Die Katze, die Brahms spielte - Band 5 - Lilian Jackson Braun - E-Book
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Die Katze, die Brahms spielte - Band 5 E-Book

Lilian Jackson Braun

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Beschreibung

Eine mörderische Landpartie: „Die Katze, die Brahms spielte“ von Bestsellerautorin Lilian Jackson Braun jetzt als eBook bei dotbooks. Jim Qwilleran braucht dringend Urlaub! Also setzt der Lokalreporter seine beiden Siamkatzen ins Auto und fährt Richtung Norden. In einer kleinen Hütte am See will er sich von den Strapazen der Großstadt erholen. Doch sein Plan geht schief: Kaum ist er in Mooseville angekommen, entdeckt er eine Leiche im See. Warum scheint sein Fund niemanden zu beunruhigen? Jim hat den berechtigten Verdacht, dass die Dorfbewohner etwas vertuschen wollen – und wird von seinen cleveren Vierbeinern bald auf die richtige Spur gebracht … „Der Handlungsverlauf ist so anspruchsvoll entworfen worden, dass er nicht nur Katzen-Liebhabern gefällt.“ The Times Die Krimi-Serie mit Suchtpotenzial! Der fünfte Fall für Reporter Jim und Siamkater Koko – jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Katze, die Brahms spielte“ von Lilian Jackson Braun. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Jim Qwilleran braucht dringend Urlaub! Also setzt der Lokalreporter seine beiden Siamkatzen ins Auto und fährt Richtung Norden. In einer kleinen Hütte am See will er sich von den Strapazen der Großstadt erholen. Doch sein Plan geht schief: Kaum ist er in Mooseville angekommen, entdeckt er eine Leiche im See. Warum scheint sein Fund niemanden zu beunruhigen? Jim hat den berechtigten Verdacht, dass die Dorfbewohner etwas vertuschen wollen – und wird von seinen cleveren Vierbeinern bald auf die richtige Spur gebracht …

»Der Handlungsverlauf ist so anspruchsvoll entworfen worden, dass er nicht nur Katzen-Liebhabern gefällt.« The Times

Über die Autorin:

Lilian Jackson Braun (1913–2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der »New York Times«-Bestsellerliste.

Bei dotbooks erscheinen alle Bände der Erfolgsserie. Eine vollständige Übersicht finden Sie am Ende dieses eBooks.

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eBook-Neuausgabe August 2016

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1987 Lilian Jackson Braun

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1987 unter dem Titel »The Cat Who Played Brahms«.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1992 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Forewer und badztua

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-824-3

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Lilian Jackson Braun

Die Katze, die Brahms spielte

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Christine Pavesicz

dotbooks.

Kapitel 1

Es war für Jim Qwilleran einer der entsetzlichsten Augenblicke in seiner langjährigen Laufbahn als Journalist. Als Kriegsberichterstatter war er vor vielen Jahren in feindlichen Bombenhagel geraten; als Polizeireporter hatte er auf der Abschussliste der Mafia gestanden. Jetzt arbeitete er als Restaurantkritiker für den Daily Fluxion, eine Zeitung im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, und er war nicht auf den Schock vorbereitet, der ihn im Presseklub erwartete.

Der Tag hatte recht gut angefangen. Er hatte in seiner Pension ein gutes Frühstück gegessen: ein Stück Honigmelone, ein Omelett fines herbes mit sautierter Hühnerleber, Hefebrötchen mit Käse und drei Tassen Kaffee. Nun wollte er mit seinem alten Freund Arch Riker im Presseklub, ihrem Lieblingslokal, zu Mittag essen.

Um zwölf Uhr lief Qwilleran über die Stufen der rußigschwarzen Kalksteinfestung hinauf, die einst das Bezirksgefängnis gewesen war, jetzt aber für das leibliche Wohl aller jener sorgte, die im Dienste der Presse tätig waren. Als er zu dem altehrwürdigen, mit Nägeln beschlagenen Portal kam, merkte er gleich, daß etwas nicht stimmte. Er roch frischen Lack! Auch blieb seinem feinen Ohr nicht verborgen, daß die Scharniere des massiven Tors nicht mehr quietschten. Er trat in das Foyer und rang nach Luft. Statt der düsteren, verräucherten Atmosphäre, die er so liebte, umgab ihn jetzt strahlende Sauberkeit.

Qwilleran wußte, daß der Presseklub zwei Wochen lang geschlossen gewesen war – wegen der jährlichen Instandhaltungsarbeiten, wie es hieß –, doch niemand hatte auch nur die geringste Andeutung über diese Metamorphose gemacht. Sie hatte stattgefunden, während er beruflich unterwegs gewesen war.

Sein üppiger graumelierter Schnurrbart sträubte sich vor Wut, und er drückte mit der Faust darauf, um ihn zur Räson zu bringen. Die alten, holzgetäfelten Wände des Foyers, die von unzähligen Schichten billigen Lacks ganz schwarz gewesen waren, hatte man mit etwas tapeziert, das ihn an die Tischtücher seiner Großmutter erinnerte. Anstelle des zerschrammten Bretterbodens, auf dem hundert Jahre Abnützung ihre Spuren hinterlassen hatten, gab es jetzt einen dicken, weichen Spannteppich. Die grellen Neonröhren an der Gewölbedecke hatte man durch einen Kronleuchter aus glänzend poliertem Messing ersetzt. Sogar der vertraute muffige Geruch war verschwunden – stattdessen roch es jetzt chemisch neu.

