Wiener's G'schichten V - Ralph Wiener - E-Book

Wiener's G'schichten V E-Book

Ralph Wiener

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Beschreibung

Drei politische Theaterstücke plus Bonusversion Dieser fünfte Band der "Wiener's G'schichten" stellt 3 Theaterstücke vor, die in den Jahren 1946 bis 1967 entstanden. Die Komödie "Verbotene Melodie" zeigt die Möglichkeit auf, wie in der BRD-Demokratie eine Diktatur entstehen kann. In der Tragödie "Familie Bernstein" wird der Holocaust am Beispiel einer jüdischen Familie dargestellt. Schließlich noch das Stück "Es waren 23", welches die Mitschuld von Pädagogen im Dritten Reich an Kriegsverbrechen, die deren Schüler begannen, verdeutlicht. Ebenso ist es eine Anklage gegen die fehlende Vergangenheitsbewältigung nach dem zweiten Weltkrieg in der BRD. Das Stück wurde noch einmal umgeschrieben und ein Jahr später unter den Titel "Über alle Meere" den Theatern angeboten. Sozusagen ist dies hier als Bonusversion zu sehen, wie es in der Musikbranche üblich ist.

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Seitenzahl: 370

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Ralph Wiener 1964

Inhalt

Verbotene Melodie

Akt

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Akt

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Redaktioneller Nachtrag

Familie Bernstein

Akt

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Akt

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Akt

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Akt

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Redaktioneller Nachtrag

Es waren Dreiundzwanzig

Akt

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Redaktioneller Nachtrag

Über alle Meere

Vorspiel

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Redaktioneller Nachtrag

Ralph-Wiener-Bibliografie

Verbotene Melodie

Komödie in zwei Akten (acht Bildern)

Personen:

Herbert Kroll, Playboy

Edwin, sein Freund

Fritz Lindblom

Ulla Bernhardy, Pianistin

Walter Hoyer, Bankier

Frau Hoyer

Brigitte Hoyer, Musikstudentin

Kanzler

Minister I-VII

Polizeipräfekt

Professor Kralup

Papanek, Cellist

Carla Wiemann, Garderobiere

Kellner

Hausmädchen

Bürger‚ Reporter, Polizisten

Ort der Handlung: Eine westdeutsche Stadt

Zeit: Gegenwart (1968)

1. Akt

1. Bild

Künstlergarderobe

(Eine exklusiv eingerichtete Garderobe der Pianistin Ulla Bernhardy. Frau Wiemann ist mit verschiedenen Exquisiten, Blumenarrangements usw. beschäftigt. In einem Sessel links sitzt Herbert Kroll. Ab und zu dringen Klänge eines Klavierkonzertes herein.)

Frau Wiemann: Wollen Sie wirklich hier warten, bis das Konzert zu Ende ist?

Kroll: Was soll ich sonst tun?

Frau Wiemann: Sie hätten es sich anhören können. Im Saal. Unter dem Publikum.

Kroll (verächtlich): Publikum! Ich gehöre nicht zum Publikum, Frau Wiemann, das wissen Sie. Ich komme als Verehrer Ullas.

(betont:)

Als persönlicher Verehrer!

Frau Wiemann: Trotzdem hätte es Frau Bernhardy bestimmt gern gesehen, wenn Sie unter den Zuhörern gewesen wären.

Kroll: Mag sein. Aber ich kann es nicht.

Frau Wiemann: Wie soll ich das verstehen, Herr Kroll?

Kroll (lächelt): Dass Garderobieren immer so neugierig sein müssen!

Frau Wiemann: Entschuldigen Sie!

Kroll: Außerdem habe ich Ihnen das schon einmal erklärt. Ich bringe es nicht übers Herz - verstehen Sie, Frau Wiemann? - ich bringe es nicht übers Herz‚ in die Gesichter derer zu schauen, die Ulla bewundern! Junge Gecken‚ kraftstrotzende Herkulesse, senile Greise - alles, was die Natur an männlichen Absonderlichkeiten hervorgebracht hat, sitzt dort im Parterre, verfolgt jede ihrer Bewegungen, genießt das Spiel ihrer Hände, weidet sich am Pedaldruck ihres Fußes ...

Frau Wiemann (stellt sich vor ihn): Herr Kroll!

Kroll (winkt ab): Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen! Ich sei krankhaft eifersüchtig. Vielleicht sogar verrückt. Verrückt aus Liebe‚ wie es so schön heißt. Aber sagen Sie selbst: Habe ich nicht recht?

Frau Wiemann (wendet sich wieder ihrer Arbeit zu): Nein, es ist purer Unsinn, was Sie daherreden.

(Das Konzert schwillt an, sie weist zum Saal.)

Die Leute‚ die dort sitzen, kommen wegen der Musik. Einzig und allein wegen der Musik! Von weither kommen sie, um Beethoven zu hören.

Kroll: Und um Ulla anzuglotzen.

Frau Wiemann (will etwas entgegnen, beherrscht sich aber): Sie tun mir leid, Herr Kroll.

Kroll: Warum die Rücksicht? Sagen Sie, was Sie denken!

Frau Wiemann: Es würde wenig schmeichelhaft für Sie ausfallen.

Kroll: Ich bin Ihnen unsympathisch, nicht wahr?

Frau Wiemann: Vor allen Dingen sind Sie unmusikalisch. Und Unmusikalische sollten sich nicht um eine Pianistin kümmern!

Kroll: Sie werden persönlich.

Frau Wiemann: Allerdings. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso Sie Frau Bernhardy seit Monaten verfolgen. Gewiss, ihr Mann ist über drei Jahre tot - aber so viel müssen Sie doch gemerkt haben, dass Sie auf keinen Fall der Typ sind, der als eventueller Nachfolger ...

Kroll (springt auf): Frau Wiemann! Ich verbiete Ihnen, so mit mir zu sprechen!

Frau Wiemann (winkt ab): Bitte, bitte! Ich dachte nur‚ weil Sie meine Meinung wissen wollten.

(Sie öffnet die Tür, durch die Beifallsrufe hereindringen.)

Das Konzert ist ohnehin zu Ende. Frau Bernhardy wird gleich hier sein.

Kroll (setzt sich beleidigt).

Frau Wiemann (trägt einen Blumenkorb hinaus. Der Beifall ebbt allmählich ab. Nachdem es ruhig geworden ist, betreten sie und Ulla die Garderobe): Da ist er, Ihr täglicher Verehrer!

Ulla (geht an Frau Wiemann vorbei und auf Kroll zu): Guten Abend, Herbert!

Kroll (steht auf und küsst ihr die Hand): Guten Abend, Ulla!

Ulla: Ich bin sehr echauffiert. Entschuldige! Das Konzert hat mich furchtbar angestrengt.

(Sie setzt sich an ihren Toilettentisch, während Frau Wiemann die Kleidungsstücke zurechtlegt.)

Kroll (setzt sich): Lass dir ruhig Zeit!

Ulla (indem sie sich abschminkt): Mitten im zweiten Satz verspürte ich plötzlich eine Schwäche. Wahrscheinlich war es zu warm. Aber nun ist alles überstanden.

Kroll: Ich habe den Beifall gehört.

Frau Wiemann (verächtlich zu Ulla): Sonst hört er nichts von Ihren Konzerten!

Ulla (zu Frau Wiemann): Carla, du sollst dich nicht einmischen!

Kroll: An Frau Wiemann müssen wir uns gewöhnen, Liebste.

Frau Wiemann (weiter manipulierend): Ich hab' ja nichts gesagt.

Ulla: Für nächste Woche habe ich übrigens nach Heidelberg abgeschlossen. Kommst du mit?

Kroll: Selbstverständlich.

