Die Machtfrau - Marianne Brentzel - E-Book

Die Machtfrau E-Book

Marianne Brentzel

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Beschreibung

Hilde Benjamin, die erste Justizministerin der Welt, galt den einen als "rote" oder gar "blutige" Hilde, den anderen als Vorkämpferin einer fortschrittlichen Familiengesetzgebung. Während sie einerseits als oberste Richterin der DDR in den fünfziger Jahren politische Schauprozesse inszenierte und Todesurteile verkündete, setzte sie in den sechziger Jahren die rechtliche Gleichstellung der Frauen durch, war sie für viele Betroffene verständnisvolle und einfühlsame Gesprächspartnerin.
Wie lassen sich derartige Gegensätze erklären? Was waren die Handlungsmotive dieser außergewöhnlichen Frau an der Macht?
Marianne Brentzel, in Westdeutschland aufgewachsen, hat nach intensiven Recherchen den Lebensweg dieser Symbolfigur stalinistischer Justiz rekonstruiert. Sie zeichnet nicht nur ihre Lebensumstände und inneren Beweggründe nach, sondern entwirft zugleich ein politisches Zeitpanorama.

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Marianne Brentzel

Die Machtfrau – Hilde Benjamin

Marianne Brentzel

Die Machtfrau

Hilde Benjamin 1902–1989

Für Hugo

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Dezember 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von September 1997) © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de, [email protected] Umschlaggestaltung: KahaneDesign, Berlin, unter Verwendung eines Fotos aus dem Bundesarchiv Koblenz: Hilde Benjamin als Richterin im Prozeß gegen den  »Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen« im Juli 1952

Inhalt

Vorwort

Teil I1902–1945

Kindheit im Kaiserreich – Jugend in wirren Zeiten

Von Bernburg nach Berlin 1902–1921

Die Bürgerstochter wird kommunistische Anwältin

Studium, Heirat, Kind und Beruf 1921–1933

Unter dem Terror der Nationalsozialisten

Berufsverbot für die Anwältin und Haft für den Ehemann 1933–1936

Frau eines Zuchthäuslers – Mutter eines »Halbjuden«

Hilfe für Verfolgte und Kriegsalltag 1936–1945

Teil II1945–1989

Neubeginn mit sowjetischem Auftrag

Oberstaatsanwältin und Kaderleiterin 1945–1949

Die gnadenlose Richterin

Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR 1949–1953

Unruhe und Aufstieg

Der 17. Juni 1953

Die Jahre der harten Hand

Ministerin 1953–1960

Die Vision von Gleichberechtigung und Frauenrecht

Ministerin 1961–1967

Kaltgestellt mit Ordensblech und Ehrentiteln

Professorin an der Akademie für Staat und Recht 1967–1989

Anhang

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Danksagung

Lebensdaten Hilde Benjamin

Kurzbiographien zeitgeschichtlicher Personen

Personenregister

Vorwort

Starke Frauen in der Geschichte haben mich schon immer interessiert. Frauen, die die gesetzten Grenzen überschreiten, die in männliche Sphären eindringen und den Männern das Recht, die Geschicke der Menschheit zu bestimmen, streitig machen. Die Illusion, daß Frauen dabei die besseren Menschen wären, sanft und gut, mütterlich und solidarisch die Welt regierten, habe ich nicht. Aber daß Frauen anders Macht ausüben, anders stark sind als Männer, vermute ich immer noch.

Hilde Benjamin war eine Frau an der Macht. Dabei zog sie mehr Haß als Verehrung auf sich. Sie war eine Frau, die die Geschicke der DDR wesentlich prägte. Eine Zeitlang war sie oberste Richterin und die erste Justizministerin der Welt. Man nannte sie die »rote Hilde« wegen ihrer Gesinnung und ihrer Härte, die »blutige« Hilde, die »rote Guillotine« oder auch den »weiblichen Freisler«, weil sie Schauprozesse inszenierte und Todesurteile verkündete. Ihr Tun erschreckte und verstörte die Menschen gleichermaßen in Ost- und Westdeutschland.

Hätte ein Mann an ihrem Platz auch diese negative Berühmtheit erlangt? Hätte man ihn dann vielleicht den »roten Otto« oder den »blutigen Kurt« genannt? Wahrscheinlich nicht. Freisler, der Präsident des Volksgerichtshofs in der Nazi-Diktatur, fällte in zwei Jahren mehr als zweitausend Todesurteile, Hilde Benjamin in ihren vier Jahren Richterzeit zwei Todesurteile. Und doch haben die Menschen im geteilten Deutschland den Vergleich benutzt und das abschreckende Handeln beider mitunter gleichgesetzt. Der Bruch mit der Rolle, die das Geschlecht traditionell zuweist, wird offensichtlich besonders streng bestraft.

