Wiener's G'schichten VII - Ralph Wiener - E-Book

Wiener's G'schichten VII E-Book

Ralph Wiener

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Beschreibung

Dieser 7.Band enthält die Texte von drei Lustspielen, die in den Jahren 1963-1966 entstanden sind. Im Stück "Moralische Komödie" geht es um Liebeleien, Seitensprünge und Schmeicheleien, mit denen sich ein Arbeitspsychologe in einem sozialistischen Betrieb auseinandersetzen muss. Bei "Man muss darüber sprechen" werden drei Gerichtsfälle, die sich mit dem Delikt "Verführung Minderjähriger" befassen, zusammengeführt und die Unterschiede herausgehoben, die zu einer erheblich differenzierten Einschätzung der Schuld führen. In "Mein Eberhard" hat ein Vater auch so seine Probleme beim Umgang mit seinen beiden Kindern, denn seine Aufmerksamkeit und Liebe verteilt er sehr ungleich. Als er dann aber Zweifel bekommt, dass sein Lieblingskind eventuell nicht sein Fleisch und Blut sei, kippt das Ganze in die Gegenrichtung.

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Ralph Wiener 1964

Inhalt

Moralische Komödie

Akt

Szene

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Szene

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Szene

Szene

Szene

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Akt

Szene

Szene

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Akt

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Szene

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Redaktioneller Nachtrag

Man muss darüber sprechen

Akt - Eva

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Szene

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Szene

Akt - Adamus

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Szene

Szene

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Akt - Abaelard und Heloise

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Nachspiel – Das Gericht

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Redaktioneller Nachtrag

Mein Eberhard

Akt

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Akt

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Akt

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Szene

Szene

Redaktioneller Nachtrag

Ralph-Wiener-Bibliografie

Moralische Komödie

Komödie in drei Akten

Personen:

Fritz Brauer‚ Werkleiter

Hilde Brauer, seine Frau

Steffi Brauer, beider Tochter

Werner Funk‚ Brigadier

Dieter Zabel, Arbeitspsychologe

Beate Bach‚ Betriebsökonomin

Ort der Handlung: Eine Gartenterrasse

Zeit: Gegenwart (1963)

1. Akt

1. Szene

Brauer, Hilde & Steffi

(Ein schöner Sommermorgen. Auf der gepflegten, farbenprächtigen Gartenterrasse befindet sich rechts ein Tisch mit drei Stühlen, links eine Steinbank. Im Hintergrund ein in Brauers Wohnhaus führender Eingang. Links ist eine Hängematte gespannt, aus welcher Steffis Bein herunterhängt. Außer diesem Bein ist von Steffi, die ein elegantes Strandkostüm anhat, vorläufig nichts zu sehen. Am Tisch rechts nehmen Brauer und Hilde ihr Frühstück ein.)

Brauer (kauend): Es ist doch immer wieder erhebend, wenn man erlebt, dass eine moderne Familie so traulich beim Frühstück beisammensitzt. Man ist direkt wunschlos glücklich.

(zu Hilde:)

Hast du noch ein Ei?

Hilde: Nein, Fritz. Außerdem hat der Arzt gesagt ...

Brauer (unterbricht): Der Arzt, der Arzt! Wenn es nach den Ärzten ginge, würden wir alle leben wie die Spartaner. Ausgenommen einige Leute.

Hilde: Was für Leute?

Brauer: Die Ärzte selber.

Hilde: Fritz, versündige dich nicht!

Brauer (winkt ab): Die Priester der Wissenschaft können mir gestohlen bleiben!

Hilde: Fritz!

Brauer: Na, ist doch wahr! Es geht alles viel zu wissenschaftlich vor sich heutzutage. In unserem Betrieb fängt's genauso an.

Hilde: Du meinst den Arbeitspsychologen?

Brauer: Allerdings. - Aber gib mir lieber noch 'ne Tasse Kaffee!

Hilde (schenkt ihm ein): Bitte!

Brauer (blickt zur Hängematte): Was ist eigentlich mit unserer verehrten Tochter? Seit sie das Abitur gemacht hat, hält sie dauernd Siesta.

Steffi (schaukelt mit dem Bein): Dolce far niente, Papa!

Brauer (zu Hilde): Und so gelehrt drückt sie sich jetzt immer aus.

(Er bestreicht sich ein neues Brötchen.)

Ich kann sie bald nicht mehr begreifen.

Hilde: Übrigens, um noch einmal auf den Arbeitspsychologen zurückzukommen: Soll er wirklich bei uns untergebracht werden?

Brauer: Vorläufig, Hilde. Bis wir eine Dienstwohnung gefunden haben.

Hilde: Na, mir soll's recht sein. Das Erkerzimmer habe ich schon hergerichtet.

Brauer: Das Erkerzimmer? Da hängt doch aber dieses spießbürgerliche Bild: „Der Trompeter von Säckingen“.

Hilde: Hat Steffi schon ausgewechselt.

Steffi: Gegen August Bebel!

Hilde: Und Großmutters Zimmerspruch „Gottes Aug' ist überall“ haben wir auch abgenommen.

Brauer: Was habt ihr denn da hingehängt?

Steffi: „Der Sozialismus siegt!“.

Brauer (lächelt ironisch): Also ihr seid wirklich auf der Höhe!

Hilde (mit einem Blick auf die Hängematte): Steffi bestimmt!

(Sie gießt ihm Milch in die Tasse.)

Du hast die Milch vergessen.

Brauer: Danke!

(Er rührt um und trinkt. Dann sieht er Hilde an.)

Übrigens, eine Gewissensfrage: Wenn dieser Herr Zabel jetzt kommt, …

(Er zeigt auf Steffi.)

… und er sieht dort zur Begrüßung dieses Bein hängen - meinst du, dass das der passende Empfang ist?

Hilde (verschämt): Fritz!

Brauer: Ich sag's, wie's ist! Der Mann ist Psychologe. Der fällt doch von einem Komplex in den andern.

Hilde (ruft): Steffi!

Steffi (steckt den Kopf hervor, der jetzt zum ersten Mal zu sehen ist): Ich habe alles mitgekriegt, Mutti. Paps hat sittliche Bedenken.

Hilde (zu Steffi): Etwas salonfähiger könntest du dich tatsächlich machen!

Steffi: Wenn ihr meint, ...

(Sie richtet sich auf.)

... mir soll's recht sein!

(Sie schwingt sich herunter.)

Brauer (Steffi anblickend): In so einem Aufzug kannst du doch nicht Herrn Zabel empfangen!

Steffi (trocken, beiseite): Mein Gott, seid ihr weit zurück!

(Sie nimmt ihren Bademantel von der Stuhllehne, zieht ihn an, schlüpft in ihre Schuhe und setzt sich an den Tisch.)

Habt ihr wenigstens etwas Schnittkäse da?

Hilde (reicht ihr die Platte): Bitte sehr, mein Fräulein!

Steffi: Danke!

(Sie bedient sich.)

Weshalb streitet ihr euch eigentlich immer wegen dieses Psychologen?

Brauer: Das will ich dir ganz kurz erklären, mein Kind: Sieh mal, dein Vater ist seit zehn Jahren Direktor der hiesigen volkseigenen Radiergummiwerke. Seit fünfzehn Jahren beliefern wir die gesamte DDR mit unseren erfolgreichen Radiergummis. Überall werden noch Fehler gemacht, es muss also radiert werden und das ist gut so. Dadurch steigt unser Umsatz. Im letzten Jahr haben wir einen Produktionszuwachs von zwanzig Prozent erzielt. Ich habe es immer gesagt: Radiergummis haben eine Zukunft! Aber was wir in unserem Betrieb nie gebraucht haben, war ein Arbeitspsychologe.

Hilde: Das behauptest du. Die BGL zum Beispiel ist anderer Ansicht.

Brauer (scharf): Aber unsere Betriebsökonomin, Kollegin Bach, hat mir recht gegeben!

Hilde (lächelt etwas bitter): Fräulein Bach, ja. Sie bewundert alles, was du machst.

Brauer (ohne den Ton zu begreifen): Na, bitte! So ein Arbeitspsychologe ist jedenfalls für mich ein unnützes Möbel. Wir haben unseren Plan zu erfüllen und keine wissenschaftlichen Mätzchen zu betreiben!

(zu Steffi:)

Steffi, du hast jetzt dein Abitur gemacht. Dann weißt du doch, was Psychologie ist.

Steffi: Natürlich weiß ich das. Ich halte sogar sehr viel davon. Nur die Psychologen kommen mir immer etwas komisch vor.

Brauer: Genau was ich sage! Ein Arbeitspsychologe in unserem Betrieb ist wie - - , wie - - , also wie eine Mickymaus in der Hundeausstellung.

Steffi (schelmisch): Oder wie ein Musikalclown in der Missa solemnis.

Brauer: Den Roman kenne ich nicht.

Steffi: Es ist ja auch eine feierliche Messe von Beethoven.

Brauer: Also für Musik bin ich nicht kompetent, das weißt du.

Hilde: Und in der Literatur kennst du nur einige Zitate.

Brauer: Die aber für mich als Werkleiter sehr wichtig sind! Was meint ihr, wie die BGL staunt, wenn ich ab und zu so ein paar Fetzen Goethe von mir gebe!

(Er wirft sich in Positur.)

„Dem Manne kann geholfen werden!“

Steffi: Das ist von Schiller,

Brauer: Sage ich doch! Im Übrigen hast du als Tochter ...

(Es klingelt.)

Das ist er!

(zu Hilde:)

Am besten, du zeigst ihm gleich sein Zimmer. Und wenn er seine Sachen untergebracht hat, kann er hier ein Tässchen Kaffee mittrinken.

Hilde (steht auf): Wie du befiehlst.

(zu Steffi:)

Brauchst du die Matte noch?

Steffi (steht auf): Nein, die können wir gleich abnehmen!

(Beide knüpfen die Hängematte ab.)

Brauer: Das ist vernünftig. Es sieht ja sonst hier aus wie in einem Freibad.

(Hilde geht mit der Matte ab.)

2. Szene

Brauer & Steffi

Steffi (setzt sich): Du hast diesen Psychologen doch schon öfter gesehen. Was ist das eigentlich für ein Mann?

Brauer: Was weiß ich! Dieter Zabel heißt er.

Steffi: Und sonst? Wie ist er sonst?

Brauer: Wie ein Psychologe eben ist: Ein kleiner Querkopf. Typischer Theoretiker.

Steffi (geringschätzig): Den Eindruck hatte ich auch, wenn er mir manchmal übern Weg gelaufen ist.

Brauer: Aber mit dir wollte ich mich eigentlich über etwas anderes unterhalten.

Steffi: Schieß los!

Brauer (schüttelt den Kopf): Manieren hast du! „Schieß los!“ Wir sind doch hier nicht auf einer GST-Übung. Überhaupt wäre es gut, wenn du dein burschikoses Wesen allmählich ablegtest.

Steffi (verschränkt burschikos die Arme): Ich werde mich bemühen.

Brauer (steht auf und geht herum): Also, Steffi, du hast jetzt ...

Steffi (nickt): ... dein Abitur gemacht.

Brauer (bleibt stehen): Wie? Ach so. Ja.

(Er geht weiter).

Und nun beginnt quasi für dich ein neuer Lebensabschnitt.

Steffi: Du sprichst wie unser Direktor bei der Abschiedsfeier.

(Sie steht auf und wirft sich in feierliche Pose:)

„Und nun, meine jungen Freunde, werdet Astronauten des Lebens und grüßt mir den Mond und die Sterne!“

(Sie tritt vor ihren Vater.)

Oder hattest du mir noch etwas Besonderes mitzuteilen?

Brauer: Allerdings. Dass aus dir niemals ein ernsthafter Mensch werden wird!

Steffi: Erraten! Und weißt du, woran das liegt?

Brauer: Nein. Und ich will es auch nicht wissen! Mich interessiert vielmehr, ob du dich entschlossen hast, bis zu deinem Studium in unserem Betrieb praktisch zu arbeiten. Du weißt, so etwas ist erwünscht.

Steffi: Auch wenn es nicht erwünscht wäre, würde ich das tun. Aber nicht in deinem Betrieb!

Brauer: Warum denn nicht?

Steffi: Weil ich etwas gegen solche Familienbetriebe habe. Jetzt ist Mutti schon in der Kaderleitung, du bist der Direktor - und dann soll ich noch da herumschwirren? Mich wundert überhaupt, dass du Großvater nicht als Pförtner untergebracht hast - wo er doch so geeignet ist, bei seiner Pedanterie. Da könnte das Werk in Flammen stehen, er würde jeden Feuerwehrmann anhalten: „Moment! Ohne Passierschein darf keiner durch!“

Brauer (hat sich inzwischen auf die Bank gesetzt und hört zu).

Steffi: Oder wie wär's mit Tante Dora als Lagerverwalterin? Da könnte sie sogar mal ein Brigadetagebuch führen. Weil sie nämlich immer behauptet, da stünden nur Liebesgeschichten drin. Naja, sie wird halt an ihre Tagebücher gedacht haben. Ach, und mein Vetter Erich! Der immer aus Leidenschaft mit mir geschaukelt hat! Das wäre doch der richtige Mann für eure Normenberechnungen.

Brauer: Du bist unverbesserlich, Steffi.

Steffi: Gottseidank! Und darum gehe ich auch zum VEB Schultheiß.

Brauer (erschrocken): Schultheiß?

Steffi: Keine Angst! Nicht als Gütekontrolleur. Aber ich werde in der Abfüllerei arbeiten.

Brauer: In der Abfüllerei?

Steffi: Natürlich. Ich hatte doch schon immer gern mit Flaschen zu tun.

(Sie wendet sich um.)

Wo nur der Psychologe bleibt?

(Sie geht ab.)

Brauer (für sich): Das Mädel ist unheimlich. Seit sie volljährig ist, macht sie, was sie will. Genau wie vorher.

(Er schüttelt den Kopf.)

VEB Schultheiß!

3. Szene

Brauer & Zabel.

Zabel (tritt auf): Guten Morgen, Herr Direktor!

Brauer (erhebt sich und geht Zabel entgegen): Ach, mein großer Psychologe!

(Er gibt ihm die Hand.)

Guten Morgen, Herr Zabel! Haben Sie sich schon eingelebt?

Zabel: Vielen Dank!

Brauer: Und das Zimmer? Wird es Ihren Ansprüchen genügen?

Zabel: Selbstverständlich. Ich bin sehr froh, dass Sie mich in Ihrem Hause aufgenommen haben.

Brauer: Na, das lag weniger an mir.

(Er zeigt auf den Kaffeetisch.)

Aber bitte, nehmen Sie doch Platz! Meine Frau hat schon eine Tasse für Sie bereit gestellt.

Zabel (setzt sich): Verbindlichsten Dank!

Brauer (setzt sich neben ihn und schenkt ein): So, zur allgemeinen Stärkung.

(Er reicht ihm die Zuckerdose.)

Nehmen Sie Zucker?

Zabel (bedient sich): Danke sehr!

Brauer (weist auf die Brötchen): Die Brötchen können Sie sich vielleicht selbst bestreichen.

Zabel (lächelt): Wenn Sie gestatten?

Brauer (nickt): Guten Appetit!

Zabel (beginnt zu tafeln): Danke!

Brauer (während Zabel isst): Ein Glück, dass auch Psychologen frühstücken müssen.

Zabel (mit vollen Backen kauend): Ja, manchmal gleichen wir ganz normalen Menschen.

Brauer: Es ist nicht zu fassen. Leider scheinen solche lichten Momente sehr kurz zu sein.

Zabel: Das kommt ganz darauf an, wie lange so ein Frühstück dauert.

Brauer (lacht): Eins zu null für Sie!

Zabel: Sagen Sie das nicht zu laut!

Brauer: Warum nicht?

Zabel: Bei so einer Spiel-Entscheidung würde Ihre Tochter den Schiedsrichter ans Telefon gerufen haben.

Brauer (lächelt vergnügt): Kann sie Sie am Ende nicht leiden?

Zabel: Weder am Ende noch am Anfang. Sonst hätte sie mir nicht vorhin den großen Zeh behandelt - vermittels eines aus der Hand gefallenen Blumentopfes.

Brauer (für sich): So ein Luder!

Zabel (fortfahrend): Und dann sieht sie mich immer so schnippisch an. Wissen Sie, wie man einen Regenwurm betrachten würde, der sich krampfhaft bemüht, eine Opernarie zu singen.

Brauer: Solche Regenwürmer gibt's nicht viele. Aber was meine Tochter betrifft, kann ich Sie beruhigen: Ihre Abneigung gilt weniger Ihrer Person - sie kennt Sie ja kaum - als vielmehr Ihrem etwas sonderbaren Beruf. Sie verzeihen!

Zabel (immer kauend): Bitte, bitte!

Brauer: Sie ist sehr realistisch erzogen und hat für bestimmte Schrullen wenig Sinn.

(Zabel verschluckt sich und hustet. Brauer klopft ihm den Rücken.)

Oh, das ging in die falsche Kehle. Aber trösten Sie sich: Bei meiner Frau haben Sie dafür einen umso größeren Stein im Brett.

Zabel: Das freut mich. Und vielleicht darf ich mir eine ganz nebensächliche Frage erlauben: Wie denkt Herr Direktor selbst darüber?

Brauer: Bitte nicht in der dritten Person! Und den „Herrn Direktor“ lassen wir auch beiseite.

(Er richtet sich wie ein Held auf.)

Ich werde von allen im Betrieb „Kollege Brauer“ genannt.

Zabel: Was für ein Opfer! Aber das Gehalt bekommen Sie doch noch als Direktor?

Brauer (ohne die Ironie zu verstehen): Natürlich. Wie meinen Sie das?

Zabel (kauend): Ach, nur so. Aber Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet.

Brauer: Das ist schnell getan. Sehen Sie, lieber Zabel, als Mensch sind Sie mir ganz sympathisch, und ich will Sie keinesfalls persönlich angreifen - aber Ihr Beruf ist für mich etwas Unbrauchbares. Das habe ich auch der BGL gegenüber ganz klar zum Ausdruck gebracht. „Quo vadis?“ habe ich ausgerufen. Wem nützt es?

Zabel: Wohin gehst du!

Brauer: Sie duzen mich?

Zabel: Ich meine: „Quo vadis“ heißt „Wohin gehst du“!

Brauer: Ach so. - Aber jetzt frage ich Sie: Was sollen wir in unserem Betrieb mit einem Arbeitspsychologen? Wir stellen jährlich zwölf Millionen Radiergummis her. Ja, ja, Sie machen sich keinen Begriff, was bei uns radiert wird. Und für die Herstellung dieser Gummis brauchen wir - - , da brauchen wir ...

Zabel: Gummi.

Brauer: Richtig. Aber dann brauchen wir - - , also vor allem ...

Zabel: Einen Direktor.

Brauer: Noch richtiger. Und die nötigen Facharbeiter! Und Lageristen! Und Transporteure! Und Buchhalter! Und - - naja, aber jedenfalls keinen Arbeitspsychologen! Was ist das überhaupt für eine Neuerung?

Zabel: Ja, Herr Direktor - Verzeihung: Kollege Brauer - , ich glaube, ich muss Sie hier etwas enttäuschen. Eine Neuerung ist das gar nicht.

Brauer: Für mich ist das eine Neuerung. Wir haben noch nie einen Arbeitspsychologen gehabt.

Zabel: Eben. Und deshalb haben Sie zum Beispiel in der Schneidewerkstatt laufend Ausfälle durch Krankheit, deshalb stoßen in der Halle III dauernd Waggons zusammen, deshalb ...

Brauer (unterbricht): Moment, Moment! Da komme ich nicht ganz mit. Für die Ermittlung von Krankheitsursachen haben wir den Betriebsarzt.

Zabel: Zugegeben. Es gibt aber Krankheiten, die den Mediziner vor ein großes Rätsel stellen, weil sie eine arbeitspsychologische Ursache haben.

Brauer: Das ist das Neueste.

Zabel: Keineswegs. Es ist leider nur noch nicht so allgemein bekannt. Und ich bin überzeugt, dass in Ihrer Schneidewerkstatt in arbeitspsychologischer Hinsicht irgendetwas nicht ganz stimmt.

Brauer: Kann jeder sagen.

Zabel: Angesichts der Symptome, die bei den betreffenden Facharbeiterinnen aufgetreten sind, möchte ich das mit Sicherheit annehmen. Ermüdungserscheinungen, Kopfschmerzen, Nervosität - und alles, ohne dass der Betriebsarzt eine erklärliche Ursache gefunden hat.

Brauer: Da muss also erst ein Psychologe kommen. Nein, nein, mein Lieber - bevor Sie mir nicht das Gegenteil bewiesen haben, gehe ich von meiner Meinung nicht ab.

Zabel: Vielleicht kann ich Ihnen sehr bald die Beweise liefern, auch wegen der Waggon-Zusammenstöße.

Brauer: Hals- und Beinbruch!

Zabel: Danke! - Haben Sie sonst noch etwas gegen meine Mission einzuwenden?

Brauer: Hören Sie mal zu, lieber Zabel: Meine Auffassung bezüglich Ihrer „Mission“, wie Sie das nennen, ist mehr grundsätzlicher - man kann auch sagen: ideologischer Art.

Zabel: Ideologisch?

(Er beendet sein Frühstück und wischt sich den Mund ab.)

Jetzt wird's interessant.

Brauer: Ich bin ein alter Praktiker und habe den Sozialismus immer als eine reale, positive, optimistische Sache angesehen. Hier mit diesen Händen habe ich Fünfundvierzig mit zugefasst! Wir haben enttrümmert, Stein auf Stein geschichtet, aufgebaut - wohlgemerkt: ohne Psychologie, aber mit viel Elan und Kraft. Seit zehn Jahren bin ich Werkleiter, meine Frau arbeitet genauso lange mit, meine Tochter hat ihr Abitur mit „gut“ bestanden. Es geht alles seinen Gang. Aber einen Psychologen hatten wir weder Zuhause noch im Betrieb nötig. Im Alltagsleben, mein lieber Herr Zabel, bei den gewohnten Forderungen des Tages erweist sich der Wert eines Menschen! Und da gibt es bei uns nichts zu rütteln. Überhaupt nichts.

Zabel (nach kurzer Pause): Es klingt sehr überzeugend, was Sie sagen.

Brauer (selbstbewusst): Wusste ich doch.

Zabel: Trotzdem ist es falsch.

Brauer (fährt auf): Wie?

Zabel (drückt ihn nieder): Beruhigen Sie sich! Sie behaupten also, der Mensch bewähre sich im normalen Gang der Dinge.

Brauer: Genau.

Zabel: Und das ist Ihr Irrtum, Kollege Brauer. Der wahre Wesenszug eines Menschen offenbart sich nämlich oft erst dann, wenn ein außergewöhnlicher Umstand eintritt.

Brauer: Ein außergewöhnlicher Umstand?

Zabel (nickt): Gewiss.

Brauer (steht auf und geht herum): Da muss ich protestieren! Ein außergewöhnlicher Umstand ist immer ein Abweichen vom Gewohnten, also etwas Untypisches. Nehmen wir einmal unseren Betrieb: Sie wissen, wir arbeiten nach einem Plan. Der Plan liegt fest, und zwar von Anfang an. Er steht am Beginn des Produktionsprozesses. Er ist das A und O unseres Betriebsgeschehens.

Zabel: Und dann bekommen plötzlich die Frauen in der Schneidewerkstatt chronische Kopfschmerzen und unerklärliche Ermüdungssymptome. Stand das auch im Plan?

Brauer: Natürlich nicht. Das ist ein außergewöhnlicher Umstand.

Zabel: Aha! Und dass an einer bestimmten Stelle in der Halle III trotz aller Sicherheitsvorrichtungen dauernd Waggons zusammenstoßen - das stand auch im Plan?

Brauer: Unsinn! Das war natürlich auch ein ...

(Er stockt.)

Zabel (nickt): Ein außergewöhnlicher Umstand, sehr richtig. Es scheinen doch mehr solche außergewöhnlichen Umstände aufzutreten, als Sie annehmen. Und dabei handelt es sich bei Ihnen um einen Industriebetrieb. In der Landwirtschaft ist das Verhältnis noch anders, weil wir da einen Faktor haben, den wir beim besten Willen nicht mit Sicherheit einplanen können.

Brauer: Welchen Faktor?

Zabel: Das Wetter.

Brauer (stellt sich vor Zabel): Wie ich sehe, Herr Zabel, sind Sie ein Gegner unserer Planwirtschaft.

Zabel (lächelt): Keineswegs. Aber ich behaupte, dass sich in der Meisterung der außergewöhnlichen Umstände - verstehen Sie: in der Meisterung der außergewöhnlichen Umstände - die Qualität eines Menschen erweisen muss.

Brauer (wird unsicher und denkt nach): Hm.

Zabel: Sie haben mir vorhin Ihr Familienleben geschildert. Sie selbst ein korrekt denkender, untadeliger Werkleiter; Ihre Frau seit Jahren in der Kaderabteilung tätig; Ihre Tochter das Abitur mit „gut“ bestanden. Alles in bester Ordnung, vorbildlich, harmonisch. Und daran messen Sie Ihren Wert.

(Er steht auf und tritt vor Brauer.)

Aber wie verhalten Sie sich, Herr Direktor Brauer, wenn in diesem gewohnten Gleichmaß ein außergewöhnlicher Umstand eintritt?

Brauer (verächtlich): Sie mit Ihrem Umstand!

Zabel: Davon wollen Sie nichts wissen. Das habe ich mir gedacht. Aber ich sehe schon, dass Sie sich völlig falsch verhalten würden. Sonst hätte Sie nicht schon der Gedanke daran aufgeregt.

Brauer: Sie sind ein Sophist.

Zabel (hebt beschwichtigend die Hand): Geduld!

(Er setzt sich auf die Bank und schlägt lässig ein Bein übers andere.)

Nehmen wir zum Beispiel einmal an, Ihre Tochter hätte ein Verhältnis mit einem verheirateten Manne.

Brauer (dreht sich empört zu ihm um): Was erlauben Sie sich!

Zabel: Als Beispiel, habe ich gesagt. Was würden Sie tun?

Brauer: Also ich verbiete Ihnen solche Fragen!

(gemäßigter, beiseite:)

Die Hosen würde ich ihr straff ziehen.

Zabel: Ausgezeichnet. So habe ich es mir gedacht. Und dass Ihre Tochter schon mündig ist, haben Sie wohl vergessen? Was wissen Sie überhaupt von Ihrer Tochter, Herr Brauer? „Sie hat das Abitur gemacht“ - das ist das Einzige, was Sie von ihr wissen.

Brauer: Sie werden unverschämt, junger Freund.

Zabel (lächelt): Auch das stimmt nicht. Im Übrigen: Was ich Ihnen soeben als Beispiel schilderte, ist gar kein Beispiel.

Brauer: Kein Beispiel? Was dann?

Zabel: Eine Tatsache.

Brauer (nach kurzer Verblüffung): Herr Zabel!

Zabel: Die Sache ist ganz kurz erzählt: Ihre Tochter hat vor einigen Monaten in Ihrem Betrieb einen Brigadier namens Werner Funk kennengelernt. Die beiden haben sich ineinander verliebt und „gehen zusammen“, wie es im Volksmund heißt. Der ganze Betrieb weiß es, ausgenommen zwei Personen: Ihre Gattin und Sie.

Brauer (wischt sich mit einem Tuch die Stirn): Einen Augenblick!

(Er geht erschüttert zur Bank und lässt sich neben Zabel nieder.)

Das kann doch nicht wahr sein.

(Er blickt Zabel an.)

Sie machen einen Scherz!

Zabel: In solchen Dingen scherzt man schwerlich.

Brauer: Mit dem Brigadier Funk, sagen Sie? Funk ist doch verheiratet.

Zabel: Allerdings.

Brauer (nachdenklich): Das ist ja allerhand. Vorhin habe ich noch mit ihr gesprochen. So unbefangen tat sie. Als könne sie kein Wässerchen trüben. - Oh, jetzt geht mir ein Licht auf, warum sie absolut nicht in meinen Betrieb will!

Zabel: Ich würde Ihnen aber doch raten, erst einmal Ihre Tochter selbst zu fragen. Denn auf eine reine Denunziation hin ...

Brauer: Ich bitte Sie!

(Er steht auf.)

Aber fragen werde ich sie - und zwar sofort und in Ihrer Gegenwart.

Zabel: Das wäre nicht schlecht.

Brauer (geht zum Hauseingang): Steffi! - Steffi!

4. Szene

Brauer, Zabel & Steffi

Steffi (noch von innen): Ich komme gleich!

Brauer: Ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf!

(Er geht zu Zabel zurück.)

Jetzt werden wir klarsehen.

(Er setzt sich neben Zabel, so dass beide wie zwei grimmige Ankläger auf der Bank sitzen.)

Steffi (kommt): Also wo brennt's denn?

Brauer (energisch): Das wirst du wohl am besten wissen.

Steffi: Ich?

(Sie stutzt.)

Aber Paps, wie sitzt ihr denn da?

Brauer (streng): Ich bin kein Paps, ich bin dein Vater! Und als Vater verlange ich jetzt von dir eine Auskunft.

Steffi (ohne auf den ernsten Ton einzugehen): Oh, ein hochnotpeinliches Verhör.

Bitte!

(Sie setzt sich possierlich auf den Kaffeetisch und schaukelt mit den Beinen.)

Brauer: Welcher Art sind deine Beziehungen zu dem Brigadier Werner Funk?

Steffi (hört plötzlich zu schaukeln auf und nimmt einen ernsthaften Gesichtsausdruck an): Zu Werner?

Brauer (zu Zabel): „Zu Werner!“

Zabel (zu Brauer): Das sagt an sich schon genug.

Brauer (zu Zabel): Nein, nein - ich will es genau wissen.

(zu Steffi:)

Also bitte! Wie steht die Sache? Klar und präzise!

Steffi: Ich weiß zwar nicht, was das Herrn Zabel angeht - aber da er offensichtlich der geniale Initiator dieser Unterhaltung ist, soll er meine Meinung ruhig mit anhören.

(zu Zabel:)

Fair finde ich es allerdings nicht von Ihnen, dass Sie mich verpetzt haben.

Wahrscheinlich wissen Sie nicht, was Betriebsgeheimnisse sind.

Brauer: Bitte, komm zur Sache!

Steffi (schlägt ein Bein übers andere): Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich liebe Herrn Funk.

Brauer (zu Zabel): Das sagt sie so, als handele es sich um Spinat oder Schweizerkäse.

Steffi: Und er liebt mich übrigens auch.

Brauer: Hat er das gesagt?

Steffi: Nicht direkt, Aber einige Anzeichen lassen darauf schließen.

Brauer (heftig): Was für Anzeichen?

Steffi: Er hat mich neulich verdroschen.

Brauer: Verdroschen?

(zu Zabel:)

Was sagen Sie dazu?

Zabel: Psychologisch sehr interessant.

Steffi: Außerdem hat er mit mir ...

(Sie stockt.)

Brauer (steht auf): Was hat er mit dir?

Steffi (verschämt): Ach, das möcht' ich nicht sagen.

Brauer (zu Zabel): Herr Zabel, der Punkt ist erreicht, wo Sie überflüssig werden.

Zabel (steht lächelnd auf): Vielleicht auch, wo ich am nötigsten gebraucht würde.

Aber wie Sie meinen.

(Er macht eine kurze Verbeugung.)

Empfehle mich!

(Er geht ab. Als er Steffi passiert, schneidet sie ihm eine Grimasse.)

5. Szene

Brauer & Steffi

Brauer (stellt sich vor Steffi): Also was hat er mit dir?

Steffi: Er hat mit mir - - schon zweimal Schach gespielt. Und jedes Mal hat er verloren!

Brauer: Das ist alles?

Steffi: Das ist sehr viel, Papa. Wenn ein kluger Mann wie Werner Funk gegen ein dummes Mädel wie Steffi Brauer im Schach verliert, dann liebt er sie!

Brauer (beiseite): So eine Backfisch-Logik!

(zu Steffi:)

Und weiter - war nichts?

Steffi: Nichts von Bedeutung.

Brauer (geht zum Eingang): Herr Zabel!

Zabel (von hinten): Ja?

Brauer: Kommen Sie zurück!

6. Szene

Brauer, Steffi & Zabel

Zabel (kommt wieder): Was ist denn nun? Ich denke, ich soll ...

Brauer (weißt auf Steffi): Sie haben bloß Schach gespielt.

Zabel (blickt Steffi an): Schach?

(zu Brauer:)

Sehr verdächtig.

Brauer (winkt ab): Ach, hören Sie auf! Meine Tochter ist einwandfrei. Das habe ich gleich gesagt.

Steffi: Übrigens will dir Werner nachher seine Aufwartung machen.

Brauer: Seine Aufwartung? Wieso?

Steffi (trocken): Er will mich heiraten.

Brauer (öffnet tonlos den Mund, wankt - indem er entgeistert Steffi anblickt - zur Bank und lässt sich auf diese fallen).

Zabel (für sich): Schach matt!

Steffi (geht vom Tisch herunter): Was ist denn? Du freust dich gar nicht?

Brauer (leise): Geh!

(Plötzlich schreit er sie an:)

Geh!

Steffi (ängstlich): Ich gehe ja schon.

(Sie geht, bleibt am Eingang stehen und schüttelt den Kopf.)

Sowas!

(Dann geht sie ab.)

7. Szene

Brauer & Zabel

Zabel (setzt sich langsam neben Brauer): Da haben Sie die Bescherung.

Brauer (halb für sich): Das kann doch nicht wahr sein.

Zabel: Natürlich ist es wahr. Oder dachten Sie, ich hätte Ihnen ein Märchen erzählt?

Brauer (seufzt): Lieber wäre es mir gewesen.

Zabel: Psychologisch ist die Sache übrigens sehr einfach. Kein Vater weiß, was seine Tochter macht, sobald diese ein gewisses Alter überschritten hat.

Brauer: Wollen Sie mich trösten oder verspotten?

Zabel: Weder - noch. Aber dass manche achtzehnjährige Mädchen verheiratete Männer bevorzugen, ist eine erwiesene Tatsache.

Brauer (richtet sich auf): Einen Moment! Sie sprechen von kapitalistischen Verhältnissen, nicht wahr?

Zabel: Nein, ganz allgemein.

Brauer (mit gehobener Stimme): Sie behaupten also, im Sozialismus wäre es möglich, dass - - nein, das geht zu weit. Wissen Sie, Herr Zabel, ich habe in diesen Dingen eine andere Auffassung als Sie. Eine gesunde, moralische, saubere Auffassung!

Zabel: Und Ihre Tochter?

Brauer: Das werde ich bereinigen.

Zabel: Darf ich mir die Frage erlauben, wie Sie das zu bereinigen gedenken?

Brauer: Wie ich es vorhin gesagt habe: Die Hosen ziehe ich ihr straff, und dann werde ich ihr diesen Funk schon austreiben. Dann hat's ausgefunkt!

Zabel (ironisch): Sie sind ein großartiger Pädagoge.

Brauer: Das soll wohl sein!

Zabel: Nur fürchte ich, dass Ihre Methode nicht viel nützen wird. Steffi ist erwachsen, und die Sache hat außerdem gewisse psychologische Ursachen.

Brauer (spöttisch): Auf das Stichwort habe ich gewartet.

Zabel: Sehen Sie, Herr Brauer: Warum sucht denn ein Mädel im Alter Ihrer Tochter Anschluss an einen verheirateten Mann? Doch nicht, um etwas Unmoralisches zu begehen. Auch nicht aus Abenteuerlust. Die Gründe liegen viel tiefer. Es sind sogar - bitte, erschrecken Sie nicht! - sehr edle Gründe, die sie zu solch einem Schritt veranlassen.

Brauer (blickt Zabel erstaunt an): Ich höre wohl nicht richtig.

Zabel: Die Sache beginnt schon in der Schule. Von Anfang an sind Jungen und Mädchen in einer Klasse. Und zwar Gleichaltrige - obwohl sich die Jungen in gewisser Hinsicht mehrere Jahre später entwickeln als die Mädchen. Die Mädchen spüren das. Sie merken: Ihre männlichen Klassenkameraden sind nicht reif genug. Es sind noch Kinder, während sie, die Mädchen, schon angehende Damen sind. Und dann tun diese angehende Damen das, was ihnen die Lausbuben ihrer Klasse gar nicht übelnehmen können: Sie sehen sich nach älteren um.

Brauer: Aber doch nicht nach Verheirateten!

Zabel (hebt beschwichtigend die Hand): Ich bin noch nicht fertig!

(Er fährt fort:)

Zunächst freunden sie sich mit Jungen an, die zwei bis drei Jahre älter sind. Das sind meist Achtzehnjährige. Es sind schon Männer, aber - - naja, eben noch nicht die richtigen Männer. So einen richtigen Mann lernt die angehende junge Dame eines Tages durch Zufall kennen. Das ist dann ein Verheirateter. Und nun macht sie eine sonderbare Feststellung: Dieser verheiratete Mann hat etwas, was allen ihren bisherigen Freunden abgeht. Er hat Erfahrung, großzügige Ansichten, ein ausgeglichenes Wesen, einen ganz anderen Umgangston - mit einem Wort: Er kommt ihren Idealen geradezu entgegen. Sie bewundert ihn. Und aus der Bewunderung entsteht schließlich die Liebe. An die Frau dieses Mannes denkt sie überhaupt nicht.

(Pause. Dann blickt er Brauer an.)

So wird es auch bei Ihrer Tochter gewesen sein.

Brauer (nachdenklich): Hm, von der Seite habe ich das noch gar nicht betrachtet.

(Plötzlich fährt er auf:)

Aber von dem Mann ist es jedenfalls eine Gemeinheit!

Zabel (lenkt ein): Das steht auf einem anderen Blatt.

Brauer (erregt): Dieser Mensch mit seiner Erfahrung, seinem ausgeglichenen Wesen und wie Sie das nennen, nistet sich im Herzen eines ahnungslosen Backfisches ein, vergisst, dass er eine Frau hat, besitzt sogar die Frechheit, mir seine Aufwartung machen zu wollen - und das alles, während wir am planmäßigen Aufbau des ...

8. Szene

Brauer, Zabel & Funk

Funk (tritt auf): Entschuldigen Sie!

(Er macht eine Verbeugung.)

Guten Morgen!

Brauer (erhebt sich unheildrohend, mit verhaltener Wut): Funk!

(Beide stehen sich stumm gegenüber.)

Zabel (blickt verlegen auf beide und steht auf): Ich glaube, für mich ist eben ein dringendes Ferngespräch gekommen.

(Er geht, ohne von den andern beachtet zu werden, ab.)

9. Szene

Brauer & Funk

Brauer (innerlich schäumend): Sie haben den Mut - den traurigen Mut, muss ich schon sagen - in meinem Hause zu erscheinen?

Funk: Ich bitte nochmals um Verzeihung, Kollege Direktor. Aber hat Ihnen Steffi nicht gesagt, dass ich ...?

Brauer (unterbricht): Gesagt, gesagt! Natürlich hat sie mir das gesagt! Das heißt noch lange nicht, dass ich Sie hier zu sehen wünsche! Wie kommen Sie überhaupt auf diese Idee?

Funk: Ich hielt es für ehrlicher, mit Ihnen offen zu sprechen‚ als hinter Ihrem Rücken...

Brauer (unterbricht wieder): Hinter meinem Rücken, verehrter Herr Funk, haben Sie Beziehungen zu meiner Tochter angeknüpft. Und zwar in einer Weise, dass der ganze Betrieb darüber spricht.

Funk : Deshalb will ich auch die Konsequenzen ziehen, Kollege Direktor. Steffi und ich‚ wir lieben uns. Ich möchte sie heiraten.

Brauer (geht auf ihn zu): Sagen Sie mal, ist Ihnen nicht ganz wohl? Sie sind doch verheiratet!

Funk: Darüber wollte ich jetzt mit Ihnen reden.

Brauer: Und was versprechen Sie sich davon?

(Er bietet ihm mürrisch einen Stuhl an.)

Bitte!

Funk: Vielen Dank!

(Sie setzen sich am Tisch einander gegenüber.)

Brauer (blickt ihn verächtlich an): Also dann versuchen Sie, sich reinzuwaschen!

Funk: Von Reinwaschen kann keine Rede sein. Und so schmutzig bin ich auch nicht, dass ich mich unbedingt reinwaschen müsste. Es ist nämlich zwischen Ihrer Tochter und mir noch nichts Verbotenes vorgefallen.

Brauer: Das wäre noch schöner!

Funk: Aber ich halte mich für verpflichtet, Ihnen einige Aufschlüsse über meine Ehe zu geben.

Brauer: Ich wüsste nicht, was mich das interessiert.

Funk: Trotzdem bitte ich Sie, mich anzuhören! Ich bin jetzt acht Jahre im Werk, seit fünf Jahren Brigadier. Dreimal bin ich ausgezeichnet worden, und im vorigen Jahr haben wir den Titel „Sozialistische Brigade“ erhalten. Mein Verbesserungsvorschlag zur rationelleren Herstellung von Hartgummi hat dem Werk jährlich dreißigtausend Mark erspart. Im Wettbewerb mit ...

Brauer (unterbricht): Menschenskind, das weiß ich doch alles! Soll ich Ihnen ein Zeugnis ausstellen?

Funk: Ich erwähne das nur, um Sie daran zu erinnern, dass Sie sich immer auf mich verlassen konnten.

Brauer (nickt): Das stimmt.

(Plötzlich besinnt er sich.)

Mit einer Einschränkung allerdings: Seit einiger Zeit hat Ihr Elan merklich nachgelassen!

Funk: Sie nehmen mir das Wort aus dem Munde. Ich merke selbst, was mit mir los ist. Meine Ehe ist daran schuld. Mit meiner Frau ist es nicht mehr zum Aushalten. Dauernd meckert sie herum. Da passt ihr das nicht und jenes nicht. Ein bisschen liebevoll ist sie überhaupt nicht mehr. Da gehen natürlich die Nerven mit einem durch. Und auf der Arbeit wirkt sich das aus.

Brauer: Mit einem Wort: Der Betrieb soll Ihre ehelichen Zwistigkeiten ausbaden.

Funk: So habe ich das nicht gemeint. Ich spreche nur von Ursache und Wirkung.

Brauer: Und was ist die Ursache dafür, dass Ihre Frau so missmutig ist?

Funk: Das weiß ich nicht.

Brauer: Aber ich weiß es: Ihr Verhältnis zu meiner Tochter! Denken Sie, eine Frau merkt nicht, was mit ihrem Manne los ist? Außerdem wird genug getratscht.

Funk: Eben. Und deshalb möchte ich mich scheiden lassen.

Brauer (teils verächtlich‚ teils kollegial): Sie sind ja verrückt!

Funk (beleidigt): Kollege Direktor!

Brauer (beschwichtigt ihn): Nun seien Sie doch vernünftig! Sie sehen das alles von Ihrem Horizont aus - ohne Rücksicht auf das große Ganze, dem wir dienen. In einem sozialistischen Betrieb, überhaupt in einem sozialistischen Staate haben solche Sachen nicht vorzukommen!

Funk: Sie sind sehr streng in Ihren Ansichten, Kollege Direktor.

Brauer: Jawohl, das bin ich! Gegen mich selbst und gegen alle. Ich kenne nur einen klaren, geraden Weg. Wir haben unseren Plan, der wird erfüllt - und da gibt es keinen Platz für irgendwelche außergewöhnlichen Umstände. So ein außergewöhnlicher Umstand schafft nur Unruhe und Konflikte.

(Er sieht Funk aufmerksam an.)

Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Vertragen Sie sich mit Ihrer Frau, vergessen Sie meine Tochter - und kümmern Sie sich um das Produktionsaufgebot!

Funk (lächelt): Sie sind zu beneiden.

Brauer: Um was?

Funk (ironisch): Wie wunderbar Sie das alles regeln! Fast könnte man vergessen, mit einen Menschen zu tun zu haben.

Brauer (richtet sich auf): Herr Funk!

Funk: Nichts für ungut, Kollege Direktor!