Die Füße im Sand, die Nase im Wind - Tamina Kallert - E-Book

Die Füße im Sand, die Nase im Wind E-Book

Tamina Kallert

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Beschreibung

Ein Buch wie ein Kurzurlaub – herzenswarm, voller Lebensfreude und Optimismus

Mit ihrem offenen, authentischen Blick auf die Welt nimmt uns Tamina Kallert mit an die Orte ihrer Wunderschön!-Reisen – und weit darüber hinaus. Sie gewährt bewegende Einblicke hinter die Kulissen, teilt persönliche Erlebnisse und inspiriert mit überraschenden Perspektivwechseln.

Im Mittelpunkt steht dabei stets eine tiefe Sehnsucht nach Verbindung. Zu Menschen, zur Natur und zu sich selbst. Es sind oft die stillen Momente, die kleinen Begegnungen und flüchtigen Augenblicke, die sich im Herzen verankern und das Leben bereichern.

Mit feinem Gespür lädt dieses Buch dazu ein, das Unbekannte als Chance zu begreifen und erzählt von der Kraft des Reisens – nicht nur in ferne Länder, sondern auch zu neuen Sichtweisen, innerer Freiheit und echter Lebensfreude.

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EPUB
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Seitenzahl: 271

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Mit ihrem offenen, authentischen Blick auf die Welt nimmt uns Tamina Kallert mit an die Orte ihrer Wunderschön!-Reisen – und weit darüber hinaus. Sie gewährt bewegende Einblicke hinter die Kulissen, teilt persönliche Erlebnisse und inspiriert mit überraschenden Perspektivwechseln.

Im Mittelpunkt steht dabei stets eine tiefe Sehnsucht nach Verbindung. Zu Menschen, zur Natur und zu sich selbst. Es sind oft die stillen Momente, die kleinen Begegnungen und flüchtigen Augenblicke, die sich im Herzen verankern und das Leben bereichern.

Mit feinem Gespür lädt dieses Buch dazu ein, das Unbekannte als Chance zu begreifen und erzählt von der Kraft des Reisens – nicht nur in ferne Länder, sondern auch zu neuen Sichtweisen, innerer Freiheit und echter Lebensfreude.

Über die Autorin

Tamina Kallert ist das Gesicht der WDR-Erfolgssendung Wunderschön! und nimmt seit Jahren Millionen Zuschauer mit auf Reisen. Ob bei den Städtereisen von 2 für 300, bei Grenzenlos Köstlich oder in Reisekonzerten mit dem WDR-Funkhausorchester – sie schafft Verbindungen zwischen Orten, Menschen und Gefühlen. Nach dem Studium der Geschichte und Anglistik zog es Tamina Kallert früh vor die Kamera. Ihre Bücher Mit kleinem Gepäck und Und dann kommt das Meer in Sicht wurden Bestseller. Ihr neuestes Buch ist gleichzeitig auch ihr persönlichstes: ein Plädoyer für Mut, Veränderung und Vertrauen in das Leben. Tamina Kallert lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Freiburg im Breisgau – wenn sie nicht gerade unterwegs ist, meistens draußen, barfuß oder mit der Nase im Wind.

TAMINA KALLERT

Die Füße im Sand,die Nase im Wind

Neue wunderschöne Reisegeschichten von Neugier und echter Verbundenheit

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Copyright © 2025 Kösel-Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

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(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

© WDR, Köln

Lizenziert durch die WDR mediagroup GmbH

Konzept- und Textberatung: Dr. Bettina Burchardt

Umschlag: zero-media.net

Umschlagmotiv: © Simone Skolaut

Innenteilillustrationen: Adobe Stock: »Inhalt« (m_matvi), »Eine Handvoll Bänder«, »Kapitel 1-8«, (KPstudio), »Danksagung« (Zaleman)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-32503-9V002

www.koesel.de

INHALT

Eine Handvoll Bänder

Kapitel 1

Die Neopren-Momente meines Lebens

Kapitel 2

Beautytag für Impressionen

Kapitel 3

In der Heimat auf Reisen

Kapitel 4

Hôtel des Voyageurs

Kapitel 5

»Du und ich« in Bullerbü

Kapitel 6

Venedig ist überall

Kapitel 7

Rettungsaktion am Chiemsee

Kapitel 8

Tränen auf der Infinity-Terrasse

Danksagung

EINE HANDVOLL BÄNDER

Die Schotterpiste windet sich in unzähligen Serpentinen in die Berge hinein. Aus dem leuchtenden Grün der stellenweise fruchtbaren Ebene ist staubiges Graubraun geworden, das einzig Lebendige um uns herum scheinen die hübschen, langhaarigen Ziegen zu sein, die neben der Straße durch die Steinwüste trotten. Mein Bruder Julian und ich haben meinem Vater zum 80. Geburtstag eine Reise in den Oman geschenkt. Er hatte schon lange davon geträumt, dieses Land auf der Arabischen Halbinsel zu bereisen und sich dort drei Herzenswünsche zu erfüllen. Erstens: nach einem Bad im Indischen Ozean ein Feuer am Strand machen und erst dann den Reißverschluss des Zeltes hinter sich schließen, wenn die Augen zufallen. Zweitens: ein Wadi erkunden – das sind Flusstäler, durch die nur zeitweise, dann aber mit großer Macht Wasser fließt. Und drittens: tief im Landesinneren die weltweit einzigartigen Gesteinsformationen des Omangebirges sehen.