Der Journalist schluckte den Schock und die Bestürzung herunter und stürmte in die Bar, wo er immer in einer dunklen Ecke am hinteren Ende des Raumes zu Mittag aß. Hier war es das gleiche: cremefarbene Wände, sanfte Beleuchtung, Plastikpflanzen in Körbchen, die von der Decke hingen, und Spiegel. Spiegel! Qwilleran schauderte.

Arch Riker, sein direkter Vorgesetzter beim Daily Fluxion, saß an ihrem üblichen Tisch bei seinem üblichen Glas Scotch, doch der zerkratzte Holztisch war abgeschliffen und lackiert worden, und auf jedem Platz lag ein weißes Papierset mit elegant abgerundeten Ecken. Die Serviererin brachte Qwilleran sofort sein übliches Glas Tomatensaft, doch trug sie nicht ihren üblichen engen weißen Arbeitskittel mit dem ewig gleichen Taschentuch in der Brusttasche. Alle Serviererinnen waren jetzt gekleidet wie französische Stubenmädchen: Sie trugen schicke schwarze Kleider mit weißen Schürzchen und Rüschenhäubchen.

»Arch! Was ist passiert?« wollte Qwilleran wissen. »Ich traue meinen Augen nicht!« Er ließ seinen kräftigen Körper auf einen Stuhl niedersinken und stöhnte.

»Nun, der Presseklub hat jetzt auch viele weibliche Mitglieder«, erklärte Riker ruhig, »und die haben sich ins Instandhaltungskomitee wählen lassen, um das Lokal aufzumöbeln. Man nennt das ›reversible Renovierung‹. Ein anderes Instandhaltungskomitee kann nächstes Jahr die Tapeten herunterreißen, den Spannteppich entfernen und den Klub wieder in den Originalzustand zurückversetzen lassen, dreckig und heruntergekommen, wie er war…«

»Das hört sich ja an, als gefiele es dir. Verräter!«

»Wir müssen mit der Zeit gehen«, sagte Riker mit der gelangweilten Gelassenheit eines Redakteurs, den nichts mehr erschüttern kann. »Schau dir die Speisekarte an und such dir etwas aus. Ich habe um halb zwei eine Besprechung. Ich werde das Lamm-Curry bestellen.«

»Mir ist der Appetit vergangen«, sagte Qwilleran. Sein traurig herabhängender Schnurrbart betonte seine missmutige Miene. Mit einer weit ausholenden Geste, die den gesamten Raum einschloss, sagte er: »Das Lokal hat seinen ganzen Charakter verloren. Es riecht sogar unecht.« Er reckte die Nase hoch und schnüffelte. »Synthetisch! Wahrscheinlich krebserregend!«

»Du wirst noch eine Nase wie ein Bluthund kriegen, Qwill. Über den Geruch hat sich noch niemand beschwert.«

»Und noch etwas«, sagte Qwilleran streitlustig. »Wie es beim Fluxion zugeht, gefällt mir auch nicht.«

»Was meinst du?«

»Zuerst haben sie diese ganzen Frauen in die Lokalredaktion gesetzt und dafür Männer für die Frauenseite abgestellt. Dann bekamen wir gemeinsame Toiletten. Dann haben sie uns diese neuen grünen, orangen und blauen Schreibtische hineingestellt. Es sieht aus wie beim Zirkus! Dann haben sie mir meine Schreibmaschine weggenommen und mir einen Bildschirm gegeben, von dem ich Kopfschmerzen bekomme.«

Riker sagte beruhigend: »Dir spuken noch immer diese alten Filme im Kopf herum, Qwill. Wenn es nach dir ginge, sollten Reporter noch immer mit dem Hut auf dem Kopf dasitzen und mit zwei Fingern auf ihrer Schreibmaschine herumhacken.«

Qwilleran sank auf seinem Stuhl zusammen. »Sieh mal, Arch. Ich bin schon die ganze Zeit dabei zu überlegen, und jetzt habe ich mich entschieden. Ich habe noch drei Wochen Urlaub und zwei Wochen Überstundenausgleich. Dazu möchte ich etwas unbezahlten Urlaub nehmen und drei Monate wegfahren.«

»Das kann doch nicht dein Ernst sein.«

»Ich habe es satt, schmeichelhaften Quatsch über Restaurants zu schreiben, die im Fluxion inserieren. Ich möchte in den Norden hinauffahren, weg vom Rummel und von dem Schmutz, dem Lärm und der Kriminalität der Großstadt.«

»Fehlt dir etwas, Qwill?« fragte Riker beunruhigt. »Du bist doch nicht krank, oder?«

»Ist es denn nicht normal, wenn man mal ein bißchen frische Luft atmen will?«

»Das wird dich umbringen! Du bist ein Großstadtmensch, Qwill. Genau wie ich. Wir sind beide mit Kohlenmonoxyd und Rauch und dem ganzen Dreck von Chicago aufgewachsen. Ich bin dein ältester Freund, und ich sage dir: Tu’s nicht! Du erholst dich gerade finanziell ein wenig, und…« (er senkte die Stimme) »Percy hat einen tollen neuen Auftrag für dich.«

Qwilleran brummte. Er wußte nur zu gut über die tollen neuen Aufträge des Chefredakteurs Bescheid. In den vergangenen paar Jahren hatte er vier solche Aufträge bekommen, und jeder einzelne war eine Beleidigung für einen ehemaligen Kriegsberichterstatter und preisgekrönten Polizeireporter gewesen. »Was ist es denn diesmal?« murmelte er. »Nachrufe? Haushaltstipps?«

