Die im Dunkeln sieht man doch - Barbara Vine - E-Book

Die im Dunkeln sieht man doch E-Book

Barbara Vine

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Beschreibung

Vera Hillyard wurde als eine der letzten Frauen in England 1950 gehenkt. Seitdem überschattet dieses Ereignis das Leben der Familie Longley. Denn: »Mord ist eine Sache der ganzen Familie. Er zeichnet das Kainsmal auf viele Stirnen.« Jahre später versucht die Nichte, Licht in die Vergangenheit zu bringen. Ist sie wirklich die geborene Mörderin?

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Barbara Vine

Die im Dunkelnsieht mandoch

Roman

Aus dem Englischen vonRenate Orth-Guttmann

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] 1

An dem Morgen, als Vera starb, wachte ich sehr früh auf. Die Vögel hatten schon angefangen zu singen, in unserem grünen Vorort war ihre Zahl größer und ihr Gesang lauter als auf dem Land. So hatten sie vor Veras Fenstern im Tal von Dedham nie gesungen. Ich lag da und horchte auf Laute, die sich monoton wiederholten. Es muß eine Drossel gewesen sein, eine Drossel, von der Browning so schön gedichtet hat, daß sie jedes Lied zweimal singt. Es war ein Donnerstag im August vor hundert Jahren. In Wirklichkeit natürlich ist es vielleicht fünfunddreißig Jahre her, es kommt einem bloß so lange vor.

Nur unter diesen Umständen weiß man genau, wann ein Mensch sterben wird. Jeder andere Tod läßt sich mit einiger Bestimmtheit voraussagen, mutmaßen, ja sogar absehen, nicht aber auf die Stunde, die Minute genau, ohne jeden Hoffnungsschimmer. Vera würde um acht sterben, basta. Mir wurde flau. Ich lag übertrieben still und horchte auf Geräusche aus dem Nebenzimmer. Wenn ich wach war, würde mein Vater es auch sein. Bei meiner Mutter war ich mir nicht so sicher. Sie hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie seine beiden Schwestern nicht leiden mochte. Das war einer der Gründe für die Entfremdung zwischen ihnen, obgleich sie nach wie vor zusammen im Nebenzimmer schliefen, in einem Bett. Einen Ehebruch, eine Trennung, diese Dinge ging man damals nicht so leichten Herzens an.

Ich überlegte, ob ich aufstehen sollte, aber zuerst wollte ich wissen, wo mein Vater war. Ihm auf dem Gang zu begegnen, wir beide im Morgenrock, mit vor Schlaflosigkeit verquollenen Augen, beide auf dem Weg ins Badezimmer und uns höflich den Vortritt lassend – irgendwie war das eine scheußliche [6] Vorstellung. Gewaschen wollte ich ihm gegenübertreten, gekämmt und gegürtet. Ich hörte nichts, nur die Drossel, die ihre stupide Strophe nicht zweimal, sondern fünf- oder sechsmal wiederholte.

Bestimmt würde er wie gewohnt zur Arbeit gehen. Und Veras Name würde nicht fallen. In unserem Haus hatte über die ganze Geschichte seit Vaters letztem Besuch bei Vera niemand ein Wort verloren. Einen schwachen Trost gab es für ihn: Niemand wußte etwas. Man kann seiner Schwester, seiner Zwillingsschwester, sehr nahe stehen, ohne daß jemand um die Beziehung weiß, und keinem unserer Nachbarn war bekannt, daß er Vera Hillyards Bruder war. Auch von den Bankkunden wußte es niemand. Wenn heute der Hauptkassierer eine Bemerkung über Veras Tod machte, was durchaus denkbar war, was viele Leute tun würden, besonders auch ihres Geschlechts wegen, würde mein Vater ein liebenswürdig-glattes, gemäßigt interessiertes Gesicht machen und eine passende Platitüde äußern. Schließlich ging das Leben ja für ihn weiter.

Auf dem Gang knarrte ein Bodenbrett. Ich hörte, wie die Schlafzimmertür, dann die Badezimmertür zuschlug. Daraufhin stand ich auf und besah mir den Tag. Ein sauberer, weißer, stiller Morgen ohne Sonne und blauen Himmel, ein Morgen im Wartestand, so schien es mir, weil ich wartete. Wenn man in einem bestimmten Winkel an diesem Fenster stand und hinausschaute, sah man keine Häuser, so üppig waren die Bäume und Büsche, so dicht ihr Laub. Es war wie der Blick in die Lichtung eines sehr gepflegten Waldes. Vera hatte über die Wohnlage meiner Eltern die Nase gerümpft, nicht richtig Stadt und nicht richtig Land, sagte sie immer.

Jetzt war meine Mutter auf. Wir waren alle blödsinnig früh dran, wie vor einer Urlaubsreise. Früher, vor einer Fahrt nach Sindon, war ich manchmal so früh wach gewesen, zappelig, voller Vorfreude. Wieso hatte ich mich immer auf Vera gefreut, die, wenn sie mit mir allein war, ständig und unmotiviert an [7] mir herumnörgelte, die gemeinsam mit Eden jeden abgeschmettert hatte, der versuchen mochte, in ihren Bund einzudringen? Ich hatte wohl immer noch Hoffnung gehabt. Bei jedem Besuch war ich ein bißchen älter geworden, vielleicht hatte sie sich ja inzwischen geändert. Doch das geschah nie – fast bis zum Schluß nicht. Und dann brauchte sie so dringend Verbündete, daß sie es sich nicht mehr leisten konnte, wählerisch zu sein.

Ich ging ins Badezimmer. Man merkte sofort, ob mein Vater dort fertig war. Er benutzte ein altmodisches Rasiermesser und wischte die Klinge nach jedem Strich an einem Stückchen Zeitungspapier ab. Die Zeitung und den Krug mit heißem Wasser holte er sich selbst, aber die Überbleibsel mußte immer meine Mutter wegräumen, das Papier mit der Rasierseifenschicht, die voller Stoppeln war, und den leeren Krug. Ich wusch mich mit kaltem Wasser. Im Sommer setzten wir den Boiler nur einmal in der Woche in Gang, zum Baden. Vera und Eden badeten jeden Tag, und das gehörte zu den Dingen, die mir an Sindon gefallen hatten, mein tägliches Bad, obschon Vera behauptete, daß ich mich, wäre das möglich gewesen, bestimmt gedrückt hätte.

Die Zeitung war gekommen. Die Meldung, einige wenige nüchterne Zeilen, würden sie natürlich erst morgen bringen. Heute stand nichts über Vera drin. Sie war nicht mehr aktuell, war vergessen gewesen bis zu diesem Morgen, da, wie in einer jäh aufschießenden Stichflamme, das ganze Land von ihr sprechen würde; den einen würde sie leid tun, und die anderen würden sagen, es sei ihr recht geschehen. Mein Vater saß am Eßtisch und las die Zeitung. Den Daily Telegraph, eine andere Tageszeitung kam uns nicht ins Haus. Das Kreuzworträtsel würde er sich für heute abend aufheben, genau wie Vera, die in all den Jahren nur einmal meinen Vater angerufen und um die Lösung für ein Stichwort gebeten hatte, das sie verrückt machte. Als Eden ihr eigenes Heim hatte und reich war, hatte sie sich oft von ihm das Rätsel telefonisch [8] komplettieren lassen. So gut wie die anderen beiden war sie nie gewesen.

Er sah auf und nickte mir zu. Er lächelte nicht. Auf dem Tisch lag das Tischtuch von gestern, gelbe Karos, damit man die Eiflecken nicht so sah. Die Lebensmittel waren noch rationiert, Fleisch war sehr knapp, wir aßen immerfort Eier, die uns Mutters Hühner lieferten. Daher die krähenden Hähne in unserem Villenvorort, versteckt hinter Geißblatt- und Lorbeerbüschen. An diesem Morgen aber gab es keine Eier. Auch keine Cornflakes. Meine Mutter hätte Cornflakes in ihrer weiß-gelben Packung als frivol empfunden. Vera war ihr unsympathisch gewesen, Vaters intensive Familienbindungen waren ihr gegen den Strich gegangen, aber sie hatte ein ausgeprägtes Gefühl für das, was in einer bestimmten Situation schicklich war. Wortlos brachte sie uns Toast, der – noch heiß – dünn mit Margarine bestrichen worden war, ein Glas Kürbis-Ingwer-Konfitüre, eine Kanne Tee.

Ich wußte, daß ich nichts würde hinunterbringen können. Er aß. Demnach hatte er für sich beschlossen, daß dies ein Tag wie jeder andere war. Es war vorbei, ausgelöscht, er hatte eine gewaltige Anstrengung unternommen, wenn nicht zu vergessen, so doch zumindest vorzugeben, daß alles vergessen sei.

Heiser-theatralisch brach seine Stimme das Schweigen. Er las laut vor, irgend etwas über den Koreakrieg. Er las und las, spaltenweise, es wurde zunehmend peinlich, weil niemand ohne Einführung, ohne Erklärung oder Anlaß in dieser Weise liest. Etwa zehn Minuten ging das so. Er las bis zum Ende der Seite, wo vermutlich auf die Fortsetzung des Artikels im Innenteil des Blattes verwiesen wurde. Er blätterte nicht um. Er hielt mitten im Satz inne. »Im Fernen«, sagte er, kam nicht mehr bis zum »Osten«, sondern legte die Zeitung aus der Hand, rückte die Seiten zurecht, faltete das Blatt einmal, zweimal, ein drittes Mal, bis es wieder so dalag, wie der Zeitungsjunge es durch den Schlitz gesteckt hatte.