Ich habe mich mehrere Jahre lang intensiv mit Hilde Benjamin beschäftigt. Dabei war die genaue Ausprägung des Lebens einer Frau, die an vorderster Stelle politische Macht im Nachkriegsdeutschland ausübte, eine der wichtigen Fragen, die mich antrieben.

Hilde Benjamin, geboren 1902, gestorben 1989, lebte in den beiden prägenden Diktaturen unseres Jahrhunderts, der Nazi-Herrschaft und dem realen Sozialismus. Sie nahm dabei jeweils völlig entgegengesetzte Rollen ein. Während der Hitlerdiktatur war sie ihres Berufes beraubt, ihr Mann wurde ermordet, sie selber war verfolgt und bedroht. In der Zeit des DDR-Regimes wurde sie zur Symbolfigur stalinistischer Justiz.

Wer ihren Lebensweg nachzeichnet, erlebt entscheidende Stationen deutscher Geschichte und, davon geprägt, eine Frau mit kolossalen Widersprüchen, scheinbar unvereinbaren Eigenschaften. Liebe und Haß, Klugheit und Borniertheit, männliches und weibliches, monströses und menschliches Verhalten treffen in ihr zusammen.

Hilde Benjamin war Kommunistin und glaubte, im Kampf für eine bessere Welt wären (fast) alle Mittel recht. Daß ihr Modell von Weltverbesserung am Ende war, wußte sie bis zu ihrem Tod im April 1989 nicht. Das historische Scheitern des Sozialismus zu erleben ist Hilde Benjamin erspart geblieben.

Ich wurde 1943 geboren und bin im Westen Deutschlands aufgewachsen. Politisch prägend für mich war die Studentenbewegung, die ich auf der anderen Seite der Grenze, in Westberlin, miterlebte und -gestaltete. Da sympathisierte ich mit kommunistischen Ideen, wie sie in China propagiert wurden. Die DDR war mir von Besuchen und aus der Literatur vertraut. Ihre politische Praxis lehnte ich mit den Argumenten der Maoisten ab.

Erst als ich daranging, mir ein Bild von Hilde Benjamin zu machen, lernte ich die Nachkriegsgeschichte der DDR und die Bedingungen ihres Untergangs genauer kennen. Entscheidende Stationen der vierzigjährigen SED-Herrschaft wurden deutlich. Die ersten »stalinistischen« Jahre bis zum Volksaufstand von 1953, die Folgen des XX. Parteitags der KPdSU in der DDR, die Zeit des Mauerbaus und die widersprüchlichen Elemente der Stabilisierungsphase danach. Hilde Benjamin steht auch darin für scheinbar unvereinbare Gegensätze. Sie veranlaßt eine fortschrittliche Frauen- und Familiengesetzgebung, der berüchtigte Paragraph 175 wird unter ihrer Regie in der DDR wesentlich früher abgeschafft als in Westdeutschland. Gleichzeitig verschärft sie die politischen Strafgesetze immer weiter zu repressiven Instrumenten gegen jede oppositionelle Regung.

Um Hilde Benjamin in diesen Zusammenhängen zu begreifen, war es notwendig, den Blick nicht nur auf die unmittelbare Entwicklung der Justiz zu richten, sondern das gesamte Panorama der DDR-Geschichte vor Augen zu führen.

Noch lagert wichtiges Material im Privatarchiv ihres Sohnes, das ich nicht habe einsehen können. Zum vollen Verständnis der Entwicklung von Hilde Benjamin wären die unter Verschluß gehaltenen Unterlagen und Dokumente nützlich und wünschenswert gewesen. Trotz dieser Einschränkungen war es möglich, die persönliche und politische Geschichte dieser Frau in wichtigen Bereichen zu rekonstruieren. Einer Frau, von der die einen sagen, sie sei hochbegabt und außergewöhnlich, und die von den anderen als Furie, als die »First Lady des Justizterrors« bezeichnet wird. Es ist die widersprüchliche Geschichte einer Frau an der Macht.

Teil I 1902–1945

Kindheit im Kaiserreich – Jugend in wirren Zeiten

Von Bernburg nach Berlin 1902–1921

Am 5. Februar 1902 hielt eine Pferdekutsche vor einem gepflegten Mehrfamilienhaus in der Altstadt von Bernburg. Der Kutscher läutete. Ein Herr, hochgewachsen, mit breiten Wangenknochen und dunklem Teint, faßte die Dame fürsorglich am Arm. Die Geburt des ersten Kindes stand unmittelbar bevor. Der Weg zum nahegelegenen Entbindungsheim führte am Fluß entlang, wo sich die riesigen Anlagen der Solvay-Werke erstreckten. Von weitem sah man das berühmte Schloß, überragt von dem gewaltigen Bergfried, dem Eulenspiegel- und dem Blauen Turm. Der Schloßgraben, als Schutz gegen anrückende Feinde erbaut, war nur noch teilweise erhalten. Einst stand dort ein Bärenzwinger mit einem jungen Braunbären aus Rußland. Vielleicht hat die Stadt von dieser Marotte einer Fürstin ihren Namen und ihr Wappentier erhalten.