Ulla: Wir werden drei Tage dort bleiben. Hoffentlich ist schönes Wetter. Es wird wunderbar werden.

(Sie trällert vor sich hin:)

Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren,

in einer lauen Sommernacht.

Ich war verliebt bis über beide Ohren...

Kroll: Ich bitte dich! Schlager kann ich nicht ausstehen.

Frau Wiemann: Als ob er Beethoven ausstehen könnte!

Kroll (zu Frau Wiemann): Jetzt ist es genug! Sie gehören nicht zur - -

(Er stockt.)

Frau Wiemann (zu Ulla): Zur Familie, wollte er sagen.

Kroll (steht auf): Frau Wiemann! Ich ersuche Sie in aller Form, mich mit Frau Bernhardy allein zu lassen!

Frau Wiemann (blickt zögernd auf Ulla).

Kroll (gemäßigt zu Ulla): Ich möchte etwas mit dir besprechen. Etwas rein Persönliches.

Ulla (zu Frau Wiemann): Du kannst gehen, Carla! Ich werde schon allein fertig.

Frau Wiemann (etwas beleidigt): Bitte!

(Sie nimmt ihre Sachen.)

Guten Abend, wünsch' ich!

Ulla und Kroll: Guten Abend!

(Frau Wiemann geht, noch einmal einen abschätzenden Blick auf beide werfend, ab.)

Ulla (blickt Kroll kurz an): Nun?

Kroll (geht langsam von hinten auf sie zu und legt seine Hände auf ihre Schultern): Ulla, ich habe mir über uns Gedanken gemacht.

Ulla: Du machst dir Gedanken. Das ist ein ganz neues Hobby.

Kroll: Ohne Scherz - ich möchte mit dir ins Reine kommen.

Ulla (hört mit ihren Manipulationen auf): Wie meinst du das?

Kroll (zieht seine Hände zurück und geht ein paar Schritte): Seit drei Monaten fahre ich mit dir in der Weltgeschichte herum‚ biete dir alles. Du hast Geld, Schmuck, die teuersten Wagen - und was bleibt mir? Außer dem zweifelhaften Vergnügen, Abend für Abend die Bemerkungen deiner Garderobiere anhören zu müssen - sozusagen gar nichts.

Ulla: Meine Gegenwart ist dir „gar nichts“?

Kroll: Du verstehst‚ was ich meine. Ist es wirklich notwendig‚ dass ich für uns getrennte Zimmer bestellen muss?

Ulla: Wir sind nicht verheiratet, Herbert.

Kroll: Eben! Und wenn die Öffentlichkeit - die mich täglich mit dir zusammen sieht - erführe, dass ich nicht einmal - - na ja, dass ich bis jetzt nicht einmal einen Kuss bekommen habe ...

Ulla (lacht).

Kroll (böse) Lach nicht!

Ulla (beruhigt sich): Entschuldige‚ Herbert! Aber es ist zu komisch.

Kroll: Es ist überhaupt nicht komisch. Traurig ist es. Allmählich hege ich den Verdacht, dass du mich nur ausnützen willst. Du willst nehmen, ohne zu geben.

Ulla (mild): Was redest du für Zeug? Bin ich dir nachgelaufen oder du mir?

Kroll: Ich dir, das gebe ich zu.

Ulla: Und hast du nicht gesagt, du würdest alles für mich opfern?

Kroll: Natürlich habe ich das gesagt. Das sagt jeder Mann. Und keine Frau nimmt das wörtlich. Außer dir.

(Er geht auf sie zu.)

Ulla, ich muss endlich klar sehen. Und du musst mir heute antworten.

(Er steht vor ihr.)

Willst du meine Frau werden?

Ulla (blickt ihn groß an‚ sieht dann nachdenklich in den Spiegel und sagt schließlich, ohne ihn anzusehen): Nein.

Kroll (mit innerer Regung): Sag das noch einmal!

Ulla (unbeweglich): Ich will nicht deine Frau werden.

Kroll: Und warum nicht?

Ulla (sieht ihn an): Weil ich nicht will. - - Du bist nicht mein Typ.

Kroll: Nicht dein Typ! Nicht dein Typ!

(Er beugt sich zu ihr und flüstert erregt:)

Aber dich von mir monatelang aushalten lassen - dafür bin ich dein Typ, was?

Ulla: Ich habe dich nicht darum gebeten, das habe ich vorhin schon gesagt! Aber weil du mich so geradeheraus gefragt hast, will ich dir auch offen antworten:

(Sie blickt ihm fest ins Gesicht.)

Du besitzt mir als Mensch nicht genug Vollwertigkeit!

Kroll (geht verblüfft ein paar Schritte zurück): Ich muss mich setzen. (Er setzt sich und raunt fast vor sich hin:)

Das sagt eine Frau, die von meinen Gnaden lebt.

Ulla: Wenn deine Wohltaten Berechnung waren, tut es mir leid.

Kroll (blickt langsam auf, verhalten): Du wirst nie - - nie meine Frau werden wollen?

Ulla: Nie.

Kroll (senkt schweigend den Kopf).

Ulla: Dass du nicht musikalisch bist, daran nehme ich keinen Anstoß. Es gibt viele Eheleute, die nicht dieselben Neigungen haben. Aber was bezweckst du? Was tust du? Für was lebst du? Nur für Tändeleien? Dein Leben hat keinen Inhalt, Herbert. Das Geld deines Vaters bringst du durch. Und ich habe mich etwas mitschuldig gemacht, dass ich daran teilgehabt habe. Aber ich bin Künstlerin. Ich habe mir gesagt: Wenn er es sowieso wegwirft, dann kann er es auch mir zuwerfen! Ansonsten bin ich durch unser Verhältnis rein geblieben. Das weißt du.

Kroll: Willst du mich verspotten?

Ulla: Es täte mir leid, wenn du dir unsere Beziehung anders ausgemalt hast. Ich liebe dich nicht!

Kroll (steht erregt auf): Du!

(Er geht auf sie zu.)

Du bist eine - - Kanaille!

Ulla (packt ihre Sachen): Du gestattest doch, dass ich unser Gespräch beende.

(Sie steht auf.)

Kroll (böse): Diesen Raum verlasse ich nicht‚ bevor du mir erklärt hast …

Ulla: Du kannst hier bleiben, wenn du willst. Ich habe es eilig.

(Sie zieht ihren Mantel an und geht ab.)

Kroll (ruft ihr nach): Ulla!

(Sie schlägt die Tür zu. Kroll sieht ihr eine Weile nach. Als sich ihre Schritte entfernt haben, nimmt er im Sessel Platz, trommelt nervös mit den Fingerspitzen auf die Sessellehne und grübelt vor sich hin.)

Edwin (ist noch draußen auf dem Flur und ruft in fröhlicher Stimmung): Herbert! - Wo ist denn der Kerl? - Herbert!

(Er reißt die Tür auf.)

Tatsächlich!

(Er geht auf Kroll zu.)

Menschenskind, willst du hier übernachten?

Kroll (blickt düster vor sich hin).

Edwin (schüttelt ihn am Ärmel): He!

Kroll (tonlos): Die Musik ist schuld.

Edwin: Ja, freilich. Aber nun komm! Wir sind zum Billiard-Turnier verabredet.

Kroll (wie vorher): Die Musik, nur die Musik ist schuld. Verstehst du?

Edwin: Haargenau.

(Er blickt auf seine Uhr.)

In zwanzig Minuten müssen wir da sein.

Kroll: Sie hätte längst „ja“ gesagt, ...

(plötzlich brüllend:)

… wenn nicht die verdammte Musik wär'!

Edwin (etwas verwundert): Also jetzt ist Schluss, ja?

Kroll: Schluss? Natürlich ist Schluss. Für immer ist Schluss. Sie hat es so gewollt.