Genau diese Sehnsüchte werden nun wahr. Mein Vater ist nach eigenen Angaben nicht mehr der Jüngste, aber eine echte Abenteuerreise soll es trotzdem werden. Zu dritt und ganz auf uns allein gestellt erkunden wir das Land in einem zum Camper ausgebauten Geländewagen. An manchen Tagen quartieren wir uns in Hotels ein, einige Male übernachten mein Bruder und ich im Dachzelt auf dem Auto und mein Vater in einem gleich daneben aufgebauten eigenen Zelt. So wie immer, wenn wir zusammen sind, geht uns auf unserer Reise der Gesprächsstoff nicht aus. Auch mein fast fertiges neues Buch wird zum Thema. »Neue wunderschöne Reisegeschichten von Neugier und echter Verbundenheit« wird der Untertitel lauten. Mein Vater ist kritisch: »Echte Verbundenheit – gibt’s das denn für dich auf Reisen überhaupt?« Die Argumente fliegen hin und her, wir können uns nicht einigen. Die Sache mit der Verbundenheit wird zum running gag. Als mein Vater beim Schnorcheln in der Nähe der Hafenstadt Sur von der Brandung kopfüber an den Strand gespült wird, mustert er nachdenklich seine aufgeschürften Knie und sagt ganz trocken: »Ach guck, das war jetzt wohl die echte Verbundenheit.«

Am dritten Tag fahren wir zum höchsten Berg des Oman, dem über 3000 Meter hohen Jebel Shams. Unterhalb des für Besucher gesperrten Gipfels befindet sich ein Plateau mit einer an die tausend Meter fast senkrecht abfallenden Abbruchkante. Nur wenige Schritte vom Abgrund entfernt stellen wir den Geländewagen ab, steigen aus – und sind von dem sich vor uns ausbreitenden Panorama überwältigt. In Jahrmillionen haben sich hier Sedimentschichten, die sonst viele Kilometer tief unter der Erdoberfläche verborgen sind, mit der für tektonische Veränderungen rasanten Geschwindigkeit von drei Zentimetern pro Jahr auf die Landmassen geschoben. Viel zu kurz ist ein Menschenleben, um die Zeiträume zu erfassen, in denen sich ein Gebirge wie dieses auftürmte. Doch am Jebel Shams, wo die übereinander geschobenen Zeitalter nackt und bloß vor uns liegen, ahnen wir die gewaltigen Kräfte, die unter unseren Füßen wirken.

Die Luft ist dünn, und in der Nacht wird es empfindlich kalt werden. Trotzdem beschließen wir, auf dem Plateau zu übernachten. Wir freuen uns, dass wir diesen besonderen Ort ganz für uns haben und sind gerade dabei, es uns gemütlich zu machen, da kommt wie aus dem Nichts ein altes Mütterchen auf uns zugetippelt. Ohne Guide in dieser abweisenden, unerbittlichen Bergwelt sind wir unsicher und etwas ratlos: Was will sie von uns? Können wir sie irgendwie abwimmeln? Die alte Frau tritt ganz nah an uns heran, näher, als wir es in Mitteleuropa gewöhnt sind, und beginnt auf uns einzureden. Wir verstehen natürlich kein Wort, doch dann wird uns klar, dass sie wissen will, woher wir kommen und ob wir eine Familie sind. Mit Händen und Füßen erklären wir, dass wir Vater, Sohn und Tochter sind, und im Gegenzug erfahren wir, dass sie zwei Söhne und zwei Töchter hat, zwei von ihnen arbeiten in der Hauptstadt Maskat. Ich will ein guter Gast in diesem Land sein und auch nicht unhöflich, aber ich bin immer noch skeptisch: Was wird das jetzt hier? Als die alte Frau aus den Falten ihres Gewandes ein Bündel mit kunstvoll geknüpften Armbändchen herausholt, bin ich fast erleichtert. Ach so, ja, das kenne ich. Sie will uns etwas verkaufen. Die alte Frau hält mir auffordernd das Knäuel hin, einen Rial soll so ein Bändchen kosten. Weil ich unentschlossen bin, ob ich eines nehmen soll, zupft sie mir eines heraus. Das fliederfarbene, metallisch schimmernde Material, die auf das Band genähten kleinen Glitzerblümchen und der bunte Wollpuschel, der das Ganze krönt, treffen nicht ganz meinen Geschmack, aber ich kaufe es. Mein Vater und mein Bruder lehnen ab, was die alte Frau zu unserem Erstaunen sofort akzeptiert. Dann umarmt sie uns alle herzlich, es ist eher ein Knuddeln, und schon ist sie wieder weg. Die Begegnung hat keine fünf Minuten gedauert. Mit ein wenig Verspätung verstehe ich, dass es keinen Grund für unsere Zurückhaltung und unser Misstrauen gegeben hatte. Das Bändchen war eher ein Gastgeschenk als eine Ware, denn mit zwei erwachsenen Kindern in der Hauptstadt muss sich die Frau wohl kaum Sorgen um den Familienunterhalt machen. Der Austausch hatte einen viel elementareren Grund: In einer unerbittlichen Landschaft kann es eine Sache des Überlebens sein, dass Menschen miteinander in Verbindung treten.

