DIE NACHT MIT NORA - Brett Halliday - E-Book

DIE NACHT MIT NORA E-Book

Brett Halliday

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Wer ist diese Frau? Was macht sie um zwei Uhr morgens in seinem Zimmer? Woher hat sie den Schlüssel? Fragen, die sich der Privatdetektiv Mike Shayne stellt, als er die unbekannte Schöne beobachtet, die gerade im Begriff ist, zu Bett zu gehen. In sein Bett, wohlgemerkt... Brett Halliday (eigtl. Davis Dresser, * 31. Juli 1904 in Chicago, Illinois; † 4. Februar 1977 in Santa Barbara, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schriftsteller. Der Roman DIE NACHT MIT NORA erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene und illustrierte Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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BRETT HALLIDAY

 

 

Die Nacht mit Nora

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 197

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE NACHT MIT NORA 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Wer ist diese Frau? Was macht sie um zwei Uhr morgens in seinem Zimmer? Woher hat sie den Schlüssel?

Fragen, die sich der Privatdetektiv Mike Shayne stellt, als er die unbekannte Schöne beobachtet, die gerade im Begriff ist, zu Bett zu gehen.

In sein Bett, wohlgemerkt...

 

Brett Halliday (eigtl. Davis Dresser, * 31. Juli 1904 in Chicago, Illinois; † 4. Februar 1977 in Santa Barbara, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schriftsteller.

Der Roman Die Nacht mit Nora erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene und illustrierte Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   DIE NACHT MIT NORA

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Die Nacht war heiß, feucht und still. Michael Shayne lag, nur mit einer kurzen Schlafanzughose bekleidet, ausgestreckt auf dem Doppelbett und hoffte auf eine verirrte Brise, die seinen Körper kühlen sollte. Er warf sich stundenlang ruhelos hin und her, bevor er endlich einschlief.

Ein leises Geräusch weckte ihn. Er öffnete die Augen, blieb regungslos liegen und lauschte. Das schwache Licht des abnehmenden Mondes fiel durch die offenen Fenster. Er fragte sich, wie spät es sei und wann er eingeschlafen sein mochte. Er drehte sich auf die Seite und gähnte. Er wollte die Augen eben wieder schließen, als er im gelblichen Lichtviereck der offenen Schlafzimmertür einen sich bewegenden Schatten sah.

Ein raschelndes Geräusch drang an sein Ohr. Hellwach schwang er seine langen Beine vorsichtig über die Bettkante und stand auf. Mit zwei Schritten war er an der Tür. Das Licht vom Hotelkorridor zeichnete schwach die Umrisse der Möbel im Wohnraum nach.

Shayne lehnte sich an den Türrahmen und entdeckte in einem Sessel eine undeutliche, geschlechtslose Gestalt. Sie war weit vorgebeugt und schien am Boden etwas zu suchen. Dann stand sie auf, Hände ergriffen den Saum eines Kleidungsstücks und hoben ihn hoch; als das Kleidungsstück entfernt war, stand die schlanke, wohlgeformte Gestalt einer Frau vor ihm. Ihr Haar war über die Stirn gefallen. Sie warf den Kopf zurück, fuhr mit den Fingern durch die Strähnen und glitt lautlos zur Tür, die zum Korridor führte.

Im gelblichen Licht schimmerte ihr Körper einen kurzen Augenblick wie Elfenbein. Sie drückte die Tür langsam zu. Man hörte das Schloss leise einschnappen. Sie drehte den Kopf, vergewisserte sich, dass es eingerastet war und wandte sich dann zum Schlafzimmer, nur vom Mondlicht geleitet.

Shayne trat hastig einen Schritt zurück. Am liebsten wäre er vorgetreten, hätte sie gepackt und nach dem Grund ihres Eindringens gefragt, aber er bewegte sich nicht. Er sah sie an der Tür vorbeigleiten und das Bad erreichen. Sie trat ein, schloss die Tür und knipste das Licht an.

Shayne blieb einen Augenblick stehen und starrte den Lichtstreifen unter der Tür an. An seinem Unterkiefer zuckte ein Muskel. Er rieb sich nachdenklich die Stelle. In all den Jahren, seit er Privatdetektiv war, hatte er so etwas Verrücktes noch nicht erlebt. Er grinste vor sich hin, gleichzeitig von Zorn, Erstaunen und Neugier bedrängt.

Er schlich zu seinem Bett zurück und streckte sich auf der einen Seite aus. Während er auf den nächsten Schritt der Frau wartete, versuchte er, aus ihrer Silhouette Schlüsse auf ihre Identität zu ziehen und sich darüber klarzuwerden, wie und warum sie in sein Apartment eingedrungen war. Er warf einen Blick auf das Leuchtzifferblatt der elektrischen Uhr neben dem Bett. Es war 2.20 Uhr.

Während er den Geräuschen im Bad lauschte, kam er zu dem Schluss, dass er sie noch nie gesehen hatte. Er besaß keine weiblichen Bekanntschaften, die sich so benehmen würden, und Zweitschlüssel zu seinem Apartment waren außerdem nicht in Umlauf.

Trotzdem schien sich die Frau hier auszukennen. Sie hatte die offene Schlafzimmertür ignoriert und war geradewegs zum Badezimmer gegangen. Sie benahm sich praktisch wie eine Ehefrau, die von einem Seitensprung zurückkam und ihren Mann nicht wecken wollte.

Shayne spürte ein Prickeln auf seiner Haut. Es gab wohl keinen Mann, dachte er, den die Situation nicht erregt hätte. Er empfand es als sehr angenehm, im Dunkeln zu liegen und zu wissen, dass eine nackte Frau in seiner Nähe war und in ein paar Minuten zu ihm ins Bett kommen würde.

Er brauchte nicht lange zu warten. Er hörte die Badezimmertür aufgehen, den Lichtschalter knacken und nackte Sohlen leise über den Boden gleiten. Unwillkürlich spannten sich seine Muskeln an. Mit halbgeschlossenen Augen sah er sie um das Bett herumgehen. Es gelang ihm nur mühsam, tief und gleichmäßig zu atmen.

Sie glättete das Kissen auf ihrer Seite und legte sich an den Außenrand der Matratze. Eine Weile lag sie bewegungslos da, flach auf dem Rücken, die Arme über dem Kopf.

Dann regte sie sich, wandte sich ihm zu und rückte näher. Er hörte sie leise »Liebling...« flüstern, und ihre Fingerspitzen glitten über seine Brust.

Shayne gab es auf, sich schlafend zu stellen. Er streckte den Arm aus, legte die Hand auf ihre Hüfte und sagte: »Hallo.«

Ihre Muskeln verkrampften sich unter seinen Fingern. Sie hob sich auf einen Ellenbogen und rief überrascht und erschreckt: »Du bist wach!«

»Wie lange, dachten Sie, kann ich unter solchen Umständen weiterschlafen?«, meinte Shayne belustigt.

Sie schrie auf und sprang aus dem Bett.

»Sie sind nicht Ralph!«, schrie sie.

»Nein«, gab er zu. »Ich bin nicht Ralph.«

»Wer sind Sie dann? Was wollen Sie hier?«, stieß sie hervor und wich zurück. Mit einem Arm versuchte sie die Brust zu bedecken, während die andere Hand als Feigenblattersatz dienen sollte.

»Warum darf ich nicht in meinem eigenen Bett sein?«, fragte Shayne sachlich.

»Aber das ist Ralphs Zimmer. Wo ist er? Was soll das für ein Trick sein?« Sie griff nach der Decke, um ihre Blöße zu verhüllen, aber Shayne hielt sie fest.

Er setzte sich auf und schob die beiden Kissen übereinander.

»Das ist mein Apartment und mein Schlafzimmer, und zwar seit mehr Jahren, als mir lieb ist«, sagte er ruhig. »Ich mache Licht«, warnte er sie. »Mal sehen, wer Sie sind und was hier überhaupt gespielt wird.«

Die Frau sprang durch die Tür, als es hell wurde. Shayne sah kurz ein herzförmiges, von braunem Haar umrahmtes Gesicht und einen schlanken, jugendlichen, von Armen und Händen nur unzulänglich verhüllten Körper.

»Bitte, bitte, bleiben Sie im Zimmer, bis ich mir etwas angezogen habe«, flehte sie. »Es dauert nur einen Augenblick. Das Ganze ist ein schrecklicher Irrtum. Ich dachte, Sie wären mein Mann. Bitte, bleiben Sie dort.«

»Fällt mir nicht ein«, knurrte Shayne. »Damit Sie mir wegrennen, bevor ich dahinterkomme, was hier eigentlich los ist.«

»Nein! Ich sage Ihnen doch, das ist ein entsetzlicher Irrtum!« klagte sie. »Ich ziehe mich im Badezimmer an, und dann verlange ich eine Erklärung. Ich verstehe überhaupt nichts, aber ich werde der Sache schon auf den Grund kommen.«

»Ich lege auch Wert auf eine Erklärung«, brummte Shayne. Er schaute wieder auf die Uhr. 2.26 Uhr. Es erstaunte ihn, dass erst sechs Minuten vergangen waren. Er hob seine Schlafanzugjacke vom Boden auf und zog sie an, zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich bequem zurück.

Schließlich drückte er die Zigarette aus, stand auf und ging ins Wohnzimmer, wo er die Deckenbeleuchtung einschaltete. Ein schwarzer Wildlederpumps und ein duftiges blaues Wäschestück lagen auf dem Boden neben dem Sessel, wo er die Frau vorher hatte sitzen sehen. Er hob die Sachen auf, ging zur Badezimmertür und klopfte.

»Kommen Sie ja nicht herein!«, schrie sie.

»Nicht um alles in der Welt«, gab er freundlich zurück. »Sie haben Ihren BH und einen Schuh übersehen. Wenn Sie die Tür einen Spalt öffnen, reiche ich Ihnen die Sachen hinein.«

Sie machte die Tür etwas auf, streckte die Hand hindurch, und er gab ihr die Sachen. Sie zog sie hastig zurück und sagte: »Es war so dunkel draußen.«

»Warum haben Sie kein Licht gemacht? Sie scheinen sich hier ja recht gut auszukennen.«

»Ich glaube immer noch, dass das Ralphs Apartment ist«, fauchte sie, »und dass Sie mit einem...«

»Trick«, ergänzte Shayne ironisch. »Sie wiederholen sich. Ziehen Sie sich an und kommen Sie raus, damit wir uns unterhalten können.«

Shayne ging zur Eingangstür, öffnete sie und untersuchte das Schloss. Nichts ließ erkennen, dass man daran herummanipuliert hatte. Er schloss die Tür wieder und ging in die kleine Küche, wo er das Licht anknipste und die zur Feuerleiter führende Tür überprüfte. Sie war abgesperrt, und der Schlüssel hing wie gewohnt am Haken.

Shayne presste die Lippen zusammen und starrte grübelnd vor sich hin. Er dachte an die Gelegenheiten, als seine Wohnung von der Polizei oder von Polizeichef Gentry selbst geöffnet worden war. Mehrmals hatten Einbrecher die beiden Türen gewaltsam geöffnet, aber deutliche Spuren hinterlassen. Er fluchte vor sich hin und murmelte: »Und jetzt sperrt eine Frau mit einem Schlüssel auf, zieht sich aus und kriecht in mein Bett.«

Er schüttelte den Kopf, ging zum Kühlschrank, nahm eine Schale mit Eiswürfeln heraus und trug sie zum Spülbecken. Während lauwarmes Wasser über den Boden der Schale lief, holte er zwei Gläser aus dem Geschirrschrank und stellte sie auf das Trockenbrett, bog den Plastikbehälter auseinander und kippte Eiswürfel in das Becken. Dann füllte er die beiden Gläser mit Eis.

»Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll«, erklärte eine mädchenhafte Stimme am offenen Durchgang hinter ihm. »Ich bin völlig durcheinander. Ich habe Sie in meinem ganzen Leben noch nie gesehen, aber ich weiß, dass es die richtige Wohnung ist.«

Shayne drehte sich langsam um und sah sie an.

»Ich habe Sie auch noch nie gesehen, aber Sie gefallen mir«, meinte er. Sein Blick glitt über ihren Körper. »Sogar angezogen.«

»Was erlauben Sie sich!«, fuhr sie ihn an, schob das Kinn vor und funkelte ihn mit ihren schwarzen Augen an.

»Halt«, sagte Shayne. »Bleiben Sie stehen, damit ich Sie mir im Licht genauer ansehen kann.«

Sie trug ein beiges Schneiderkostüm, das ihre Figur gut zur Geltung brachte. Unter ihrem Kinn bauschte sich ein grellgelbes Halstuch. Ihr braunes Haar war zerzaust.

»Nun, was haben Sie zu sagen?«, fragte sie kurz.

»Nur das: Mein Apartment hat die Nummer einhundertsechzehn. Ich lebe hier. Ich kenne Ihren Ralph nicht, und ich kenne Sie nicht. Wollen Sie etwas trinken?«

»Ich - ich könnte einen Schluck vertragen«, stotterte sie.

Shayne füllte die Gläser mit Wasser und drehte sich wieder um.

»Wie kann es da einen Irrtum geben?«, brauste sie auf. »Der Schlüssel passte. Die ganze Wohnung sieht genauso aus, wie sie mir beschrieben wurde. Sie muss Ralph gehören.«

»Eben nicht«, erwiderte er. Sie trat zur Seite, als er ins Wohnzimmer ging und die Gläser auf den alten Eichenschreibtisch stellte. »Setzen Sie sich und machen Sie es sich bequem. Vielleicht ergibt sich ein Sinn, wenn wir uns bei einem Glas mit der Sache beschäftigen. Einverstanden mit Cognac?«, fragte er auf dem Weg zum Barschrank.

»Irgendetwas, ganz egal.« Sie ging zu einem Stuhl neben dem Schreibtisch und setzte sich. »Ich habe den Schrecken noch nicht verdaut. Ich - Sie - na ja, Sie können nicht gut verlangen, dass ich die Ruhe selber bin, nachdem ich bei einem fremden Mann im Bett gelegen habe.« Ihre Lippen zitterten, und sie hatte die Finger fest ineinander verflochten.

Shayne zog die Brauen hoch. Er trat mit einer Flasche Cognac an den Schreibtisch, lächelte sie schief an und sagte: »Es muss ziemlich verblüffend gewesen sein, wenn Sie die Wahrheit sagen.« Er goss Cognac in ihr Glas. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sie erstarrte.

»Was soll das heißen?«, fuhr sie auf. »Natürlich ist es die Wahrheit. Dachten Sie, ich wollte mit Ihnen schlafen?«

Er füllte sein Glas und meinte liebenswürdig: »Das wäre schmeichelhaft für mich. Ich gestehe, dass bisher keine Frau von mir so hingerissen war, dass sie in mein Schlafzimmer eingedrungen ist, aber man darf doch Optimist sein, oder nicht? Wenn ich nicht so schnell meinen großen Mund aufgemacht hätte...«

»Sie - Sie gemeiner Kerl!«

Shayne hob sein Glas und sagte: »Schon gut. Trinken wir auf das, was sich hätte ergeben können.«

Sie wurde rot und senkte den Blick, als sie mit zitternder Hand nach dem Glas griff.

»Ich hätte es gemerkt«, erklärte sie. »Bevor Sie noch etwas sagten, spürte ich, dass das nicht Ralph war, aber ich sagte mir immer wieder, dass er es sein musste. Verstehen Sie das nicht? Selbst als Sie mit einer mir fremden Stimme Hallo sagten, war ich innerlich so überzeugt...«

»Ihr Getränk«, sagte Shayne. »Sie verschütten es. Trinken wir auf Ihren Mann. Und dann können Sie von vorne anfangen und mir erzählen, wie es kam, dass Sie sein Apartment mit dem meinen verwechselt haben.«

Sie trank, verschluckte sich, hustete und griff hastig nach dem Eiswasser. Sie erholte sich schnell. Der Cognac schien ihre angespannten Muskeln zu lockern.

»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, weil ich immer noch nichts begreife«, murmelte sie. »Man hat mir eindeutig gesagt: Apartment einhundertsechzehn. Und der Schlüssel passte. Alles ist hier so, wie ich es erwartet habe - die Küchentür, das Bade- und das Schlafzimmer.« Sie schaute sich mit großen, verwunderten Augen um.

»Jemand hat Ihnen gesagt, Ihr Mann würde heute Nacht hier schlafen?«, fragte Shayne geduldig. »Jemand hat Ihnen einen Schlüssel zu meinem Apartment gegeben, damit Sie sich heimlich hereinschleichen können? Warum? Ich kenne niemanden, der sich einen solchen Trick einfallen ließe. Hat Ihr Mann Sie denn erwartet?«

»Oh, nein«, erwiderte sie hastig. »Er wusste nichts. Das war ja der springende Punkt, verstehen Sie?« Sie trank einen kleinen Schluck Cognac und stellte das Glas auf den Schreibtisch zurück. »Deshalb habe ich mich ja so heimlich hier ausgezogen. Ich wagte nicht, Licht zu machen, um ihn nicht zu wecken. Ich wusste, dass, wenn ich einfach zu ihm ins Bett kam, bevor er etwas merkte - nun, dass er dann eben...« Sie verstummte, blutrot im Gesicht. »Begreifen Sie denn nicht, dass ich das tun musste?«, entfuhr es ihr. »Weil ich weiß, dass er mich noch liebt. Es liegt nur an seinem dummen Stolz. Ich brauchte eine Chance, diesen zu überwinden und ihm zu zeigen, dass sich gar nichts geändert hat - dass er immer noch mein Mann ist und ich seine Frau bin. Das verstehen Sie doch, oder?«, fragte sie und beugte sich vor.

»Ich verstehe überhaupt nichts«, gab Shayne zurück. Er trank einen großen Schluck Cognac, lehnte sich in seinem Drehsessel zurück und zündete sich eine Zigarette an. »Fangen Sie ganz vorne an. Wie heißen Sie?«

»Nora Carrol. Mrs. Ralph Carrol.« Sie bildete auf einen glatten Ehering aus Platin und einen Brillantsolitär. Sie drehte die Ringe, während sie weitersprach. »Wir wohnen in Wilmington. Das heißt, früher, bis Ralph vor ein paar Wochen nach Miami fuhr, um einen neuen Wohnsitz für eine Scheidung zu begründen.« Ihre Schultern sanken herab, und sie verstummte.

»Und?«, sagte Shayne scharf.

Sie hob das Gesicht. Es war tränenüberströmt. Shayne stand auf, ging ins Schlafzimmer und holte ein Taschentuch. Sie wischte sich die Augen, atmete tief ein und seufzte.

»Ich muss Ihnen wohl alles erzählen. Sie glauben mir sonst ja doch nicht. Wir sind noch kein ganzes Jahr verheiratet und waren schrecklich glücklich. Ralph war zu Anfang so lieb. Dann bekam er auf einmal anonyme Briefe mit den schwersten Anschuldigungen gegen mich. Er glaubte es natürlich nicht, aber als immer neue eintrafen, begann er, sich Gedanken zu machen. Er spionierte mir nach. Ich wurde wütend, weil er mich nicht genug liebte, um mir zu vertrauen.

Ich tat etwas furchtbar Dummes. Ich fing an zu flirten, um ihm das heimzuzahlen. An einem Wochenende wurde eine große Party gefeiert, und ich - ich trank zu viel.« Sie richtete sich auf und fuhr mit bedrückter Stimme fort: »Ich habe mich grässlich danebenbenommen.« Sie bedeckte ihr Gesicht mit Shaynes Taschentuch.

Shayne trank, zündete sich die nächste Zigarette an und wartete.

Nora Carrol ließ das feuchte Taschentuch auf ihren Schoß fallen und fuhr fort: »Ich kann es Ralph gar nicht übelnehmen, dass er zornig wurde und von zu Hause wegging, bevor ich auch nur versuchen konnte, ihm alles zu erklären und ihn um Verzeihung zu bitten. Er hinterließ nur eine ganz schroffe Nachricht. Mir war furchtbar zumute. Meine Briefe beantwortete er nicht, und er lehnte es ab, mit mir zu sprechen, als ich ein Ferngespräch anmeldete. Da bin ich nach Miami gekommen. Es war so schlimm, dass ich keine Worte finde! Er ließ mich nicht in sein Zimmer! Als ich im Foyer mit ihm sprechen wollte, ließ er mich einfach stehen. Am selben Abend zog er aus dem Hotel aus, und niemand wusste wohin.«

»Hm«, sagte Shayne. »Und wann war das alles?«

»Vor etwa zwei Wochen«, erwiderte Nora Carrol. Sie trank einen Schluck Cognac. »Ich fuhr zurück nach Wilmington und sprach mit unserem Anwalt. Er versuchte mir zu helfen und war sehr verständnisvoll, sagte aber, ich könne nicht das Geringste tun, wenn Ralph entschlossen sei, eine Scheidung zu erzwingen.

Er hatte ja Beweise genug von der schrecklichen Wochenendparty, und er sagte, ich hätte keine Aussicht, Unterhalt oder sonst etwas zu bekommen.« Sie verstummte plötzlich. Ihre Augen hinter dem Tränenschleier waren trüb.

Shayne schlürfte Cognac, rauchte und wartete. Als sie stumm blieb, sagte er: »Aber Sie haben nicht aufgegeben.«

»Nein. Ich habe nur nachgedacht. Der Anwalt sagte mir, es gebe eine Chance, eine ganz kleine Chance. Ich liebe Ralph so sehr, dass ich nach jedem Strohhalm gegriffen hätte. Als er mir den Plan erklärte, zögerte ich keine Sekunde.«

»Was für einen Plan?«, fragte Shayne.

»Tja, er sagte, wenn ich feststellen könnte, wo sich Ralph aufhält, und wenn ich ihn dazu überreden könnte, nur für eine einzige Nacht mit mir zusammen zu sein, würde das genügen, meinen Fehltritt hinfällig zu machen. Ralph könnte keinen Scheidungsgrund mehr angeben - nichts. So steht es im Gesetz. Ich verstehe es nicht ganz, aber wenn ein Ehemann seine Frau wieder aufnimmt, nachdem sie - na ja, nachdem sie einen solchen Fehler gemacht hat wie ich, zählt das nach dem Gesetz nicht mehr und kann später nicht gegen sie vorgebracht werden.«

Michael Shayne leerte sein Cognacglas. Er nickte langsam und mied ihren Blick.

»Das hatten Sie also vor? In das Bett Ihres Mannes zu steigen und Ihren Sex einzusetzen, um ihn zurückzugewinnen, wenigstens für eine Nacht. Danach hätte er, gleichgültig, wie gern er Sie loswerden wollte, keinen juristischen Scheidungsgrund mehr gehabt.«

»Sie stellen das als verworfen und unanständig hin!«, fuhr sie ihn an. »Das ist nicht wahr. Ich liebe Ralph wirklich, und ich weiß, dass er mich liebt. Ich hatte nur noch eines im Sinn: Ihn daran zu erinnern, wie sehr wir einander liebten, damit er mir verzieh und wir einen neuen Anfang machen konnten.«

»Also kommen wir zur heutigen Nacht«, meinte der rothaarige Privatdetektiv. »Erzählen Sie.«

»Ich kann nicht«, sagte sie stockend. »Ich kann es überhaupt nicht erklären. Ich habe nichts anderes getan, als mich genau an Mr. Bates’ Anweisungen zu halten.«

Shaynes Augen glitzerten. Er drehte sich mit dem Sessel zum Schreibtisch und fragte: »Wer ist Bates?«

»Na, unser Anwalt in Wilmington. Das habe ich Ihnen doch eben erzählt.«

Shayne lehnte sich zurück.

»Weiter, Mrs. Carrol.«

»Tja, also Mr. Bates riet mir, durch einen Privatdetektiv in Miami feststellen zu lassen, wo Ralph jetzt wohnte. Dann könnte ich noch einmal versuchen, eine Versöhnung herbeizuführen. Es kam mir alles so einfach und logisch vor, als wir in Wilmington Pläne schmiedeten«, fuhr sie mit schwankender Stimme fort. »Ein Detektiv sollte einen Schlüssel zu Ralphs Zimmer besorgen. Ich brauchte dann irgendwann nach Mitternacht nur noch aufzusperren und hineinzuschleichen. Ich war überzeugt, dass es klappen würde.«

»Klar, es hätte geklappt. Sie hätten ihn zurückbekommen, wenn Sie statt in mein Bett in das seine geklettert wären. Die Frage ist nur: Wie, zum Teufel, konnten Sie einen solchen Fehler machen?«

»Ich weiß es nicht«, schrie sie wild. »Glauben Sie, ich hätte mich diesem Verhör ausgesetzt, wenn ich es gewusst hätte? Ich bin gestern von Wilmington hergeflogen und im Commodore abgestiegen. Alles war geregelt. Eine Nachricht des Detektivs erwartete mich, mit einem Schlüssel zu Ralphs Zimmer und einer Zeichnung des Apartments, damit ich im Dunkeln meinen Weg finden konnte, ohne ihn zu früh zu wecken. Ich sollte in meinem Zimmer warten, bis der Detektiv anrief, dass Ralph zu Hause sei. Er rief gegen ein Uhr an. Ich wartete einige Zeit, bis ich überzeugt war, dass Ralph schlief, dann fuhr ich mit dem Taxi her und schlich die Treppe hinauf. Das ist alles.« Sie hob die Hände, griff nach ihrem Cognacglas, trank einen großen Schluck, kippte Eiswasser hinterher und sank zurück; als sei sie erschöpft.

Shayne zupfte an seinem Ohrläppchen und starrte vor sich hin. Er fragte sich, wieviel von ihrer Geschichte der Wahrheit entsprach. Worte und Tonfall klangen echt, aber er vermochte nicht zu begreifen, wie jemand sein Apartment mit dem von dem eigenen Mann bewohnten verwechseln konnte, vor allem, wenn man sich überlegte, wie viele Jahre er hier schon wohnte und wie bekannt er bei allen Hotelangestellten war.

Er zuckte die Achseln, drehte sich nach vorn, nahm den Telefonhörer ab und wartete, bis sich eine heisere Stimme meldete.

»Ja?«

Er zog die Brauen zusammen und fragte: »Ist dort Dick?«

»Nein, Sir. Dick ist krank. Ich vertrete ihn. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Shayne zögerte einen Augenblick.

»Wohnt ein Ralph Carrol im Hotel?«

»Augenblick, bitte.«

Nora Carrol beugte sich vor.

»Bitte«, flehte sie. »Oh, bitte, sagen Sie ihm nichts.«

Shayne hob abwehrend die Hand und deckte die Muschel ab.

»Ruhe«, flüsterte er. »Ich möchte erst mal wissen, ob Ihr Mann überhaupt in diesem Hotel ist.«

Er wartete einen Augenblick.

»Mr. Ralph Carrol hat Zimmer 216.« Soll ich Sie verbinden, Sir?«, fragte der Nachtportier.

Shayne zögerte und sagte dann: »Nein, danke. Vorerst nicht.« Er legte auf. »Ihr Mann wohnt in 216, genau über mir. Können Sie sich in der Nummer geirrt haben?«

»Nein. Das heißt, ich wüsste nicht, wie. Der Schlüssel passte bei Ihnen. Damit kann man doch wohl nicht beide Türen öffnen?«

»Wenn doch, bekommt die Direktion morgen einiges zu hören«, knurrte Shayne. »Zeigen Sie mir den Schlüssel.« Er streckte die Hand aus und wartete, während sie nach einer schwarzen Wildlederhandtasche griff. Sie kramte eine Weile darin und gab ihm schließlich einen flachen Schlüssel, der ganz neu aussah.

Shayne drehte ihn um und stellte fest, dass er keine Nummer trug. Im Übrigen schien er ein Duplikat des vertrauten Schlüssels zu sein, den er schon so viele Jahre an seinem Schlüsselring trug. Er warf ihn achselzuckend auf den Schreibtisch und fragte: »Wollen Sie einen Stock höher gehen und ihn dort ausprobieren? Ihr Mann schläft sicher ganz fest, und Sie müssten ihn ohne Schwierigkeit verführen können.«

Nora Carrol sprang auf und sagte zornig: »Sie sind unerträglich! Sie stellen mich als kaltblütig und berechnend hin!«

»Mag sein«, meinte Shayne mürrisch. »Ich ärgere mich darüber, dass ich so verlockend und so ergebnislos geweckt worden bin. Rufen Sie mich morgen an und erzählen Sie mir, ob Sie Erfolg gehabt haben.«

»Danke für die Freilassung«, gab sie ätzend zurück. »Hoffentlich sehe ich Sie nie wieder.« Sie machte ein paar Schritte auf die Tür zu, blieb aber wie angewurzelt stehen, als schwere Schritte im Korridor laut wurden.

Jemand klopfte hart an die Tür.

Sie hastete zu Shayne und hauchte: »Glauben Sie, dass man Ralph vom Empfang aus angerufen und ihm gesagt hat, dass Sie sich nach ihm erkundigt haben? Wenn er mich hier mit Ihnen findet...« Sie wies verzweifelt auf Shaynes Schlafanzug.

Shayne stand auf.

»Gehen Sie ins Schlafzimmer und lassen Sie sich nicht blicken«, sagte er schnell, griff nach den beiden Gläsern, aus denen sie getrunken hatte, und drückte sie ihr in die Hände. Nora lief ins Schlafzimmer und schloss die Tür.

Das Klopfen wurde lauter, und eine barsche Stimme rief: »Aufmachen!«

Shayne schaute über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass die Schlafzimmertür geschlossen war, dann öffnete er die Eingangstür.

Er starrte den breitschultrigen Mann auf der Schwelle an.

»Ich habe mir doch gedacht, dass das Ihre Stimme ist, Will«, sagte er ruhig. »Kommen Sie herein und erzählen Sie mir, wieso Sie um diese Zeit noch auf den Beinen sind.«

  Zweites Kapitel

 

 

Polizeichef Will Gentry war seit vielen Jahren Shaynes Freund und Gegenspieler und besuchte den Privatdetektiv häufig in seinem Hotelapartment. Er betrat das Wohnzimmer und blickte interessiert auf das leere Cognacglas und das Glas mit Eiswasser.

»Sie sind also auch auf«, sagte er. »Hält Sie Ihr schlechtes Gewissen wach?«

Shayne schloss die Tür, während sich Will Gentry auf dem Stuhl niederließ, auf dem Carrol gesessen hatte.

»Zu heiß zum Schlafen«, meinte Shayne. »Mein Gewissen ist im Augenblick mehr als rein.« Er setzte sich, griff nach der Cognacflasche und fragte: »Sie auch?«

Will Gentry schüttelte den Kopf und zog eine dünne, schwarze Zigarre aus der Brusttasche.