Wiener's G'schichten - Ralph Wiener - E-Book

Wiener's G'schichten E-Book

Ralph Wiener

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Beschreibung

Der erste Teil von "Wiener's G'schichten" enthält alle in der Zeitschrift "Eulenspiegel" veröffentlichten Humoresken und Satiren aus den Jahren 1957 bis 1982 chronologisch geordnet. Viele dieser Kurzgeschichten sind später in einen der Bücher Wieners erschienen: "Gehört sich das?" (1972), "Kein Wort über Himbeeren" (1979) oder "Die vier Jahrespleiten" (1999) u.a. Wenn man etwas über das Leben in der DDR erfahren möchte, kann man Geschichtsbücher studieren, bekommt aber nicht ein wirkliches Gefühl für das Miteinander der Menschen und deren Träume und Wünsche. Das findet man aber in diesen vielen kleine Episoden, die das Leben schrieb. Oftmals auch zwischen den Zeilen - eine Lesart der Satiren, die heute leider nicht mehr üblich ist, aber in der DDR jeder Eulenspiegelleser beherrschte und liebte. Anlässlich des 95.Geburtstages des Schriftstellers Ralph Wiener am 15. Mai 2019 erscheint diese Zusammenfassung. Allen Geschichten, die nicht im Eulenspiegel erschienen sind, wird sich ein zweiter Band widmen.

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Inhalt

Persö(h)nliches Vorwort

Nachts ging das Telefon (1957-Nr. 38, Seite 597)

Anschließend Film (1958-Nr. 4, Seite 62)

Faschingsgeschichten (1958-Nr. 7, Seite 101)

Klavier zu verkaufen (1958-Nr. 11, Seite 164)

Die Maiswerbewoche (1958-Nr. 15, Seite 237)

PERSONALIEN (1958-Nr. 15, Seite 237)

Der Beschwerdeweg (1958-Nr. 17, Seite 263)

Der Elektroherd (1958-Nr. 17, Seite 263)

Kreislaufstörung (1958-Nr. 19, Seite 301)

Wachsmann als Erzieher (1958-Nr. 21, Seite 326)

Resi (1958-Nr. 22, Seite 349)

Richter und Bauer (1958-Nr. 23, Seite 355)

Geist und Materie (1958-Nr. 23, Seite 360)

Tippvorschläge (1958-Nr. 23, Seite 366)

Komplexe (1958-Nr. 24, Seite 383)

Ferien vom Ich (1958-Nr. 26, Seite 414)

Das Konzert (1958-Nr. 29, Seite 455)

Leserbriefe für Balduin (1958-Nr. 29, Seite 463)

Das Juskowiak-Buch (1958-Nr. 30, Seite 475)

Grenzen der Kraft (1958-Nr. 31, Seite 494)

Vom Känguru zur Kreissparkasse (1958-Nr. 31, Seite 495)

Frage der staatlichen Plankommission an einen VEB (1958-Nr. 33, S. 516)

Nächstenliebe (1958-Nr. 34, Seite 543)

Peinliche Schnitzer (1958-Nr. 35, Seite 558)

Die Idee des Mr. Gray (1958-Nr. 37, Seite 589)

Post contra Liebesbriefe (1958-Nr. 37, Seite 591)

Ein unmöglicher Mensch (1958-Nr. 42, Seite 659)

Vom Ich zum Wir (1958-Nr. 44, Seite 702)

Der schönste Film (1958-Nr. 46, Seite 731)

Lohn der Lyrik (1958-Nr. 47, Seite 747)

Die Zählergemeinschaft (1958-Nr. 48, Seite 757)

Briefe, die ihn nicht erweichten (1958-Nr. 51, Seite 807)

Mieterschutz (1958-Nr. 52, Seite 830)

Erfahrungsaustausch (1958-Nr. 53, Seite 839)

Die Macht des Konzepts (1959-Nr. 1, Seite 8)

Mathma und die Konkurrenz (1959-Nr. 1, Seite 9)

Seltsame Bräuche (1959-Nr. 4, Seite 4)

Der grüne Anzug (1959-Nr. 4, Seite 15)

Kühle Geschichte (1959-Nr. 7, Seite 11)

Kollege Kroll und die Versuchung (1959-Nr. 10, Seite 14)

Schicksalswege einer Tänzerin (1959-Nr. 13, Seite 11)

Die Zweigroschenoper (1959-Nr. 15, Seite 10)

Zur Einführung (1959-Nr. 16, Seite 11)

Der Stein im Rollen (1959-Nr. 16, Seite 13)

Produktion geht vor (1959-Nr. 17, Seite 3)

Graukopf kennt die Parole (1959-Nr. 18, Seite 13)

Einigkeit macht stark (1959-Nr. 23, Seite 6)

Ein schwerer Fall (1959-Nr. 24, Seite 12)

Ordnung muss sein (1959-Nr. 27, Seite 11)

Soll ein Mann zwei Frauen haben? (1959-Nr. 29, Seite 8)

Elfenreigen (1959-Nr. 30, Seite 11)

Die Marke aus Paraguay (1959-Nr. 33, Seite 15)

Die Bräuche wandeln sich (1959-Nr. 37, Seite 7)

Die vielseitige Lotte (1959-Nr. 39, Seite 5)

Die Hintertür (1959-Nr. 42, Seite 13)

Das Betriebsinteresse (1959-Nr. 44, Seite 12)

MVZ (1959-Nr. 44, Seite 13)

Die Erbengemeinschaft (1959-Nr. 49, Seite 11)

Götterdämmerung (1959-Nr. 50, Seite 15)

Der Gast (1959-Nr. 51, Seite 6)

Die Überraschung (1959-Nr. 51, Seite 14)

Falsch verbunden (1959-Nr. 52, Seite 14)

Die Geheimschrift (1959-Nr. 52, Seite 11)

Schönen Gruß! (1960-Nr. 2, Seite 10)

Der Mann mit der vergifteten Socke (1960-Nr. 4, Seite 15)

Bildungshunger (1960-Nr. 5, Seite 14)

Der Hellseher (1960-Nr. 5, Seite 15)

KLEINE MELDUNG (1960-Nr. 8, Seite 11)

Ein Philosoph (1960-Nr. 11, Seite 14)

Die Moral der Frau Zulski (1960-Nr. 12, Seite 4)

Die Pirnitzer Lage (1960-Nr. 12, Seite 13)

Frühlingserwachen (1960-Nr. 12, Seite 14)

Was ist ein Mungo? (1960-Nr. 14, Seite 10)

Gang zu Lydia (1960-Nr. 15, Seite 10)

Das Ohr an der Masse (1960-Nr. 15, Seite 12)

Die Wiederholung (1960-Nr. 17, Seite 5)

Bruno weiß alles (1960-Nr. 19, Seite 4)

Das Verhör (1960-Nr. 23, Seite 4)

Der Sonderling (1960-Nr. 24, Seite 5)

Mein Bienenfreund (1960-Nr. 24, Seite 9)

Die Übernachtung (1960-Nr. 30, Seite 5)

Sicher ist sicher (1960-Nr. 33, Seite 5)

Die nutzlose Vorsicht (1960-Nr. 33, Seite 7)

Das Fräulein Monika (1960-Nr. 44, Seite 15)

Unternehmen Ellbogen (1960-Nr. 49, Seite 5)

Ein Schräubchen locker (1960-Nr. 52, Seite 5 + 7 + 1961-Nr. 1, Seite 7)

Der Wackelstein (1961-Nr. 1, Seite 8)

Der Zug nach Krülpa (1961-Nr. 3, Seite 7)

Stilbruch (1961-Nr. 4, Seite 7)

Wo ist Barbara? (1961-Nr. 5, Seite 7)

Kabaretteule (1961-Nr. 9, Seite 6)

Ich liebe Ingeborg (1961-Nr. 16, Seite 5)

Güteverfahren (1961-Nr. 21, Seite 7)

Die schlechte Geschichte (1961-Nr. 23, Seite 7)

Majoran (1961-Nr. 24, Seite 5)

Spiel mit Farben (1961-Nr. 26, Seite 5)

Mannequin (1961-Nr. 26, Seite 7)

Schwer im Bilde (1961-Nr. 31, Seite 12)

Stöckels Nachbar (1961-Nr. 32, Seite 11)

Das gewagte Bild (1961-Nr. 32, Seite 14)

Ein Held unserer Zeit (1961-Nr. 37, Seite 15)

Wally sieht alles (1961-Nr. 40, Seite 14)

Spuk im Orchester (1961-Nr. 45, Seite 5)

Der harmlose Brief (1961-Nr. 50, Seite 15)

Wiener Melange (1961-Nr. 51, Seite 13)

Weihnachtskomödie (1961-Nr. 51, Seite 15)

Bekenntnisse (1962-Nr. 1, Seite 14)

Philosophen (1962-Nr. 2, Seite 15)

Das Wichtigste (1962-Nr. 6, Seite 7)

Ein verlorener Abend (1962-Nr. 6, Seite 14)

Heute keine Vorstellung (1962-Nr. 7, Seite 12)

Konzert für Monika (1962-Nr. 7, Seite 15)

Dreiklang (1962-Nr. 17, Seite 15)

Der Blick in die Tiefe (1962-Nr. 20, Seite 7)

Ein komplizierter Fall (1962-Nr. 25, Seite 7)

Gulliver im Riesenland (1962-Nr. 29, Seite 3)

Der Verräter (1963-Nr. 12, Seite 3)

Die Mücke (1963-Nr. 15, Seite 15)

Das Radikalmittel (1963-Nr. 17, Seite 15)

Liebesbriefe (1963-Nr. 18, Seite 14)

Kunst ist Waffe (1963-Nr. 21, Seite 4)

Knettelbeck reist um die Welt (1963-Nr. 21, Seite 13)

Mein Liebesplan (1963-Nr. 25, Seite 15)

Besuch von Schollmeyer (1963-Nr. 30, Seite 10)

Schwanengesang (1963-Nr. 32, Seite 13)

Freie Wahl (1963-Nr. 38, Seite 11)

Immer mit der Ruhe (1964-Nr. 1, Seite 14)

Unglaublich (1964-Nr. 5, Seite 14)