»Im Fernen« hing in der Luft und nahm eine eigenartige [9] Bedeutung an, die der Verfasser gewiß nicht beabsichtigt hatte. Mein Vater nahm noch einen Toast, ohne ihn zu essen. Meine Mutter beobachtete ihn. Ich denke mir, daß sie früher einmal Zärtlichkeit für ihn empfunden hat, aber da er keine Zeit oder keine Verwendung dafür gehabt hatte, war das Gefühl verkümmert. Ich erwartete nicht, daß sie zu ihm gehen, seine Hand nehmen, die Arme um ihn legen würde. Hätte ich es getan, wäre sie nicht dabei gewesen? Vielleicht. Mitglieder dieser Familie zeigten ihre Liebe zueinander nicht. Mit anderen Worten: Es hatte keine Umarmungen gegeben. Die Zwillinge hatten sich nicht geküßt, die Frauen allenfalls luftige, spitze Wangenküßchen ausgetauscht.

Es war Viertel vor acht. Ich wiederholte (wie die Drossel, die indessen verstummt war) immer wieder: »Im Fernen, im Fernen.« Als es geschehen war, als man es ihm sagte, hatte er sich wütend, ungläubig, in ohnmächtigem Protest aufgebäumt.

»Ermordet, ermordet!« rief er immer wieder, wie ein Schauspieler in einer elisabethanischen Tragödie, wie jemand, der mit einer Schreckensbotschaft in den Burgfried stürzt. »Meine Schwester!« und »Meine arme Schwester!« und »Meine kleine Schwester!«

Doch dann waren Schweigen und Verschweigen heruntergegangen wie ein Rolladen, der sich nach Veras Tod kurz hob, als wir, nach Anbruch der Dunkelheit in einem geschlossenen Raum beieinandersitzend wie Verschwörer, von Josie hörten, was sich an jenem Apriltag zugetragen hatte. Er sprach nie mehr davon. Die Zwillingsschwester war aus seiner Erinnerung getilgt, und er machte sich – unglaublich, aber wahr – zum Einzelkind. Ich hörte ihn zu jemandem sagen, er habe es nie bedauert, keine Geschwister zu haben.

Erst als er krank und selbst dem Tode nahe war, holte er wieder Erinnerungen an seine Schwester hervor. Sein Schlaganfall hatte wie in einer physiologischen Reaktion Hüllen der Reserve, der Hemmungen von ihm geschält, brachte ihn [10] manchmal zum Lachen und ebenso oft zum Weinen und setzte pausenloses Geplapper über seine Empfindungen in jenem Sommer frei. Aus seiner früheren Liebe zu Vera waren in den repressiven Jahren Abscheu und Furcht geworden, seine Illusionen waren ebensosehr an dem Hin und Her und Edens Unmoral zerbrochen – seine Worte, nicht die meinen – wie an dem Mord selbst. Meine Mutter hätte sagen können (sagte es aber nicht), daß er endlich seine Schwestern so sah, wie sie wirklich gewesen waren.

Er stand auf. Der Tee war erst halb getrunken, die zweite Scheibe Toast lag mitten auf seinem Teller, der Telegraph lag, ordentlich gefaltet, pingelig genau ausgerichtet, an der Tischkante. Er sagte kein Wort zu meiner Mutter und mir. Er ging nach oben, kam herunter, die Haustür schlug hinter ihm zu. Er wird durch die grünen Straßen gehen, dachte ich, wird Umwege machen, den knappen Kilometer zum Bahnhof auf das Doppelte dehnen, sich vor der Zeit an Orten verbergen, wo es keine Uhren gab. Und dann merkte ich, daß er die Uhr auf dem Tisch hatte liegenlassen. Ich griff nach der Zeitung, und darunter lag die Uhr.

»Wir hätten irgendwohin fahren sollen«, sagte ich.

»Wozu?« erwiderte meine Mutter heftig. »Sie war kaum je hier, wie kämen wir dazu, uns von ihr vertreiben zu lassen?«

»Ich meine ja nur«, sagte ich.

Ich überlegte, welche Uhr wohl richtig ging, die Wanduhr, die auf fünf vor acht stand, oder die Armbanduhr meines Vaters, auf der es drei vor war. Meine Uhr war oben. Die Zeit vergeht so langsam in solchen Augenblicken. Ich hatte den Eindruck, noch eine Ewigkeit vor mir zu haben. Meine Mutter stellte das Geschirr aufs Tablett und ging damit in die Küche, sie tat es geräuschvoll, unter heftigem Tassengeklapper, das war ihre Art darzutun, daß sie nichts dafür konnte. Sie selbst war unschuldig, war durch die Heirat in diese Familie hineingezerrt worden, ahnungslos. Für mich war es etwas anderes, ich war von deren Blut.

[11] Ich ging hinauf. Meine Uhr lag auf dem Nachttisch. Sie war neu, ein Geschenk meiner Eltern zum Examen. Daß es wegen des Geschehenen nicht so gut ausgefallen war, wie alle erwartet hatten, darüber hatte niemand ein Wort verloren. Das Zifferblatt war klein, nicht viel größer als die Gruppe kleiner Brillanten auf meinem Verlobungsring, der danebenlag, und man mußte nah herangehen, um die Zeiger erkennen zu können. Gleich, dachte ich, wird der Himmel herabstürzen, es wird einen lauten Donnerschlag geben, die Natur kann so etwas doch nicht einfach ignorieren. Nichts geschah. Nur die Vögel waren verstummt, wie immer um diese Zeit, wenn sie ihre Gebietsansprüche angemeldet, sich auf ihren Bäumen niedergelassen und ihren normalen Tageslauf begonnen hatten. Wie würde mein Tageslauf aussehen? Eins, dachte ich, werde ich tun, ich werde Helen anrufen, ich werde mit Helen reden. Es war typisch für meine Einstellung zu Verlobung und künftiger Ehe, daß ich mich trostsuchend Helen und nicht dem Mann zuwenden wollte, der mir den Ring mit dem zifferblattgroßen Brillantencluster geschenkt hatte.

Ich ging zum Nachttisch, steif und theatralisch wie eine schlechte Schauspielerin in einer Laienaufführung. Der Regisseur hätte Halt gesagt und verlangt, ich solle es noch einmal machen, solle Weggehen und es noch einmal machen. Fast wäre ich weggegangen, um die Zeit nicht zu sehen. Doch dann griff ich nach der Uhr und sah hin und begriff mit einem Gefühl des Taumelns und Stürzens, das durch meinen ganzen Körper ging, daß ich den Augenblick verpaßt hatte. Es war alles vorbei, und sie war tot. Die Zeiger der Uhr standen auf fünf nach acht.

Der einzige Tod, den man bis auf die Minute genau Voraussagen kann, war eingetreten, der Tod, der sich sein Opfer holt.

…mit den Füßen voran durch den Boden,

in einen leeren Raum.

[12] 2

Dreimal in den letzten fünfunddreißig Jahren hatte ich ihren Namen gedruckt gesehen. Einmal stand er als Headline über der Fortsetzung einer Artikelserie über Frauen, die man im Lauf dieses Jahrhunderts in England gehängt hatte. Ich saß in der U-Bahn und sah von der Seite auf die Boulevardzeitung meines Nebenmannes. Die Buchstaben ihres Namens sprangen mich an, fett, schwarz, kerzengerade, es gab mir einen spürbaren Ruck. Bei der nächsten Station stieg ich aus. Einerseits hätte ich mir liebend gern die Zeitung gekauft – damals war es der Star –, andererseits hatte ich Angst davor, und die Angst gewann die Oberhand. Vorher schon war sie in der Times gewesen, als die Abschaffung der Todesstrafe das große Thema des Tages war. Ein Abgeordneter erwähnte sie in der Debatte, und auf diesem Wege gelangte sie in den Parlamentsbericht. Zuallererst aber hatte ich ihren Namen auf einem Buch aus der Leihbücherei gelesen.

VERA HILLYARD stand auf dem Buchrücken – zusammen mit RUTH ELLIS, EDITH THOMPSON und zwei oder drei anderen. Vorsichtig nach allen Seiten blickend, ob mich auch niemand beobachtete, nahm ich den Band aus dem Regal. Ich hielt ihn in der Hand, spürte sein Gewicht, seine Form, aber ihn auszuleihen, ihn aufzuschlagen und zu lesen – dieser Schritt schien mir zu gewagt. Ich würde warten. Ich würde mich vorbereiten, würde entspannt, objektiv an die Sache herangehen. Zwei Tage später ging ich wieder in die Bibliothek; das Buch war ausgeliehen. Als ich es endlich bekam, hatte ich Ängste und Tabus überwunden und mich in Erregung hineingesteigert. Inzwischen wollte ich unbedingt wissen, was ein Außenstehender über meine Tante zu sagen hatte.