Bernburg, zwischen Halle und Magdeburg im heutigen Sachsen-Anhalt gelegen, erlebte Anfang des Jahrhunderts einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Durch den Reichtum an Kali- und Steinsalz entstanden die Soda-Werke des Solvay-Unternehmens. Die verträumte Residenzstadt wurde Schritt für Schritt Industriestadt, gegen den Widerstand der alteingesessenen Offiziere, Beamten, kleinen Gewerbetreibenden und Bauern.

Hier kam Helene Marie Hildegard Lange1 am 5. Februar 1902 gegen 22.30 Uhr zur Welt. Der Vater von Hildegard, Walter Moritz Lange, arbeitete als kaufmännischer Angestellter bei den aufblühenden Rohag-Werken, die mit dem Solvay-Konzern verbunden waren. Er interessierte sich für die Wissenschaft und Kultur seiner Zeit, sympathisierte mit den Ideen der Freimaurer. Toleranz und Achtung der Menschenwürde prägten die Atmosphäre im Hause Lange. Die Mutter mit den klangvollen Namen Adele Elsbeth Minette Julie war eine geborene Böhme und stammte aus der Oberschicht des Städtchens. Sie war ein fröhlicher Mensch, humanistisch-liberal denkend wie Walter Lange, hilfsbereit, gesellig und musikalisch.2

Wie meist im Februar war die Saale zugefroren. Hochwasser und Eisgang im Frühjahr zerstörten immer wieder die im Sommer erbaute Brücke. Die Eisenbahnbrücke konnte erst 1935 wieder errichtet werden. Nicht selten war die Innenstadt überflutet.

Am 5. Februar 1902 war ruhiges, klares Winterwetter. In Berlin hieß das »Kaiserwetter«. In Bernburg freuten sich die Menschen ohne monarchistische Gefühle an der sonnigen Landschaft. In der Umgebung von Bernburg wurde hauptsächlich Ackerbau betrieben. Zuckerrüben, Getreide und Kartoffeln gediehen gut. Die kaiserliche Versuchsanstalt für Pflanzenzüchtung hatte hier ihren Sitz.

Bernburg – achtundvierzig Jahre später. Hilde Benjamin, geborene Lange, betritt den Saal. Sie führt den Vorsitz beim 1. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR. Es ist ein kalter Dezembertag des Jahres 1950. In weißem Herrenhemd, schwarzer Krawatte und schwarzem Jackett sitzt sie erhöht auf der Theaterbühne ihrer Geburtsstadt. Es ist der dritte Prozeß dieser Art innerhalb weniger Monate, bei dem sie den Vorsitz führt. Zehn leitende Angestellte der Solvay-Werke stehen vor Gericht. Nach zügiger Verhandlung verhängt Hilde Benjamin gegen die Angeklagten wegen »Schiebergeschäften« und »Wirtschaftssabotage« hohe Strafen. Unbewegt steht sie da. Über ihr ein Transparent mit der Aufschrift: »Die demokratische Gesetzlichkeit dient dem Fortschritt und dem Schutz der Werktätigen«. Klein, mit straff zurückgekämmtem Haar, der dünne Zopf über dem Kopf ist ordentlich festgeklemmt. Sie verliest das Urteil. Ihre Stimme klingt monoton und geschäftsmäßig: 19 Jahre, 15 Jahre, 2 Jahre Zuchthaus.3

Hat der Name der Firma Assoziationen in ihr freigesetzt? Stände auch der eigene Vater vor Gericht, wäre er in Bernburg geblieben? Unsinnige Gedanken! Das zählt nicht. Als Richterin des neuen Staates tut sie ihre Pflicht, einzig der demokratischen Gerichtsbarkeit verpflichtet.

Eine Frau – leitende Juristin? Deutschland – Anstifter zweier Weltkriege? Das Land geteilt und ein Teil sozialistisch? 1902, in Hilde Langes Geburtsjahr, wäre diese Szene undenkbar gewesen.

Walter Lange – 18744 in Wilhelmshaven als Sohn eines Stabswachtmeisters der kaiserlichen Marine geboren – war kein Mensch irrealer Zukunftsträume. Als Kaufmann hatte er handfeste Ziele. Nach Berlin wollte er versetzt werden, seiner Familie eine sichere Existenz aufbauen. Wahrscheinlich wünschte er sich einen Sohn als »Stammhalter«. Auch der würde Kaufmann lernen und in seine Fußstapfen treten.