Ich hüte das schimmernde Armbändchen wie einen kostbaren Schatz. Es steht nicht nur für die Reise in den Oman und damit auch für den Zusammenhalt in unserer Familie, sondern erinnert mich daran, dass sich Vertrauen lohnt. Vor allem aber hat es unsere Diskussionen um den Untertitel dieses Buches beendet. Denn da sind wir uns einig: Unser Aufenthalt auf dem Jebel Shams und das Treffen mit der alten Frau war mehr als nur ein kurzes Aneinandervorbeistreifen. Die Begegnungen mit Ort und Mensch haben uns berührt, zu denken gegeben und vielleicht sogar ein Stück weit verändert. Und genau das macht echte Verbindungen ja aus.

1

DIE NEOPREN-MOMENTE MEINES LEBENS

Hindernisse überwinden

ist der Vollgenuss des Daseins.

Arthur Schopenhauer

Oje, ist das eng! Erst der rechte Fuß, dann der linke. Der Anfang ist schon mal geschafft! Die Außenseite des Neoprenanzugs ist warm und trocken, innen ist er noch feucht von dem Ausflug, den jemand anderes in ihm am Tag zuvor gemacht hat. Ich bekomme Gänsehaut. Handbreit für Handbreit zerre und ziehe ich den Anzug hoch. Weil wir gleich in einen eiskalten Gebirgsbach springen werden, ist er besonders dick und sperrig.

Ich weiß gar nicht, wie oft ich in meinem Leben schon in Neopren gestiegen bin. Canyoning auf den Azoren, Windsurfen auf den Kanaren, Tauchen am Great Barrier Reef, Schnorcheln auf den Lofoten, Wellenreiten in Kalifornien, Kite-Surfen in Norddeich, Wingfoiling in Tarifa … Es waren bestimmt weit über hundert Mal. Und immer öfter denke ich: »Och nee. Nicht schon wieder!« Auch hier, auf dem kleinen, fünf Kilometer oberhalb des Attersees gelegenen Wanderparkplatz, hält sich meine Lust erst mal in Grenzen. Statt in synthetisches Gummi zu steigen, könnte ich unten im Tal von einer schönen Terrasse aus die Aussicht auf die herrliche Berglandschaft des Salzkammerguts genießen. Vor mir auf dem Tisch vielleicht die eine oder andere kulinarische Spezialität, ein Teller mit deftigen Kasnocken oder eine Platte mit hiesigen Käsesorten, durch die ich mich durchprobieren darf. Eine Tasse heißer Kaffee wär auch nicht schlecht, denn es ist herbstlich kühl geworden. Aber auf die Begegnung mit dem Gebirgsbach freue ich mich auch. Danach wird der Kaiserschmarrn bestimmt doppelt so gut schmecken!

Wenn ich nur endlich im Anzug drin wär! Ich ruckel ihn bis auf Hüfthöhe. Alles fühlt sich klebrig an. Im Schritt und am Po sind dicke Falten. Also muss ich O-Beine machen und nachzuppeln, bis das Neopren um meine untere Körperhälfte eng anliegt. So, die Hälfte ist geschafft! Ich bin jetzt schon außer Atem. Wenigstens habe ich den Anzug nicht falsch herum angezogen – das ist mir im Eifer des Gefechts schon einige Male passiert. Dieser hier hat eine Kapuze und deshalb den Reißverschluss vorne. Ich will gar nicht daran denken, wer ihn alles vor mir schon getragen hat – und wer vielleicht schon reingepieselt hat. Man darf einfach nicht zu pingelig sein.

Weiter geht’s! Ich quetsche meine Hände durch die Ärmel. Kaltes, Moosiges stülpt sich über meine Haut. Mit einer kleinen Verrenkung und einem geübten Schulterrollen bin ich endlich drin. Reißverschluss hoch, ein wenig Hüpfen und Zupfen, dann sitzt alles so, wie es soll. Uff! Fertig.

Unser Guide Gregor versammelt seine Schützlinge um sich. Auch Kameramann Christian hat sich in Neopren-Schale geworfen. Sein Kamerakollege Frank und Tontechniker Neo haben sich das Umziehen gespart. Sie werden das Abenteuer später vom Ufer aus aufnehmen. Ich schaue mich um. Irgendwo hier in der Gegend muss der Gimbach sein, dessen Lauf wir kletternd und tauchend folgen wollen. Aber erst mal fühle ich mich ziemlich fehl am Platz. Um uns herum sehe ich nur schweigenden Wald. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Jetzt verteilt Gregor auch noch Taucherbrillen und Schnorchel. Ein bisschen ist das so, als würde er uns Flossen zum Bergsteigen reichen. Dann laufen wir los. Es ist ein hochgradig skurriles Bild: Quer durch den Wald stapfen sieben Menschen in Neopren-Montur, Taucherbrillen und Schnorchel in der Hand, begleitet von vier Teammitgliedern in Alltagskleidung, die Kameraausrüstung, Tontechnik und die Verantwortung für einen guten Film tragen. Endlich treffen wir auf den Wildbach, der an dieser Stelle ein flaches Becken, eine Gumpe, formt. Gut, dass wir die Anzüge schon auf dem Parkplatz angezogen haben, denn hier am unebenen, steinigen Bachufer wäre das noch schwieriger gewesen.

