Die Mission des Dr. Ott - Ralph Wiener - E-Book

Die Mission des Dr. Ott E-Book

Ralph Wiener

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Beschreibung

Dieser humorvolle Roman spielt im Jahre 1924 und glossiert die Zustände nach der Inflation und gibt vor allem die unsauberen Gepflogenheiten im Staatsapparat der Weimarer Republik der Lächerlichkeit preis. Dr. Ott nämlich, der als Psychologe die Probleme des Heiratsschwindels "erforscht" um die wahren Gründe, die zu einem solchen Verbrechen führen, aufzudecken, heiratet durch dadurch entstandene Komplikationen seine eigene Frau ein zweites Mal. Sehr lustig und turbulent geht es bei allen an dem Schwindel freiwillig und unfreiwillig mitbeteiligten Personen zu. Wer freilich am Ende der Lachende ist, wird erst am Schluss der spritzig und spannend geschilderten Episode verraten.

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Die Psychologie des Heiratsschwindels

Inhalt

Professor Mull hat einen Plan

Das Spiel beginnt

Kommissar Rasch erhält einen Auftrag

Miss Bajuvaria

Ein Ausflug ins Grüne

Alex taut auf

Auf Befehl der Wirtin

Das Netz wird dichter

Kommissar Rasch schlägt zu

Hinter Gittern

Jagd nach Sensationen

Vor Gericht

Schlussakkord

Persö(h)nliches Nachwort

Professor Mull hat einen Plan

„Sonja!“ „Was ist denn, Liebling?“ „Bist du endlich fertig?“ „Nur noch die Wimpern, Liebling!“ Dr. Jürgen Ott seufzte.

Zwei Jahre war er nun schon mit Sonja verheiratet und noch nicht ein einziges Mal war sie pünktlich zum Ausgehen fertig gewesen.

„Ich würde mich ja nicht aufregen“, meinte er resigniert, als Sonja begann, ihre Haarklemmen zu suchen, „aber heute solltest du dich wirklich etwas beeilen. Bitte, stell dir vor: Herr Professor Mull, der Direktor unseres psychologischen Instituts, lässt sich herab, einen unbedeutenden Dozenten wie mich zu einer Abendgesellschaft einzuladen – und meine Frau hält es nicht für nötig, wenigstens pünktlich zu sein. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige!“

„Erstens bin ich keine Königin, Liebling, und zweitens …“ Dr. Ott wurde nervös: „Ich bitte dich, sag heute Abend nicht ‚Liebling‘ zu mir – wir sind schließlich nicht mehr in den Flitterwochen und außerdem besteht die Abendgesellschaft bei Professor Mull aus lauter seriösen Leuten. Es sind Psychologen, wie ich, und deshalb …“

„Also, wenn du mir Vorschriften machen willst“, unterbrach ihn Sonja, „dann bleibe ich zu Hause, Ich muss ohnehin erst meine Maniküre beenden.“ „Heilige Einfalt!“, rief Dr. Ott und sank hilflos in einen Sessel.

Nach einer halben Stunde verließen sie die Wohnung und stiegen in eine Taxe. „Waldstraße 18, Professor Mull!“ Der Fahrer nickte und fuhr an.

„Um Himmels willen!“, erschrak plötzlich Sonja, „Jetzt hab ich meinen Lippenstift liegengelassen. Wenn mir etwas zustößt…!“ „Heute Abend wird dir nichts zustoßen!“, kam es energisch aus Jürgen, und er packte sie fest beim Handgelenk.

„Au! Du tust mir weh!“, stöhnte sie, aber da hielt schon der Wagen. „Waldstraße 18!“, rief der Fahrer. Dr. Ott zahlte und schritt mit Sonja auf das eiserne Tor der Villa zu.

Bevor er läutete, wandte er sich noch einmal an seine Gattin: „Also, Sonja, mach mir keinen Ärger und bring mich nicht in Verlegenheit! Professor Mull ist mein Vorgesetzter und würde es als sehr taktlos ansehen, wenn du …“

„Ich bitte dich, Jürgen, hör auf! Du hättest ja nicht einmal an die Blumen gedacht. Und überhaupt, wenn ich nicht wäre …“

Dr. Ott drückte auf den Klingelknopf. Es surrte, und beide traten in den Vorraum. Ein Zimmermädchen nahm ihnen die Garderobe ab und führte sie in den Salon, wo bereits eine ansehnliche Gesellschaft versammelt war.

