Die liebe lange Woche - Uwe Kant - E-Book
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Die liebe lange Woche E-Book

Uwe Kant

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Beschreibung

Montags früh haben mein Vater und ich schlechte Laune. Dienstag ist ein guter Tag, denn dienstags haben wir nur vier Stunden. Mittwochs habe ich Sorgen, sitze im Lehrerzimmer und warte auf Krawatte. Donnerstags gehen wir zum Friseur, denn ich sehe aus wie Kommoden-Paul sein Bruder. Freitags sagt mir Vater, dass ich Sonntag zur Oma gehen soll. Sonnabends haben meine Mutter und ich schlechte Laune. Sonntags geht es uns allen wunderbar. Sonntag ist der Sonntag vor meinem Geburtstag. Harald Ahlgrimms Wochentage sind bunt, turbulent und gar nicht mal einfach. Aber sie sind unterhaltsam. Für wen? Für Harald - und für Dich!

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Seitenzahl: 101

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Impressum

Uwe Kant

Die liebe lange Woche

ISBN 978-3-96521-920-5 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1971 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

Umschlaggestaltung: Ernst Franta

© 2023 EDITION digital® Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Für Leser von 9 Jahren an

1. Der Montag

Heute ist Montag. Bei dir ist schon Freitag? Das kann sein. Aber das vergiss man schnell. Sonst kommen wir ganz durcheinander und kriegen gar keine Ordnung mehr in unsere Woche. Zum Beispiel dieser Frank. Nein, nicht der Frank aus deiner Klasse. Diesen Frank kennst du gar nicht. Dieser Frank wohnt genau 62,3 Kilometer weiter. Von eurer Haustür aus gerechnet. Mann, das ist vielleicht eine Strecke, was? Sogar eine Taube braucht mehr als eine Stunde dafür. Dein Onkel Gert mit seinem Motorrad auch. Doch. Es liegen nämlich sieben Dörfer auf der Strecke. Und die Baustelle, mein Lieber. Die Baustelle kostet einen viel Zeit. Aber ich will mich nicht mit dir streiten. Ich will bloß sagen: Wenn es nun gerade Mittwoch ist, als dieser Frank unser Buch aufklappt? Und wenn dieser Frank nun ein verflixter Streithammel ist und drauflos kräht „heute ist Mittwoch, heute ist Mittwoch“? Siehst du wohl. Wir müssen uns einigen. Sonst kommen wir überhaupt nicht vom Fleck. Na klar, in deiner Woche kannst du selbst bestimmen. Aber dies ist meine, da bestimme ich. Ich sage: Heute ist Montag.

Montags früh haben mein Vater und ich schlechte Laune. Meine Mutter hat montags früh gute Laune. Eigentlich, heißt es, soll man gar keine Launen haben. Aber wir haben welche. Mein Vater sitzt mir gegenüber und rührt in seiner Tasse. Der Kaffee, sagt er, wird auch immer heißer. Dann steht er auf und geht zur Schlafzimmertür. Er sagt: „Jutta, verstell dich nicht, du schläfst ja gar nicht mehr. Der Kaffee wird auch immer heißer, und heute ist schon wieder Montag, da kommt doch bestimmt wieder dieser Stultze-Schrey in die Redaktion, und ich muss ihm wieder sagen, dass seine Geschichte nicht hinhaut, weil selbst der größte Trottel einen Radioansager nicht mit einem sprechenden Kakadu verwechseln kann. Du brauchst dich gar nicht zu verstellen.“ Meine Mutter schweigt wie das Grab. Sie ist eine richtige Verstellungskünstlerin. Mein Vater setzt sich wieder zu mir in die Küche. Er murmelt, dass man Lehrerin sein müsste, mit einem freien Tag in der Woche. Kein Wunder, dass die Kinder nichts mehr lernen. Der sollte man einmal mit in die Schule kommen, da könnte er feststellen, dass wir wie die Verrückten lernen. Er sagt so etwas aber nur montags. An den anderen Wochentagen stehen wir alle zur gleichen Zeit auf und haben alle die gleiche Laune. Bis auf Sonnabend. Das kommt noch. Heute ist ja erst Montag. „Papa“, sage ich, „der Mann, schläft der am offenen Fenster?“

„Ach du liebe Güte, welcher Mann denn nun schon wieder“, sagt mein Vater.

„Na, der aus der Geschichte von Herrn Stultze.“ Ich kenne diese Geschichte schon ganz gut. Die letzten drei Montage hat mein Vater schon über Herrn Stultze und seine Geschichte geschimpft. In der Geschichte kommt jedenfalls ein Mann vor, der eine unheimlich wichtige Verabredung hat. Der Mann liegt im Bett. Weil er wissen will, ob er schon rauskriechen muss, hat er das Radio eingeschaltet. Aber „auf Grund eines idiotischen Zufalls“, wie mein Vater sich ausdrückt, ist erstens das Radio plötzlich kaputt und sitzt zweitens ein Kakadu auf der Gardinenstange. Das Radio ist also still. Jedoch der Kakadu schreit immer „Fünf Uhr siebenundvierzig!“ Warum, weiß ich auch nicht. Die Geschichte ist ja von Herrn Stultze. Jedenfalls ist es aber schon viel später, und der Mann verpasst die Zeit, und es hat schlimme Folgen. Also, so meint mein Vater, hängt die ganze Geschichte von der dummen Verwechslung ab. Ich habe mir aber auch meine Gedanken gemacht. Ich sage: „Nämlich wenn der Mann am offenen Fenster schläft, könnte sich vielleicht ein anderer Mann ranschleichen und die falsche Zeit herbeten. Dann braucht man gar keinen Kakadu. Nicht?“ Mein Vater langt über den Tisch und setzt mir den Kaffeewärmer auf den Kopf. „Hilfe“, sagt er, „noch ein Autor.“

„Was ist das eigentlich, ein Autor?“

„Das ist einer, der sich Geschichten ausdenkt und aufschreibt.“

„Bist du auch ein Autor?“

Mein Vater schnieft durch die Nase. Er sagt: „Manchmal, aber erzähl’s nicht weiter. Wenn dich einer fragt – dein Vater ist Redakteur. Was das ist, weißt du ja. Iss mal noch die halbe Schrippe auf, Kamerad.“ Das weiß ich wahrhaftig schon lange, was ein Redakteur ist. Der arbeitet bei der Zeitung und passt auf, ob Fehler in den Artikeln oder Geschichten sind und ob man alles gut verstehen kann. Weiß ich schon lange. Ich sage: „Aber die Brüder Grimm, das waren doch Autoren?“ Mein Vater nickt langsam mit dem Kopf, dazu macht er runde Augen und einen zusammengekniffenen Mund. Dann sagt er: „Ja, die ja, die sind nicht einmal so übel gewesen. Bist du nun fertig oder nicht?“ Ich trinke schnell den letzten Schluck Kakao und antworte: „Zu Befehl, Genosse Hauptmann!“ – „Major“, sagt mein Vater, „Major!“ Dann gehen wir zur Flurgarderobe und ziehen uns an. Mein Vater zieht seinen hellgrauen Trenchcoat an und setzt seinen kleinen ledernen Hut auf. Meine Mutter sagt immer, dass es ein verrückter Anglerhut ist, und die Leute würden sich amüsieren. Aber mein Vater erwidert, die Leute interessieren ihn nicht, und der Hut ist in Ordnung. Ich ziehe nur eine leichte blaue Strickjacke an und setze nichts auf den Kopf. Wir haben schon April, und die Sonne scheint über Tag. Vor der Haustür verabschieden wir uns. Mein Vater sagt: „Ede, benimm dir!“ Dann geht er schnell nach links zur Straßenbahnhaltestelle. Ich gehe nach rechts. Dort liegt die Schule. Nun fällt mir auch wieder ein, dass ich eigentlich schlechte Laune habe. Ich probiere, ob ich nicht ein grimmiges Gesicht machen kann. So, dass man die Backenmuskeln sehen kann und dass der Mund ein scharfer Strich ist. Ein Messer zum Schneiden. Aber was soll man schneiden? Ich bin jetzt kein bisschen müde mehr. Ich gönne es meiner Mutter, dass sie auch einmal ausschlafen kann. Ich weiß schon, dass wir gutes Wetter kriegen werden; man merkt es an der Luft. Ich sehe, dass an der Ecke die Tauben wieder da sind. Die alte Frau Huschke hat ihnen Futter hingestreut. Sie war verreist. Aber jetzt ist sie wieder da, und die Tauben auch. Ich weiß, dass ich nächsten Montag Geburtstag habe und dass meine Eltern übermorgen ins Zentrum-Warenhaus fahren wollen. Wahrhaftig, was soll man schneiden? Gleich hinter der Taubenecke steht Fredi. Er hat auf mich gewartet. Er hat sich wieder mit Wasser gekämmt. „Eh, hast du schon angefangen?“, sagt er. Hast du schon angefangen? Jetzt fällt es mir ein: dieser Hausaufsatz, „Übung macht den Meister“. Nächsten Montag müssen wir abgeben. „Nö“, sage ich, „mir fällt nix ein.“ Nun mache ich doch ein Messergesicht. Das ist eine verzwickte Woche. Geburtstag und Aufsatz an einem Tag! Soll die Woche nun schnell oder langsam rumgehen? Das ist dir eine Woche. Fredi sagt: „Ich hab schon zwei Seiten, eh.“ – „Wenn ich bloß wollte, hätt’ ich schon fünfe“, sage ich. Fredi sagt: „Ich denk, du weißt nix?“– „Ich weiß alles“, sage ich. „Du kannst ganz schön angeben“, sagt Fredi. „Ich kann alles“, sage ich. Fredi überlegt. Der denkt sich was aus unter seinem schnurgeraden Wasserscheitel. Wenn er jetzt frech wird, sage ich „abgeleckter Heringsschwanz“ zu ihm.

„Kannst du auch einen Drachen bauen?“, sagt Fredi. „Den kauf ich mir eben im Laden.“ – „Die fliegen bloß nicht richtig.“ Da hat er recht. Und seine eigenen Drachen fliegen wirklich wunderbar. Er will mal Pilot werden. Ich weiß noch nicht genau, was ich werden will. Autor werde ich jedenfalls nicht. Dann muss man immerzu Hausaufsätze schreiben, und so ein Redakteur wie mein Vater sucht die Fehler da drin. Unterdessen sind wir schon an der Schultür. Es ist eine alte Schule aus roten Steinen und mit verschiedenen altmodischen Verzierungen. Die Fenster sind hoch und schmal. Sie sind in lauter kleine Scheiben eingeteilt. Die alte Schule hat drei Stockwerke. Unser Klassenraum liegt im ersten Stock. Man muss links den langen dunklen Gang bis zur letzten Tür gehen. Klasse 5b, Klassenlehrer Herr Güldenpfennig steht dran. Die großen Mädchen in unserer Schule nennen unseren Klassenlehrer heimlich „Goldstück“. Wir sagen „Krawatte“, weil er fünf verschiedene Schlipse in der Woche trägt. Und nur weiße Hemden. Sein richtiger Name hört sich so alt an, aber in Wirklichkeit ist Krawatte noch jung. Jünger als mein Vater. Er ist auch noch längst nicht verheiratet. Mit dem Klingelzeichen kommt Krawatte zur Tür herein. Das macht er immer. Man kann sich darauf verlassen. Hilde Zeller, die starke Hilde, unsere Gruppenratsvorsitzende, geht nach vorn und meldet. Sie sagt: „Herr Güldenpfennig, ich melde Klasse 5b vollzählig zum Unterricht bereit!“ – „Na, hoffentlich, danke“, sagt Krawatte. Dann sagt er: „Ich bitte die verehrten Anwesenden, ihre ‚Muttersprache’ und ihr Übungsheft hervorzuholen. Aber lautlos!“