Als Nächstes sollen wir uns rücklings in den Bach legen. Schon die Vorahnung auf das eiskalte Wasser erzeugt Schnappatmung. Zögern würde es nur schlimmer machen, also hinein in die Gumpe! Das Wasser läuft oben am Hals in den Anzug hinein, langsam kriecht es immer tiefer. Schaurig! Die Kälte kommt in Raten – und weckt alle Lebensgeister. Es dauert ein wenig, bis meine Körperwärme das eingedrungene Wildbach-Wasser auf erträgliche Temperatur gebracht hat. Mit der Bewegung wird es sogar richtig warm. Und mit der Wärme kommt der Spaß. Erste Schnorchelmomente an einer tieferen Stelle der Gumpe führen mich mitten in eine Gebirgsbach-Zauberwelt. Das Glitzern der Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche erzeugt fantastische Lichtspiele. An einigen Stellen verquirlt sich das Wasser mit wirbelnden Luftblasen – ein Tanz der Elemente. So klar wie das Wasser wird auch mein Geist. Jetzt tauche ich meinen Kopf ganz ins Wasser hinein, die Kraft der Strömung zu spüren ist eine elementare Erfahrung. Wie schön! Auch ohne karibisch-bunte Fischschwärme in allen Farben des Regenbogens ist die schlichte Unterwasserwelt des Gebirgsbachs faszinierend.

Jetzt führt uns Guide Gregor bachaufwärts zu den Gimbach-Kaskaden. Es rauscht und tost so laut, dass man sein eigenes Wort kaum versteht. Hier sollen wir die schäumenden Stromschnellen hinabrutschen. Gregor zeigt uns, wie es geht: Maske und Schnorchel anlegen, sich mit den Füßen voran lang ausstrecken, Arme überkreuzen, locker bleiben und sich dem Wasser anvertrauen. Mir kommt die Sache nicht so geheuer vor. Überall ragen rundgeschliffene Steine in den Weg. Man sieht auch nicht, was sich einem unter Wasser alles entgegenreckt. Ich habe direkt das Bild vor Augen, wie ich irgendwo hängen bleibe und die brausende Kraft des Wassers mir Schulter oder Hüfte auskugelt. Aber dann denke ich: Andere haben sich hier doch auch schon hinuntergewagt; irgendwie kommt man unten an einem Stück raus. Mit Gottvertrauen lasse ich mich über die Kante gleiten und rausche die Kaskade hinunter. Wouff! Ich werde Teil des reißenden Wildbachs, mir vergehen Hören und Sehen. Und schon bin ich in der unteren Gumpe angekommen. Schnorchel raus, ein erlöster Schrei drängt aus meiner Kehle. Überwältigt kraxle ich aus dem sprudelnden Tauchbad heraus.

Ich muss allerdings sagen: Der pure Genuss war’s nicht. Die Kamerakollegen sind ganz zufrieden, doch damit später die Cutterin zusammen mit Autorin Beate mehr Material zum Aussuchen hat, laufe ich noch mal hinauf, um ein zweites Mal hinunterzusausen. Oben immer noch Respekt und Oje, aber jetzt kommt auch ein wenig Vorfreude auf. Und beim dritten Durchlauf ist die rauschende Fahrt durch den gurgelnden Gebirgsbach das reine Vergnügen. Ich denke nicht mehr an Kameraeinstellung und Schneideraum, sondern erlebe ein pures, unglaublich intensives Am-Leben-Gefühl! Alles ist von mir abgefallen. Am Ende bin ich völlig außer Puste und von Glückshormonen durchströmt. Der Neoprenanzug hat sich mal wieder gelohnt. Wenn ich mich das nächste Mal wieder in einen zwängen muss, werde ich wieder frösteln – auch wenn die Sonne vom Himmel brennt. Ich werde mich dann trotzdem in den Anzug quälen und die Falten glatt streichen. Und wieder hinein ins Abenteuer springen.

***

Wo Neopren ins Spiel kommt, bekommt das Leben gleich eine andere Farbe. Wie bei einer Häutung bleibt mit der Alltagskleidung das Gewohnte zurück, das Abenteuer kann kommen. Natürlich geht es nicht immer um Neopren im wörtlichen Sinne. Meine Neopren-Momente beginnen, sobald meine Neugier mich aus meiner Komfortzone herausführt und ich auf Unerwartetes treffe. Auf dem Weg zum Hochgefühl gibt es allerdings ein Hindernis: Ich muss mich ein bisschen überwinden. Eigentlich müsste ich längst verinnerlicht haben, dass jedes Mal, wenn ich meinen Horizont erweitere, mein Leben reicher wird. Die Emotionsschleife über »Wäre ich doch nur zu Hause geblieben!« könnte ich mir also sparen und gleich zum jauchzenden »Herrlich!« übergehen. Doch so funktioniert das leider nicht. Die persönliche Komfortzone zu verlassen, ist und bleibt eine Challenge.