Professor Mull – ein gemütlicher, dicker älterer Herr mit einem neckischen Spitzbart – ging mit vorgestreckten Händen auf die Neuankömmlinge zu: „Ah, da sind ja die Heißersehnten! Je später der Abend, desto schöner die Gäste!“

„Gestatten Sie, Herr Professor, dass ich Ihnen meine Frau vorstelle…“ „Nicht nötig, mein lieber Doktor, habe ich mir schon denken können – schließlich sind wir Psychologen. Hahaha!“

Plötzlich wandte er sich nach seiner besseren Hälfte um: „Cornelia! Das ist Ehepaar Doktor Ott! Noch etwas in den Flitterwochen – daher die Verspätung. Hahaha! Sie entschuldigen“, sagte er leise zu Sonja, die etwas rot geworden war, „nur ein kleiner Scherz. Und das ist meine Cornelia, mir treu seit vierzig Jahren.“

„Sehr erfreut!“, sagten alle abwechselnd, und dann macht Professor Mull seinen Dozenten mit den übrigen Gästen bekannt, soweit sie nicht schon dienstlich miteinander zu tun hatten.

Da war zum Beispiel Dr. Hansen, die rechte Hand des Professors und sein ständiger Vertreter im Amte. Dann der Diplompsychologe Westphal, welcher bereits zwölf Jahre im Institut Professor Mulls zubrachte und ebenso lange auf seine Promotion wartete.

Schließlich ein junger, blondgelockter Assistent mit Namen Alex Weber, der einen etwas hilflosen Eindruck machte; denn er war noch nicht verheiratet und passte eigentlich in diese Gruppe, die sonst nur aus Ehepaaren bestand, gar nicht hinein.

Aber der Professor hatte trotz der Bedenken seiner Gattin darauf bestanden, dass Alex eingeladen wurde und hatte offenbar hierfür seine Gründe.

Die Nicht-Psychologen waren durch folgende Personen vertreten: Herr Max Seifert und Frau – mit Professor Mull im dritten Grad verschwägert, aber dennoch gern gesehen, weil Max als Abteilungsleiter im Amt für Statistik immer wieder mit allen möglichen Neuigkeiten aufwarten konnte.

Herr Ferdinand Berger und Frau, seit über vierzig Jahren mit der Gattin des Professors eng befreundet, Referatsleiter im Ministerium des Inneren.

Schließlich das Ehepaar Dr. Schilling, praktischer Arzt mit einer äußerst gut gehenden Praxis. Dr. Schilling war überhaupt ein Mann von altem Schrot und Korn, der immer zur rechten Zeit das rechte Wort fand.

„Na, nun könnten wir ja endlich essen!“ sagte er, als die allgemeine Vorstellung vorüber war, „furchtbar anstrengend, das dauernde Verbeugen!“ „Werner!“, ermahnte ihn seine Ehefrau und stieß ihm heimlich in den Rücken.

„Ihr Gatte hat schon recht!“, meinte die Frau des Hauses, welche alles beobachtet hatte, „bitte gehen wir in das Speisezimmer!“

Nun wanderte die kleine Gesellschaft in den Nebenraum, wo bereits für fünfzehn Personen gedeckt war. Professor Mull hatte sich den Abend etwas kosten lassen. Vorzügliche Speisen, erlesene Getränke, herrliche Tischblumen – alles dies erweckte den Eindruck, als ob es sich um eine besondere Feierlichkeit handelte.

Und der Anlass? Auf diese Frage pflegte Professor Mull stets zu antworten: „Am schönsten sind die Feste ohne Anlass!“ Er war ein lebensfroher Mensch, der Herr Professor. Er sah gern Gäste um sich und lachte gern.

Nach dem reichhaltigen Diner begaben sich Männlein und Weiblein wieder in den Salon, um bei einem Glas Cocktail einander zu erwärmen.

