Die Inseltierärztin - Stephanie Petersen - E-Book
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Stephanie Petersen

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Beschreibung

Schon als kleines Mädchen wollte Stephanie Petersen Tierärztin werden. Der Liebe wegen strandete sie auf Sylt - dort, wo andere Urlaub machen, führt sie seit fast 20 Jahren ihre eigene Praxis. In ihrem Alltag mit kleinen und größeren Tieren gleicht kein Tag dem anderen, und in all den Jahren hat Dr. Petersen viel erlebt; lustige Begegnungen mit Hunden und ihren Haltern, dramatische Rettungsaktionen und traurige Abschiede von langjährigen Weggefährten, all das vor der großartigen Kulisse der schönsten Insel Deutschlands. Diese Geschichten erzählt sie nun – mit Witz, Tempo, Feingefühl und vor allem einem großen Herz für Tiere.

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Stephanie Petersen

Die Inseltierärztin

Mit Herz und Schnauze – Geschichten aus meiner Praxis

 

 

 

Über dieses Buch

Schon als kleines Mädchen wollte Stephanie Petersen Tierärztin werden. Der Liebe wegen strandete sie auf Sylt – dort, wo andere Urlaub machen, führt sie seit fast 20 Jahren ihre eigene Praxis. In ihrem Alltag mit kleinen und größeren Tieren gleicht kein Tag dem anderen, und in all den Jahren hat Dr. Petersen viel erlebt; lustige Begegnungen mit Hunden und ihren Haltern, dramatische Rettungsaktionen und traurige Abschiede von langjährigen Weggefährten, all das vor der großartigen Kulisse der schönsten Insel Deutschlands. Diese Geschichten erzählt sie nun – mit Witz, Tempo, Feingefühl und vor allem einem großen Herz für Tiere.

Vita

Stephanie Petersen studierte in Leipzig Veterinärmedizin. Anschließend arbeitete sie in einer Berliner Kleintierklinik und ließ sich 2001 als Tierärztin für Groß- und Kleintiere auf Sylt nieder. Ihre besondere Vorliebe gilt alten Tieren. Auch zu ihrem Privatleben gehören neben ihren Söhnen selbstverständlich Tiere: Auf ihrem Hof leben fünf Hunde, von denen sie drei aus Tötungsstationen gerettet hat, 17 Hühner – und Stephanie Petersen betreibt eine Trakehner-Zucht.

Inhaltsübersicht

Widmung

Ich und mein Traum: Tierärztin

Marcella, die Hündin aus einer Mülltonne auf Kreta

Mein erster Kaiserschnitt

Empfindsame Kois und eine folgenreiche Begegnung

Das Kalb ohne Poloch

Achtzig Kilo und liebestoll

Titus droht zu ersticken – der James-Bond-Luftröhrenschnitt

Hört die Tierliebe bei Mäusen auf?

Ein Schaf mit Schlaganfall und eine süße Überraschung

Auf Sylt isst Hund nur Trüffel

Freunde gehen: Respekt vor dem Alter

Nach einem Biss ein riesiges Loch im Kopf

Eine üble Laune der Natur

Unglaubliche Anrufe – oder ich kann die Seemöwe nicht fangen

Die Katze ohne Schwanz

Molche, Kakerlaken, Stabheuschrecken und Kornnattern

Die Spermienpolizei oder das Glück der Geburt

Kampf um das Lämmchen Heidi

Alle fallen um in der Praxis

Marder in der Katzenfalle

Das Schwein namens Wilma bekommt Ferkel

Gegrillte Hähnchenschenkel unter Madenverdacht

Meine Trakehner, meine Liebe

Eintagsküken mit Beinschiene

Herausforderung durchtrennte Achillessehne

Große und kleine Verletzungen

Jack Daniel’s oder Jack Russell?

An Ostern stirbt kein Kaninchen

Rettet Matti!

Emma Klopp und die Qualle

Ein Husky mit einem Milztumor

Freundschaften und Abschied

Dank

Tafelteil

Für Jimmy & Henry, meine beiden Söhne

Ich und mein Traum: Tierärztin

«Das kann nicht alles gewesen sein», flüstere ich leise vor mich hin. Ich sitze auf einer Aluminiumkiste an Bord einer Douglas DC-9, mit feuerroten Fingernägeln und noch roteren Lippen, hohen Pumps und Thrombose-Strumpfhosen. Verträumt schaue ich aus dem kleinen, runden Kabinenfenster des Flugzeugs, weit über die rosafarbenen, von der Sonne angestrahlten Wolken hinweg. «Das kann nicht alles gewesen sein», wiederhole ich leise …

Ich bin Stewardess. Eingepellt in eine türkisfarbene Uniform mit gestreiftem Blüschen und ovalem Hütchen. Nach meinem Abitur befand ich mich, wie viele Schulabgänger, zwischen einem Seilgarten der Vernunft und den schwärmerischen Vorstellungen von einem Traumberuf. Ich wollte Tierärztin werden.

Damals gab es noch den Medizinertest, einen Test, der intelligente Personen von nicht so intelligenten «Möchtegern-Ärzten» ratzfatz unterscheidet. Der Kopf rauchte, das Ergebnis ist mir bis heute nicht wirklich bekannt. Ich hängte schließlich meine steife Uniform an den Nagel und stürzte mich in den Traum meiner Träume. Mein Abitur war guter Durchschnitt, aber nicht so gut, dass ich sofort einen Studienplatz für Tiermedizin ergattern konnte. Die einzige Möglichkeit, einen solchen zu bekommen, war – kurz nach der Wende –, nach Leipzig zu gehen. Viele wollten in den Westen, und in Leipzig war die geringe Bewerberzahl für diesen Studiengang im Vergleich zu Hannover, München, Berlin oder Gießen meine große Chance. Mein Bruder hob den Zeigefinger, und seine Worte hallen noch heute in meinen Ohren: «Wenn du unbedingt Tiermedizin studieren möchtest, dann gehst du auch nach Leipzig.» Wer wollte schon nach Leipzig. Ich nicht!

Es kam anders.

Man bat mich zu einem «Auswahlgespräch». Auf den Knien Brötchen schmierend, fuhren meine Eltern mit mir im Schlepptau von Frankfurt aus auf durchlöcherten, holprigen Straßen Ostdeutschlands Richtung Leipzig, direkt auf den Campus der Veterinärmedizinischen Fakultät. Das «Verhör» fand in einem großen Raum mit tiefen Samtplüschsesseln statt. In einem versank ich auch dann sogleich, mein Kinn berührte fast die steif gestärkte, vergilbte Häkeldecke auf dem kleinen, runden Tischchen. Irgendwie hielt ich dem ostdeutschen Fragenkatalog stand und zeigte Flagge.

«Tiermedizin ist ja wohl ein Männerberuf», sprach der grauhaarige Professor in seinem ebenso grauen Kittel und mit einer dicken schwarzen Hornbrille. «Wie kommen Sie denn auf den Gedanken, als Frau in diesem Beruf Fuß fassen zu wollen?»

Ich richtete mein Krönchen, denn nun war mein Nerv getroffen. «Qualität in der Arbeit und Durchhaltevermögen sind nun ja nicht typisch männliche Merkmale», erwiderte ich. «Und um ein fünfzig Kilogramm schweres Kälbchen auf die Welt zu befördern, bedarf es zwar eines gewissen Maßes an Kraft, aber auch der richtigen Technik sowie eines Quantums an femininem Instinkt, der uns Frauen ja schließlich in die Wiege gelegt worden ist, und den weiblichen Zyklus und Schmerz kann das Wesen Mann ja nicht einmal erahnen.»

So! Irgendwie hatte sich die Hornbrille erbarmt, und als ich eines Mittags im Regen zum Briefkasten ging und darin einen Umschlag mit dem Stempel der Uni Leipzig liegen sah, gab es nur zwei Möglichkeiten, die dieses Kuvert eröffnen konnte.

Drei Wochen später zog ich mit einem anderen Studenten in eine verlassene Gärtnerei in Markkleeberg außerhalb von Leipzig, schaufelte im Keller Kohle, denn draußen herrschten bereits ungnädige Minusgrade, und duschte in einem riesigen leer stehenden Waschhaus mit fünfzehn Duschen – mutterseelenallein im Nirgendwo. Die nassen Haare mit einem Megaturban umwickelt, rannte ich im Dunkeln – ich hatte die Hosen gestrichen voll – zum Haupthaus. Hätten das meine Eltern gewusst … Überall standen Reagenzgläser des ehemaligen Botanik-Instituts herum, als hätten die Bewohner von einer auf die andere Sekunde die Gebäude verlassen … Dem war auch so gewesen. Die Mauer war gefallen, und Tausende hatten die Chance zur Flucht genutzt, voller Angst, die Grenzen könnten rasch wieder schließen.

Morgens hatten wir stets eine wilde Horde Eisblümchen am Fenster, innen, wohlgemerkt! Die Straßen waren mit mörderischem Kopfsteinpflaster gespickt, orange leuchtende Straßenlaternen versprühten ihr theatralisches Schummerlicht, und aus den offenen Dachstühlen ragten einzelne, vermoderte Holzbalken hervor, die wie ein abgenagtes Gerippe in den dämmrigen Nachthimmel ragten. Hier hätte man locker einen Film über den Zweiten Weltkrieg drehen können.

Im Lauf des nächsten Jahres zog ich in ein renoviertes Haus, in dem meine bis heute engsten Freundschaften begannen. Dort, in Leipzig, knüpfte ich auch die ersten zarten Bande mit meiner jetzigen Heimat, der traumhaften Nordseeinsel Sylt: Es war im Jahr 1995, zwei Jahre nach meinem Studienbeginn, die ersten Computer gingen in Serie, und die Aufenthalte in den gelben Telefonzellen wurden immer seltener. Das Handyzeitalter brach an. Ich hatte über das Internet eine Bekanntschaft gemacht, und fast stündlich hörte ich eine kleine Computerstimme säuseln: «Sie haben Post.» So kam es, dass ich mit meinem Hund Hannah zum Blind Date nach Sylt fuhr – das erste Mal auf die Insel. Auf der Fahrt durchs flache Land sah ich überall die schönen schwarzbunten Kühe auf den fetten Weiden grasen, und je weiter wir Richtung Norden fuhren, umso mehr tummelten sich Hunderte von Schäfchen an und auf den Deichen. Der Zug schlängelte sich durch das Wattenmeer, über den Hindenburgdamm bis hinein nach Westerland. Und um so viel Zeit wie möglich auf der Insel und mit meiner neuen Liebe zu verbringen, absolvierte ich meine sogenannten kurativen Pflichtpraktika bei einem lang erprobten Sylter Tierarzt. Das Blind Date hatte Folgen gehabt.

Sooft es möglich war, pendelte ich zwischen meinen sogar im Sommer beheizten Leipziger Hörsälen und dem windigen Strand von Sylt hin und her, meine geliebte Mischlingshündin Hannah stets im Schlepptau. 2001 eröffnete ich todesmutig meine erste tierärztliche Praxis für Groß- und Kleintiere in Tinnum auf Sylt, nicht weit von Westerland entfernt. Zwei Jahre später heiratete ich in eine Sylter Bauernfamilie ein und bekam zwei wunderbare Söhne. Mein Spagat zwischen Pampers, Kaiserschnitten und nächtlichen Notdiensten war teilweise körperlich ziemlich zehrend, und ich war heilfroh über jede Unterstützung seitens meiner Eltern und Schwiegereltern. Meine Jungs wuchsen noch mit Traktoren, dem Meckern der Salzwiesenlämmer und dem Schwein Wilma auf. Sie waren bei deren glitschigen Ferkelgeburt dabei, hatten ihre eigenen Lämmer mit eigenen Ohrmarken und fuhren mit Opa John, meinem damaligen Schwiegervater, täglich auf den Deich zu den Schafen.

Selbst die Scheidung meisterten wir alle in Güte und mit großem Herzen zugunsten der Jungs. Denn eines war uns allen klar: Eine Trennung prägt und sollte niemals auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Mit Vernunft und klarem Verstand, ohne Egoismus und Eigensinn haben wir es geschafft, tolle Kinder heranwachsen zu sehen, die noch Anstand und Respekt, Würde und ein gutes Auge für die Natur und seine Tiere auf diesem Planeten haben, denn sie gehören zu der Generation, für die Begriffe wie «Weltklima», «Massentierhaltung» und «Tiertransporte», «Glyphosat» und «Pandemien» mehr als nur lapidare Worte sind.

Heute sind meine Jungs vierzehn und achtzehn Jahre alt, und ich bin froh, dass sie auf einem recht unbeschwerten Fleckchen Erde heranwachsen dürfen. Sie wissen, dass nach der Ebbe die Flut kommt und dass Gehacktes im Kühlregal mal ein Lebewesen war, das noch Wiesen und Weite spüren durfte. Und ihnen ist bewusst, wie wichtig die Natur ist und dass Kälber bei ihren Müttern bleiben sollten. Sie lernen aber auch, was es heißt, am frühen Sonntagmorgen Rinder umzutreiben, bei Nieselregen die Schafe einzufangen und beim Scheren mal ordentlich zuzupacken. Sie können Roggen von Weizen unterscheiden und kennen die Tricks, um Touristenfahrzeuge bei Glatteis mit dem Traktor aus dem Graben zu ziehen.

Mein großes Glück habe ich abermals gefunden und lebe heute zusammen mit meinem Partner auf einem von ihm entworfenen wunderschönen Gestüt, nah am Wattenmeer. Wir züchten Trakehner, eine Pferderasse. Und jedes Jahr erfreuen wir uns an deren Fohlen, welche uns immer wieder mit ihrer Unerschrockenheit und ihrer fröhlich-unbekümmerten Art zeigen, wie herrlich einfach die Welt doch sein kann.

 

Nun, fast achtundzwanzig Jahre später, sitze ich an Bord einer Boeing 747, meine Fingernägel sind kurz und praktisch, meine Lippen tragen nur den Hauch von Lipgloss, und ich beobachte die routinierte Versorgung der Passagiere und die knallroten Münder der Stewardessen. Ich lehne mich zurück und genieße meinen Flug nach Südafrika, in meinen wohlverdienten Urlaub. Zwanzig Jahre betreibe ich nun eine eigene Praxis und habe Tausenden von Fellnasen geholfen und sie begleitet. Ich bin froh, damals den Mut und das Durchhaltevermögen besessen zu haben, umzusatteln. Es ist meine Berufung, Tieren zu helfen. Ich sorge dafür, dass diese kleinen Wesen wieder gesund, dass sie fachmännisch behandelt, gespritzt, operiert und geheilt werden und zu ihren Besitzern zurückgehen können. Das ist meine Pflicht, das ist meine Leidenschaft, das ist es, was mich wirklich glücklich macht.

Ich nehme euch Leser und Leserinnen jetzt mit auf eine kleine Reise nach Sylt, wo ich zu Hause bin, eine Insel in der Nordsee, wo die Deiche und der Horizont endlos ineinander verschmelzen, die Robben sich auf den Sandbänken aalen, Schweinswale ihre Runden ziehen, Austernfischer kreischend Kapriolen schlagen und, ganz klar, freche Sylter Möwen fachmännisch Crêpes klauen. Ein Stück Paradies, so kann man das hier zweifellos nennen, denn hier versprüht die Sylter Heckenrose ihren warmen Duft bis zum Strand hinunter. Und im Herbst, da lassen die Stürme so richtig die Sau raus, hier singt der Shanty-Chor, hier klirren die Champagnergläser. Man ruft «Moin, Moin», und alle duzen sich. Hier bin ich zu Hause, hierher möchte ich euch einladen und euch meine lustigen, amüsanten, traurigen und manchmal auch skurrilen Tierarztgeschichten erzählen – Geschichten der nördlichsten Tierärztin Deutschlands. Auf geht’s!

Marcella, die Hündin aus einer Mülltonne auf Kreta

Nach Beendigung meines Studiums wollte ich erst einmal etwas Sinnvolles und Nützliches machen: Ich nahm an einem Kastrationsprojekt von Straßentieren auf Kreta teil. Ivonne, eine Kollegin von der Insel, Dani, meine Leipziger WG-Mitbewohnerin, heute Tierärztin in Wolfenbüttel, und ich flogen mit gesammeltem Nahtmaterial, Desinfektionsmitteln und großem Helfersyndrom nach Kreta. Das Tierheim war gespickt voll mit Hunden und Katzen. Wir konnten gar nicht durch den Haupteingang zum Haupthaus vordringen, unzählige Hunde umklammerten unsere Beine, sprangen an uns hoch, packten zärtlich unsere Hände, buhlten um eine Sekunde Aufmerksamkeit. Andere lagen mit Abstand im rotbraunen Sand und beäugten uns abschätzend. Innerhalb von Minuten hatte ich jedes winselnde Knäuel tief in mein Herz geschlossen. Wir säuberten und versorgten Wunden, wickelten Verbände, spritzten, operierten und kastrierten.

Draußen herrschten Temperaturen zwischen 32 bis 40 Grad Celsius, und einige Hunde lagen zum Abkühlen in ihren Trinkschüsseln. Die Wasserleitungen waren in diesem Tierheim unglücklicherweise oberirdisch verlegt worden, das Trinkwasser war brühend heiß. Unsere Kleidung nahm den Geruch von getrocknetem Urin und Kot an. Es waren erstaunlich viele Rassehunde in diesem Tierheim, Huskys zum Beispiel, die bei diesen Temperaturen am Rande des Wahnsinns waren, Irish Setter, Cockerspaniels, Pointer und Dalmatiner.

Wir kämpften gegen Staupe, versorgten angefahrene Hunde und aus dem Auto geworfene Kätzchen. Ich habe noch nie so viel geweint wie in dieser Zeit – wie sollte ich allen helfen?

Mitten in diesem Versorgungschaos kam im Tierheim ein Karton mit einer Plastiktüte an. Eine Frau hatte einen wimmernden Welpen bei den Müllcontainern gefunden. Ich dachte, das gibt es nur in schlechten Filmen, öffnete die Tüte und erblickte ein dickes, kaum zwei, drei Tage altes schwarz-weiß geflecktes Welpenmädchen. Die Tierheimleiterin rief mir zu, dass wir die Hündin einschläfern sollten, das Tierheim sei voll, und wir könnten sie nicht mehr aufnehmen, wir sollten ihr ein leidvolles Leben ersparen. Nicht eine Sekunde, nicht mal den Hauch einer Millisekunde dachte ich daran, diesem zuckersüßen Geschöpf eine Todesspritze in seinen speckigen, kleinen Körper zu jagen.

Ich entlockte der kundigen Leiterin ein Rezept über Ersatzmilch, ein Eigelb, 200 Milliliter H-Milch sowie eine Vitamin-Lebertran-Paste. Das winzige Wesen stopfte ich mir unter mein T-Shirt und fuhr zu unserer Unterkunft. Dort eingetroffen, begegnete ich einem Mädchen aus England, vielleicht gerade mal acht Jahre alt. Ich zeigte ihr den Welpen, die Augen noch fest verschlossen, und fragte sie, welchen Namen das Kleine denn tragen solle. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: «Marcella.»

Von da an bekam Marcella Ersatzmilch eingeflößt, hin und wieder legte ich sie einer Hundemutter im Tierheim, die gerade Welpen hatte, an die Zitzen. Als Dank gab es viele Schmuseeinheiten und Leckerchen. Marcella lag abends in meinem Koffer neben dem Föhn, tagsüber krabbelte sie als bewegliche Wurst unter mein T-Shirt.

Sie flog mit mir zurück nach Frankfurt, und genau in über 8000 Metern Höhe öffnete sie nach vierzehn Tagen das erste Mal ihre Augen. Leider musste ich sie vermitteln, das gerade beendete Studium und ein zweiter Hund waren einfach zu viel in dieser Zeit. Aber ich tröstete mich: «Du kannst nicht alle Tiere behalten, doch deine Mission ist es, sie in gute Hände weiterzugeben.»

Marcella fand ein tolles Zuhause in Bayern, und die neuen Besitzer reisten später extra nach Sylt und ließen das Mädchen in meiner Praxis kastrieren. Marcella wurde sehr alt und bereitete ihren Besitzern viel Freude. Es hat ein bisschen Organisation und Ausdauer gebraucht, aber es hat sich gelohnt, sich für dieses Geschöpf einzusetzen. Viele gute Hundejahre haben wir ihr geschenkt – und gibt es etwas, das zufriedener macht?

Der Name Marcella erinnert mich noch heute an das speckige, gescheckte Hundebaby mit einem rosaroten Schnäuzchen und an ein blondes Mädchen aus der Nähe von Birmingham, das mit größter Selbstverständlichkeit beschloss, dass dieser kleine Hund jetzt Marcella heißt.

Viele Hunde, die in diesem griechischen Tierheim lebten, haben wir auf Kreta vermittelt, und alle haben ein schönes Zuhause gefunden. Ziel ist es, die Tiere nicht zu entwurzeln, sondern vor Ort eine vernünftige Lösung zu finden. Ausnahmen bestätigen natürlich – auch in meinem Herzen – die Regel. Welpen sind einfach des Herzens Licht!

Mein erster Kaiserschnitt

Noch gut kann ich mich an meinen ersten Kaiserschnitt erinnern. Die Hündin hieß Surfy, und in dieser Zeit war meine Studienfreundin Conny auf Sylt zu Besuch. Conny, die diese OP mitmachte, verstarb dann leider jung an Gebärmutterhalskrebs. Unser Zusammensein und unsere erste richtige Operation im Alleingang haben sich mir auch von daher besonders tief ins Gedächtnis eingegraben.

Meine erste Vertretung in Eigenregie übernahm ich bei einem erfahrenen Insel-Tierarzt. Der flog in den Urlaub und ich in seine Praxis. Ich war enorm aufgeregt, wusste man ja nie, was gleich durch die Tür kommt. Aber es kam erst einmal nichts, stattdessen erfolgte ein Anruf, ein älterer, noch erfahrenerer Tierarzt als der urlaubende, der seine Praxis im Süden der Insel hatte, murmelte in den Hörer: «Hündin, trächtig, grünlicher Ausfluss, ein Welpe liegt quer, hab schon mal was gespritzt … weiß nicht weiter … Kaiserschnitt oder so … ich schick den mal vorbei …» Nach diesen Worten legte er auf, ohne dass ich überhaupt etwas sagen konnte.

Kaiserschnitt? Meine Pupillen weiteten sich abrupt, der Puls war bereit zum Salto mortale. Ich versuchte, mich zu sammeln. Okay, dachte ich, nun stehe ich hier, frisch studierte Tierärztin, in einer fremden Praxis und bekomme einen ernsten Fall von einem routinierten Tierarzt überwiesen, weil der keine Ahnung hat, was er noch weiter tun kann. Fantastische Idee. Grandioser Einfall. Schließlich hatte ich noch nicht viel Routine mit Narkosen.

Also sprach ich mir ein wenig Mut zu: «Wenn nichts mehr geht, wird die Hündin bei diesem Eingriff kastriert!» Das konnte ich ja, das hatte ich auf Kreta schon mehrmals gemacht.

Die Hündin hieß Surfy, weil sie laut ihrem Besitzer immer mit auf dem Surfbrett in der Nordsee war. Ihr braun gebranntes Herrchen, windgegerbt, setzte Surfy ganz behutsam, als ob er eine Porzellanpuppe in Händen halten würde, auf den Behandlungstisch. Bei der vaginalen Untersuchung ertastete ich einen querliegenden Welpen und tatsächlich Schleim, der grün war. Ich roch an meinem Handschuh. Diese Geste habe ich übrigens auch in den folgenden zwanzig Jahren nicht abgelegt. Man wird ein Meister des Schnüffelns. Gerüche sagen uns Tierärzten nämlich ziemlich schnell, ob Eiter mit im Spiel ist, etwas verwest riecht oder beispielsweise ein Hefepilz im Ohr den Hund in den Wahnsinn treibt. Bakterieller Durchfall hat eben einen anderen Geruch als ein durch Einzeller verursachter Durchfall, durch die bösen Giardien zum Beispiel, diese einzelligen Darmparasiten. Ja, das Leben eines Tierarztes ist nun mal nichts für sanfte Nasen und sensible Mägen.