Es ist kaum zu glauben, sogar zu der gemütlichen Fahrt mit dem Haustretboot auf der Ruhr musste ich mich überwinden. Der Plan war, in sieben Tagen die etwa 25 Kilometer von Mülheim an der Ruhr bis zum Baldeneysee in Essen zu strampeln. Sportlich gesehen würde diese Reise also nicht besonders anstrengend werden, und wir würden viel Zeit für Ausflugsziele rechts und links der Ruhr haben. Meine Neopren-Herausforderung war dieses Mal etwas ganz anderes.

Erst einmal: Was ist überhaupt ein Haustretboot? Unseres entpuppt sich als ein sechs Meter langes, mobiles Zuhause. In der winzigen Kabine sind Schlafkojen mit Vorhang, eine winzige Küchenzeile mit Spüle und Spirituskocher sowie ein kleiner Tisch untergebracht. Alles mega-basic und gemütlich. Die Typbezeichnung unseres Gefährts lautet »Escargot«, also »Schnecke«. Ein passender Name, denn der Antrieb befindet sich am Heck in Form von zwei nebeneinander montierten Fahrradsätteln und zwei Tretkurbeln. Es gibt auch einen kleinen Außenbordmotor, doch es ist Ehrensache, nur per Muskelkraft Strecke zu machen. Drei Boote sollen die »Wunderschön!«-Reise machen. Extremsportler und Stuntman Dirk Gion, seine Tochter Anaïs, die gerade fürs Abi lernt, und sein 13-jähriger Sohn Phil werden auf der »Desire« – ohne Akzent und zweites e – in die Pedale treten, wohlwollend beobachtet von ihrem spanischen Windhund Luis. Für mich ist die »Chantal« gebucht. Und für das dritte Boot, ein normales Motorboot, sind zwei Kamerateams in Schichten eingeteilt, sodass von früh bis spät gefilmt werden kann.

Aber wer wird mich auf der »Chantal« begleiten? Bis zu vier Personen haben auf so einem Tretboot Platz, doch schon zu zweit ist es unter Deck kuschelig eng. Dass es bei Dreharbeiten wenig Privatsphäre gibt, ist normal. Umso wichtiger sind die Stunden, in denen jeder Einzelne von uns nach einem anstrengenden Arbeitstag auch mal die Hoteltür hinter sich zumachen kann. Aber auf einem Haustretboot gibt es null Rückzugsmöglichkeit. Sieben Tage auf zwölf Quadratmetern – mit wem will man so ein Abenteuer bestehen? Und dann war da noch der Umstand, der mich vollends aus meiner Komfortzone herauskatapultierte: Auf den Trethausbooten gibt es kein Badezimmer. Für dringende Bedürfnisse steht eine Campingtoilette in einer Ecke. Noch nicht mal ein Vorhang schützt vor Blicken. Will man sich unter diesen Bedingungen auf einen Eimer setzen? Ohne Begleitung auf der »Chantal« zu reisen, wäre keine Lösung gewesen, denn es braucht zwei in die Pedale tretende Personen, um nennenswert vom Fleck zu kommen. Da war er wieder, der Neopren-Moment. Die Frage lautete: Steigst du ein? Oder sagst du: Nein, ich bleibe lieber beim Gewohnten?

Es kam natürlich alles anders als gefürchtet. Die Idealbesetzung als Tretboot-Partner war mein jüngerer Bruder Julian. Nicht nur, weil wir von klein auf an gemeinsame Urlaubsfahrten mit unseren Eltern im VW-Bus gewöhnt waren, sondern einfach deshalb, weil mein Bruder so ist, wie er ist: ein Fels in der Brandung. In meiner Familie wurde immer gewitzelt, dass das Quirlige und Extrovertierte schon vergeben war, als er zweieinhalb Jahre nach mir geboren wurde. Wenn am Familientisch Mutter und Tochter wild gestikulierend diskutierten, hörte mein Bruderherz interessiert und hellwach zu – und vermittelte dann mit klaren, fundierten Aussagen. Als wir erwachsen wurden, war unsere Verbindung vorübergehend nicht mehr so eng. Jeder für sich suchte nach seinem Platz im Leben. Julian wurde Flugzeugdesigner, lebte eine Weile in Amerika. Ich war ständig unterwegs und selten für die Familie da. Irgendwann entdeckten wir uns wieder, und unser gutes Verhältnis wurde inniger und liebevoller als zuvor. Eines weiß ich: Egal, was das Leben für uns bereithält, wir werden immer bedingungslos füreinander da sein. Diese Gewissheit ist ein großes Glück.

Ich fragte Julian also: Hast du Lust? Und er ließ sich auf das Abenteuer ein, Tag und Nacht auf engstem Raum mit der Schwester zusammen zu sein. Sein Sprung ins Unbekannte war sogar viel größer als meiner, denn er war ja nicht mit den Abläufen bei Dreharbeiten vertraut. Hinter den harmonischen Bildern, die die Zuschauer später in der Sendung genießen, stehen viel Arbeit und Anstrengung, oft gewürzt mit Stress und leidenschaftlichen Diskussionen. Auf dem Haustretboot würde ich auch im Job-Modus sein. Auf beruflichen Reisen kreisen meine Gedanken schon am frühen Morgen: Was steht für heute im Drehplan? Was kann ich beitragen? Läuft alles rund? Auch die Frage, welche Elemente vielleicht noch fehlen, beschäftigt mich. Denn manche der Bilder, die ich mit meinem Handy aufzeichne, ergänzen später die von den Kameraprofis aufgenommenen Filme. Meine Sorge, dass Julian einen Kulturschock erleiden würde, erwies sich aber als unbegründet. Denn je umtriebiger ich war, desto mehr wurde mein Bruderherz zum Ruhepol.

Noch eine weitere Eigenschaft meines Bruders trug dazu bei, dass es besonders entspannte Dreharbeiten wurden: Er gehört zu den besonderen Menschen, die vor einer Kamera so bleiben, wie sie sind. Mancher bekommt ja gleich eine ganz andere Körperhaltung und hat das Gefühl, er dürfe nur noch wesentliche Dinge von sich geben. Julian blieb einfach Julian. Und deshalb konnte ich Tamina bleiben. Wenn zwei zusammen auf Reisen gehen, kann es passieren, dass der eine den anderen vielleicht anders haben will, als er ist. Dann heißt es ständig: Sei mal netter, mach mal dies oder guck mal anders. Stress pur! Doch Julian nimmt mich so, wie ich bin, und ich nehme ihn so, wie er ist. Wir mussten auch nicht vor der Kamera so tun, als hätten wir eine tolle Geschwisterbeziehung. Ganz einfach deshalb, weil wir sie tatsächlich haben.

Ich konnte loslassen und mich daran freuen, dass mein Bruder so gut ins Team passte. Das zeigte sich schon, als wir am Mülheimer Hafen das Auto ausluden. Familie Gion und das Drehteam waren bereits vor Ort und wie von selbst bildete sich eine Kette. Vorräte, Wasserkocher und anderes, was wir in den nächsten Tagen brauchen würden, wurde von Hand zu Hand bis in die Kabine der »Chantal« weitergereicht. Und Julian stand mittendrin. Wir schauten uns nur kurz an und ohne Worte wussten wir: Es läuft.

***

Leinen los! Gleich hinter unserem Startpunkt, dem Mühlheimer Frachthafen, übernimmt die Natur die Begleitung des Flusses. Kaum zu glauben, dass wir mitten im Ruhrgebiet sind! Weil wir aus Termingründen erst nachmittags losgefahren sind, legen wir schon ein paar Kilometer weiter, im Mülheimer Yachthafen, für die Nacht an. Trotz der kurzen Etappe sind unsere Beine, die das ständige Strampeln noch nicht gewöhnt sind, ein wenig schwer geworden. Wir haben einen Riesenhunger, und gleich an der Ruhrpromenade, in einem tollen, stylishen Restaurant mit Blick auf den Fluss, greifen wir alle herzhaft zu.

Der nächste Tag beginnt damit, dass ich es mir im goldenen Morgenlicht oben an Deck gemütlich mache. Kurz darauf setzt sich Julian mit zwei Tassen Kaffee zu mir. Das Kamerateam ist noch nicht eingetroffen, schweigend genießen wir den Blick auf die stille Ruhr. Die aufgehende Sonne spiegelt sich im grün schimmernden Wasser, Vögel zwitschern. Irgendwo in der Ferne rauscht der Berufsverkehr. Alles ist so friedlich! Warum hatte ich mir eigentlich solche Sorgen gemacht? Eine Stunde später sitzen wir wieder auf dem Tretboot-Sattel. In weiten Bögen schlängelt sich die Ruhr durch das wald- und auenreiche Flusstal. Ich kann kaum fassen, wie grün es hier ist. An den Ufern wechseln sich Freibäder, Campingplätze und Bootshäfen ab. Lange Zeit war die Ruhr der meistbefahrene Wasserweg Europas, doch heute verkehren oberhalb von Mülheim keine Frachtschiffe mehr. Wir teilen den Fluss mit Sportbooten, Kajaks und anderen Freizeit-Vehikeln. Manchmal ist die Strömung so gering, dass ich kaum erkennen kann, in welche Richtung die Ruhr fließt.

Von Tag eins an ist klar, was für ein Traum-Team wir alle miteinander bilden. So wie die meisten Menschen, die viel reisen, ist Survivalexperte Dirk Gion offen, unkompliziert und pragmatisch. Seine Kinder Anaïs und Phil sind oft mit ihm unterwegs gewesen und haben sich viel von ihm abgeschaut. Mit ihrer Fähigkeit, Dinge auf vernünftige Weise einfach mal auszuprobieren, ohne sich lange zu zieren, fügen sie sich nahtlos in die Gruppe ein und unterstützen die Dreharbeiten, wo sie nur können. Mal fahren die »Desire« und die »Chantal« dicht nebeneinander, sodass wir uns miteinander unterhalten können, mal fährt eines der Tretboote voraus. Uns geht der Gesprächsstoff nicht aus, aber wir müssen auch nicht aneinanderkleben. Besser kann es unter Reisebegleitern nicht sein.