Edwin: Moment!

(Er setzt sich.)

Sprichst du von Ulla?

Kroll: Nicht von Ulla. Von Frau Bernhardy - der großen Künstlerin Frau Bernhardy!

Edwin: So, so.

Kroll: Ich stehe ihr nicht mehr an. Bin nicht „vollwertig“ genug! Mein Leben hat keinen „Inhalt“!

Edwin (schüttelt den Kopf): Unverständlich. Wo du doch so gut Billard spielst!

Kroll: Mein Geld hat sie genommen - und jetzt sagt sie, ich kann gehen! Weißt du‚ was das heißt?

Edwin: Das heißt, du wirst in Zukunft allerhand sparen.

Kroll: Mir ist nicht zum Scherzen zumute, Edwin! Ich weiß nur, dass ich das alles dieser verfluchten Musiziererei zu verdanken habe. Wichtiger als ich ist ihr das Klavier! Wichtiger als ich sind ihr die Laffen, die ihr zuhören! Wichtiger als ich ist ihr Beethoven!

(Er ballt die Fäuste.)

Oh, ich könnte ihn erwürgen!

Edwin: Der ist doch schon tot.

Kroll: Sein Glück!

Edwin: Wenn ich dir einen Rat geben darf: Pfeif auf Ulla! Du hast Geld genug, kannst dir eine andere leisten.

Kroll: O nein! So leicht kommt sie mir nicht davon! Ich werde mich rächen.

Edwin: An einer schwachen Frau?

Kroll: Nicht an der Frau, Edwin, an der Musik werde ich mich rächen!

Edwin: Du musst mal zum Arzt gehen‚ Junge!

Kroll: Wenn du wüsstest, wie herablassend sie mich behandelt hat, weil ich nicht musikalisch bin! Wie ich hilflos danebenstehen musste, wenn sie mit „Experten“ diskutierte! Wie ich hinausgeschickt wurde, wenn der Kapellmeister mit ihr etwas „einstudierte“! Die Musik, mein Lieber, knüpft Fäden, schafft Bindungen, spinnt Intrigen! Raffinierter als Menschen geht sie zu Werke!

(Er senkt die Stimme. betont:)

Sie müsste verboten werden!

(Pause)

Edwin (nachdenklich): Hm. Na ja. Du kannst sie ja mal verbieten.

Kroll: Du wirst lachen. Das werde ich! Die Musik werde ich verbieten!

Edwin: Nicht so hastig, Herbert - ich komme nicht ganz mit.

Kroll: Ich werde darauf hinarbeiten‚ dass die Wurzel allen Übels ausgerottet wird! Mein Leben bekommt einen Sinn, alter Freund!

Edwin: Einen Unsinn, willst du sagen.

Kroll: O nein. Ich weiß, was ich zu tun habe. Wir leben in einer freien Demokratie. Jeder kann seine Meinung sagen. Einige Leute behaupten‚ das Unglück der Welt komme von den Kommunisten. Andere sagen, von den Kapitalisten. Wieder andere, von den Imperialisten. Und ich behaupte: Die Musikanten sind schuld!

Edwin: Und den Unsinn soll dir einer glauben?

Kroll: Hast du eine Ahnung, was alles geglaubt wird! Es kommt nur darauf an, wie du es einfädelst. Zuerst muss eine Theorie aufgestellt werden. Die Christen hatten die Bibel. Die Nazis hatten „Mein Kampf“. Auch ich werde ein Buch schreiben.

Edwin: Gegen die Musik.

Kroll: Genau. Ohne Buch keine Theorie. Und ohne Theorie keine politische Macht!

Edwin: Junge‚ Junge!

Kroll: Mein Leben ist sinnlos‚ hat die gnädige Frau gesagt. Ich werde ihr meine „Vollwertigkeit“ beweisen! Sie und ihr ganzer musikalischer Klüngel sollen von mir hören!

(Er steht auf.)

Edwin‚ wir beide gründen die UP!

Edwin: UP? Was heißt das?

Kroll: „Unmusikalische Partei“!

Edwin (steht auf): Den Jux mache ich mit.

(Er schlägt in Krolls Hand ein.)

Schlagt die Musikanten, wo ihr sie trefft!

Kroll (hebt den linken Zeigefinger): Aber nicht nach Noten!

2. Bild

Salon bei Bankier Hoyer

(Links spielt Brigitte Hoyer Geige. Nach einiger Zeit tritt Frau Hoyer ein.)

Frau Hoyer: Der Tee ist fertig, Brigitte!

(Sie stellt drei Tassen und Gebäck zurecht.)

Brigitte (bricht ihr Spiel ab): Ich hätte dir doch helfen können.

(Sie legt die Geige weg.)

Frau Hoyer: Nein‚ du musst üben. Das ist wichtiger.

Brigitte (seufzt): Ich glaube, ich werde nie eine große Künstlerin.

Frau Hoyer: Es ist Vaters Wunsch. „Als Tochter eines Bankiers“, hat er immer gesagt, „wirst du entweder eine Virtuosin oder ein Gassenmädchen.“

Brigitte: Eine Virtuosin werde ich bestimmt nicht.

Frau Hoyer: Warten wir ab! Übrigens können wir schon mit dem Tee beginnen. Vater kommt etwas später.

(Sie nimmt sich Zucker und reicht Brigitte die Dose.)

Denk aber nicht, dass wir dein Musikstudium umsonst bezahlen! Du hast damals selbst gesagt‚ Musik sei dein Hobby.

Brigitte: Ist es auch. Nur, dass ich gleich eine Virtuosin werden soll …

Frau Hoyer: Ich verstehe dich. Überlassen wir die Sache der Zeit!

(Sie reicht ihr die Gebäckschale.)

Magst du?

Brigitte (bedient sich): Danke!

Frau Hoyer: Was ist eigentlich aus deiner „großen Bekanntschaft“ geworden? Weißt du, ich will nicht neugierig sein - aber ein bisschen fühle ich mich für dich verantwortlich.

Brigitte: Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Mutti. Bis jetzt weiß er weder meinen Namen‚ noch dass ich Musikstudentin bin.

Frau Hoyer: Und er liebt dich?

Brigitte: Wahnsinnig.

Frau Hoyer (ironisch): Das ist allerdings beruhigend.

Brigitte: Sei nicht schockiert, Mutti! Ich liebe ihn ja auch.

Frau Hoyer (verschluckt sich).

Brigitte: Hast du dich verschluckt?

Frau Hoyer (fängt sich wieder): Nein, liebes Kind, die Sache ist mehr als bedenklich. Was weißt du von dem Mann? Was ist er? Was treibt er?

Brigitte (etwas spöttisch, als ob sie ein Gedicht aufsagt): Also er heißt Fritz Lindblom, ist achtunddreißig Jahre alt‚ gehört irgendeiner neuen Partei an und steht am Beginn einer großen diplomatischen Karriere.

Frau Hoyer (nickt): Am Beginn.

Brigitte: Du kannst es glauben‚ Mutti! Er steckt voller Ideen. Allerdings dürfe er noch nicht darüber sprechen, sagt er, aber er wird es ganz bestimmt zu etwas bringen!

Frau Hoyer: Wenn er jetzt achtunddreißig ist, Brigitte, dann hätte er es eigentlich schon zu etwas bringen können.

Brigitte: Du sprichst von normalen Berufen.

(Sie hebt possierlich den Zeigefinger.)

Große Tätigkeiten erfordern eine lange Entwicklung!

Frau Hoyer (lächelt): Meine Tochter ist eine kleine Philosophin.

Brigitte: Das wird man zwangsläufig - durch den Umgang mit Herrn Lindblom.

Frau Hoyer: Es muss ein wunderbarer Mann sein.

Hoyer (tritt mit einem Buch in der Hand ein): Meine Lieben, jetzt stehe ich zu eurer Verfügung.

(Er setzt sich.)

Ist der Tee noch heiß?

Frau Hoyer: Gerade richtig.

(Sie schenkt ihm ein.)

Hoyer (auf das Buch zeigend): Das ist ein Buch, kann ich euch sagen! Der größte Unsinn des Jahrhunderts! Ich hätte es nie gelesen, wenn es mir dieser anonyme Kerl nicht fünfmal zugesandt hätte. Jedes Mal mit der Aufforderung „Lesen Sie! Überzeugen Sie sich! Kämpfen Sie mit!“

Frau Hoyer (befremdet): Kämpfen? Gegen was?

Hoyer: Gegen - - also es ist zu unsinnig. Gegen die Musik!

Brigitte: Was hat die Musik verbrochen?

Hoyer: Das frage ich mich auch. Aber der famose Herr Verfasser …

(Er sieht auf den Titel.)

… Herbert Kroll heißt er - gibt eine wunderbare Antwort: „Alles Unglück in der Welt kommt von den Musikanten!“ schreibt er. Und er begründet das. Wissenschaftlich. Das heißt pseudowissenschaftlich.

Frau Hoyer: So einen Unsinn zu veröffentlichen!

Hoyer: Und einem ins Haus zu schicken! Was ich nur mit dem Kram soll? - Na, trinken wir erst mal Tee!

(Er bedient sich.)

Brigitte: Weißt du was mich wundert, Vati? Dass du das Buch gelesen hast! Mir hätten sie so etwas zwanzigmal zuschicken können.

Hoyer: Das glaube ich. Du liest außer Noten überhaupt nichts.

Frau Hoyer: Jedenfalls stimmt es, wenn man sagt: „Steter Tropfen höhlt den Stein!“ Das scheint ein ganz gerissener Kerl zu sein‚ dieser - - wie hieß er gleich?

Hoyer (blickt noch einmal auf den Titel): Herbert Kroll.

Frau Hoyer (etwas gedehnt): Herbert Kroll.

Hoyer: Du sprichst den Namen aus wie ein Gedicht.

Brigitte: Das macht Mutti mit allen Männernamen so.

Frau Hoyer: Brigitte!

Hoyer: Nun haben wir genug über diesen Fall geredet! Man kommt nicht mehr zur Besinnung.

(zu Brigitte:)

Was gibt's Neues in Studentenkreisen?

Brigitte (zaghaft): Das Taschengeld geht zur Neige.

Hoyer (nickt): Das Taschengeld.

(zu Frau Hoyer:)

Etwas anderes erfahre ich nicht.

Brigitte: Und dann brauche ich eine neue Niethose.

Hoyer: So, so. Vielleicht noch ein Mercedes 600 gefällig?

Frau Hoyer (zu Brigitte): Du bist ungeschickt. Merkst du nicht, dass Vater heute seinen grauen Tag hat?

Brigitte: Richtig‚ heute ist Dienstag.

Hoyer: Lasst endlich die Albernheit, jeden Wochentag bei mir mit einer Farbe zu belegen! Ich kann das schon nicht mehr hören: Der „grüne Mittwoch“, an dem man alles von mir erhoffen kann; der „rote Donnerstag“, an dem ich mich vor meinen Angestellten in Acht nehmen muss; der „violette Freitag“‚ an dem ich mit Veilchen zu besänftigen bin; der „gelbe Samstag“, an dem ich ...

Frau Hoyer: Wir wissen es, Walter. Und diese Planmäßigkeit ehrt dich. Sie garantiert uns, dass du nie von deinem Wege abweichst. Du bist die Korrektheit in Person.

Brigitte (zu Hoyer): Und wenn du mir jetzt noch mein Taschengeld gibst ...

Hoyer (lächelt): Am „grauen Dienstag“? Unmöglich.

Frau Hoyer (zu Brigitte): Da hast du's!

Brigitte (zu Frau Hoyer): Ich hab's aber eben nicht!

Hoyer (zieht seine Brieftasche): Na, ich bin kein Unmensch.

(Er gibt ihr einen Schein.)

Hier! Zum vorbildlichen Familienvater gehört auch die Güte.

Brigitte: Danke, Vati!

(Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange.)

Frau Hoyer (zu Hoyer): Ich hab den Eindruck, du verwöhnst Brigitte.

Hoyer: Ist das so schlimm?

Hausmädchen (kommt herein): Verzeihung! Ein Herr Lindblom wünscht den gnädigen Herrn zu sprechen.

Frau Hoyer und Brigitte (erstaunt‚ wie aus einem Munde): Lindblom?

Hoyer: Ihr kennt ihn?

Frau Hoyer (fasst sich): Nein.

Brigitte: Aber der Name ist so seltsam ...

Frau Hoyer: ... dass man ihn einfach wiederholen muss.

Hoyer (zum Hausmädchen): Was ist das für ein Herr Lindblom?

Hausmädchen: Ich weiß nicht. Er hat nur gesagt: „Mein Name ist Fritz Lindblom. Ich muss unbedingt Herrn Bankier Hoyer sprechen.“

Hoyer: Wenn er nicht sagt, was er will, tut es mir leid.

Hausmädchen: Ich habe ihn gefragt, ob er angemeldet ist. Aber er lässt sich nicht abweisen.

Frau Hoyer (steht auf): Brigitte, wir gehen am besten in den Wintergarten!

(leise:)

Hier wird es mir etwas ungemütlich.

Brigitte (ebenfalls leise): Mir auch.

(Sie steht auf.)

Frau Hoyer (zu Hoyer): Bis nachher, Walter!

(Frau Hoyer und Brigitte gehen ab.)

Hoyer (zum Hausmädchen): Also lassen Sie den Herrn Lindblom herein!

Hausmädchen (macht einen Knicks): Sehr wohl!

(Sie geht ab.)

Lindblom (tritt ein und bleibt an der Tür stehen): Herr Bankier Hoyer?

Hoyer (ohne aufzustehen): Der bin ich.

Lindblom: Lindblom ist mein Name.

(Er macht eine Verbeugung.)

Meine Verehrung!

Hoyer: Sie sind nicht angemeldet.

Lindblom: Ich weiß.

Hoyer: An sich pflege ich nur Personen zu empfangen‚ die ordnungsgemäß avisiert wurden.

Lindblom: Ich bitte, den Verstoß gegen die Etikette zu entschuldigen! Aber die Bedeutung der Sache ...

Hoyer: Machen Sie es kurz, Herr Lindblom!

Lindblom: Wenn Sie trotzdem gestatten, dass ich einen Augenblick Platz nehme?

Hoyer (kühl): Bitte!

Lindblom: Verbindlichsten Dank!

(Er setzt sich.)

Das Buch haben Sie hoffentlich inzwischen gelesen.

Hoyer: Welches Buch?

Lindblom: Das dort vor Ihnen liegt!

Hoyer: Diese Machwerk? Ich hoffe‚ Sie stehen damit nicht in Verbindung!

Lindblom: Ich muss Ihre Hoffnung zunichtemachen. Dieses Buch ist der Anlass meines Kommens.

Hoyer: Sind Sie etwa der Verfasser?

(Er blickt auf den Titel.)

„Herbert Kroll“. Ein Pseudonym‚ wie?

Lindblom: Nein, Herr Kroll ist mein Vorgesetzter. Sozusagen mein künftiger Präsident.

Hoyer: Präsident?

Lindblom: Wenn wir die Macht übernommen haben, werde ich in seinem Kabinett Minister für unmusikalische Erziehung.

Hoyer (spöttisch): Gratuliere!

Lindblom: Außerdem übernehme ich die gesamte ideologische Aufklärung. Mir untersteht die Überwachungsstelle zur Fernhaltung aller Noten und Musikinstrumente aus unserem öffentlichen Leben. Anstelle von Hymnen werden wir im internationalen Verkehr sogenannte Ruhe-Minuten einführen. Jede wie auch immer geartete Melodie wird als staatsfeindliche Aktion gebrandmarkt werden. Hupsignale und Läutewerke dürfen nur ...

Hoyer: Entschuldigen Sie, Herr Lindblom! Das alles habe ich in dem Buch gelesen.

(energisch:)

Und ich finde es unter aller Würde, dass Sie mich mit diesem Hokuspokus behelligen!

Lindblom (lächelt): Ihre Zeit ist bemessen‚ das wissen wir. Deshalb will ich mich kurz fassen.

(plötzlich ernst und mit Nachdruck:)

Meine Partei bittet Sie, Herr Hoyer, um finanzielle Unterstützung!

Hoyer (verblüfft): Wie bitte?

Lindblom: Zunächst nicht viel. Wir dachten an drei Millionen.

Hoyer (erregt): Herr Lindblom! Ich habe Ihnen die Unterredung nicht gestattet, um mit mir Scherze zu treiben!

Lindblom: Ich scherze nicht. Mein zukünftiger Präsident verlangt Ihre Hilfe nicht umsonst. Er hat Sie für den Fall, dass Sie uns unterstützen wollen, als Finanzminister vorgesehen.

Hoyer: Es wird immer verrückter.

Lindblom: Alle normalen Menschen halten uns zurzeit für verrückt. Und alle irren sich. Was wissen Sie von der Zukunft, Herr Hoyer? Nichts! Ich weiß es: Unsere Partei wird die Macht ergreifen! Ganz legal. Man wird uns wählen. In einer freien Demokratie wählt man jeden Unsinn, sobald die betreffenden Leute es geschickt anstellen. Und es gibt keinen Schutz! Die Lawine rollt. Von Zeit zu Zeit wollen die Menschen eine Lawine. Diese Zeit ist jetzt wieder da.

Hoyer: Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen noch zuhöre. Ich sollte Sie hinauswerfen.

Lindblom: Aber Sie tun es nicht. Weil Sie fühlen, dass ich recht habe. Wir sind nicht undankbar, Herr Hoyer, unser Wort gilt: Drei Millionen Unterstützung - und Sie werden nicht nur unser Finanzminister, sondern alle Banken werden Ihnen persönlich unterstehen. Ihr Einsatz wird sich verzehnfachen‚ vielleicht sogar ...

Hoyer (unterbricht): Herr Lindblom! Unser Gespräch nähert sich dem Ende. Ich bin nicht bereit, Fantastereien endlos anzuhören. Ihre Worte sind genauso unsinnig wie dieses Buch, das wissen Sie. Sie vertrauen auf die Einfalt der Masse. Mag sein, dass Sie recht haben. Mir ist jedoch das Ganze zu unsicher.

(Er steht auf.)

Es war mir sehr interessant, Herr Lindblom!

Lindblom: Schade.

(Er steht auch auf.)

Äußerst schade.

(Er macht eine kurze Verbeugung und wendet sich zum Gehen. Dabei lässt er wie unabsichtlich ein Foto zur Erde fallen.)

Hoyer: Sie haben etwas verloren!

Lindblom: Oh!

(Er hebt es auf, während Hoyer‚ ihm helfen wollend, einen Blick darauf wirft.)

Hoyer (erschrocken): Das ist doch - -!

Lindblom (mokant lächelnd): Ihre Freundin Patrizia. Wir haben uns erlaubt, Sie in dieser etwas verfänglichen Situation zu fotografieren. Das ist zwar nicht fein, ...

(Er steckt das Foto ein.)

... aber wenigstens haben wir das Bild.

Hoyer: Herr Lindblom!

Lindblom: Die Diplomatie greift zu allen möglichen Mitteln. Das hier ist das primitivste. Aber es hat den Vorteil, hundertprozentig zu wirken.

Hoyer: Was wollen Sie tun?

Lindblom: Das können Sie sich denken. Nachdem Sie unseren Vorschlag, Finanzminister zu werden, abgelehnt haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als Sie gesellschaftlich unmöglich zu machen. Wir werden das Bild einer Illustrierten geben, Ihre Gattin wird sich ebenfalls sehr freuen, und was Patrizia betrifft - die hübsche, attraktive‚ zweiundzwanzigjährige Patrizia - so muss ich Ihnen die enttäuschende Mitteilung machen, dass sie in unseren Diensten steht. Länger als Sie sie kennen. Wir haben noch mehr Bilder. Ihre Familie wird eine große Freude haben.

Hoyer (zischt): Sie wollen mich erpressen.

Lindblom: Erraten. Ich hielt Sie schon immer für einen Menschenkenner.

Hoyer (geht erregt umher und bleibt dann stehen): Wie hoch ist das Schweigegeld?

Lindblom: Ich sagte es bereits.

Hoyer (überlegt): Das geht nicht.

Lindblom (kalt): Wie Sie wollen.

Hoyer: Mit drei Millionen liefere ich mich Ihnen völlig aus.

Lindblom: Und wir uns Ihnen. Vergessen Sie nicht: Wir haben Ihnen den Finanzminister versprochen.

Hoyer (zögernd): Wenn Sie aber bei der Wahl - nicht durchkommen?

Lindblom: In drei Wochen ist Wahlversammlung. Da wird sich zeigen, ob sich Ihr Einsatz lohnt!

(betont:)

Herr Hoyer, was darf ich unserem zukünftigen Präsidenten mitteilen?

Hoyer (seufzt): Er soll sich um Geld keine Sorgen machen.

Lindblom (verbeugt sich): Ich wusste, Sie sind ein Ehrenmann.

(Er geht ab.)

Hoyer (wendet sich um, nimmt das Buch zur Hand, blickt auf den Titel und wirft es wütend auf den Tisch).

3. Bild

Großer Saal

(Eine Wahlversammlung der UP. Zahlreiche Bürger sind anwesend. Im Präsidium, auf einem erhöhten Podest, sitzen links Edwin, in der Mitte Kroll und rechts Lindblom. An den Wänden einige symbolische Plakate: Eine Geige, die man schwarz überkreuzt hat; eine Trompete, die von einem Hammer zerschmettert wird; ein Klavier‚ das zwei Fäuste zermalmen. Rechts steht eine in zwei Teile gerissene Beethoven-Büste. Das Publikum besteht in der Hauptsache aus dem typischem Mittelstand und befindet sich in angeregter Unterhaltung.)

Edwin (klingelt): Ich bitte um Ruhe!

1.Bürger (zu den andern): Es geht weiter, meine Herren!

(Das Gemurmel ebbt ab.)

Edwin: Das Wort hat der Vorsitzende unserer Partei, Herr Herbert Kroll!

Alle: Bravo!

(Unter allgemeinem Beifall begibt sich Kroll nach links zum Rednerpult.)

Kroll: Meine Parteifreunde! Verehrte Gäste! In einer Zeit, da sich gewisse Leute unter irreleitenden Fanfarenstößen, demagogischen Märschen, lockenden Walzerklängen und was weiß ich für Hokuspokus ihren Wählern stellen, haben wir uns schweigend - ohne Tschingbum und Trara - hier zusammengefunden, um unseren Wahlspruch zu verkünden: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!

(Tosender Beifall. Die UP-Angehörigen trommeln mit den Fäusten auf die Tische.)

Ruhe insoweit, als wir darunter die völlige Ausschaltung der Musik verstehen. Man stellt uns die Frage, was uns eigentlich zu dieser Haltung berechtigt.

2.Bürger (steht auf und hebt den Zeigefinger): Ja, diese Frage möchte ich auch stellen!

Kroll: Herr Studienrat Puppe, Ihre Frage wird von meinem Parteifreund Lindblom erschöpfend beantwortet werden.

2.Bürger (setzt sich): Danke!

3.Bürger (zum 2.Bürger): Ich sage Ihnen, es ist etwas dran an der Sache!

Kroll: Ich möchte hier zunächst unsere Ziele klar und unmissverständlich umreißen. Was wir erstreben, ist die völlige Verdrängung der Musik aus unserem öffentlichen und privaten Leben. Es darf nicht geduldet werden, ...

4.Bürger (steht auf): Aber das ist doch purer Unsinn!

(zu den andern:)

Überlegen Sie, meine Herren: Wieviel erhebende Momente verdanken wir der Musik!

1.Bürger: Sehr richtig! Wenn ich an meine Jugendzeit denke! Wir haben einmal unseren Freundinnen eine Serenade gebracht.

3.Bürger: Hört, hört!

5.Bürger (steht auf): Und wie beschwingt waren wir, wenn wir im Fasching singen konnten:

(Er singt:)

Einmal am Rhein...

Einige andere (fallen ein): .... und dann zu zwei'n alleine sein!

Mehrere (schunkeln): Einmal am Rhein‚ ...

Noch mehrere: … des nachts mit dir im Mondenschein!

Ziemlich alle (schunkeln und singen):

Einmal am Rhein‚

du denkst, die ganze Welt ist dein.

Es lacht der Mund zu jeder Stund',

das kranke Herz ...

Edwin (klingelt aus Leibeskräften): Ruhe!!

3.Bürger (beschwichtigt die andern): Aufhören! Hören Sie doch auf!

(Allmählich tritt Ruhe ein.)

Kroll: Ich will nicht gehässig sein, Parteifreunde - aber an euerm Verhalten muss sich noch allerhand ändern.

6.Bürger: Das kann man wohl laut sagen.

Kroll: Andererseits gibt mir der soeben erlebte hochverräterische Vorfall Veranlassung‚ schon jetzt Herrn Lindblom zu bitten, einige ideologische Ausführungen zu machen. Bitte, Freund Lindblom!

(Beifall. Kroll geht auf seinen Platz zurück.)

Lindblom (betritt das Podium): Meine Damen und Herren! Herr Studienrat Puppe hat vorhin die Frage gestellt, was die Motive unseres Handelns seien. Ich könnte diese Frage mit einen Satz beantworten: Wir Angehörigen der UP sehen in der Musik die Ursache aller Katastrophen der Weltgeschichte!

(Bravorufe)

Aber ich will es mir nicht so leicht machen. Unter Ihnen sind Leute von Stand und Bildung‚ die einen Anspruch darauf haben‚ genauestens unterrichtet zu werden.

Ein Verlotterter (steht auf): Sehr richtig! Ich will Bescheid wissen!

(Er wird unter Gelächter auf seinen Platz zurückgezogen.)

Lindblom: Gestatten Sie, dass ich Ihnen die Wirkung der allerprimitivsten Form der Musik demonstriere!

(Er nimmt einen Hammer und schlägt im Landsknecht-Rhythmus auf das Pult:)

Tam - tam - tam tam,

Tam - tam - tam tam.

(Allmählich klopfen einige der Zuhörer mit, andere fallen ein, schließlich klopfen alle, sie stampfen mit den Füßen, stehen auf und marschieren - immer auf der Stelle tretend, aber die Augen starr nach vorn gerichtet. Als der Höhepunkt der Ekstase erreicht ist, bricht Lindblom ab. Die „Marschierenden“ machen noch ein paar Schritte, sehen sich dann ernüchtert an und setzen sich.)

Das war das Einfachste, sozusagen die Urform der Musik. Aber bereits in diesem Zustand wären Sie fähig gewesen, jeden zu ermorden, den Ihnen der Trommler gewiesen hätte.

(Zustimmendes Gemurmel)

4.Bürger (zu den andern): Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.

3.Bürger (zum 2.Bürger): Sache imponiert mir, Herr Studienrat!

Lindblom: Ich komme zum zweiten Exempel.

(Er wendet sich in eine Ecke.)

Bitte, Herr Brauer!

Max Brauer: (setzt ein Tonbandgerät in Betrieb. Es erklingt der Yorksche Marsch von Beethoven. Die Bürger blicken sich fasziniert an und trommeln mit den Händen den Takt mit. Als die Musik abbricht, trommeln sie noch einige Sekunden weiter).

Lindblom: Das war Beethoven. Der Yorksche Marsch. Beethoven - für viele der unerreichbare Gipfel der Musik. Kennen Sie die Geschichte dieses Marsches? Unter seinen Klängen marschierten tausende junger Männer ins Feld, die innerlich reif gemacht wurden zum Mord, zum Völkermord. Ich könnte Ihnen noch andere Märsche vorführen: Den „Badenweiler Marsch“, den „Egerländer Marsch“, den „Marsch der Deutschen in Polen“ - aber dann würden Sie denken, es seien nur Märsche, die wir für gefährlich halten. Nein, meine Damen und Herren, jede Art von Musik hat unserer Meinung nach verwerflichen Einfluss. Auch die Liebeslieder.

(Einige Damen seufzen enttäuscht: „Oh!“)

Jawohl, meine Damen‚ auch die Liebeslieder! Sie zersetzen unsere Moral, machen uns gefügig, benebeln unsere Sinne. Stellen Sie sich vor - und jetzt wende ich mich ganz an Sie, meine Dame: Sie würden mit einem Herrn allein sein. Sie hätten gerade noch die Kraft, besonnen zu bleiben. Da erklingt aus dem Radio eine Stimme.

(Er gibt Max Brauer ein Zeichen. Das Tonbandgerät gibt einen süßlichen Singsang wider: „Küssen ist keine Sünd' mit einem schönen Kind! Lacht dir ein roter Mund ...“ usw. Die im Saal anwesenden Pärchen sehen sich verliebt an und beginnen zu schunkeln. Dann setzt das Tonbandgerät aus.)

Am Ende dieses Liedes steht die Katastrophe.

1.Mädchen: Das stimmt, Herr Lindblom!

(Gelächter)

2.Mädchen (steht auf): Aber sollen wir denn nicht einmal mehr tanzen gehen können?

Edwin (erhebt sich): Dazu möcht' ich was sagen! Wie verläuft in den meisten Fällen so ein Tanzabend? Stell mal an, Max!

Max Brauer (stellt das Tonbandgerät an. Die „Böhmische Polka“ erklingt).

Edwin (während der Musik kommentiert er): Es ist zunächst ganz harmlos. Man tanzt, ist fröhlich, trinkt einen. Aber dann, durch den mitreißenden Takt der Musik, gehen die Nerven durch! Schon springen einige über die Tische, die ersten Biergläser kommen geflogen, und nach kurzer Zeit ist die schönste Rauferei im Gange.

Max Brauer (stellt das Tonbandgerät ab).

Edwin (setzt sich): Ohne die Musik, Kameraden‚ wär' alles in bester Ordnung geblieben.

5.Bürger: So ist es! Da hat er recht.

6.Bürger: Immer die Musik, die vermaledeite!

Lindblom: Wie gefährlich die Musik werden kann, sehen Sie besonders an Verkehrsunfällen‚ die durch Autoradios verursacht werden. Ich möchte nicht die Schlager zählen, die auf diese Art Menschenleben auf dem Gewissen haben.

Eine resolute Dame (steht auf): Sehr richtig, Herr Lindblom! Es gibt sogar Schlager, die zur Unachtsamkeit während des Fahrens auffordern. Neulich habe ich wieder so einen gehört.

(Sie singt:)

Schau nicht hin, schau nicht her,

schau nur gradeaus!

Und was danach kommt,

mach dir nichts daraus!

(Gelächter und Beifall. Sie setzt sich.)

3.Bürger: Na‚ bitte! Ist das nicht Anstiftung zur Karambolage?

Kroll: Ein sehr gutes Beispiel.

Lindblom: Meine Damen und Herren, ich möchte das Zersetzende der Musik an dieser Stelle nicht von allen Seiten betrachten. Das hat unser Vorsitzender, Herr Kroll, in seinem grundlegenden Werk „Wider die musikalische Unzucht“ bereits ausführlich getan. Die Kenntnis dieses Buches darf ich allgemein voraussetzen. Ich möchte aber diesem und jenem unter Ihnen Gelegenheit geben, einige Fragen zu stellen, und bitte um rückhaltlose Meldung! Inzwischen danke ich Ihnen.

(Er geht unter Beifall an seinen Platz zurück).

1.Bürger: Eine Frage: Werden Sie, wenn Sie die Macht im Staate übernommen haben‚ radikal mit der Musik aufräumen?

Lindblom: Gewiss. Wir werden sogar so weit gehen, jede irgend mögliche gedankenlose Assoziation zu verhindern. Man wird zum Beispiel nicht mehr von Tongruben sprechen, damit niemand auf die Idee kommen kann, dies seien Gruben, in denen Musik gemacht wird.

Edwin: Vorbildliches Betragen in Gesellschaft wird auch nicht mehr „Der gute Ton“ heißen‚ sondern „Die gute Sitte“.

2.Bürger: Wie steht es mit Vornamen, die auf eine Oper hinweisen? Zum Beispiel „Carmen“, „Martha“ oder „Margarethe“?

Kroll: Werden abgeschafft, Herr Studienrat!

3.Bürger: Und das Notenmaterial, das überall in den Häusern herumliegt?

Lindblom: Wird verbrannt!

Kroll: Auch die Musikinstrumente.

Edwin: Und die Musikanten ...

(Gemurmel. Dann fügt Edwin hinzu:)

... werden umgeschult.

Kroll (leise zu Edwin): Du bist ein Idiot!

4.Bürger: Was soll denn aus den Musikanten werden?

Lindblom: Wir haben den Beruf des Schlossers vorgesehen.

2.Bürger: Warum Schlosser?

Lindblom: Wer den Violinschlüssel beherrscht, wird auch mit anderen Schlüsseln umgehen können.

(Gelächter)

Übrigens werden wir im diplomatischen Verkehr nicht mehr von „Notenwechsel“ sprechen; das könnte zu Irrtümern führen. Wir sagen: „Schriftlicher Gedankenaustausch.“

6.Bürger: Ich möchte klipp und klar wissen: Ist die Musik vom gesundheitlichen Standpunkt aus abzulehnen oder nicht?

Kroll: Über diese Spezialfrage wird uns Professor Kralup informieren.

(Er ruft nach hinten.)

Herr Brauer! Rufen Sie den Professor herein!

Max Brauer (öffnet die Tür und ruft hinaus): Herr Professor Kralup!

(Professor Kralup geht unter allgemeinem Volksgemurmel zum Präsidium. Er ist ein älterer, etwas hinfälliger Herr mit hoher Stimme.)

1.Bürger: Eins möchte ich wissen: Ist das hier eine Wahlversammlung oder eine Gerichtsverhandlung?

Lindblom: Wir hatten Herrn Professor Kralup gebeten, während der Referate und Diskussionen nicht zugegen zu sein‚ damit er völlig unbeeinflusst seine Meinung äußern kann. Ist es so, Herr Professor?

Kralup: So ist es, meine Herren, so ist es.

Kroll: Herr Professor Kralup wird uns jetzt über die gesundheitsschädliche Wirkung der Musik aufklären. Bitte, Herr Professor!

Kralup (räuspert sich): Hm, ja. Wie gesagt, es handelt sich bei jeder Art von musikalischer Betätigung um eine - sagen wir schlicht und einfach - geistige Verwirrung. Wer einmal ein Musikinstrument erlernt hat‚ kommt aus dem Zustand einer gewissen Verblödung nicht mehr heraus. Ich habe Bratsche gespielt.

(Gelächter)

Aber ich gehe noch tiefer. Ich behaupte, dass die praktische Anwendung der Musik nur auf einer pathologischen - genauer gesagt: geisteskranken Grundlage gedeihen kann. Ich habe mir die Mühe gemacht, heraus zu finden, was die verschiedenen Melodien ausdrücken sollen. Es ist erschütternd, meine Damen und Herren! Nehmen wir eine Konzertpassage, die folgendermaßen klingt:

(Er singt eine undefinierbare Melodie.)

Das heißt verdeutscht: „Lass die Rollläden herunter, die Sonne blendet!“

(Gelächter)

Mit Hilfe psychoanalytischer Methoden habe ich den Aussagegehalt jeder noch so komplizierten Melodie ermittelt. Nehmen wir aus der vierten Sinfonie von Stanislaus Lojewski die folgende Stelle: Zunächst Hörner!

(Er tutet fürchterliche Synkopen.)

Klarinetten!

(Ein dahinplätscherndes Etwas)

Dann die Posaunen!

(Er bläst mit entsprechender Armbewegung.)

Das heißt: „Wir haben vergessen‚ noch Käse mitzubringen!“

(Gemurmel unter den Zuhörern)

Schwieriger wird die Sache bei reinen Klaviersonaten. Welcher gedanklichen Regung entspricht zum Beispiel diese Passage:

(Er singt eine Tonfolge.)

Nun, was meinen Sie?

Edwin: „Am Mittwoch gibt's Preiselbeeren!“

Kralup: Falsch! Die ersten fünf Töne zum Beispiel …

(Er singt die ersten fünf Töne.)

… drücken den Wunsch aus, ein heißes Bad zu nehmen.

Der Verlotterte (steht auf): Heiß gebadet! Das ist‚ glaube ich, das Richtige!

3.Bürger (zieht den Verlotterten zurück): Ruhe!

Kralup: Die nächsten Tonfolgen - ich erinnere noch einmal …

(Er singt.)

… besagen kurz und bündig: „Ein Handtuch, bitte!“

(Gemurmel)

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was soll man von Leuten halten, die in ihrer Ausdrucksweise einer solchen Umsetzung bedürfen?

4.Bürger: Nieder mit den Musikanten!

Einige andere: Nieder!

Kralup: Nun zu den Komponisten. Bei denen geht das umgekehrt vor sich. Diese Leute sagen zum Beispiel nicht: „Ich hatte Lust, eine Partie Schach zu spielen“, sondern:

(Er trällert eine fingierte Melodie.)

Wenn sie eine Dame zum Rendezvous bitten‚ drücken sie das so aus:

(Er markiert eine Tanzweise.)

Und wenn sie in der Apotheke ein Abführmittel kaufen, heißt es ...

(Er brummt die ersten acht Töne aus Beethovens Fünfter.)

5.Bürger: So ist es, jawohl!

Kralup: Ich frage Sie: Sind solche Menschen noch normal?

Mehrere Bürger: Niemals!

Kralup: Die Musik, meine Damen und Herren, macht die Seelen unserer Bürger krank! Sie verwirrt unseren Geist!

Kroll: Und deshalb sagen wir: Schluss mit dem Unfug!

Edwin: Zurück zur Natur!

Lindblom: Das Rauschgift „Musik“ muss verboten werden!

Alle: Bravo!

6.Bürger (beginnt nach der Melodie des Yorkschen Marsches zu singen): Wir wollen die Musik nicht mehr!

Andere (fallen ein): Wir wollen die Musik nicht mehr!

Noch mehrere: Wir wollen die Musik nicht mehr!

Alle: Wir wollen die Musik nicht mehr!

(Sie erheben sich, nehmen Professor Kralup auf die Schultern und marschieren singend - während der Studienrat auf einem Stuhl steht und dirigiert - hinaus.)

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Sitzungssaal

(An einem langen Tisch sitzt das Kabinett der Bundesregierung. Der Kanzler hat alle fünfzehn Minister zu sich gebeten. Die Debatte ist im vollen Gange.)

Kanzler: Sie können sagen, was Sie wollen, meine Herren Minister - der Unfug nimmt Formen an!

Minister I: Ein Unfug, der es in sich hat.

Minister II: Oder um mit Shakespeare zu sprechen: „Ist es auch Unsinn‚ hat es doch Methode!“

Kanzler: Was denken sich die Leute von der UP eigentlich?

Minister III: Das ist einfach gesagt. Sie wollen die Macht.

Minister IV: Und wie es aussieht, werden sie die Macht bald bekommen.

Minister V: Herr Bundeskanzler, wir müssen die Frage entscheiden‚ ob die UP verboten werden soll oder nicht!

Kanzler (unangenehm berührt): Verboten? Wie vereinbart sich das mit unserer Freiheit?

Minister VI: Sehr richtig! Das Fundament unserer Demokratie würde untergraben werden, wenn wir durch administrative ...

Minister II (unterbricht): Ich bitte, Folgendes zu bedenken: Die UP, so lächerlich ihre Ziele auch sein mögen, hat bereits viele Anhänger. Sie hat auch Geld - weiß der Himmel, woher! - und sie hat begründete Aussichten, bei der kommenden Wahl einen Sieg davonzutragen. Dass sie uns, sobald sie die Macht hat, hinwegfegen würde, steht außer Zweifel. Es ist also eine Frage der Selbsterhaltung, wenn wir jetzt, da es noch Zeit ist, mit allen juristischen Mitteln einschreiten. Ich schlage vor, beim Bundesverfassungsgericht eine Verbotsklage gegen die UP zu erheben. So wie wir es damals mit der Kommunistischen Partei gemacht haben. Noch ist es Zeit‚ meine Herren!

Minister I: Ich protestiere entschieden gegen diese Auffassung! Zwischen den Kommunisten und der UP besteht doch wohl ein kleiner Unterschied. Die Kommunistische Partei ist eine den freien Rechtsstaat bedrohende Organisation, während die UP eine völlig unrealistische, man kann auch sagen: verrückte Vereinigung ist. Wer nimmt diese Leute ernst!

Minister II (zu I): Herr Innenminister, Sie haben vorhin selbst gesagt, es sei ein Unfug, der es in sich hat. Wohlgemerkt, „der es in sich hat“!

Minister I: Aber doch keine Staatsgefahr!

Kanzler: Darf ich Ihre Kontroverse unterbrechen, meine Herren! Mir liegt ein Bericht des Instituts für Meinungsforschung in Tübingen vor. Ich möchte Ihnen einen Auszug aus diesem Bericht zur Kenntnis geben.

(Er blättert eine Akte auf und liest vor:)

„Obwohl es sich bei der UP um eine Partei handelt, die in Ansehung ihrer Idee und ihrer Ziele als eine Vereinigung pathologischer Elemente angesehen werden muss, hat ihre Popularität in den letzten Monaten erstaunlich zugenommen. Sie beherrschen bereits die Landtage und werden bei der kommenden Bundestagswahl eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen. Meinungsumfragen in der Bevölkerung haben zu dem Ergebnis geführt, dass es vor allem die Enttäuschung über die bisherige Politik der Bundesregierung ist, die zur Unterstützung dieser unsinnigen Extremisten führt. So erklärte der Bäckermeister Breuning in Bad Kissingen: 'Wie es ist, kann es nicht bleiben. Und ohne Musik wird's auf alle Fälle anders!' Ein Oberlehrer in Nürnberg sagte: 'Ich wähle die UP. Alle andern haben mich zu sehr enttäuscht.' Eine Hausfrau aus Lübeck meinte: 'Die UP muss ans Ruder! Dann wird endlich der Streit um die Hymnen aufhören!' Alles in allem, die Erfolge der UP resultieren letzten Endes aus dem in der Wirtschaftswerbung bereits zur Genüge benutzten Slogan: 'Öfter mal was Neues!' Die Bürger der Bundesrepublik sind es müde geworden, auf alten Gleisen zu fahren. Die UP hat einen psychologisch äußerst geschickten Zeitpunkt gewählt. Es bleiben alle Möglichkeiten offen.“ Soweit der Bericht. Was sagen Sie dazu, meine Herren?

Minister II: Ich bleibe bei meiner Anregung: Verbieten!

(emsiges Gemurmel)

Minister VII (steht auf): Herr Bundeskanzler! Meine Herren Kollegen! Mir obliegen zwar die Finanzen - aber Sie wissen‚ es gibt nichts auf der Welt, wo nicht das Geld im Spiele ist.

(beifälliges Gelächter)

Auch bei der UP ist Geld im Spiele. Nach meinen Unterlagen hat das Bankhaus Hoyer dieser Partei eine Summe von drei Millionen zur Verfügung gestellt.

Minister IV: Hört‚ hört!

Minister VII: Es besteht Grund zu der Annahme‚ dass Herr Bankier Hoyer nicht der einzige Geldgeber ist. Auch aus dem Ausland treffen finanzielle Unterstützungen ein. Das alles ist uns bekannt. Und trotzdem sage ich, meine Herren: Wenn wir diese lächerliche Partei ernst nehmen, machen wir uns selbst lächerlich!

Mehrere Minister: Sehr richtig!

Minister VII: Wer sind wir denn? Sind wir ein Zirkus? Ein Varieté? Ein Tingeltangel? Wir sind ein ernstzunehmender demokratischer Rechtsstaat!

(Bravorufe)

Und ich betrachte es als unter meiner Würde, über diese UP noch ein Wort zu verlieren! Gehen wir zur Tagesordnung über!

(Er setzt sich.)

Kanzler: Auf der Tagesordnung steht die UP‚ Herr Finanzminister.

Minister III (steht auf): Wenn Sie gestatten, Herr Bundeskanzler!

(Er wendet sich an die Minister.)

Meine Herren Kollegen! Wir berühren heute sozusagen ein Grundproblem der demokratischen Freiheit. Die Frage lautet: Wie muss sich die Regierung eines Rechtsstaates verhalten, wenn sie glaubt, bei der nächsten Wahl den Kürzeren zu ziehen? Kann sie sich erlauben, den Gegner - mag er noch so verrückt und extrem sein - durch einen administrativen Eingriff mattzusetzen? Ich sage: Nein! Wir würden unser Gesicht verlieren. Das Wesen der Freiheit besteht in der Toleranz. Duldung des Gegners ist unser oberstes Prinzip.

Minister II: Duldung bis zum Selbstmord!

Minister III: Sie wollen mich nicht verstehen, Herr Kollege. Wenn wir diese UP verbieten lassen, haben wir kein Recht mehr‚ im Namen der Freiheit zu sprechen. Das unterscheidet uns von totalitären Systemen. Bei uns kann jeder seine Meinung äußern.

Minister V: Zwischen Meinung und Meinung ist natürlich ein Unterschied.

Minister III: Selbstverständlich. Aber wenn die Leute von der UP sich nun einmal in den Kopf gesetzt haben, an allem Unglück in der Welt seien die Musikanten schuld, dann ist das ihre Sache. Ich sehe darin nichts Staatsgefährdendes.

(Er setzt sich.)

Minister VII: Ganz meine Meinung. Außerdem hat Herr Kroll unmissverständlich erklärt, dass er gegen den Kommunismus ist!

Kanzler: