WODKA MIT NACHGESCHMACK - Brett Halliday - E-Book

WODKA MIT NACHGESCHMACK E-Book

Brett Halliday

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Mike Shaynes neuer Fall scheint zu schön, um wahr zu sein: Es geht um eine blonde, siebzehnjährige Fee, ein schwarzhaariges Hippie-Mädchen und um eine vermögende Erbin. Also für Mike, den Privatdetektiv aus Miami, gerade der richtige Harem... Das einzige, was ihn dabei stört, ist ein Toter. Doch Shayne stehen noch weitere Störungen bevor...   Brett Halliday (eigtl. Davis Dresser, * 31. Juli 1904 in Chicago, Illinois; † 4. Februar 1977 in Santa Barbara, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schriftsteller.  Der Roman  WODKA MIT NACHGESCHMACK  erschien erstmals im Jahr 1968; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1969.  Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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BRETT HALLIDAY

 

 

Wodka mit Nachgeschmack

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 265

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

WODKA MIT NACHGESCHMACK 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Mike Shaynes neuer Fall scheint zu schön, um wahr zu sein: Es geht um eine blonde, siebzehnjährige Fee, ein schwarzhaariges Hippie-Mädchen und um eine vermögende Erbin. Also für Mike, den Privatdetektiv aus Miami, gerade der richtige Harem... Das einzige, was ihn dabei stört, ist ein Toter. Doch Shayne stehen noch weitere Störungen bevor...

 

Brett Halliday (eigtl. Davis Dresser, * 31. Juli 1904 in Chicago, Illinois; † 4. Februar 1977 in Santa Barbara, Kalifornien) war ein US-amerikanischer Schriftsteller.

Der Roman Wodka mit Nachgeschmack erschien erstmals im Jahr 1968; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1969. 

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   WODKA MIT NACHGESCHMACK

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Raphael Petrocelli am Steuer der Nofretete III, einer 13-m-Motoryacht aus Glasfiber, gab sich alle Mühe, den von unten heraufdringenden Lärm zu überhören. Offensichtlich ging es heiß her. Dotty de Rham, die Frau des Eigentümers, hatte sich mit Gin vollgetankt. Sie bevorzugte sogenannte Martinis, aber Petrocelli - Kapitän, Navigator, Mädchen für alles - hatte schon genug davon serviert, um zu wissen, dass sie nur zwei Bestandteile enthielten - Eiswürfel und Gin.

Man konnte sie selbst zu den besten Zeiten nicht gerade duckmäuserisch nennen, aber nach einem Dutzend ihrer Martinis war sie so unberechenbar wie ein Spritzer Fett auf einer heißen Pfanne. Was sie sich in den Kopf setzte, führte sie auch gleich aus. Petrocelli schlürfte in Notwehr einen schwachen Gin mit Tonic. Er wusste sehr genau, dass das kein guter Einfall war. Es verstieß gegen seine Grundsätze, wenn er die Verantwortung für ein Fünfzigtausend-Dollar-Boot trug. Aber was konnte schon passieren? Er hielt geraden Kurs nach Süden, die Nacht war klar, der Mond stand im dritten Viertel, und der Atlantik konnte nicht glatter sein. Kein Grund zur Sorge.

Mrs. de Rham hatte ein heiseres, beinahe männliches Lachen, und jedes Mal, wenn es durch die Deckplanken heraufdrang, stellten sich die Haare an Petrocellis Nacken auf, was ihn zwang, wieder nach seinem Glas zu greifen. Der Haken bei der Sache war, dass sie selbst einen Felsen ins Wanken zu bringen vermochte. Er wusste, dass er sich vorsehen musste, wenn er nicht in die allergrößten Schwierigkeiten kommen wollte. Am Nachmittag hatte sie beispielsweise zwei Stunden lang auf dem Vordeck unter dem Ruderhausfenster ein Sonnenbad genommen, bekleidet mit einem Nichts von Bikini, zwei winzigen Stofffetzen, die kaum etwas verbargen. Petrocelli war daran gewöhnt und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Nach einer Weile jedoch, als sie auf dem Bauch lag, griff sie nach hinten und löste das Oberteil, damit keine weiße Linie ihre Bräune entstelle. Es war kaum zu fassen, welche Wirkung das hatte.