Und das Drehteam? Ebenso wie die Moderatoren und Moderatorinnen wechseln bei den »Wunderschön!«-Reisen auch die Kameraleute, Toningenieure, Maskenbildner, Autoren und Redakteure. Früher wurde fast schon nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfelt, denn nicht ganz zu Unrecht hieß es: »Ihr seid doch alle Profis, da solltet ihr eventuelle Empfindlichkeiten mal beiseitelassen können!« Doch in einem langwierigen Lernprozess setzte sich die Erkenntnis durch, dass mit bewährten, harmonisch aufeinander eingespielten Teams die Ernte an schönen Bildern und Momenten einfach reicher ausfällt. Weil nur selten alle Terminpläne zueinanderpassen, sind in den Teams immer mal wieder neue Gesichter dabei. Aber das ist fast immer eine Bereicherung und verringert die Gefahr, auf ausgetretenen Pfaden zu wandeln.

Das von der Aufnahmeleitung für die Tretboot-Tour auf der Ruhr zusammengestellte Drehteam macht unsere harmonische Reisegruppe komplett. Kameramann Michael ist ein super Teamplayer und ein Meister seines Fachs, mit seiner Erfahrung und Nervenstärke bringt er Ruhe in die Arbeitsabläufe. Auch Tontechniker Mark ist ein alter Hase, beide zusammen waren seit den ersten »Wunderschön!«-Reisen vor zwanzig Jahren sehr oft mit dabei. Markus ist freiberuflicher Kollege und als zweiter Kameramann gebucht. Weil die Drehtage sehr lang sein werden, ist mit Raphael ausnahmsweise auch ein zweiter Tontechniker dabei. Maskenbildnerin Christine sorgt unkompliziert und mit ruhiger Hand dafür, dass ich auch ohne Badezimmer auf der »Chantal« und nach anstrengenden Strampel-Stunden präsentabel aussehe. Und dann ist da noch Antje, die schon überall auf der Welt unterwegs war, als Autorin die Tretboot-Tour vorbereitet hat und nun zum ersten Mal auch die Dreharbeiten vor Ort leitet. Ihre humorvolle und zupackende Art reißt uns alle mit. Nie hören wir von ihr ein »Geht nicht« oder »Wird bestimmt schwierig«. Mit ihrem Gespür für liebevolle Details verleiht sie unserer Reise eine besondere Note. Zum Beispiel hat sie für Julian und mich Leinen-Bettwäsche organisiert, blau kariert für Julian, rot kariert für mich. So verzaubert sie die schlichten Kojen-Quadratmeter auf der »Chantal« in eine Wohlfühl-Area mit Hüttenfeeling – für die Zuschauer der Sendung soll es ja auch unter Deck Schönes zu entdecken geben. Julian und ich profitieren von Antjes Gabe, mit wenig Aufwand das Leben leicht und heimelig zu machen. Abends, wenn wir unter unseren Bettdecken liegen, genießen wir bei Kerzenschein die Momente, in denen wir über Gott und die Welt reden.

Ich empfinde unser unaufgeregtes und gleichzeitig fokussiertes Miteinander als ein großes Glück. Denn es geht ja auch anders: Wenn in einer Gruppe jeder vor sich hin theoretisiert, wie es besser ginge, ist das für alle extrem kraftraubend. Und manchmal schafft es sogar eine einzige Person, die ihre Befindlichkeiten vor sich herträgt, ein Team zu sprengen. Doch auf unserer Ruhr-Tour ziehen alle an einem Strang und tragen nach Kräften zu einer inspirierenden Sendung für die Zuschauer bei. So macht die Zusammenarbeit Spaß.

Auf den drei Booten ist also alles im Lot. In wechselnden Zusammenstellungen der Bootsmannschaften treten wir flussaufwärts. Es ist ein harmonisches und einfaches Leben, unterbrochen von kleinen Neopren-Momenten. Zum Beispiel werden wir gleich an unserem zweiten Tag aus dem Tretboot-Trott gerissen, weil wir die erste Schleuse passieren müssen. Unsicherheit und Herzklopfen. Und dann ist es doch eine vergnügliche Geschichte, sich vom Wasser ein paar Meter emportragen zu lassen. Auch die vielen von Antje geplanten Ausflüge, die wir in unterschiedlichen Besetzungen unternehmen, sorgen für Abwechslung. Denn natürlich wollen wir den Zuschauern von »Wunderschön! – Mit dem Tret-Hausboot auf der Ruhr« mehr bieten als nur zwei Hausboote, auf denen fünf Menschen von Mülheim zum Baldeneysee strampeln. Am vierten Tag führt ein Abstecher Julian und mich auf den Rutherhof, wo Uwe Schlieper und Martina Heining eine Straußenfarm betreiben. Was für beeindruckende Vögel das sind! Straußenhahn »King« beobachtet uns skeptisch und macht eine breite Brust. Wehe, wir kommen seinen fünf Hennen zu nahe! Das Dutzend Straußeneier, die in einem Brutschrank liegen, kann ich dagegen in aller Ruhe betrachten. Wie groß sie sind! Ich staune, dass zarte Wesen es schaffen, die dicke Eierschale zu zerbrechen. Wir hatten gehofft, beim Schlüpfen kleiner Straußenküken dabei sein zu können, doch das klappt leider nicht. Die Kleinen sind einfach noch nicht so weit. Aber sehen können wir trotzdem eines. Denn Uwe durchleuchtet eines der Straußeneier mit einer starken Lampe, sodass dessen Inneres in schwummeriges Licht getaucht ist. Ganz deutlich erkenne ich einen sich bewegenden Schatten: Ein Küken macht sich bereit, das Licht der Welt zu erblicken! Ein eindrückliches Erlebnis!

***

Der letzte Drehtag bricht an. Die dritte und letzte Schleuse auf unserem Weg, die Baldeneyschleuse, ist von einem anderen Kaliber als die beiden, die wir zuvor passiert haben. Ich finde es richtig beklemmend, in den tiefen und dunklen Schacht hineinzufahren. Der Hub beträgt fast neun Meter, die Oberfläche des Baldeneysees befindet sich also weit über uns – eine gruselige Vorstellung! Wie ein Untier lauert das Wasser hinter der hohen Schleusenwand. Hinter uns wird das Tor geschlossen, wir sitzen jetzt sozusagen in der Falle. Und dann hebt sich langsam die vordere Wand, und das Wasser schießt mit elementarer Macht in die Schleusenkammer. Ich habe alle Hände voll zu tun, mit einer langen Stange die auf den Wellen tanzende »Chantal« auf Abstand zur Seitenwand der Schleusenkammer zu halten. Meter für Meter werden unsere schaukelnden Boote aufwärts transportiert. Ein wilder Ritt!

Oben wird das Schleusentor geöffnet, die Wellen beruhigen sich. Wir sind an unserem Ziel, dem Baldeneysee, angekommen. Noch ein paar Kilometer gleiten wir über die Wasserfläche, genießen den Blick auf die links und rechts ansteigenden Waldhänge. Ich bin ein bisschen traurig, dass unsere Reise nun zu Ende geht. Was ich nicht weiß: An diesem letzten Drehtag wartet noch ein letzter Neopren-Moment auf mich. Und was für einer!

Anfangs hatte ich mich noch gewundert, warum Survivalexperte Dirk Gion bei dieser Fahrt dabei war. In einem Tretboot ist er ja total unterbeschäftigt. Aber dann vergaß ich diesen Gedanken. Jetzt lädt Dirk mich und meinen Bruder zu einer Abschlusswanderung ein. Eine Überraschung soll es sein. Uns schwant schon was, aber natürlich gehen wir mit ihm. Der Weg führt uns an der Nordseite des Sees einen bewaldeten Hang hinauf. Plötzlich öffnet sich vor uns eine Lichtung, auf der ein alter Förderturm steht. Wie schön, denke ich, ein altes Industriedenkmal mitten im Wald! Und will weitergehen. Doch Dirks leuchtende Augen sagen mir, dass unsere Wanderung hier ihr Ziel hat. Und da kommt auch schon sein Freund dazu, der Profikletterer Mike Schuh. Er hat vor einigen Jahren den Förderturm der stillgelegten Steinkohlezeche »Carl Funke« gekauft und bewahrt ihn seitdem vor dem Verfall. Er ist nicht öffentlich zugänglich, aber für Dirk, Julian und mich macht Mike eine Ausnahme. »Da wollen wir jetzt hoch«, sagt er. Na, da sind wir doch dabei! Auch mein Bruder ist unerschrocken. Also Klettergurt anziehen, Helm aufsetzen, Karabiner an den richtigen Stellen einklinken – Mike hat alles griffbereit dabei. Gut gelaunt klettern wir über die schmale, fest mit der Konstruktion verbundene Eisenleiter aufwärts. Nur wenn ich nach unten schaue, werden meine Knie ein wenig wacklig. Fast vierzig Meter gilt es hinaufzukraxeln, es wäre einfacher, wenn man nicht überall durch das Gerüst hindurch den Boden sehen könnte. Geschafft! Wir stehen oben und genießen den Hammerblick auf den Baldeneysee. Ein bisschen mulmig ist mir trotzdem. Denn mit den Jahren spüre ich immer deutlicher eine gewisse Höhenangst.

Eines meiner krassesten Höhen-Schrecknisse erlebte ich bei den Dreharbeiten zu der 2015 erstmals ausgestrahlten »2 für 300«-Reise nach Kopenhagen, wo Kameramann Uwe Irnsinger und ich den neunzig Meter hohen Turm der Vor Frelsers Kirke erklommen. Die ersten 250 Stufen befinden sich wie üblich im Inneren dieses Kirchturms. Und dann wird es spannend: Dort, wo der mächtige viereckige Turm in den Helm übergeht, tritt man nach außen. Ab hier verlaufen 150 weitere Stufen in vier immer enger werdenden Windungen um das spitz zulaufende Dach herum – links das Dach, rechts trennt einen nur ein normales Geländer vom Abgrund. Es ist eine echte Mutprobe, von der letzten Stufe aus die auf der Turmspitze angebrachte Weltkugel zu berühren.