Gegen Abend wurde die Geburt eines gesunden Mädchens gemeldet. Die Großmütter beider Seiten wollten bei der Namensgebung berücksichtigt werden: Helene und Marie. Als Neuerung entschied das Ehepaar sich für Hildegard. Hilde würde man das Kind rufen. Das war zeitgemäß und praktisch. Die Familien waren aus Tradition evangelisch. Keine Kirchgänger. Die Mutter praktizierte ein tatkräftiges Christentum, gab regelmäßig Bettlern ein warmes Essen und abgelegte Kleidung. Das Kind wurde am 6. April getauft. Der »Taufschein des Evangelischen Pfarramtes der Martinskirche«5 zu Bernburg würde 1933 noch einmal gebraucht werden, als die Deutschen nachweisen mußten, daß sie Christen, also Arier und nicht Juden waren. Hilde Lange wird nie eine innere Beziehung zum Christentum entwickeln.

Das Kind wuchs heran, wie Kinder in geordneten Verhältnissen heranwachsen, behütet und genährt, geliebt und gefördert. Es hatte dunkle, fragende Augen, glatte, dunkle Haut und breite Wangenknochen, vererbt von den Vorfahren. Slawisch nannten eifrige Forscher diese Gesichtsform, und Rassenfanatiker sprachen verächtlich vom »ostischen« Typ. Das Mädchen war klein und zierlich. Als erwachsene Frau wird sie knapp ein Meter sechzig sein, zierlich wird sie nicht bleiben.

1904 wurde Walter Lange seinem Wunsch entsprechend nach Berlin versetzt. Er war Prokurist und später Direktor der Firma Rohag, einer Tochter des Scheidemandel-Konzerns, der mit den Solvay-Werken verbunden war. Die Rohag befaßte sich mit der Erfassung und Verwertung von Knochen. Die Familie zog in die Ahornstraße nach Steglitz, damals ein ruhiger Villenvorort, kaum anders als die Bernburger Altstadt. Baumbestanden, mit angenehmen Bürgerhäusern, kleinen Parks und Bänken zum Verweilen. Man richtete sich ein, 1905 wurde der Sohn Heinz, 1908 die Tochter Ruth geboren.

Die Familie war nicht sehr wohlhabend und verfügte über nur wenige Dienstkräfte im Haushalt. So mußte Hilde als Älteste früh Verantwortung übernehmen und die Mutter bei der Pflege und Aufsicht der kleinen Geschwister unterstützen. Wahrscheinlich half Hilde ihrer Mutter gern, bekam sie auf diese Weise doch den Dank und die Zuwendung der Eltern, die sonst vor allem den kleineren Geschwistern vorbehalten waren. Wie viele Älteste war auch Hilde in ihrer Familie die »Vernünftige« und mußte sich durch die Übernahme von Verantwortung ihren Anteil an der Elternliebe erst »verdienen«. So lernte das Mädchen früh, durch sein Verhalten das Lob der Erwachsenenwelt einzuheimsen und dadurch sein Selbstwertgefühl zu stärken.

1908 kam Hilde in die Schule. Nach Meinung der Eltern wurde es Zeit, daß die Älteste neue Anregungen bekam. Das Lesen hatte sie sich schon fast selbst beigebracht, sie malte gern, lernte Klavier spielen und liebte ernste Musik. »Mein kluges Mädchen«, sagte der Vater voll Stolz und erklärte ihr anhand von Bildern aus alten Folianten die Welt.

Die ersten Schuljahre wurden eine Enttäuschung für das intelligente Mädchen. Sie langweilte sich, mußte stillsitzen und Deckchen sticken, Buchstaben erkennen, die sie schon längst zu Worten und Sätzen formen konnte, mit den Fingern zählen, obwohl sie das Einmaleins spielend beherrschte.

Die Klassenkameradinnen hielten Abstand. Hilde war klug, wußte einfach alles, mochte die gängigen Mädchenspiele nicht. Die Sprüche im Poesiealbum brachten Hilde Lange nur zum Lachen und reizten ihren Spott. »Marmor, Stein, und Eisen …«, »Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose …« So ein Quatsch, mag sie verächtlich gesagt haben. Rosen sind doch viel schöner als Veilchen! Hilde lernte gern und schnell, nachmittags übte sie Klavier, malte oder las in den Büchern der Erwachsenen. Die Eltern machten ihr bei der Auswahl der Lektüre keine Vorschriften.

1912, als Hilde Lange zehn Jahre war, wäre sie gern, wie die Jungen aus der Nachbarschaft, auf das Steglitzer Gymnasium gegangen. Doch das war in Preußen nicht erlaubt. Gymnasialklassen für Mädchen gab es noch nicht. Erst seit wenigen Jahren konnten begabte Mädchen in besonderen Vorbereitungsklassen zum Abitur geführt werden. Noch trauten sich nicht viele diesen Schritt in die Welt der männlichen Wissenschaften zu. Latein und Mathematik galten als unweiblich. Die Mädchen lernten auf dem Lyzeum nur, was man für angemessen und nützlich für die Gattinnen späterer Militärs, Beamter, Unternehmer und Professoren hielt: Handarbeit, Zeichnen, Religion, Gesellschaftstanz, Konversation in Deutsch, Englisch und Französisch. Die naturwissenschaftlichen Fächer und Mathematik spielten dagegen eine untergeordnete Rolle.