Zum Glück für alle Beteiligten befanden sie sich auf hoher See, wo es im weiten Umkreis weder Klippen noch Untiefen gab, denn Petrocelli hatte große Mühe, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Sie blieb auch nicht dauernd auf dem Bauch liegen, sondern richtete sich immer wieder auf, um nach ihrem Glas zu greifen oder sich von Paul Brady Feuer geben zu lassen. Dieser Brady - auch ein merkwürdiger Mensch. Petrocelli kannte sich mit ihm nicht aus. Angeblich war er verheiratet, aber seine Frau hatte er nicht mitgebracht. Er war etwa im gleichen Alter wie Henry de Rham, der Eigentümer - Mrs. de Rham war älter -, aber war er nun der Freund des Mannes oder der Frau? Darauf hatte Petrocelli keine Antwort finden können. Brady hatte lange Haare, war dick und träge, und er legte Wert darauf, Dinge ganz beiläufig zu äußern, die er für überaus gescheit hielt. Ein bisschen oberflächlich, dachte Petrocelli, gab aber gleichzeitig im Stillen zu, dass ihn das nichts anging.

Brady hatte am Nachmittag die Konversation fast allein bestritten. Mrs. de Rham hörte mit halbgeschlossenen Augen zu. Einmal unterbrach sie ihn und ließ sich von ihm eincremen. Wenn Petrocelli an seiner Stelle gewesen wäre, hätte er wirklich nicht genau gewusst, wo er aufzuhören vermocht hätte. Ihre Haut war seidenglatt. Nur zu gerne hätte er sie berührt. Brady dagegen tat so, als poliere er sein Auto. Er sprach dabei weiter. Petrocelli, der die Worte nicht richtig verstehen konnte, hatte das Gefühl, dass er sich bemühte, ihr etwas zu verkaufen. Petrocelli wusste, dass sie das Geld in der Familie hatte, war auch Mr. de Rham als Eigentümer des Bootes eingetragen und unterschrieb die Schecks.

Der Himmel bewölkte sich und machte dem Sonnenbad ein Ende. Mrs. de Rham tat nun etwas Merkwürdiges, jedenfalls kam es Petrocelli merkwürdig vor. Immer noch auf dem Bauch liegend, streckte sie mehr oder weniger blindlings die Hand aus und legte sie auf Bradys Gesäß. Sie ließ sie dort eine Minute liegen, tätschelte ihn dann wohlwollend, stand auf und presste das Oberteil des Bikinis an die Brust.

Ihre Augen waren nun auf gleicher Höhe mit Petrocellis. Einen Moment lang sahen sie einander durch die Glasscheibe an. Um ihre Mundwinkel spielte ein träges Lächeln, das sich in ein Lachen verwandelte, während sie zu ihm hineinsah. Dann ging sie hinunter. Was sollte er von diesem Lachen halten? War ihr plötzlich aufgegangen, dass er nicht einfach Teil des Mobiliars war, oder was sonst?

Die verheirateten Damen stellten eines seiner Berufsrisiken dar, wenn man erotische Beziehungen wirklich als Gefahr einstufen wollte. Er steuerte nun schon seit fünfzehn Jahren Vergnügungsboote und hatte sich in dieser Zeit mit etwa einem Drittel der Ehefrauen der Bootseigentümer eingelassen, was er sich als ordentliche Leistung anrechnete. Gewiss, um ehrlich zu sein, es kam nicht mehr so oft vor wie früher, als er ein schlanker, braungebrannter junger Mann gewesen war. Inzwischen hatte er die Fünf und dreißig überschritten, und auf einem Boot gab es wenig Bewegung. Seine Hüften neigten dazu, Speck anzusetzen. Er betastete sie und richtete sich im Sitzen auf.

Immerhin, bei denen, die tranken, kam er immer noch gut an, und Mrs. de Rham gehörte zweifellos zu ihnen. Was den ersten Schritt anging, so musste er vorsichtig sein. Schließlich hing seine Existenz davon ab. Der Blick, den sie ihm durch das Fenster zugeworfen hatte, genügte nicht. Diese Frauen verstanden es, einen fertigzumachen. Sie verfügten offenbar über geheime Informationskanäle. Wenn man die Falsche oder die Richtige zur falschen Zeit erwischte, konnten sie einem beruflich den Garaus machen. Im Prinzip ging die Sache so vor sich: Die jeweilige Dame erschien alleine im Yachthafen und erklärte, einen Ausflug unternehmen zu wollen. Es pflegte dann nicht lange zu dauern, bis sie die Eiswürfel aus der Kühlbox holte. Niemand trinkt gern allein. Selbst nach ein, zwei Gläsern wartete er noch, bis sie sich eindeutig festlegte. Und später, wenn der Ehemann wieder in der Nähe war, hieß es von neuem Jawohl, gnädige Frau und Nein, gnädige Frau oder Was soll ich jetzt machen, gnädige Frau?. Das schien ihnen am besten zu gefallen, dachte Petrocelli manchmal.