[13] Es war eine Enttäuschung und mehr als das. Der Verfasser lag völlig falsch. Er hatte die Atmosphäre schief gerückt, hatte nichts von der besonderen Prägung unserer Familie vermitteln können – und vor allem hatte er das Thema verfehlt. Ich war so wütend und empört, daß ich wild entschlossen war, einen ganzen Tag lang, ihm zu schreiben und ihm klarzumachen, daß Vera keine eifersüchtige Hexe und Eden kein mißhandeltes Unschuldslamm gewesen war. Doch der Brief blieb ungeschrieben, das Ende des Buches ungelesen, denn inzwischen hatte ich begriffen, daß schon diese wenigen Kapitel etwas für mich bewirkt, mir zu einer Art Katharsis verholfen hatten. Es war wie ein Exorzismus, der mich mit der Wahrheit konfrontierte, mich so weit brachte, daß ich mir sagte: Sie war bloß deine Tante, es berührt dich nur mit Abstand, du kannst daran denken, ohne daß es wirklich weh tut. Und es blieb nicht beim Sagen, ich merkte, daß es sich tatsächlich so verhielt. Ich war nicht, wie die anderen, die ihr so viel näher gestanden hatten, mit Leib und Seele, in Liebe und Haß in den Fall verwickelt. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, selbst etwas zu schreiben, gewissermaßen den Bericht eines Insiders über den Fall Vera und seine lange Vorgeschichte.

Wenn da nicht Jamie gewesen wäre… Damals hatte ich mich noch nicht mit ihm getroffen, hatte noch nicht an Landors Grab mit ihm gesprochen. Der Verfasser des bewußten Buches hatte ihn als eine Schachfigur geschildert, die weder Liebe noch Schmerz kannte, nicht so sehr ein Kind als eine hölzerne Puppe, eine Marionette, eine belanglose Erscheinung, weil er nicht Zeuge des Mordes geworden, sondern gerade noch rechtzeitig weggerissen und aus dem Zimmer getragen worden war. Ich hatte in den Jahren, als er vom Kind zum Mann geworden war, kaum einmal an ihn gedacht – unfaßbar, daß ich einst die leise Hoffnung gehegt hatte, seine Patentante zu werden. Nachdem ich aber den Bericht in dem Bibliotheksband gelesen hatte, diesen Bericht, der so ungenau, so verlogen war, daß man den Eindruck haben [14] konnte, es sei von einer ganz anderen Familie die Rede, begann ich mich in Gedanken mit ihm zu beschäftigen. Ich begriff, daß er für etliche Familienmitglieder zur Belastung geworden war. Er war der Katalysator, der die Katastrophe ausgelöst hatte. Sie haben sich wohl gedacht, daß es besser gewesen wäre, wenn er nie das Licht der Welt erblickt hätte – besser auch für ihn, und das ist ein schlimmer Gedanke. Unter diesen Umständen war es – aus seiner Sicht und auch aus der Sicht der anderen – vermutlich am vernünftigsten, ihn möglichst weit weg verschwinden zu lassen. Damals überlegte ich vage, ohne einen festen Plan, daß ich irgendwann einmal, wenn ich in Italien war, versuchen würde, ihn aufzusuchen.

Zum Teil war er, seine Existenz, die Tatsache, daß er am Leben und jetzt ein Mann, ein leidensfähiger Mensch war, der Grund, daß ich nichts Eigenes zu Papier brachte. Überdies wußte ich nicht recht, ob es mir gelingen würde, Veras Leben wieder erstehen zu lassen. Erinnerungen hatte ich zwar genug, aber dazwischen klafften auch große Lücken in der Vergangenheit. Jahrelang hatte ich mich – gerade in Phasen, die entscheidend waren für die unheilvolle Konvergenz der Ereignisse – kaum in Sindon aufgehalten, in jenem Winter zum Beispiel, als Vera krank gewesen war, und im folgenden Jahr, als sie und Jamie Reißaus nahmen, die Flucht ergriffen wie politisch Verfolgte vor einem Tyrannen.

Chad hätte so etwas gekonnt. Er war Journalist, er verstand sich auf das Handwerkliche und hatte die Entwicklung und Erfüllung von Schicksalen ebenso gut beobachten können wie ich, nein, besser, denn er war ja ständiger Gast in Laurel Cottage, brachte es nicht fertig, dem Haus fernzubleiben, war fixiert auf einen Ort, ein Gebäude, wie ein Liebender, für den Stein und Mörtel vom Wesen des geliebten Menschen getränkt sind, so wie das Blut den Kinderzimmerboden getränkt hatte.

Wie wichtig war es mir überhaupt, so ein Buch über Vera? Immerhin war es mir mittlerweile ganz gut gelungen, sie zu [15] vergessen. Meine Kinder waren fast erwachsen, ehe sie erfuhren, daß Vera Hillyard ihre Großtante war – nein, ich muß es wohl anders sagen: ehe sie erfuhren, daß man eine Frau, die eine Tante ihrer Mutter war, wegen Mordes gehängt hatte. Den Namen Vera Hillyard hatten sie nie gehört. Und als sie es erfuhren, waren sie nicht schockiert, natürlich nicht, sie waren nur neugierig und fanden die ganze Sache ziemlich aufregend. Mein Mann und ich sprachen nie von ihr, und ich glaube, auch meine Mutter habe ich »danach« kein einziges Mal ihren Namen nennen hören. In all diesen Jahren tauchte Vera nur hin und wieder in meinen Träumen auf, dann war ich wieder ein Kind, kam an einem warmen Sommerabend von einem Besuch bei Anne zurück nach Laurel Cottage, wurde gerügt, weil es so spät geworden war, oder in dem für Vera typischen ungeduldig-scharfen Ton gefragt, ob ich mir denn einbildete, am nächsten Morgen aufnahmefähig für den Unterricht zu sein. Oder ich öffne eine Traumtür zu einem Traumzimmer, in dem Vera sitzt, madonnengleich, in heiterstrahlender Gelassenheit, den Säugling Jamie an einer nackten Brust. Das Kind sieht mich nie an, es wendet das Gesicht ab oder deckt den Arm darüber, aber es ist Jamie, und alle Wege führen immer zurück zu ihm.

Wir hatten ein Hotel an der Via Cavour. Später erfuhr ich von Jamie, daß Francis dort abgestiegen war, als sie sich nach zwanzigjähriger Trennung wiedersahen. In Francis’ Zimmer hingen zwei Bilder, häßlich-abstrakte Machwerke, prätentiös und grell in den Farben. Er besorgte sich zwei schmale weiße Klebestreifen, schrieb auf den einen »Schnitt durch einen Mitesser«, auf den anderen »Inhalt eines Abflußrohrs der Borgo Pinti« und klebte sie sorgsam auf die Bilder. Ich solle doch versuchen, mal einen Blick in Zimmer 36 zu werfen, sagte Jamie. Tatsächlich – die Aufkleber waren noch da: Contenti d’un Canale dal Borgo Pinti, und der andere, dessen italienischen Wortlaut ich vergessen habe. Kein [16] Zimmermädchen, kein Page hatte sie je entdeckt, und wenn Gäste die Beschriftung gesehen und sich gewundert hatten, so hatten sie jedenfalls die Geschäftsführung nie darauf angesprochen. Das war wieder mal typisch Francis. Jamie amüsierte sich köstlich darüber, er lachte sein schrilles, hicksendes Lachen beim Gedanken an Francis’ Späße und Streiche. Sie hatten sich wahrhaftig angefreundet, diese beiden, und das war etwas, was nun wirklich niemand erwartet hätte.

Ich hatte Jamie über zwanzig, fast fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr gesehen. Natürlich wußte ich, daß er in Italien lebte und ihn eine besondere Beziehung mit diesem Land verband, seitdem er seine Schulferien regelmäßig im Haus der Contessa verbracht hatte. Nach dem Schulabschluß hatte er einige Zeit in London gewohnt, bei einer anderen Pearmain-Verwandten, dann hatte Tony ihn zum Studium nach Bologna geschickt. Er mußte ja immer verborgen gehalten werden, denn er war eine Belastung, eine Mahnung. Ich glaube, Tony hat ihn in dieser Zeit nie persönlich gesprochen, sondern hat mit ihm über Anwälte verkehrt, als sei er eins dieser in die Kolonien abgeschobenen schwarzen Schafe aus einem viktorianischen Roman, nur daß Jamie sich gar nichts hatte zuschulden kommen lassen. Vielleicht war es aber auch nicht so oder nicht ganz so, oder es war in Einzelheiten völlig anders. Jamies Leben ist und bleibt ein Geheimnis – schon seine Existenz gibt Rätsel auf.

Patricia erzählte mir, er sei Journalist und als Kriegsberichterstatter in Vietnam gewesen. Nein, widersprach Helen, James sei an der Biblioteca Nazionale beschäftigt und habe sich dort an der Rettung kostbarer Bücher beteiligt, als der Arno im November 1966 in die berühmte Bibliothek eindrang. Francis hätte uns vielleicht sagen können, wie es sich wirklich verhielt, aber keiner von uns hatte Kontakt zu Francis, nicht einmal Helen stand regelmäßig mit ihm in Verbindung. Die einzige Ausnahme war Gerald, Francis’ Vater. Und Gerald müsse schon damals »ein bißchen komisch« gewesen [17] sein, meinte Helen, denn ihm hatte Francis angeblich erzählt, Jamie sei Koch geworden.

ln all diesen Überzeugungen steckte, wie das bei Überzeugungen meist zu sein pflegt, ein Stück der ganzen Wahrheit. Ich fuhr nach Florenz, ohne auch nur an ein Zusammentreffen mit Jamie zu denken. Dies war mein dritter oder vierter Besuch, und bislang hatte ich mich immer auf die flüchtige Überlegung beschränkt, daß wir, Jamie und ich, uns nun ein paar Tage am gleichen Ort aufhalten würden. Doch dann kauften wir uns in Pisa, weil wir den Anschluß nach Florenz verpaßt hatten und die Zeit irgendwie totschlagen mußten, eine Zeitung, La Nazione, und auf einer der Innenseiten las ich Jamies Namen: James Ricardo. Seine Verfasserzeile (wie das bei den Journalisten heißt, das hatte ich vor vielen Jahren von Chad Hamner gelernt) stand unter einem Titel, der übersetzt »Köstliche Kruste« heißt – es handelte sich um ein Rezept für die Herstellung von pâté sablé. Jamie war also wirklich Journalist, er war Koch, und später hörte ich von ihm selbst, daß er tatsächlich zu den Bücherrettern gehört hatte.

Nachdem wir in Florenz angekommen waren, suchte ich im Telefonbuch nach ihm. Es waren viele Ricardos darin, aber nur ein James. Ich hatte Hemmungen, ihn anzurufen. Wer einen unwillkommenen Anruf erhält, kann kurzerhand auflegen, aber bei einem Brief kann einem nichts weiter passieren, als daß man keine Antwort bekommt. Ich schrieb ihm ein paar Zeilen. Damals wohnte er noch nicht in den Orcellari-Gärten – das Restaurant Otello ist dort an der oberen Ecke –, sondern in einer Querstraße der Viale Gramsci, wo einst die Porta a’ Pinti stand. Jamie schrieb postwendend zurück. Er hatte von mir gehört, Francis hatte von einer Cousine erzählt und gesagt, wir hätten einander gekannt, als er klein war, aber daran konnte er sich nicht erinnern. Ob wir uns nicht treffen könnten. Er werde mich um drei im Englischen Friedhof erwarten.

[18] »Warum kann er dich nicht zu sich nach Hause einladen oder hierherkommen, wie man das als normaler Mensch macht?« fragte mein Mann.

Vielleicht, meinte ich, machte es ihm Spaß, den Geheimnisvollen zu spielen, da doch sein ganzes Leben und seine Herkunft geheimnisumwittert waren. Er schätzte wohl das Hintergründige.

»Aber ich schätze es nicht besonders, wenn meine Frau sich zu einem Rendezvous mit komischen Kochkolumnisten auf einen Friedhof begibt«, sagte er. »Sei vorsichtig, wenn du über die Piazza gehst, der Verkehr ist mörderisch.«

Mitkommen aber wollte er nicht, er fürchtete, Jamie könne sich zu einem zweiten Francis entwickelt haben. Stattdessen ging er Schuhe kaufen.

Der Cimitero Protestante di Porta a’ Pinti, auch der »Englische Friedhof« genannt, obgleich dort auch Amerikaner und Polen und viele Schweizer bestattet sind, steht wie eine hügelige grüne Insel mitten auf der Piazza Donatello, vom Verkehr umstrudelt wie von einem Mühlbach. Es war ein klarer, sonniger Tag mit blauem Himmel und für unser Gefühl sommerlichen Temperaturen. Die Florentiner empfanden es anders; sie hatten jetzt, Ende September, nach Monaten wirklicher Hitze, schon ihre winterlichen Leder- und Wollsachen hervorgeholt. Die eisernen Tore waren geschlossen, aber als der Friedhofswärter mich sah, kam er heraus, schloß auf und zeigte mir den Weg durch den überwölbten Torbogen im Pförtnerhaus zu den Gräbern auf der anderen Seite.

Es war nicht still auf dem Friedhof, keine hundert Meter weiter toste ja der Straßenverkehr, aber man hatte den Eindruck von Stille, den Eindruck eines Strebens nach Stille. Das lag wohl an den Reihen der blassen, hellgrauen Grabsteine und den schlanken Zypressen. Ich sah Jamie zunächst nicht, der Friedhof schien leer zu sein. Langsam ging ich den Weg entlang auf Kaiser Friedrich Wilhelms Marmorsäule zu, vorbei an Elizabeth Barrett Brownings Grab, dabei sah ich ein [19] bißchen argwöhnisch nach rechts und links, ich fühlte mich jetzt exponiert, beobachtet. Doch Jamie beobachtete mich nicht; er hielt nicht einmal nach mir Ausschau. Ich sah ihn, als ich kehrtmachte, auf dem Grab von Walter Savage Landor sitzen; er las – was Wunder! – Brillat-Savarins berühmtes gastronomisches Werk La Physiologie du goût.

Daß Landor dort lag, hatte ich nicht gewußt. Chad hatte ihn an Edens Hochzeitstag zitiert, unten am See im Garten von Walbrooks: »Es gibt keine Stimme, wie klangvoll auch immer, die nicht bald verstummt; keinen Namen, und werde er auch in noch so leidenschaftlicher Liebe wiederholt, dessen Echo nicht letztlich erstirbt.« Das Echo von Edens Namen war erstorben. Ich hatte den Klang von Chads Stimme vergessen, nur an sein Gesicht erinnerte ich mich noch und an seine Hadriansohren. Jetzt hatte Jamie mich bemerkt. Er sah mich an und stand auf.

»Ja«, sagte er. »Du siehst aus wie eine Longley. Ich hätte dich als eine Longley erkannt. Nach Bildern natürlich.«

Ich streckte ihm die Hand hin, und er schlug ein.

»Nachmittags bin ich oft hier«, sagte er. »Es ist friedlich, aber nicht stockstill. Hier ist nicht viel Betrieb, die meisten Leute haben Angst vor Friedhöfen.« Und zum ersten Mal hörte ich sein eigenartig wieherndes Lachen. »Es wäre dir wahrscheinlich lieber gewesen, wenn ich dich in mein Apartment gebeten hätte.«

Der amerikanische Ausdruck mutete seltsam an in Jamies Stimme, der man die englische Nobelschule anhörte, die aber auch italienische Beiklänge hat, besonders beim r. Es ist ein bißchen zu liquide, sein r, sitzt zu hoch am Gaumen. Aber nein, sagte ich, es sei schön, daß man sich im Freien aufhalten könne, in England komme man wenig genug dazu.

»Ich war vierzehn Jahre nicht mehr drüben«, sagte er, »und ich glaube, jetzt lasse ich es ganz. Der Gedanke an England erfüllt mich mit Abscheu.«

Es wirkt recht beunruhigend, dieses Lachen, nachdem er [20] etwas ganz und gar nicht Lächerliches gesagt hat. Er lacht genauso, wenn er sich freut oder amüsiert. Jetzt erstarb das Lachen, und er fixierte mich. Plötzlich zuckte seine rechte Hand zur linken Schulter, er sah, daß ich der Bewegung folgte, nahm die Hand weg und lachte wieder. Er ist ein untersetzter, allmählich verschlampender, nicht sehr großer Mann, der älter wirkt, als er ist. Auch vom Aussehen her hat er etwas Italienisches mit seinem runden, vollen, blassen Gesicht, den roten Lippen und dem dunklen, lockigen Haar. Und wenn man es recht bedenkt, war diese Entwicklung voraussehbar. Als Kind hatte er helles Haar, aber auch damals schon einen olivfarbenen Teint. Die Augen, damals von den Erwachsenen neugierig-verstohlen beobachtet, voller Spannung, ob die Farbe bleiben oder wechseln würde, sind von einem dunklen, samtig leuchtenden Braun. Tieraugen – aber wild, nicht sanft. Bei jener Begegnung auf dem Englischen Friedhof erinnerte er mich ein bißchen an Chad, aber das ist im Grunde albern. Eine echte körperliche Ähnlichkeit gab es nicht, und Jamie war zu jung für Falten an den Ohrläppchen. Der gemeinsame Nenner war vielleicht der Eindruck ungestillten Begehrens, eines kaputten, unerfüllten Lebens.

Ich setzte mich zu ihm, und er bat mich zaudernd, als habe die Neugier über seine bessere Einsicht gesiegt, ihm von unserer Familie zu erzählen – von meiner Familie, die auch die seine war. Ich begann zu erzählen, mit der gebotenen Vorsicht, auf dem langen Fußweg über die Cavour hatte ich mir dieses und jenes zurechtgelegt. Ich würde weder Goodney Hall erwähnen, hatte ich beschlossen, noch den Namen seiner Mutter oder jener Männer, die er sich zu Feinden gemacht hatte – ohne seine Schuld, nur durch sein Da-Sein, durch Eifersucht und Groll und verletzten Stolz. Meine Mutter lebte damals noch, ich sprach von meinen Eltern, von Helen und ihren Kindern und ihrer Enkelin.