Während die Damen in einem schnell improvisierten Modekränzchen zunächst in aller Gründlichkeit das neuste Hutmodell (eine Art umgestülpter Blumentopf) besprachen, hatte sich bei den Herren ein anderes aktuelles Thema durchgesetzt: Die Ehekrisen mit allen ihren Folgeerscheinungen.

Die Diskussion wurde mit Sachkenntnis und Eifer geführt, nur Alex Weber, der vierundzwanzigjährige Assistent, saß schüchtern etwas abseits und kam sich offenbar überflüssig vor.

Doch da wurde er plötzlich von Professor Mull angesprochen: „Nun junger Freund, was halten Sie denn von der Sache?“

Alle blickten auf Alex, der ganz rot wurde und verlegen flüsterte: „Herr Professor, ich habe mit Frauen noch zu wenig Erfahrung.“

„Recht so, mein Lieber“, erwiderte Professor Mull mit einem schelmischen Seitenblick auf seine Gebieterin, „das Beste ist, man lässt die Finger davon! Aber merken Sie sich den Rat eines erfahrenen Psychologen. Frauen sind wie Brennnesseln – je kräftiger man zupackt, desto weniger stechen sie einen!“

„Das war ein Wort!“ bekräftigte Dr. Schilling, „von Ihrer Fakultät kann man allerhand lernen. Ich werde jedenfalls manchem meiner Patienten zur Wiederherstellung eines harmonischen Ehelebens Brennnesseln verschreiben. Aber Spaß beiseite: Ist Ihnen bekannt, dass die Ehekrisen zu einem Problem geworden sind, welches uns Ärzten viel zu schaffen macht? Sehen Sie meine Herren, durch die dauernden Reibereien in einer – nun sagen wir: unglücklichen Ehe – bilden sich allmählich im Organismus krankhafte Herde, die im Laufe der Zeit solche Formen annehmen, dass …“

„Der Doktor drückt sich sehr gemäßigt aus“, warf Diplompsychologe Westphal ein, „krankhafte Herde bilden sich nämlich nicht nur durch Reibereien, sondern werden ja oft vom Ehepartner direkt hereingetragen.“

„Aber ich muss doch bitten, Herr Westphal!“, räusperte sich Professor Mull, „wir wollen doch etwas das Niveau wahren!“ „Verzeihung, Herr Professor!“ Der Diplompsychologe machte eine unterwürfige Verbeugung.

Inzwischen hatte sich Professor Mulls Schwippschwager, Max Seifert, besonnen, dass auch er zu diesem Thema etwas beitragen könnte: „Wir haben im Amt für Statistik verschiedene Erhebungen gemacht, die völlig im Einklang mit dem stehen, was soeben Herr Dr. Schilling sagte. Die Zerrüttung der Ehen ist ein akutes Problem geworden. Wir schreiben heute das Jahr 1924. Allein bis zum Jahre 1923 kam bei uns in Berlin auf sechs Eheschließungen eine Ehescheidung. Das Standesamt hat also vor dem Scheidungsgericht keinen allzu großen Vorsprung.“

Max Seifert zog eine kleine Tabelle aus der Rocktasche. Bitte, meine Herren, hier die amtliche Zahl aus dem Jahre 1923: Sie weist 41519 Eheschließungen auf gegenüber 6701 Ehescheidungen. Und ein Sechstel aller Eheschließungen sind bereits Geschiedene!“

Die Gesellschaft war sprachlos. Aber da fuhr Max Seifert schon fort: „Leider sind es jedoch nicht nur Ehescheidungen, die sich in unserer Statistik sehr bedrohlich ausnehmen, sondern es hat sich ein besonderes kriminelles Element seit einigen Jahren aufsehenerregend in unsere Tabellen eingeschlichen: Der Heiratsschwindel!“

„Heiratsschwindel?“ fragte Dr. Ott und sah ungläubig Max Seifert an. „Heiratsschwindel!“ wiederholte dieser.

„Das kann ich nur bestätigen!“ mischte sich jetzt Ferdinand Berger ein. „Sie wissen, meine Herren, ich bearbeite im Innenministerium Fragen des Passschwindels.“

„Mir wird schon ganz schwindlig“, meinte Professor Mull, „aber fahren Sie ruhig fort!“

„Nun haben wir festgestellt“, erklärte Ferdinand Berger, „dass den größten Anteil bei den Verbrechen in Bezug auf den Personenstand die Heiratsschwindler bilden.“

„Heiratsschwindler?“ fragte Dr. Ott und blickte immer noch ungläubig drein.

Ferdinand Berger wandte sich an ihn: „Kommt Ihnen das so seltsam vor, Herr Doktor? Eigentlich gehören die Dinge ja direkt zusammen: Ein erfolgreicher Heiratsschwindler muss notwendigerweise dauernd seinen Namen ändern. Das kann er aber nur, wenn er sich fortlaufend falsche Papiere besorgt. Nun, und in dieser Beziehung können wir im Innenministerium ein besonderes Liedchen singen. So existiert zum Beispiel in München ein Büro, wo man die Passfälschung ganz gewerbsmäßig betreibt. Leider haben wir noch keine sicheren Beweise, aber alles spricht dafür, dass sich der Privatdetektiv Waitz am Marienplatz mit solchen Dingen befasst.“

„Hat man dem noch nicht das Handwerk gelegt?“, fragte interessiert Dr. Schilling.

Ferdinand Berger winkte ab. „Ich sagte ja, es fehlt noch an Beweisen. Und nun stellen Sie sich vor: Wenn es nicht schwierig ist, einen falschen Pass zu erlangen (leider ist das heutige Deutschland in dieser Beziehung ein Paradies), dann ist der Heiratsschwindel überhaupt kein Problem mehr.“

„Ihre Argumentation hat etwas für sich“, warf jetzt Dr. Hansen ein, „aber ich kann mir nicht denken, dass ein Heiratsschwindler lange unentdeckt bleibt. Wie sagt doch das Sprichwort: Der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht!“

„Manchmal hält er sich aber ziemlich lange“, erwiderte Ferdinand Berger. „Ich denke da zum Beispiel an den Fall Paul Gärtner: Bei uns sprach vor längerer Zeit eine junge Frau vor, welche hartnäckig behauptete, ihr Ehemann müsse sich in Berlin befinden. Er habe sie einfach sitzen gelassen, und sicherlich sei er schon wiederverheiratet, obwohl sie nach wie vor noch mit ihm vermählt sei. Jedenfalls habe er sich einen falschen Namen mit Hilfe eines entsprechenden Passes zugelegt und sei auf diese Art irgendwie untergetaucht. Trotz intensiver Ermittlungen unserer Kriminalpolizei hat sich dieser Paul Gärtner bis heute noch nicht auffinden lassen. An diesem Beispiel sehen Sie, wie schwierig es ist, einem geschickten Heiratsschwindler auf die Spur zu kommen.“

„Was sagt denn Ihre Statistik über Heiratsschwindler?“, fragte Diplompsychologe Westphal Herrn Seifert.

Dieser lächelte: „Statistisch entfallen bei uns auf vier Männer fünf Frauen. Das steht amtlich fest. Es müsste also jeder fünfte Mann in Doppelehe leben, falls keine Frau sitzenbleiben soll.“

Nach diesen Worten, die umso größere Heiterkeit erregten, als jeder fühlte, dass Seifert eigentlich recht hatte, ergriff Dr. Jürgen Ott das Wort: „Wie man einen Heiratsschwindler erwischt, ist meines Erachtens nicht das Entscheidende. Wichtig ist für uns als Psychologen – wenn ich die Sache einmal von meinem beruflichen Standpunkt aus betrachten darf – lediglich die Frage: Wie kann es überhaupt zu einem derartig verbrecherischen Vorsatz kommen? Und zweitens: Wie ist es möglich, dass immer wieder ein junges Mädchen auf einen Heiratsschwindler hereinfällt? Erkennt denn die weibliche Psyche nicht sofort, dass ein Mann bereits verheiratet ist?“

„Ja das ist der Kern des Problems!“ Diese Worte hatte, in Gedanken versunken, Professor Mull gesprochen. Langsam erhob er sich: „Sehen Sie. Meine Herren, Ihre Erwägungen vom Blickfeld des Arztes, des Statistikers und des Referatsleiters im Innenministerium sind zweifellos bedeutsam und wichtig – was mich als Psychologen interessiert, hat soeben mein verehrter Kollege Dr. Ott sehr kurz und prägnant ausgedrückt, wobei ich allerdings seiner ersten Frage weniger Bedeutung zumesse, da wir Psychologen die männliche Natur als im Grunde polygam eingestellt betrachten. Außerordentlich wichtig ist jedoch die zweite Frage, weil sie noch immer einer wissenschaftlichen Beantwortung harrt und die ich noch einmal wiederholen möchte: Wie ist es möglich, dass überhaupt eine Frau auf einen Heiratsschwindler hereinfallen kann? Sagt ihr nicht instinktiv eine innere Stimme, dass ein Mann verheiratet ist?“

„Nun, das werden wir gleich haben!“, polterte Dr. Schilling los, „Mathilde! Komm mal rüber!“ Alle blickten zur Frau des Arztes, welche sich zu dem Herrenklub wandte: „Was ist denn, Werner?“

„Nur eine kleine Frage, Mathilde: Würdest du sofort erkennen, ob ein Mann verheiratet ist, auch wenn er keinen Ring trägt?“ „Ich? Selbstverständlich!“

Professor Mull betrachtete Frau Mathilde aufmerksam und fragte sichtlich erregt: „Und woran würden Sie es erkennen, gnädige Frau?“

Frau Mathilde lächelte: „Die Ehemänner sehen immer so bedrückt aus …“ Ein allgemeines Gelächter war die Antwort.

Nur Max Seifert lachte nicht; denn er war bereits wieder in eine seiner Tabellen vertieft und murmelte: „Also, was die jungen Mädchen betrifft, so dürfte die größte Gefahr, auf einen Heiratsschwindler hereinzufallen, bei ihnen im Alter von zwanzig Jahren bestehen.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte Dr. Hansen, „steht das etwa auch in Ihrer Statistik?“

Indirekt!“ gab Max Seifert zur Antwort. „Zum Beispiel besagt unsere Statistik, dass die meisten Frauen im Alter von zwanzig Jahren heiraten. Und merkwürdigerweise sind die meisten Mütter unehelicher Kinder ebenfalls zwanzig Jahre alt. Beide Ergebnisse der statistischen Forschung besagen, dass eine Frau im Alter von zwanzig Jahren mit der größten Intensität eine Bindung an den Mann sucht. Das mag auch damit zusammenhängen, dass in diesem Alter die sexuelle Neugierde am größten ist.“

„Ich schlage vor“, meinte Dr. Schilling, dem die Statistik schon langweilig wurde, „wir machen uns erst mal mit unseren Damen hier bekannt!“

Während Max Seifert schmollend seine Statistik wieder einpackte, erhoben sich die Herren, und es entstand ein zwangloses Durcheinander.

Professor Mull setzte sich neben Sonja Ott und bewunderte ihre Eleganz und Beweglichkeit. Max Seifert kam neben Frau Berger zu sitzen, während Dr. Hansen mit Frau Mathilde nähere Bekanntschaft schloss.

Der Diplompsychologe Westphal war plötzlich gesellschaftlicher Mittelpunkt geworden, denn die Gattin des Professors hatte ihn aufgefordert, am Flügel einen seiner unnachahmlichen Schlager vorzutragen.

Seit er nicht mehr so recht an seine Promotion glaubte, versuchte er sich nämlich auf diesem Gebiet, und in der Tat gelangen ihm derartig blödsinnige Texte, dass er berechtigte Aussicht hatte, bald einmal im Rundfunk protegiert zu werden.

Doch hierfür waren die Texte noch nicht unsinnig genug. Diesmal trug er einen Slow-Fox vor, und die Damen lauschten entzückt, als er mit Fistelstimme sang:

Marilu!

Was sagt dein Mann dazu?

Marilu!

Das lässt mir keine Ruh!

Wenn ich in der größten Kälte bei dir sitze –

Ein Gedanke bringt mich augenblicklich in Hitze:

Marilu!

Was sagt dein Mann dazu?

Marilu!

Ich will’s verraten, du.

Was er sagt, das weiß ich ganz genau:

Sicher das - - wie meine Frau

„Bravo!“, riefen die ergriffenen Zuhörer, und nur Dr, Schilling murmelte etwas von „Blödsinn!“ in seinen Bart.

Er konnte Westphal nicht so recht leiden, seit dieser ihn vor einem halben Jahr mit einer Wette hineingelegt hatte.

Damals hatte Westphal ein Kartenspiel gemischt und ihn gebeten, irgendeine Karte herauszuziehen, sie ihm aber nicht zu zeigen, sondern sich nur die Karte zu merken und wieder in das Spiel zu tun. Es war Herz-Dame. Darauf hatte Westphal ihn gefragt, als wievielte Karte er dieselbe ziehen sollte. Dr. Schilling verlangte: Als Achte! Die Wette ging um hundert Mark. Westphal zählte das Spiel ab bis zur achten Karte. Dr. Schilling griff zu: Es war tatsächlich Herz-Dame! Wohl oder übel musste er die hundert Mark zahlen. Später hatte er erfahren, dass das ganze Kartenspiel, welches Westphal betätigte, ausschließlich aus Herz-Dame-Karten bestand…!

„Blödsinn!“ sagte er deshalb noch einmal, während sich Westphal immer noch verbeugte.

„Ein reizendes Lied! Nicht wahr, Liebling?“, rief Sonja ihrem Gatten zu, welcher plötzlich aus irgendeinem Grunde eine wütende Miene machte.

Na, wie ist es, Herr Weber“, sprach Professor Mull den jungen Assistenten an, „wollen Sie nicht mal Ihr großes Zauberkunststück vorführen?“

Alex wurde wieder einmal rot. „Ich weiß nicht, Herr Professor …“ „Wird auch wieder ein Betrug sein“, meinte skeptisch Dr. Schilling. „Sie brauchen ja nicht zu wetten, Herr Doktor!“, stichelte Westphal.

Und Alex begann: In die linke Hand legte er ein Zehnpfennigstück, ließ die leere rechte Hand von allen untersuchen, schloss auch sie und behauptete, ohne Berühren beider Hände den Zehner in die rechte Hand zu zaubern.

Er zählte bis drei, zuckte einmal kurz mit den Armen und teilte den erstaunten Zuschauern, ohne jedoch die Hände zu öffnen, folgendes mit: „Hochverehrte Anwesende! Soeben ist das Geldstück durch geheimnisvolle Macht aus meiner linken in die rechte Hand geraten. Aber das kann jeder primitive Zauberkünstler – ich kann jedoch noch mehr: Ich bringe, ohne die Hände zu berühren, den Zehner wieder in die linke Hand zurück. Eins, zwei, drei!“ Er zuckte wieder wie elektrisiert mit den Armen, öffnete die linke Hand – und zeigte den darin befindlichen Zehner.

Eine Lachsalve erschütterte den Raum und Dr. Schilling blickte auf Westphal, als wollte er sagen, 'Junge, Junge – wenn ich jetzt wieder gewettet hätte!'.

Inzwischen hatte Professor Mull ein Grammophon bereitgestellt, und mit ein paar Handgriffen war Platz für eine kleine Tanzfläche geschaffen worden.

„Gestatten, schöne Frau?“ Mit der Würde des Hausherrn führte der Professor Frau Sonja Ott zum ersten Tanz, eifrig gefolgt von den übrigen Gästen.

„Man könnte wirklich denken“, sagte er leise während des Tanzes zu Sonja, „dass Sie sich noch mit Ihrem Gatten in den Flitterwochen befinden, und dabei ist es doch schon ein Jahr her, dass …“

„Zwei Jahre, Herr Professor!“, korrigierte Sonja. „Zwei Jahre? Fast unglaublich. Ach richtig: Ihr Gatte hatte Sie ja kurz darauf kennengelernt, nachdem er seine Tätigkeit in meinem Institut aufgenommen hatte. Ich weiß noch, was er mir antwortete, als ich ihn fragte, ob er eine Bindung zu einer Frau hätte: Das sei das, was ihm am fernsten liege! Da kamen Sie – und schon saß er in der Falle!“

„Oder ich, Herr Professor!“, gab Sonja schelmisch zur Antwort. „Sie? Ach Sie armes Mäuschen!“

„Verzeihung!“, unterbrach Max Seifert das vertrauliche Gespräch, „wir klatschen ab!“ und schon hatte er Sonja entführt.

Professor Mull hatte zum Weitertanzen keine Lust mehr, setzte sich vielmehr in einen Sessel und betrachtete die tanzenden Gäste. Abwechselnd sah er auf Sonja und ihren Gatten. Über irgendetwas dachte er nach.

„Meiner Hausbar wird aber sehr wenig Beachtung geschenkt!“, rief die Dame des Hauses, „bitte, bedienen Sie sich!“ Sogleich zog der bis dahin tanzende Schwarm zur Hausbar, um die durstigen Kehlen zu ölen.

Als sich Dr. Ott ebenfalls zur Bar begeben wollte, nahm ihn Professor Mull beim Arm. „Falls Sie noch einen klaren Kopf haben, Herr Doktor, so möchte ich Sie auf kurze Zeit in den Nebenraum bitten. Ich hätte da etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.“

„Aber gern, Herr Professor!“ Beide gingen in ein neben dem Salon befindliches Zimmer. Professor Mull schaltete das Licht ein und bat Dr. Ott, Platz zu nehmen.

„Zigarre?“ „Danke, Herr Professor!“ Während sie ihre Zigarren beschnitten, begann Professor Mull – zunächst etwas zögerlich – mit seiner Erklärung:

„Sie erinnern sich doch noch an unser Gespräch vorhin? Ich meine die Sache mit dem Heiratsschwindel. Es hat mir sehr gefallen, dass Sie so instinktiv das psychologische Problem erkannt haben. Wissen Sie, Doktor, ich beschäftige mich schon lange mit diesen Dingen. Auch von staatlicher Seite wird mir hierin starkes Interesse entgegengebracht. Na, Sie hörten ja selbst, was Herr Berger und mein Schwager zu diesem Fall meinten. Überhaupt: wenn man bedenkt, welche Wechselbeziehungen oft zwischen Heiratsschwindel und Passschwindel bestehen, so kann man wohl behaupten, dass der psychologischen Forschung auf diesem Gebiete ein bedeutender Wert zukommt.“

„Das ist vollkommen meine Meinung“, pflichtete Dr. Ott bei.

„Um nun zur Sache selbst zu kommen“, fuhr Professor Mull fort, „in meiner Eigenschaft als Direktor des psychologischen Instituts wurde ich bereits wiederholt ersucht, dem genannten Problem meine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ich habe mich inzwischen eingehend mit der Materie befasst, und es ist tatsächlich nur noch die Frage zu beantworten, welche Sie vorhin als Nummer zwei aufgeworfen haben. Verstehen Sie mich recht: Uns als Psychologen interessieren jetzt weniger die innenpolitischen Erwägungen des Herrn Berger, auch nicht die medizinischen Forderungen des Herrn Dr. Schilling, schon gar nicht die statistischen Erhebungen meines Schwagers Max Seifert – uns interessiert vor allem die Frage: Wie kommt der Erfolg der Heiratsschwindler zustande? Und diese Frage, mein lieber Dr. Ott, kann ich nicht vom grünen Tisch aus beantworten; dazu bedarf es eines psychologischen Experimentes.“

Dr. Ott horchte auf. „Eines Experimentes?“ „Ja“, erwiderte Professor Mull und sprach nochmals sehr gedehnt und mit Nachdruck: „Eines Experimentes!“ „Wie darf ich das verstehen, Herr Professor?“ „Genau, wie ich es gesagt habe.“

Professor Mull erhob sich und ging, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab. „Ein geschulter Psychologe müsste sich einfach in die Rolle eines Heiratsschwindlers begeben und im Rahmen eines Experimentes wissenschaftlich erforschen, wie völlig ahnungslose Frauen auf einen Heiratsschwindler reagieren. Erst auf der Grundlage derartiger Forschungen lassen sich wirksame Maßregeln zum Schutze der Gesellschaft ergreifen. Sonst, Herr Doktor, tappen wir gänzlich im Dunkeln und reden wie Blinde von der Farbe.“