Die Gebärmutter von Surfy, so meine Diagnose, war dem Untergang nahe. Das kam mir ganz gelegen, dann musste sie raus, und das konnte ich locker. Nach kurzer Beratung mit Conny stand unsere Entscheidung schließlich fest: «Hier muss dringend ein Kaiserschnitt gemacht werden.» Ich operierte mit wild zusammengebundenen Haaren und hochrotem Kopf. Nichts war sortiert auf dem OP-Tisch, alles flog durcheinander. Tupfer, OP-Tuch, Handtücher, Instrumente, einfach alles.

Der querliegende Welpe war leider tot, aber es gab noch einen zweiten Welpen, und der überlebte. Ich zupfte ihn aus der Fruchthülle, rubbelte und hauchte ihn ins Sylter Landleben, aber leider akzeptierte die wach werdende Mutter ihr Kind nicht. Die Narkose hatte das Wahrnehmen des Geburtsvorgangs und damit die erste wichtige Kontaktaufnahme verhindert, die Prägung der Mutter auf den Welpen.

 

Völlig erschöpft schlief ich auf der Couch im Behandlungszimmer ein, eine Hand im Körbchen, in dem Surfy lag, der ich einen Maulkorb angelegt hatte, darüber das Rotlicht. Zumindest ein super Surfy-Welpe hatte es letztlich geschafft, mit diesem Gedanken war ich weggedämmert. Was machte eigentlich Conny währenddessen? Wahrscheinlich kümmerte sie sich darum, dass das Chaos, das ich veranstaltet hatte, nicht mehr als solches erkennbar war.

Ich war an dieser OP gewachsen, denn ein kompetenter Tierarzt hatte mir diese Patientin überwiesen – und ich war nicht davongerannt. Wohin denn auch? Ich wohnte ja auf einer Insel …

Empfindsame Kois und eine folgenreiche Begegnung

Als ich noch in meiner alten Praxis in Tinnum tätig war, hatte ich eines Abends – gegen Sprechstundenende – das große Vergnügen, meinen heutigen Lebenspartner kennenzulernen. Nach der Trennung von dem Vater meiner Kinder steckte ich noch mehr Energie in meine Praxis und versuchte mich durch mehrere Fortbildungen abzulenken. Eines Abends räumte ich die Praxis auf, fegte die Überreste eines arbeitsamen Tages zusammen und notierte die aufgebrauchten Medikamente, als das Telefon klingelte.

«Guten Abend, Tierarztpraxis Petersen hier, was kann ich Gutes für Sie tun?»

«Behandeln Sie auch Kois?», hallte es unwirsch aus meinem Hörer.

«Ja, gegebenenfalls kann ich auch Kois behandeln. Ich habe zwar keine täglichen Erfahrungen mit dieser Fischart, aber ich kann bestimmt helfen.»

Der Mensch am anderen Ende der Leitung war sehr bestimmend und klar in seinen Wünschen. «Dann kommen Sie morgen um vierzehn Uhr zu mir nach Hause und schauen sich den Bestand bitte an. Ich habe ihn gerade neu.»

Jawohl, Sir, dachte ich, zu Befehl, nachdem ich mir die Adresse notiert hatte. Nach dem Auflegen schaute ich etwas irritiert den Hörer an und zuckte mit den Schultern.

Am nächsten Tag machte ich mich gut gelaunt – weil der Tag einfach so perfekt war – auf den Weg nach Westerland, parkte meinen Land Rover vor einem bezaubernden Reetdach-Haus, in dem der Anrufer von gestern sicher schon lauerte. Das dunkelgraue Tor schob sich im Schneckentempo auf. Ich war erstaunt über die wunderbare Architektur des Hauses und welch herrlicher Garten sich vor mir auftat. Jürgen Altmiks, so hatte der Anrufer sich gestern noch vorgestellt, schritt forsch voran, leitete mich an zwei Porsches vorbei in den hinteren Teil des Gartens. Diese Behandlung wird teuer werden, Freundchen, dachte ich im Stillen.