Wenn das Schicksal spricht (1964-Nr. 44, Seite 15)

Wir wandern, wir wandern… (1965-Nr. 13, Seite 5)

Richtlinien zur Hygiene-Einhaltung in Konsum-Verkaufsstellen (1965-Nr. 20, Seite 3)

Der Maßstab (1965-Nr. 22, Seite 7)

Die Sache mit den Kindern (1965-Nr. 24, Seite 2)

Kometenzauber (1965-Nr. 25, Seite 10 – Alles was Recht ist)

Nur für Erwachsene (1965-Nr. 28, Seite 4)

Liebesbriefe aus Minol (1965-Nr. 29, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Der steinerne Gast (1965-Nr. 31, Seite 4 – Alles was Recht ist)

Einmal im Jahr (1965-Nr. 32, Seite 4)

Übrigens (1965-Nr. 33, Seite 3)

Jagd auf Schmidtchen (1965-Nr. 33, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Der radlose Bräutigam (1965-Nr. 35, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Der erste Schritt (1965-Nr. 37, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Der Herr im Hause (1965-Nr. 39, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Stadt der milden Gaben (1965-Nr. 41, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Das Belobigungsgericht (1965-Nr. 43, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Wiener Schnipsel (1965-Nr. 45, Seite 4)

Der traurige Ritter (1965-Nr. 45, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Vorsicht ist besser (1965-Nr. 46, Seite 14)

Der Eiserne Gustav (1965-Nr. 47, Seite 15 – Alles was Recht ist)

Mary in der Schlinge (1966-Nr. 1, Seite 14)

Zahn um Zahn (1966-Nr. 2, Seite 12 – Alles was Recht ist)

Bürger Bartel und die Logik (1966-Nr. 5, Seite 13 – Alles was Recht ist)

Worgitzki hat Erfolg (1966-Nr. 28, Seite 14)

Pralinen (1966-Nr. 30, Seite 12)

Ehrlich währt am längsten (1966-Nr. 33, Seite 12)

Wer ist Wedemeyer? (1966-Nr. 46, Seite 7)

Das Wesentliche (1967-Nr. 15, Seite 5)

Egons Städteschau (1967-Nr. 19, Seite 11)

Der Hemmschuh (1967-Nr. 50, Seite 13)

Start mit Scheibenbremse (1969-Nr. 20, Seite 11)

Ein bescheidener Herr (1969-Nr. 32, Seite 11)

Zeitraffer (1969-Nr. 46, Seite 15)

Ein Job für Salzberger (1969-Nr. 47, Seite 7)

König Publikum (1970-Nr. 6, Seite 15)

Der strenge Morawetz (1970-Nr. 10, Seite 14)

Hubel-Sprünge (1970-Nr. 15, Seite 14)

Barbarisches (1970-Nr. 19, Seite 13)

Das Bauernfrühstück (1970-Nr. 33, Seite 15)

Herschkowitz bereitet vor (1970-Nr. 43, Seite 7)

Der Faschingskönig (1971-Nr. 5, Seite 4)

Die Stimme ihres Herrn (1972-Nr. 2, Seite 4)

Das Unbegreifliche (1972-Nr. 14, Seite 4)

Bestätigung (1972-Nr. 48, Seite 15)

Geduld (1973-Nr. 5, Seite 14)

Der Ausweg (1973-Nr. 15, Seite 7)

FERNSEH-EULE (1974-Nr. 17, Seite 6)

Zwei Welten (1974-Nr. 38, Seite 14)

Ein fideles Haus (1975-Nr. 8, Seite 12)

Selber schuld (1975-Nr. 9, Seite 14)

Silvias Mutter (1975-Nr. 13, Seite 7)

Der Vorhang fällt (1975-Nr. 29, Seite 12)

Jungfernfahrt (1976-Nr. 2, Seite 7)

Kleines Haus am Stadtrand (1976-Nr. 6, Seite 7)

Leben mit Antje (1976-Nr. 21, Seite 7)

Kombiniertes (1976-Nr. 22, Seite 11)

Gespräch über Salzberger (1977-Nr. 18, Seite 7)

Ernst muss sein (1977-Nr. 25, Seite 7)

Land und Leute (1977-Nr. 36, Seite 5)

Versuch es, Steffi (1982-Nr. 41, Seite 14)

Persö(h)nliches Vorwort

Wenn man etwas über das Leben in der DDR erfahren möchte, kann man Geschichtsbücher studieren, bekommt aber nicht ein wirkliches Gefühl für das Miteinander der Menschen und deren Träume und Wünsche. Das findet man aber in diesen vielen kleine Episoden, die das Leben schrieb. Oftmals auch zwischen den Zeilen – eine Lesart der Satiren, die heute leider nicht mehr üblich ist, aber in der DDR jeder Eulenspiegelleser beherrschte und liebte.

Ralph Wiener – bzw. Dr. Felix Ecke, der sich hinter diesem Pseudonym versteckt, feiert am 15. Mai 2019 seinen 95. Geburtstag. Aus diesem Anlass habe ich alle Kurzgeschichten und Gedichte, die mein Vater als freischaffender Schriftsteller beim Eulenspiegel – der Zeitschrift für Humor und Satire - veröffentlichen durfte, digitalisiert und chronologisch zusammengestellt.

Als die erste Geschichte 1957 erschien, war ich gerade geboren. Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger Jahre entstanden die meisten seiner Werke. Mein Vater stand mit dem damaligen Redakteur Hansgeorg Stengel in einem sehr herzlichen Verhältnis. Der Briefverkehr zwischen beiden hatte den gleichen Stil wie ihre literarischen Beiträge. Die Art der späteren Redakteurin Renate Holland-Moritz war dagegen eher kühl wie ihre Filmkritiken. Ab Ende der Sechziger kam es nur noch zu einzelnen Veröffentlichungen bis zur letzten Geschichte im Jahre 1982.

In den Siebziger und Achtziger Jahren verlagerte mein Vater den Schwerpunkt seiner schöpferischen Tätigkeit zunehmend vom Schreiben auf das Vortragen seiner Geschichten. Als ehemaligem Theaterdirektor lag ihm das Ein-Mann-Kabarett im Blut und lange Tourneen führten ihn durch fast alle Bibliotheken und FDGB-Heime der Republik. Oftmals profitierte ich als Kind auch davon und lernte alle Urlaubsorte zwischen Ostsee und Erzgebirge kennen, in denen er seine Programme wie "90 Minuten Frohkost" oder "Mit den Scherzen dabei" zum Besten gab.

Viele dieser Satiren sind auch in Büchern erschienen: "Gehört sich das?" (1972), "Kein Wort über Himbeeren" (1979) oder "Die vier Jahrespleiten" (1999). Den Geschichten, die nicht im Eulenspiegel, sondern in anderen Zeitungen oder Büchern abgedruckt wurden, wird sich demnächst ein zweiter Teil von "Wiener's G'schichten" widmen.

Dirk Ecke

Nachts ging das Telefon (1957-Nr. 38, Seite 597)

Es war spätabends. Ich wollte mich gerade zu Bett legen, als sich in mir der Wunsch regte, schnell noch einmal Karin anzurufen und ihr eine gute Nacht zu wünschen. Gedacht, getan! Karin meldete sich. „Wer ist dort?“ fragte ihre unschuldig klingende Stimme. „Rate mal!“, scherzte ich. Ach, ich hätte nicht scherzen sollen; denn jetzt sprach Karin ein Wort aus, welches mich für den Augenblick stutzig werden ließ. „Klaus?“ fragte sie zärtlich.

Ich war zutiefst erschüttert, fasste mich aber schnell und antwortete leise, gleichsam ihre Frage bestätigend: „Hm!“ „Ach, Klaus, dass du mich endlich einmal anrufst“, kam es freudig durch die Membrane, „ich habe ja so auf ein Zeichen von dir gewartet. Wie lange hatte ich nichts von dir gehört: zwei ganze Tage! Hast du nicht etwas Zeit, auf ein Stündchen zu. mir zu kommen?“ „Ich komme!“ sagte ich und hatte Mühe, meine Eifersucht gegen diesen Klaus nicht merken zu lassen.

Karin machte ein seltsames Gesicht, als ich unter Berufung auf unser Telefongespräch bei ihr eintraf. „Wer ist Klaus?“ fragte ich in lakonischer Kürze. Sie schien jedes Leugnen für zwecklos zu halten, und ich musste erfahren, dass einer meiner Freunde seine Hand im Spiele hatte. „Er hat gesagt, dass er mich wirklich liebt“, beichtete Karin offenherzig. Ich musste lachen. „Der? An jedem Finger hat er mindestens zehn Frauen!“ „Ralph, sprich nicht so von deinem Freund!“ „Es stimmt doch aber!“ „Das glaube ich nicht!“

Ich ging zum Telefon. „Bitte, ruf ihn an!“ Karin wählte. Es meldete sich Klaus. „Wer ist dort?“ fragte er. Ich stieß Karin an. „Rate mal!“ sagte sie, meinen heimlichen Stoß verstehend. „Lilo?“ kam es zitternd durch den Hörer. „Hm!“ machte Karin. „Ach, Lilo, ich habe den ganzen Tag an dich gedacht. Morgen komme ich bestimmt...“ Karin hatte genug gehört und ließ ernüchtert den Hörer fallen. „Na, was habe ich gesagt?“ verkündete ich stolz, im Stillen die Erfindung des Fernsprechers segnend. „Du bist doch der Beste!“ hauchte Karin, indem sie ihre Arme um meinen Hals schlang.

Als ich wieder zu Hause war, klingelte das Telefon. „Hier Wiener“, sagte ich, „wer ist dort?“ „Rate mal!“ kam es schelmisch durch die Muschel. Ich musste schmunzeln. „Ach, Karin, das ist wirklich lieb von dir, dass du mich noch mal anrufst! Ich dachte, du schläfst schon. Noch immer spüre ich den Kuss, den du mir vor zwanzig Minuten zum Abschied gabst...“ „Du Schuft!“ dröhnte es vom anderen Ende, und gleich darauf knackte es im Apparat Es war Sigrid.

Anschließend Film (1958-Nr. 4, Seite 62)

Es gibt Menschen, welche die beneidenswerte Fähigkeit besitzen, sich allwöchentlich die Litfaßsäulen von oben nach unten, von links nach rechts, kreuz und quer, vor- und rückwärts, im Laufschritt und im Schlendrian, kurz: nach allen erdenklichen Litfaßmethoden anzusehen.

Auch ich pilgere gern zu jenen bunten Neuigkeitsanzeigern, nur verfahre ich hierbei nach einem eigenen System: Ich suche mir irgendein bestimmtes Plakat heraus, über das ich dann nachdenke. Was aber will man tun, wenn man folgenden Plakatanschlag der 'Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse' liest:

„Heute Abend findet um 20 Uhr im Klubhaus der Gewerkschaften ein Vortrag statt. Es spricht Herr Malermeister Pinsel über das Thema 'Freudige Farben - fröhliches Heim'. Anschießend läuft der Film 'Weiße Korridore'. Eintritt frei!“

Darunter hatte die 'Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse' noch ein anderes Plakat anbringen lassen. Dieses hatte folgenden Wortlaut:

„Morgen Abend findet um 20 Uhr im Klubhaus der Gewerkschaften ein Vortrag statt. Es spricht Frau Kreisrichterin Theuerkauf über das Thema 'Rechte des Käufers und des Verkäufers'. Anschließend läuft der Film 'Die sich verkaufen'. Eintritt frei!“

Ich war zwar schon an vieles gewöhnt, aber hier platzte mir der Kragen! Ohne langes Besinnen lief ich zum Sekretariat der 'Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse' (ich kann nichts dafür, dass der Name dieser Gesellschaft so lang ist - vielleicht erkundigt man sich beim Kulturbund darüber, wie man den Namen verkürzen kann) und gelangte nach langem Hin und Her bei der Anmeldung in das Büro.

„Sind Sie der Sekretär der 'Gesellschaft'?“ fragte ich einen jungen Mann in mittleren Jahren. „Sie meinen die 'Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse'?“ verbesserte er mich. „Allerdings, die meine ich. Mein Name ist Wiener.“ „Kümmel!“ erwiderte er. Ich wollte schon dankend ablehnen, da ich Antialkoholiker bin, doch da begriff ich, dass sich der Sekretär nur vorgestellt hatte, und verbeugte mich: „Angenehm!“ „Bitte, nehmen Sie Platz!“ sagte Herr Kümmel, „was haben Sie denn auf dem Herzen?“

Ich fragte ihn, was seiner Meinung nach ein Malermeister mit Ärzten und das Kaufrecht mit Prostituierten zu tun habe. Er sah mich erstaunt an, dann erklärte ich ihm den Inhalt der beiden Filme. „Ach so'', unterbrach er mich, „Sie meinen unsere Vortragsabende! Also wissen Sie: Ehrlich gesagt, wir sehen uns die Filme vorher natürlich nicht erst an.

Wir gehen allein nach dem Titel. Passt der Titel zum Vortragsthema, ist die Sache in Ordnung. Was meinen Sie, wie schwer es oft ist, einen passenden Filmtitel zu finden! Neulich hatten wir einen Vortrag über Elektrotechnik - da haben wir gespielt 'Unter tausend Laternen'.

Dann stand ein Vortrag an über moderne Kosmetik - da spielten wir die 'Hexen von Salem'. Vorigen Mittwoch veranstalteten wir einen Vortrag über unsere Viehaufzucht - da ging der 'Ochse von Kulm' über die Leinwand. Nächste Woche soll ein Vortrag über die Frauen um Liszt stattfinden - da spielen wir einfach den Film 'Frauenlist'!“

„Mein lieber Herr Kümmel“, unterbrach ich das fürchterliche Register. „Wenn Ihre 'Gesellschaft' Wert darauf legt“.“ Er fuhr mich energisch an: „Sie meinen die 'Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse'!“ „Also gut“, beruhigte ich ihn, „ich wollte Ihnen nur raten, mit der Auswahl Ihrer Filme etwas wählerischer zu sein.“

Doch da hatte ich anscheinend seine empfindlichste Stelle getroffen. „Warum kommen Sie da ausgerechnet zu uns?“ fragte er und zog einen ganzen Stapel von Plakaten aus einem Regal. „Bitte, hier sind Vortragsankündigungen des DFD!“ Ich warf einen Blick auf das erste Plakat:

„Am kommenden Dienstag spricht Herr Küchenmeister Nieswurz von der HO-Gaststätte 'Magentrost' über das Thema 'Wie kocht die werktätige Frau?'. Anschließend läuft der Film 'Salz der Erde'. Eintritt frei!“

Das zweite Plakat sah folgendermaßen aus:

„Heute Abend spricht Herr Architekt Grundfest über das Thema 'Moderner Baustil'. Anschließend läuft der Film 'Das unheimliche Haus'. Eintritt frei!“

Ich war sprachlos. Aber jetzt war es Herr Kümmel, welcher mich zu beruhigen versuchte. „Das ist noch gar nichts'', sagte er, „sehen Sie sich mal dieses Plakat an!'' Er legte mir ein Plakat des Kulturbundes vor, das folgenden Wortlaut hatte:

„Mittwochabend, 20 Uhr, spricht in der Aula der Oberschule Herr Kammerjäger Mottentod über das Thema 'Die Ungezieferbekämpfung im Dienste der Gesundheit'. Anschließend läuft der Film 'Keine Angst vor großen Tieren!' Eintritt frei!“

„Herr Kümmel!'' sagte ich seufzend, „legen Sie die Plakate weg!“ Aber da schwenkte er schon wieder eins in der Hand. „Ein Vortrag über Verkehrsunfälle!“ rief er triumphierend, „anschließend Film: 'Miss Catastrophe'!“ „Machen Sie Schluss!“ flehte ich, als er mir schon wieder ein neues unter die Nase hielt: „Die Vögel unserer Heimat - anschließend Film: 'Star mit fremden Federn'!“ Ein Plakat nach dem andern ließ der eifrige Sekretär vor meinen Blicken passieren.

Bevor ich in einer weiteren Sintflut von Plakaten zu ertrinken drohte, raffte ich mich mit letzter Kraft zu der Frage auf: „Muss denn wirklich im Anschluss an jeden Vortrag ein Film gezeigt werden?'' Herr Kümmel betrachtete mich wie ein Weltwunder. „Sagen Sie mal, kommen Sie vom Mond? Der Film ist doch die Hauptsache!“ „Ich dachte, die Hauptsache sei der Vortrag“, stammelte ich.

„Haben Sie sonst noch einen Wunsch?' fragte der Sekretär. „Ich möchte auch einen Vortrag anmelden“, sagte ich nach kurzer Überlegung, „das Thema lautet: 'Die Notwendigkeit filmloser Vorträge'. Referent: Ralph Wiener.“ „Ausgezeichnet“ rief Herr Kümmel, „da hätte ich einen wunderbaren Film: 'Wiener G'schichten'!“

Faschingsgeschichten (1958-Nr. 7, Seite 101)

Mit solchen Geschichten sollte man sich am besten gar nicht abgeben. „Herr Wiener“, sagte der Redakteur, „es ist völlig zwecklos, eine Faschingsgeschichte zu schreiben; denn etwas Neues kommt doch nicht dabei heraus.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte ich tiefgekränkt in meiner Heiteren-Kurzgeschichten-Autoren-Würde. „Weil es nur drei Varianten gibt“, sagte der Redakteur. „Nur drei Varianten?“ fragte ich zweifelnd. „Natürlich“, sagte der Redakteur. Dann klärte er mich auf: „Also es bleiben im Grunde nur folgende Möglichkeiten offen:

Schema 1: Herr X tanzt mit einer maskierten Dame. Sie freunden sich an, trinken Sekt, küssen sich - dann fällt die Maske: Es ist seine Frau!

Schema 2: Herr X tanzt mit einer maskierten Dame. Sie freunden sich an, trinken Sekt, küssen sich - dann fällt die Maske: Es ist nicht seine Frau!

Schema 3: Herr X tanzt mit einer maskierten Dame. Sie freunden sich an, trinken Sekt, küssen sich - aber - bevor die Maske fällt, ist sie verschwunden. Es war nämlich seine Frau!

Das sind die drei Varianten. Sie sind zum Teil unmöglich; denn eine anständige Ehefrau geht überhaupt nicht allein zum Faschingsball! Haben Sie etwas Anderes zu bieten?“ „Ja!“ rief ich freudig, und meine Augen strahlten. Dann las ich ihm das von mir in mühevoller Kleinarbeit erstellte Schema 4 vor:

„Herr Schwammberger war als Pierrot auf den Faschingsball gegangen. Zum Pierrot gehört eine Colombine. Er fand sie. Beide freundeten sich an, tranken Sekt, küssten sich - dann fielen die Masken: Es war - seine Tochter!“

„Ich kann da nicht lachen“, sagte der Redakteur. „Das sollen Sie auch nicht“, belehrte ich ihn, „diese Geschichte ist zum Nachdenken. Stellen Sie sich das weitere vor: Herr Schwammberger hat vor seiner Tochter allen Respekt verloren. Bei jeder aufkommenden Meinungsverschiedenheit zwischen ihr und ihm muss er befürchten, dass sie aus der Schule plaudert. Und dann - na, er kannte seine Alte. Das Ganze wäre eine Art moralische Komödie.“

„Mein lieber Herr Wiener“, sagte der Redakteur. Weiter brauchte er nichts zu sagen; denn bei der Anrede wusste ich, dass mein unvergleichlicher Einfall abgelehnt worden war. Entrüstet verließ ich die Redaktion und begab mich am Abend studienhalber zum Faschingsball. Wollen doch mal sehen, wie die Realität aussieht!

Ich erschien als Trapper. Es dauerte nicht lange, da hatte eine anmutige Nixe von meinem Herzen Besitz ergriffen. Wir freundeten uns an, tranken Sekt und küssten uns. Sie war unvergleichlich nett. Meine ganze Hoffnung war, dass sie nicht zu den Verheirateten zählen möchte.

Wie hatte doch der Redakteur gesagt: „Eine anständige Ehefrau geht überhaupt nicht allein zum Faschingsball!“ Das stimmte mich optimistisch. Dann kam der große Augenblick: Die Masken fielen. Auch meine Nixe enthüllte ihr Antlitz. Es war die Frau des Redakteurs.