Riker lächelte selbstgefällig und sagte dann im Flüsterton: »Enthüllungsreportagen! Du kannst dir selbst aussuchen, worüber du schreiben willst. Politikerbestechungen, Wirtschaftskriminalität, Umweltdelikte, öffentliche Geldverschwendung, was immer du aufspürst.«

Qwilleran strich sich behutsam über den Schnurrbart und starrte seinen Vorgesetzten über den Tisch hinweg an. Enthüllungsjournalismus, das war sein Traum gewesen, lange bevor er in Mode kam. Doch seine sensible Oberlippe – von der er schon die besten Hinweise bekommen hatte – sandte ihm Signale. »Vielleicht im Herbst. Im Augenblick möchte ich den Sommer in einer Gegend verbringen, wo die Leute ihre Türen nicht abschließen und die Zündschlüssel im Auto steckenlassen.«

»Im Herbst ist der Job vielleicht schon vergeben. Wir haben herausbekommen, daß sie beim Morning Rampage einen Mann für Enthüllungsreportagen suchen, und Percy will ihnen zuvorkommen. Du weißt ja, wie er ist. Du gehst ein großes Risiko ein, wenn du nicht hier bist, um den Job anzunehmen, wenn er dir angeboten wird.«

Die Serviererin kam und brachte Riker noch einen Scotch. Dann nahm sie ihre Bestellungen zum Lunch entgegen. »Sie sehen dünn aus«, sagte sie zu Qwilleran. »Was wollen Sie haben? Einen doppelten Hamburger mit Pommes frites, Apfelkuchen und einen großen Whiskey?«

Er warf ihr einen missmutigen Blick zu. »Ich habe keinen Hunger.«

»Bestellen Sie doch ein Truthahnsandwich«, schlug sie vor. »Sie können den Salat und die Tomate essen und den Truthahn für Koko mit nach Hause nehmen. Ich bringe Ihnen eine Tüte zum Einpacken.«

Qwillerans Siamkater war eine Berühmtheit im Presseklub. Kokos Porträt hing neben den Bildern von Pulitzerpreisträgern im Foyer, und er war wahrscheinlich der einzige Kater in der Geschichte des Zeitungswesens, der einen eigenen Presseausweis mit der Unterschrift des Polizeipräsidenten besaß. Zwar hatte Qwilleran mit seinem misstrauischen Wesen und seiner Neugier ein paar Verbrecher zur Strecke gebracht, doch im Presseklub war man sich darüber einig, daß das Hirn, das hinter diesen Erfolgen steckte, einem Kater von außergewöhnlicher Intelligenz und Wahrnehmungsfähigkeit gehörte. Koko schien immer zur rechten Zeit am rechten Ort zu schnüffeln oder zu kratzen.

Die Journalisten widmeten sich dem Lamm-Curry und dem Truthahnsandwich. Sie schwiegen, tief in Gedanken versunken. Schließlich fragte Riker: »Wohin würdest du denn fahren, wenn du dir den Sommer freinimmst?«

»In ein kleines Häuschen an einem See, etwa vierhundert Meilen nördlich von hier. In der Nähe von Mooseville.«

»So weit weg? Was würdest du mit den Katzen machen?«

»Sie mitnehmen.«

»Du hast doch kein Auto. Und in den Wäldern im Norden gibt es keine Taxis.«

»Ich könnte mir auf Kredit einen Wagen kaufen – einen Gebrauchtwagen natürlich.«

»Natürlich«, sagte Riker. Er wußte, daß sein Freund für seine Sparsamkeit bekannt war. »Und ich vermute, der geniale Kater macht dann den Führerschein.«

»Koko? Das würde mich nicht wundern. Er interessiert sich immer mehr für Drucktasten, Knöpfe, Wählscheiben, Hebel – für alles Mechanische.«

»Aber was würdest du denn in einem Ort wie Mooseville tun, Qwill? Du angelst nicht. Du segelst nicht. Der See dort oben ist viel zu kalt zum Schwimmen. Im Winter ist das Wasser zu Eis gefroren, und im Sommer ist es geschmolzenes Eis.«

»Keine Angst, Arch. Ich habe Pläne. Ich habe eine tolle Idee für ein Buch. Ich würde gerne einen Roman schreiben – mit jeder Menge Sex und Crime. So richtig deftig.«

Riker konnte nur vor sich hinstarren und nach weiteren Argumenten suchen. »Das würde dich eine ganz schöne Stange Geld kosten. Ist dir klar, was die für ein Sommerhäuschen verlangen?«

»Um ehrlich zu sein«, sagte Qwilleran mit einem triumphierenden Unterton, »es würde mich keinen Cent kosten. Ich habe da oben eine alte Tante, und sie hat eine Hütte, in der ich wohnen kann.«

»Du hast mir nie etwas von einer alten Tante erzählt.«

»Wir sind nicht wirklich verwandt. Sie war eine Freundin meiner Mutter, und ich habe sie als Kind Tante Fanny genannt. Wir haben einander aus den Augen verloren, aber dann hat sie meinen Namen im Fluxion entdeckt und mir geschrieben. Seither stehen wir in brieflichem Kontakt. – Da wir schon von meinem Namen in der Zeitung reden, er ist gestern schon wieder falsch geschrieben worden.«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Riker. »Wir haben eine neue Lektorin, und niemand hat sie auf dieses lächerliche W aufmerksam gemacht. In der zweiten Ausgabe haben wir es schon korrigiert.«

Die Kellnerin brachte den Kaffee; er war schwarz wie der rußschwarze Lack unter den neuen Tapeten. Riker starrte in seine Tasse und suchte nach einer Erklärung für Qwillerans abnormes Verhalten. »Was ist mit deiner Freundin? Die mit der gesunden Ernährung. Was sagt sie zu deinem plötzlichen Anfall von Wahnsinn?«

»Rosemary? Die hält sehr viel von frischer Luft und Sport und solchen Dingen.«

»Du hast in letzter Zeit keine Pfeife mehr geraucht. War das ihre Idee?«

»Willst du damit etwa sagen, daß ich selbst keine Ideen habe? Es ist einfach so, daß mir klar wurde, wieviel Mühe es macht, Tabak zu kaufen, eine Pfeife zu stopfen, anzuzünden, und dann noch zwei- oder dreimal erneut anzuzünden, die Asche auszuklopfen, den Aschenbecher auszuleeren, die Pfeife zu reinigen …«

»Du wirst alt«, sagte Riker.