Wir angelten einen Koi nach dem anderen aus dem Teich mit japanischem Teehäuschen und setzten die Fische in eine separate Behandlungswanne. Ich betäubte sie ein wenig mit Nelkenöl, bis sie ruhig wurden, und machte Abstriche zwischen den Kiemen und entlang der Schuppen. Lose Schuppen zog ich mit einer Pinzette heraus, desinfizierte die Stelle und verteilte darauf Puder, das im Wasser haftet und Schutz bietet. Danach spritzte ich Antibiose gegen Bakterien oder Pilze unter die Vorderflosse und erfragte die Kubikmeter des Teichs. Selbst wenn man in der Schule in Mathe kein Genie war – spätestens bei der Berechnung einer Narkose oder wenn man wissen muss, wie viel Milligramm einer Substanz in einem Milliliter sind oder wie viel Malachitgrün, ein Heilmittel für Fische, in einen 60000-Kubikmeter-Gartenteich gehört, sollte man mit Zahlen umgehen können. Denn bei diesen Kois konnte ein Rechenfehler recht kostspielig werden.

Herr Altmiks war in bestem Zwirn gekleidet und tauchte mit beiden Ärmeln in das Behandlungsbecken ein, um mir jeden narkotisierten Koi zu halten. Irgendwie musterte er mich und war nicht ganz bei der Sache.

«Hallo! Herr Altmiks, Sie hängen mit Ihrem guten Blazer im Nelkenwasser, darf ich mal?» Ich krempelte seinen Blazer zweimal um, und er schaute mir ganz frech ziemlich tief in die Augen. Ich lächelte verlegen und tat unglaublich beschäftigt. Einige seiner Fische waren wirklich schwer erkrankt.

Ich nahm meine Abstriche und fuhr zurück in meine Praxis. Alle Kois waren direkt aus Japan gekommen. Mein Verdacht war, dass sich diese wertvollen Fische mit dem Herpesvirus infiziert hatten, genauer gesagt mit dem hochansteckenden Koi-Herpesvirus, das einzig bei Karpfen auftritt. Wahrscheinlich hatte einer von ihnen in der mindestens vierzehntägigen Quarantäne, bevor sie in den Teich umgesiedelt wurden, etwas ausgebrütet und alle anderen angesteckt. Ich legte eine neue Kartei an und hoffte auf ertragreiche Behandlungswochen.

Am nächsten Tag goss es wie aus Eimern, als ich durch das graue Tor fuhr. Herr Altmiks stand mitten im Regen und zog an seiner Zigarette. Bei diesem Anblick musste ich ein wenig grinsen. So etwas machen Männer nur, wenn sie es auf jemanden abgesehen haben. Wer steht sonst selbstverliebt im Regen? Ich wurde sehnsüchtig erwartet, so schien es mir. Und langsam schwand auch die unnahbare Art von Jürgen Altmiks, und wir arbeiteten uns Fisch um Fisch voran. Tag für Tag schaute ich nach meinen Patienten, und Tag für Tag wurde ich näher befragt. Nach meinem Beruf, nach meinem Partner (nicht vorhanden), nach meinen Pferden. Wir legten kleine Pausen ein, und ich erfuhr viel über die Trakehner-Zucht seines Vaters. Ja, es waren von Anfang an diese edlen Warmblüter, die uns zusammenbrachten und in schwierigeren Zeiten auch zusammenhielten.

Die meisten Kois überlebten das aggressive Virus, einige wenige gingen leider zugrunde. Dem damaligen Europameister – einem der Kois war diese Ehre zuteilgeworden – hatte die Krankheit ebenfalls übel mitgespielt. Wir sonderten ihn aus, in ein geräumiges Quarantänebecken. Seine Zeichnung war unglaublich selten und einzigartig. Eines Nachts hatte dieser Koi es jedoch trotz Abdeckung geschafft, aus dem Becken zu hopsen, dabei war er auf dem kalten Boden der Garage gelandet. Er musste dort längere Zeit gelegen haben, bevor ihn Monika, die rumänische Haushaltshilfe von Herrn Altmiks bemerkt hatte. Der Schreck war riesengroß. Wir legten ihn reflexartig in sein Becken zurück. Monika massierte ihn, legte ihn mehrmals in die richtige Schwimmposition, er aber glitt immer wieder in die Seitenlage. Ich wollte ihn schon in den schwarzen Sack legen, da ich keine Chance mehr für ihn sah, als Monika schrie: «Frau Stephanie, Frau Stephanie, Fiss läbt, da, er bewegen sich!»