Wiener's G'schichten X - Ralph Wiener - E-Book

Wiener's G'schichten X E-Book

Ralph Wiener

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Beschreibung

Erinnerungen und Fakten 1933-1945 "Flüsterwitze" aus dem "Dritten Reich" - analysiert und kommentiert - sowie autobiographisch Erinnertes und dokumentarisches Material zeugen von einer Zeit, in der das Lachen tödlich sein konnte. Welche Wirkung die "Stimme des Volkes" hatte, die unbeirrt und unbestechlich die Demagogie der Nazis anprangerte und ihrem Wahn- und Aberwitz den gesunden Menschenverstand entgegensetze, das schildert Wiener auf eindrucksvolle Weise, zeigt er anhand erschütternder Gerichtsurteile, die über "Witzeerzähler" verhängt wurden. Als Zugabe gibt es Gewitztes und Verschmitztes aus der k.u.k.Monarchie.

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Wie schnell doch die Zeit vergeht!

Schon sind tausend Jahre um.

Stoßseufzer 1945

Inhalt

Vorwort

Der Flüsterwitz

Gesichter und Gelichter

Der Mächtige

Der Prächtige

Der Schmächtige

Der Verdächtige

Nest der Goldfasanen

Was ist schwarz? Was ist weiß?

Alles hat seinen Preis

Das Kriegsgespenst

Entrüstung über Rüstung

Spott über Trott

Die Stimme des Volkes

Kindermund

Der jüdische Witz

Epilog

Pressestimmen

Lachen mit Schwejk

Vorwort

O du mein Österreich

Bei der Kanone dort lud er in einem fort

Hatte nicht mal Angst vor Teufeln, da begegnet ihr ein Kanonier...

Der kleine Mönch im Lehnstuhl dort

Als wir nach Jaromersch zogen

Pressestimmen

Quellenverzeichnis der Bilder

Ralph-Wiener-Bibliografie

Vorwort

Im Frühjahr 1945 - zu einer Zeit, als auch der größte Fanatiker nicht mehr mit einem Sieg Hitlerdeutschlands rechnen konnte - machte unter der deutschen Bevölkerung folgender Flüsterwitz die Runde:

Hitler tritt aus dem Bunker, nimmt sein falsches Oberlippenbärtchen ab, setzt eine Brille auf, schlüpft schnell in die Uniform eines amerikanischen Sergeanten und meldet General Eisenhower: »Auftrag zur Vernichtung Deutschlands ausgeführt!«

Abgesehen vom historischen Anachronismus einer Erstürmung des Führerbunkers durch die Amerikaner - bei Entstehung des Witzes war die konkrete militärische Situation vom Mai 1945 offenbar noch nicht abzuschätzen -, berührt der zunächst frappierende Vorgang eine durchaus Wahrheitsgemäße Feststellung, nämlich die, dass das letztendliche Ergebnis der faschistischen Politik einem Auftrag zur Vernichtung Deutschlands gleichkam. Hitler hatte so gehandelt, als ob er Agent einer ausländischen Macht gewesen sei, und die Bitterkeit des Witzes verlagert das »als ob« in die Realität, Wobei der Erfolg, den dieser Witz seinerzeit hatte, dem Umstand zuzuschreiben ist, dass Hitler tatsächlich in Hinsicht auf sein Kriegsziel das Gegenteil erreichte.

Aber der Witz deckte noch eine andere, für uns heute selbstverständliche, der damaligen Bevölkerung jedoch kaum erkennbare Seite auf, nämlich jene Tatsache, dass der Imperialismus Hitler in den Sattel gehoben hatte, um mit seiner Hilfe am Rüstungsgeschäft und schließlich am Krieg zu profitieren. Der vergötterte »Führer« wird plötzlich klein, er wird zum bloßen Agenten und erstattet als letzte Amtshandlung seine Meldung: »Auftrag zur Vernichtung Deutschlands ausgeführt!«

An diesem Beispiel, das im Grunde nicht nur den Faschismus, sondern zugleich den Imperialismus bloßlegte, ist erkennbar, mit welch einfachen - mitunter bewunderungswürdig naiven - Mitteln der Flüsterwitz in der Zeit des nazistischen Terrors arbeitete. Die Autoren beziehungsweise Urheber aller dieser Witze sind unbekannt. Aus der Mitte des Volkes heraus sind sie entstanden, und eine spätere Nachprüfung hat ergeben, dass auch jene Witze, die in der Zeit ihrer Verbreitung bekannten Kabarettisten wie Werner Finck, Karl Valentin oder Weiß Ferdl in den Mund gelegt wurden, ihren wahren Ursprung in anonymen Volksschichten hatten.

Das Erzählen politischer Witze war im höchsten Grade gefährlich. Zwar wurden in den ersten Jahren der Naziherrschaft derartige Vorgänge noch als »Beleidigung« oder »Heimtücke« angesehen und demzufolge mit Gefängnis bestraft, aber man darf nicht vergessen, dass außer einer gerichtlichen Verurteilung die Verschleppung in ein Konzentrationslager drohte.

Ab Kriegsbeginn erfüllte das Erzählen eines politischen Witzes den Tatbestand der »Wehrkraftzersetzung« und unterlag in vielen Fällen der Todesstrafe. Insbesondere nach der militärischen Katastrophe von Stalingrad wurde eine witzige Äußerung über das faschistische System zu einem todeswürdigen Verbrechen. Die Aburteilung wegen derartiger »Delikte« war durch eine Verfügung Hitlers dem Volksgerichtshof übertragen worden.

Zu denen, die wegen Erzählens eines politischen Witzes vor dem Volksgerichtshof standen, gehörte - und dieses Beispiel möge an dieser Stelle für viele stehen - eine technische Zeichnerin, die ihren Mann im Krieg verloren hatte und in einem Rüstungsbetrieb arbeitete. Einem Angestellten hatte sie folgenden Witz zugetragen:

Hitler und Göring stehen auf dem Berliner Funkturm. Hitler sagt, er möchte den Berlinern eine Freude machen. Darauf Göring zu Hitler: »Dann spring doch vom Turm herunter!«

Die technische Zeichnerin wurde durch Urteil des Volksgerichtshofs vom 26.Juni 1943 mit dem Tode bestraft. Angesichts dessen, dass der Volksgerichtshof im darauffolgenden Jahr von 4379 Angeklagten 2097 zum Tode verurteilte, unter Welchen die Witzerzähler als »Defätisten« und »Wehrkraftzersetzer« einen beträchtlichen Teil ausmachten, kommt der Kategorie des politischen Witzes im faschistischen Deutschland eine besondere, in der historischen Forschung allerdings kaum beachtete gesellschaftliche Bedeutung zu.

Der Mangel einschlägiger Forschungen mag sich daraus erklären, dass eine Zeit, die von Verbrechen und Grausamkeiten derartig angefüllt ist wie die nazistische, nur schwerlich in Zusammenhang gebracht werden kann mit Dingen, die einer heiteren, wenngleich oft bitter-satirischen Betrachtung unterliegen. Witz und Faschismus - wie passt das zusammen?

Zweifellos fällt die Vorstellung schwer, dass es auch in der düstersten Epoche der deutschen Geschichte Menschen gab, die lachen konnten (wobei man freilich unterscheiden muss, worüber sie lachten), und zumindest beim Ansehen bestimmter Filme aus dieser Zeit - erinnert sei an Namen wie Hans Moser, Theo Lingen und Heinz Rühmann - werden junge Zuschauer von heute ihre Verwunderung nicht verbergen können. Tatsache bleibt, dass so erfolgreiche Schöpfungen der heiteren deutschen Literatur wie z. B. die Romane von Heinrich Spoerl, die Lustspiele von Curt Goetz, die Verse von Eugen Roth und vieles andere ausgerechnet in jener Zeit, die wir zu Recht als die barbarischste unserer gesamten Geschichte geißeln, entstanden sind!

Nein, das Lachen war nicht ausgestorben, es hatte nur einen anderen Hintergrund erhalten, einen oftmals tödlichen, wie im Fall des Zeichners E. O. Plauen, dessen witzige Bildergeschichten »Vater und Sohn« im ganzen Nazireich bekannt waren und belacht wurden und der sich infolge einer Denunziation in Freislers Todeszelle das Leben nahm. Und so seltsam es klingen mag: Auch die jüdischen Bürger bewahrten sich ihren Humor, und der jüdische Witz wurde zu einer Art Anker, an dem sie sich festklammerten, oftmals bis in die Vernichtungslager.

Der Witz im Deutschland der Jahre von 1933 bis 1945 hat seine besondere Geschichte, eine mit anderen Ländern und anderen Zeiten wenig vergleichbare. Ihn darzustellen und von den verschiedensten Seiten zu beleuchten, soll Aufgabe dieses Buches sein. Im Wesentlichen geht es um persönliche Erinnerungen; Wichtig ist es zu wissen, wann diese Witze erzählt wurden, unter welchen Umständen, wie man sie aufnahm, wer sie verbreitete und dergleichen mehr.

