Die Katze, die das Licht löschte - Band 3 - Lilian Jackson Braun - E-Book
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Die Katze, die das Licht löschte - Band 3 E-Book

Lilian Jackson Braun

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Beschreibung

Ermittlungen im Drogenmilieu: „Die Katze, die das Licht löschte“ von Bestsellerautorin Lilian Jackson Braun jetzt als eBook bei dotbooks. Da waren es plötzlich zwei – seit Jim Qwilleran neben Siamkater Koko auch noch die Katzendame Yum Yum aufgenommen hat, geht es bei ihm drunter und drüber! Doch der Lokaljournalist lernt die feinen Riecher der cleveren Vierbeiner schnell zu schätzen: Während er einen Artikel über Junktown schreibt, das schäbige Stadtviertel mit dem schlechten Ruf, kommt dort ein Antiquitätenhändler unter mysteriösen Umständen ums Leben. Ein Unfall, behaupten die Anwohner. Aber Jim ist skeptisch – und findet dank Koko und Yum Yum schnell Indizien, die auf ein Verbrechen hinweisen … „Die Kombination aus Krimi und Katzen ist ein Leckerbissen für alle Leser, die beides mögen.“ Chicago Sun-Times Die Krimi-Serie mit Suchtpotenzial! Der dritte Fall für Reporter Jim und Siamkater Koko – jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Katze, die das Licht löschte“ von Lilian Jackson Braun. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Da waren es plötzlich zwei – seit Jim Qwilleran neben Siamkater Koko auch noch die Katzendame Yum Yum aufgenommen hat, geht es bei ihm drunter und drüber! Doch der Lokaljournalist lernt die feinen Riecher der cleveren Vierbeiner schnell zu schätzen: Während er einen Artikel über Junktown schreibt, das schäbige Stadtviertel mit dem schlechten Ruf, kommt dort ein Antiquitätenhändler unter mysteriösen Umständen ums Leben. Ein Unfall, behaupten die Anwohner. Aber Jim ist skeptisch – und findet dank Koko und Yum Yum schnell Indizien, die auf ein Verbrechen hinweisen …

»Die Kombination aus Krimi und Katzen ist ein Leckerbissen für alle Leser, die beides mögen.« Chicago Sun-Times

Über die Autorin:

Lilian Jackson Braun (1913–2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der »New York Times«-Bestsellerliste.

Bei dotbooks erscheinen alle Bände der Erfolgsserie. Eine vollständige Übersicht finden Sie am Ende dieses eBooks.

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eBook-Neuausgabe Juli 2016

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1968 Lilian Jackson Braun

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1968 unter dem Titel »The Cat Who Turned On and Off«.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1995 Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Forewer und Oktora

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-830-4

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Lilian Jackson Braun

Die Katze, die das Licht löschte

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Christine Pavesicz

dotbooks.

Kapitel 1

Im Dezember erklärte der Wettergott der Stadt den Krieg. Zuerst bombardierte er sie mit Eisstürmen, dann attackierte er sie mit bitterkalten Winden. Jetzt fiel er mit einem heftigen Schneetreiben über sie her.

Ein Schneesturm peitschte die Canard Street hinunter, am Presseclub vorbei, als hege er einen speziellen Groll gegen Journalisten. Mit bösartiger Präzision nahmen die größten Schneeflocken Ziel und landeten kalt und naß am Hals des Mannes, der gerade vor dem Presseclub nach einem Taxi Ausschau hielt.

Mit einer Hand stellte er unbeholfen den Kragen seines Tweedmantels auf und versuchte, sich den flachen Hut an die Ohren zu drücken. Seine linke Hand hatte er tief in die Manteltasche gesteckt. Ansonsten war an dem Mann nichts Außergewöhnliches, mit Ausnahme eines üppigen Schnurrbarts – und der Tatsache, daß er nüchtern war. Es war nach Mitternacht; es war neun Tage vor Weihnachten; und der Mann, der aus dem Presseclub kam, war nüchtern.

Als schließlich ein Taxi am Straßenrand anhielt, setzte er sich ganz vorsichtig, ohne seine Hand aus der Tasche zu nehmen, auf den Rücksitz und nannte dem Fahrer den Namen eines drittklassigen Hotels.

»Medford Manor? Warten Sie mal, da kann ich die Zwinger Street und die Schnellstraße nehmen«, sagte der Taxifahrer hoffnungsvoll, während er den Taxameter einschaltete, »oder ich kann über den Center Boulevard fahren.«

»Zwinger«, sagte der Passagier. Normalerweise nahm er die Route über den Boulevard, die billiger war, aber über die Zwinger Street ging es schneller.

»Sind Sie Journalist?« fragte der Fahrer, drehte sich um und grinste seinen Fahrgast wissend an.

Der Passagier bejahte murmelnd.

»Das habe ich mir gedacht. Ich wußte, daß Sie nicht einer von diesen Werbefritzen sind, die im Presseclub herumhängen. Ich meine, das sehe ich schon an Ihrer Kleidung. Ich will damit nicht sagen, daß Journalisten schlampig angezogen sind oder so, aber sie sind – na ja – Sie wissen schon! Ich nehme sie ständig vor dem Presseclub auf. Die geben kein großes Trinkgeld, aber sie sind in Ordnung, und man weiß ja nie, ob man nicht mal ’nen Freund bei der Zeitung braucht. Stimmt’s?« Er drehte sich um und strahlte den Mann auf dem Rücksitz mit einem verschwörerischen Grinsen an.

»Vorsicht!« fauchte der Passagier, als das Taxi auf einen Betrunkenen zusteuerte, der über die Zwinger Street torkelte.

»Sind Sie beim Daily Fluxion oder beim Morning Rampage?«

»Beim Fluxion.«

Das Taxi blieb vor einer roten Ampel stehen, und der Fahrer starrte seinen Fahrgast an. »Ich habe ihr Bild in der Zeitung gesehen. Den Schnurrbart, meine ich. Werden Sie als Verfasser genannt?«

Der Mann auf dem Rücksitz nickte.

Sie waren in einer tristen Gegend angelangt. Die alten Stadthäuser, einst Wohnsitz der Elite der Stadt, beherbergten jetzt billige Pensionen und Bars.

»Schließen Sie Ihre Tür ab«, riet ihm der Fahrer. »Sie glauben nicht, was sich nachts hier für ein Gesindel herumtreibt. Betrunkene, Junkies, Nutten und was es sonst noch alles gibt. Das war mal ’n stinkfeines Viertel. Jetzt wird es Junktown genannt.«

»Junktown?« wiederholte der Passagier und zeigte zum ersten Mal Interesse an dem Gespräch.

»Sie sind Journalist und haben noch nichts von Junktown gehört?«

»Ich bin ein – ich bin ziemlich neu in dieser Stadt.« Der Fahrgast glättete mit der rechten Hand seinen Schnurrbart.

Seine Linke steckte noch immer in der Tasche, als er auf der anderen Seite der Stadt ausstieg. Er trat in die menschenleere Eingangshalle des Medford Manor und ging rasch an der Rezeption vorbei, wo der ältliche Angestellte an der Telefonzentrale vor sich hindöste. Im Aufzug saß ein betagter Page zusammengesunken und leise schnarchend auf einem Hocker. Der Mann betätigte einen Schalter und drückte einen Hebel, wodurch die Aufzugskabine mitsamt ihrem schlafenden Passagier in den sechsten Stock befördert wurde.

Dann marschierte er den Gang hinunter zu Zimmer sechshundertsechs. Er holte mit seiner Rechten einen Schlüssel aus der Hosentasche, schloß die Tür auf und trat ins Zimmer. Behutsam schloß er die Tür, bevor er das Licht andrehte. Dann stand er da und lauschte. Langsam bewegte er den Kopf von einer Seite zur anderen und musterte den Raum: das Doppelbett, den Lehnstuhl, die unaufgeräumte Kommode, die Schranktür, die einen Spalt offenstand.

»Na schön, ihr beiden«, sagte er. »Kommt raus!«

Langsam und vorsichtig zog er seine linke Hand aus der Tasche.

»Ich weiß, daß ihr da seid. Kommt endlich raus!«

Bettfedern knarrten, ein Brummen ertönte, gefolgt von einem Laut, als würde etwas zerreißen, und dann zweimal hintereinander ein dumpfer Aufprall auf dem Fußboden. Zwischen den schlaffen Fransen der Baumwollbettdecke tauchten zwei Köpfe auf.

»Ihr zwei Verrückten! Ihr wart schon wieder in den Bettfedern!«

Sie zwängten sich unter dem Bett hervor – zwei Siamkatzen. Zuerst waren ihre beiden braunen Köpfe zu sehen, von denen einer keilförmiger war als der andere; dann zwei sandfarbene Körper, von denen einer zierlicher war als der andere; und danach zwei seidige braune Schwänze, von denen einer an der Spitze einen Knick hatte. Der Mann streckte die linke Hand aus, auf der in eine Papierserviette eingewickelt eine matschige Masse lag. »Seht ihr, was ich euch mitgebracht habe? Truthahn aus dem Presseclub.«

Zwei schwarze, samtene Nasen hoben sich in die Luft und schnupperten, Schnurrhaare zuckten, und beide Katzen begannen einstimmig zu heulen.

»Schschsch! Das alte Mädchen von nebenan läßt euch noch verhaften.«

Der Mann begann mit einem Taschenmesser den Truthahn kleinzuschneiden, während sie verzückt im Zimmer umherliefen und Achterschleifen zogen, mit dem Schwanz hin und her schlugen und ein mißtönendes Duett anstimmten.

»Still!«

Sie heulten noch lauter.

»Ich weiß nicht, warum ich das alles für euch elenden Geschöpfe tue. Es ist eigentlich verboten, Speisen vom Buffet des Presseclubs mitgehen zu lassen. Ganz zu schweigen von der Schweinerei! Meine ganze Tasche ist voller Bratensaft.«

Ihr Geschrei übertönte seine Stimme.

»Werdet ihr jetzt endlich den Mund halten?«

Das Telefon klingelte.

»Seht ihr? Ich hab’s euch ja gesagt!«

Rasch stellte der Mann einen gläsernen Aschenbecher mit dem Truthahnfleisch auf den Fußboden und ging ans Telefon.

»Mr. Qwilleran«, sagte die zittrige Stimme des Mannes an der Rezeption, »tut mir leid, daß ich Sie schon wieder anrufen muß, aber Mrs. Mason von sechshundertvier sagt, Ihre Katzen –«

»Tut mir leid. Sie hatten Hunger. Jetzt sind sie ruhig.«

»Wenn – wenn – wenn es Ihnen nichts ausmacht, ein Zimmer zu nehmen, das nach hinten rausgeht: sechshundertneunzehn wäre frei, und Sie könnten morgen den Tagesportier bitten –«

»Das wird nicht nötig sein. Sobald ich eine Wohnung gefunden habe, ziehen wir aus.«

»Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, Mr. Qwilleran. Der Geschäftsführer –«

»Ich nehme es Ihnen nicht übel, Mr. McIldoony. Ein Hotelzimmer ist nichts für Katzen. Wir werden vor Weihnachten draußen sein … hoffe ich«, fügte er leise hinzu, während er sich in dem trostlosen Zimmer umsah.

Er hatte schon besser gewohnt, als er jung und erfolgreich gewesen war, allseits bekannt und verheiratet. Seit seiner Zeit als Polizeireporter in New York war viel geschehen. Jetzt – mit den Schulden, die er angesammelt hatte und dem Gehalt, das er bei einer Zeitung im Mittleren Westen verdiente – war das Medford Manor das Beste, was er sich leisten konnte. Qwillerans einziger Luxus waren seine zwei Mitbewohner, die einen exquisiten Geschmack hatten und sich gern von ihm verwöhnen ließen.

Jetzt waren die Katzen still. Die größere machte sich mit gesenktem Kopf und erhobenem Schwanz, dessen Spitze sich langsam und verzückt hin und her wiegte, über den Truthahn her. Das kleine Weibchen saß ein paar Zentimeter entfernt da und wartete respektvoll darauf, daß es an die Reihe kam.

Qwilleran zog den Mantel aus, nahm die Krawatte ab und kroch unter das Bett, um den zerrissenen Drillich mit einer Reißzwecke wieder am Holzrahmen der Springfedern zu befestigen. Als er vor zwei Wochen in das Hotel eingezogen war, hatte der Stoff einen kleinen Riß gehabt, der allmählich immer größer geworden war. Er hatte für die Feuilletonseite des Daily Fluxion eine Glosse zu diesem Thema geschrieben.

»Jede kleine Öffnung stellt eine Herausforderung für die Sinne einer Katze dar«, hatte er geschrieben. »Für eine Katze ist es eine Frage der Ehre, diese Öffnung zu vergrößern und sich durchzuzwängen.«

Nachdem er die Bespannung repariert hatte, tastete Qwilleran in seiner Manteltasche nach Pfeife und Tabak und zog eine Handvoll Briefumschläge heraus. Der erste war in Connecticut abgestempelt und noch ungeöffnet und ungelesen, doch er wußte trotzdem, was er enthielt – eine weitere unverblümte Geldforderung.

Den zweiten Brief – ein paar in brauner Tinte mit femininen Schnörkeln geschriebene Zeilen – hatte er etliche Male gelesen. Sie bedauerte, ihre Verabredung am Weihnachtsabend absagen zu müssen. Sie erklärte so behutsam und taktvoll, daß es fast weh tat, daß da dieser andere Mann war – dieser Ingenieur – es war alles so plötzlich gekommen – Qwill würde das gewiß verstehen.

Qwilleran drehte das Blatt schmetterlingsförmig zusammen und warf es dann in den Papierkorb. Er hatte sich so etwas fast schon gedacht. Sie war jung, und Qwillerans Schnurrbart und Schläfen wurden merklich grau. Dennoch war es eine Enttäuschung. Jetzt hatte er keine Begleiterin für die Weihnachtsparty im Presseclub – die einzige Gelegenheit, bei der er Weihnachten feiern würde.

Die dritte Nachricht war eine Mitteilung des Chefredakteurs, der die Mitarbeiter an den jährlichen Journalistenwettbewerb erinnerte. Neben Geldpreisen im Gesamtwert von dreitausend Dollar gab es für ehrenvolle Erwähnungen fünfundzwanzig tiefgefrorene Truthähne zu gewinnen, eine Spende der ›Ersten kybernetischen Geflügelfarm‹«.

»Die dann erwarten wird, daß die Belegschaft des Fluxion sie hegt und pflegt und über sie schreibt, bis daß der Tod uns scheidet«, sagte Qwilleran laut.

»Yau«, sagte Koko, der sich das Gesicht putzte, zwischen zwei Waschgängen mit der Zunge.

Jetzt machte sich das kleine Weibchen über den Truthahn her. Koko ließ ihm stets die Hälfte des Futters übrig – oder zumindest gute vierzig Prozent.

Qwilleran streichelte Kokos Fell, das weich wie Hermelin war, und bewunderte die Schattierungen – von hellem Rehbraun bis Schwarzbraun –, einer der spektakulärsten Erfolge von Mutter Natur. Dann zündete er sich eine Pfeife an und machte es sich, die Füße auf das Bett gelegt, im Lehnstuhl bequem. Einen der Geldpreise könnte er gut brauchen. Dann könnte er ein paar hundert Dollar nach Connecticut schicken und anfangen, Möbel zu kaufen. Mit eigenen Möbeln wäre es leichter, eine Unterkunft zu finden, in der Haustiere willkommen waren.

Es war noch genug Zeit, etwas Preisträchtiges zu schreiben und es vor dem 31. Dezember, dem letzten Termin, veröffentlichen zu lassen; der Feuilletonredakteur brauchte dringend Material für die Weihnachtszeit. Arch Riker hatte eine Sitzung der Feuilletonredaktion einberufen und gefragt: »Könnt ihr euch nicht etwas Originelles dazu einfallen lassen?« Ohne große Hoffnung hatte er forschend in die Gesichter der versammelten Mitarbeiter gesehen, die da waren: beleibte Kolumnisten, dürre Kritiker, Qwilleran, der für die allgemeine Berichterstattung zuständig war, und Spezialisten, die Artikel über Reisen, Hobbys, Luftfahrt, Immobilien und Gartengestaltung verfaßten. Sie alle hatten den Blick des Redakteurs mit dem ausdruckslosen Blick von Veteranen erwidert, die schon viel zu oft über Weihnachten geschrieben hatten.

Qwilleran sah, daß ihn Koko aufmerksam beobachtete. »Wenn man einen Preis gewinnen will«, sagte er zu dem Kater, »muß man sich etwas einfallen lassen.«

»Yau«, machte Koko. Er sprang auf das Bett, sah ihn an und blinzelte teilnahmsvoll. Seine Augen waren bei hellem Licht saphirblau, doch im Licht der Hotelzimmerlampe sahen sie aus wie große, schwarze Onyxscheiben, in denen es diamant- oder rubinfarben aufblitzte.

»Was ich brauche, ist eine spektakuläre Idee.« Qwilleran runzelte die Stirn und klopfte sich mit dem Pfeifenstiel auf den Schnurrbart. Gereizt dachte er an Jack Jaunti vom Fluxion, einen jungen Besserwisser, der für die Sonntagsausgabe arbeitete und zugleich inkognito bei Percival Duxbury einen Job als Kammerdiener angenommen hatte, um eine Insider-Story über den reichsten Mann der Stadt schreiben zu können. Damit hatte er sich bei den einflußreichsten Familien der Stadt zwar keine Freunde gemacht, doch die Auflage war zwei Wochen lang gestiegen, und es wurde gemunkelt, daß Jaunti der Favorit für den ersten Preis war. Qwilleran hatte etwas gegen junge Leute, die Frechheit mit Können verwechselten.

»Der Typ beherrscht ja noch nicht mal Orthographie«, sagte er zu seinem einzigen aufmerksamen Zuhörer.

Koko blinzelte weiter. Er wirkte schläfrig.

Das Weibchen streifte im Zimmer umher und suchte nach etwas zum Spielen. Es erhob sich auf die Hinterbeine, um den Inhalt des Papierkorbs zu untersuchen, und zog ein zusammengeknülltes Blatt Papier von der Größe einer Maus heraus, trug es im Maul zu Qwilleran und ließ es auf seinen Schoß fallen. Es war der mit brauner Tinte geschriebene Brief.

»Danke, aber ich habe ihn bereits gelesen«, sagte er. »Du brauchst es mir wirklich nicht auch noch unter die Nase zu reiben.« Er griff in die Nachttischlade, nahm eine Gummimaus heraus und warf sie quer durch das Zimmer. Die Katze sauste hinterher, schnüffelte daran, machte einen Katzenbuckel und kehrte zum Papierkorb zurück. Jetzt holte sie ein zerknülltes Papiertaschentuch heraus und brachte es dem Mann im Lehnstuhl.

»Warum vergeudest du deine Zeit mit diesem vergammelten Zeug?« fragte er. »Du hast doch so schöne Spielsachen.«

Vergammeltes Zeug! Qwilleran spürte ein Ziehen in seinen Schnurrbartwurzeln, und das Blut schoß ihm in die Wangen.

»Junktown!« sagte er zu Koko. »Weihnachten in Junktown! Ich könnte eine herzzerreißende Story schreiben.« Er setzte sich aufrecht hin und schlug auf die Armlehnen des Sessels. »Und es würde mich aus diesem verdammten Alltagstrott herausholen!«

Sein Job in der Feuilletonabteilung galt als angenehme Nische für einen Mann von über fünfundvierzig, doch Künstler, Innenausstatter und japanische Blumenarrangeure zu interviewen, das entsprach nicht Qwillerans Vorstellung von Journalismus. Er sehnte sich danach, über Betrüger, Juwelendiebe und Rauschgifthändler zu schreiben.

Weihnachten in Junktown! Er hatte bereits früher über Pennerviertel geschrieben, und er wußte, wie er vorgehen mußte: Er durfte sich nicht mehr rasieren – mußte schäbige Kleider anziehen – die Leute in den Spelunken und auf der Straße kennenlernen – und dann zuhören. Es ging darum, die Artikel mit menschlicher Anteilnahme zu schreiben, über die persönlichen Tragödien der Randfiguren der Gesellschaft zu berichten, die Herzen der Leser zu rühren.

»Koko«, sagte er, »am Weihnachtsabend wird kein Auge in der Stadt trocken sein!«

Koko beobachtete Qwillerans Gesicht und blinzelte. Der Kater antwortete mit leiser, aber drängender Stimme.

»Was willst du?« fragte Qwilleran. Er wußte, daß das Wasserschüsselchen frisch gefüllt war. Ebenso wußte er, daß das Katzenkistchen im Badezimmer sauber war.

Koko stand auf und marschierte über das Bett. Er rieb eine Seite des Unterkiefers am Fußende und sah Qwilleran dann über die Schulter an. Dann rieb er sich die andere Seite des Kiefers, und seine Fangzähne klickten gegen die metallene Spitze des Bettpfostens.

»Willst du etwas? Was willst du denn?«

Der Kater gähnte schläfrig und sprang auf die obere Kante des Fußteils, um wie ein Seiltänzer darauf zu balancieren. Er spazierte über die ganze Länge; dann stützte er die Vorderpfoten an die Wand, reckte den Hals und rieb sich das Kinn am Lichtschalter. Er klickte, und das Licht ging aus. Zufrieden murmelnd machte sich Koko auf dem Bett ein Lager und rollte sich zum Schlafen zusammen.

Kapitel 2

»Weihnachten in Junktown!« sagte Qwilleran zum Feuilletonredakteur. »Wie findest du das?«

Arch Riker saß an seinem Schreibtisch, sah die Freitagmorgen-Post durch und warf das meiste davon über die Schulter in die Richtung eines großen Papierkorbes aus Draht.

Qwilleran saß auf der Kante des Redakteurschreibtisches und wartete auf die Reaktion seines alten Freundes; er wußte, Rikers Miene würde nichts verraten – sie zeigte den Gleichmut des erfahrenen Journalisten, in ihr spiegelte sich weder Überraschung noch Begeisterung oder Ablehnung.

»Junktown?« murmelte Riker. »Daraus ließe sich vielleicht etwas machen. Wie würdest du es anpacken?«

»Mich auf der Zwinger Street herumtreiben, unter die Typen dort mischen, sie zum Reden bringen.«

Der Redakteur lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Okay, dann mal los.«

»Es ist ein heißes Thema, und ich könnte es mit viel Herz schreiben.«

Mit Herz war gerade die Parole beim Daily Fluxion. Der Chefredakteur erinnerte die Mitarbeiter mittels häufiger schriftlicher Mitteilungen daran, daß sie alles, einschließlich des Wetterberichts, mit Herz schreiben sollten.

Riker nickte. »Da wird der Boß zufrieden sein. Und es wird eine große Leserschaft ansprechen. Meiner Frau wird es auch gefallen. Sie ist nämlich süchtig danach.«

Er sagte es ganz ruhig, und Qwilleran war schockiert. »Rosie? Du meinst –«

Riker schaukelte gleichmütig auf seinem Drehstuhl. »Sie hat vor ein paar Jahren damit angefangen und mich allmählich zum armen Mann gemacht.«

Qwilleran strich sich über den Schnurrbart, um seine Bestürzung zu verbergen.

Er kannte Rosie seit vielen Jahren, seit er und Arch in Chicago junge Reporter gewesen waren. Sanft fragte er: »Wann – wie ist das passiert, Arch?«

»Sie fuhr eines Tages mit ein paar Freundinnen nach Junktown und hat sich hinreißen lassen. Jetzt reizt es mich allmählich auch. Ich habe gerade achtundzwanzig Dollar für eine alte Teedose aus bemaltem Blech bezahlt. Ich stehe auf Sachen aus Blech – Blechdosen, Blechlaternen –«

Qwilleran stotterte: »Wovon – wovon – wovon redest du eigentlich?«

»Von altem Trödel. Antiquitäten. Wovon redest du?«

»Verdammt, ich rede von Rauschgift!«

»Ich habe gemeint, wir sind süchtig nach alten Sachen, nicht rauschgiftsüchtig!« sagte Arch. »Nur zu deiner Information, Junktown ist das Viertel mit den vielen Altwarengeschäften.«

»Der Taxifahrer hat gesagt, daß dort die ganzen Junkies rumhängen.«

»Na, du weißt doch, wie Taxifahrer sind. Klar, das Viertel ist ziemlich heruntergekommen, und nach Einbruch der Dunkelheit kommt vielleicht das Gesindel heraus, aber tagsüber wimmelt es dort von ehrbaren Antiquitätensammlern wie Rosie und ihren Freundinnen. Hat dich deine Ex-Frau nie zu Altwarenhändlern mitgenommen?«

»Sie hat mich einmal zu einer Antiquitätenausstellung in New York mitgeschleppt, aber ich hasse Antiquitäten.«

»Schade«, sagte Arch. »Weihnachten in Junktown, das hört sich gut an. Allerdings müßtest du dich auf die Antiquitäten beschränken. Mit der Rauschgiftszene hättest du beim Boß keine Chance.«

»Warum nicht? Das gäbe eine herzzerreißende Weihnachts- Story.«

Riker schüttelte den Kopf. »Die Anzeigenkunden hätten was dagegen. Wenn die Leser in ihrer zufriedenen Stimmung gestört werden, geben sie weniger leicht ihr Geld aus.«

Qwilleran schnaubte verächtlich.

»Warum schreibst du nicht einfach eine Weihnachtsserie über das Antiquitätensammeln?«

»Ich habe es dir gesagt, ich hasse Antiquitäten.«

»Wenn du nach Junktown kommst, wirst du deine Meinung ändern. Du wirst genauso fasziniert davon sein wie wir anderen.«

»Willst du wetten?«

Arch holte seine Brieftasche heraus und entnahm ihr eine kleine gelbe Karte. »Hier ist eine Liste der Händler in Junktown. Aber gib sie mir wieder zurück.«

Qwilleran las ein paar Namen: Ann’s Tiques, Sorta Camp, Die Drei Schicksalsschwestern, Junque Trunque. Ihm drehte sich der Magen um. »Hör zu, Arch, ich möchte etwas für den Wettbewerb schreiben – etwas Gewagtes! Was kann ich mit Antiquitäten schon viel machen? Da könnte ich mit viel Glück vielleicht den fünfundzwanzigsten tiefgefrorenen Truthahn gewinnen!«

»Du wärst überrascht! In Junktown wimmelt es von schrulligen Typen, und heute Nachmittag findet eine Auktion statt.«

»Ich kann Auktionen nicht ausstehen.«

»Diese Auktion soll aber sehr gut sein. Der Händler ist vor ein paar Monaten gestorben, und sie versteigern seinen gesamten Warenbestand.«

»Wenn dich meine Meinung interessiert – Auktionen sind das Langweiligste auf der Welt.«

»Viele Antiquitätenläden in Junktown werden von alleinstehenden Frauen geführt – geschieden oder verwitwet. Das sollte dir doch zusagen. Hör mal zu, du sturer Esel, warum muß ich dir diesen Mist eigentlich schmackhaft machen? Es ist ein Auftrag. Mach dich gefälligst an die Arbeit.«

Qwilleran biß die Zähne zusammen. »Na schön. Gib mir einen Taxigutschein. Hin und zurück!«

Er nahm sich die Zeit, zum Friseur zu gehen, wo er sich die Haare schneiden und den Schnurrbart stutzen ließ, wie er das immer tat, bevor er ein neues Ressort in Angriff nahm – obwohl er mit diesen Feinheiten eigentlich bis nach Weihnachten hatte warten wollen. Dann nahm er sich ein Taxi und fuhr – mit keinem besonders guten Gefühl – zur Zwinger Street.

Im Stadtzentrum war die Straße ein breiter Boulevard mit neuen Bürogebäuden, Privatkliniken und vornehmen Apartmenthäusern. Dann führte sie durch schneebedecktes, unbebautes Land. Weiter draußen gab es ein paar Häuserblocks mit alten Gebäuden mit vernagelten Fenstern, die darauf warteten, abgerissen zu werden. Und danach kam Junktown.

Bei Tageslicht sah die Straße sogar noch schlimmer aus als in der vorhergehenden Nacht. Die alten Stadthäuser und viktorianischen Herrenhäuser waren zum Großteil verwahrlost und desolat. Einige waren in Pensionen umgewandelt worden, während andere durch nachträglich errichtete Geschäftsfassaden verunstaltet waren. Die Rinnsteine waren mit einem Gemisch aus Abfällen und schmutzigem gefrorenem Schnee gefüllt, und auf den ungeräumten Gehsteigen waren die Mülltonnen festgefroren.

»Dieses Viertel ist ein Schandfleck«, bemerkte der Taxifahrer. »Die Stadtverwaltung sollte es abreißen lassen.«

»Keine Angst. Das kommt schon!« sagte Qwilleran optimistisch.

Sobald er die ersten Antiquitätengeschäfte sah, ließ er den Taxifahrer anhalten und stieg ohne große Begeisterung aus. Er sah sich in der düsteren Straße um. Das war also Weihnachten in Junktown! Im Gegensatz zu anderen Einkaufsstraßen der Stadt gab es in der Zwinger Street keine Weihnachtsdekorationen. Über die breite Durchfahrtsstraße waren keine Girlanden gespannt; die Lichtmasten zierten keine trompetespielenden Engel. Es waren nur wenige Fußgänger unterwegs, und die Autos brausten mit dröhnenden Winterreifen vorbei – sie hatten es eilig, von hier wegzukommen.

Ein eisiger Windstoß aus dem Nordosten traf Qwilleran, und er lief hastig auf den ersten Laden zu, der Altwaren in der Auslage hatte. Drinnen war es dunkel, und die Tür war verschlossen. Er beschattete mit den Händen die Augen und spähte durch die Scheibe. Er sah einen aus Holz geschnitzten, riesigen knorrigen Baum, von dessen Ästen fünf lebensgroße Affen hingen. Ein Affe hielt eine Hutablage. Ein Affe hielt eine Lampe. Ein Affe hielt einen Spiegel. Ein Affe hielt eine Uhr. Ein Affe hielt einen Schirmständer.

Qwilleran wich zurück.

Daneben war das Geschäft mit dem Namen Die Drei Schicksalsschwestern. Es war geschlossen, obwohl in der Auslage eine Karte mit der Aufschrift ›geöffnet‹ lag.

Der Journalist stellte den Mantelkragen auf und bedeckte sich mit den behandschuhten Händen die Ohren; er wünschte, er hätte sich nicht die Haare schneiden lassen. Als nächstes probierte er es im Junque Trunque – geschlossen – und in einem Kellerladen namens Tech-Tiquitäten, der aussah, als wäre er noch nie offen gewesen. Zwischen den Altwarengeschäften gab es auch ein paar andere Läden mit schmutzigen Schaufensterscheiben; in einem davon – einem Loch in der Wand mit dem Schild ›Popopopoulos – Obst, Zigarren, Arbeitshandschuhe und andere Waren‹ – kaufte er einen Beutel Tabak, der sich als alt und trocken erwies.

Sein Auftrag wurde ihm immer unsympathischer. Er ging an einem schäbigen Friseurladen und einer drittklassigen Privatklinik vorbei und gelangte schließlich zu einem großen Antiquitätengeschäft. Die Tür war mit einem Vorhängeschloß verschlossen, und die Schaufenster waren mit Plakaten zugekleistert, auf denen eine Auktion angekündigt wurde. Qwilleran spähte durch die Glastür und sah verstaubte Möbel, Uhren und Spiegel, ein Jagdhorn, das in eine Lampe umfunktioniert worden war, und Marmorstatuen von griechischen Jungfern in neckisch-schüchternen Posen.

Außerdem sah er das Spiegelbild eines Mannes, der auf das Geschäft zuging. Mit schwankenden Schritten tauchte er hinter ihm auf und fragte mit schwerer Zunge freundlich: »Gefällt Ihnen der Schrott?«

Qwilleran drehte sich um und sah sich einem Mann gegenüber, der bereits früh am Morgen betrunken war, blutunterlaufene Augen hatte und sabberte, ansonsten aber freundlich war. Sein Mantel war offensichtlich aus einer abgenutzten Pferdedecke genäht worden.

»Wissen Sie, was das ist? Schrott!« wiederholte der Mann mit einem feuchten Grinsen, während er durch die Tür auf die Antiquitäten sah. Die feuchte Aussprache des Wortes gefiel ihm, und er drehte sich zu Qwilleran um und sagte es noch einmal genüßlich: »Schschschrottt!«

Angewidert trat der Journalist einen Schritt zurück und wischte sich mit einem Taschentuch das Gesicht ab, doch der penetrante Typ war fest entschlossen, freundlich zu sein.

»Sie können nicht hinein«, sagte er hilfsbereit. »Die Tür ist abgesperrt. Sie haben sie nach dem Mord abgeschlossen.« Vielleicht sah er in Qwillerans Gesicht einen Funken Interesse aufflackern, denn er fügte hinzu: »Ersssstochen! Ersssstochen!« Das war wieder so ein saftiges, feuchtes Wort, und er illustrierte es, indem er dem Journalisten einen imaginären Dolch in den Bauch stieß.

»Hau ab!« murmelte Qwilleran und ging weg.

Bald darauf kam ein Kutscherhaus, das in eine Restaurierungswerkstatt umgewandelt worden war. Qwilleran probierte es auch an dieser Tür, obwohl er wußte, daß sie nicht aufgehen würde, und er behielt recht.

Allmählich wurde ihm diese Straße etwas unheimlich, als wären all diese Altwarengeschäfte nicht echt – nur Theaterkulissen. Wo waren die Geschäftsinhaber? Wo waren die Sammler, die für eine alte Blechdose achtundzwanzig Dollar zahlten? Die einzigen Menschen, die zu sehen waren, waren zwei Kinder in schäbigen Schneeanzügen, ein Arbeiter mit seinem Henkelmann, eine alte Dame in Schwarz, die mit einer Einkaufstasche dahinstapfte, und der gutmütige Betrunkene, der jetzt auf dem hartgefrorenen Gehsteig saß.

In diesem Moment blickte Qwilleran auf und sah in einem runden Erkerfenster eine Bewegung – einem sauberen, glänzenden Fenster in einem schmalen Stadthaus, das einen dunkelgrauen Anstrich mit frischen schwarzen Fensterumrandungen und einen schönen Türklopfer aus Messing hatte. Das Gebäude sah aus wie ein Wohnhaus, doch an der Tür war ein dezentes Schild angebracht: The Blue Dragon – Antiquitäten.

Langsam stieg er die acht steinernen Stufen hinauf und probierte es an der Tür. Er fürchtete, sie würde verschlossen sein, doch zu seiner Überraschung ging sie auf, und er trat in eine überaus elegante, förmliche Eingangshalle. Auf dem gewachsten Fußboden lag ein orientalischer Teppich, an den Wänden hingen feine chinesische Tapeten. Über einem auf Hochglanz polierten Tisch, auf dem eine Porzellanschale mit Chrysanthemen stand, hing ein vergoldeter, mit drei geschnitzten Federbüschen gekrönter Spiegel. Es duftete nach exotischem Holz. Und es war totenstill. Nur das Ticken einer Uhr war zu hören.

Verwundert stand Qwilleran da und hatte plötzlich das Gefühl, daß er beobachtet wurde. Er drehte sich auf dem Absatz um, doch es war nur ein Mohr, eine lebensgroße Figur aus Ebenholz, ein nubischer Sklave mit Turban und einem bösen Funkeln in den juwelenbesetzten Augen.

Jetzt war der Journalist davon überzeugt, daß Junktown wirklich nicht ganz real war. Das hier war der verzauberte Palast mitten im finsteren Wald.

Quer über die Treppe war eine blaue Samtkordel gespannt, doch die Türen zum Salon standen einladend offen, und Qwilleran ging vorsichtig weiter in einen hohen Raum, in dem es viele Möbel, Gemälde, Silber und blau-weißes Porzellan gab. Von der stuckverzierten Decke hing ein silberner Kronleuchter herab.

Bei seinen Schritten knarrte der Fußboden, und er hüstelte befangen. Dann sah er im Schaufenster etwas Blaues – einen großen blauen Drachen aus Porzellan. Er ging darauf zu und wäre dabei beinahe über einen Fuß gestolpert. Er sah aus wie ein menschlicher Fuß in einem bestickten Hausschuh. Scharf zog er den Atem ein und machte einen Schritt zurück. Auf einem geschnitzten orientalischen Stuhl saß eine lebensgroße weibliche Figur in einem langen blauen Satin-Kimono. Ein Ellbogen war auf die Armlehne gestützt, und die schlanke Hand hielt eine Zigarettenspitze. Das Gesicht schien aus Porzellan zu sein – blauweißem Porzellan und die Perücke war blauschwarz.

Qwilleran begann wieder zu atmen; er war froh, daß er das Ding nicht umgeworfen hatte. Und da sah er von der Spitze der Zigarette Rauch aufsteigen. Es – oder sie – war lebendig.

»Suchen Sie etwas Bestimmtes?« fragte sie gelassen. Nur die Lippen bewegten sich in dem maskenhaften Gesicht. Die großen dunklen, schwarz umrandeten Augen hefteten sich ausdruckslos auf den Journalisten.

»Nein. Ich sehe mich nur um«, sagte Qwilleran und schluckte.

»Hinten gibt es noch zwei Räume, und im Keller sind Ölbilder und Stiche aus dem achtzehnten Jahrhundert.« Sie sprach mit einem kultivierten Akzent.

Der Journalist musterte ihr Gesicht und machte sich im Geist Notizen für den Artikel, den er schreiben würde: breite Backenknochen, hohle Wangen, makelloser Teint, blau-schwarze Haare, asiatische Frisur, betörende Augen, Jadeohrringe. Sie war etwa Dreißig, schätzte er – ein Alter, für das er eine besondere Vorliebe hegte. Er entspannte sich.

»Ich bin vom Daily Fluxion«, sagte er mit seiner angenehmsten Stimme, »und werde eine Artikelserie über Junktown schreiben.«

»Ich lege keinen Wert auf Publicity«, sagte sie mit starrem Blick.

In seinen fünfundzwanzig Jahren als Journalist hatte er nur dreimal erlebt, daß jemand es ablehnte, in der Zeitung erwähnt zu werden, und alle drei waren auf der Flucht gewesen – vor dem Gesetz, vor einem Erpresser und vor einer nörgelnden Ehefrau. Aber das hier war ihm unverständlich: jemand, der ein Geschäft führte, lehnte Publicity ab. Gratis-Publicity.

»Alle anderen Geschäfte sind anscheinend geschlossen«, sagte er.

»Eigentlich sollten sie um elf öffnen. Aber Antiquitätenhändler sind selten pünktlich.«

Ziellos sah Qwilleran sich um und fragte: »Wieviel verlangen Sie für den blauen Drachen im Schaufenster?«

»Der ist nicht verkäuflich.« Sie hielt die Zigarettenspitze an die Lippen und sog anmutig daran. »Interessieren Sie sich für asiatisches Porzellan? Ich habe einen Pokal aus blau-weißem Porzellan aus der Hsuan-Te-Periode.«

»Nein, ich bin nur auf Materialsuche. Wissen Sie etwas über die Auktion an der Ecke?«

Sie verschluckte sich am Zigarettenrauch und hustete, und zum ersten Mal geriet ihre Selbstbeherrschung ins Wanken. »Sie findet heute um halb zwei statt«, sagte sie.

»Ich weiß. Ich habe das Schild gesehen. Wer war dieser Händler, der gestorben ist?«

Ihre Stimme wurde tiefer. »Andrew Glanz. Eine angesehene Autorität, was Antiquitäten angeht.«

»Wann ist es passiert?«

»Am sechzehnten Oktober.«

»War es ein Raubüberfall? Ich kann mich nicht erinnern, etwas über einen Mord in Junktown gelesen zu haben, und ich verfolge die Berichterstattung über Verbrechen für gewöhnlich sehr genau.«

»Wieso glauben Sie, daß es – Mord war?« fragte sie mit einem mißtrauischen Funkeln in ihren starr blickenden Augen.

»Jemand sprach davon – und in einem solchen Viertel, nun ja, Sie wissen ja …«

»Er kam bei einem Unfall ums Leben.«

»Bei einem Verkehrsunfall?«

»Er ist von einer Leiter gefallen.« Sie drückte ihre Zigarette aus. »Ich möchte lieber nicht darüber sprechen. Es war zu – zu –«

»War er ein Freund von Ihnen?« fragte Qwilleran in jenem teilnahmsvollen Tonfall, der ihm in der Vergangenheit das Vertrauen von Jungfrauen und Mördern eingebracht hatte.

»Ja. Aber, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Mr. – Mr. –«

»Qwilleran.«

»Ist das ein irischer Name?« Sie wollte das Thema wechseln.

»Nein. Schottisch. Mit ›Qw‹ geschrieben. Und wie heißen Sie?«

»Duckworth.«

»Miss oder Mrs.?«

Sie holte tief Luft. »Miss … Im anderen Zimmer habe ich ziemlich viele Antiquitäten aus Schottland. Möchten Sie sie sehen?«

Sie stand auf und ging voraus. Sie war groß und schlank und bewegte sich in dem langen blauen Kimono anmutig und geschmeidig zwischen den Mahagoni-Anrichten und Nußholz- Tischen.

»Diese Feuerböcke sind schottisch«, sagte sie, »und dieses Messingtablett auch. Mögen Sie Messing? Die meisten Männer mögen Messing.«

Qwilleran starrte auf etwas, das am anderen Ende des Zimmers an der Wand lehnte. »Was ist das?« fragte er. Er zeigte auf ein schmiedeeisernes Wappen von etwa einem Meter Durchmesser. Es zeigte einen Schild, der von drei fauchenden Katzen umringt war.

»Ein Ornament von einem eisernen Tor, glaube ich. Es könnte von dem Bogen über dem Tor zu einem Schloß stammen.«

»Das ist das Wappen der Mackintosh!« sagte Qwilleran. »Ich kenne die Inschrift: Wenn du die Katze greifst, gedenke des Handschuhs. Meine Mutter war eine Mackintosh.« Zufrieden klopfte er sich auf den Schnurrbart.

»Sie sollten es kaufen«, sagte Miss Duckworth.

»Was würde ich damit anfangen? Ich habe nicht mal eine Wohnung. Wieviel kostet es?«

»Bisher habe ich zweihundert Dollar dafür verlangt, aber wenn es Ihnen gefällt, können Sie es für hundertfünfundzwanzig Dollar haben. Das ist der Preis, den ich selbst dafür bezahlt habe.« Sie hob das schwere Stück auf und stellte es von der Wand weg, damit es besser zur Geltung kam. »Ein besseres Geschäft können Sie nicht machen, und Sie können es jederzeit verkaufen und haben Ihr Geld wieder heraus – oder sogar noch mehr. Das ist das Schöne an Antiquitäten. Über einem Kaminsims – an der Kaminmauer – würde es sich wunderbar machen. Sehen Sie, hier sind noch die Reste einer wunderschönen alten rot-blauen Verzierung.«

Allmählich fand sie Gefallen an ihrem Verkaufsgespräch und wurde dabei immer lebhafter, und ihre dunkel umrandeten Augen funkelten. Qwillerans Stimmung hob sich. Langsam sah er dieses blau-weiße Porzellanwesen als mögliche Kandidatin für den Weihnachtsabend im Presseclub.

»Ich werde es mir überlegen«, sagte er und wandte sich widerstrebend von dem Wappen ab. »Inzwischen werde ich über die Auktion heute Nachmittag berichten. Wissen Sie vielleicht, wo ich für meinen Artikel ein Foto von Andrew Glanz bekommen könnte?«

Sie verfiel wieder in ihre reservierte Haltung. »Was – was für einen Artikel werden Sie schreiben?«

»Ich werde nur über die Auktion berichten und dem Verstorbenen die gebührende Anerkennung zuteil werden lassen.«

Sie zögerte und blickte zur Decke hoch.

»Wenn es stimmt, was Sie sagen, Miss Duckworth – daß er eine angesehene Autorität war –«

»Ich habe in meiner Wohnung oben ein paar Fotos. Möchten Sie sie sehen?«

Sie nahm die Samtkordel ab, die vor die Treppe gespannt war. »Ich gehe voraus und halte den Hund zurück.«