Klavier zu verkaufen (1958-Nr. 11, Seite 164)

Obwohl die Zeitung täglich sechsunddreißig Inserate veröffentlicht, in denen gebrauchte Klaviere angeboten werden, und mit dem schärfsten Mikroskop kein einziges Kaufgesuch bezüglich eines solchen Instrumentes zu erblicken ist, entschloss ich mich, mein Klavier zu verkaufen.

Ich ließ also einen erfahrenen Musikalienhändler zum Taxen kommen. Herr Prüfling (er hieß wirklich so) erschien und begann zu prüfen. Nachdem er einen flüchtigen, mitleidigen Blick auf mein erstklassiges Fabrikat geworfen hatte, hob er den Deckel, blies hinein, schlug einige Akkorde an und stand auf: „Taxwert dreihundertfünfzig Mark!“

Ich erbleichte. „Dachten Sie mehr?“ fragte er mich. „Ich hatte mit achthundert...“ Herr Prüfling lachte laut auf. „Jetzt will ich Ihnen mal was sagen! Wir haben heute eine Klavierschwemme. In jedem Hause ist mindestens ein Klavier überzählig. Früher hat man Klaviere angeschafft, heute gibt es Radios, Magnettongeräte, Musiktruhen, Fernsehapparate, und außerdem braucht man Platz in der Wohnung.

Wer kauft da schon Klaviere?“ „Aber das ist. doch ein Markenklavier“, sagte ich. „Es hat seinerzeit eintausendzweihundert Mark gekostet!“ Herr Prüfling blieb unerschüttert.

„Und wenn es dreitausend gekostet hat! Dreihundertfünfzig, nicht mehr!“

„Also gut“, sagte ich resignierend, „dann nehmen Sie es!“ „Ich?“ fragte erschrocken Herr Prüfling, „bei mir stehen achtundzwanzig gebrauchte Klaviere. Sie müssen schon inserieren, und jetzt bekomme ich fünfunddreißig Mark für das Taxen.“ Mit einem Seufzer zahlte ich, und dann war Herr Prüfling verschwunden.

Am nächsten Tag gab ich das Inserat auf: „Klavier, gut erhalten, für 350,- DM zu verkaufen.“ Das Inserat kostete sechs Mark siebzig. Außer mir annoncierten noch fünfunddreißig Leute, die ebenfalls ihr guterhaltenes Klavier verkaufen wollten.

Drei Tage vergingen, ohne dass sich ein Interessent meldete. Am vierten Tag erschien ein Herr, grauhaarig, Mitte Fünfzig. „Es handelt sich um Ihr Klavier“, sagte er. Ich strahlte und wollte ihn ins Zimmer führen. „Danke, ich brauche es nicht zu sehen“, winkte er ab, „Sie wollen Ihr Klavier loswerden, nicht wahr?“ „Ja, natürlich.“ „Sie brauchen Platz im Zimmer?“ „So ist es.“ „Das Klavier steht Ihnen nutzlos im Wege?“ „Das stimmt.“ Ich nehme es Ihnen ab. Was zahlen Sie?“ Ich war sprachlos. „Was erlauben Sie sich?“ brachte ich schließlich heraus, „dann könnte ich es auch irgendeinem Freunde schenken!“ Der Herr lächelte.

„Meinen Sie, dass heute jemand ein Klavier nimmt?“ „Dann stelle ich es auf die Straße!“ „Das wäre polizeiwidrig und wird bestraft.“ „Und wenn ich es auf einen Schuttabladeplatz bringen lasse?“ „Transportkosten mindestens hundert Mark.“ Mir schwamm es vor den Augen. „Geben Sie mir fünfzig“, sagte der Herr, „dann hole ich es noch heute ab.“ Ich begann zu rechnen. „Gut“, seufzte ich schließlich und zog meine Brieftasche.

Eine Woche später führte mich mein Weg an der Musikalienhandlung des Herrn Prüfling vorbei. Ich blickte durch das Schaufenster und traute meinen Augen nicht: Dort stand - mein Klavier! „Herr Prüfling“, sagte ich, nachdem ich das Geschäft betreten hatte, „das ist doch mein Klavier!“ „Richtig“, erwiderte Herr Prüfling, „das hat mir der Herr vorige Woche auch gesagt, dass er es von Ihnen hat. Und denken Sie, er hat es mir für zweihundert Mark überlassen...!“

Die Maiswerbewoche (1958-Nr. 15, Seite 237)

Montag: Der Rat des Kreises hat alle Hände voll zu tun: Die angesetzte Maiswerbewoche steht im Zeichen des verstärkten und konsequenten Maisanbaues. Der Leiter der Abteilung Landwirtschaft beim Rat des Kreises, Kollege Feldmann, wird mit der planmäßigen Durchführung aller mit dem Maisanbau zusammenhängenden Fragen beauftragt. Vorerst aber arbeitet er den ganzen Tag an einem Referat, das er am Abend im Kulturhaus zu halten hat. Thema: DIE DEPRESSIONSERSCHEINUNGEN IN DEN USA.

Dienstag: Vom Rat des Bezirkes wird eine Statistik über die Vorbereitungen des Maisanbaues angefordert. Kollege Feldmann wird für die Richtigkeit persönlich verantwortlich gemacht. Kollege Feldmann aber arbeitet heute an einem Referat, das für abends, 20.00 Uhr, in der HO-Gaststätte 'Weltfrieden' angesetzt ist. Thema: WAS GEHT IN TUNESIEN VOR?

Mittwoch: Fernschreiben vom Ministerium: „Die Leiter der Abteilung Landwirtschaft der Kreise haben sich unverzüglich in die einzelnen Gemeinden ihres Kreisgebietes zu begeben, wo sie mit den örtlichen Organen die Probleme des Maisanbaues besprechen und klären sollen.“ Kollege Feldmann aber arbeitet am Entwurf eines Referats, das am Abend im Klubhaus der Jugend steigt. Thema: DIE LANDWIRTSCHAFTSKRISE IN DER BUNDESREPUBLIK.

Donnerstag: Der Instrukteur für Maisanbau, Kollege Redlich, wird beim Leiter der Abteilung Landwirtschaft vorstellig und bittet um Unterstützung. Kollege Feldmann lässt ihm sagen, er sei beschäftigt. Er arbeitet an einem Referat, das er am Abend beim DFD zu halten hat. Thema: DIE STELLUNG DER FRAU IN DER LAND WIRTSCHAFT DER UdSSR.

Freitag: Aus der Bezirkshauptstadt ist eine Kommission zur Überprüfung der Maisanbau-Entwicklung erschienen. Der Leiter der Abteilung Landwirtschaft soll sie in das Kreisgebiet führen und über die Vorbereitungen des Maisanbaus berichten. Kollege Feldmann lässt sich entschuldigen, er sei krank, denn er arbeitet an einem Referat, das für den Abend von der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse in der Konsum-Gaststätte 'Einheit' angesetzt ist. Thema: IST AUF DEM MOND VEGETATION MÖGLICH?

Sonnabend: In einer Sondersitzung des Kreistages wird den Anwesenden von Vertretern des Ministeriums die Arbeitsweise des Leiters der Abteilung Landwirtschaft gerügt. Er habe es nicht verstanden, die Probleme des Maisanbaues zu meistern, indem er die Bedeutung des Maisanbaues in keiner Weise erkannt und seine diesbezüglichen Verpflichtungen völlig vernachlässigt habe. Kollege Feldmann bereut aufrichtig und verspricht Besserung. Am gleichen Abend hält er im Volkshaus das am Vormittag ausgearbeitete Referat. Thema: ÜBER DIE BEDEUTUNG DES 1. MAIS!

PERSONALIEN (1958-Nr. 15, Seite 237)

Der reichlich dreißigjährige Satiriker-Komet aus Eisleben gehört einem Rechtsanwaltskollegium an, das ihm genügend Anregungen und offenbar auch ausreichend Zeit zum Schreiben von Eulenspiegeleien zur Verfügung stellt. Durch Wiener ist der Beweis erbracht, dass Jura keine trockene, sondern eine dem Humor und der Satire höchst förderliche Wissenschaft ist. Die schriftstellerische Tagesproduktion des Eisleber Juristen ist enorm, und wenn dabei ab und zu Qualitäten vom Rang der Satire 'Anschließend Film' (Eulenspiegel Nr. 4/1958) zutage gefördert werden, dürfen Wiener, Eulenspiegel und alle Leser sowie auch Anwälte zufrieden sein!

Der Beschwerdeweg (1958-Nr. 17, Seite 263)

Verfolgt und aufgezeichnet von Ralph Wiener

I.

Herrn

Willibald Kummer

Rebnitz

Betr.: Müllabfuhr

Bezug: Ihre Beschwerde vom 12. März 1957

In obiger Sache wird Ihre Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Würde der Rat der Gemeinde Rebnitz Ihr abseits liegendes Gehöft in die Müllabfuhr einbeziehen, so wäre dies für die Gemeindekasse eine unverhältnismäßig hohe Belastung. Es obliegt Ihnen als Grundstückseigentümer, für eine ordnungsgemäße Abfuhr Ihres Mülls zu sorgen.

Der Rat des Kreises

gez. Müller, Abteilungsleiter

II.

Herrn

Willibald Kummer

Rebnitz

Betr.: Müllabfuhr

Bezug: Ihre Beschwerde vom 20. Juni 1957

Es wird Ihnen mitgeteilt, dass diesseits die vom Rat des Kreises ergangene Entscheidung als rechtmäßig angesehen wird. Zwar pflichten wir Ihnen bei, wenn Sie sagen, dass die Müllabfuhr ein Brennpunkt unseres sozialistischen Aufbaus ist, andererseits nimmt Ihr Gehöft in dieser Beziehung eine derartige Sonderstellung ein, welche eine diesbezügliche Verpflichtung des Rates der Gemeinde Rebnitz ausschließt.

Der Rat des Bezirkes

gez. Müll, Referatsleiter

III.