Hilde Lange wurde kein braves Mädchen, das mit Schleifchen im Haar an Mamas Hand durch die Schloßstraße flanierte und ehrfürchtig den Erwachsenen lauschte. Sie war auch kein ungebärdiger Wildfang, der gezähmt werden mußte, wie die Mädchenromane der Zeit es gern erzählten. Hilde Lange blickte mit ihren dunklen Augen kritisch in die Welt, machte treffende, ganz unmädchenhaft ironische Bemerkungen, stritt sich mit den Lehrern über Gott und die Welt. Scharfzüngig und klug war sie, wirkte sehr verständig für ihr Alter. Manche Tanten nannten das altklug. Die Eltern respektierten, daß Hilde ein einmal gesetzes Ziel vor Augen nie vergaß: Mal war es die Erlaubnis, mit den Wandervögeln am Wochenende auf Fahrt zu gehen, mal der Lateinunterricht und das Gymnasium, später würde es das Jura-Studium sein. Zielbewußt und fleißig, mit vor Zorn blitzenden Augen, wenn sie ihre Meinung durchsetzen wollte. Dann schleuderte sie ihre Worte in die Runde und war zu keinem Kompromiß bereit. Ihre eigenständige Meinung war ihr wichtiger als jede Familienharmonie.

Hilde Lange ging zehn Jahre auf das Mädchenlyzeum, lernte nachmittags Latein, während die Schulkameradinnen immer kompliziertere Muster in ihre Deckchen stickten. In der Verwandtschaft munkelte man schon, daß das Mädchen ein Blaustrumpf und niemals eine gute Ehe- und Hausfrau werden würde. Kluge Frauen waren auf dem Heiratsmarkt nicht gefragt. Dem Vater war das sachliche und wissensdurstige Mädchen gerade recht. Mit ihr konnte er diskutieren und argumentieren. Ihre Logik war bestechend, und ihre Gefühle zeigte sie selten. Der Bruder Heinz interessierte sich vor allem für Technik. Er wurde später Ingenieur. Die jüngste Schwester Ruth, genannt Utti, war anders. Angepaßt war auch sie nicht. Sie war lebhaft und voller Bewegungsdrang, hübsch und modebewußt. Früh entdeckte sie ihre Neigung zum Sport. Ende der zwanziger Jahre wurde sie Deutsche Meisterin im Kugelstoßen, studierte an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen und machte 1930 ihr Examen als Diplom-Turn- und -Sportlehrerin.

Wenn die Kinder sonntags mit dem Vater zu Wanderungen in die Umgebung Berlins aufbrachen, lernte Hilde vom Vater die lateinischen Namen der Pflanzen, interessierte sich für Tiere und Gesteinsarten, während Heinz und Utti auf Bäume kletterten und die Schwester zum Dauerlauf anfeuerten. Die Schwestern hatten wahrscheinlich während der Schulzeit von Hilde ein inniges Verhältnis zueinander, vertrauten sich ihre kleinen Geheimnisse an und stritten sich selten. Die Technikwelt ihres Bruders Heinz blieb Hilde immer fremd.

Die Familie Lange teilte das Lebensgefühl der bürgerlichen Schichten des Deutschen Reiches zu Beginn des Jahrhunderts. Man begeisterte sich für den technischen Fortschritt und hielt ihn für den Fortschritt der Menschheit, machte heimlich Witze über den stumpfsinnigen, aber mächtigen Adel und den großmäuligen Herrscher. Um Politik kümmerte man sich wenig. Allenfalls Zeitung lesend, schüttelten die Bürger den Kopf über die abenteuerlichen Unternehmungen des Kaisers im fernen Afrika und auf den Weltmeeren. Warum sich aufregen? Einfluß konnten normale Bürger nicht nehmen.

Schon als junges Mädchen sympathisierte Hilde mit den aufwieglerischen Wandervögeln.6 In Steglitz war eine der ersten Gruppen der Wandervogelbewegung gegründet worden. Ausbrechen. Anders leben. Protestieren gegen die strengen Regeln im Schulalltag und zu Hause. Unter sich sein, ohne Kontrolle der Erwachsenen, ganz aus der Natur leben und die verkrustete Zivilisation abschütteln. Diese Vorstellungen prägten zu Beginn des Jahrhunderts die neue Jugendbewegung, den Wandervogel. In Steglitz sammelte der Student Hermann Hoffmann Jungen des Gymnasiums um sich und zog 1896 zum ersten Mal mit einer Gruppe in die »freie Natur«. Sie übernachteten in Wäldern und Scheunen, bereiteten das Essen auf Spirituskochern, fühlten sich wie die fahrenden Schüler des Mittelalters. Mit Schlapphut, Rucksack und Gitarre probierten die Söhne des Bürgertums etwas Neues aus. 1901 gründete sich in Steglitz der »Ausschuß für Schülerfahrten«, später wurde er »Wandervogel« genannt und verband sich mit Gruppen gleicher Gesinnung.

Mädchen waren anfangs nicht zugelassen. Die Frage, ob sie mitwandern durften, war lange Zeit ein wichtiger Punkt des Streits und der Spaltung unter den Wandervögeln. Allmählich gab es mehr mutige junge Frauen, die bei den Ausflügen dabei waren oder sich an den »Nest«abenden im Winter beteiligten. Für Jungen und Mädchen galt als oberstes Gebot, »kameradschaftlich« miteinander umzugehen, den »Sumpf des bürgerlichen Liebeslebens strikt zu meiden«, eine Vorstellung, die Hilde Benjamin später auch in ihrer Parteigruppe für sinnvoll hielt. Zur Jahrhundertfeier der Leipziger Völkerschlacht trafen sich Hunderte Jugendliche auf dem Hohen Meißner bei Kassel und schworen, ihren Grundsätzen immer treu zu bleiben. »Die freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. (…) Alle Veranstaltungen der freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.«7 Die berühmte »Meißner-Formel« mußte jeder aktive Wandervogel auswendig kennen. Auch Hilde Lange wird die Sätze gesprochen haben. Seit etwa 1916 hatte sie Kontakt zur Steglitzer Gruppe der Wandervögel. In der Schule sprach sie besser nicht darüber. Die Frau Direktor warnte die Eltern eindringlich vor den schädlichen Einflüssen der aufrührerischen Bewegung auf die Töchter aus gutem Hause.

Als der Erste Weltkrieg begann und die allgemeine Euphorie des In-den-Krieg-Ziehens das Reich erfaßte, empfanden die Eltern Lange keine Kriegsbegeisterung. Walter Lange wurde eingezogen und war als Feldwebel fast ununterbrochen im Krieg. Feldwebel war ein unbedeutender militärischer Rang, kein Ausweis für eine militärische Karriere. Walter Lange kehrte unverletzt aus dem Krieg zurück.

Die meisten Lehrerinnen schwärmten in dieser Zeit vom Kaiser und seiner weisen Politik, organisierten in den Kriegsjahren Patenschaften für Flüchtlingskinder aus Ostpreußen, engagierten sich in der Kriegsfürsorge des Nationalen Frauendienstes, hielten die Mädchen zum Strümpfestricken für die Soldaten an.

Doch gab es auch wenige andere. Der Name Grete Thiem ist überliefert. Sie war eine von Hilde Langes verehrten Lehrerinnen, mit denen sie zeitlebens Kontakt hatte. Die Lehrerin wanderte mit den Mädchen, machte sie mit der fortschrittlichen Kleidung ohne einschnürende Korsagen, der »Reformkleidung«, vertraut, begeisterte sie für ein naturnahes Leben, imkerte selber. Durch sie kam Hilde auch zum ersten Mal auf die Insel Hiddensee, die sie seitdem sehr mochte.8

In ihren skeptischen Auffassungen über den Krieg wurde Hilde Lange von ihrer Mutter unterstützt. Wie diese hatte sie einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und empörte sich über die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten des Krieges. Fünfzig Jahre später schrieb sie einer Pioniergruppe in Güstrow dazu: »Meine Eltern waren ... liberale Bürger, die auch keinen Hurrapatriotismus während des ersten Weltkrieges kannten ... Ich fing in diesen Jahren an, die politische Entwicklung bewußt mitzuerleben; die Novemberrevolution erlebte ich bereits bewußt und stand gefühlsmäßig auf der Seite der Arbeiter.«9

Je länger der Krieg dauerte, desto drückender wurde der Alltag. Im Hause Lange gab es keine akute Not, aber die Lebensmittelmarken, die Engpässe bei allen notwendigen Gütern, die Winter, in denen es nur noch Steckrüben zu essen gab, prägten auch bei den Langes das Alltagsleben. Andere Klassenkameradinnen litten in diesen Jahren ständig an Unterernährung und konnten oft den Worten der Lehrer nicht folgen, weil ihnen schwindelig vor Hunger war.10

Das zehnklassige Auguste-Viktoria-Lyzeum beendete Hilde 1918, anschließend besuchte sie die realgymnasiale Studienanstalt bis zum Abitur. Sie wollte studieren, vielleicht Naturwissenschaften, vielleicht aber auch Jura, obwohl (oder weil?) dieses Fach immer noch eine Männerdomäne war. Zwar war in Berlin 1908 das allgemeine Immatrikulationsverbot für Frauen aufgehoben worden, aber, anders als bei Medizin und den philologischen Fächern, waren weibliche Studierende in der Jurisprudenz noch die absolute Ausnahme. Erst 1922 wurde Frauen der Zugang zum Referendariat und das zweite Staatsexamen durch Gesetz erlaubt.