Ich habe während der Nazizeit nicht zielgerichtet Witze gesammelt; diese Tätigkeit ergab sich vielmehr aus meiner persönlichen Situation heraus. Väterlicherseits stamme ich aus einer jüdischen Familie, die zum großen Teil in Wien lebte, bin aber von den Eltern meiner Mutter in Eisleben aufgezogen worden und nur hin und wieder nach Wien gefahren, wo ich jedoch das letzte Kriegshalbjahr - nach der Flucht aus einem faschistischen Zwangsarbeitslager - in der Illegalität lebte.

Die Handlungsorte, wenn man sie als solche bezeichnen will, sind also Wien und Eisleben, zwei grundverschiedene Städte. Die Mentalität der Wiener ist eine andere als die der Menschen im Mansfelder Land. Aber eines hatten sie - vor allem in den letzten Kriegsjahren - gemeinsam: die innere Gegnerschaft zum Hitlerregime. Im »Roten Mansfeld«, dessen zentraler Sitz Eisleben war, gab es eine alte antifaschistische Tradition, und Wien war nach dem künstlich geschürten Rausch vom Anschlussjahr 1938 inzwischen ernüchtert und sehnte das Ende des Nazireichs herbei. Hier wie dort machten sich die Menschen mit erbitterten Flüsterwitzen Luft, und mein Tagebuch, das ich damals führte, enthält eine Fülle derartiger Beispiele.

Es wäre jedoch falsch, nur von Gegnern des Systems zu reden. Der Faschismus hatte eine Massenbasis, und es gab demzufolge auch Witze, die von den Verfechtern dieser Weltanschauung verbreitet wurden. Auch solche Geistesschöpfungen sind zu berücksichtigen. Sie werden heute zu einer Anklage gegen ihre eigenen Urheber. Im Ganzen haben wir es mit einer Zeit zu tun, die in der Rückschau ans Paradoxe grenzt, nur dass diese Paradoxie von der Mehrheit der Menschen nicht wahrgenommen wurde.

Der Flüsterwitz

Angesichts der terroristischen Atmosphäre, die durch das Hitlerregime geschaffen wurde, könnte der Eindruck entstehen, es habe sich bei den politischen Flüsterwitzen um Einzelerscheinungen gehandelt, hier und dort auftretend, aber durchaus selten, weil die Menschen nicht wagten, sich irgendwie oppositionell zu äußern.

Nichts ist falscher als diese Ansicht. Der Flüsterwitz durchzog alle Bereiche des persönlichen und öffentlichen Lebens, und ich habe beobachtet, dass sich sogar bei Nazikundgebungen einige Teilnehmer die neuesten Witze zu tuschelten. Auf sie mag zutreffen, was damals eine spöttische Bemerkung folgendermaßen ausdrückte:

Wenn sich zwei Deutsche nach einem Gespräch verabschieden, so deuten sie mit den Fingern aufeinander und sagen drohend: »Sie haben aber auch was gesagt!«

Diese Rückversicherung - für den Fall einer Anzeige mit einer Gegenanzeige zu antworten und damit dem eventuellen Denunzianten den Wind aus den Segeln zu nehmen - war keineswegs satirische Überspitzung, sondern ein Element des Alltags; denn jeder Witzerzähler gab sich seinem Gesprächspartner in gewisser Weise in die Hand, und nur die Mittäterschaft konnte Gewähr dafür bieten, unbehelligt zu bleiben.

Der Flüsterwitz schuf eine Gemeinschaft, deren einigendes Band die Opposition gegen Hitler war, und oft war er die einzige Möglichkeit, den wahren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Es war ein Akt des Widerstandes von Menschen, die ansonsten ohnmächtig dem sie bedrückenden System gegenüberstanden. Bemerkenswert ist, dass bereits in den ersten Jahren der Naziherrschaft die nominellen Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen zum Gegenstand von Flüsterwitzen wurden:

An einem SA-Lokal steht eines Tages mit Kreide angeschrieben: »Noch lebt die KPD!« Am nächsten Tag steht darunter: »Wer ist der feige Hund, der das geschrieben hat? Er soll sich melden!« Tags darauf steht darunter: »Keine Zeit! SA-Dienst.

Die Wirkung dieses Witzes kann nur begreiflich werden, wenn man die Zeit seiner Entstehung vor Augen hat: den Frühsommer 1934, als Hitler im Einvernehmen mit der Schwerindustrie und der Reichswehr - nicht zuletzt unter dem Druck von Göring und Himmler - die lästig gewordene SA unter Ernst Röhm ausschaltete. Es war dies ein Ereignis, das alle Familien bewegte, zumal die von Hitler abgegebene Erklärung, er sei einem Putschversuch der SA und ihrer homosexuell veranlagten Führer zuvorgekommen, Stoff für alle möglichen Mutmaßungen bot. In diese Zeit fallen die ersten politischen Witze, die ich bewusst aufnahm, darunter einer, der besonders in den Schulen verbreitet wurde:

»Weißt du, wann die Hermannsschlacht stattfand?« »Am 30.Juni 1934, Herr Lehrer, als Hermann die Röhmer schlug.«

Hierzu sei vermerkt, dass Göring weithin unter seinem Vornamen »Hermann« bekannt war und als größter Widersacher Röhms galt. Die Degradierung der SA zu einer Art Wehrsportorganisation und die damit verbundene Aufwertung von SS und Reichswehr gab allen möglichen Gerüchten Auftrieb, und es ist bezeichnend, dass um diese Zeit jene Anekdote kursierte, welche beinhaltete, der Kreisleiter einer kleinen Industriestadt in Sachsen habe die Aufforderung erhalten, alle ihm bekannten Meckerer listenmäßig zu erfassen und diese Liste sofort an die Gauleitung weiterzusenden. Darauf übersandte der Kreisleiter das Adressbuch der Stadt.

Was hier überspitzt dargestellt wurde, kam jedoch der Realität sehr nahe. Der Propagandaminister Goebbels hatte eine Aktion gegen Meckerer und Miesmacher eingeleitet, und ich erinnere mich, dass bei einem unserer Schulfeste, die alljährlich in der Eisleber »Terrasse« stattfanden, zwei Studienassessoren auftraten, die als »Meckermann und Nörglein« jene unzufriedenen Volksgenossen symbolisierten. Zu diesen unzufriedenen Volksgenossen gehörten offenbar auch jene, die das Gut Neudeck als das kleinste deutsche Konzentrationslager bezeichneten: es habe nur einen Gefangenen, nämlich Hindenburg.

Diese wenigen Beispiele erhellen, dass die ersten Nazijahre eine vielschichtige Plattform für satirische Angriffe boten. Die größten Folgen zeitigte jedoch die Einführung des Hitlergrußes, eine aus heutiger Sicht abnorm wirkende Gepflogenheit, die sich zum ersten Mal beim Naziparteitag 1926 in Weimar eingeschlichen hatte und sieben Jahre später zum offiziellen Gruß wurde. Es ist bezeichnend, dass sowohl Werner Finck und Karl Valentin als auch Weiß Ferdl für folgenden Witz herhalten mussten:

Eines Abends begrüßt einer von ihnen zur Vorstellung die Anwesenden ernst und würdig mit dem Hitlergruß. Das Publikum lacht schallend. »Weshalb lachen Sie?« fragt der Grüßende. »So hoch liegt der Schnee draußen!«

Zuweilen wurde der Hitlergruß gedeutet mit: aufgehobene Rechte! Von einem Drucker wurde berichtet, er sei zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil in seinem Blatt der deutsche Gruß mit »Heilt Hitler« wiedergegeben worden war. Die peinlich detaillierten Vorschriften zur Ausübung dieses Grußes - der Direktor unserer Schule achtete darauf, dass der Arm lang ausgestreckt wurde und die Hand genau in Augenhöhe lag - gaben immer neuen Witzeleien Nahrung. Mit diesem Gruß wurde eine unerschöpfliche Quelle zuweilen frappierender Witze erschlossen.

Meine Tante Irma gab zum Besten, wie ein junger Mann bei einer Jüdin klingelte und ihr das zum Passahfest rituell vorgeschriebene ungesäuerte Brot mit den Worten überreicht: »Heil Hitler, Frau Cohn! Ich bringe die Matze.« Wie man an diesem Beispiel sieht, machte der politische Witz vor nichts Halt, und wieder ist es Weiß Ferdl, dem man sogar einen Bericht über ein faschistisches Konzentrationslager in den Mund legte:

»Ich hab einen kleinen Ausflug gemacht, nach Dachau. Na - da sieht's aus! Stacheldraht, Maschinengewehre, Stacheldraht, nochmal Maschinengewehre und wieder Stacheldraht! Oaber, das soag i euch - wann i will - i kumm rein!«

Es mag aus heutiger Sicht - nach Aufdeckung der schweren, in den Konzentrationslagern begangenen Verbrechen - makaber erscheinen, dass sich der Volksmund dieses Themas bemächtigte, und doch muss man sagen: Wieviel Mut gehörte dazu, das Wort Dachau in den Flüsterwitz einzubeziehen. Allein das Weitererzählen eines solchen Witzes:

»Was gibt es für neue Witze?« »Sechs Monate KZ!«

konnte die Einlieferung in ein Konzentrationslager zur Folge haben. Das gilt nicht zuletzt für jenes Zwiegespräch, das man dem allmächtigen Reichsführer SS Heinrich Himmler und einem KZ-Häftling in den Mund legte.