Herrn

Willibald Kummer

Rebnitz

Betr.: Müllabfuhr

Bezug: Ihre Beschwerde vom 18. Oktober 1957

Ihre obige Beschwerde ist zuständigkeitshalber an das Ministerium für Gesundheitswesen weitergeleitet worden.

Ministerium für Verkehrswesen

gez. Müllmann, Hauptabteilungsleiter

IV.

Herrn

Willibald Kummer

Rebnitz

Betr.: Müllabfuhr

Bezug: Ihre Beschwerde vom 4. Januar 1958

Wie aus den uns vom Ministerium für Gesundheitswesen überlassenen Unterlagen hervorgeht, ist bei Ihnen durch die

bisherige Regelung der Müllabfuhr kein direkter Notstand eingetreten. Die Entscheidungen der von Ihnen angegangenen Stellen sind somit gerechtfertigt

Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik

- Ausschuss für Eingaben der Bürger -

gez. Mühl

V.

Herrn

Willibald Kummer

Rebnitz

Betr.: Müllabfuhr

Bezug: Ihre Beschwerde vom 11. März 1958

In Ihrer Angelegenheit habe ich vom Rat der Gemeinde Rebnitz einen Bericht angefordert. Sie erhalten nach Eingang des Berichtes Nachricht.

Der Präsident der

Deutschen Demokratischen Republik

i. A. gez. Fuhr, Hauptsachbearbeiter

VI.

Herrn

Willibald Kummer

Rebnitz

Betr.: Müllabfuhr

Bezug: Schreiben des Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik

... und teilen wir Ihnen mit, dass wir selbstverständlich Ihr Grundstück in die Müllabfuhr einbeziehen, was wir übrigens auch getan haben würden, wenn Sie sich gleich an uns gewandt hätten.

Der Rat der Gemeinde Rebnitz

gez. Aschmann, Bürgermeister

Der Elektroherd (1958-Nr. 17, Seite 263)

Jemand hatte auf dem Güterbahnhof beobachtet, wie ein Elektroherd abgeladen wurde. Dann eilte er in das HO-Spezialgeschäft. „Er ist da!“ rief er, noch halb in der Tür. „Wer?“ fragte die Verkäuferin. „Der Elektroherd!“ rief er aus. Die Verkäuferin wurde blass. „Ich warte gleich hier, bis er ankommt“, fügte er hinzu.

Die Verkäuferin bekam wieder Farbe. „Unmöglich“, stotterte sie. „Wieso?“ „Ich habe dreiundfünfzig Vormerkungen. Im vorigen Jahr ist ein einziger Herd gekommen. Dieses Jahr sollen es vielleicht sogar zwei werden.“ „Was gehen mich Ihre Vormerkungen an?“ schnaubte er aufgeregt. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst!“

Inzwischen hatte sich der Laden mit Kundschaft gefüllt. Die „Vorgemerkten“ drangen auf ihr Recht, die „Nichtvorgemerkten“ auf Gerechtigkeit. „Da könnte jeder kommen und sich vormerken lassen. Wo gibt’s denn so was?“ Nach einer Stunde fuhr der LKW der HO vor. Mit Argusaugen verfolgte die Menge alle Bewegungen der Ablader. Werkzeugkisten, Spülbecken, Wechselschlösser - alles wurde im Laden verfrachtet, nur kein Elektroherd: „Wo ist der Elektroherd?“ rief im Sprechchor die Menge.

„Ich verstehe immer Elektroherd“, sagte der Fahrer. „Keiner dabei!“ „Schiebung!“ kam es aus siebenundachtzig Kehlen. Dann stürmten sie die Geschäftsleitung. „Ich verstehe nicht, warum Sie sich so aufregen“, meinte beruhigend der HO-Geschäftsleiter, „wir haben keinen Elektroherd erhalten.“ „Eine Unverschämtheit!“ riefen einige Hausfrauen. „Seit Jahren warten wir auf einen Elektroherd, und ist dann wirklich mal einer da, dann...“ „Wieso ist einer da?“ fragte der Geschäftsleiter.

Jemand orakelte: „Weil ich gesehen habe, wie er auf dem Güterbahnhof abgeladen wurde.“ Der Geschäftsleiter, dessen Frau ebenfalls schon jahrelang auf einen Elektroherd wartete, griff zum Telefon und sprach mit der Güterdirektion. Dann wandte er sich an die Kunden: „Ein bedauerlicher Irrtum, meine Herrschaften, der Elektroherd war für das Konsum-Kaufhaus bestimmt...“

Doch hier war von einem Elektroherd nichts mehr zu sehen: Ein zufällig vorbeikommender Werktätiger hatte ihn auf Anhieb und völlig kampflos erstanden.

Kreislaufstörung (1958-Nr. 19, Seite 301)

Beim Rat des Kreises laufen viele Sachen an Wie lange sie dann laufen, ist schwer im Voraus zu sagen. Einige wenige laufen sehr lange. Die meisten laufen länger. Ich wollte mir einen Hühnerstall bauen. Nun ist zwar nicht gleich ersichtlich, was der Bau eines Hühnerstalls mit dem Rat des Kreises zu tun hat - aber das macht nichts. Es wird sich später klären, wenn ich erwähne, dass der Bau eines Hühnerstalls von der Abteilung Aufbau beim Rat des Kreises genehmigt werden muss. Vorläufig tut es nichts zur Sache.

Ich ging also zur Abteilung Aufbau in der Schillerstraße 17. „Guten Tag“ „Sie wünschen?“ fragte eine mir gänzlich unbekannte Dame. „Verzeihung“, sagte ich „aber ich war vorige Woche schon einmal hier, da habe ich mit Kollegin Sommer ausführlich gesprochen.“ „Kollegin Sommer arbeitet jetzt in der Kulturabteilung.“, erwiderte die Dame „Seit Montag bin ich hier; ich war nämlich bis jetzt in der Abteilung Landwirtschaft. Worum handelt es sich?“ Mit überzeugenden Worten legte ich der neuen Kollegin meinen Plan zur Errichtung eines Hühnerstalls dar. „Da sprechen Sie am besten mit dem Abteilungsleiter“, sagte die Dame schließlich. „Freitagvormittag ist Sprechzeit.“ Am Freitag hing ein Schild an der Tür:

DIE ABTEILUNG AUFBAU BEFINDET SICH

JETZT IN DER RATHENAUSTRASSE 32.

Ich ging in die Rathenaustraße. Die mir nicht mehr gänzlich unbekannte Dame war nicht zu sehen. Stattdessen eine andere. „Verzeihung“, sagte ich, „vor drei Tagen habe ich in dieser Abteilung mit einer Dame gesprochen...“ „Ach, Sie meinen Kollegin Friemann“, unterbrach mich die gänzlich Unbekannte. „Sie ist jetzt in der Abteilung Finanzen, ich bin aus der Abteilung Handel und Versorgung nach hier versetzt worden.“ „Es handelt sich weder um Finanzen noch um Versorgung“, sagte ich, „sondern um die Genehmigung zum Bau eines Hühnerstalls. Deshalb möchte ich den Abteilungsleiter sprechen.“

„Haben Sie schon eine Zeichnung eingereicht?“ fragte die Kollegin, die meine Frage nach dem Abteilungsleiter offensichtlich überhört hatte. „Nein“, antwortete ich. „Die müssen Sie auf jeden Fall erst bringen“, belehrte sie mich und fügte hinzu: „Am besten, Sie kommen am Mittwochnachmittag wieder.“ Am Mittwoch hing ein Schild an der Tür:

DIE ABTEILUNG AUFBAU BEFINDET SICH

JETZT AM KARL-MARX-PLATZ 29.

Ich ging zum Karl-Marx-Platz, wo mich zur Abwechslung diesmal ein junger Mann begrüßte. „Freundschaft!“ rief er mir entgegen und stellte sich vor: „Schulze, bisher Abteilung Jugendhilfe und Heimerziehung.“ „Ich möchte einen Hühnerstall bauen“, seufzte ich, „und die vorige Kollegin...“ „Sie meinen Kollegin Sauerbier“, unterbrach mich der junge Mann. „Sie arbeitet jetzt in der Abteilung Planung. Was hat sie Ihnen gesagt?“ „Ich sollte eine Zeichnung einreichen“, erwiderte ich und legte dieselbe vor. „Wird geprüft!“ versicherte der junge Mann, indem er mich für Montag bestellte. Am Montag hing ein Schild an der Tür:

DIE ABTEILUNG AUFBAU BEFINDET SICH

JETZT IN DER SCHILLERSTRASSE 17.

'Donnerwetter!' dachte ich und betrat am Montag die mir bereits bekannten Räume. Mein Herz machte einen Freudensprung, denn vor mir saß - Kollegin Sommer! „Liebe Kollegin“, jauchzte ich, „ich bin ja so froh, endlich wieder Sie hier zu finden. Wir hatten doch ausführlich den Bau meines Hühnerstalls besprochen. Darf ich nunmehr um die Genehmigung bitten?“

Die Kollegin Sommer warf mir einen kühlen Blick zu: „Mein Herr, ich bin jetzt Sachbearbeiterin in der Abteilung Gesundheitswesen. Die Abteilung Aufbau ist umgezogen.“ „Da lachen ja die Hühner!“ rief ich und erschrak im selben Augenblick, denn etwas Furchtbares war mir eingefallen. Ich lief nach Hause und sah die Bescherung: Meine zwölf Legehühner, die ich bis dahin im Schlafzimmer einquartiert hatte, waren in die Badewanne verfrachtet worden, und an der Schlafzimmertür hing ein Schild, auf welches meine Frau geschrieben hatte:

ICH BEFINDE MICH AB HEUTE BEI MEINER MUTTER!

Wachsmann als Erzieher (1958-Nr. 21, Seite 326)

„Und das ist mein Sohn Klaus-Dieter“, sagte Leopold Wachsmann, als ich ihn vor vier Jahren besuchte. Ein zehnjähriger blondgelockter Knabe hüpfte herbei. Mit einem zartbetonten „Guten Tag!“ begrüßte er mich und machte dabei eine unerhört tiefe Verbeugung. „Alte Schule“, konstatierte ich im geheimen. Wachsmann schien meinen Gedanken erraten zu haben.