Nachmittags bin ich oft allein zu Hause. So wie jetzt. Mein Vater arbeitet meistens bis vier. Meine Mutter hat nach dem Unterricht oft noch Sitzungen oder Versammlungen oder Elternbesuche. Außerdem muss sie eine ganze Stunde fahren. Berlin ist eine große Stadt. Ich sitze an Vaters Schreibtisch unter dem Regal mit dem alten und dem neuen „Meyers Lexikon“. Auf dem sechsten Band von dem neuen Lexikon stehen die Wörter „Muskat“ und „Ribot“. Diese Wörter und alle, die nach dem Alphabet dazwischen kommen, werden im sechsten Band erklärt. Zum Beispiel Perücke. Aber das weiß ja jeder, was eine Perücke ist. Dagegen nun „Ribot“. Eigentlich will ich hier am Schreibtisch etwas anderes machen, aber jetzt überlege ich, was das sein kann: „Ribot“?? Es gibt so viele Sachen auf der Welt. Vielleicht ist es ein hoher Berg, auf dem immer Schnee liegt. Dort horsten Adler. Manchmal bringen sie aus dem Tal ein ganzes Lamm angeschleppt und füttern ihre Jungen damit. Oder es ist ein Fluss in Südamerika. Ein großer Urwaldfluss. Auf den Bäumen am Ufer kreischen Affen oder Papageien. Durch das gelbe Wasser schwimmen unheimliche, glotzäugige Krokodile. Vielleicht ist Ribot überhaupt ein seltsames Tier? Ein meterlanger Käfer, der Kokosnüsse knackt. Ein grüner Vogel, der blaue Eier legt. Eine Schildkröte, die auf Bäume klettern kann. Es gibt so viele Sachen auf der Welt. Ich nehme das Buch aus dem Regal und schlage die letzte Seite auf. „Ribot“ heißen zwei französische Männer, die vor langer, langer Zeit gelebt haben. Der eine war Wissenschaftler, der andere Politiker. Na ja. Ich will sowieso nicht an Krokodile denken. Ich will den Hausaufsatz anfangen. Ich nehme ein leeres Blatt von Vaters Schreibmaschinenpapier und fange an. Übung macht den Meister schreibe ich in großen Druckbuchstaben auf das Blatt. Dann überlege ich erst einmal. Wie soll der erste Satz heißen? Dabei male ich eine Kuh mit drei schwarzen Flecken neben die Überschrift. Wie soll der erste Satz heißen? Ich male der Kuh vier lange Schwänze. Das wird eine Kuh, der die Fliegen nichts anhaben können. Gerade will ich der Kuh ein paar Flügel malen, damit sie schneller frisches Gras finden kann, da klingelt es an der Tür. Ich mache auf und sage: „Tag.“ – „Tag, Sohn“, sagt mein Vater, „Mutter noch nicht da?“ – „Nein.“ – „Armes Weib, haben wir ein Glück, dass wir nicht Lehrerin sind, was?“ – „Ja“, sage ich. Vater geht in die Küche. Weiß schon, jetzt holt er die Milch aus dem Kühlschrank. Ich rufe durch die angelehnte Tür: „War Herr Stultze da?“ – „Wie? Ja, ist dagewesen.“ – „Hast du ihm das erzählt, von dem offenen Fenster und so?“ – „Hab ich, hab ich. Geht aber nicht, weil der Mann doch im siebenten Stock wohnt. Wie soll sich da einer ans Fenster schleichen.“ – „Wenn er nun aber im Erdgeschoss wohnen würde?“ Mein Vater kommt aus der Küche und grient. Er hat einen Milchbart. „Geht auch nicht, mein Schatz“, sagt er, „am nächsten Tag kommt der Mann nämlich zu spät, weil der Fahrstuhl kaputt ist. Der kommt überhaupt jeden Tag zu spät. Es ist schrecklich mit ihm.“ So ist das also. Na, dann soll der Herr Stultze alleine sehen, wie er fertig wird. Nun weiß ich auch nicht weiter. Vater guckt ins kleine Zimmer. Seinen Mantel hat er ausgezogen. Aber den Anglerhut hat er noch auf dem Kopf. Er geht zum Schreibtisch. „Schularbeiten?“ – „Jaaa“, sage ich. Mein Vater schiebt sich den Hut ins Genick und betrachtet mein Blatt.