Himmler: »Welches meiner beiden Augen ist aus Glas?« Häftling: »Das Linke.« Himmler: »Wie hast du das so schnell erkennen können?« Häftling: »Es sieht so menschlich aus.»

Ein Offizier soll nach der Sondermeldung vom 10.September 1943 zur Übernahme des Schutzes des Vatikans durch deutsche Truppen erklärt haben:

»Nun ist der Papst dem Himmler näher als dem Himmel.«

Ich erinnere mich auch, dass Ende 1944 einer meiner Mithäftlinge im Zwangsarbeitslager Sitzendorf-Unter-Weißbach, einem Nebenlager von Buchenwald, in Bezug auf neue verschärfte Anordnungen der Lagerleitung äußerte: »Das macht alles der Herr Himmelreich!« Der Name war sozusagen der einzige Anknüpfungspunkt, und in der Tat wurde Himmler in weiteren Flüsterwitzen kaum erwähnt. Hauptangriffsfläche war neben Hitler die NSDAP, und in dieser Hinsicht machte vor allem folgender Witz die Runde:

Vor Gericht stehen drei Angeklagte. Sie werden beschuldigt, einen Parteigenossen verprügelt zu haben. Überraschenderweise kommen sie mit der milden Strafe von zwei Jahren Gefängnis davon. Im Urteil wird diese Milde folgendermaßen begründet: »Angesichts der Verwerflichkeit der Tat war zwar eine ungleich höhere Strafe angemessen, doch hat das Gericht als strafmildernd gelten lassen, dass den Angeklagten ihre Täterschaft in keiner Weise nachgewiesen werden konnte.«

Nicht nur Tätlichkeiten gegenüber faschistischen Funktionären, sondern auch bloße Beleidigungen wurden von den Gerichten schärfstens geahndet. So bestätigte der I. Strafsenat des Reichsgerichts durch Urteil vom 17. April 1934 die Verurteilung eines Mannes zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe, weil er in einem Friseurgeschäft am 26.April 1933 geäußert hatte: »Die SA und SS sind lauter Lumpe!«

Die Bezeichnung »Lump« fand übrigens Eingang in zahlreiche Flüsterwitze, deren Aggressivität während des Krieges ständig zunahm. Einer dieser Witze wurde mir in der Illegalität in Wien zugetragen, wo ich vom Sommer 1943 bis zum Sommer 1944 wohnte. In dieser Zeit lernte ich den Musikprofessor Rudolf Kleiner kennen, einen Antifaschisten, der mich nach der späteren Flucht aus dem Zwangsarbeiterlager in seinem Domizil in der Mittelgasse beherbergte. Damals bekam ich auch Verbindung zu einer Familie Lettocha im neunten Bezirk (meine eigenen Verwandten waren teils in Auschwitz, teils in der Emigration). Da Frau Lettocha Jüdin war, wurde deren Wohnung zu einem kleinen Zentrum rassisch Verfolgter. Ein großer Teil der mir bekannt gewordenen Flüsterwitze stammt aus diesem Kreis. Und um auf den erwähnten Witz zurückzukommen: Eines Tages erschien ein junger Mann, ebenfalls Verfolgter des Regimes, und erzählte:

Ein Mann trägt einen schweren Sack auf dem Rücken und wird unter dem Verdacht, ein Schieber zu sein, von einem Gendarmen gestellt. »Was haben Sie in dem Sack?« schnauzt dieser ihn an. Der Mann setzt mühsam den Sack ab. »Die Regierung«, sagt er. »Was?« entrüstet sich der Gendarm, öffnet den Sack, schüttet ihn aus, und es kommen nur Fetzen von alten Kleidungsstücken zum Vorschein. »Das sind doch lauter Lumpen!« Der Mann erwidert hastig: »Das haben aber jetzt Sie gesagt, Herr Wachtmeister!«

Um diese Zeit - Ende 1944 - richteten sich die Attacken des Flüsterwitzes nicht mehr gegen nebensächliche Dinge oder Begleiterscheinungen des faschistischen Systems, sondern gegen das System selbst, im genannten Fall gegen die Regierung, die ungeschminkt mit Lumpen verglichen wurde. Aber dies war beileibe keine Wiener Eigentümlichkeit. So wurde aus Hamburg berichtet:

Fietje und Tetje stehen mit Sammelbüchsen auf der Straße. Fietje erscheint alle Augenblicke mit voller Büchse auf der Sammelstelle, um sich eine neue leere Büchse zu holen; Tetje bekommt fast nichts. »Wie mockst du dat bloß, dat du so veel insammelst?« fragt Tetje. »Dat is doch ganz licht«, grient Fietje, »ick flüster immer: Dat is ne Sammlung för de neue Regierung!«

Diese Beispiele machen deutlich, dass es sich um Ausdrucksformen des Widerstandes handelte, um eine Art geistige Waffe, die von den im allgemeinen hilflos zusehenden Bürgern ergriffen wurde, um wenigstens auf diese Weise einen Teil zu der ihnen versagt gebliebenen anderweitigen Aktivität beizutragen. Inwieweit sie sich damit selbst in Gefahr brachten, zeigen die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, die in vielfältiger Weise auf derartige Dinge eingehen. So wurde am 9. Oktober 1939 die kommunistische Umdichtung des Horst-Wessel-Liedes angeprangert und die Tatsache beklagt, dass in Köln und Heidelberg bei der Leerung von Briefkästen Zettel gefunden wurden, die Sticheleien gegen Hitler und Goebbels enthielten.

1943 musste ich eine besondere Prüfung wegen Umdichtung bestehen: Ich hatte in der Eisleber Gaststätte »Goldene Kugel«, in der durchweg antifaschistisch eingestellte Arbeiter verkehrten, ein selbstverfasstes Gedicht über Stalingrad vorgetragen, das die Wende des Krieges und den bevorstehenden Sieg der Sowjetunion zum Inhalt hatte. Ein Vorbeigehender muss das verraten haben, denn ich wurde wenig später zur Polizeiwache abgeholt. Der dortige Wachtmeister, der darüber zu entscheiden hatte, ob ich an die Gestapo überführt werden sollte, hielt mir die Beschuldigung vor, und ich erklärte, dass mein Gedicht die Ausdauer der deutschen Soldaten lobe und dass ich mich wundere, hierfür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Nun forderte er mich auf, das Gedicht aufzuschreiben. Instinktiv dichtete ich um. Aus den Anfangszeilen

»Endlos, geschlagen, durch Eis und Schnee ziehn die Kolonnen der sechsten Armee«

wurde:

»Kühn und verwegen durch Eis und Schnee ziehn die Kolonnen der sechsten Armee«

und so ging es weiter bis zu den letzten zwei Zeilen, an denen ich gar nichts mehr zu ändern brauchte, weil es auf den Blickwinkel ankam:

»Sprecht ihr von Helden und göttlicher Tat, denkt an ein Wort nur: Stalingrad!«

Der Wachtmeister rief den für Eisleben zuständigen Gestapobeamten, einen gewissen Hoppach, an und las ihm das Gedicht vor. »Dagegen ist nichts einzuwenden«, entschied dieser, und ich wurde entlassen. Soviel zum Thema »Umdichtung«, auf welches ich später - bei Besprechung einiger Parodien - noch zurückkommen werde.

Ein Lagebericht des Sicherheitsdienstes der SS vom 9. Juli 1942 vermerkt »eine in letzter Zeit verstärkt feststellbare Anfälligkeit gegenüber Flüsterparolen, die sich bei den Männern in einer größeren inneren Bereitschaft für nahezu ausschließlich durch ihre Gehässigkeit wirkende politische Witze und bei den Frauen in einer auffallenden Leichtgläubigkeit von irgendwelchen Gerüchten und 'dunklen' Prophezeiungen zeigt«.

Im Lagebericht vom 8. Juli 1943 wird festgestellt, dass das Erzählen von staatsabträglichen und gemeinen Witzen, selbst über die Person des Führers, seit Stalingrad erheblich zugenommen hat. Bei Gesprächen in Gaststätten, Betrieben und sonstigen Zusammenkünften erzählen die Volksgenossen sich gegenseitig die 'neuesten' politischen Witze und machen dabei vielfach keinen Unterschied zwischen solchen einigermaßen harmlosen Inhalts und eindeutig gegnerischen. Selbst Volksgenossen, die sich kaum kennen, würden politische Witze austauschen.

Aber nicht nur die Erzähler von Witzen wurden zur Rechenschaft gezogen, sondern oft waren bestimmte gemachte oder unterlassene Gesten für die Gestapo Anlass einzugreifen. In Köln beispielsweise wurde ein Bürger verhaftet, weil er einer herannahenden Fahnenkolonne von Faschisten in - wie die Gestapo feststellte - »böswillig verächtlichmachender Weise den Rücken zukehrte.«

Bis zum Sommer 1939 hatten die Faschisten etwa eine Million Männer, Frauen und Jugendliche für kürzere oder längere Zeit in Haft gehalten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich rund 300000 Hitlergegner in Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern. Die darauffolgenden Kriegsjahre brachten eine unermessliche Steigerung dieser Zahlen, aber auch - wie der zitierte Lagebericht aus dem Jahre 1943 zeigt - eine Zunahme der geistigen Auflehnung. Der Flüsterwitz wurde zu einer wichtigen, für viele Bürger einzigen Form eines Aufbegehrens, und immer mehr setzte sich jene Erkenntnis durch, die ein weitverbreiteter Satz der damaligen Zeit kurz und treffend ausdrückte:

»Alle Wege führen nach Rom - aber alle Straßen Hitlers führen nach 'Irrland'!«

Es ist unschwer zu erkennen, dass es sich beim politischen Witz der Nazizeit nicht um irgendwelche bedeutungslosen Scherze handelt - vergleichbar etwa den Stammtischwitzen philisterhafter Prägung -, sondern um gezielte, oftmals feinsinnige Spitzen, die eine gewisse Kenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge voraussetzten. Sie waren an den klassenbewussten Arbeiter ebenso gerichtet wie an den kritischen Intellektuellen, und ihr Hauptmerkmal bestand darin, dass sie in wenigen Worten eine Fülle von Nebengedanken und Konsequenzen bargen. In ihrem Aufbau ähnelten sie einer bestimmten Kunstform, nämlich der literarischen Miniatur:

Frage: »Können Sie mir einen deutschen Minister nennen - intelligent und arisch -, dessen erste Namenssilbe 'Gö' lautet?« »Göring.« »Ich sagte: Intelligent!« »Goebbels.« »Ich sagte: Arisch!« (Auflösung: Goethe!)

Schlag auf Schlag wurden drei Hiebe auf einmal verteilt: der erste gegen Göring, dem man jegliche Intelligenz absprach; der zweite gegen Goebbels, an dessen Arität man zweifelte; der dritte gegen die Ministerrunde als solche, von der sich die Gestalt Goethes leuchtend abhob. Shakespeares Wort: »Da Kürze denn des Witzes Seele ist«, dürfte hier voll zutreffen, wobei der Seitenhieb auf Goebbels der frappanteste ist - wird doch damit einem Manne, der neben Julius Streicher als der größte Judenhetzer galt, das unterschoben, was er fanatisch bekämpfte.

Goebbels, dessen Doktorvater ein jüdischer Professor war, stand bereits in den zwanziger Jahren in dem Ruf, nicht »rein arisch« zu sein, und Kurt Tucholsky ließ in einer Glosse über eine Naziversammlung, in der Goebbels den Ruf: »Juden raus!« provozierte, eine Stimme ertönen: »Den Anwesenden natürlich ausgenommen!« Die Verdachtsäußerung bezüglich der Abstammung bestimmter Naziführer war ein beliebtes Mittel, um jene Rassenfanatiker mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Teilweise waren - wie sich später herausstellte - diese Verdachtsmomente begründet (z.B. bei Alfred Rosenberg), meistens jedoch wurde durch gezielte Vernichtung der Abstammungsunterlagen allen weiteren Verdächtigungen ein Riegel vorgeschoben, wie es beispielsweise auch im Fall Hitler alias Schickelgruber, dem man die Abstammung von einem Grazer Juden namens Frankenberger nachsagte, geschehen ist.

In der Bevölkerung verstummten jedoch die besagten Gerüchte nie, und ich erinnere mich, dass im Hause meiner Großeltern bemerkt wurde, Görings Luftwaffengeneral Milch sei Halbjude, und meine Mutter zitierte Görings bekannten, vom Wiener Bürgermeister Lueger entlehnten Ausspruch: »Wer Jude ist, bestimme ich!« Es war dies die Zeit, als der Volksmund behauptete, Göring sei tüchtiger als Jesus; denn Jesus habe zwar aus Wasser Wein, Göring aber aus Milch einen General gemacht.

Ganz im Stile einer literarischen Miniatur - und zugleich als Attacke auf den geistigen Horizont der braunen Machthaber - ist folgende Anekdote gestaltet:

Die Partei ist der Ansicht, dass die Universität etwas für den Glanz ihrer Prominenten tun müsse, und beantragt, Himmler und Ley den Ehrendoktortitel zu verleihen. Der Rektor ist dazu bereit, erklärt aber eine kleine, ganz formelle Prüfung für unerlässlich und lädt beide Herren zu sich. Im Laufe der Unterhaltung stellt er Himmler die Frage: »Wer hat den Wallenstein ermordet?«, worauf Himmler erregt erklärt, das gehöre nicht hierher und er sei es außerdem bestimmt nicht gewesen. Ley, dem die gleiche Frage vorgelegt wird, sagt, er habe so viel mit KdF-Reisen zu tun, dass er sich nicht um jeden ermordeten Juden kümmern könne. Der Rektor begibt sich zur Audienz in die Reichskanzlei, erzählt Hitler die Geschichte und bemerkt, dass bei dieser Sachlage die Verleihung eines Ehrendoktors schwierig sei. Hitler darauf: »Ley hat ganz recht. Die Hauptsache ist, dass der Jude tot ist. Der Doktorgrad ist zu erteilen!«

Es ist dies eines der wenigen Beispiele, in denen Himmler vorkommt, doch ist dieser nicht die Hauptperson. Vielmehr wird, einer in der literarischen Kunstform der Satire oft geübten Praxis folgend, eine sich steigernde Dreigliederung vorgenommen (vergleichbar dem oben zitierten Goethe-Witz) und über Ley unter Anspielung auf dessen KdF-Seligkeit geradewegs auf Hitler zugesteuert, der schließlich die Summe der Torheiten beider in sich vereinigt.

»Kraft durch Freude« fährt nach Helgoland.

Jeder Volksgenosse muss mal an die See!

Sechs Mark achtzig,

die Sache macht sich.

Und den Rest bezahlt die NSDAP!«

Einige Jahre später - ungefähr 1940 - ging die parodistische Umformung dieser Bezeichnung ins Vulgäre, so dass zum Beispiel der damals populäre Schlager »Am Abend auf der Heide, da küssten wir uns beide« umgedichtet wurde in: »Am Abend auf der Heide verlor ich Kraft durch Freude« - ein Zeichen, wie diese Organisation jeden Respekt verloren hatte und ihr Name nur noch für Obszönitäten Verwendung fand.

Auch der zur Rettung des Ansehens gedrehte Film »Petermann ist dagegen« konnte nichts mehr bewirken, obwohl man hierzu den Komiker Ernst Waldow bemühte, der als weltfremder Buchhalter auf einer KdF-Reise »umgekrempelt« werden sollte. Folgender literarisch gestalteter Flüsterwitz unterlag ebenfalls der erwähnten Dreigliederung:

Eine Frau hat das Pech, dass ihr Papagei eines Tages vom offenen Fenster auf die Straße herunterschreit: »Nieder mit Hitler! Nieder mit dem Nazigesindel!« Natürlich erfolgt Anzeige, und sie muss sich schweren Herzens mit dem Papagei als Beweisstück zum Gericht begeben. Unterwegs trifft sie den Pfarrer und klagt ihm ihr Leid. »Liebe Frau«, sagt der, »ich habe auch einen Papagei, nehmen Sie den mit und behaupten Sie einfach, der Papagei habe nichts Derartiges gesagt!« Die Frau tauscht hoffnungsvoll den Papagei aus und leugnet vor Gericht die defätistischen Äußerungen des Vogels. Der Richter sucht sie zu überführen, indem er dem Papagei die Worte vorspricht: »Nieder mit Hitler! Nieder mit dem Nazigesindel!« Der Vogel schweigt. Die Beisitzer beteiligen sich und sprechen dem Papagei den ominösen Satz immer und immer wieder vor. Schließlich dröhnt der ganze Saal, so strengt der Gerichtshof seine Lungen an: »Nieder mit Hitler! Nieder mit dem Nazigesindel!« Da gibt der Papagei plötzlich seine passive Haltung auf und krächzt: »Der Herr erhöre unser Flehen!«

Im Grunde nimmt dieser Witz die Form einer literarisch äußerst wirksam gestalteten Kabarettszene an. Man hat förmlich den Gerichtshof vor Augen; der Pfarrer, der die Sache eingefädelt hat, ist völlig vergessen - und plötzlich, mit der Schlusspointe, wird er zur Hauptperson: er ist es letztendlich, der den Papagei so abgerichtet und das entstandene Dilemma heraufbeschworen hat. Der Pfarrer war in der Witzgestaltung eine oft und gern verwendete Persönlichkeit:

Sepp Muckenhuber geht wieder einmal beichten. »Ist es eine Todsünde, Hochwürden«, fragt er, »wenn ich so eine Viechswut auf einen hab', dass ich ihm den Tod wünsch'?« »In diesem besonderen Fall nicht«, sagt der Pfarrer.

Jeder, der im Nazireich diesen Witz hörte, wusste, wer mit den Worten des Pfarrers gemeint war. Der ästhetische Grundsatz »Kein Wort zu viel«, der besonders für politische Witze gilt, wurde hier gewahrt, und zu meinen eigenartigsten Beobachtungen während der Nazizeit gehört die Tatsache, dass sich dieselben Witze - von verschiedenen Personen an verschiedenen Orten erzählt - um ein Haar glichen und kaum ein Wort verändert wurde. Das betrifft sogar längere Passagen, wie sie in folgendem Pfarrerwitz enthalten sind:

Der Pfarrer sprach von der Kanzel die Worte: »Die Lüge hinkt heute durch das Land, und die Wahrheit ist verloren!« Ein Gestapo-Mann hatte die Predigt heimlich überwacht; so wurde der Pfarrer vor die Gestapo zitiert. »Haben Sie bei Ihren Worten an eine Persönlichkeit unserer Regierung gedacht?« wurde er gefragt. »Wie sollt' ich wohl dazu kommen?« erwidert der Pastor. »Nun, unser Herr Propagandaminister hinkt doch bekanntlich!« »Aber lügt er denn auch?«

Der feine Hieb, dem Gestapobeamten die eigenen Gedanken zu unterschieben, wurde auch in einem Flüsterwitz angewandt, der vorwiegend in Gaststätten verbreitet wurde:

Ein Herr bestellt im Restaurant nacheinander verschiedene Speisen, Getränke, Zigarren und Zigaretten, erhält aber jedes Mal die Auskunft, dass nichts mehr vorhanden sei. Er gerät in Wut und ruft aus: »Und das alles wegen dem einen!» Zwei Herren am Nebentisch geben sich als Gestapobeamte zu erkennen und verhaften ihn. Beim Protokoll gibt er alles zu, sagt aber auf die Frage, wen er gemeint habe: »Natürlich Churchill!« Als die Beamten stutzen, fügt er hinzu: »Wen haben denn Sie gemeint?«

Angesichts einer solchen, in diesem Witz skizzierten Atmosphäre ist es nicht verwunderlich, dass im Volksmund die katholischen Marientage umbenannt wurden. Sie hießen jetzt:

Maria Denunziata

Maria Haussuchung

Maria Gefängnis

Übrigens hatte sich in der evangelischen Kirche eine Richtung herausgebildet, die sich »Deutsche Christen« nannte, beziehungsweise »Deutsch-Christliche Einung«, eine Gruppe beflissener, sich opportunistisch anpassender Kirchenmitglieder, an denen der Flüsterwitz ebenfalls nicht vorüberging. Zur Charakterisierung dieser Personen - und zum Verständnis des folgenden - sei erwähnt, dass es in Eisleben einen Pastor gab, der dieser Richtung angehörte, seine Religionsschüler auf altpreußische Art mit Ohrfeigen traktierte und ihre Konfirmationsurkunden mit einem Hitler- oder Goebbelszitat versah. Man kann annehmen, dass es in anderen Städten ähnliche Erscheinungen gab, so dass der folgende Witz durchaus seine Existenzberechtigung hatte:

Ein evangelisch getaufter Jude hört die Predigt eines Pfarrers, der sich zu den »Deutschen Christen« bekennt. Geduldig lässt der Mann die schwersten antisemitischen Ausfälle über sich ergehen. Er möchte sich nicht aus der Gemeinde der Gläubigen ausschließen lassen. Schließlich beginnt der Pfarrer eine wüste Hasstirade gegen die Juden. Der Jude schwankt: soll er nun gehen oder nicht? Da spürt er plötzlich, wie sich eine Hand auf seine Schulter legt, und hört, wie eine sanfte Stimme zu ihm sagt: »Nun müssen wir beide aber wohl gehen.« Es ist Jesus.

Charakteristisch für derartige, oftmals intellektuell angelegte, immer aber nach bestimmten literarischen Prinzipien aufgebaute Witze war, dass sie die Zuhörerkreise in Stadt und Land gleichermaßen ansprachen. Man kann sogar sagen, dass sie auf dem Lande größeren Widerhall fanden, weil es dort weniger Spitzel gab und einer den anderen kannte. jedenfalls war mein langjähriger Nachbar, ein alter Eisleber Bauer, in dieser Hinsicht für mich eine Fundgrube, und viele der hier wiedergegebenen Witze hörte ich aus seinem Munde, zum Beispiel diesen:

Der Hund vom Gastwirt Zieger wurde von einem Auto totgefahren. Im Auto saßen aber Hitler, Göring und Goebbels, denen der Vorfall peinlich war, weil ihre Volkstümlichkeit dadurch hätte Schaden nehmen können. Goebbels wurde deshalb abgeordnet, um den Gastwirt in passender Weise zu versöhnen. Nach seiner Rückkehr berichtete Goebbels: »Ich trat in die Gaststube, wandte mich zum Wirt und sagte nur: 'Heil Hitler! Der Hund ist tot!' Den Jubel hättet ihr hören sollen!«

Es war dies einer jener Witze, die wegen ihrer drastischen Pointe noch lange im Bewusstsein hafteten, und der Gruß: »Heil Hitler! Der Hund ist tot!« wurde zu einem geflügelten Wort. Noch Wochen danach begrüßten wir uns nicht anders. Den Hitlergruß hatte noch folgender Witz zum Gegenstand:

Hitler besucht die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, die früher die Bezeichnung »Irrenanstalt« trug. Die Patienten sind in geschlossenem Block aufgestellt und begrüßen ihr Staatsoberhaupt infolge langer Instruktion sehr hübsch mit dem deutschen Gruß. Hitler sieht jedoch, dass sich einige Arme nicht zum Gruß erheben. Befremdet fragt er: »Warum grüßen Sie nicht?«, Worauf ihm geantwortet Wird: »Mein Führer, Wir sind die Wärter; wir gehören nicht zu den Verrückten!«

Hier wird augenscheinlich, was die meisten derartigen Witze bezweckten: Der unterdrückte Bürger ging gegenüber seinem Herrscher auf geistige Distanz. Er verbannte die faschistische Idee in das Reich der Verrückten und kam damit der Wahrheit sehr nahe. Besonders in den Kriegsjahren wurde die Konfrontation von geistloser Macht auf der einen und ohnmächtiger Weisheit auf der anderen Seite in der Gestaltung literarischer Flüsterwitze ausgebaut:

Hitler erfährt, dass im Konzentrationslager Theresienstadt ein alter Wunderrabbi sitzt, der prophetische Gaben hat. Sofort lässt er ihn zu sich bringen. »Wer wird siegen?« fragt er ihn. »Da muss ich das Münzorakel befragen«, antwortet der Rabbi. »Wie geht das?« »Wenn die Münze so fällt, dass der Adler oben ist, dann siegt Russland.« »Und was ist, wenn der Kopf oben ist?« »Dann siegt England.« »Und sonst gibt es keine Möglichkeit?« »O ja! Die Münze kann auch so fallen, dass sie auf der Kante stehenbleibt.« »Und was ist dann?« »Dann siegt Frankreich.« »Ist das alles?« braust Hitler auf. »Nein. Vielleicht tut Gott ein Wunder, und die Münze bleibt in der Luft hängen. Dann siegt die Tschechoslowakei.«

Die Bloßstellung des »Führers« und die damit zusammenhängende Lächerlichmachung seines Größenwahns konnte kaum wirkungsvoller aufgezeigt werden. Auch ein im Sommer 1940 angesiedelter Flüsterwitz zielt in diese Richtung:

Nach dem Sieg über Frankreich steht Hitler an der Kanalküste und schaut sehnsüchtig zum Kreidefelsen nach Dover hinüber. »Wie komme ich nur dahin?« fragt er seine Mitarbeiter. Keiner weiß Rat. Nur Goebbels meldet sich: »Wie sind die Juden durchs Rote Meer gekommen?« fragt er. »Moses hat das Wasser geteilt!« Hitler schnauzt den Reichsführer SS Himmler an: »Her mit dem Mann!« Sofort werden alle Konzentrationslager durchgekämmt. Moses wird gefunden und zu Hitler gebracht. »Wie hast du das Rote Meer geteilt?« »Mit einem Stab.« »Her damit! Wo ist der Stab?« »Im Britischen Nationalmuseum in London.«

Gesichter und Gelichter

Zu den Eigentümlichkeiten der in der Nazizeit entstandenen politischen Witze gehört, dass sie überwiegend persönlichen Charakter hatten. Der Volksmund nahm die ihm offenbar mehr anschaulich gewordenen verhassten Repräsentanten aufs Korn. Die betreffenden Personen boten sowohl in ihrer äußeren Erscheinung als auch in ihren Lebensgewohnheiten genügend Stoff für satirische Spitzen.

Berücksichtigt man ferner, in welch großem Maße jeder - auch der unpolitische - Witz vom Anschaulichen lebt, ist das Überwiegen personifizierter Attacken nicht verwunderlich. Und noch etwas ist zu bemerken: Selbst in den Fällen, in denen sich ein Witz gegen die Nazipartei oder gegen die Aufrüstung wendet, also sachliche Zielpunkte hat, wird irgendeine Person zu Hilfe genommen, um überhaupt eine Wirkung erzielen zu können. Der Begriff »Schwerindustrie« wird erst anschaulich, wenn ein Industrieller auftaucht, und das »Großkapital« bleibt ohne einen Repräsentanten ein armseliges Wort.

Der Flüsterwitz hat seine eigenen Gesetze, und vielleicht liegt gerade in seiner Unbekümmertheit - man könnte auch sagen: seiner verblüffenden Vereinfachung - eine große Stärke; denn er sollte jedermann verständlich sein, und das konnte er nur mit knappen anschaulichen Mitteln. Eines dieser Mittel war der Angriff auf führende Personen des faschistischen Regimes.

Der Mächtige

Bereits bei seinen ersten Auftritten sorgte Hitler, der dem unwiderstehlichen Drang verfallen War, sich ständig in der Öffentlichkeit zu produzieren, für angemessene Unterhaltung und bot Stoff für Witzeleien aller Art. Aus der Frühzeit seiner agitatorischen Tätigkeit möge die »Münchner Post« (Nr. 125) vom 1.Juni 1920 zitiert werden:

»Es sprach Herr Adolf Hitler, der sich mehr wie ein Komiker benahm. Sein coupletartiger Vortrag enthielt in jedem dritten Satz den Refrain: Schuld sind die Hebräer!«

Politische Harlekinaden am laufenden Band, dabei ein sich immer mehr vergrößerndes Publikum, das nicht - wie es richtiger gewesen wäre - über seine Worte lachte, sondern sie ernst nahm, und darüber hinaus kräftige Finanzspritzen durch die Monopolbourgeoisie, das alles charakterisierte den Aufstieg jenes Mannes. Was übrigens seine Reden betrifft, so berühre ich hier eine eigene persönliche Beziehung. Ich hatte mich im Jahre 1942 als damals Achtzehnjähriger einer antifaschistischen Widerstandsgruppe in Eisleben angeschlossen, die unter Leitung des Bautechnikers Willi Wieser stand, der bereits 1933 im KZ gewesen war und nun innerhalb der Baufirma Rost eine zielgerichtete politische Tätigkeit entfaltete. In dieser Widerstandsgruppe verfasste ich Flugblätter unter dem Titel »Also sprach Adolf Hitler«, d. h., ich stellte Auszüge aus seinen Reden den Tatsachen gegenüber und verteilte die Blätter unter der Arbeiterschaft. Auch der Betriebsinhaber erhielt ein solches Flugblatt von seinem Sohn, las und verbrannte es, ohne mich anzuzeigen. Solche Betriebsinhaber gab es also auch.

In meinem großelterlichen Hause in Eisleben wurde jede Hitlerrede im Radio aufmerksam - und vor allen Dingen kritisch - verfolgt, und ich erinnere mich beispielsweise, dass mein Großvater, der Fahrsteiger Hellmuth Ecke, als Hitler in seiner Reichstagsrede vom 11. Dezember 1941 spöttisch bemerkte: »Wenn Herr Churchill oder Herr Roosevelt erklären, dass sie später eine neue soziale Ordnung aufbauen wollen, dann ist das ungefähr so, als wenn ein Friseur mit kahlem Kopf ein untrügliches Haarwuchsmittel empfiehlt«, hinzufügte: »Jetzt macht er auch noch Witze!«

In der Hauptsache wurden allerdings Witze über Hitler selbst gemacht. Eine Antwort auf den Gruß »Heil Hitler!« lautete häufig: »Bin ich Psychiater?« »Warum schreien in Deutschland jetzt alle Leute so laut 'Heil Hitler'?« fragte einer. Er erhielt die Auskunft: »Weil sie in Deutschland keinen 'Guten Tag' mehr kennen.«

In Österreich setzte sich der Hitlergruß nur schwer durch. Insbesondere die Wiener, die bei jeder Gelegenheit betonten, der Nationalsozialismus sei »ka Weltanschauung, sondern a Strapazen«, blieben bei ihrer gewohnten Großform oder formten das Verlangte sinnig um: »Küss d'Hand, gnä'Frau, und a fesches 'Heil Hitler' an Herrn Gemahl!« Als Beispiel einer besonders witzigen Persiflierung sei folgende Episode erwähnt:

Eine Berliner Firma schließt ihren Geschäftsbrief an ein Amsterdamer Kaufhaus routinemäßig mit der Floskel: »Mit deutschem Gruß: Heil Hitler!« Der holländische Geschäftspartner schließt sein Antwortschreiben mit folgenden Worten: »Mit holländischem Gruß! Und unsere gute Königin Wilhelmina lässt auch schön grüßen.«

Einem Deutschen, der einen Schweizer mit »Heil Hitler!« begrüßte, antwortete dieser: »Heil Hodler! Wir haben auch einen Maler!«

Ein Jude will seinen Namen ändern lassen. »Wie heißen Sie denn?« »Adolf Stinkfuß.« »Ja - da muss man schon Verständnis haben. Und wie möchten Sie heißen?« »Moritz Stinkfuß.«

Alle diese Beispiele sind auch heute noch völlig aus sich heraus verständlich. Anders verhält es sich hiermit: Churchill soll einem Korrespondenten der »Times« erklärt haben, Hitler habe es leicht, den Krieg zu gewinnen, da er nur gegen Betrunkene, Verrückte und Paralytiker zu kämpfen habe, er dagegen habe als Gegner den größten Feldherrn aller Zeiten.

Hier muss man zum näheren Verständnis daran erinnern, dass Hitler die in dem Witz von Churchill herangezogenen Bezeichnungen tatsächlich in den Mund genommen hat, was natürlich, als dieser Witz kursierte, allgemein bekannt war. Der Vollständigkeit halber seien einige Zitate aus seinen Reden wiedergegeben:

»Es wäre schöner, wenn man achtenswerten Kämpfern sich gegenübersähe und nicht diesem Zeug, dieser Fabrikware der Natur.« (15.3. 1932)

»Unsere Gegner sind kleine Würmchen.« (22.8. 1939)

»Ich habe im Innern und nach außen nur das Unglück gehabt, gegen lauter Nullen kämpfen zu müssen.« (24.2.1940)

»Für mich und meine Mitarbeiter ist es daher oft geradezu eine Beleidigung, uns mit jenen demokratischen Nullen abgeben zu müssen, die selbst noch auf keine einzige wahre große Lebensleistung zurückzublicken in der Lage sind.« (3.10.1941)

»Dieser Schwätzer und Trunkenbold Churchill, was hat er wirklich an besonderen Werten geschaffen, dieses verlogene Subjekt, dieser Faulpelz ersten Ranges? Und von seinem Spießgesellen im Weißen Haus möchte ich dabei gar nicht reden, denn dieser ist nur ein armseliger Irrer.« (30.1.1942)

»Wenn ich einen Gegner von Format hätte, dann könnte ich mir ungefähr ausrechnen, wo er angreift. Wenn man aber militärische Kindsköpfe vor sich hat, da kann man natürlich nicht wissen, wo sie angreifen, es kann ja auch das verrückteste Unternehmen sein. Und das ist das einzig Unangenehme, dass man bei diesen Geisteskranken oder ständig Betrunkenen nie weiß, was sie anstellen werden.« (30.9.1942)

Obwohl die unmittelbar Zuhörenden stürmisch applaudierten, hatte sich ein Großteil der Bevölkerung seine eigene Meinung über Hitler gebildet.

»Was ist der Unterschied zwischen Hitler und einem Leberkranken?« wurde gefragt, und die Antwort lautete: »Der eine ist leberleidend, der andere leider lebend!«

Ein ähnlicher Gedanke lag folgender Anekdote zugrunde:

Als Hitler im November 1939 kurz vor der Explosion einer Höllenmaschine den Bürgerbräukeller verlassen hatte und aus diesem Zufall oder Regieeinfall die Vorsehung gepriesen wurde, die damals und später in so wunderbarer Weise den Führer erhielt, da fand sich an der Attentatsstelle eine Tafel mit der Inschrift: »Dem leider zu früh Heimgegangenen!«

Auch Hitlers vermutete Paralyse fand Eingang in die Witzerzählungen, was nicht zuletzt dem Umstand zuzuschreiben ist, dass er weithin dafür bekannt war, in Zuständen der Erregung in den Teppich zu beißen. So wird berichtet, dass er beim Aussuchen eines Teppichs für seine Reichskanzlei von der Verkäuferin gefragt wurde: »Wollen der Herr Führer ihn gleich essen oder soll ich ihn einpacken?«

Die ersten Anregungen, mit Hilfe des gesprochenen Wortes Einfluss zu gewinnen, hat Hitler im Jahre 1910 - also noch während seines Aufenthaltes im Wiener Obdachlosenasyl - erhalten. In dem Film »Der Tunnel« (nach dem gleichnamigen Roman von Bernhard Kellermann) trat ein Volksredner auf, der die arbeitenden Massen durch seine Reden in Aufruhr versetzte. Dieser Film faszinierte Hitler so stark, dass er tagelang von nichts anderem sprach als von der Macht der Rede. Er besorgte sich bald darauf den Roman und berauschte sich an den gewagten Superlativen, vor allem an der Redewendung »aller Zeiten«, die zu einem seiner Lieblingsausdrücke werden sollte.

So nannte er den ersten Weltkrieg den »blutigsten Krieg aller Zeiten« (30.1.1937), das Winterhilfswerk »größtes soziales Werk aller Zeiten« (5.10.1937), den Westwall die »gewaltigste Leistung aller Zeiten« (12.9.1938), den Versailler Vertrag den »größten Wortbruch aller Zeiten« (8. 9.1939), den Fall von Dünkirchen die »größte Schlacht aller Zeiten« (5. 6.1940), Dr. Todt den »größten Straßenbaumeister aller Zeiten« (12.2.1942) und Franklin D. Roosevelt den »größten Kriegsverbrecher aller Zeiten« (13.4.1945).

Als Redner Erfolg zu haben, war sein Ziel. »Die Macht aber«, hatte er in seinem Elaborat »Mein Kampf« geschrieben, »die die großen historischen Lawinen religiöser oder politischer Art ins Rollen brachte, war seit urewig nur die Zauberkraft des gesprochenen Wortes.« Das erwähnte Buch »Mein Kampf«, das jedem Hochzeitspaar vom Standesbeamten als eheliche Pflichtlektüre übergeben wurde, erreichte längst nicht die Wirkung seiner Reden, und es ist bezeichnend, dass er diesem Buch ursprünglich den monströsen Titel »Viereinhalb Jahre Kampf gegen Lüge, Dummheit und Feigheit« vorangestellt hatte, bevor es vom Geschäftsführer des Parteiverlages auf die wirkungsvolleren Worte »Mein Kampf« reduziert wurde.

Aber auch so hatte das Buch vom Literarischen her keinen Erfolg, und selbst seine engsten Mitarbeiter gaben zu, sich nicht der Mühe des Lesens unterzogen zu haben. Seitenlange schwülstige Ausführungen, verbunden mit einem Wortreichen, langweiligen Stil, gespickt mit falschen und lächerlichen grammatikalischen Konstruktionen, machten das Lesen zur Qual, und der in hohe Auflagen gehende Zwangsvertrieb konnte daran naturgemäß nichts ändern.

Mehr Erfolg hatte Hitler mit dem gesprochenen Wort, das zum wesentlichen Medium seiner Macht werden sollte. Er war im September 1919 als Reichswehrspitzel zur Deutschen Arbeiterpartei (Vorläufer der NSDAP) gestoßen und sprach einen Monat später zum ersten Mal im Münchner Hofbräuhauskeller. Anfang 1920 wurde er Propagandaleiter der Partei und bekam bei seiner ersten Massenversammlung am 24. Februar 1920 im Festsaal des Hofbräuhauses, als das Parteiprogramm verkündet wurde, nahezu zweitausend Menschen zusammen. Am 29.Juli 1921 wurde er Vorsitzender der NSDAP. Durch seine unaufhörliche rednerische Tätigkeit erlangte er immer größere Popularität, so dass man allmählich die NSDAP mit Hitler identifizierte. Die Partei ohne Hitler war etwas Undenkbares geworden.

Zur Erklärung dieser Erscheinung mag ein Zeitgenosse zitiert werden, der nach seinen eigenen Worten allein durch Hitlers Redekraft (!) zum Parteigänger und schließlich Mitverbrecher wurde:

»Er war der einmalige deutsche Volksredner Er sprach über zweieinhalb Stunden, oft von geradezu frenetischen Beifallsstürmen unterbrochen - und man hätte ihm weiter, immer weiter zuhören können Am Schluss wollte der Beifall schier kein Ende nehmen Von diesem Abend an war ich, auch ohne Parteimitglied zu sein, überzeugt, dass, wenn überhaupt noch ein Mann, Hitler allein imstande sein würde, das deutsche Schicksal zu meistern Ich glaube wohl, dass es für alle, die in der Kampfzeit bis 1933 Adolf Hitler nicht selbst gehört haben, schwer ist, sich die unwiderstehliche Kraft seiner Rede vorzustellen.«

Diese Worte - in der Nürnberger Todeszelle von dem berüchtigten Hans Frank als eigene Rechtfertigung geschrieben - geben sicherlich etwas von dem Fluidum wieder, das die erwähnten Veranstaltungen kennzeichnete. Aber Hitlers Redegabe allein hätte nichts genützt, wenn ihm nicht als zweiter Aktivposten die chaotischen Verhältnisse im damaligen Deutschland zur Seite gestanden hätten. Die hohe Arbeitslosenquote, die politische Labilität der Massen, das innen- und außenpolitische Chaos - alles dies trug dazu bei, einem unbekannten Agitator Gehör zu verschaffen, zumal dieser mit Kraftworten wie »vernichten«, »Gewalt«, »rücksichtslos«, »Hass« und ähnlichen um sich warf, diese auch noch ständig wiederholte und damit an die primitivsten Instinkte appellierte.

»Wenn wir ans Ruder kommen, dann werden wir wie die Büffel vorgehen!« hatte er am 27. April 1920 ausgerufen, »der germanische Wille werde den Kopf des Juden schon zerschellen« am 11.Juni und »Lieber sind mir 100 Neger im Saal als ein Jude!« am 24. November desselben Jahres. Das Vulgäre seiner Ausdrucksweise verschaffte ihm immer mehr Zulauf, zumal er sich die demagogische Weisheit zunutze machte, dass nichts erfolgreicher sei, als eine Behauptung ohne Begründung zu verkünden und diese konsequent zu wiederholen, da das Wiederholte sich so sehr in den Köpfen befestige, dass es schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen werde.

Das Mittel der Wiederholung wandte Hitler bei ganzen Passagen seiner Reden an; so beispielsweise in den Einleitungen, die zumeist eine weitschweifige »Parteierzählung« enthielten. In diesem ersten Teil seiner Reden sprach er langsam und gemessen, seine Stimme willkürlich tief ansetzend (meistens mit der Floskel beginnend: »Wenn ich heute auf die vierzehn Jahre unseres Kampfes zurückblicke ...«), um dann im zweiten Teil ein immer schnelleres Redetempo anzuschlagen und sich auch in der Tonart förmlich in eine Ekstase hineinzusteigern. Wie sehr diese Art seiner Redetechnik bereits in damaliger Zeit von einem Teil der Bevölkerung kritisch betrachtet und glossiert wurde, belegt folgender Witz:

Hitler muss operiert werden. Während der Narkotisierung brüllt er bei »vierzehn« in üblicher Manier los (»Vierzehn Jahre haben wir die Schmach getragen!« usw.). Da blickt der Arzt die Schwester bedeutsam an und sagt: »Schwester, ich gehe jetzt zum Mittagessen. In zwei Stunden bin ich wieder zurück, vorher dürfte der Mann doch nicht fertig werden.«

Übrigens war es bei der in allen Einzelheiten vorausberechneten, auf Wirkung bedachten Redemethodik selbstverständlich, dass Hitler keine Zwischenrufe duldete. Sie hätten ihn aus dem Konzept - und um einen Teil seiner Wirkung gebracht. Nach seinen eigenen Angaben hatte die SA am Anfang nur die Aufgabe, Zwischenrufer niederzuschlagen oder gewaltsam zu entfernen. Auch eine Diskussion duldete er nicht, wobei er wieder auf psychologische Erkenntnisse zurückging, dass nämlich ein diskutierter Nimbus kein Nimbus mehr sei. Im Ganzen legte Hitler ein selbstherrliches, die Massen verachtendes Benehmen an den Tag und hatte damit großen Erfolg.

Er sprach - von wenigen Ausnahmen abgesehen - frei. Grundsatz: Das geschriebene Wort ist für das Auge, das gesprochene für das Ohr. Auch über den Rundfunk - also ohne gesehen zu werden - erzielte er Wirkung. Man kann sogar davon ausgehen, dass die über den Rundfunk erzielte Massenwirkung noch größer war, da sie das weit empfindsamere Ohr ansprach und der bildhaften Phantasie freien Raum ließ. Die Propagierung des »Volksempfängers« gleich nach Hitlers Machtantritt erfolgte ausdrücklich mit dem Hinweis, dass die Stimme des Führers nun in jede Wohnung dringen könne.

Über das Radio sprach er jetzt nicht mehr nur zu Tausenden, sondern zu Millionen. Das Volk wurde von einer Hitlerrede zur anderen in Bewegung gehalten und musste sich an seinen Ausführungen orientieren. Was der Führer sagte, wurde zur allgemeinen Richtschnur. Er stand über dem Gesetz. »Mein Führer!« hatte sein Stellvertreter Rudolf Heß auf dem Reichsparteitag 1934 ausgerufen. »Sie sind Deutschland! Wenn Sie handeln, handelt die Nation. Wenn Sie richten, richtet das Volk!« Und auf der Jahrestagung der Akademie für Deutsches Recht 1935 hatte Hans Frank in Anwesenheit Hitlers erklärt, dass »zum ersten Mal in der Geschichte der Nation die Liebe zum Führer zu einem Rechtsbegriff geworden« sei.

Bei den Rundfunkübertragungen wurden in Schulen und Betrieben geradezu theatralische Possen veranstaltet. In unserem Eisleber Gymnasium, das ich bis zu meinem im Frühjahr 1940 erzwungenen Abgang besuchen durfte und das den Namen »Staatliche Lutherschule« trug, wurden zu jeder Führerrede alle Schüler in der Aula versammelt, auf der Bühne nahm das Lehrerkollegium Platz, drei in SA-Uniform, einer in der Uniform eines Hauptmannes, die meisten mit Parteiabzeichen, und - nicht zu vergessen - der »Kreisbeauftragte des Rassenpolitischen Amtes«, ein verkrüppelter Studienrat mit umgehängtem Ehrendolch; sie alle waren während der gesamten Rede den Blicken der Schüler ausgesetzt und dadurch gezwungen, durch entsprechendes Mienenspiel ihre Zustimmung zu den Worten des »Führers« zu bekunden. Seitlich saß der Direktor, ein »alter Kämpfer« namens Dr. Wendt, der das Mienenspiel seiner Untergebenen kontrollierte. Und wehe, ein alter Studienrat hätte nach zwei oder drei Stunden den Versuch gemacht, ein bisschen einzunicken! Da wäre ein Raunen durch die Reihen der Schüler gegangen, und Dr. Wendt hätte den Missetäter nach Schluss der Rede unbarmherzig zur Verantwortung gezogen.

Ähnlich spielte sich die Sache in den Betrieben ab, wobei jedoch gesagt werden muss, dass trotz der zur satirischen Betrachtung verleitenden Begleitumstände der von den Faschisten beabsichtigte Erfolg solcher Rundfunkübertragungen nicht geschmälert wurde. Was uns heute in der Rückschau unverständlich vorkommt, erschien damals keineswegs kritikwürdig, vielmehr übten Hitlers Worte eine magische Kraft aus, und es gab zahlreiche Frauen, die seufzend bemerkten: »Wenn ich diesem Manne einmal begegnen könnte!« Dietrich Eckarts seinerzeitige Vorstellung von einem künftigen Diktator (»Er muss ein Junggeselle sein, dann kriegen wir die Weiber!«) schien sich hier zu bewahrheiten.

Victor Klemperer hat in seinem Buch »LTI« darauf hingewiesen, dass Hitler zwei Tonarten bevorzugte, zwischen denen er immer wechselte: salbungsvoll oder höhnisch. Das Salbungsvolle nahm zuweilen den Charakter biblischer Zitate an, und er nahm - um als getaufter Katholik (später empfand er sich nicht mehr als solcher) den evangelischen Christen zu imponieren - häufig Zuflucht zur Doxologie, zum Beispiel am Schluss seiner Rede vom 10.Februar 1933:

»Das ist mein Glaube: Es wird wieder auferstehen ein neues Deutsches Reich der Größe, der Ehre, der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit! Amen!«

Dieses von einem politischen Scharlatan ausgerufene »Amen!« hätte eigentlich die Kirche empören müssen, aber dem war nicht so. Im Gegenteil, sie registrierte derartige Redewendungen mit Befriedigung, was Hitler zu weiteren salbungsvollen Tiraden anspornte:

»Das Bibelwort, das den Heißen oder Kalten anerkennt, den Lauen aber zum Ausspeien verdammt, sehen wir in unserem Volke in Erfüllung gehen.« (1.1.1932)

»Herr, wir lassen nicht von Dir! Nun segne unseren Kampf um unsere Freiheit und damit unser deutsches Volk und Vaterland!« (2.5.1933)

»So wie ich der Eure bin, so seid Ihr die Meinen!« (7. 5.1933)

»Alles, was ihr seid, seid ihr durch mich, und alles, was ich bin, bin ich durch euch allein!« (30.1.1936)

»Aus dem Volke bin ich gewachsen, im Volke bin ich geblieben, zum Volk kehre ich zurück!« (20.3.1936)

»Ihr habt einst die Stimme eines Mannes vernommen, und sie schlug an eure Herzen, sie hat euch geweckt, und ihr seid dieser Stimme gefolgt!« (11.9.1936)

»Das ist das Wunder unserer Zeit, dass ihr mich gefunden habt unter so vielen Millionen! Und dass ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück!« (13.9.1936)

Alle diese Redewendungen - und noch unzählige andere - gehen auf bekannte Bibelworte zurück, und Hitler machte der Bezeichnung »Nazi-Feldprediger«, die ihm die sozialdemokratische Presse seit Jahren beigelegt hatte, wahrhaftig alle Ehre. Aber es war ein gut vorbereitetes Feld, das er bebaute: Die christliche Erziehung lag den Menschen im Gemüt, Religion war erstes Fach in den Schulen, und die Bibelsprache war eine Sprache, die sie verstanden. Hitler hielt sich ohnehin nicht lange damit auf, aber ein paar Wendungen genügten - und die Herzen hatten sich ihm geöffnet. Sie waren aufnahmebereit für den Hohn und Spott, der das Salbungsvolle ablöste, um dann - meist am Schluss seiner Rede - wieder von diesem verdrängt zu werden.

Heiße und kalte Wechselbäder, darin lag seine eigentliche Rhetorik, die nach Klemperer gerade deshalb so ungeheure Wirkung tun musste, weil sie mit der Virulenz einer erstmalig auftretenden Seuche auf eine bisher von ihr verschonte Sprache eindrang, weil sie im Kern so undeutsch war wie der den italienischen Faschisten nachgeahmte Gruß; die nachgeahmte Uniform (das Schwarzhemd durch ein Braunhemd zu ersetzen, ist keine sehr originelle Erfindung), wie der gesamte dekorative Schmuck der Massenveranstaltungen, und angesichts all dessen ist jener Witz verständlich, der seinerzeit aufkam und kurz und bündig lautete:

Was ist paradox? - Wenn ein Österreicher mit italienischem Gruß und amerikanischer Uniform deutscher Reichskanzler wird!

Wenn ich mir heute, nach einem Abstand von über vierzig Jahren, die Frage vorlege, was eigentlich für die Masse des deutschen Volkes an Hitlers Redeweise so anziehend war, so komme ich immer wieder zu der Vermutung zurück, dass wohl entscheidend für diese Faszination das Fremdartige, sozusagen exotisch Wirkende in seinem Tonfall gewesen sein muss.

Er sprach einen bajuwarischen Akzent und oft, wie Thomas Mann kritisierte, ein verballhorntes Deutsch - und das reizte die Massen mehr, als es sie abstieß. Selbst wenn sich seine Stimme hysterisch überschlug, nahmen die Zuhörer daran keinen Anstoß. »Niemand hat ihm widerstanden. Ich auch nicht. Man kann ihm nicht widerstehen«, sagte nach Auskunft Klemperers ein Münchner Jude (!), ohne einen Grund hierfür nennen zu können.

Genau besehen, War das, was Hitler sagte, völlig einfach, wenn nicht gar primitiv. Kriegsschuldlüge, Versailler Schandvertrag, deutsche Wiedergeburt, jüdischbolschewistische Gefahr, Volk ohne Raum und immer wieder Kampf, Kampf, Kampf - das waren, auf einen Nenner gebracht, seine Reden, die er - den Anlässen entsprechend - variierte.