„Ihre Argumentation ist verblüffend“, pflichtete Dr. Ott bei, „aber wird Ihre Erwägung praktisch durchführbar sein? Und vor allem: Wer soll sich denn in die Rolle dieses sogenannten Heiratsschwindlers begeben?“

„Also, mein lieber Doktor!“, erwiderte der Professor mit einem vielsagenden Lächeln, „erstens sind meine Erwägungen stets praktisch durchführbar, und zweitens habe ich meinen Heiratsschwindler bereits auserkoren.“

„Und der wäre?“ – „Sie!“ - Dr. Ott wurde blass. „Ich?“, stammelte er. „Herr Professor, wie kommen Sie denn gerade auf mich?“

Professor Mull setzte sich wieder. „Mein lieber Doktor, ich habe Sie und Ihre Gattin heute genau beobachtet. Wenn es Eheleute gibt, die eventuell als ledig angesehen werden könnten, so sind Sie es! Ja, glauben Sie mir – schließlich bin ich ein alter, erfahrener Psychologe. Und dann sind Sie, wie Ihr Diskussionsbeitrag vorhin bewiesen hat, auch sachlich am besten geeignet. Sie wissen, worauf es ankommt. Die Frage, ob eine Frau sofort erkennt, dass ein Mann verheiratet ist, können Sie ja nun experimentell prüfen. Auch die Frage, auf welche Weise ein Heiratsschwindler Erfolg hat, dürfte von Ihnen praktisch gelöst werden.“

Dr. Ott schwamm es vor den Augen. „Verzeihung. Herr Professor, aber die ganze Sache ist doch zu gefährlich.“ „Gar nichts ist gefährlich“, wandte der Professor ein, denn zu Ihrem speziellen Schutze wird Ihre Frau Gemahlin Sie begleiten.“

„Ich verstehe nicht – ich dachte, ich soll den Unverheirateten spielen?“ „Na und? Ihre Frau ist eben nicht Ihre Frau, sondern Ihre Sekretärin!“

„Und unsere Eheringe?“ – „Ihre Frau wird ihren Ehering – wie so manche andere - in der Handtasche verwahren und Sie …“ „Im Portemonnaie?“ Professor Mull winkte ab. „Sie geben Ihren Ring unserem Assistenten Alex Weber!“

Dr. Ott war sprachlos. Aber da fuhr schon der Professor fort: „Wissen Sie, mich interessiert nämlich auch die andere Frage: ob ein lediger junger Mann als verheiratet angesehen wird, sobald er sich als ein solcher ausgibt. Das ist zugleich ein Schlüssel für das gegenteilige Problem. Aus diesem Grunde ist es notwendig, dass Alex Sie ebenfalls auf Ihrer Mission begleitet – und zwar als verheirateter Mann.“ „Mit meinem Ring“, ergänzte Dr. Ott.

„Nun, wie ist es? Sind Sie einverstanden?“ Dr. Ott erhob sich. „Sprechen wir mit Sonja!“

Als sie in den Salon zurückkehrten, tanzte Sonja gerade mit Alex. Professor Mull trat auf sie zu. „Na, das ist ja ausgezeichnet – Sie haben sich schon angefreundet. Bitte kommen Sie doch auf ein paar Minuten mit an unseren Tisch!“

In dem allgemeinen Trubel fiel es nicht auf, wie emsig die vier Personen die Köpfe zusammensteckten. Professor Mull hatte bei Sonja keine schwierige Arbeit. Sie lachte ihn fröhlich an: „Selbstverständlich führen wir diese Mission durch, Herr Professor! Endlich einmal wieder als ledig gelten – das ist doch direkt eine Erholung, nicht wahr, Liebling?“

Sie schaute auf ihren Gatten, welcher bei dem letzten Wort förmlich zusammenzuckte. „Na“, sagte sie lächelnd, „jetzt kann ich doch ruhig 'Liebling' sagen – wo wir doch bald nicht mehr verheiratet sind!“