De Rham spielte im Salon Elektrogitarre. Für einen Amateur nicht einmal schlecht.

Petrocelli griff nach der Flasche auf dem Boden und goss Gin nach. Ein Gedanke brachte ihn zum nächsten, und er erinnerte sich an seine letzte Arbeitgeberin, eine magere Rothaarige. Angezogen hatte sie wenig aufregend gewirkt, aber beim Nahkampf - oho! Mrs. de Rham war fülliger, aber sie vermittelte denselben Eindruck. Sie schien stets vor einer Explosion zu stehen, die der Auslösende wohl in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde.

Seit sie New York verlassen hatten, war das Wetter erfreulich gewesen, und man hoffte, am folgenden Nachmittag Miami zu erreichen. Brady wollte sich dort verabschieden. Die de Rhams hatten vor, zum Karneval nach Brasilien zu fliegen, gedachten aber vorher noch einige Tage in Miami zu bleiben. Sie hatten in einem Yachthafen am Indian Creek einen Ankerplatz gemietet, und für Petrocelli stand jetzt schon fest, dass Mrs. de Rham am Tag nach ihrer Ankunft gegen zwei Uhr auftauchen würde. Wenn sich bis dahin nichts tat, würde kaum mehr etwas passieren. Die Großstadthitze würde erwähnt werden - Wäre es da auf dem Wasser nicht kühler? - Gewiss, gnädige Frau. Vielleicht würde sie eine der Matten ausbreiten, um ihre Bräune zu vervollkommnen. Wenn der Kapitän noch so freundlich wäre, ihr Gin mit Eis zu bringen und die Sonnencreme dort einzureiben, wo sie nicht hinlangen konnte? - Gewiss, gnädige Frau. - Wo genau? Hier? - Ja, ja. Und jetzt ein bisschen tiefer! - Tiefer? - Noch tiefer! 

Das Splittern von Glas rief ihn in die Gegenwart zurück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Mrs. de Rhams spöttisches Lachen schon geraume Zeit nicht mehr gehört hatte. Auch de Rhams Gitarre war verstummt. Petrocelli lauschte angestrengt. Sie fauchten und zischten einander an. Er hatte mit Ähnlichem gerechnet, seit Mrs. de Rham so vorwitzig gewesen war, Brady zu tätscheln. Aus irgendeinem Grund schien das immer während der letzten Nacht vor der Ankunft zu passieren, wenn alle begriffen, dass nicht länger unbegrenzte Zeit zur Verfügung stand. Noch ein Glas zerbrach.

Dann fiel Licht auf das Deck, und er hörte Schritte heraufkommen, weibliche Schritte. Er war nicht abergläubischer als andere Leute, wollte aber auch nichts unversucht lassen. Er klopfte dreimal auf die Mahagonitäfelung. Wenn Mrs. de Rham wirklich Ärger machen wollte, konnte er eine Extra-Portion Glück durchaus gebrauchen.

»Ich brauche Sie, Captain«, sagte sie. »Captain Petrocelli, Captain Raphael Petrocelli, ich brauche Sie dringend.«

Sie wirkte noch ein bisschen aufgeregter als sonst. Im allgemeinen bevorzugte sie ausgefallene Kleidung, aber diesmal trug sie eine kurze, gestreifte Jacke über einem tief ausgeschnittenen Kleid. Sie roch nach Gin und Parfüm.

Sie glitt auf ihn zu.,

»Werfen Sie den Treibanker«, sagte sie. »Ich lade Sie nicht zu einer Orgie ein, obwohl das bei anderer Gelegenheit sicher Spaß machen würde. Wir haben eine kleine Auseinandersetzung, mein Mann und ich, und ich möchte, dass Sie als Zeuge mit unterschreiben. Es geht um Geld. Um einen Haufen Geld.«

Sie nahm ihm die Mütze vom Kopf und setzte sie selbst auf. Er brauchte die Kopfbedeckung, sie stärkte sein Selbstbewusstsein. Er griff unwillkürlich danach und stieß mit dem Fuß die Flasche um.

»Captain, Sie trinken«, sagte sie spöttisch. »Ganz allein - wie ungesellig.« Dann setzte sie mit böser Stimme hinzu: »Los jetzt, verdammt.« Sie verfiel nicht oft in diesen Tonfall, aber wenn sie es tat, dann stets mit Erfolg. »Ich dulde keine meuternden Leute auf diesem Schiff.«

Da lag sie ein bisschen schief. Sie befanden sich außerhalb der Dreimeilengrenze, und die Befehle erteilte der Kapitän. Gewiss, sie trug jetzt die Kapitänsmütze, aber Kapitän blieb trotz allem Petrocelli.

Er ließ die Motoren kurz aufheulen, bevor er sie abschaltete, damit sie sofort ansprangen, wenn er sie brauchte. Sie wartete unter der Tür und winkte ungeduldig. Er hätte sich vielleicht weigern können, sie zu begleiten, aber andererseits wollte er gerne erfahren, was sich unten abspielte. Als Verantwortlicher an Bord hatte er die Pflicht, sich zu informieren.        

Er störte nicht, als er eintrat. Die beiden Männer schwiegen mürrisch und erweckten den Eindruck, als wünschten sie sich anderswohin. Der Grund dafür, dass de Rham nicht mehr Gitarre spielte, war, dass jemand - dreimal durfte man raten, wer - das Instrument gegen eine Tischecke geknallt hatte, was de Rham in Wut gebracht haben musste. Er war in seine Gitarre verliebt gewesen.

In der Badehose sah de Rham mager und knochig aus. Einen Ausgleich dafür versuchte er, so gut es ging, dadurch zu schaffen, dass er einen Vollbart trug, der bis zu den Ohren hinaufreichte. Jetzt trug er als einziges Kleidungsstück verwaschene, ausgefranste Blue Jeans. Paul Brady, auf dem herausklappbaren Sofa liegend, ein halbvolles Glas auf dem Bauch, versuchte kühl zu wirken, machte aber nur einen starren Eindruck. Er trug einen Pullover, eine gelbe Leinenhose und Segeltuchschuhe. Die Füße hatte er übereinandergeschlagen.

»Captain«, murmelte er, »Sie wollen schiedsrichtern?«

Mrs. de Rham war am Nachmittag als Blondine aufgetreten - die Farbe war mehr oder weniger natürlich, jedenfalls eigenes Haar. Jetzt trug sie eine dunkle Perücke.

»Ich habe den Captain beim Trinken ertappt«, sagte sie freundlich. »Aus diesem Grund drehen wir für die Nacht bei. Sagt man so? Raphael Petrocelli, ich glaube, dass ich Sie zum ersten Mal ohne Ihre Mütze sehe. Ihre Stirn ist unnatürlich blass.«

»Natürlich blass«, verbesserte Brady. »Wenn er die Mütze aufhat, kann die Sonne nicht hin. Man braucht nur an die Stellen eines Frauenkörpers zu denken, die vom Badeanzug bedeckt werden.«

»Soweit vorhanden«, sagte de Rham.

»Soweit vorhanden«, bestätigte Brady.

Voll wie Strandhaubitzen, alle beide. Sie tranken schottischen Whisky, im Gegensatz zu Mrs. de Rhams Gin.

»Du bist der Gastgeber, Henry«, sagte sie. »Captain Petrocelli möchte etwas trinken. Streng dich an.«

»Ich habe mich für heute genug angestrengt.«

»An diesem Land ist schon faul, dass die Männer keine Manieren haben«, sagte sie zu Petrocelli. »Von Jahr zu Jahr wird es schlimmer. Als ich jung war, mussten die Jungen in der Tanzschule weiße Handschuhe tragen. Sie verbeugten sich tief. Sie standen auf, wenn ein Mädchen ins Zimmer kam.«

»Das war vor dem Zweiten Weltkrieg, nicht wahr?«, meinte ihr Mann. Petrocelli empfand das als unfair. Sie

mochte im Höchstfall dreißig sein, und um so vieles jünger war de Rham nun auch wieder nicht. Vielleicht sechsundzwanzig. Bei dem Bart ließ sich das schwer beurteilen.

Inzwischen mixte ihm Mrs. de Rham ein Getränk. Großes Können erforderte das nicht. Sie goss einfach Gin in ein Glas.

»Eis haben wir leider nicht mehr.«

An sich gab es Dinge, die Petrocelli lieber mochte als warmen Gin. Im Ruderhaus mussten noch ein paar Eiswürfel sein, aber er erbot sich nicht, sie zu holen. Sie war streitlustig. Ihr Mund zeigte einen bösen Zug, so als warte sie nur auf die Gelegenheit, zuzupacken, sobald sich jemand eine Bemerkung erlaubte, die ihr nicht genehm war. Für Petrocelli gab es nur eines: austrinken und das Weite suchen. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt durch Arbeit. Wer war schon auf solche privaten Dinge neugierig?

»Raphael Petrocelli«, sagte sie. »Ein schöner Name, und den sollen Sie jetzt auf ein schönes Stück Papier setzen. Hier ist es. Sie können mit meinem Füller unterschreiben und ihn als Souvenir behalten.«

Sie gab ihm ein Blatt Papier. Der Text war in einer nahezu unleserlichen Handschrift abgefasst. Die Buchstaben wander- ten steil von links nach rechts. Sie zeigte ihm eine Stelle am unteren Rand. Das Schriftstück trug bereits ihren Namen - Dorothy de Rham. Paul Brady hatte als Zeuge unterzeichnet.

Petrocelli unterschrieb nicht gerne, ohne zu wissen, was er vor sich hatte. Das gehörte zu seinen Regeln.

»Was ist das?«

»Sie haben nur meine Unterschrift zu beglaubigen, damit nach dem Gesetz keine Zweifel entstehen können«, sagte sie gereizt. »Eine Formalität.«

»Ein neues Testament«, erklärte de Rham. »Sie enterbt mich. Ich bin völlig gebrochen. Man sieht es mir vielleicht nicht an, aber innerlich bin ich zerstört.«

»Keinen Penny bekommt er«, meinte Brady.

Petrocelli hätte sich wohl er gefühlt, wenn nicht alle total betrunken gewesen wären, aber was ging ihn das Ganze an? Er schrieb seinen Namen nieder. Es war mit Abstand die leserlichste Unterschrift. Mrs. de Rhams Gekritzel schien von einem gemütskranken Huhn hinterlassen worden zu sein.

»Jetzt ist es amtlich«, sagte sie. »Captain, Sie haben eine wunderbare Handschrift. Schau dir seine Unterschrift an, Liebling. Ist das nicht wie auf der Unabhängigkeitserklärung?«

De Rham starrte in die Luft. Mrs. de Rham bot Petrocelli noch einen Drink an, aber er lehnte ab und ging zur Tür. Was gesprochen wurde, klang höflich, wenn auch etwas eisig, aber die Atmosphäre war von Gewalttätigkeit erfüllt. Sie hielt ihn am Ärmel fest.

»Die beiden haben sich aus irgendeinem Grund gegen mich verbündet. Hören Sie zu, ich bin aufgeputscht. Wenn jemand eine Gitarre mit Verstärker spielen würde, um ein ganz ausgefallenes Beispiel zu nennen, ginge ich wie eine Rakete hoch. Bei solchen Gelegenheiten brauche ich ein bisschen Liebe, je energischer, desto besser. Von diesen beiden Schöngeistern habe ich sie wohl nicht zu erwarten. Halten Sie sich also bereit. Verstehen Sie, was ich meine?«

Sie setzte ihm die Mütze wieder auf. Er wusste sehr genau, was sie meinte, und es gefiel ihm kein bisschen.

»Sie sind ein gutaussehender Mann, Raphael Petrocelli. Stellenweise schon ein bisschen fett, aber durchaus aufregend.«

Dann tat sie etwas, das ihn verblüffte, ungeachtet seiner großen Erfahrung mit unberechenbaren reichen Frauen. Sie presste sich an ihn und küsste ihn leidenschaftlich, ohne jede Hemmung, genau so, als müsse der nächste Schritt unweigerlich in die Schlafkabine führen. Er war schockiert. Eine solche Frau hatte er noch nicht gesehen. Wenn die beiden anderen Männer auch nur im Mindesten interessiert waren, konnten sie ganz deutlich erkennen, was sich da abspielte.

Er fluchte grimmig vor sich hin, als er endlich auf Deck stand. Dieses Weibsbild musste den Verstand verloren haben! Hier waren sie, alle vier, eingesperrt in eine Yacht, weitab vom Land. Warum konnte sie nicht wenigstens warten, bis sie in Miami waren, wenn sie schon solchen Wert darauf legte, einen Liebhaber zu gewinnen? Sie spielte mit Dynamit. Das konnte nur übel ausgehen.

Auf einem Boot von dieser Größe konnte man gewisse Dinge einfach nicht tun.

Er kehrte ins Ruderhaus zurück, um die Flasche und das Eis zu holen. Nachdem er sich in seine Kabine zurückgezogen hatte, zögerte er einen Augenblick und schob dann den Riegel vor. Vielleicht wollte sie ihn mitten in der Nacht besuchen, aber er dachte nicht daran, sie hereinzulassen. Schließlich sollte so etwas Vergnügen machen.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Henry de Rham begann zu bedauern, dass er so viel getrunken hatte. Er vermochte sich buchstäblich nicht mehr zu bewegen.

Er beobachtete, was seine Frau mit Petrocelli anstellte, und fühlte sich völlig unbeteiligt. Selbst wenn er gewusst hätte, was er dagegen unternehmen sollte, wäre er physisch nicht in der Lage gewesen, überhaupt etwas zu tun. Petrocelli machte den Eindruck, ein erfahrener Raufbold zu sein. Wer würde bei einem fairen Kampf unterliegen? Sicher der empörte Ehemann.

Und war es ihm wirklich so wichtig? Dies ging zwar ein bisschen weit, aber der Unterschied lag nur im Grad, nicht in der Art. Dotty gehörte von Haus aus nicht zu den treuesten Ehefrauen New Yorks. Sie hatte etwas vor, das nicht mit ihren erotischen Impulsen zusammenhing. Es sei denn, die zarten Fäden, die sie noch mit der realen Welt verknüpften, wären endgültig gerissen.

Vor der Heirat hatte er sie einmal für eine sympathische Spinnerin gehalten, zwar reichlich verantwortungslos, aber das galt für ihn genauso. Sie stellte eine angenehme Abwechslung gegenüber all den nur mäßig interessanten, konventionellen Menschen dar, die er kannte. In letzter Zeit war er jedoch zu der Ansicht gekommen, dass sie die Ungezwungenheit etwas übertrieb. Sie war mal ganz oben, dann wieder ganz unten. Mit jedem neuen Hoch oder Tief wurde es schlimmer. Seine Rolle in dieser Ehe schien darin zu bestehen, dass er im Wagen einer Achterbahn festgeschnallt war, und wenn nicht noch andere Faktoren gewesen wären, vor allem das Geld, hätte er dem Ende der Fahrt erleichtert entgegengesehen.

Er und Paul Brady hatten während der Universitätszeit in Harvard gemeinsam ein Zimmer bewohnt. De Rham hatte die vier Jahre mit Mühe überstanden, Paul jedoch eine schlechte Note zu viel geschrieben und deshalb auf das Diplom verzichten müssen. Alle Leute, die sie kannten, hatten genau gewusst, was sie nach dem abgeschlossenen Studium tun wollten. Der Gedanke, in irgendeinem Unternehmen als Volontäre zu beginnen, schreckte sie ab. Sie hatten Vergnügen daran, harmlose Verse zu schreiben, sie konnten gut fotografieren, sie liebten die Musik und das Theater, aber irgendein bestimmtes Talent oder ein beherrschendes Interesse besaßen sie nicht. Deshalb entschieden sie eines Abends, in stark alkoholisiertem Zustand, das einzig Vernünftige sei, eine Frau mit Geld zu heiraten.

Und genauso ergab es sich. Pauls Frau wies nur einen Nachteil auf. Sie war der Meinung, ihr Mann solle jeden Vormittag um neun Uhr in ein Büro, in irgendein Büro gehen. Was er trieb, war ihr egal, solange er es in einem Büro mit Telefon und Sekretärin tat. Paul hatte sich damit nicht abfinden können, und die Ehe war dadurch in die Brüche gegangen.

Dotty hing einer solchen Verrücktheit nicht an, dafür aber verschiedenen anderen. Vor allem verlangte sie mehr Sympathie und Unterstützung, als Henry zu geben bereit war.

Die Gammler waren auf dem richtigen Weg. Man stritt sich nicht herum. Man lehnte es einfach ab, an dem unsinnigen Wettlauf der Gesellschaft teilzunehmen. Man ließ Haare und Nägel wachsen und trug seine Unterwäsche, bis sie auseinanderfiel. Man lebte in einer schäbigen Wohnung, bis man hinausgeworfen wurde, dann zog man in die nächste. Von Henrys Sicht aus hatte das nur den Haken, dass er altmodisch war, den Alkohol liebte und sich vor Rauschgiften fürchtete.

Er war wohl ein Zerrissener. Jeder hatte eben seine Schwächen, und die seine bestand darin, dass er für regelmäßige Mahlzeiten schwärmte. Er sah keinen Anlass, sich mit einer Bruchbude abzufinden, solange er nicht dazu gezwungen war. Es gefiel ihm, auf einem teuren Boot zu liegen und das Wasser vorbeirauschen zu sehen. Er konnte nichts Schlechtes an materiellem Besitz finden, solange er ihn keine Mühe und keine allzu unerfreulichen Kompromisse kostete. In Ländern, wo es schwierig war, eine Scheidung zu erlangen, hatte man fürs Leben ausgesorgt, sobald man mit der Frau vor den Traualtar getreten war. Aber nicht hier. Hier musste man sich anstrengen, um sie bei Laune zu halten, oder man brauchte einen Hebel. Er hatte geglaubt, Dotty endgültig in der Tasche zu haben, dank einer Unbedachtsamkeit auf ihrer und blitzschnellen Überlegens auf seiner Seite. Aber offenbar war das ein Irrtum gewesen.

Er fand sich mit der Tatsache ab, ein passiver Typ zu sein. Dieser Wahrheit hatte er sich schon vor langer Zeit gestellt, aber Dotty konnte die Menschen nicht so nehmen, wie sie waren. Sie lief stets mit Volldampf, sie musste unablässig organisieren und manipulieren. Dieses Theater mit dem Testament heute - sie forderte ihn heraus, rücksichtslos zu sein und sie der Polizei zu übergeben, wenn er den Mut dazu besaß. Sie ließ ihn wissen, dass er, unter anderem, ein miserabler Erpresser war. Sie spielte um den gesamten Einsatz, und was sollte er dagegen unternehmen?

Er war hundemüde. Nichts nahm scharfe Umrisse an. Jedes Auge lieferte ein eigenes Bild, und er konnte sie nicht zur Deckung bringen. Dottys Gesicht überschnitt sich, als sie von der ärgerlichen Vorstellung unter der Tür mit dem armen Petrocelli zurückkam, der völlig durcheinander sein musste, mit dem Gesicht daneben so stark, dass de Rham nicht beurteilen konnte, welchen Ausdruck es zeigte.

»Wollt ihr wissen, warum ich wirklich ein neues Testament gemacht habe?«, fragte sie.

»Dotty, es ist dein Geld, und du hast beschlossen, es nicht Henry zu hinterlassen«, klagte Paul. »Lass es gut sein damit.«

»Nein, ich will es erklären. Er glaubt, ich hasse ihn. Ganz und gar nicht. Ich liebe ihn und hätte eine Ehe mit ihm um alles in der Welt nicht missen mögen. Er ist nicht übermäßig männlich, aber auf seine Weise ein ganz guter Liebhaber, sobald ich ihn soweit bringe.«

»Du hast doch immer nur mit den Fingern zu schnippen brauchen«, sagte de Rham.

»Ich kann ihm das meiste verzeihen, zum Beispiel, dass er mich nur benutzt, mich größtenteils ignoriert, aber was ich nicht verzeihen kann...«

In ihren Augen standen Tränen. Wenn man sie analysiert hätte, dachte de Rham, wäre sicher dabei herausgekommen, dass sie zu neunzig Prozent aus Gin bestanden.

Ihre Stimme versagte.

»Niemand lässt sich gern zum Narren machen.«

»Dotty, das war Spaß«, wandte de Rham ein.

»Ich weiß, dass es ein Spaß war, ein grausamer Spaß. Glaubst du, dass du dir, wenn du dich sehr anstrengst, vorstellen kannst, wie mir zumute war, als ich mein eigenes Haus betrat und hören musste, wie mich mein Mann vor einem alten Schulfreund nachäfft?«

»Warum muss ich es mir noch vorstellen, Süße? Du hast es mir ja oft genug gesagt.«

Paul, auf der anderen Seite der Kabine, verbiss das Lachen. Am liebsten wäre er herausgeplatzt. Taktisch unklug, wie de Rham wusste, denn Frieden konnte man nur bekommen, wenn Dotty alle Klagen an den Mann gebracht hatte und um Verzeihung gebeten worden war. Wenn man ihr beibringen konnte, dass man es ernst meinte, hatte man wieder einen Tag gewonnen.

Paul begann zu gurgeln und platzte los. Sie trat zu ihm und goss ihm den Inhalt ihres Glases über den Kopf.

»Das war eine komische Imitation, nicht wahr, Paul?«

»Verdammt komisch«, wieherte Paul. »Dotty, du vergeudest guten Gin.«

»So komisch konnte ich es nicht finden«, sagte sie. »Für mich war es die größte Gemeinheit, die er sich je geleistet hat, und er kann sehr gemein sein, ohne sich auch nur anzustrengen. Es waren private Dinge, über die er sich lustig gemacht hat, Dinge, die ich ihm im Vertrauen gesagt hatte, im Bett. Was glaubt ihr, wie mir zumute war, mich auf diese sarkastische, verzerrte Weise wiederzuhören? Da habe ich mir vorgenommen...«

Es widersprach de Rhams ureigenstem Interesse, aber er konnte sich nicht helfen. Er begann die Beherrschung zu verlieren. Was hieß da taktischer Fehlen! Seine Imitation Dottys in kritischer Stimmung war der schwerste taktische Fehler des Jahrzehnts gewesen. Passiert war es an einem Mittwochnachmittag. Sie besuchte angeblich eine Nachtmittagsvorstellung im Theater, hatte es sich jedoch im letzten Augenblick anders überlegt und war zurückgekommen, weil sie in seinen Armen liegen wollte. Paul war zum Mittagessen erschienen. Er hatte, während der Whisky in Strömen floss, belustigt von seiner brüchigen Ehe erzählt, und plötzlich hörte sich de Rham mit der Stimme seiner Frau sprechen. Paul hatte vor Lachen gebrüllt und de Rham angestachelt, immer tollere Effekte zu erzielen.

Sie hatten die Tür nicht aufgehen hören. Sie hörte lange Zeit zu, bevor sie eingriff. Diesmal hatte de Rham sich wirklich anstrengen müssen. Er glaubte schließlich, sie überredet zu haben, dass sie die Geschichte vergaß. Diese Kreuzfahrt und der Ausflug nach Brasilien hatten die Versöhnung besiegeln sollen. Er hatte jedoch übersehen, dass er es mit einer Neurotikerin zu tun hatte, und solche Leute vergaßen nie, was man ihnen antat.

»Ich glaube wirklich nicht, dass ich noch länger mit dir verheiratet sein will, Liebling«, sagte sie zu de Rham und füllte ihr Glas mit Gin. »Du lässt dich doch scheiden, nicht wahr?«

»So würde ein Gentleman handeln.«

»Er ist aber kein Gentleman«, sagte Paul. »Lass dir nichts vormachen, Dotty. Er hat zwar Harvard abgeschlossen, aber ein feiner Mann ist er dadurch nicht geworden.«

»Richtig«, murmelte de Rham. »Ich will nicht in den Konkurrenzkampf. Dafür bin ich einfach nicht geschaffen.«

»Ich finde dich mit einem kleinen Barbetrag ab...«

»Nein, Dotty, schlag dir das aus dem Kopf. Mein Problem ist, dass ich nicht ins zwanzigste Jahrhundert passe. Ich bin so leicht zufriedenzustellen. Mir gefällt alles so, wie es ist.«

»Aber so kann es nicht bleiben!«, entfuhr es ihr. »Ich kann es nicht ertragen, dich in der Nähe zu haben. Ich bezahle dir keine Rechnung mehr.«

»Ich brauche nicht viel.«

»Nur eine Flasche Whisky am Tag.« Sie umfasste sein Kinn mit einer Hand und drückte mit aller Kraft zu. »Was muss ich noch tun, damit du endlich begreifst?«