„Erziehung ist alles!“ meinte er und wandte sich an seinen Sohn: „Wie heißt der größte deutsche Philosoph?“ „Nietzsche“, hauchte Klaus-Dieter. „Was ist im Leben das Wichtigste?“ „Gutes Latein.“ „Was verdirbt den Charakter?“ „Politik.“ „Recht so“, lobte Wachsmann, „nun geh auf dein Zimmer!“ Der blondgelockte Knabe machte wieder eine Verbeugung und schwebte hinaus.

„Also, Wachsmann“, sagte ich, nachdem sich Klaus-Dieter entfernt hatte, „mir bleibt die Spucke weg! Du erziehst ja den armen Jungen zu einem reaktionären Einzelgänger.“ „Jetzt fang auch du damit an!“ fuhr er auf, „mir genügt es, wenn mich dauernd der Elternbeirat anpöbelt. Hat denn der Vater überhaupt nichts mehr zu bestimmen?“

„Ich glaubte gar nicht, dass es noch solche Väter wie dich gibt, erwiderte ich. „Bitte, werde nicht beleidigend!“ entgegnete Wachsmann, „ich erziehe meinen Sohn nach meiner Überzeugung. Und da hat sich der Staat nicht einzumischen! Das wäre ja noch schöner, wenn Klaus-Dieter vielleicht sogar zu den Jungen Pionieren...“

Wie gesagt: Das war vor vier Jahren. Gestern kam ich wieder mal zu Wachsmann. Kaum hatte ich geläutet, kam ein munterer vierzehnjähriger Junge mit blauem Halstuch die Treppe heruntergesprungen. „Freundschaft“ rief er mir zu und drückte mit männlicher Festigkeit meine Hand. „Nanu, Klaus-Dieter?“ fragte ich verwundert“ du hast dich aber verändert. Wie geht es dir denn?“ „Immer bereit!“ erwiderte er.

Da erschien Wachsmann. „Na, was sagst du zu meinem Sohn?“ fragte er stolz und wandte sich an diesen: „Wie heißt der größte deutsche Philosoph?“ „Karl Marx“, antwortete Klaus-Dieter. „Was ist im Leben das Wichtigste?“ „Der Kampf für den Frieden.“ „Was verdirbt den Charakter?“ „Unpolitischer Individualismus.“ Ich verging vor Bewunderung.

„Menschenskind“, sagte ich zu Wachsmann, als sich Klaus-Dieter entfernt hatte, um an der Vorbereitung zur Jugendweihe teilzunehmen, „du hast ja deine Erziehungsgrundsätze vollkommen über den Haufen geworfen.“ „Was heißt Grundsätze?' entgegnete er. „Der Junge soll im Herbst auf die Oberschule!“

Resi (1958-Nr. 22, Seite 349)

Gern fahre ich nicht nach Pottelsdorf, denn die dortige Unsitte, dass Bauern - einer alten Tradition getreu - ihre Lieblingskuh nach der ältesten Tochter benennen, hat schon manches Missverständnis heraufbeschworen.

Bei meinem letzten Besuch begegnete ich dem alten Kraußkopf. „Wie geht’s?“ fragte ich nach kurzer Begrüßung. „Viel Sorgen“, seufzte er, „die Resi hat wieder mal ihre Mucken. Da kann kommen, wer will - sie gibt nichts her!“ „Du sprichst von der Kuh, gelt?“ „Nein“, antwortete er, „vom Mädel. Ich hab sie zur LPG geschickt, die Prämien abzuholen. Jetzt behauptet sie, ich sei nicht dran beteiligt.“

In diesem Moment begrüßte ihn der Traktorist Schmucker. „Morgen, Kraußkopf!“ rief er. „Was macht Resi? Falls sie wieder wohlauf ist, ich hol sie nachmittags ab - will mit ihr in die untere Flur!“ Ich zwinkerte dem alten Kraußkopf zu: „Er spricht vom Mädel, gelt?“ „Nein“, antwortete er, „von der Kuh. Sie lahmte etwas, und der Schmucker will sie auf die Weide bringen.“

„Robert!“ rief plötzlich eine weibliche Stimme aus dem Hause, „der Tierarzt war eben bei der Resi. Er hat lange gebraucht, aber es ist nichts geworden.“ „Sie spricht von der Kuh, gelt?“ fragte ich. „Nein“, antwortete er, „vom Mädel. Der Tierarzt soll ihr Radio wieder zusammenbasteln, er hat da Erfahrung.“

Just kam ein Gemeindearbeiter vorbei. „Ich soll dir ausrichten“, sagte er zu Kraußkopf, „dass du die Resi Sonntag auf den Festplatz schicken sollst. Sie hat doch die meisten Aussichten auf einen Preis.“ „Er spricht vom Mädel, gelt?“ fragte ich Kraußkopf. „Nein“, antwortete er, „von der Kuh. Sie nimmt am Zuchtwettbewerb teil.“

„Also ich wird' mal nach der Resi sehn“, unterbrach der Traktorist Schmucker das Gespräch, „vielleicht kann ich ihr helfen.“ „Er spricht von der Kuh, gelt?“ „Nein“, antwortete Kraußkopf, „vom Mädel!“ „Jetzt wird es mir aber zu bunt!“ rief ich dem Alten voller Empörung zu, „es ist doch Unsinn, zwei verschiedenen Wesen denselben Namen zu geben! Resi die Kuh! Resi das Mädel! Wer soll sich denn da durchfinden?“ Der alte Kraußkopf sah mich überlegen an: „Wir finden uns durch, und das genügt!“

Plötzlich ertönte aus dem Haus wieder eine Stimme: „Herr Kraußkopf! Kommen Sie schnell! Der Schmucker hat die Resi...“ Ohne die letzten Worte zu verstehen, stürzte Kraußkopf ins Haus, die Treppe hinauf, den Flur entlang, ins Zimmer seiner Tochter - es war leer. „Wo ist das Mädel?“ brüllte er. „Ich sprach doch nicht vom Mädel“, rief die Stimme, „von der Kuh!“

Richter und Bauer (1958-Nr. 23, Seite 355)

Der Justizausspracheabend in Petersdorf war vorbildlich. Vorbildlich dafür, wie er nicht verlaufen soll. Schuld war natürlich wieder der alte Großkopf. „Also, Großkopf“, sagte ich am Vormittag, „streite dich heute Abend nicht mit deinem Nachbarn herum!“ Ein Justizforum soll für die gesamte Bevölkerung von Nutzen sein und ist keine Einrichtung zum Austragen privater Streitigkeiten.“

„Rede nicht so städtisch!“ erwiderte Großkopf. „Wenn die Herren vom Gericht einmal da sind, dann sollen sie auch Auskunft geben. Im Übrigen wird mich meine Tochter Anni begleiten.“ Mit gemischten Gefühlen betrat ich am Abend das Kulturhaus der LPG „Leuchtender Humus“. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Links saß der alte Großkopf mit seinen Mannen, rechts der werktätige Bauer Schimmelpfennig mit den Seinen.

Nachdem Kreisgerichtsdirektor Eberlein ein Referat über ,,Die sozialistische Gesetzlichkeit auf dem Lande“ gehalten hatte, wurde vom Kreisrichter Neumann die Diskussion eröffnet. Die Bevölkerung könne auch Rechtsfragen stellen, hatte er gesagt. Der alte Großkopf stellte eine Rechtsfrage: „Ich möchte wissen, ob der werktätige Bauer Schimmelpfennig berechtigt ist...“

Er wurde vom Richter unterbrochen: „Herr Großkopf, wir führen zwar eine Justizaussprache durch, sind aber hier nicht in einem Gerichtssaal. Private Prozesse wollen wir an dieser Stelle nicht austragen. Wenn Sie Rechtsfragen haben, müssen Sie dieselben ganz allgemein stellen.“

„Also bitte“, sagte der alte Großkopf, „dann möchte ich mal ganz allgemein wissen, ob mein Nachbar, der werktätige Bauer Schimmelpfennig...“ „Sie verstehen mich falsch!“ rief der Richter, „fragen Sie rein sachlich!“ „Es ist wegen der Gänse“, erwiderte der alte Großkopf, und seine Mannen feuerten ihn mit ermunternden Blicken an.

Aber bevor er erklären konnte, was nun eigentlich wegen der Gänse war, hatte sich der bis dahin nur mühsam zurückgehaltene werktätige Bauer Schimmelpfennig besonnen, dass er seinerseits aktiv werden müsse. „Eine Gans sitzt schon neben ihm!“ rief er unter frenetischem Gelächter seiner Anhänger. Anni sprang in die Höhe. „Das war eine Beleidigung, Herr Richter! Ich verlange strenge Bestrafung!“

Der Kreisgerichtsdirektor hatte inzwischen die Situation überblickt. „Petersdorfer!“ rief er, „wir sind nicht gekommen, um Unfrieden zu säen, sondern wir bemühen uns um Ordnung und Gerechtigkeit. Und wenn Sie meinem Referat gefolgt sind, dann wissen Sie, dass die sozialistische Gesetzlichkeit ein Garant dafür ist, dass auch auf dem Lande...“

Weiter kam er nicht, denn der alte Großkopf war mit seinem Nachbarn Schimmelpfennig in eine tiefschürfende wissenschaftliche Diskussion vertieft, was sich darin äußerte, dass er denselben beim Kragen nahm und nach erprobter Methode kräftig hin und her schüttelte. Nachdem wieder etwas Ruhe eingetreten war, wandte sich Kreisrichter Neumann an die Petersdorfer: „Hat jemand noch allgemeine, sachdienliche Fragen zu stellen?“

Es erhob sich der werktätige Bauer Schimmelpfennig. „Jawohl. Ich möchte wissen, ob mein Nachbar Großkopf...“ „Die Justizaussprache ist geschlossen!“ erklärte Kreisgerichtsdirektor Eberlein und verließ mit den Richtern des Kreisgerichts das Kulturhaus. „Siehst du, Großkopf“, sagte zehn Minuten später der werktätige Bauer Schimmelpfennig an der Theke, „das sind unsere Richter: Reden groß von Justizforum, aber helfen wollen sie uns nicht!“

Geist und Materie (1958-Nr. 23, Seite 360)

Seit Meta Physik studiert, kommt Max mit ihr überhaupt nicht mehr klar. Er schwärmt zwar für Meta, aber nicht für Physik. Sein Hobby ist Metaphysik. „Ideologisch bist du eine Null“, hatte Meta neulich gesagt und ihm vertrauensvoll eine Broschüre über dialektischen Materialismus in die Hand gedrückt. Nun saß sie mit ihm in der Laube und erlaubte ihm, sein transzendental-subjektiv-idealistisches Herz auszuschütten.

