviewen sollte. Innerhalb lediglich eines Jahres hatte sich diese Gruppe zur viel versprechendsten neuen Rockband auf dem Markt entwickelt. Seit der Veröffentlichung ihres DebütalbumsThe Poisonwaren erst wenige Monate vergangen, doch Bullet wurden bereits als eine Art göttliche Rocküberflieger gefeiert, wie es sie seit den Hochzeiten von Iron Maiden oder Judas Priest nicht mehr gegeben hatte.

Als ich im Club eintraf, standen sie im weitläufigen, hallenden Veranstaltungssaal vor der Bühne herum und sahen eher nach Fernfahrern aus, die wegen eines platten Reifens gestrandet waren, als nach Rockgöttern. Wie prahlerische Überflieger wirkten sie jedenfalls nicht.

Eigentlich hätten sie als Vorgruppe für die finnische Band Apocalyptica auftreten sollen, aber man merkte, dass an diesem Abend kein Konzert stattfinden würde. Matt Tuck, der sowieso immer sehr leise spricht, war noch schweigsamer als gewöhnlich. Er musste unbedingt seine Stimme schonen, die auf dieser Tour bereits schwer gelitten hatte. Dies war der zweite von insgesamt drei Gigs, die sie letztendlich absagen mussten.

Wahrscheinlich war es ein Segen, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, wie schlimm es tatsächlich stand. Auch in den folgenden achtzehn Monaten würde Matt, mal mehr, mal weniger, mit Stimmproblemen zu kämpfen haben. Bei unserem nächsten Interview, das ich mit ihnen zwei Jahre später in London führte, verrieten sie, dass sie damals sogar schon darüber nachgedacht hatten, sich lieber «richtige» Jobs zu suchen.

In der Zwischenzeit hatten sie allerdings ein weiteres großartiges Album namensScream Aim Fireaufgenommen und überall auf der Welt Konzerte gespielt. Trotz der Stimmprobleme blieben Absagen wie die in Düsseldorf die Ausnahme und trotz aller Widrigkeiten trieb sie ihr Kampfgeist immer weiter voran.

Die Recherchen für dieses Buch vermittelten mir einen Eindruck, woher dieser Kampfgeist kommt. Ich unterhielt mich mit alten Freunden aus ihrer Heimatstadt Bridgend und die erzählten mir, wie sich die Band, die in ihren Anfangstagen noch Jeff Killed John hieß, jahrelang abgerackert hatte, von heruntergekommenen Pubs, wo sie bei ihren Auftritten von den Ortsansässigen angepöbelt wurden, sowie zahllosen Fehlschlägen und Misserfolgen.

Als die Band 2004 endlich einen Plattenvertrag ergattert hatte, war sie bereits ein fertiges Produkt.

Mit Ausnahme von Jay spielte die Band bereits jahrelang in derselben Besetzung zusammen und hatte sich durch unzählige, spärlich besuchte «Scheißgigs» gekämpft, wie Matt es einmal ausdrückte. Ihre Kumpels von Lostprophets oder Funeral For A Friend waren durchgestartet, während sie auf ihre Chance hatten warten müssen. Bandkollege und Freund Nick Crandle ertrug diesen Zustand irgendwann nicht mehr und schmiss hin und auch die anderen fragten sich, weshalb sie eigentlich so verrückt waren und weitermachten.

«Uns allen ging es ähnlich», gestand mir Matt. «Aber Nick schmiss als Einziger das Handtuch. Aber nur der Boxer, der eine zusätzliche Runde durchhält, gewinnt am Ende den Kampf.»

Als 2004 dann endlich die große Chance für Bullet kam, ergriffen­ sie sie, ohne zu zögern, und preschten los wie die blitzschnellen Rugbyspieler, für die Wales so bekannt ist. Als ich sie kennenlernte, hatten sie ihren Lauf immer noch nicht abgebremst. Dementsprechend war es kein Wunder, dass sie ausgelaugt und am Ende ihrer Kräfte waren, doch ihr Streben nach Erfolg war so ungebrochen wie eh und je.

SeitScream Aim Firescheint allerdings einiges leichter geworden zu sein. Für Produzent Don Gilmore (ein Interview mit ihm findet sich ebenfalls in diesem Buch) war die Arbeit am dritten Bullet-AlbumFeverzwar eine echte Zerreißprobe, doch offensichtlich waren ihm die Strapazen egal, denn während ich dieses Buch schreibe, wurde angekündigt, dass er wieder mit Bullet zusammenarbeiten wird.Feverbestätigte Bullet For My Valentine einmal mehr als eine der großartigsten Rockbands der Welt. Nach den Mühen der Vergangenheit können sie nun verdienterweise die Früchte ihres Erfolges genießen.

In gewissem Sinne kann man dieses Buch auch als Anleitung, wie man ein Rockstar wird (und welche Fehler man vermeiden sollte), verstehen, denn in heutigen Zeiten sind junge Rockgrößen dünn gesät und Matt und seine Bandkollegen beinahe schon ein Unikat. «Endlich kann ich mal mit einer richtigen Rockband zusammenarbeiten!», freute sich Don Gilmore – der es immerhin schon mit einigen der größten Namen im Musikbusiness zu tun hatte.

Nicht falsch verstehen: Mit Rockstars sind keine Großmäuler gemeint, die ihre Mitmenschen mies behandeln. Bei unserem ersten Zusammentreffen hatte die Band trotz der Widrigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte, alles getan, damit ich mit einem guten Interview nach Hause gehen konnte. Besonders erinnere ich mich noch an die Szene, als einer der Mitarbeiter vom Stahlwerk einen riesengroßen Metallrollwagen durch die Halle schob und Matt sich ganz nah über das Mikro beugte, damit er seine Stimme durch Schreien nicht noch mehr strapazieren musste, ich aber später sicher alles auf Band hätte.

Heutzutage fahren die Jungs zwar schickere Autos als zu Jeff Killed John-Zeiten, leben jedoch noch immer im selben Teil von Wales wie früher und haben auch noch dieselben Freunde. Sie sind Familienmenschen, die große Opfer gebracht und Schlüsselmomente im Leben ihrer Kinder verpasst haben, um den Traum zu leben, den der Rock ’n’ Roll ihnen verheißen hat.

Die acht Jahre Kämpfen, die ihrem Plattenvertrag vorausgingen, haben sie einerseits manchmal wütend gemacht und frustriert, worüber sie in4 Words (To Choke Upon)berichten, einem der ersten Songs, den sie schrieben, nachdem sie sich in Bullet For My Valentine umbenannt hatten, andererseits sind sie dadurch aber auch auf dem Teppich geblieben. Sie haben nicht vergessen, wie schwer es war, dort hinzukommen, wo sie heute sind und wie schnell alles auch wieder vorbei sein kann.

Bullet haben niemals aufgegeben. Sie haben die hohen Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, erfüllt und sind immer noch besser und besser geworden. Damals im Dezember 2005 konnte noch keiner ahnen, wie groß diese Band tatsächlich einmal werden sollte. Inzwischen dürfen wir uns bereits auf ihr viertes Album freuen und man darf wohl vermuten, dass es ein weiterer Meilenstein werden wird. Bullet For My Valentine haben so hart gearbeitet und so viel erreicht, dass etwas anderes ausgeschlossen scheint.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Buch nicht nur einige unterhaltsame Anekdoten über das Leben auf Tour und ein paar faszinierende Geschichten über die Menschen, die in den vergangenen Jahren mit der Band zusammengearbeitet haben, erzählen kann, sondern es auch geschafft habe, zumindest ein wenig von dem einzufangen, was Bullet For My Valentine zu einer fantastischen Band und Matt Tuck zu einem großartigen Frontman macht. Die vier Worte, die die Band 2004 ihren Widersachern vor die Füße spuckte, damit sie daran ersticken, lauteten:Look at us now– seht euch an, wo wir jetzt stehen. Diese Worte gewinnen mit jedem Schritt vorwärts an Gewicht – und doch: Sieht man sich an, wo sie jetzt stehen, so fällt am meisten auf, dass die Bandmitglieder sich eigentlich nicht großartig verändert haben. Sie sind immer noch die gleichen Bier trinkenden, Metal verrückten Jungs, die sie immer waren. An erster Stelle kommen ihre Familien und Freunde und dann erst die Musik. Wie schon Metallica, die zu ihren größten Idolen gehören, einmal formuliert haben:Nothing else matters.

Berg und Tal

Wenn man ein richtiger Rockstar werden will, muss man gelitten haben. Diese Binsenweisheit kennt jeder. Eine triste Kindheit mit Schlägen, Missbrauch und Eltern, die einem einbläuen, dass man es sowieso niemals zu etwas bringen wird, sind das Grundrezept für ein Rock-Debüt.

Wenn das tatsächlich stimmen würde, dann wäre Matt Tuck in seinem Traumjob von Anfang an benachteiligt gewesen:

«Ich scheue mich nicht zuzugeben, dass ich eine verdammt tolle Kindheit hatte und heute ein prima Leben führe.»

Matt wuchs in South Wales auf, einem Teil von Großbritannien, der sich durch hohe Arbeitslosenzahlen und soziale Vereinsamung der Menschen auszeichnet. Viele Dörfer in den Tälern von Matts Heimat wurden in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts vom Zusammenbruch des Kohlebergbaus hart getroffen. Vielen seiner Schulfreunde, die eine Generation früher noch Aussicht auf eine sichere Anstellung in einer der Minen gehabt hätten, wurde dadurch die Zukunftsperspektive geraubt. Bridgend, die Stadt, die dem Dorf, in dem Matt aufwuchs, am nächsten liegt, hatte um das Jahr 2000 herum sogar den traurigen Ruf die «Selbstmordhauptstadt Großbritanniens» zu sein.

Matt wurde am 20. Januar 1980 in Bridgend geboren, doch Bryncethin, das Dorf, in dem er seine Kindheit verlebte, war zum Glück kein Ghetto. Es ist winzig und besteht nur aus ­einigen wenigen Straßen, die sich durch die grüne walisische Landschaft schlängeln, einer Handvoll Häuser, einem Pub und einem Rugbyfeld.

Matt wuchs dort zusammen mit seinen Schwestern, den Zwillingen Rachel und Deborah, auf, die nur wenige Jahre älter sind als er und man kann sich leicht vorstellen, dass Matt eine idyllische Kindheit verlebt haben muss. Sein Vater Steve hatte einen guten Job und seinen Eltern ging es damit besser als den meisten Menschen in der Gegend. Zwar waren sie nicht reich, hatten aber alles, was sie brauchten. Erst als Teenager fiel Matt der Mangel an gewissen Annehmlichkeiten in seiner Heimat auf, denn abgesehen von den beiden großen Leidenschaften der Waliser, Rugby und Pubs, war dort nicht viel geboten.

Dagegen muss die Kleinstadt Bridgend, die etwa dreißig Kilometer südlich der walisischen Hauptstadt Cardiff liegt, wie eine aufregende Metropole gewirkt haben. In den achtziger Jahren ging es der Stadt noch besser als den meisten anderen walisischen Städten, denn während die umliegenden Täler unter der Schließung der Kohleminen litten, gab es in Bridgend große Fabriken von Ford und Sony, die Einkommen waren höher als in großen Teilen von South Wales und arbeitslose Minenarbeiter fanden dort Arbeit.

Bridgend war in vielerlei Hinsicht der ideale Nährboden für Metal. Metal wurde ursprünglich inmitten der Fabriken der West Midlands erfunden, einem Teil von Großbritannien, den man früher wegen seiner industriellen Verschmutzung auch «The Black Country» nannte. Seine Erfinder, wie beispielsweise Black Sabbath, scheinen das Rattern und Scheppern der Maschinen­ in ihre Musik integriert zu haben. South Wales war ebenso wie die West Midlands ein hartes, von der Arbeiterklasse dominiertes Pflaster. Für intellektuelle, kreative Menschen gab es nur wenige Betätigungsmöglichkeiten und Musik zu machen war einer der wenigen Auswege.

Promoter Glyn Mills hat viele Bands aus dieser Gegend unterstützt und meint dazu: «Früher gab es mal folgendes Sprichwort: Um aus den Tälern herauszukommen, muss man lernen, zu unterrichten. Wir haben eine Menge Lehrer exportiert. Heutzutage muss man, wenn man aus den Tälern raus will, eine Band gründen!»

Schon seit jeher spielt die Musik in Wales eine große Rolle. Für Hunderte von Jahren waren walisische Männerchöre im ganzen Königreich berühmt. Diese Gesangstradition wurde später von Künstlern wie Tom Jones oder Shirley Bassey fortgeführt. Danach hat das Land bis in die neunziger Jahre hinein kaum noch erfolgreiche Pop- oder Rockbands hervorgebracht. Budgie aus Cardiff wurden zwar als eine der ersten Metalbands bekannt und haben wiederum unter anderem Metallica beeinflusst, doch Matt musste sich in seiner Jugend seine Vorbilder weiter westlich suchen: in Amerika. Sein Vater mochte vor allem Singer-Songwriter und so wuchs er zu einem Soundtrack aus Bob Dylan, Bruce Springsteen und Bob Seeger auf. Wenige Jahre später sollte er feststellen, dass deren Art, Geschichten zu erzählen, unterschwellig sein eigenes Songwriting beeinflusst hatte.

«Ich bin ein richtiger Rocker und Metaller und das werde ich auch immer bleiben», erzählte er, «aber die wenigsten Leute ahnen, dass mir Komponisten und Musiker viel wichtiger sind als Computer, Musiksoftware und Keyboards. Es will mir einfach nicht in den Kopf, warum das bei manchen Leuten anders ist.»

Matts Kindheit fiel in eine Periode, in der Gitarren nicht mehr cool waren. Anfang der neunziger Jahre dominierten zumindest in Großbritannien Techno und Dance die Musikszene, in den USA dagegen war der Grunge entstanden und hatte auch die letzten noch verbleibenden Metalbands zu Dinosauriern degra­diert. Nirvana waren die Größten und ihrNevermind-Album schien die Musikszene komplett verändert zu haben. Für Matt war 1991 allerdings eine ganz andere Veröffentlichung von größter Bedeutung.

«Ich erinnere mich noch haargenau an den Tag, an dem ich beschloss, dass ich in einer Band spielen und Musiker werden wollte. Ich glaube, ich war gerade vierzehn und meine Eltern hatten seit Kurzem den Satellitenkanal Sky abonniert, wodurch wir auch MTV empfangen konnten. Ich sah mir ein Video an und nach ungefähr zehn Minuten hing mir die Kinnlade bis zum Boden. Ich dachte nur: Oh mein Gott, wer ist denn das?»

Es waren Metallica und der Videoclip, der Matt so begeistert hatte, gehörte zu ihrem SongEnter Sandman. Die Gitarren fesselten Matt. Solchen Krach wollte er auch machen können.

«Ich dachte nur noch, ich muss mir unbedingt eine Gitarre besorgen und spielen und in eine Band einsteigen.»

So schnell wie möglich besorgte sich Matt Metallicas «schwarzes» Album und Rock und Metal wurden ab da zum Wichtigsten in seinem Leben.

«Das war die erste Platte, die ich mir von meinem eigenen Geld gekauft habe und im Grunde genommen hat sie mich zu dem gemacht, der ich heute bin», äußerte er Jahre später gegenüberRock Sound Magazine. «Wegen Metallica bin ich Musiker geworden und wollte Gitarre spielen und ein ‹Rockstar› werden. Die sind an allem schuld!»

Kurz darauf fragte er seine Eltern, ob er eine Gitarre haben dürfe.

«Von klein auf wollte ich Rockstar werden. Meine Eltern meinten nur: ‹Okay, Matt. Spar etwas Geld, kauf dir eine Gitarre und dann zeig uns, was du kannst.›»

Sie hatten wohl damit gerechnet, dass er, wie die meisten Kinder, diese fixe Idee bald wieder vergessen würde, doch stattdessen legte er jede Woche etwas von seinem Taschengeld beiseite und kurz nach seinem vierzehnten Geburtstag fuhr er schließlich nach Cardiff, klapperte alle Musikgeschäfte ab, die er finden konnte, und verließ am Ende eines davon mit der besten elektrischen Gitarre, die er sich leisten konnte: einer günstigen Fender Squier Stratocaster.

«Das war die beste Investition meines Lebens», stellte er später fest.

Gewissenhaft übte er, bis er die ersten Akkorde spielen konnte, und verbesserte sich schnell und kontinuierlich. Sobald es ihm möglich war, verkaufte er die Fender wieder und legte sich eine bessere Gitarre und seine ersten Pedals zu. Er erstand einen Boss Super Feedbacker und probierte begeistert Feedback-Effekte aus.

Die Gitarre wurde zu seiner größten Leidenschaft und verdrängte Sport und alles andere, womit er sich bis dato beschäftigt hatte. Gleich nach dem Aufstehen nahm er sie zur Hand und zupfte vor der Schule noch etwas daran herum. Nach dem Unterricht eilte er nach Hause und übte wieder stundenlang. Es dauerte nicht lange, bis er seine Nachmittage nur noch mit seiner Gitarre zubrachte. Sehr zum Erstaunen seiner Familie entwickelte er sich innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne zu einem mehr als passablen Gitarristen.

«Irgendwann merkten sie, dass ich sechs Monate, nachdem ich zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand genommen hatte, richtig, naja, damit rocken konnte.» Von da an unterstützten sie ihn so gut sie konnten.

Genau so wichtig wie seine Familie war für ihn auch der Kreis seiner Schulfreunde von der Gesamtschule in Ogmore. Dort lernte er Michael «Moose» Thomas, Michael «Padge» Paget, Nick Crandle und Jason «Jay» James kennen. Die drei lebten etwas weiter nördlich von Bridgend in einem Dorf namens Ogmore Vale.

Als Jugendliche fühlten die fünf Jungs sich als Außenseiter. Keiner von ihnen mochte Rave oder die neue Indiemusik, die man Britpop nannte und die immer populärer wurde. Sie wurden eine Clique, fanden für sich ihre ganz eigene, gesellschaftliche Nische, fuhren zusammen Skateboard, hörten Musik oder trafen sich im Zentrum von Bridgend. Die breite Masse trug damals Bürstenhaarschnitt oder Topfschnitt, ihre Haare dagegen waren lang und struppig. Den anderen gefielen Dancebeats und Melodien nach dem Vorbild der Sechziger, sie mochten dagegen Riffs und Lärm. Nachdem Matt wieder und wieder das schwarze Metallica-Album durchgenudelt hatte, besorgte er sich zusätzlich ihre früheren, thrashigeren Platten und wechselte danach zu härteren Klängen. Wollte er sich entspannen oder konnte nicht schlafen, so legte er PanterasVulgar Display Of PoweroderBurn My Eyesvon Machine Head ein. Es war, als könne er durch die Musik dem kleinstädtischen Großbritannien entfliehen und sich an einen freundlicheren und lauteren Ort träumen. Wie überall herrschte auch in Bridgend recht starker Gruppenzwang und da Matt und seine Freunde sich dadurch, wie sie sich kleideten und welche Musik sie hörten, vom Mainstream abhoben, dauerte es nicht lange, bis sie als anders abgestempelt wurden. Ab und zu wurden sie sogar von den älteren Kindern schikaniert.

«Da, wo wir aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, musste man um alles kämpfen», erwähnte Matt einmal gegenüber Tom Bryant vom Kerrang Magazin. «Entweder stellte man sich auf die Hinterbeine und kämpfte für das, was man wollte, oder war ein verdammter Niemand. Ich wollte kein Niemand sein.»

Jahre später schrieb er über dieses Gefühl den SongWaking The Demon, eine düstere Rachefantasie über Schulhoftyrannen. Damals allerdings schmiedete er andere Rachepläne. Er würde einfach ein unheimlich berühmter, reicher Rockstar werden und es ihnen allen zeigen.

Im Jahr 1995 stand er mit diesem Ehrgeiz nicht allein da. Die meisten seiner engen Freunde besaßen ebenfalls Gitarren, denn Rockmusik hatte sich inzwischen wie ein Virus in seiner Schule ausgebreitet. Damals waren sie ungefähr zwanzig Jungs, die regelmäßig miteinander jammten. Matt schloss sich einer Band namens Dreadmill an und spielte zusammen mit Moose zusätzlich bei Trauma. Proben oder Auftritte bedeuteten für Matt oft lange Autofahrten, aber das machte ihm nichts aus.

«Meine Mum fuhr mit mir jeden Samstag fast hundert Kilo­meter, nur damit ich mit meinen Kumpels jammen konnte. Dieses­ hohe Maß an Unterstützung von frühester Jugend an war sehr, sehr wichtig für mich.»

Zu Matts Verwunderung baten ihn die Bands, in denen er spielte, zu singen. Er selbst hatte sich nie als Sänger gesehen, seine Liebe galt der Gitarre.

«Ich wurde nur deshalb Sänger, weil ich der Einzige in unserer Schule beziehungsweise Stadt war, der beides gleichzeitig konnte:­ singen und Gitarre spielen», meinte Matt dazu. Hinzu kam aller­dings noch seine beeindruckende Bühnenpräsenz und sein besonderes Charisma. Im Alltag war er zwar ein ruhiger, leiser Mensch, doch auf der Bühne genoss er es, schreien zu können.

Auch Moose hatte sich als Musiker rapide weiterentwickelt – und schnell entschieden, dass die Gitarre nichts für ihn war. Er begeisterte sich für Dave Grohls Schlagzeugspiel und hatte sich mit Nirvana-Videos selbst das trommeln beigebracht. Kurz darauf informierte er auch Matt darüber, dass er nicht mehr länger Gitarre spielen wolle. Der war nicht begeistert davon. Moose verließ Trauma und schloss sich einer anderen Band an, in der schon Padge spielte – diesmal wurde Moose der Drummer.

Padge liebte Riffs und konnte AC/DCsThunderstrucknachspielen, während sich der selbstbewusste Jay zum Bassisten mauserte­ und zudem in verschiedenen Bands sang.

Oft setzten Matt und seine Freunde sich zusammen und probierten, die Akkorde aus ihren Lieblingssongs herauszuhören. Nebenbei begannen sie, Interesse fürs Trinken und für Mädchen zu entwickeln. In einer Band zu sein, bedeutete für sie, in gewisser Hinsicht den Rock ’n’ Roll-Lifestyle ihrer Träume leben zu können. Matt sah in seinen Bands allerdings immer mehr als nur eine Entschuldigung zum Feiern. Metallica, dieEnter Sandmanspielten – das war sein Ziel, so wollte er auch sein.

Für sie alle war Musik das, was sie durch ihre Jugend brachte. Durch sie hatten sie etwas zu tun und saßen nicht bloß herum und tranken. Sie gab ihnen ein Ziel und ein Ventil für ihre kreativen Energien. Ohne konnte einem das Leben schon manchmal leer vorkommen. Allerdings schafften es nicht alle, ihre innere Leere mit Musik zu füllen. Im September 1995 nahm sich Shane Thomas, einer von Matts engsten Freunden, ohne Vorwarnung das Leben.

«Er war einer unserer besten Schulfreunde und eines Tages jagte er sich aus heiterem Himmel eine Kugel in den Kopf», erzählte mir Matt, als ich ihn zehn Jahre danach interviewte. «Verrückt. Es gab keinen Abschiedsbrief, gar nichts. Er hat es einfach getan. Es gab keine Vorzeichen. Er war ein guter Freund, ein klasse Gitarrist und wir haben oft zusammen einen gehoben. Wir waren Teenager und hatten viel Spaß miteinander.»

Shane war ein ganz gewöhnlicher Jugendlicher, riesengroßer­ Nirvana-Fan und jammte jeden Tag mit Matt auf der Gitarre. Zwar hat er keine Nachricht hinterlassen, die Polizei ging ­allerdings davon aus, dass er sein Idol Kurt Cobain imitiert hatte,­ denn über dem Bett, auf dem er sich umbrachte, hing ein Poster von Kurt.

«An den Wänden in seinem Zimmer konnte man erkennen, dass er die Popgruppe Nirvana verehrte», stand im Polizeibericht zu lesen. «Der Sänger dieser Gruppe beging im vorigen Jahr in Amerika Selbstmord, indem er sich mit einer Waffe in den Mund schoss. Es hat den Anschein, als hätte sich der Junge auf ähnliche Weise das Leben genommen.»

«Es war schrecklich», erklärte Matt 2005 gegenüber der schottischen Zeitung The Daily Record. «Für uns war es damals eine megagroße Sache, denn wir waren ja noch so jung. Wir wussten nicht, wie wir damit umgehen, was wir machen sollten. Das war eine eigenartige Zeit. Einen Tag, bevor er sich umbrachte, habe ich ihn noch getroffen und er war ganz cool. Für einen Vierzehnjährigen ist es eine traumatische Erfahrung, wenn sich der beste Freund erschießt.»

Alle, die Shane gekannt hatten, reagierten fassungslos. Als Matt später am Debütalbum von Bullet For My Valentine arbeitete, erinnerte er sich wieder an diese Tragödie und verewigte sie im Song10 Years Today. Keiner von ihnen konnte Shanes Tat begreifen. Obwohl Matt nichts hätte tun können, um sie zu verhindern, fühlte er sich schuldig und leer. Ein Schatten war auf ihr sorgloses Leben gefallen.

Und auch die Chance, als Profimusiker Karriere zu machen, schien so unwahrscheinlich wie darauf, Astronaut zu werden. Doch dann setzte Mitte der Neunziger in der walisischen Musik­industrie unvermittelt ein Boom ein.

Eine Band aus South Wales, die Manic Street Preachers, brachten es zu Mainstreamruhm. Ihnen folgten die Indiebands Stereophonics und Catatonia. Zum ersten Mal schaute die sonst so auf London fixierte Musikszene nach Cardiff. Laut Greg Haver, einem walisischen Produzenten, wurde South Wales noch Anfang der neunziger Jahre als musikalische Wüste betrachtet.

«Ich weiß noch, wie 1992 ein einzelner A&R-Mensch in Cardiff erschien, um sich eine Band anzusehen, und wir das Gefühl hatten, als beehre uns die Queen persönlich mit einem Besuch. Wahnsinn, da kam jemand extra über die Severn Bridge, um sich einen Band anzuhören! Als die Manics dann den Durchbruch schafften, tauchten plötzlich dutzendweise Leute von Plattenfirmen auf, um walisische Bands anzusehen, und ehe man sich versah waren die drei erfolgreichsten Bands im ganzen Land die Manics, Catatonia und die Stereophonics. Das war ein Meilenstein für unsere Musikindustrie. Viele stehen in der Schuld der Manics, denn sie haben walisische Musik erst ins allgemeine Bewusstsein gebracht.»

Dieser Boom bewirkte unter anderem, dass Greg in Cardiff­ sein eigenes Studio eröffnen konnte, und für lokale Bands entwickelte sich eine ganz neue Infrastruktur, da auch mehr Auftrittsorte entstanden – und es gab mehr Leute, die auftreten wollten. Auch die Stadtverwaltung reagierte auf diese Entwicklung und das Bridgend College erhielt ein Institut für Musik. Bis dahin hatte sich die Lehre dort auf die örtlichen Industriezweige konzentriert und auf Bergbau- und Ingenieurswissenschaften beschränkt. Aber man sah ein, dass Jugendliche inzwischen nicht mehr nur in der Industrie, sondern auch mit Musik ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Allerdings durchschaute nicht jeder, wie wichtig die Musik für Wales war. Phil Jones, einer der ersten Lehrer des neuen Instituts, erinnert sich, dass der damalige Direktor Jeff Vines harte Kämpfe ausfechten musste.

«Jeff, mein früherer Boss, bewies damit, dass er Musikkurse anbot, wirklich mächtig Mumm. Davor galt das College als reine Schule für Ingenieure. Er war ein großartiger Unternehmer und hatte den Mut, die Sache aufzuziehen.»

Phil Jones selbst war in seiner Heimat so etwas wie eine Legende. Er war in einer lokalen, populären Band namens S.E.X., die Glamrock nach dem Vorbild von Queen oder Iron Maiden spielte. Bei Auftritten trug er ein Cape und schlug auf der Bühne Rad und sein Bassist trat grundsätzlich nackt auf. 1997 musste er sich eingestehen, dass er mit S.E.X. wohl niemals reich und berühmt werden würde, und entschloss sich, seine Erfahrungen im Musikbusiness über das College weiterzugeben. Er war bestimmt kein gewöhnlicher Lehrer.

«Ich bin sehr gut qualifiziert, meine Schüler über all die schlimmen Dinge aufzuklären, die ihnen zustoßen können, denn ich selbst bin auf so ziemlich jedem Kontinent dieser Welt auf die Schnauze gefallen», erklärte er der Presse gegenüber.

«Phil ist eine Art Lokalheld», beschreibt ihn Promoter Glyn Mills. «Verständlich, dass so viele junge Leute zu ihm gegangen sind und ihn vergötterten. Ohne dieses College hätten wir vielleicht nicht so viele aufstrebende Bands.»

Matt, Nick Crandle, Moose und Jay waren unter den ersten Studenten, die sich für die neuen Kurse einschrieben.

«Sie waren unsere Versuchskaninchen», erklärt Phil. «Als sie auftauchten, hatte alles gerade erst begonnen. Heutzutage sind wir etabliert, aber damals war alles noch ein wenig ungeschliffen.»

Matt, Nick, Moose und Jay genossen nach der durchstrukturierten Schulzeit die Freiheit, die ihnen die Collegekurse boten. Die Schikanen und Hänseleien der Ogmore Comprehensive-Tage waren Geschichte.

«Als ich noch ein Teenager war, wurden meine Freunde und ich wegen unseres Aussehens in der Schule gehänselt», berichtete­ er Headbanger’s Ball. «Wir waren die mit den langen Haaren, die sich Heavy Metal anhörten. Die anderen waren entweder super Schüler oder interessierten sich für Sport, wir dagegen waren die Außenseiter. Erst später, in der Zeit zwischen sechzehn und achtzehn, waren wir groß und kräftig genug, um vor solchen Leuten keine Angst mehr zu haben, sondern aufzustehen und zu sagen: Leckt uns. Jeder kann sein, wie er will, und niemand sollte vorverurteilt werden.»

Phil hat nur gute Erinnerungen an die Zeit im College:

«Sie waren richtig herzig. Jay und Moose waren reizende Menschen. Matt war immer ruhiger und hatte so eine Art innere­ Selbstsicherheit. Manche hielten ihn für arrogant, aber das stimmte nicht. Er war lediglich selbstbewusst.»

Zu dieser Zeit war Matt auf der Gitarre schon richtig gut und konnte zudem noch Schlagzeug spielen. Obwohl er bereits bei Dreadmill spielte, gründete er wenige Monate nach Beginn der Collegekurse mit Moose und Nick eine neue Dreiercombo. Durch ihre lange Freundschaft ergab sich das fast wie von selbst.

«Lange bevor die Musik in unsere Leben trat, waren wir rotznasige Kinder, die zusammen aufwuchsen», sagte Matt viele Jahre später. «Ich glaube, das ist ein Hauptgrund für unsere Beständigkeit.»

Wenn sie einmal nicht Gitarre spielten, dann trafen sie sich im Zentrum von Bridgend und ließen sich, genau wie die meisten anderen Jugendlichen, zulaufen, denn neben der Musik gab es eben nicht viel, womit man sich beschäftigen konnte.

«Als sie noch jünger waren, war es nicht ungewöhnlich, dass sie sich White Lightning (starken Cidre) besorgten und sich eine ganze Flasche davon ‹eintrichterten›, also direkt durch einen­ Trichter in den Mund kippten», erinnert sich Glyn Mills. «So was haben sie gemacht. Sie waren gelangweilte Teenager. Wäre nicht die Musik und ihr künstlerisches Talent gewesen, ich weiß nicht, wo sie heute stünden. Sie selbst wissen das auch. Die ­Musik hat sie gerettet. Andererseits kann ich mir auch nicht recht vorstellen, dass Matt etwas anderes hätte machen können. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so entschlossen war, aus seinen Talenten eine Karriere zu machen.»

Obwohl sich in ihrem ersten Collegejahr natürlich alle hingebungsvoll der Verbesserung ihres Gitarrenspiels widmeten, schlugen doch ab und an noch die Schuljungen in ihnen durch, die nichts als Unfug im Kopf hatten. Jeff, der sie jede Woche einmal unterrichtete, war das Hauptziel ihrer Streiche. Eines schönen Tages zeichnete Moose den berühmten Pornostar John Holmes, inklusive seines berüchtigten, gewaltigen «Gehänges». Jeff betrat das Klassenzimmer, warf einen Blick auf das Bild, zerriss es und schmiss es in den Papierkorb.

«Jeff riss die Skizze vor Moose in Stücke und stauchte ihn zusammen», erzählt Marcus Jones. «Darauf meinte Moose ‹Ahhh! Jeff hat John umgebracht – Jeff killed John!› – worauf wir beschlossen, dass das doch ein großartiger Name für eine Band sei.»

Dieser Name sollte ihnen für die nächsten sieben Jahre durch diverse Besetzungswechsel und Aufs und Abs erhalten bleiben.

Jeff Killed John

Anfangs hoben sich Jeff Killed John kaum von den anderen ­Musikern im College ab. Sie bewahrten ihre Instrumente mit denen der anderen in einem kleinen Raum auf, tauschten miteinander Riffs oder unterhielten sich über Bands, die sie neu entdeckt hatten. Die wichtigsten musikalischen Einflüsse kamen nach wie vor vom Grunge, aber auch von Punk und Metal.

«Meistens haben wir Punksachen gespielt», erinnert sich Marcus. «Wir haben Silverchair, Green Day oder auch Metallica nachgespielt. Moose und ich mochten Grunge sehr. Moose kam mit sackartigen, zerfetzten Wollpullovern zur Schule und hat sich die Haare rot gefärbt. Er wollte wie Kurt aussehen.»

Jeff Killed John träumten davon, einmal ein so großer Rockact wie Metallica zu werden. Um solche Ambitionen ging es im ­Musikinstitut des Bridgend Colleges allerdings weniger. Phil Jones wusste nur zu gut, dass es schon ein kleines Wunder brauchte, damit einer seiner Schüler ein weltweit bekannter Rockstar werden würde. Er sah es eher als seine Aufgabe an, ihnen die nötige Vielseitigkeit zu vermitteln, die sie brauchten, um mit Musik Geld verdienen zu können.

«Es gab nur einen Matt Tuck», so Phil, «alle wollen reich und berühmt werden, aber die meisten Musiker erleben stattdessen Armut und Fehlschläge. Mir ist es zumindest so ergangen. Deshalb habe ich ja auch als Lehrer bei dieser Schule angefangen.»

In einer Woche ließ er seine Klasse bei einer Hochzeit spielen, in der nächsten sorgten sie auf einem Altennachmittag im Seniorenzentrum für die Unterhaltung. Wenn man sich heute alte Aufnahmen von Jeff Killed John anhört, mit ihrer wilde Energie und den bellenden Vocals, kann man sich nur schwer vorstellen, wie sie vor Rentnern aufspielten. Aber Phil weiß zu berichten, dass sie selbst damals schon alles spielen konnten.

«Sie gaben Rock ’n’ Roll zum Besten und alles, was sonst noch seicht genug war. Sie konnten alles lernen. Wir improvisierten oft über verschiedene Akkordfolgen und probierten unterschiedliche Techniken aus. Sie liebten es zu jammen. Sie dazu zu bewegen, für alte Leute zu spielen, war schon eine Herausforderung, aber es war schließlich mein Job, den jungen Leuten viele Stile zu vermitteln, damit sie erwerbsfähig wurden und in der Musik­industrie einen Job finden konnten. Ich weiß noch, dass wir bei einem Auftritt Flamenco gespielt haben. Ich habe all meine Schüler so unterrichtet und versucht, ihnen die Gewandtheit zu geben, die sie für ihre Arbeit als Profimusiker brauchten.»

«Wir spielten diese ganzen alten Sachen aus den fünfziger Jahren, aber auf unsere eigene Art», berichtet Marcus.

Jeff Killed John nahmen diese Stücke sogar in ihr Repertoire auf, verpassten ihnen allerdings ihren eigenen, etwas härteren Anstrich. Damit traten sie auch bei Musikabenden auf, die Phil in der Stadt veranstaltete.

«Früher habe ich Jam-Abende organisiert. Die Jungs kamen jede Woche, immer dienstags, spielten dort, lernten etwas über ihr Handwerk und jammten mit anderen. Das waren schöne Zeiten. Selbst nachdem sie das College bereits wieder verlassen hatten, machten sie weiter mit. Den anderen jungen Leuten gefiel das. Sie traten ausnahmslos jedes Mal auf und ihre Anhängerschaft wurde immer größer. Sie begannen, selbst Stücke zu schreiben, spielten aber auch Cover wie zum BeispielBasket Casevon Green Day oderEnter Sandmanvon Metallica. Damals bestand ihr Set etwa zur Hälfte aus Eigenkompositionen und zur Hälfte aus Coversongs.»

Matt arbeitete daran, sein Gesangstalent weiter auszubauen und beschloss, dass Jeff Killed John deshalb einen zusätzlichen Gitarristen bräuchten. Durch einen von Phil arrangierten Auftritt bei einer Hochzeit kannten sie Michael «Padge» Pagets Fähigkeiten und sie befanden, dass er ihren Anforderungen entsprach. Inzwischen war auch Matts Songwriting viel besser geworden. Besonders die beiden SongsBouncy ShitundHostile Bitchmachten schnell klar, dass Jeff Killed John nicht nur eine x-beliebige Coverband waren.

«Ich war dabei, als während einer Probe das Eröffnungsriff vonBouncy Shitentstand. Wir alle fanden es klasse», erinnert sich Marcus. «Im Grunde ist es nur der Anfang derOuvertüre 1812.»

Neben der klassisch inspirierten Eröffnung zeichnet sichBouncy Shitvor allem durch das heftige Wechselspiel zwischen Mooses Schlagzeug und Nickys Bass aus. Damals war es zwar noch kein Klassiker, aber dafür, dass es aus der Feder eines Siebzehnjährigen stammte, schon recht beachtlich. Matt war noch nicht der Sänger, der er einmal werden sollte, doch seine jugendliche Stimme klang bereits hart und bestimmt. In Anbetracht dessen, was später einmal aus dieser Band werden sollte, ist es amüsant, dass ihren Freunden damals ausgerechnet die Riffs, die eigentlich nichts Besonderes waren, besonders gut gefielen. Für sie, die sich immer noch mit den Akkorden von Green Day-Songs abmühten, müssen sie allerdings geklungen haben, als kämen sie von einem anderen Planeten.