Kriegsende in Berlin. Unruhen und Straßenkämpfe. In Steglitz war davon wenig zu spüren. Die Kämpfe fanden woanders statt – in Wedding, in Neukölln und in Berlin-Mitte. Hilde interessierte sich für das, was im Zentrum geschah. Die Wandervogelfreunde trafen sich wieder, diskutierten über die neue Lage und betrauerten die gefallenen Freunde. Doch es war nicht mehr wie früher. Die Jugendlichen suchten nach neuen Antworten auf die großen Fragen der Gegenwart.

Als im Januar 1919 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin ermordet wurden, mischte sich auch bei vielen bürgerlichen Menschen Trauer mit Empörung. Die Töne der Bürgerstochter Hilde aus Steglitz, von den Klassenkameraden wegen des dunklen Teints »die Inderin aus der Düntherstraße« genannt, wurden radikaler. Jedenfalls sagen das die Berichte fünfzig Jahre später. Sie selbst schrieb:

»Von entscheidener Bedeutung wurde die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, und meine Mutter und ich brachten in unserem Haus und ich in meiner reaktionären Schule unsere Empörung und Abscheu offen zum Ausdruck. Es kamen die Kämpfe und Streiks in Berlin, und ich begann, mich immer aktiver für die politische Entwicklung zu interessieren und Partei zu ergreifen. 1921 begann ich mit dem Studium der Rechtswissenschaften. Für meine Berufswahl war entscheidend, daß ich glaubte, als Rechtsanwalt allen, denen Unrecht geschah, helfen zu können, und das Vorbild Karl Liebknecht, dessen Tochter die gleiche Schule besuchte.«11

Karl Liebknecht als Vorbild für die zukünftige Rechtsanwältin. Das klingt gut. Vera Liebknecht, seine einzige Tochter, war 1906 geboren worden, also vier Jahre jünger als Hilde Lange. Ob sie sich gekannt haben, die Abiturientin und das kleine Lyzeumsmädchen? Der Sohn Michael Benjamin, befragt, ob seine Mutter mit der Tochter Liebknechts als junges Mädchen in Verbindung gestanden hätte, antwortete erstaunt, er habe nie etwas von dieser Verbindung gehört, obwohl seine Mutter eine so starke »Affinität« zu Karl Liebknecht gehabt hatte. Er war sicher, daß er, falls es eine enge Verbindung gegeben hätte, bestimmt davon wüßte.12

War es Schönfärberei der eigenen Lebensgeschichte, wenn Hilde Benjamin den jungen Lesern vermittelte, schon als junges Mädchen hätte sie engen Kontakt zu einem berühmten Sozialisten gehabt? Die angebliche Jugendbekanntschaft konnte vielleicht ein positives Licht kämpferischer Prominenz auf die Schulzeit Hilde Langes werfen. Hilde Benjamin sollte im Kreis der SED-Prominenz wegen ihrer bürgerlichen Herkunft immer ein Fremdkörper bleiben. Die meisten führenden SED-Kader kamen aus »proletarischen Elternhäusern«. Sie sagten gern und oft, schon als kleine Jungen hätten sie gewußt, daß das Herz links schlägt und der Feind rechts steht. Da wollte die Ministerin aus bürgerlichem Hause auch nicht zurückstehen. Auch sie hatte etwas vorzuweisen. Wenn auch nur den Namen Liebknecht auf der Schülerliste des gleichen Lyzeums.

1921 bestand Hilde Lange ihr Abitur. Das Zeugnis ist nicht mehr auffindbar. Aber das Exemplar einer Klassenkameradin liegt vor. Es zeigt, welche Fächer geprüft wurden und daß – wohl aus Sparsamkeit – die kaiserlichen Vordrucke weiter verwendet wurden und kurzerhand der Zusatz »Königliche« bei der Prüfungskommission gestrichen war. Ein Foto der Abiturklasse ist auch erhalten. 25 ernste junge Frauen blicken starr auf den Fotografen, sittsam aufgereiht, mit Knotenfrisuren, in langen, dunklen Kleidern. Hilde Lange steht ganz unauffällig in der mittleren Reihe. Sie war, wie die Nachkommen der Mitschülerinnen sagen, eine ganz normale Schülerin, hatte gute Zensuren, war aber nicht Klassenbeste. Zum Abitur machten die Schülerinnen, wie ihre männlichen Kollegen, eine »Bierzeitung«. Die Verse und Lieder auf die Lehrerinnen und Lehrer spiegeln die Harmlosigkeit und Naivität der jungen Frauen. Da reimt sich Herz auf Schmerz und Pause auf Sause, Sein auf Pein. Aus der Abiturklasse von Hilde Lange gingen Ärztinnen, Chemikerinnen, Studienrätinnen und Volkswirtschaftlerinnen hervor. Es waren hochintelligente Frauen, meist aus der Oberschicht, die Väter oft selbst Akademiker. Andere Familien hätten sich das teure Schulgeld auch gar nicht leisten können. Diese frühe Generation studierter Frauen in Deutschland war zäh und hart gegen sich selbst, entschlossen, ihren Weg in einer männlich dominierten Berufswelt zu gehen. Tugenden wie Pflichterfüllung und Genügsamkeit zeichneten diese Frauen aus. Von Spaß oder Genuß war selten die Rede.13

Die Bürgerstochter wird kommunistische Anwältin

Studium, Heirat, Kind und Beruf 1921–1933

Hilde Lange immatrikulierte sich als einzige ihrer Abiturklasse bei den Juristen. Vielleicht war es mehr ein Zufall und nicht, wie sie später gern erzählte, eine politisch bewußte Entscheidung, dem Vorbild Karl Liebknecht folgend. In einem Rundfunkinterview deutete sie diese Möglichkeit 1965 selbst an: »Und so gab es bei mir auch eine starke naturwissenschaftliche Neigung, und ich habe mich ... unmittelbar erst entschieden, als ich vor dem damaligen Rektor der Berliner Universität, Professor Deckel, stand und ihm die Hand zum Handschlag bei meiner Immatrikulation gab und die Entscheidung fiel: Rechtswissenschaft.«14

Hilde Lange studierte in Berlin, Heidelberg und Hamburg. Zügig absolvierte sie ihre Ausbildung. Fleißig und zielbewußt. Als Frau mußte sie manche Beleidigung einstecken. Die Professoren verhöhnten die wenigen Studentinnen durch Sonderbegrüßungen der »sehr verehrten, gnädigen Fräuleins«, die die Vorlesung mit ihrer Anwesenheit »beehrten«. Die meisten Universitätslehrer behaupteten frech, dem weiblichen Wesen widerspräche die klare Logik der Jurisprudenz, und die buntbemützten Herren Studenten trampelten begeistert ihre Zustimmung. Rita Sprengel, später Referendarin bei Hilde Benjamin, schrieb ausführlich über die unangenehme Sonderrolle, die Frauen im Jura-Studium erleiden mußten. »Den Herren Studenten und auch den meisten Professoren paßte es ganz und gar nicht, daß ich, ein Mädchen, Jura studierte. Das juristische Studium war doch das Vorrecht der Männer. Von der ersten Vorlesung an versuchten sie, mich zu vertreiben ... Ich heuchelte also Gleichmut. Vor allem aber, ich blieb nicht einer einzigen Vorlesung fern. (...) Inzwischen haben Professoren und Trampler bereits begriffen: Sie können mich nicht mehr vertreiben.«15

Doch Hilde Benjamin scheint sich nicht an solche Vorkommnisse zu erinnern: »Als ich mit dem Sommersemester 1921 ... das juristische Studium in Berlin begann, studierten mit mir etwa 6 bis 8 Frauen. Sie kamen überwiegend aus Juristen- und Beamtenfamilien, meiner Erinnerung nach kluge und begabte junge Frauen. In Hamburg und Heidelberg, wo ich das Studium fortsetzte, waren wir etwa 10 bis 15 Studentinnen. Während des Studiums erwuchsen uns aus der Tatsache, daß wir Frauen waren, keine Schwierigkeiten, eine Erfahrung, die ich auch im juristischen Vorbereitungsdienst und als Rechtsanwalt machte. Auseinandersetzungen ergaben sich aus politischen Gründen, aber sie bestanden unabhängig vom Geschlecht.«16

Hilde Benjamin wollte sich in der Rückschau auf das Studium nur noch der politischen Differenzen erinnern. Anmache, blöde Männerwitze und verletzende Bemerkungen sollen bei ihr nicht vorgekommen sein. Es mag sein, daß sie es so empfunden hat, daß sie schon damals alles, was außerhalb ihrer Vorstellungen lag, verleugnet und verdrängt hat, daß sie nur »politische Differenzen« wahrnehmen wollte, weil nur diese ihr wirklich bedeutsam erschienen.

Es gibt zahlreiche autobiographische Berichte von Studentinnen der zwanziger Jahre, die vom Hohn und der Verachtung der männlichen Studenten und Professoren gegenüber den Studentinnen sprechen. Als »Blaustrümpfe« wären sie verlacht worden. Verstand und Liebe galten als unvereinbar. Drohend wurde den Frauen vorgehalten, sie müßten sich entscheiden: entweder Beruf oder Ehe. Und der qualifizierte Beruf führte angeblich zwangsläufig zum lebenslänglichen Liebesverzicht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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