Nach dem Mittagessen ging der Restaurantkritiker zurück zu seinem olivgrünen Schreibtisch mit dazu passendem Telefon und Bildschirm, und der Leiter der Feuilletonredaktion nahm an einer Sitzung der Herausgeber, Mitherausgeber, Chefredakteure, deren Assistenten, Abteilungsleiter und Gruppenleiter teil.

Qwilleran freute sich, daß seine Ankündigung Riker etwas aus seiner berufsmäßigen Ruhe gebracht hatte. Zugegeben, die Fragen seines Vorgesetzten hatten seinen Vorsatz etwas ins Schwanken gebracht. Wie würde er nach einem Leben im Großstadtchaos auf drei Monate einfaches Landleben reagieren? Es stimmte schon, daß er im Sommer ein wenig schreiben wollte, doch wie viele Stunden am Tag kann man an einer Schreibmaschine sitzen? Es würde keine Mittagessen im Presseklub geben, keine Telefonanrufe, keine Abende mit Freunden, keine Gourmet-Mahlzeiten, keine wichtigen Baseballspiele, keine Rosemary.

Dennoch, er brauchte Tapetenwechsel. Er war enttäuscht vom Fluxion, und das Angebot, sich den ganzen Sommer in eine Hütte am Ufer eines Sees zurückzuziehen, kam ihm, sparsam wie er war, sehr verlockend vor.

Andererseits hatte Tante Fanny kein Wort über irgendwelchen Komfort oder Annehmlichkeiten gesagt. Qwilleran schätzte ein überlanges Bett, bequeme Lehnstühle, gute Leselampen, einen anständigen Kühlschrank, genug heißes Wasser und funktionierende Installationen. Zweifellos würden ihm die Annehmlichkeiten des Maus Haus abgehen, der traumhaften Pension, in der er ein Luxusappartement bewohnte. Ebenso würden ihm das kultivierte Niveau der Mahlzeiten bei Robert Maus fehlen und die Kameradschaft der anderen Bewohner, besonders von Rosemary. Das grüne Telefon auf seinem Schreibtisch läutete, und er meldete sich geistesabwesend.

»Qwill, hast du schon gehört?« Es war Rosemarys samtige Stimme, doch sie hatte einen schrillen, beunruhigten Unterton.

»Was ist passiert?« Im letzten Jahr hatte es im Maus Haus zwei Morde gegeben, doch der Täter saß jetzt hinter Gittern, und die Bewohner hatten sich beruhigt; sie genossen das angenehme Leben und fühlten sich sicher.

»Robert verkauft das Haus«, sagte Rosemary in klagendem Ton, »und wir müssen alle ausziehen.«

»Warum verkauft er? Es lief doch alles so gut.«

»Irgendwer hat ihm ein tolles Angebot für das Anwesen gemacht. Du weißt, er wollte schon immer den Anwaltsberuf an den Nagel hängen und ein feines Restaurant eröffnen. Er sagt, das ist jetzt seine Chance. Es ist ein erstklassiges Grundstück, und die Firma, die es kauft, will ein Hochhaus mit Wohnungen darauf bauen.«

»Das sind wirklich schlechte Neuigkeiten«, meinte Qwilleran. »Robert hat uns alle mit seinem Chateaubriand, seinem Hummer mit Pilzragout und seinen Artischockenherzen auf florentinische Art viel zu sehr verwöhnt. Willst du mich nicht besuchen, wenn du nach Hause kommst? Dann reden wir darüber.«

»Ich bringe etwas zu trinken mit. Kühle du die Gläser vor«, sagte Rosemary. »Wir haben gerade eine Lieferung Granatapfelsaft bekommen.« Sie war Teilhaberin eines Reformkostladens, dessen Namen, Bio Mio, Qwilleran ziemlich dämlich fand.

Nachdenklich legte er den Hörer auf. Diese schlechte Nachricht war ein Wink des Schicksals: Er sollte in den Norden fahren. Am Nachmittag ging er früher aus der Redaktion weg, in einer Hand die kleine Tüte mit dem Truthahnfleisch vom Presseklub, in der anderen ein Maßband vom Blue Dragon, einem Antiquitätengeschäft.

Bei einer Gebrauchtwagenhandlung stieg er aus dem Bus zur River Road aus. Er ging schnurstracks auf eine Reihe kleiner, benzinsparender Autos zu. Systematisch wanderte er von einem Wagen zum anderen, öffnete die Tür und maß den Fußraum hinter dem Fahrersitz ab.

Ein Verkäufer, der ihm dabei zugesehen hatte, schlenderte zu ihm hin. »Interessieren Sie sich für einen Mittelklassewagen?«

»Kommt darauf an«, murmelte Qwilleran, den Kopf auf den Rücksitz gelegt. Lautlos prägte er sich ein: dreißig Mal achtunddreißig.

»Suchen Sie ein bestimmtes Modell?«

»Nein.« Offenbar war der Getriebetunnel das Problem. Dreiunddreißig mal achtunddreißig.

»Möchten Sie ein Automatic-Auto oder eines mit Gangschaltung?«

»Ist mir egal«, sagte Qwilleran und machte sich wieder mit dem Maßband zu schaffen. Dreiunddreißig mal vierzig. Nachdem er jahrelang mit Dienstautos aus zeitungseigenen Fuhrparks gefahren war, konnte er jedes Fahrzeug lenken; er war schon lange nicht mehr wählerisch.

Der Verkäufer betrachtete den buschigen Schnauzbart und die traurigen Augen. »Ich kenne Sie«, sagte er schließlich. »Ihr Bild ist ständig im Fluxion. Sie schreiben doch über Restaurants. Mein Cousin hat ein Pizzalokal in den Happy View Woods.«

Qwillerans Brummen ertönte aus den Eingeweiden des Wagens.

»Ich möchte Ihnen einen Wagen zeigen, der gerade hereingekommen ist. Wir haben ihn noch nicht mal saubergemacht. Ein Vorjahrsmodell – hat erst zweitausend Meilen drauf. Stammt aus einer Konkursmasse.«

Qwilleran folgte ihm in die Garage. Dort stand ein grünes, zweitüriges Auto, das noch nicht mit Spray behandelt worden war, damit es neu roch. Er zwängte sich mit seinem Maßband auf den Rücksitz. Dann schob er den Fahrersitz so weit zurück, wie es für seine langen Beine notwendig war, und maß nochmals. Fünfunddreißig mal vierzig. »Perfekt«, sagte er, »obwohl ich vielleicht die Griffe abschneiden muß. Wieviel?«

»Kommen Sie mit ins Büro, dann besprechen wir das Geschäftliche«, sagte der Verkäufer.

Bei einer Probefahrt um einen Häuserblock merkte der Journalist, daß der grüne Wagen weitaus weniger schlingerte, ruckelte, tuckerte und klapperte als alle Dienstautos, die er je gefahren war. Und der Preis war in Ordnung. Er machte eine Anzahlung, unterschrieb die Papiere und fuhr heim zum Maus Haus.

Wie erwartet, lag in seinem Postfach ein Brief von Robert Maus mit dem Briefkopf von Maus’ Anwaltsbüro. Überaus zerknirscht erklärte der Anwalt, daß das Anwesen, das bisher unter dem Namen Maus Haus bekannt war, nach reiflicher Überlegung an ein Syndikat von auswärtigen Anlegern verkauft worden war. Diese würden umfangreiche Änderungen vornehmen, die bedauerlicherweise die Räumung der Wohnungen durch die derzeitigen Mieter bis spätestens 1. September erforderlich machten.

Qwilleran, der das Kuvert auf der Stelle aufgerissen hatte, zuckte die Achseln und stieg die Treppe zu seiner Wohnung am Balkon hinauf. Als er die Wohnungstür aufschloß, umgab ihn ein köstlicher Duft nach Truthahn, und eigentlich hätten ihn zwei hungrige Siamkatzen begrüßen, auf staksigen Beinen tänzelnd umkreisen, Achter-Schleifen ziehen und dabei in einem misstönenden, erwartungsvollen Duett krähen und heulen müssen. Stattdessen saßen die beiden undankbaren Geschöpfe reglos in einem stummen Komplott auf dem weißen Bärenfell. Qwilleran wußte, warum. Sie spürten, daß Veränderungen bevorstanden. Obwohl Koko und seine Komplizin Yum Yum Experten im Ausdenken von Überraschungen waren, reagierten sie empört auf Änderungen, die von anderen kamen. Im Maus Haus waren sie vollkommen zufrieden mit dem breiten, sonnigen Fensterbrett, der ständigen Unterhaltung, die ihnen die Tauben aus der Nachbarschaft boten, und dem Luxus eines Bärenfells.

»Schon gut, ihr beiden«, sagte Qwilleran. »Ich weiß, daß ihr nicht gerne umzieht, aber wartet ab, bis ihr seht, wo wir hinfahren! Ich wünschte, wir könnten das Fell mitnehmen, aber es gehört uns nicht.«

Koko, der mit vollem Namen Kao K’o-Kung hieß, hatte die Würde eines orientalischen Potentaten. Aufrecht, in königlicher Haltung, saß er da, jedes einzelne Schnurrhaar ein Ausdruck der Missbilligung. Sowohl er als auch Yum Yum waren sich vollkommen bewußt, wie prachtvoll sie auf dem flauschigen weißen Bärenfell wirkten. Sie hatten die klassische Färbung und Gestalt der Siamkatzen: blaue Augen in einem dunkelbraunen Gesicht, ein feines, sandfarbenes Fell, neben dem Nerz zweitklassig aussah, elegante, lange braune Beine und einen graziösen Schwanz.

Qwilleran schnitt ihnen das Truthahnfleisch klein. »Kommt schon und holt euch das Fleisch! Diesmal stammt es von einem echten Truthahn.« Die beiden Katzen verharrten in ihrer frostigen Zurückhaltung.

Im nächsten Augenblick hob Qwilleran den Kopf und schnupperte. Er roch ein bekanntes Parfüm, und bald darauf klopfte Rosemary an die Tür. Er begrüßte sie mit einem Kuß, der mehr war als ein Begrüßungsküßchen unter Bekannten. Die Katzen saßen in steinerner Reglosigkeit da.

Sie füllten Gläser mit Eiswürfeln und schenkten Granatapfelsaft mit einem Schuß Klub-Soda ein. Dann tranken sie auf das Haus, das jetzt auf der Abrissliste stand, und auf alles, was hier geschehen war.

»Es war ein Lebensstil, den wir nie vergessen werden«, sagte Qwilleran.

»Es war ein Traum«, fügte Rosemary hinzu.

»Und manchmal ein Alptraum.«

»Vermutlich nimmst du jetzt das Angebot deiner Tante an. Wird dich der Fluxion gehen lassen?«

»Sicher. Sie werden mich vielleicht nicht zurückkommen lassen, aber gehen lassen sie mich. Hast du schon irgendwelche Pläne?«

»Ich gehe vielleicht nach Kanada zurück«, sagte Rosemary. »Max will in Toronto ein Naturkost-Restaurant aufmachen, und wenn ich meinen Anteil am Bio Mio verkaufen kann, beteilige ich mich vielleicht daran.«

Qwilleran schnaubte in seinen Schnurrbart. Max Sorrel! Dieser Schürzenjäger! Er sagte: »Ich habe gehofft, daß du in den Norden kommst und ein bißchen Zeit mit mir verbringst.«

»Sehr gerne, wenn aus Toronto nichts wird. Wie kommst du denn hin?«

»Ich habe mir heute ein Auto gekauft. Die Katzen und ich fahren nach Pickax City und begrüßen Tante Fanny, und dann geht’s weiter zum See. Ich habe sie seit vierzig Jahren nicht gesehen. Nach ihren Briefen zu urteilen, muß sie ein richtiges Original sein. Ihre Briefe sind über Kreuz geschrieben.«

Rosemary sah ihn fragend an.

»Meine Mutter hat das auch gemacht. Sie hat einen Brief normal beschrieben, dann das Blatt quer gedreht und so quer über die bereits bestehenden Zeilen geschrieben.«

»Wozu denn? Um Papier zu sparen?«

»Wer weiß? Vielleicht zum Schutz der Privatsphäre. Es ist nicht leicht zu lesen… Sie ist nicht meine wirkliche Tante«, fuhr er fort. »Fanny und meine Mutter haben im Ersten Weltkrieg bei der Soldatenbetreuung gearbeitet. Dann hat Fanny irgendwie Karriere gemacht – sie hat nie geheiratet. Als sie sich aus dem Berufsleben zurückzog, ging sie zurück nach Pickax City.«

»Ich habe noch nie von dem Ort gehört.«

»Die Gegend war mal für ihren Bergbau berühmt. Ihre Familie hat damit ein Vermögen gemacht.«

»Wirst du mir schreiben, Qwill, Liebling?«

»Ich schreibe dir – oft. Du wirst mir fehlen, Rosemary.«

»Erzähle mir alles über Tante Fanny, wenn du sie gesehen hast.«

»Sie nennt sich jetzt Francesca. Sie mag es nicht, wenn man sie Tante Fanny nennt. Sie sagt, dann kommt sie sich vor wie eine alte Frau.«

»Wie alt ist sie denn?«

»Sie wird im nächsten Monat neunzig.«

Kapitel 2

Qwilleran belud das grüne Auto für die lange Fahrt in den Norden: zwei Koffer, seine Schreibmaschine, das dreizehn Pfund schwere Wörterbuch, fünfhundert Blatt Schreibpapier und zwei Kartons mit Büchern. Da Koko sich weigerte, handelsübliche Katzennahrung zu fressen, nahm er vierundzwanzig Dosen mit Hühnerfleisch, Lachs, Corned beef, weißem Thunfischfleisch, Cocktail-Shrimps und Krabbenfleisch aus Alaska mit. Auf dem Rücksitz lag das blaue Kissen, auf dem die Katzen so gerne saßen, und auf dem Boden stand eine ovale Bratpfanne, deren Griffe er abgesägt hatte, damit sie zwischen den Getriebetunnel und die Laufschienen des Vordersitzes paßte. Sie enthielt eine etwa drei Zentimeter hohe Schicht Katzenstreu, Das war das Katzenkistchen. Als ihr altes, handbemaltes Emailkistchen endgültig verrostet war, hatte Robert Maus die Bratpfanne aus seiner wohlbestückten Küche gespendet.

Die Möbel in Qwillerans Wohnung gehörten einem früheren Mieter, und seine paar persönlichen Besitztümer – zum Beispiel eine alte Personenwaage und ein gusseisernes Wappen – waren über den Sommer in Arch Rikers Keller eingelagert. So begann der Journalist unbeschwert seine Reise in den Norden.

Seine Passagiere auf dem Rücksitz hingegen reagierten ganz anders. Das kleine Weibchen stimmte ein schrilles Geheul an, wann immer der Wagen abbog, um eine Kurve oder über eine Brücke oder unter einem Viadukt hindurchfuhr, einem Lastwagen begegnete oder eine Geschwindigkeit von fünfzig Meilen in der Stunde überschritt. Koko schimpfte sie aus und biß sie ins Hinterbein und trug mit Knurren und Fauchen zu dem musikalischen Spektakel bei. Qwilleran fuhr bald mit zusammengebissenen Zähnen und ließ die verärgerten und finsteren Blicke der Autofahrer über sich ergehen, die ihn überholten; er ertrug, daß sie ungeduldig hupten oder feindselig dicht auffuhren.

Ihr Weg führte durch eine Reihe von Vororten und dann über kurvenreiche Straßen durch eine Gegend, die für ihre Pferde bekannt war. Danach wurde es kühler, die Nadelbäume waren höher, es gab Schilder, auf denen vor Wildwechsel gewarnt wurde, und es waren mehr Pick-ups unterwegs als vorher. Pickax City war noch immer hundert Meilen entfernt, als Qwillerans gepeinigte Nerven am Ende waren und er beschloß, eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Sie mieteten sich auf einer Art Campingplatz ein, wo in einem bewaldeten Areal weit verstreut wackelige Hütten aus der Zeit vor der Erfindung der Motels standen. Sie waren alle drei vollkommen erschöpft, und Koko und Yum Yum schliefen augenblicklich mitten auf dem Bett ein.

Am nächsten Tag war die Reise von weniger Protesten vom Rücksitz her begleitet. Die Temperatur sank noch weiter, und aus den Wildwechsel-Schildern wurden Elchwechsel-Schilder. Die Straße führte allmählich in hügeliges Gelände und danach in ein Tal hinunter und wurde schließlich zur Hauptdurchfahrtsstraße von Pickax City. Die majestätischen alten Häuser, die den Reichtum der Pioniere widerspiegelten, die mit Bergbau und Holz zu Geld gekommen waren, säumten die Main Street, welche mitten durch das Zentrum der Stadt und rund um einen kleinen Park führte. Dem Park gegenüber standen einige eindrucksvolle Gebäude: ein Gerichtsgebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert, eine Bücherei mit Säulen wie ein griechischer Tempel, zwei Kirchen und ein prächtiges Wohnhaus mit einer auf Hochglanz polierten Hausnummer aus Messing, das Tante Fanny gehörte.

Es war ein großes, viereckiges Herrenhaus aus Bruchstein; dahinter befand sich ein Kutschenhaus. In der Auffahrt stand ein blauer Kleinlastwagen, und an den Sträuchern arbeitete ein Gärtner. Er starrte Qwilleran ostentativ an; seinen Gesichtsausdruck konnte der Journalist nicht deuten. In der Eingangstür befand sich ein altmodischer, messingumrahmter Briefschlitz, in den der Familienname eingraviert war: Klingenschoen.

Die kleine alte Dame, die auf sein Klingeln öffnete, war zweifellos Tante Fanny: sie wirkte robust für ihre neunundachtzig Jahre – ein winziges Persönchen, das vor Energie sprühte. Ihr puderweißes, runzeliges Gesicht zierten zwei orangefarbene Lippenstiftstriche, und sie trug eine Brille, die ihre Augen vergrößerte. Sie starrte ihren Besucher an, und als sie ihn schließlich durch ihre dicken Brillengläser erkannte, breitete sie in einer dramatischen Willkommensgeste die Arme weit aus. Dann sprach diese kleine Frau mit tiefer, rauher Stimme:

»Du meine Güte! Bist du aber gewachsen!«

»Das will ich doch hoffen«, sagte Qwilleran freundlich. »Als du mich das letzte Mal gesehen hast, war ich sieben Jahre alt. Wie geht es dir, Francesca? Du siehst großartig aus!«

Ihr exotischer Name paßte ganz zu ihrer extravaganten Kleidung: Sie trug eine mit Pfauen bestickte Tunika aus orangefarbenem Satin und darunter eine schmale schwarze Hose. Um den Kopf hatte sie ein Tuch gewunden, ebenfalls orangefarben, das oben so geschlungen war, daß sie größer als ein Meter dreißig wirkte.

»Komm herein, komm herein«, brummte sie freundlich. »Mein Gott, wie ich mich freue, dich zu sehen! … Ja, du siehst genauso aus wie auf deinem Foto im Fluxion. Wenn dich deine Mutter jetzt sehen könnte, Gott hab’ sie selig. Sie wäre hingerissen von deinem Schnurrbart. Willst du gleich eine Tasse Kaffee? Ich weiß, ihr Journalisten trinkt sehr viel Kaffee. Wir nehmen ihn auf der Glasveranda.«

Tante Fanny ging durch eine hohe Eingangshalle mit einem imposanten Treppenaufgang voraus, vorbei an einem eleganten Salon und einem prunkvollen Eßzimmer, einer getäfelten Bibliothek und einem Frühstückszimmer, das regelrecht in Chintz erstickte. Dann trat sie in einen luftigen Raum mit bis zum Boden reichenden Flügelfenstern, Korbmöbeln und uralten Gummibäumen.

Mit ihrer tiefen Stimme sagte sie: »Ich habe ein paar göttliche Zimtbrötchen. Tom hat sie heute morgen aus der Bäckerei geholt. Du warst als kleiner Junge ganz verrückt nach Zimtbrötchen.«

Während es sich Qwilleran auf einem Korbsofa bequem machte, lief seine Gastgeberin in ihren kleinen, schwarzen chinesischen Pantoffeln davon; sie verschwand in einem anderen Teil des Hauses, wobei sie einen Monolog führte, den er nur halb hören konnte. Dann kam sie mit einem großen Tablett zurück.

Qwilleran sprang auf. »Komm, ich nehme dir das ab, Francesca.«

»Danke, mein Lieber«, bellte sie. »Du warst schon immer ein aufmerksamer kleiner Junge. Also, du mußt unbedingt Sahne in deinen Kaffee tun. Tom hat sie heute morgen direkt vom Milchbauern geholt. So eine Sahne bekommt man in der Stadt nicht, mein Junge.«

Qwilleran trank seinen Kaffee lieber schwarz, nahm aber jetzt Sahne, und als er in das weiche Zimtbrötchen biß, wanderte sein Blick zu den großen Fenstern. Der Gärtner stand auf seinen Rechen gestützt da und spähte in den Raum.

»Also, du bleibst zum Mittagessen«, sagte Tante Fanny aus den Tiefen eines riesigen geflochtenen Schaukelstuhls, der ihre winzige Gestalt fast verschluckte. »Tom wird zum Fleischer gehen und ein Steak holen. Magst du lieber Porterhouse oder Delmonico? Wir haben einen phantastischen Fleischer. Magst du eine gebackene Kartoffel mit saurer Sahne?«

»Nein! Nein! Vielen Dank, Francesca, aber ich habe zwei nervöse Tiere im Auto, und ich möchte sie so bald wie möglich zur Hütte hinaufbringen. Ich danke dir für die Einladung, aber ich muß ein andermal darauf zurückkommen.«

»Oder vielleicht hättest du lieber Schweinskoteletts«, fuhr Tante Fanny fort. »Ich mache dir einen großen Salat. Was für ein Dressing willst du? Als Nachspeise essen wir Crêpes Suzette. Als ich aufs College ging, habe ich die immer gemacht, wenn ich Herrenbesuch hatte.«

Qwilleran dachte: Ist sie taub? Oder hört sie nur einfach nicht zu? Ich muß ihre Aufmerksamkeit auf mich lenken. »Tante Fanny!« rief er.

Bei dem Namen und dem Tonfall sah sie erschreckt auf. »Ja, mein Junge?«

»Wenn wir uns etwas eingelebt haben«, sagte er mit normaler Stimme, »komme ich her und esse mit dir zu Mittag, oder du kannst zum See hinauffahren, und ich führe dich zum Abendessen aus. Hast du eine Transportmöglichkeit, Francesca?«

»Aber natürlich! Tom fährt mich. Ich habe vor ein paar Jahren nach einem kleinen Unfall meinen Führerschein verloren. Der Polizeichef war ein sehr unangenehmer Mensch, aber wir sind ihn losgeworden, und jetzt haben wir einen ausgesprochen charmanten Mann. Er hat seine jüngste Tochter nach mir benannt…«

»Tante Fanny!«

»Ja, mein Junge?«

»Sagst du mir, wie ich zu der Hütte komme?«

»Natürlich. Es ist ganz einfach. Du fährst Richtung Norden zum See und biegst dann links ab. Halte Ausschau nach den Ruinen eines steinernen Rauchfangs; das ist alles, was von der alten Blockhütte, die einmal eine Schule war, übriggeblieben ist. Dann kommt ein Pfahl, auf dem der Buchstabe K steht. Dort biegst du in den Kiesweg ein und folgst ihm durch den Wald. Das gehört dort alles mir. Jetzt müßten gerade die wilden Kirschen und die kanadischen Felsenbirnen blühen. Von dort sind es nur drei Meilen bis Mooseville. Du kannst zum Essen oder Einkäufen hinfahren. Sie haben eine ausgesprochen charmante Postbeamtin, aber mach dir keine Hoffnungen! Sie ist verheiratet…«

»Tante Fanny!«

»Ja, mein Junge?«

»Brauche ich einen Schlüssel?«

»Du liebe Zeit, nein! Ich glaube nicht, daß ich je einen Schlüssel für die Hütte gesehen habe. Es ist nur eine kleine, alte Holzhütte mit zwei Schlafräumen, aber du wirst es bequem haben. Es wird schön ruhig sein fürs Schreiben. Für meinen Geschmack war es zu ruhig. Ich habe in New Jersey in Klubs gearbeitet, weißt du, und da hatte ich die ganze Zeit Unmengen Leute um mich. Ich freue mich so, daß du ein Buch schreibst, mein Junge. Wie heißt es denn? Deine liebe Mutter wäre ja so stolz auf dich.«

Qwilleran war reisemüde und sehnte sich danach, ans Ziel seiner Fahrt zu kommen. Er mußte mit allen Tricks arbeiten, um sich von Tante Fannys überwältigender Gastfreundschaft zu befreien. Als er endlich aus dem Haus kam, machte sich der Gärtner am Tulpenbeet rund um die Eingangstreppe zu schaffen. Der Mann starrte ihn an, und Qwilleran salutierte scherzhaft.

Seine Rückkehr wurde von seinen Passagieren mit entrüstetem Geschrei begrüßt, und Yum Yum setzte ihren Protest aus Prinzip auch weiterhin fort, obwohl sie nicht von der Straße abbogen und es weder Brücken noch Viadukte noch große Lastwagen gab. Die Straße führte durch eine trostlose Landschaft, die zum Teil durch Waldbrände verwüstet worden war. Die dürren Überreste zerstörter Bäume schienen gleichsam in grotesken Stellungen erstarrt. Er sah ein Schild, das Heiße Pasteten ankündigte; das Restaurant dahinter war eingestürzt und unkrautüberwuchert. Auf der Straße war kaum Verkehr; er bestand vor allem aus Pick-ups, deren Fahrer dem grünen Auto zuwinkten. An den stillgelegten Minen – der Dimsdale-, der Big Bund der Goodwinter-Mine – standen Schilder mit der Aufschrift Lebensgefahr! – Betreten verboten! Eine Klingenschoen-Mine gab es nicht, wie Qwilleran bemerkte. Er stellte das Autoradio auf den lokalen Sender ein, schaltete aber schnellstens wieder ab.

Also hatte Tante Fanny in Klubs gearbeitet! Er konnte sich gut vorstellen, wie sie bei Teegesellschaften emsig herumpusselte, den Vorsitz bei Ausschüssen führte, geblümte Hüte trug, zur Präsidentin gewählt wurde und Wohltätigkeitsveranstaltungen organisierte.