Hostile Bitchist ein stampfender Heavytrack. Matts Vocals sind ein verstümmeltes Kauderwelsch, das sich zu einem perfekt kalibrierten Rhythmus gesellt. Zu ihrer großen Freude schafften sie es, die beiden Songs auf einer Wohltätigkeits-Kompilation mit dem TitelAllsortsunterzubringen. Unter anderem war an der Entstehung dieses Albums auch der Fotograf und Mitarbeiter einer Wohltätigkeitsorganisation Darren Dobbs beteiligt.

«Ich arbeitete als Fotograf für eine Organisation für sozialen Wohnungsbau. Wir hatten ein Musik- und Kunstprojekt auf die Beine gestellt und suchten nach lokalen Musikern und Bands, die bei diesem Projekt, das wir Soundbite getauft hatten, mitmachen wollten. Jeff Killed John bewarben sich und schafften es auf das Album, das wir produzierten.»

Ein ortsansässiger Musiker namens Gary Bevan leitete die Aufnahmen in der Workmen’s Hall von Blaengarw, was einige Kilometer nördlich von Bridgend und unweit von Ogmore Vale liegt. Darren weiß noch, wie beeindruckt er vom Talent dieser recht jungen Band war.

«Ich kann mich noch an Matts jugendlich-frisches Gesicht erinnern. Er sah aus wie ein richtiger Teenager. Padge schien der Älteste in der Band zu sein. Trotz ihrer Nervosität hielt ich sie für vielversprechend. Sie waren noch rau und ungeschliffen, aber gut. Ihre Musik war richtig heavy, aber auch eingängig und melodisch. Einiges von dem, was sie heutzutage spielen (als Bullet For My Valentine), klingt genau so, wie ich es mir damals schon gewünscht hätte. Melodischer Rock ist ihre Stärke. Einige der langsameren Balladen gehörten zu ihren besten Songs. Moose war klasse. Schon damals war er ein großartiger Schlagzeuger. Er war spitze. Matt hatte eine tolle Präsenz und brachte viel Begeisterung rüber. Man ahnte schon, dass, wenn sie dran bleiben würden, etwas aus ihnen werden konnte.»

Das wild gebrüllteHostile Bitchwar allerdings ein Knackpunkt, denn als Soundbite die Compilation über die Kunstvereinigung Valley and Vale veröffentlichen wollten, sorgte die Liedzeile für Kontroversen.

Valley and Vale wollten Jugendlichen eine Plattform bieten, über die sie sich ausdrücken konnten. Wegen der Gefühle, die Jeff Killed John ausdrücken wollten, hatten sie allerdings Bedenken. Das Projekt war vom walisischen Kunstausschuss und der ehrenwerten Children In Need-Initiative der BBC finanziert worden und eine derartige Ausdrucksweise konnte natürlich nicht geduldet werden.

«Am Ende hießHostile Bitchnur nochHostile», erzählt Marcus. «Valley und Vale wollten nicht, dass das WortBitchauf der CD-Hülle auftauchte. AusBouncy ShitwurdeBouncy Stuffgemacht.»

Zu diesem Zeitpunkt schrieb Matt bereits regelmäßig Songs. Sie spielten zwar auch weiterhin Cover, doch für Matt gab es nichts Schöneres, als sein eigenes Material zu erschaffen. Marcus Jones erinnert sich noch an einige Stücke von Jeff Killed John, die heute niemand mehr kennt.

«Da gab es das AkustikstückFeelings, das sie zu dieser Zeit im Repertoire hatten. Dann waren da nochChannel Flickin’und ­Village Clown. Allerdings war da auch Zeug dabei, das wohl besser niemals ans Tageslicht kommen sollte!»

Ihr Material war vielleicht noch nicht ganz ausgereift, aber bereits 1999 glaubten einige Leute in Bridgend daran, dass Jeff Killed John es schaffen würden. Die Gruppe zog ein überschaubares, aber begeistertes Publikum an und die örtlichen Promoter begannen auf sie aufmerksam zu werden. Darren Dobbs wurde ebenfalls ihr Fan, besuchte all ihre Konzerte und schoss Bilder. Außerdem schloss er sich mit Glyn Mills zusammen, der Geld für Kinder in Haiti sammelte, und die beiden buchten Jeff Killed John für Wohltätigkeitsgigs und später auch für professionelle Auftritte.

«Anfangs spielten sie zum Beispiel in den oberen Räumlichkeiten eines Pubs vor dreißig oder vierzig Leuten», berichtet Darren. «Aber sie wurden immer besser und immer bekannter.»

Irgendwann gehörten Jeff Killed John neben Shirker, der Band von Mooses Bruder, und Jays Band Nuke zu den beliebtesten Gruppen der Stadt.

«Clive (Nicks Stiefvater) stand ihnen ganz besonders zur ­Seite», erzählt Glyn, der damals auch Manager von Nuke war. «Er fuhr sie überall hin. Er glaubte an sie. Er und Steve arbeiteten richtig hart für sie.»

«Alle Familien waren mit dabei», erinnert sich Darren Dobbs. «Mooses Vater Leighton kutschierte Moose mit seinem Drumkit und allem Drum und Dran durch die Gegend. Clive und Steve­ arbeiteten eng zusammen, verschafften der Band Gigs und brachten sie überall hin.»