»Daß ich mich Richardson genannt habe, geht auf Tante [21] Helen zurück«, sagte er. »Pearmain kümmerte sich nicht darum, dem war es völlig egal, wie ich mich nannte.« Er lachte wiehernd, und der vehemente Abscheu, mit dem er Tony »Pearmain« nannte, machte mich frösteln. Wieder hob er die rechte Hand, wischte unsichtbaren Schmutz von der Schulter. »Zia Francesca hat mir gesagt, wie gern er Kinder hatte. Sie hat mich wohl damit darüber hinwegtrösten wollen, daß ich in den Ferien bei ihr war statt bei ihm. Er hat zu viel zu tun, um sich um dich zu kümmern, aber eigentlich ist er sehr kinderlieb. Hast du gewußt, daß er ein großes Tier im Save the Children Fund war, der großen Kinderhilfsorganisation? Alle Kinder dieser Welt hat er geliebt, nur mich nicht. Pech für ihn, wie?«

Jamie schwieg, sah in die Sonne, auf die schwarzen Schatten der Zypressen, schmale parallele Striche wie Gitterstäbe eines Käfigs. »Tante Helen hat mir immer erzählt, was für wunderbare Menschen ihre Großeltern waren. Ich kannte nicht viele wunderbare Menschen, und als Pearmain eines Tages – unheimlich steif und verklemmt – ankam und sagte, jetzt, wo ich ins Internat käme, sei das nichts mehr mit meinem Nachnamen, und was hielte ich von James Smith, da habe ich geantwortet, nicht Smith, sondern Richardson, und ihm war das schnuppe. Seither nannte ich mich Richardson, später habe ich es in Ricardo ändern lassen. Was glaubst du, was dabei herauskommt, wenn ein Ithaker Richardson sagt…«

Er ist praktisch selbst Italiener, trotzdem nennt er die Italiener Ithaker, mit einem ordinären Cockneygrinsen. Sein Mangel an Charme schien mir das Absurde unserer Begegnung auf einem Friedhof noch zu unterstreichen. Die edlen Grabsteine, die Zypressen, der blaue Himmel, das Pförtnerhaus mit dem Terrakottadach hätten den idealen Hintergrund für einen hochgewachsenen, gut aussehenden byronschen Menschen abgegeben, einen Mann von Würde und Charakter. Und ich überlegte, daß damals, als ich den fünfjährigen Jamie zum letzten Mal gesehen hatte, eine solche [22] Entwicklung durchaus möglich gewesen wäre. Doch da ballten sich die schrecklichen Dinge, die dann geschahen, schon zusammen, sie drängten sich am Tor, wo sie gelauert hatten, schon ehe er geboren war.

»Ich kann mich an nichts erinnern, was vor meinem sechsten Lebensjahr liegt«, sagte er. »Meine ersten Erinnerungen stammen aus diesem Sommer, als ich sechs war und ständig mit zwei Frauen zusammen sein mußte, die ich nicht leiden konnte.«

»Mrs.King und deine Nanny«, sagte ich.

»Ja, vermutlich. Ab und zu kam Pearmain und sah mich prüfend an wie einen Hund, den man in Quarantäne gesteckt hat.«

Jetzt hätte ich gern Veras Namen genannt, aber ich fürchtete mich davor. Das Bild des kleinen Jungen – er war so ein aufgeweckter, lebhafter, braver kleiner Kerl gewesen – allein in Goodney Hall, mit den beiden bezahlten Wärterinnen, ging mir unverhältnismäßig nahe. Es war doch schließlich lange her, war längst Vergangenheit. In meiner Angst, meinem Kummer wollte ich davon sprechen, daß ihm gewiß die Mutter gefehlt hatte, aber die Worte wollten mir nicht über die Lippen, und daran war nicht nur meine Bewegung schuld, sondern auch der nagende Zweifel, wie und mit welchen Ausdrücken diese Bekundung des Mitleids zu formulieren sei. Er kam mir zu Hilfe.

»Wollen wir irgendwo einen Kaffee trinken?«

Ich schüttelte den Kopf. Kaffee gehört zu den wenigen Dingen, die ich an Italien nicht mag. Cappuccino kommt für mich nicht in Frage, weil ich keine Milch trinke. Gegen Espresso hätte ich nichts einzuwenden, wenn sie ihn Viertelliter- und nicht teelöffelweise servieren würden.

»Wenn du das nächste Mal nach Florenz kommst«, sagte Jamie, »koche ich etwas für dich.«

Das war eine Ehre, die ich zu schätzen wußte. In diesem Land der haute cuisine hatte er, der Engländer, sich als Koch [23] und Berater von Köchen einen Namen gemacht. Ich mußte an Vera denken und ihre herausragenden Leistungen in dem einzigen kulinarischen Bereich, in dem die Engländerin sich auszeichnet, in der Kunst des Backens. Ich sah sie mit dem gekneteten, ausgerollten Mürbeteig auf der graugeäderten Marmorplatte, die marmorne Nudelrolle mit den Holzgriffen in der Hand, ich schmeckte ihre Zitronencremetörtchen, ihre hauchzarten Biskuits, all die anderen Herrlichkeiten, die es zum Tee gab.

Jamie versetzte mir einen Schock. »Meine Mutter war eine gute Köchin«, sagte er.

Es war, als säße man einem Menschen gegenüber, von dem man weiß, daß er geistig gestört ist, der aber so vernünftig redet und agiert, daß man die Psychose, die Schizophrenie vergißt, bis man jäh und nachdrücklich durch eine Bemerkung, die jenseits jeder Normalität ist, daran erinnert wird. Dabei war Jamie durchaus nicht verrückt, im Gegenteil, er war sogar bemerkenswert normal. Es war eher so, daß seine Worte eine Tür ins Unglaubhafte geöffnet hatten; die Reaktion war zunächst furchtbarer Schreck, dann Mitleid, wie man es für Menschen empfindet, die Trost aus einem Wahn schöpfen.

Seine Augen, Augen wie die eines Bären, sahen mich wieder voll an. Er sprang auf, streifte rasch über seine Schulter.

»Komm«, sagte er, »ich zeige dir die Gräber, ich zeige dir Isa Blagden und Mrs.Holman Hunt.«

Er begleitete mich noch eine weite Strecke über die Borgo Pinti, dabei erzählte er mir die Geschichte von Francis und den Bildern und fragte mich, ob die Beschriftungen noch da seien. Wir schüttelten uns wieder die Hand und waren drauf und dran, uns zu trennen, doch dann sagte er – zum ersten Mal spürbar befangen:

»Wenn jemand mal über all das schreiben möchte – du weißt schon, was ich meine – und wenn sie sich an dich wenden… ich meine, das ist doch durchaus möglich… ich hätte [24] nichts dagegen. Ich weiß nicht, wie Francis darüber denkt, aber ich hätte nichts dagegen, wirklich nicht, ich würde es sogar begrüßen, damit das Ganze mal klar wird. Mir liegt sehr viel an der Wahrheit.«

»Aber du sagst doch, daß du dich nicht erinnern kannst«, wandte ich ein.

Sein Lachen hallte in der schmalen Straße wider, Passanten drehten sich nach uns um. Er verabschiedete sich und ging davon.

Ich teilte Jamies Meinung, daß ein potentieller Biograph von Vera sich unbedingt an mich wenden würde, nicht. Erstens war es gar nicht so einfach, mich zu finden, denn seit Veras Tod habe ich zweimal den Namen gewechselt. Zweitens bin ich nur die Nichte; sie hat einen Sohn, einen Ehemann, eine Schwester hinterlassen. In Helens Alter ist das Leben zu einem zerbrechlichen Gut geworden, ist jeder Tag ein nur noch halb erwartetes Geschenk, weiß man, daß es keine nennenswerte Zukunft mehr gibt. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist dahin, aber an alles, was in der Vergangenheit liegt, erinnert sie sich genau, und geistig kann ihr niemand aus meiner Bekanntschaft – ob alt oder jung – das Wasser reichen. Trotzdem nahm ich sie nicht so recht ernst, als sie mir sagte, ich müsse mit einem Brief und einer Anfrage rechnen. Daß dieser Schriftsteller Daniel Stewart ein Buch über Vera plante und Helen um Informationen dafür gebeten hatte, war ja möglich, aber von mir würde er bestimmt keine Notiz nehmen. Außerdem schwor Helen heilige Eide, daß nicht sie ihm meinen Namen genannt hatte. Wer dann? Jamie?

Stewart ist ein gängiger Name, ich habe in all diesen Jahren viele Stewarts und Stuarts kennengelernt, aber jetzt, da ich ihn am Ende dieses Briefes sehe, muß ich an Maria Stuart denken, deren Lebensgeschichte Anne und ich aufgeführt hatten, an Steuart, den Baumeister von Goodney Hall, worauf sich Eden und Tony immer viel eingebildet haben. Dem Brief liegt [25] ein Buch bei: Peter Starr, der mißverstandene Mörder, von Daniel Stewart, Verlag Heinemann, neun Pfund fünfundneunzig.

Auf dem gedruckten Briefbogen steht eine Londoner Adresse, nicht einmal weit von uns, am anderen Ende der Cromwell Road.

Sehr geehrte Mrs.Severn, inzwischen haben Sie vielleicht schon von anderer Seite gehört, daß ich eine biographische Neubewertung des Falls Vera Hillyard plane. Ihren Namen und Ihre Adresse verdanke ich Ihrem Vetter Dr.Frank Loder Hills, der selbst allerdings keinen Beitrag leisten möchte…

Natürlich Francis… Vermutlich nur, um Ärger zu machen und, wie mein Mann meint, mich und Stewart zu verklagen, wenn wir ihn verleumden. Er habe das Gefühl, fährt Stewart fort, daß Vera in mancher Beziehung verkannt worden sei. Offenbar hat er sich auf das Wiederaufrollen von Mordfällen spezialisiert, auf eine Darstellung aus neuer Sicht, aus der Sicht des Täters, wie er es nennt.

Mr.James Ricardo, Via Orti Orcellari, Florenz, hat zugesagt, etwas über seine frühen Erinnerungen für mich festzuhalten. Mr.Anthony Pearmain befindet sich zur Zeit im Fernen Osten, aber…

Im Fernen, im Fernen… Nie wieder habe ich diesen geographischen Gemeinplatz in der Zeitung, im Radio oder im Fernsehen lesen oder hören können, ohne an meinen Vater am Morgen von Veras Hinrichtung zu denken, wie er laut, mit der tonlosen, sinnlosen Stimme eines Hirtenstarvogels aus der Zeitung vorlas. »Im Fernen…«, sagte er, hielt inne, legte die Zeitung zusammen und saß stumm da.

[26] Mrs.Helen Chatteriss hat mir bereits einen biographischen Abriß zur Verfügung gestellt, und Mr.Chad Hamner hat zugesagt, einige eigene Eindrücke niederzuschreiben. Seine Absicht, selbst eine Biographie über Vera Hillyard zu verfassen, hat er inzwischen aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes aufgegeben.

Wenn Sie so liebenswürdig wären, mein Buch über Peter Starr zu lesen, und falls Sie sich durch die Lektüre von meiner Befähigung für diese Art von Reportage überzeugt haben, würde ich Ihnen gern den Entwurf meines ersten und zweiten Kapitels schicken. Das erste Kapitel schildert den eigentlichen Mord. Da Sie zu jener Zeit nicht auf Goodney Hall weilten, ist mir klar, daß Sie die Richtigkeit der Darstellung nicht beurteilen können. Die einzige noch lebende Augenzeugin ist Mrs.June Stoddard, die selbst einräumt, daß sie nur recht konfuse Erinnerungen an die bewußten Vorfälle hat.

Im zweiten Kapitel versuche ich mich an einem Stück Familiengeschichte, das zu Lebzeiten Ihres Urgroßvaters William Longley einsetzt. Eine Bestätigung dieser Darstellung durch Sie wäre für mich von unschätzbarem Wert, ebenso eventuelle Richtigstellungen. Sie werden sehen, daß ich mich weitgehend auf Korrespondenz stütze, die im Besitz von Mrs.Chatteriss und der Familie Hubbard ist, außerdem habe ich auf Informationen in dem Vera Hillyard betreffenden Abschnitt des Buches von Mary Gough-Williams, Frauen und die Todesstrafe, zurückgegriffen.

Sein Brief endet recht unvermittelt. Als habe er beim Schreiben gemerkt, daß er praktisch schon von meiner Zusage ausgeht. Ja, ich werde ihm meinen Beitrag liefern – aber es widerstrebt mir zutiefst, ein Buch gewissermaßen zielgerichtet zu lesen. Diese Zeiten sind für mich längst vorbei, und damals, zur Zeit des Mordes auf Goodney Hall, schien meine Pflichtlektüre mir der Mühe wert, es war Literatur und gehörte zum Besten, was je geschrieben worden ist. Ein ziemlich [27] vernichtendes Urteil über Stewarts Buch… Dabei ist es nicht schlecht, nein, wirklich nicht. Es ist klar und geradlinig geschrieben, ohne Schnörkel oder billige Effekthascherei. Starrs Leben war sensationell genug, es hatte Übertreibungen nicht nötig, und bei Vera verhielt es sich ebenso. Ich werde es nicht zu Ende lesen, das ist nicht notwendig, ich weiß schon jetzt, daß ich ihm Zusagen werde. Ich habe genug gelesen, um zu wissen – oder zu hoffen –, daß er sensibel und nicht zu hart sein wird, daß er Verständnis für die Qualen und Zwänge der Liebe hat.

Nach über einem Dritteljahrhundert ist sie in mein Leben zurückgekehrt. Helen und Daniel Stewart haben sie mir ins Haus gebracht, und hier ist sie nun, ein linkischer Gast, wie immer, wenn sie nicht unter ihrem eigenen Dach war. Ich sehe sie fast vor mir, nicht jene junge, blonde, ernsthafte Vera, die Aufnahmen in der »Kassette« zeigen, sondern meine magere, nervöse, pingelige und nur zu oft lächerliche Tante mit ihrer eigenartigen, so unverwechselbar typischen Bewegung, die unbewußt war wie ein Tick, unbewußt wie Jamies rasches, wischendes Streifen. Ich sehe sie die Handflächen zusammenpressen und sich wie in innerer Qual schwer auf die verschränkten Hände stützen. Immer wieder in den letzten Tagen hat sie mich veranlaßt, in das unbenutzte kleinste Zimmer unseres Hauses zu gehen, in dem die »Kassette« steht, hat mich gezwungen, den Deckel aufzuklappen und den Inhalt durchzusehen, innehaltend, um ein Bild anzuschauen oder eine Briefzeile zu lesen oder einfach in nostalgischer Tagträumerei zu betrachten, was mein Vater als Erinnerungen an seine Schwestern hinterlassen hat.

Was hätte die arme Vera zu dem sittlichen Klima unserer Tage gesagt? Ich sehe ihr Gesicht, den Ausdruck starrsinniger Skepsis, vor mir. Eine sexuelle Revolution hat die Welt verändert. Was ihr und Eden widerfahren ist, könnte heute nicht geschehen. Der Mord und das Mordmotiv waren in ihrer Zeit [28] verwurzelt, beides wäre heute nicht mehr denkbar, ja, ist der Jugend von heute schlichtweg unbegreiflich, wenn man sie nicht ausführlich über den damaligen Moralkodex aufklärt. Weil ich Vera bei mir habe, hier in diesem Haus, wie eines jener Gespenster, die sich nur dem einen Bewohner offenbaren, der eine Beziehung zu ihnen hat, habe ich versucht, meiner Tochter einen Teil der Geschichte zu erzählen, habe versucht, Erklärungen zu finden.

»Aber warum hat sie nicht…« So beginnen all ihre Einwände. »Warum hat sie es ihm nicht gesagt? Warum hat sie nicht einfach mit ihm gelebt? Warum wollte sie ihn überhaupt heiraten, wenn er so empfand?« Und: »Aber was hätte man ihr denn anhaben können?«

Worauf ich nur ziemlich lahm erwidern kann: »Damals war das eben anders.«

Es war anders. Weiß Stewart, der letztlich auch noch zu den Jungen zählt, wie anders es war? Und wenn er es nicht weiß, wird er es mir abnehmen? Oder werde ich ihm am Ende – und das halte ich inzwischen für sehr wahrscheinlich – nur die nackten Tatsachen liefern, offenkundige Schnitzer berichtigen und ein wenig in Erinnerungen schwelgen, während das eigentliche Buch, das Veras Leben ausmacht, weiterhin nur als Band in meinem eigenen Kopf abläuft?

[29] 3

Das Verbrechen ist geschehen, sie haben Vera gefesselt und ihr das Messer abgenommen, das Messer, das sie gegen sich selbst hatte richten wollen, und haben ihr die Hände gebunden. Gerade noch rechtzeitig ist Jamie aus dem Zimmer geschafft worden. Hat er da schon geweint? Hat er aufgeschrien, nach seiner Mutter gerufen? Darüber ist nie gesprochen worden, als sei das Geschöpfchen in Mrs.Kings Armen ein dumpf-willenloses kleines Bündel gewesen – und so war es ja vielleicht auch. Stewarts Schilderung ist völlig korrekt, es stimmt alles, sogar die Sachen, die Vera trug, aus Wolldecken und Vorkriegsresten zusammengestoppelt, selbst der Fries im Kinderzimmer, selbst das Blut, das auf das Blau und Weiß und auf das blanke Kamingitter spritzte.

Soweit ich das beurteilen kann. Ich war, wie er ganz richtig schreibt, nicht dabei.

Den Kern des Geheimnisses hat er auf konventionelle Art abgehandelt, hat sich ganz auf die akzeptierte Version gestützt. Darf man ihm diese harmlosen Vermutungen lassen? Oder soll ich ihm sagen, daß eine wichtige Frage noch ohne Antwort ist?

Jamie kennt die Antwort. Zumindest steht das in dem Brief, den ich heute von ihm bekommen habe. Eine leise Ahnung von dem, was er offenbar fest glaubt, kam mir schon bei unserem Gespräch auf dem Englischen Friedhof, aber da er wohl als der am schwersten betroffene und verletzlichste Darsteller dieses Dramas gelten muß, dürfte er kaum ein unparteiischer Richter sein, worauf er gewiß auch keinen Wert legt. Wie aber verträgt sich damit seine Behauptung, er könne sich an nichts erinnern, was vor seinem sechsten Lebensjahr liegt? Sicher nährt sich doch sein Glaube nur aus [30] dem Gefühl, aus nostalgischer Sehnsucht nach einem bewunderten und bewundernden Wesen, das er in seinen Träumen erblickt, an das er aber im Wachzustand keine Erinnerung hat.

In Stewarts zweitem Kapitel, der Chronik unserer Familie, findet sich kein Hinweis auf Jamie. Vielleicht hat sich Stewart vor diesem Punkt gedrückt, weil er nicht recht wußte, wo er ihn hätte unterbringen sollen.

In dem viktorianischen Landhaus in dem Dorf Great Sindon in Essex (schreibt Stewart) wohnten erst seit knapp dreißig Jahren Longleys, es wäre also abwegig, dieses Haus als Familiensitz zu bezeichnen. Arthur Longley hatte das Haus mit dem Geld gekauft, das seiner Frau zufällig zu dem Zeitpunkt seines erzwungenen Ausscheidens aus der Prudential Insurance durch eine kleine Erbschaft zugefallen war. Vorher hatten die Longleys ihre Wurzeln – wenn man von Wurzeln reden kann – in der geschäftigen Stadt Colchester gehabt. Dort betrieben sie seit Anfang des 19.Jahrhunderts das Schuhmacherhandwerk, in einem kleinen Haus mit Laden, fast im Schatten der Burg.

Colchester ist Englands älteste urkundlich belegte Stadt. Die Römer, gegen die dort Königin Boadicea kämpfte, nannten den Ort Camulodonum. Bei den Sachsen hieß er Colneceaste, der Fluß ist bis heute der Colne. Die Burg ist romanisch, ihr Bergfried stammt aus dem Jahr 1080, und wenn man an einem sonnigen Tag ihre Türme und Ziegeldächer betrachtet, könnte man fast meinen, in der Toskana zu sein. Heute führen zweispurige Autobahnen mit Zufahrten über einen Versuchszubringer mit doppeltem Kreisverkehr nach Colchester, an der Stadt selbst führt eine Umfahrungsstraße vorbei, auf der häufig der Stau schlimmer ist, als wenn man den Weg durch die Innenstadt nimmt. Colchester verfügt über mehrstöckige Parkhäuser mit roten Backsteinfassaden, die – nicht immer glücklich – mittelalterlichen Befestigungen [31] nachempfunden sind, und über ein gnadenloses System von Einbahnstraßen; innerhalb der alten römischen Wälle befindet sich ein als Fußgängerzone ausgebautes Gewirr alter Häuser.

Dort verfertigte und flickte William Longley seine Schuhe, in einer Zeit, die ganz anders war als die unsrige, friedlicher und geruhsamer. Später, als er es zu einigem Wohlstand gebracht hatte, ließ er in dem Raum hinter dem Laden drei Gesellen für sich arbeiten. Williams Laden ist noch da, in einer Sackstraße, die von der Short Wyre Street abgeht. Jetzt hat dort ein Wirtschaftsprüfer sein Büro. Die Tür zwischen Laden und Werkstatt ist ebenso erhalten wie die runde Glasscheibe von fünf Zentimetern Durchmesser im Eichenholz, durch die William beobachten konnte, ob seine Leute auch fleißig die Ahle hin und her gehen ließen.

William hatte 1859 Amelia Jackman aus Layer-de-la-Haye geheiratet. Drei Töchter wurden ihnen geboren, später kam noch ein Sohn hinzu, der Arthur William getauft wurde und eine sehr viel bessere Schule als sein Vater besuchen konnte. Trotzdem war er dazu bestimmt, später einmal das Geschäft zu übernehmen. Arthur aber, ein vielversprechender und beliebter Schüler an der 1539 von Heinrich dem Achten gegründeten Lateinschule, hatte andere Vorstellungen. Er erlag dem für den viktorianischen Arbeitnehmer dieser speziellen Prägung besonders verlockenden Zug zum Mittelstand, dem Hang zu dem, was wir heute Aufsteigertum nennen würden, und sein Vater legte ihm keine Steine in den Weg. William Longley nahm den Mann seiner Tochter Amelia ins Geschäft, und Arthur wurde Versicherungsvertreter bei der Prudential. Es war ein bescheidener Anfang; er machte seine Kundenbesuche mit dem Fahrrad und wohnte zu Hause bei seinen Eltern und seinen unverheirateten Schwestern.

Arthurs Ehrgeiz verhalf ihm nie zu üppigem Verdienst. Sein Bezirk war nicht wohlhabend, seine Provisionen blieben [32] deshalb klein. Wenn er sich später eines gewissen Wohlstands erfreute, verdankte er das der Ehe. Seine erste Frau war das einzige Kind des vermögenden Gutsbesitzers Abel Richardson. Die Bekanntschaft war nach traditionell romantischem Muster zustandegekommen. Bei einem Ausritt in der Nähe von Stoke-by-Nayland war Maud gestürzt, und just in diesem Augenblick kam zufällig Arthur auf seinem Fahrrad vorbei. Sie hatte sich bei dem Sturz den Knöchel verstaucht, und Arthur, der kräftig, jung und feurig war, trug sie die tausend Meter bis nach Walbrooks, wo sie zu Hause war. Es lag nahe, daß der junge Mann in den folgenden Wochen dort vorsprach und sich nach Mauds Befinden erkundigte, und ebenso nahe lag es, daß Maud es mit Hilfe eines wohlgesinnten Zimmermädchens so einzurichten wußte, daß bei seinem nächsten Besuch Papa auf der Jagd war (er war Master of Foxhounds, das heißt der Jagdleiter für den Bezirk) und Mama Besuche machte.

Es spricht einiges dafür, daß Abel Richardson sich der Absicht seiner Tochter, einen mehr oder weniger mittellosen und gesellschaftlich unannehmbaren Versicherungsvertreter zu heiraten, nachdrücklich widersetzte. Nach einem Jahr aber mochte er sich Mauds Bitten nicht mehr verschließen, ja, er gab sogar so weit nach, daß er ihr die vor dem Auftauchen von Arthur Longley versprochene Mitgift von fünftausend Pfund nicht versagte.

Fünftausend Pfund waren 1890 ein hübsches Stück Geld und würden heute etwa dem Zwanzigfachen dieser Summe entsprechen. Arthur und Maud erwarben eins der Landhäuser, die damals an der Layer Road gebaut wurden, und lebten dort sehr angenehm, ja, eigentlich über ihre Verhältnisse, obschon Arthurs Schwiegervater häufig mit Geldgeschenken einsprang. Maud hielt einen eigenen Wagen, der Haushalt bestand aus Köchin, Hausmädchen, Kindermädchen, einer Putzfrau »fürs Grobe« und einem Kutscher, der auch als Gärtner fungierte.

[33] Mauds Tochter, Mrs.Helen Chatteriss, jetzt eine alte Dame, die auf die Neunzig zugeht, schreibt über den Haushalt:

Ich war erst fünf, als es damit aus und vorbei war. Meine Erinnerungen sind deshalb zwangsläufig verschwommen und unvollständig. Ich weiß noch, daß ich mit meiner Mutter in einer sehr feschen Kutsche ausgefahren wurde, vor die ein Brauner gespannt war. Meine Mutter pflegte Visitenkarten abzugeben, aber ich glaube, viele Häuser des Landadels blieben uns verschlossen, weil mein Vater kein Gentleman war.

Als Hausarbeiten kamen für meine Mutter nur Blumenstecken und das Abwaschen des guten Geschirrs in Frage. Sie machte regelmäßig einen Mittagsschlaf, wobei sie zur Pflege ihrer Hände weiße Baumwollhandschuhe trug. Mein Kindermädchen hieß Beatie. Sie war sechzehn und die Tochter eines Landarbeiters, der für einen der Pächter meines Großvaters Richardson arbeitete. Ein paarmal nahm sie mich mit zu ihren Eltern, die in einer Kate mit Backsteinboden und nur einem Zimmer wohnten. Als meine Mutter dahinterkam, wurde Beatie entlassen.

Man hatte mir gesagt, daß mein Vater ein bedeutender Geschäftsmann sei, aber ich erinnere mich, daß er eigentlich immer zu Hause war. Er hatte ein Arbeitszimmer, in dem er sich am Vormittag einzuschließen pflegte. Im nachhinein glaube ich, daß er dort Romane las. Zum Kassieren der Versicherungsprämien ritt er mit unserem zweiten Pferd, einem Rotschimmelwallach. An Gesellschaften, große Essen oder dergleichen kann ich mich nicht erinnern; nur meine Großeltern Richardson kamen recht häufig zu Besuch, meine Longley-Großeltern und –Tanten weniger oft, möglicherweise hat meine Mutter sich ihrer geschämt.

Dieses Leben fand 1901 ein jähes Ende, als Helens Mutter im Kindbett starb. Auch das Kind, ein Knabe, überlebte nicht. [34] Maud Longleys Vermögen – oder was davon übriggeblieben war – ging an ihre Tochter, eine weitblickende Festlegung, auf der Abel Richardson vor der Eheschließung bestanden hatte. Durch den Tod seiner Frau war Arthur Longley zum armen Mann geworden. Er gab Haus, Kutsche und Pferde auf und zog in eine bessere Kate am Westrand der Stadt. Auch von dem Dienstpersonal hatte er sich, bis auf ein »Mädchen für alles«, trennen müssen.

Ebenfalls getrennt hatte er sich von seiner Tochter, die er zu Abel und May Richardson nach Stoke-by-Nayland schickte. Diese Trennung machte Mrs.Chatteriss nach mehr als achtzig Jahren noch immer zu schaffen, trotz der glücklichen Kindheit, die sie – umhegt, verwöhnt und in angenehmen Verhältnissen – bei ihren Großeltern auf Walbrooks verbrachte.

Er hat wohl gemeint, daß er sich mit mir zuviel an Verantwortung aufgeladen hätte, schreibt sie, und es kann auch sein, daß mein Großvater und meine Großmutter ihn überredet haben. Ich hätte wohl mehr darunter gelitten, wenn meine Großmutter nicht eine so wunderbare Frau gewesen wäre. Ich liebte sie später mehr, als ich meine Mutter geliebt hatte. Nach dem Tod meiner Mutter sah ich meinen Vater nur noch selten.

1906 heiratete er zum zweiten Mal. Von dieser zweiten Eheschließung erfuhr Mrs.Chatteriss durch eine unerwartete Begegnung in Colchester. Sie besuchte dort St.Botolphs, eine Privatschule, ein Ponywagen fuhr sie in die Stadt und wieder zurück. Noch zwei Jahre sollten vergehen, bis Abel Richardson als Vorreiter der ganzen Gegend eine Rolls-Royce-Limousine mit Lederpolstern, Ebenholzverkleidung und einem Armaturenbrett aus Rosenholz erwarb. Eines Nachmittags warteten vor der Schule Helens Vater und eine fremde Dame auf sie. Die Dame wurde Helen als »deine neue Mutter« vorgestellt, doch wurde später kein Versuch [35] unternommen, die Beziehung zu vertiefen. Helens Großeltern erfuhren erst nach Monaten davon und waren, als sie dahinterkamen, nicht so sehr über Arthur Longleys Heirat erbost als über die Tatsache, daß man sie darüber im ungewissen gelassen hatte.

Inzwischen war Arthur Longley neununddreißig. Er arbeitete seit zweiundzwanzig Jahren für die Prudential und war noch nie befördert worden. Nach der Verschlechterung seiner finanziellen Lage hatte er sich zu seinen wenig einträglichen Kundenbesuchen wieder aufs Fahrrad schwingen müssen. Seine Eltern waren tot, das Geschäft: hatte sein Schwager James Hubbard übernommen, das wenige Bargeld hatten seine beiden unverheirateten Schwestern geerbt. Seine Braut hatte zwar auch kein Geld, immerhin aber etwas zu erwarten. Ivy Naughton war achtundzwanzig, als sie Arthur heiratete, und als Gouvernante in einer Familie tätig gewesen, die zu seinem Kundenstamm gehörte. Sie war für diese Position weder ausgebildet noch besonders geeignet, wenn man davon absieht, daß sie bis zum sechzehnten Lebensjahr die Schule besucht hatte und Klavier spielen konnte. Doch ihre Dienstherrschaft – die Richardsons kannten die Leute – hatte einen Getreidehandel, sie waren es schon zufrieden, wenn sie herumerzählen konnten, daß sie eine Gouvernante für ihre drei Töchter hatten, unabhängig davon, welchen erzieherischen Nutzen das den Mädchen bringen mochte… Für ihre Dienste erhielt Miss Naughton Kost und Logis und fünfzig Pfund im Jahr.

So gründeten denn Ivy und Arthur einen gemeinsamen Hausstand. Neun Monate nach der Hochzeit, im Frühjahr 1907, wurden ihnen Zwillinge geboren. Eine der Patinnen war Ivys Tante, Miss Priscilla Naughton, die ein eigenes Haus und als Schneiderin einen festen kleinen Kundenstamm besaß, die zweite Arthurs Tochter Helen, die im Vormonat konfirmiert worden war. Die Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, wurden auf den Namen John William und Vera Ivy getauft. Ivy Longley las, genau wie ihr Mann, leidenschaftlich [36] gern Romane – sie waren sich beim »Reden über Bücher« nähergekommen und zufällig hatten die Heldinnen ihrer Lieblingsromane den gleichen Vornamen.

Mein Vater las Ouida, schreibt Helen Chatteriss, und am meisten schätzte er ihren Roman Moths. Die Heldin heißt Vera – genauso wie die Heldin in Marion Crawfords Roman A Cigarette Maker’s Romance, der nach Aussage meines Vaters das Lieblingsbuch meiner Mutter war. Und so kam Vera zu ihrem Namen.

Vera Longley und ihr Bruder waren, da nicht gleichgeschlechtlich, keine eineiigen Zwillinge und einander nicht ähnlicher als Geschwister unterschiedlichen Alters. Beiden gemeinsam aber waren das sehr helle Haar und die tiefblauen Augen, typische Merkmale der zweiten Familie Longley. Arthur, seine Mutter und zwei seiner Schwestern waren hellhaarig, und seine zweite Frau war eine Blondine mit sehr hellem Haar und hellen Augen. Ivy Longleys Vorfahren waren Fischer von der Küste Norfolks gewesen, und es hieß, einer ihrer Großväter, ein Seemann, habe sich eine Frau von den Färöer Inseln mitgebracht. John war ein hübscher Junge. Vera, als Kind unscheinbar, veränderte sich äußerlich zu ihrem Vorteil, als sie älter wurde. Ein Foto zeigt die Vierzehnjährige als hübsches Mädchen mit scharf geschnittenen Zügen und üppigem, fast weißblondem Haar, großen Augen und einem ernsthaften, recht strengen Gesichtsausdruck.

Vier Jahre vor dem Datum dieser Aufnahme war ihr Vater von der Prudential in den Ruhestand versetzt worden, nachdem sich bei einer ärztlichen Untersuchung herausgestellt hatte, daß er an einer Herzschwäche litt. Zu jener Zeit war er fünfzig, und der Erste Weltkrieg ging ins dritte Jahr. Dieser Krieg sollte die engere Familie Longley nicht unmittelbar berühren, doch fiel Amelias Sohn, William Hubbard, beim Sturm auf den Vimy-Rücken. Kurz nach Arthurs [37] erzwungenem Ausscheiden aus dem Dienst starb Priscilla Naughton und vermachte ihrer Nichte Ivy ihr Haus und 500Pfund. Die Longleys zogen aufs Land, und im Frühjahr 1919 hatten sie sich in Great Sindon niedergelassen, einem etwa 15Kilometer von Colchester entfernten Dorf im Tal von Dedham.

Der Begriff »Herrenhaus« für Arthurs Landhaus an der Layer Road, einer Straße, die jetzt einem Wohnblock weichen mußte, vermittelt entschieden nicht das richtige Bild. Die Makler, über die Arthur es seinerzeit kaufte, bezeichneten es als Cottage. Heute wäre diese Bezeichnung eine Nummer zu klein gewählt. Paul und Rosemary Oliver, die jetzigen Besitzer, nennen ihr Haus nicht mehr »Lorbeercottage«, sondern »Die Finken« und haben das Erdgeschoß so umgestaltet, daß aus Eßzimmer und Küche ein großer Wohnraum geworden ist, aus der großen Milch- und Vorratskammer die Küche und aus dem Wohnzimmer der Eßbereich. Zu Lebzeiten der alten Longleys und später zu Veras Zeit waren im Erdgeschoß vier Zimmer, eine Treppe führte in der Hausmitte nach oben. Als Arthur und Ivy mit ihren beiden Kindern einzogen, hatte Laurel Cottage vier Schlafzimmer, das kleinste ließ Arthur zum Badezimmer umbauen, das größte wurde Elternschlafzimmer, Sohn und Tochter bekamen jeweils ihr eigenes Reich.

Die Außenmauern von Laurel Cottage waren aus dem eisenoxydfreien, gelblich-grauen Backstein, den man auch »weißen Stein« nennt, mit Verblendungen aus cremefarben gestrichenem Putz und einem Schieferdach. Es ist ein symmetrisches Haus – die Haustür in der Mitte, je ein Schiebefenster rechts und links, drei Fenster im Obergeschoß. Auch den Vorgarten teilt genau in der Mitte ein Weg, der zur Haustür führt – oder vielmehr zu den Haustüren, denn es gibt zwei, eine Außentür aus getäfeltem Holz und einen Windfang aus Glas. Der Garten hinter dem Haus ist groß, am Tor zum hinteren Zaun steht ein Nebengebäude, eine nicht mehr benutzte [38] Kate, in der die Longley-Kinder an Regentagen spielten und das die Olivers jetzt zur Garage umgebaut haben.

Wie sah die Kindheit aus, die Vera Longley in Colchester und später in Great Sindon verbrachte? Was geschah – wenn denn überhaupt etwas geschah –, um sie zu traumatisieren? Zwei Tage nach ihrem zwölften Geburtstag schreibt sie an ihre Halbschwester Helen:

Liebe Helen, herzlichen Dank für die Postanweisung. Das Geld ist ein sehr willkommener Zuschuß für ein neues Tennisracket. Morgen fahren wir in die Ferien nach Cromer in Norfolk. Hoffentlich wird es so schön wie an der See. Viele liebe Grüße, Vera.

Und im Sommer des gleichen Jahres, 1919:

Liebe Helen, Daddy hat mir Deinen Brief zu lesen gegeben. Ja, furchtbar gern spiele ich bei Dir die Brautjungfer. Ich wünsche Dir alles, alles Gute für Deine Ehe mit Hauptmann Chatteriss. Es ist sehr lieb, daß Du an mich gedacht hast. Wie schön, daß wir uns bald Wiedersehen, ich freue mich schon sehr. Viele liebe Grüße Vera.

Die Trauung fand im Herbst statt. Helen hatte den damals achtundzwanzigjährigen Victor Chatteriss, der bei der Indischen Armee diente, auf einem Heimaturlaub kennengelernt. Auf Helens Hochzeitsfoto überragt Vera – linkisch, dünn, mit großen, ernsten Augen – die anderen Brautjungfern um einen halben Kopf. Sie trägt ein wadenlanges Kleid aus irgendeinem glänzenden Stoff mit Spitzeneinsätzen. Sie scheint der Liebling ihres Vaters gewesen zu sein. An seine Schwester Clara schreibt er:

Meine kleine Vera entwickelt sich zu einem prächtigen Mädel, sie ist hübscher geworden, als wir zu hoffen wagten. Sie [39]