„Ich habe die Broschüre gelesen“, sagte er, indem er zärtlich ihre Hand streichelte, „aber überzeugt bin ich nicht“ Meta zog ihre Hand zurück. „Dann ist alles aus!“ „Warum?“ fragte er erschrocken. Sie sah starr vor sich hin und flüsterte: „Einen Idealisten kann ich nicht lieben.“

„Aber Meta, mach doch keine Späße! Wenn ich auch Kant in mehreren Auflagen studiert habe, bin ich trotzdem ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und ich sage dir...“ „Du bist aus Fleisch und Blut“, unterbrach ihn Meta, „aber mich hältst du für ein Produkt deiner Vorstellung, gelt?“

Max wurde etwas unsicher. „Du verstehst das alles falsch, Meta. Wenn ich sage, dass der Geist das Ursprüngliche und einzig Reale ist...“ „... dann behauptest du, dass mein Körper Luft ist“, ergänzte Meta und sah ihn wütend an. „Wir wollen uns doch nicht streiten', versuchte Max sie zu beschwichtigen. „Kant lehrt zwar, dass alle Materie nur in der Vorstellung existiert, aber er versteht darunter natürlich auch seinen eigenen Körper.“

„Ich will dir mal was sagen“, brauste Meta auf“ „wenn du dich mit deinem Kant für Luft hältst, dann bin ich das noch lange nicht!“ „Die weibliche Eitelkeit kennt keine Grenzen“, flüsterte Max vor sich hin. Dann wandte er sich wieder an Meta: „Der dialektische Materialismus betont viel zu sehr das Körperliche.“ Bei diesen Worten legte er seinen Arm um ihre Hüfte.

„Merkwürdig“, meinte Meta lächelnd, „was für ein Interesse du an Luft hast.“ Und ostentativ löste sie sich aus seiner Umklammerung. Max seufzte. „Du bist heute unausstehlich, Meta!“ „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“, gab sie zurück.

Eine halbe Stunde verging, ohne dass Max seinem ersehnten Ziele etwas nähergekommen wäre. „Weißt du“, sagte er schließlich kleinlaut, „vielleicht kannst du mir die Broschüre noch mal mitgeben. Ich werde die Sache erneut überprüfen.“ Meta gab sie ihm.

Eine Woche später saßen sie wieder in der Laube. „Ich habe mich überzeugen lassen“, sagte Max und gab ihr das Heft zurück. „Urgrund aller Dinge ist die Materie!“

Als er Meta jedoch umarmen wollte, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. „Geistloser Wüstling!“ fuhr sie ihn an, „meinst du, der Sinn der Liebe liegt im Körperlichen?“

Und schon hatte sie die Laube verlassen. Max blieb sinnend zurück und rieb sich die Wange. „Nur gut“, flüsterte er vor sich hin, „dass nach Kant auch eine Ohrfeige nur in unserer Vorstellung existiert - sonst würde mir die Backe jetzt furchtbar weh tun.“

Tippvorschläge (1958-Nr. 23, Seite 366)

„Es handelt sich um Ihre wöchentlichen Tippvorschläge“, erklärte ein junger Mann am Montagmorgen dem Redakteur einer bekannten Tageszeitung, „ich tippe seit vier Jahren nach Ihren Vorschlägen. Nicht mal einen dritten Rang habe ich bis jetzt erzielt.“

„Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen“, murmelte der Redakteur. „Ich wollte Ihnen nur raten“, fuhr der junge Mann fort, „den wertvollen Platz in Ihrer Zeitung anderweitig zu verwenden; denn die Wahrheit ist, dass meistens das direkte Gegenteil Ihrer Tippvorschläge herausgekommen ist.“

„Dann haben sie also doch einen Zweck“, folgerte der Redakteur, „denn wenn Sie das Gegenteil tippen und dadurch eventuell einen Gewinn im ersten Rang erzielen, so sind Sie letzten Endes durch unsere Tippvorschläge...“

Die Stimme des jungen Mannes bebte: „Habe ich schon getan: Im letzten Wettbewerb bin ich zum ersten Mal von Ihren unsinnigen Vorschlägen abgewichen - und ausgerechnet da liegen Sie im ersten Rang!“

Bei diesen Worten brach der Redakteur entsetzt zusammen. „Was haben Sie denn?“ fragte der junge Mann. Verzweifelt stöhnte der Redakteur: „Ich habe auch anders getippt!“

Komplexe (1958-Nr. 24, Seite 383)

Blass und verstört sah Ingrid aus, als ich sie nach langer Zeit wieder einmal zu sehen bekam. „Du siehst so krank aus“, sagte ich zu ihr, „fehlt dir etwas?“ „Ich bin seelisch krank“, erwiderte sie und sah kummervoll zu Boden. Mich setzte diese Antwort in Erstaunen; denn eigentlich war Ingrid immer ein patentes Mädel. „Komm, setzen wir uns ein Weilchen!“ sagte ich und zeigte auf eine Bank. Dann bat ich sie, mir ihr Herz auszuschütten.

„Ich bin“, begann sie ihre Beichte, „bei einem Psychoanalytiker gewesen.“ „Psychoanalytiker?“ fragte ich verwundert. „Ja“, flüsterte Ingrid, „Tante Hulda hat so dazu geraten. Die Psychoanalyse ist nämlich ein berühmtes Mittel gegen seelischen Kummer.“

„Also, Ingrid“, unterbrach ich, „du willst mir doch nicht erzählen, dass du seelischen Kummer gehabt hast.“ „Doch“, erwiderte sie, „ich konnte mir nicht darüber klarwerden, ob ich Paul liebe oder nicht.“

„Ach, das ist ja sehr interessant“, stellte ich schmunzelnd fest, „und da hast du dich also an einen Psychoanalytiker gewandt.“ „So ist es.“ „Und was hat er dir gesagt?“ Ingrid holte tief Luft. „Er hat mich in einen Dämmerzustand versetzt, in dessen Verlauf ich ihm aus meinem Leben offenbar allerlei berichtet habe. Was ich ihm im Einzelnen sagte, weiß ich nicht; denn ich habe ja geschlafen Als ich wieder munter war, sagt er folgendes:

'Wertes Fräulein Ingrid! Wie die Analyse Ihrer Psyche ergibt, haben Sie entscheidende Eindrücke aus Ihrer Kindheit noch nicht abreagiert. Sie sind einmal im Alter von fünf Jahren von einem Jungen in den Dorfteich gestoßen worden, so dass Sie fast ertrunken wären. Dieser Junge hieß Paul. Da Ihr jetziger Freund auch Paul heißt, wird Ihre Zuneigung zu diesem immer wieder von jenem Ereignis überschattet.

Es hat sich nämlich bei Ihnen angesichts der Lebensgefahr, in welche Sie damals jener Paul gebracht hat, ein Anti-Paul-Komplex gebildet. Der Name Paul ist psychoanalytisch bei Ihnen gleichbedeutend mit Gefahr. Wenn Sie diesen Komplex überwinden wollen, ist es notwendig, dass Ihr jetziger Paul Sie aus einer ähnlichen Gefahr befreit. Dann entsteht psychoanalytisch eine Komplexverdrängung, und das Haupthindernis Ihrer Liebe ist beseitigt.'

Das war die Meinung des Psychoanalytikers. Was hältst du davon?“ Ich musste etwas lächeln. „Allerhand, worauf die alles kommen“, sagte ich, „aber immerhin du kannst ja...“ In diesem Moment ging drüben Paul vorbei. Ingrid sprang auf. „Ich tu's!“ rief sie mir zu und sprang hilferufend in den Parkteich.

Paul sah auf Ingrid, erkannte sie und - drehte sich um und lief erschrocken von dannen. Ich ihm nach. Nach zwanzig Minuten holte ich ihn ein. „Junger Mann!“ rief ich ihm zu, „wissen Sie, was Sie soeben getan haben? Sie haben Ihr Lebensglück aufs Spiel gesetzt!“ Er blieb stehen. „Wie meinen Sie das?“ „Sie hätten Ingrid retten müssen!“ belehrte ich ihn.

„Sie irren sich“, sagte er, „ich war beim Psychoanalytiker. Er hat mir gesagt, dass ich im Alter von sieben Jahren ein Mädchen aus dem Teich ziehen wollte und dabei fast ertrunken wäre. Seitdem habe ich den Anti-Teich-Komplex, den ich nur überwinden könnte, wenn ich einmal ein Mädchen, das ich sehr liebe, nicht retten würde. Das würde eine Komplexverdrängung ergeben und...“

„Ich weiß Bescheid!“ unterbrach ich ihn und lief so schnell wie möglich zum Teich zurück, wo Ingrid immer noch nach Hilfe rief. Mit einem Satz sprang ich hinein, zog sie ans Ufer, trug sie an Land und setzte mich neben sie. „Ingrid“, sagte ich, „ich war zwar nicht beim Psychoanalytiker, aber vor einigen Jahren habe ich mal ein Mädel küssen wollen und eine derbe Ohrfeige eingehandelt. Das Mädel hieß Ingrid. Seitdem habe ich den Anti-Ingrid-Komplex. Und ich kann diesen Komplex wahrscheinlich nur überwinden, wenn mir eine Ingrid statt einer Ohrfeige...“

Und nun geschah das Wunder: Ingrid gab mir tatsächlich keine Ohrfeige! Die bekam ich von Paul.

Ferien vom Ich (1958-Nr. 26, Seite 414)

Es war wirklich ein genialer Einfall, als der Heimleiter seine Gäste bat, sich öffentlich in aller Form mit Bekanntgabe ihres Namens, Berufes, Alters und eines kurzgefassten Lebenslaufes vorzustellen. „Wir sind eine große Familie“, sagte er, „und wollen keine Geheimnisse voreinander haben.“ Die meisten Gäste waren zwar anderer Ansicht, fügten sich aber schließlich doch der Anordnung.

Bereits in den ersten Tagen freundete sich der junge Assistenzarzt Dr. Pankreas mit einem sehr sympathischen Justitiar namens Klausel an. Wenn Dr. Pankreas sehr bald auf einen gegen ihn laufenden Unterhaltsprozess zu sprechen kam, so soll das nicht bedeuten, dass er nur aus diesem Grunde die Bekanntschaft des Justitiars gesucht hatte. Auch der Justitiar Klausel würde einen ähnlichen Verdacht von sich gewiesen haben, wollte man die persönliche Zuneigung zu dem Assistenzarzt auf seine hartnäckigen Magenbeschwerden, derenthalben er ständig Dr. Pankreas konsultierte, zurückführen. Nein, über solche Verdächtigungen waren beide erhaben!

„Wissen Sie, Doktor“, sagte eines Abends der Justitiar beim Schachspiel, nachdem er ihm wieder einmal einige wichtige juristische Ratschläge bezüglich des erwähnten Prozesses erteilt hatte, „mit meiner Verlobten, die ich Ihnen ja schon vorgestellt habe, muss etwas nicht in Ordnung sein. Ich glaube, sie hat es auch mit dem Magen.“ Für Dr. Pankreas war es nichts Ungewöhnliches, dass neue Bekannte nach und nach ihre ganze Familie mit irgendwelchen Leiden angeschleppt brachten, und so sagte er: „Na, Ihnen zuliebe will ich mir die Kranke mal ansehen.“

Dann gingen sie in das Zimmer, wo die Verlobte des Justitiars untergebracht war. „Also, das ist Herr Doktor Pankreas“, sagte Justitiar Klausel zu einer jungen blonden Dame, die etwas angekränkelt im Bett lag, „er hat mir versprochen, dir zu helfen.“ Mit diesen Worten trat er etwas zur Seite und überließ Dr. Pankreas das weitere, welcher eine leichte Magenverstimmung feststellte und versprach, umgehend einige wichtige Medikamente zu besorgen.

Kaum hatten sie das Zimmer verlassen, meinte der Justitiar lächelnd: „Sie haben Ihre Sache großartig gemacht, Herr Kollege! Im Vertrauen: Ich bin nämlich selber Arzt.“ „Vertrauen gegen Vertrauen“, erwiderte Dr. Pankreas, „eigentlich bin ich gar kein Arzt - ich bin Justitiar!“ In diesem Moment kam der Heimleiter auf sie zu: „Gut, dass ich euch finde, Kollegen. Stellt euch vor: Die Gäste unseres Heimes haben meine Anordnung völlig sabotiert! Sie haben sich alle möglichen Berufe zugelegt, weil sie mal 'Ferien vom Ich' machen wollten. Und nun frage ich euch, wo ihr doch beide Lehrer seid...“

Das Konzert (1958-Nr. 29, Seite 455)

Die Metropolitan Oper in New York hatte ihren großen Tag: Mario Rossi, der berühmteste Heldenbariton aller Länder und Zeiten, hatte sich für einen Arienabend verpflichten lassen.

Man versprach sich einen Erfolg sondergleichen - ging doch das Gerücht, dass der phänomenale Pianist Liberace, welcher bei Beginn seiner Konzerte bekanntlich erst alle Scheinwerfer auf seine in der Loge sitzende Mutter richten ließ, von Rossi schon dadurch Übertroffen würde, dass dieser auch seine Großmutter mitbrachte.

Und während bei Liberace drei Fanfaren seinen Auftritt ankündigten, waren es bei Rossi sieben. Alles war bei Rossi pompöser, sensationeller, attraktiver.

Aber in letzter Zeit konnte die Metropolitan Oper nicht mehr so recht disponieren, wie sie wollte. Ein Mister Johnson prüfte sämtliche Programme. Begründet wurde dies mit der 'politischen Atmosphäre'. „Was wollen Sie singen?“ fragte er mit dem Blick eines geschulten Geheimpolizisten. Mario Rossi entfaltete sein Programm. „Ich beginne mit der Arie des René 'Erhebe dich!' aus 'Ein Maskenball' von Verdi.“

„Habe ich mir gedacht“, lächelte Johnson und fügte plötzlich sehr ernst hinzu: „Und wie unsere Sache im Libanon steht, daran denken Sie wohl nicht, wie? In so einer Zeit singen Sie 'Erhebe dich'. No, Sir! Das Nächte?“

„Aus 'La Traviata' die Arie 'Hat dein heimatliches Land keinen Reiz für deinen Sinn?'“ Mr. Johnson schüttelte mit dem Kopfe. „Wirklich naiv, die Künstler von heute. Was sollen unsere Besatzungstruppen in Deutschland denken, wenn sie dieses Lied hören? Das ist ja direkte Anstiftung zur Fahnenflucht!“

Mario Rossi seufzte. „Aus dem 'Troubadour' wollte ich die Arie 'Ihres Auges himmlisch Strahlen' singen.“ „Ich will Ihnen mal was sagen“, belehrte ihn Mr. Johnson, „alles, was mit 'Himmel' und 'himmlisch' zusammenhängt, erzeugt zurzeit unweigerlich den Gedanken an diese vermaledeiten 'Sputniks'. Bis zum erfolgreichen Abschuss unseres Riesen-Satelliten, der bekanntlich mit Kühlschrank, Innenklosett und Fieberthermometer ausgerüstet sein wird, kann Ihre Arie nicht gebilligt werden.“

„Das Lied aus 'Zar und Zimmermann'...“ „Kommt schon gar nicht in Frage!“ unterbrach Mr. Johnson den schüchternen Versuch des großen Sängers. „Ich kenne das Lied! Darin kommen folgende Worte vor: 'Nun schmückt mich die Krone, nun trag ich den Stern; das Volk, meine Russen, beglückt ich so gern!' Haben Sie gehört: Meine Russen! Ihr Programm grenzt schon an Unverschämtheit!“

„Wie wäre es“, fragte Rossi verschüchtert, „mit dem 'Porterlied' aus 'Martha'?“ „Was erlauben Sie sich!“ schrie ihn Mr. Johnson an. „Die Metropolitan Oper macht keine Reklame für ausländisches Bier! Ja, wenn der Text lautete: 'Mach mal Pause, trink Coca-Cola!'- Darüber könnte man reden.“

„Aus Verdis Oper 'Attila' bringe ich Rezitativ und Arie 'Nieder die Waffen!'“ „Einen Whisky!“ rief Mr. Johnson und musste sich erst kräftigen, bevor er erklären konnte: „Mit dieser Arie würden wir den schärfsten Protest des Bundeskanzlers Adenauer heraufbeschwören. Unmöglich!“

Mario Rossi lallte nur noch; denn er war ziemlich am Ende. „Wenn Sie vielleicht die Arie des Rigoletto 'Feile Sklaven'...“ „Sind Sie des Teufels“ schrie ihn Mr. Johnson an. „Soll man vielleicht behaupten, dass wir die Neger unterdrücken? Wir sind in einem freien Lande, Mr. Rossi!“

„Meine letzte Arie“, stotterte der Sänger, „ist aus 'Carmen' und heißt 'Auf in den Kampf, Torero!'“ Mr. Johnson lächelte „Leider müssen wir diese Arie mit Rücksicht auf Francos Stellung noch etwas zurückhalten. Die NATO ist noch nicht komplett.“

„Das war alles“, sagte Mario Rossi und ließ seinen Programmzettel kraftlos zur Erde fallen. Mr. Johnson stand auf „Es tut mir leid, Sir. Aber Ihr Programm ist nicht allright.“ Der Sänger stammelte: „Ich werde also nicht auftreten?“ „Auftreten werden Sie“, sagte der Zensor, „aber nicht in der Metropolitan Oper.“

Mario horchte auf „Wo denn?“ Der Zensor lächelte mokant: „Vor dem Untersuchungsausschuss gegen unamerikanische Tätigkeit!“

Leserbriefe für Balduin (1958-Nr. 29, Seite 463)

Über Balduin Nüßlein hatte Fortuna unverhofft ihr Füllhorn ausgeschüttet: Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen hatte sich sein Ritt auf dem Pegasus gelohnt; denn die Zeitschrift 'Giraffe' teilte ihm mit, dass sie sein lyrisches Gedicht „Sommerfahrt aus Liebeskummer' in der nächsten Nummer veröffentlichen werde.

Nun war Balduin nicht nur ein großer Dichter, der seine Originalität bereits durch die Titel seiner Gedichte genügend bewiesen hotte (von ihm stammen z. B. solche unübertrefflichen Poeme wie 'Der Schmied von Sibirien', 'Spur in die Schlacht', 'Die Diebesmühle' usw.) - nein, Balduin war auch ein kluger Geschäftsmann!

Er wusste, dass eine Wochenzeitschrift die Meinung ihrer Leser nicht unbeachtet lässt. Und so fasste er einen kühnen Entschluss. Er schrieb nämlich an seine Cousine Barbara in Schwerin folgende Zeilen:

„Nächste Woche steht mein Gedicht 'Sommerfahrt aus Liebeskummer' in der 'Giraffe'. Bitte, tu mir den Gefallen und schreib ein paar anerkennende Worte an die Redaktion! Natürlich darfst du nicht durchblicken lassen, dass du mich kennst. Na, du wirst das schon machen. Besten Gruß! Dein Balduin.“

Gleichlautende Briefe schrieb er außer dem seinem Neffen Edwin in Havelberg, seiner Tante Rosalie in Pirna, seiner Schwägerin Margot in Erfurt, seinem alten Lehrer Wenzel in Schmalkalden und zwanzig in allen Teilen der DDR verstreuten ehemaligen Klassenkameraden. Der Wirkung halber schrieb er sogar an seinen vor fünfunddreißig Jahren weggezogenen früheren Nachbarn, den Tierarzt Dr. Dobermann in Hundeluft, Kreis Dessau. Im Verlaufe der nächsten Woche trafen bei der „Giraffe“-Redaktion u. a. folgende Leserbriefe ein: