Die rebellische Königin - oder: Die Rebellin des Papstes - Katrin Burseg - E-Book
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Die rebellische Königin - oder: Die Rebellin des Papstes E-Book

Katrin Burseg

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Beschreibung

Zur Königin geboren, zur Rebellin bestimmt: Der fesselnde historische Roman »Die rebellische Königin« von Katrin Burseg jetzt als eBook bei dotbooks. Zwischen Triumph und Tragödie: Eine Königin ohne Krone – mit der Macht, die Säulen der bekannten Welt zu erschüttern! Rom, Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Ewige Stadt ist in Aufruhr: Nach ihrem Thronverzicht, dem spektakulären Wechsel zum katholischen Glauben und ihrem Gang ins Exil hofft Christina von Schweden hier auf einen Neuanfang. Schnell wird die Königin ohne Land zur schillernden Ikone der Stadt – doch ihre rebellische Natur, ihr Drängen gegen alle Konventionen, sind dem Papst schon bald ein Dorn im Auge. Als Christina dem Findelkind Maria begegnet und deren rätselhafte Herkunft zu entschlüsseln versucht, stößt sie auf ein Geheimnis, das die Grundfesten der Kirche ins Wanken bringen wird – und Christina alles kosten könnte, was sie liebt … »Ein besonderes Buch für eine besondere Persönlichkeit. Katrin Burseg verwebt Historie und Fiktion untrennbar miteinander und schafft einen historischen Roman, der absolut lesenswert ist.« schreib-lust.de Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die prachtvolle Romanbiografie »Die rebellische Königin« von Katrin Burseg. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 632

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Über dieses Buch:

Zwischen Triumph und Tragödie: Eine Königin ohne Krone – mit der Macht, die Säulen der bekannten Welt zu erschüttern!

Rom, Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Ewige Stadt ist in Aufruhr: Nach ihrem Thronverzicht, dem spektakulären Wechsel zum katholischen Glauben und ihrem Gang ins Exil hofft Christina von Schweden hier auf einen Neuanfang. Schnell wird die Königin ohne Land zur schillernden Ikone der Stadt – doch ihre rebellische Natur, ihr Drängen gegen alle Konventionen, sind dem Papst schon bald ein Dorn im Auge. Als Christina dem Findelkind Maria begegnet und deren rätselhafte Herkunft zu entschlüsseln versucht, stößt sie auf ein Geheimnis, das die Grundfesten der Kirche ins Wanken bringen wird – und Christina alles kosten könnte, was sie liebt…

»Ein besonderes Buch für eine besondere Persönlichkeit. Katrin Burseg verwebt Historie und Fiktion untrennbar miteinander und schafft einen historischen Roman, der absolut lesenswert ist.« schreib-lust.de

»Königliche Unterhaltung.« freundin

Über die Autorin:

Katrin Burseg, geboren 1971 in Hamburg, wuchs auf einem über hundert Jahre alten Bauernhof in Schleswig-Holstein auf. Ihr Faible für Geschichte und Romane ließ sie Kunstgeschichte und Literatur studieren, bevor sie als Journalistin arbeitete. Sie hat mehrere historische Romane veröffentlicht und erhielt für ihren Roman »Liebe ist ein Haus mit vielen Zimmern« den Delia Literaturpreis 2016 in der Kategorie Liebesroman. Katrin Burseg, die auch unter den Pseudonymen Karen Bojsen und Karen Best veröffentlicht, mag alte Bäume und Spaziergänge am Wasser, sie hört gerne klassische Musik und liebt die überraschenden Abenteuer beim Schreiben. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg und an der Nordsee.

Die Autorin im Internet: katrinburseg.de/

Bei dotbooks veröffentlichte sie auch ihren historischen Roman »Die Zofe der Königin«.

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eBook-Neuausgabe Juni 2020

Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Die Rebellin des Papstes« bei Fredebold und Fischer.

Copyright © der Originalausgabe 2010 fredebold&tpartner gmbh Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Kiselev Andrey Valerevich , Giraphics, one AND only und Neirfy

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-888-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Katrin Burseg

Die rebellische Königin

Historischer Roman

dotbooks.

»Die Leidenschaften werden mit uns geboren und sterben mit uns, und man kann sie aus der Seele nicht mit der Wurzel ausrotten.«Christina von Schweden

»Weil du mich gesehen hast, glaubst du.Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.«Evangelium nach Johannes, Kapitel 20, Vers 29

PROLOG

Stockholm, anno 1634

Die Nächte – wie ein endloser, böser Traum. Da war das Herz des Königs, sie ruhten unter seinem toten Herzen. Jeden Abend, wenn sich die Bettvorhänge seufzend schlossen und die Truppe der Zwerge und Buckligen in ihren Ecken lag, befestigte die Königin, Christinas Mutter, die goldene Kapsel im Himmel ihres Bettes. Sie küsste das metallene Gefäß, dann ließ sie sich an die Seite ihrer Tochter sinken. Wie eine Ertrinkende schlang sie die Arme um das Mädchen. Sie klammerte sich an sie und murmelte Gebete – eine Litanei wirrer Worte. Ihr heißer, saurer Atem strich über das Kind und hüllte es in Verzweiflung ein, bis der Strudel aus Trauer sie endlich in den Schlaf riss und sich ihr Körper entspannte.

Vom Schein der Totenkerzen beleuchtet, schwebte die Büchse vor den Augen des Mädchens. Ihr Umriss zeichnete Schatten auf die Vorhänge, Wolken, die himmelwärts zogen. Manchmal glaubte das Kind, das leblose Fleisch darin verwandele sich, begänne wieder wie ein Herz zu schlagen, und sein geliebter Vater, der große König Gustav Adolf, spräche zu ihm und flüstere ihm seine Liebe zu. »Christina«, schien er zu wispern, »meine Christina.« In diesen Momenten erinnerte sich die Prinzessin an das geteilte Glück, auf ihren Jagdausflügen etwa. Sie war nicht älter als vier Jahre gewesen, und doch hatte sie den König in die Moore hinaus begleiten dürfen. Stark und wie von goldenem Glanz überzogen hatte er seine Tochter zu sich auf sein Pferd gehoben, und später, als sie das erlegte Wild, Hasen und Rebhühner, am Sattel befestigten, hatte Christina ihre Nase in die zuckenden Körper gedrückt und entrückt das warme Blut gerochen. Es war noch Leben darin gewesen, ein letzter, atemloser Hauch.

Jetzt strich Todesgeruch durch die Gemächer der Königin Maria Eleonora. Christinas Mutter klammerte sich nicht nur an das Herz ihres Gatten, sie wollte auch seinen Leichnam nicht hergeben. »Geht«, hatte sie gekreischt, als die Mitglieder des Reichsrates auf eine Beerdigung drängten. »Ich habe den König zu seinen Lebzeiten nicht halten können. Zumindest jetzt will ich ihm nahe sein!« Ihre Raserei war nicht von dieser Welt gewesen. Verzweifelt hatte sie sich Kleid und Mieder von der Brust gerissen, und der Anblick ihrer gespenstischen Blöße beschämte die Alten – den Kanzler, die Minister und Generäle – und schlug sie in die Flucht.

Seit mehr als einem Jahr stand der mit Perlen besetzte Ebenholzsarg nun neben ihrem Bett. Der einbalsamierte Körper Gustav Adolfs ruhte darin, Gesicht und Brust von silbernen Masken bedeckt, die sie immer wieder streichelte und mit Küssen bedeckte. Sie zwang auch ihre Tochter, den Toten zu küssen, und die Trauer um den Vater und der Ekel vor der Kälte und dem Gestank seines Leichnams ließen das Kind erstarren.

»Ich will das nicht«, wollte Christina der Mutter entgegenschleudern. »Ich will nicht mehr.« Doch ihr kindlicher Gehorsam lähmte sie, und die Angst vor dem Geist des toten Vaters, den sie nachts bei sich wusste, raubte ihr die Stimme. Nicht mehr als ein heiseres Schluchzen, das die Mutter mit Schmerz verwechselte, stieg aus ihrer Kehle empor.

Und die Tage? Auch sie waren eine düstere Melange von Trauer und Sprachlosigkeit. Die Dunkelheit beherrschte die Räume der Königin und schluckte alles Leben. Schwarze Tücher bedeckten die Wände und verhüllten die farbenprächtigen Gobelins. Die Fenster, die sich in glücklicheren Tagen auf die Wasser der Ostsee geöffnet hatten, verschwanden hinter dunklen Trauervorhängen. Kein Sonnenstrahl schlüpfte herein, und der Sommer, der früh gekommen war, leuchtete einer anderen Welt Immer wieder hallten Predigten, Gebete und fromme Lieder wie eintönige Gesänge des Todes durch die Gemächer der Königin. Sie wiegten die Witwe in ihrem Kummer: »Mein geliebter Herr, mein geliebter Mann«, entwich ihr der immergleiche Seufzer. Sie war der Welt entrückt. Nur die Gaukler, Zwerge und Buckligen, die sich die Königin einst zu ihrem Vergnügen hatte schenken lassen und die im Kerzenlicht ihre Darbietungen gaben, ließ Maria Eleonora für wenige Momente in seligen Erinnerungen schwelgen.

Übernächtigt flüchtete sich Christina in ihre Bücher. Wie es der König ihr befohlen hatte, las sie die alten Geschichten, studierte Aristoteles, Tacitus, Seneca und verlor sich in ihren Tagträumen. In Gedanken sah sie Caesar und Alexander ihre Heldentaten vollbringen. Sie lernte die Gelassenheit der Stoiker zu verehren und begeisterte sich für die Schönheit der französischen Grammatik. Mit jeder Seite ließ sie das Unglück ihrer Familie ein Stückchen weiter hinter sich. Die tröstliche Welt der Buchstaben, das Gewicht des geschriebenen Wortes, die schweren Folianten in ihren Bücherschränken, die zu ihr zu sprechen schienen, sollten für alle Zeiten zu ihrem Paradies und Universum werden. Erst abends kehrte sie aus dem Studierzimmer in das Reich der Mutter zurück und ließ sich dort durch eine weitere schlaflose Nacht treiben.

Der Leichnam des Königs war, von seinen Fußsoldaten und Reitern begleitet, aus Deutschland nach Schweden überführt worden. Man hatte seinen Körper im Staub der Schlachtfelder von Lützen gefunden, und es hieß, selbst seine Gegner wie der Kaiser im fernen Wien hätten den Tod des Feindes betrauert, und einfache Leute in ganz Europa, die den großen König nie zu Gesicht bekommen hatten, seien über die Nachricht seines Todes in Tränen ausgebrochen. Doch über Christinas Mutter war ein Schmerz gekommen, der jede menschliche Vorstellung überstieg. Sie war außer sich, wie von Sinnen und erstickte die Tochter, die Erbin des stolzen Geschlechts der Wasa, in ihren verzweifelten Tränen: »Du bist alles, was mir geblieben ist. Mein Herz, mein Augapfel, mein Sternenkind und Löwe.«

Christina war vom Fleisch des Königs, sein pulsierendes Blut, sein schlagendes Herz, sein Erbe. Sie war ihre nächtliche Gefangene und ihr Pfand gegen den Triumph des Todes. Nur zögerlich plante die Regierung der fünf großen Alten das Staatsbegräbnis, und Prinzessin Christina, der Dunkelheit und den flüsternden Stimmen der Erinnerung ausgeliefert, suchte in den schlaflosen Nächten Zuflucht in ihren Gedankenwelten. Über die Wochen und Monate hatte sie es gelernt, sich ganz in sich selbst zurückzuziehen und den Kern ihres Denkens aufzusuchen. Wenn sie an diesen Punkt gekommen war, öffnete sich eine Tür, und sie konnte ihren kleinen Körper verlassen, über allem schweben, so leicht wie Daunenflaum. Dann sah sie sich neben dem weichen Fleisch der Mutter liegen, und an ihrer Seite leuchtete die metallische Skulptur des Vaters. Sie hörte auf zu atmen, jede Nacht ein wenig länger, bis sie auch diesen Schmerz aushalten konnte. Sie wollte vergessen. Alles. Wollte unberührbar sein. Sich in Dunkelheit und Einsamkeit auflösen. Und es gelang – bis die Alten die Prinzessin endlich retteten.

Am 15. Juni anno 1634 trugen die Schweden ihren König Gustav II. Adolf, den sie »den Großen« und den »Löwen aus Mitternacht« genannt hatten, zu Grabe. Seit seinem Tod waren mehr als neunzehn Monate vergangen, trotzdem hatten die Alten der Witwe Herz und Leichnam gewaltsam nehmen müssen – so wie sie ihr das Kind entreißen mussten. Bewusstlos hatte es eines Morgens an der Seite der Mutter gelegen, nur wenig mehr noch als ein Schatten seiner selbst. Es war genug. Alarmiert von Christinas Zustand und in Sorge um das Schicksal des Reiches, schritten Reichskanzler Axel Oxenstierna und die Generäle ein. Sie stürmten das Schlafzimmer der Königin, trugen das ohnmächtige Kind unter den hysterischen Schluchzern der Mutter fort und brachten es an einen sicheren Ort, wo es zwei Tage später schreiend und in der Obhut seiner Tante erwachte.

Dann betteten sie den König auf eine silberne Bahre, auf seine Brust legten sie das blutbefleckte Schwert, so wie man es neben dem Toten auf dem Schlachtfeld von Lützen gefunden hatte. Eine Woche später begleitete das Volk den Trauerzug zur Riddarholmskirche in Stockholm, der letzten Ruhestätte der schwedischen Könige. Die Menschen weinten und klagten und drängelten um einen Platz in der ersten Reihe. Wer sich nach vorne gekämpft hatte, erblickte zwischen den Adligen, Soldaten und Höflingen eine schmale, zierliche Gestalt – es war die siebenjährige Königin.

Unter dem Trauerschleier schien Christina ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten: Sie hatte seine hohe Stirn geerbt, seine durchdringend blauen Augen und die stolze, leicht gebogene Nase der Wasa. Sie trug nun den Titel der Königin der Schweden, Goten und Wandalen, Großfürstin von Finnland, Herzogin von Estland und Karelien und Herrin von Ingria. Gott selbst, so machten es die Alten sie glauben, habe ihr das Zeichen der Hoheit verliehen. Und so lasen die Schweden aus dem sturen Blick ihrer kindlichen Königin den Willen zu herrschen. Niemand, so verkündete der Stolz in diesem fiebrig geröteten Gesichtchen, würde ihr diesen Willen je nehmen können.

Bis zu ihrer Volljährigkeit sollten die fünf großen Alten um den zähen Reichskanzler Oxenstierna Schweden im Namen ihrer kleinen Königin regieren, während man das Mädchen streng und von der wahnsinnigen Mutter getrennt, so wie es der Vater einst verfügt hatte, wie einen Prinzen erzog.

EINS

Rom, Frühjahr anno 1656

Der Wagen ließ die Piazza Farnese mit ihrem mächtigen Palast hinter sich und bog auf den Campo dei Fiori ein. Der Blumenmarkt lag im Schatten der ockerfarbenen Geschäftshäuser, das Licht der tief stehenden Abendsonne war durch die Gassen hinunter zum Tiber gewandert. Zu dieser Stunde bevölkerten nur noch wenige Marktfrauen in römischer Tracht den Platz und hofften auf späte Kunden. Sie boten ihre letzten Lilien, Narzissen und Hyazinthen an. Dazwischen verströmten Pflaumen- und Pfirsichblüten ihren Duft, in flachen Körben lockten Kräuter wie Kamille, Pfefferminz, Salbei, Koriander und Rosmarin.

Als die Kutsche über das Pflaster rollte, blickten die Frauen auf. Sechs Pferde zogen den mit Silberbeschlägen verzierten Wagen über den Platz. Das Gefährt, ein Geschenk des Papstes, war nach einem Entwurf des Cavaliere Bernini gefertigt worden. Der größte Künstler Roms hatte eine majestätische Karosse geschaffen, und tatsächlich drückte sich eine Königin in deren Polster aus blauer Seide. Die Marktfrauen zischten und zeigten auf die Kutsche. »Da kommt sie, da kommt sie«, riefen sie sich zu, um dann in einen freundlichen, aber nicht allzu tiefen Knicks – denn die Römerinnen hatten ihren Stolz – zu sinken. »Da kommt die Königin ohne Land.«

Christina von Schweden lachte wie ein übermütiges Kind. Sie genoss die Aufregung unter den Marktfrauen. Ein Strahlen wie ein Schleier von Licht zog über ihr Gesicht und ließ es für einen Moment jung und unbeschwert leuchten. Noch immer war ihr Erscheinen in den Straßen Roms ein Ereignis, so wie auch ihr Einzug in die Stadt vor wenigen Wochen spektakulär gewesen war. Immer wieder kamen Christina die Bilder ihrer Ankunft in den Sinn. Sie war mit ihrem kleinen Gefolge von Norden über den Ponte Milvio, die älteste Brücke Roms, gekommen. Berittene Gardisten hatten ihren Weg hinein in die Stadt entlang der Via Flaminia gesäumt. Es war ein Triumphzug gewesen bis hinunter zum Stadttor der Porta del Populo, wo sich die Kardinäle Roms und das staunende Volk einträchtig zu ihrem Empfang versammelt hatten.

Dort, in der Attika des steinernen Bogens, hatten sie auch die so lang ersehnten Worte des Papstes begrüßt: »Felice faustoque ingressui«. Schnell hatte sie das Latein des in Stein gemeißelten Spruchs entziffert: Der Heilige Vater wünschte ihr einen glücklichen und segensreichen Eintritt in ihr neues Leben. Nach ihrer Abdankung und dem Übertritt zum katholischen Glauben war sie, Christina von Schweden, an das Ziel ihrer Sehnsüchte gelangt. Unter ihrem neuen Namen »Maria Alexandra« sollte sie von nun an und für alle Zeiten in den päpstlichen Chroniken geführt werden. Doch für das staunende Volk, das bei ihrem Einzug in die Ewige Stadt jubelte und winkte, war sie seither »Maria, die Königin ohne Land«.

Christina wusste, dass Papst Alexander VII. ihre Ankunft in Rom für ein Wunder gehalten hatte, für einen Triumph seines Gottes über den Irrglauben, die Ketzerei und alle übrigen Versuchungen des Teufels. »Sie ist die Herrscherin, die einzig und allein um des wahren Glaubens willen auf Krone und Reich verzichtet hat«, hatte der Heilige Vater sie den staunenden Römern wie eine Trophäe präsentiert. Christina selbst sprach dagegen von Freiheit und Vernunft, nicht von Verzicht und Offenbarung. Sie war aus Stockholm, dieser rauen, kalten, nassen Stadt, nach Rom gekommen, um dessen Herrlichkeit zu erleben. Und um endlich frei zu sein. Die zeitraubende Gastfreundschaft des Papstes, das Sakrament der Firmung, das sie aus seiner Hand vor dem Hochaltar des Petersdoms empfangen hatte, ja selbst ihr neuer Name waren der Preis, den sie bereit war, dafür zu zahlen.

Christina hatte einige Wochen im Vatikan gewohnt. »Es ist ein unerhörtes Geschenk«, hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut, »denn seit Menschengedenken hat keine Frau mehr innerhalb der heiligen Mauern übernachtet.« Papst Alexander hatte ihr acht herrliche Zimmer im Turm der Winde einrichten lassen. Die Räume, mit Brokat, Atlas und leuchtenden Fresken geschmückt, lagen im obersten Geschoss des Torre dei Venti, und ihre Aussicht reichte über die Kuppeln Roms bis weit über die Stadtgrenzen hinaus.

Trotzdem war sie erleichtert gewesen, als sie vor wenigen Tagen ihr neues Domizil im Palazzo Farnese bezogen hatte. »Die räumliche Distanz zum Papst und zu seinem murmelnden Gefolge soll meine Freiheit betonen«, hatte sie in ihren Aufzeichnungen notiert. »Ich will dem Leben nachstellen, den römischen Karneval genießen, mich keiner Autorität mehr unterordnen und mich nur noch meinem Glauben allein verantwortlich fühlen.«

Christina winkte den Marktfrauen zu, während der Kutscher den Wagen zur Piazza Navona lenkte. Noch einmal drang der Jubel der Frauen an ihr Ohr, dann verwandelte sich das Bild der Straßen, und die beschauliche Abendstimmung schlug um in aufgeregte Lebendigkeit. Es war, als sei ein Vorhang zur Seite gezogen worden und die Stadt gebe nun ihre Bühne frei für allerlei Fantastisches und Exotisches, für Prunk und Pomp. Auf dem alten Platz im Herzen der Stadt wogten Massen von Menschen in fröhlichen Masken und Kostümen wie durch einen Festsaal. Sie sah Männer in Frauenkleidern mit entblößten Brüsten, die sie anlachten. Dann Pulcinell, den Narren, dem ein großes Horn an bunten Bändern um die Hüften schaukelte, pausbäckige Quacqueri in Samt und Seide, Landmädchen, Fischer, neapolitanische Schiffer, Griechen, blasse Gespenster und die Grimassen von Zauberern. Dazwischen tobten Kinder mit Flöten, Schellen und Muschelhörnern, frech und übermütig.

Das Gedränge des feiernden Volkes war unbeschreiblich. Nur langsam schob sich die Kutsche auf die Piazza Navona, um sich in das Karussell der Spazierfahrer einzureihen. Vor der Geburt des Heilands hatte Kaiser Domitian hier eine Arena zu Ehren einer heidnischen Gottheit erbaut, inzwischen säumten Wohnhäuser, Adelspaläste und eine Kirche den lang gestreckten Platz. In seiner Mitte erhob sich der riesige Vierströmebrunnen, dessen Wasserspiel aus den Fluten der Menschenmassen herausragte. Schon einmal hatte Christina an seinen Felsen halten lassen und die Skulpturen des Cavaliere Bernini bewundert. »Sie stellen die vier größten Flüsse der bekannten Welt dar: Donau, Rio della Plata, Ganges und Nil«, hatte sie staunend notiert, denn nie zuvor hatte sie Großartigeres gesehen. »Darüber sticht ein Obelisk in den römischen Himmel, Löwen und Seeungeheuer stürzen aus einer Muschelgrotte hervor.«

Christina holte tief Luft und fühlte Jubel in sich aufsteigen. Das war das von Leben überschäumende Rom, wie sie es sich schon als Kind über ihren Büchern erträumt hatte.

»Caput mundi,das Haupt der Welt und die Mitte des Erdenkreises«, hatte ihr geliebter Lehrer Johan Matthiae, den sie damals Papa nannte, von seiner Reise nach Rom geschwärmt: »Die Stadt ist eine Kulisse aus Ruinen, Arenen, Tempeln und Thermen, zwischen denen täglich neue Paläste und Kirchen aufzuragen scheinen«, hallte das Echo seiner Worte in ihrem Kopf wider. »Man sieht Kuppeln, die den Himmel umspannen, gewaltige Paläste und Brunnen und dazwischen die Hütten und Wohnhöhlen der Armen«, wiederholte sie die Ausführungen des Lehrers, die sich wohl für alle Zeiten im Netz ihrer Erinnerungen verfangen hatten.

Nun lauschte sie der Melodie der Stadt, die das Bild, das sie sich in ihrer Vorstellung von Rom gezeichnet hatte, untermalte: die lockenden Rufe der Marktfrauen, die Klagen der Bettler, die ihren Spruch in mehreren Sprachen aufsagen konnten, das Geschrei der Handwerker auf den Baustellen der Kirchen und Paläste, die Gebete der Priester und Gläubigen in den Kirchen, das Murmeln des Tibers in seinem Bett.

»Das ist die Atmosphäre, die mir behagt«, hatte sie ihrem Vetter, dem neuen König Karl Gustav, nach Stockholm geschrieben. »Das Echo der alten Kulturen, der Lockruf von Schönheit und zügelloser Sinnlichkeit.« Es gab Feste, Bälle, Bankette, und überall war sie umschwärmter Ehrengast. Schon sprachen die Römer vom »Karneval der Königin«.

»Wie habe ich nur die neunundzwanzig Jahre meines Lebens unter Barbaren ertragen können?«, hatte sich Christina in ihrem Tagebuch gefragt. Schweden, ihre Heimat, das kaum besiedelte und von moorigen Seen durchzogene Waldland, die schlechten Straßen, kargen Felder, armseligen Dörfer und plumpen Städte – das war gefrorenes Ödland und weniger als ein Nichts. Dann der rebellische Adel: Seeräuber und Wilderer, die wie schon ihre Vorfahren auf Kaperfahrt gingen, wenn die Küste nah war, oder sich in die Wälder schlugen, um Bären und Wölfe zu jagen. Und Stockholm? Ein schwankendes Etwas, überbaute Inselchen zwischen Mälarsee und Ostsee, darin wenig mehr als zehntausend frierende Seelen.

Ich habe alles in Frage gestellt, wunderte Christina sich wieder und wieder über ihren Mut und konnte den Blick nicht abwenden von den Masken der tanzenden Römer. »Ich habe Partei ergriffen für das Schöne«, flüsterte sie den Feiernden zu. »Ich habe alles gewagt.«

Von einem Stand wehte sie der Duft von gerösteten Maronen an. Kinder drängelten sich um den Verkäufer, reichten ihm Münzen und nahmen kleine Portionen der dampfenden Esskastanien in Empfang. Lächelnd beobachtete Christina, wie das Naschwerk in gierigen Mündern verschwand. Plötzlich gab es Geschrei: »Ladri, ladri ... Diebe!« Die Menge, die sich eben noch einträchtig über den Platz geschoben hatte, stockte, um dann neugierig in alle Richtungen zu blicken.

Christina beugte sich vor. Das Geschrei schien vom Maronenstand zu kommen. Der Kastanienröster, eine schmale Gestalt mit faulenden Zähnen in einem verwitterten Gesicht, fuchtelte und zeigte in das Knäuel aus Jungen und Mädchen. Gleichzeitig versuchte er, seine Ware zu schützen. Die Szene wirkte komisch. Der Mann war vor Ärger rot angelaufen, und die umstehenden Kinder begannen, ein Schelmenlied zu singen. Das war zu viel für den Maronenröster, der mit steifen Fingern nach den Spöttern langte, das Gleichgewicht verlor, über sein Kohlebecken stolperte und vornüberfiel. Kastanien und glühende Kohlen ergossen sich über das Pflaster, die Kinder johlten auf, und von allen Seiten stürzten sich die Massen auf die heißen Leckereien, die in alle Richtungen davonsprangen.

Die Wagen stockten, und Christinas Kutscher fluchte. »Che casino ... Was für ein Durcheinander!« Ungeduldig versuchte er, die Menschen mit Peitschenhieben auseinanderzutreiben. Die Kutsche stoppte kurz, um dann im Schritttempo weiter voranzurollen. Christina hatte sich in das Polster zurückgelehnt, als plötzlich etwas Dunkles durch das Fenster sprang und vor ihren Füßen landete.

Ein Angriff, war ihr erster Gedanke. Ein Irrer, der mich für meine Lebenslust in die Hölle schicken will. Ihre Hand tastete nach dem Dolch, den sie immer am Gürtel trug.

Das Bündel zu ihren Füßen stöhnte auf, dann schüttelte es sich. Dunkle, verfilzte Haare flogen hin und her, und Christina erkannte, dass das Gefährlichste an diesem Etwas wohl die Flöhe und Läuse waren, die jeden Moment auf sie überspringen konnten.

Das Wesen, von Straßenstaub gepudert und in Lumpen gekleidet, streckte ihr triumphierend eine Handvoll Maronen entgegen. »Signore, mi perdona«, sagte es, und sein Italienisch klang gewählt und seltsam vornehm für ein Straßenkind. »Mein Herr, ich bitte um Verzeihung.«

Christina lachte auf. Sie wies auf die gegenüberliegende Bank, und das Kind kam auf die Beine und setzte sich ohne Scheu. Neugierig ließ es seinen Blick über ihren Körper wandern, um dann zu stutzen.

Christina ahnte, was das Kind fesselte. Es sah eine Frau in Männertracht vor sich, mit flachen Schuhen und kurzen, honigblonden Haaren, die das Kinn umspielten. Der schmucklose Aufzug stand im Gegensatz zur Pracht der Polster, die sie rahmten. Das Faszinierendste jedoch, das wusste die Königin, war wohl ihr schmales Gesicht mit den vollen Lippen, der gebogenen Nase und den erstaunlich blauen Augen, die jedermann in ihren Bann schlugen.

Ich weiß, dass ich nicht schön bin, folgte Christina den Gedanken des Kindes, aber mein Gesicht trägt Züge, die jeden Betrachter faszinieren. Die Maler ihrer Zeit jedenfalls hatten die herbe Erscheinung der Königin, die Männer wie Frauen anzog, auf unzähligen Porträts in viele unterschiedliche Rollen gekleidet. Sie war nicht nur als Herrscherin und weise Minerva auf die Leinwand gebannt worden, sondern auch als keusche Diana oder als weibliches Gegenbild zu Alexander dem Großen.

Christina war nicht eitel, im Gegenteil. Sie rühmte sich, ihre Morgentoilette in einer Viertelstunde zu bewältigen, und ließ sich das Haar nur dann richten, wenn es die Etikette verlangte. Aber sie zelebrierte ihren nachlässigen Auftritt, und die Gerüchte um ihr männliches Wesen schmeichelten ihr. Auf der Straße wichen die Römer ehrfürchtig vor ihrem amazonenhaften Anblick zurück, und lediglich zum Empfang des Papstes hatte sie die Hosen gegen ein schlichtes graues Kleid und ein schwarzes Schultertuch getauscht. Doch unter dem Kleid hatte sie, wie um alle Welt zu empören, Reitstiefel getragen, die widerspenstig hervorblitzten, als sie sich vor dem Heiligen Vater auf den Marmor gekniet hatte, um ihm die Füße zu küssen. Zum ersten und wohl auch zum letzten Mal, das hatte sie sich in diesem demütigenden Moment geschworen.

»Eine seltsame Maskerade.« Das Kind, das Christina ihrerseits amüsiert und neugierig betrachtet hatte, war davon überzeugt, dass der Auftritt seines Gegenübers dem Karneval geschuldet sei. »Ich habe in diesem Jahr noch keine Dame gesehen, die so überzeugend den Kavalier mimte. Wen stellt Ihr dar?«

»Niemanden. Du siehst mich so, wie ich bin«, lachte die Königin und streckte dem ungebetenen Gast spontan die Hand entgegen. »Christina Wasa, hier in Rom nennen sie mich auch Maria Alexandra.«

Jetzt lachte auch das Kind, und in seinen ernsten, dunklen Augen blitzte der Schalk auf. Vorsichtig nahm es Christinas Hand, und für einen Moment schien es zu überlegen, einen Kuss auf das Leder des Handschuhs zu hauchen. Dann drückte es mit seinen schmutzigen Fingern vorsichtig zu. »Maria, auch Maria, nichts weiter.«

Ein Mädchen also, dachte Christina. Eines der vielen hundert Straßenkinder, die sich elternlos und in Rudeln durch die Stadt und ihr erbärmliches Leben schlagen. Die unter den Brücken und in den Höhlen und Ruinen schlafen, betteln und lange Finger machen und durch die Straßen streichen, solange Hunger, Krankheit, Gewalt oder ein anderes Schicksal ihre trotzigen Herzen nicht zum Verstummen bringen. Christina nickte und zog die Hand zurück. »Maria, die Maronendiebin.«

Beschämt schlug das Kind die Augen nieder, und seine Finger umklammerten den Schatz in seinem Schoß.

Sie ist mager, schoss es Christina durch den Kopf. Die Wangenknochen stechen unter den großen Augen hervor, und ihr Körper wirkt kindlich und steht in einem seltsamen Gegensatz zu ihrer reifen Wortwahl.

»Wie alt bist du, Maria?«

Das Mädchen zuckte verlegen die Schultern. »Ich weiß es nicht. Die Priester sagen, sie hätten mich kurz nach dem Ende des Großen Krieges gefunden. Ich konnte kaum sprechen und habe es erst bei ihnen gelernt.«

Christina rechnete, der Große Krieg, die Abwesenheit Gottes, war vor acht Jahren mit dem Westfälischen Frieden beendet worden. Das Mädchen mochte also zehn oder elf Jahre alt sein, und einen Großteil seines Lebens schien es in der Obhut der Kirche verbracht zu haben. Dafür sprachen seine Erziehung, sein gewählter Ausdruck. »Was ist dann geschehen?«

Maria sah sie an, doch sie antwortete ihr nicht. Etwas schien sich verändert zu haben, so als wäre plötzlich jedes Interesse an ihrem Gegenüber, ja an der Welt, erloschen. Ausdruckslos spielten ihre Finger mit den Maronen, schälten geschickt eine davon, die schnell zwischen ihren Lippen verschwand. Dann drehte sie den Kopf und blickte aus dem Wagen. »Könntet Ihr mich dort an der Ecke absetzen? Wenn ich ein zweites Mal durch das Fenster springe, verletze ich mich am Ende noch.«

Christina folgte ihrem Blick. Der Kutscher lenkte das Gespann in eine der Gassen zwischen der Piazza Navona und dem schnurgeraden Corso, den Papst Alexander hatte begradigen lassen. Während des Karnevals fanden auf dieser Straße die berühmten Umzüge und Wettrennen statt: Pferde und Esel, aber auch Greise, flinke Burschen, Juden und Huren – Letztere wohl nicht freiwillig – traten an und amüsierten die Zuschauer mit ihren komischen Darbietungen. Wenn der prächtige Corso überquert war, sollte es weiter hinauf in Richtung der Piazza Barberini gehen, wo man sie im Palast der einflussreichen Barberinifamilie erwartete.

Genauso wie sich die Familie der Pamphili unter ihrem Papst Innozenz X. die Piazza Navona zu ihrer städtischen Bühne erwählt hatte, residierten die Barberini in einem prächtigen Gebäude, das der Architekt Carlo Maderno für die Papstfamilie Urbans VIII. entworfen hatte. Christina war dort schon einmal zu einem Theaterabend geladen gewesen, und sie hatte die Pracht des Palastes bewundern können. »Die meisten Räume haben bemalte Decken«, hatte sie ihre Eindrücke in ihrem Büchlein notiert. »Das überwältigendste Fresko jedoch ist an der Decke des großen Saals zu sehen. Es stammt von Pietro da Cortona und verherrlicht den toten Papst Urban VIII. Die Römer sagen, dass kein Gemälde je unverschämter den Heiligen Vater und seine Familie gepriesen habe.« Auf dem Platz vor dem Palast stand der berühmte Tritonenbrunnen – wieder hatte darin der Cavaliere Bernini dank seiner unerschöpflichen Inspiration ein Meisterwerk geschaffen.

Nach ihrer Ankunft in der Stadt hatte Christina von dem Künstler erfahren, dass in Rom nicht die Päpste, sondern deren Familien regierten. »Mit jeder Papstwahl katapultieren sich die Angehörigen des neuen Papstes von einem Tag auf den anderen in den Rang eines europäischen Herrscherhauses«,hatte ihr Bernini, schon in seinen Fünfzigern und doch immer noch ein schöner Mann mit leidenschaftlichen Augen und modischem Spitzbart, bei ihrer ersten Begegnung anvertraut. »Die Nepoten versuchen, durch äußeren Glanz und verschwenderische Pracht ihre Unsicherheiten zu überdecken und die Welt zu blenden.« Und das wusste keiner besser als der große Bernini. Er diente nun bereits dem dritten Papst – nach Urban VIII. und Innozenz X. jetzt Alexander VII. – und hatte die Familien der Barberini, Pamphili und Chigi mit Pomp und Pracht versorgt.

Die Papstfamilien, insbesondere die der rivalisierenden Barberini und Pamphili, wetteiferten darum, die Königin zu beeindrucken. Immer wieder wurde sie in deren Paläste eingeladen, um kostspieligen Vergnügungen beizuwohnen. Sie hatte Historienspiele und Opernaufführungen gesehen, märchenhafte Auftritte der besten Sänger und ganze Heere von märchenhaft kostümierten Schauspielern, die ihr zu Ehren spielten. Die Kosten für die Spektakel, so hatte Christina überschlagen, mussten sich auf einige zehntausend Scudi belaufen. Eine Summe, die ausgereicht hätte, vielen römischen Familien ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen.

Zu ihrem Leidwesen konnte Christina sich nicht revanchieren. Ihre Kasse war ständig leer, und an ein kostspieliges höfisches Leben – so wie sie es in Schweden gewohnt gewesen war – war vorerst nicht zu denken. Ja, ihre Schulden beliefen sich jetzt schon, nur etwas mehr als ein Jahr nach ihrer Abdankung, auf einige Millionen Scudi, und sie war dazu übergegangen, Teile ihres Tafelsilbers zu versetzen, um ihre Diener bezahlen zu können. Dennoch plante sie, eine Akademie zu gründen, so wie sie bereits einen gelehrten Zirkel in Stockholm ins Leben gerufen hatte. Sie stellte sich eine regelmäßige Zusammenkunft von römischen Edelleuten, Geistlichen und Gelehrten vor, bei der man sich allein der Literatur widmen würde. Und auch musikalische Aufführungen durften nicht zu kurz kommen. Musiker, selbst die besten Virtuosen, waren hierzulande für wenig Geld zu haben, und Christina liebte ihr Spiel, den Widerhall der Klänge in den Festsälen der Paläste und die sich bis zur Seligkeit steigernde Abfolge der Melodien.

»Madame.« Das Mädchen zupfte an ihrem Arm und holte sie aus ihren Träumen. »Madame, bitte lasst mich aussteigen.«

Christina sah, dass sie inzwischen die Piazza Barberini erreicht hatten. Aus der Mitte des Platzes wuchs die Brunnenschale mit dem ins Muschelhorn blasenden Triton empor. Fröhlich sprudelte die Wasserfontäne des Meeresgottes in den Himmel. Das Wasser glitzerte und fing die letzten Sonnenstrahlen in seinen Tropfen ein, die wie flüssige Diamanten funkelten.

»Wohin willst du gehen?«

Wieder zuckte Maria mit den Schultern. Noch immer hatte ihr Gesicht den ängstlichen Ausdruck nicht verloren. Ihre Augen, dunkel wie Kohle, lagen in tiefen Höhlen, und unter einer Schicht von Straßenschmutz verbarg sich milchblasse Haut. Plötzlich verspürte Christina den Wunsch, das Kind an sich zu drücken. Ein Gefühl großer Einsamkeit überkam sie, Erinnerungen an eine ferne Zeit, die Tür in ein vergangenes Leben, der Blick in eine andere Welt. Sie keuchte.

»Was ist mit Euch?« Maria blickte sie fragend an. »Habt Ihr Schmerzen?« Das Mädchen zeigte auf Christinas Brust, und plötzlich bemerkte sie, dass sie ihre Arme fest um sich geschlungen hatte – wie in Abwehr gegen die Welt.

»Nein, nein, es geht schon. Aber ich kann dich nicht einfach gehen lassen. Die Nacht bricht an, wenn die Sonne untergegangen ist, wird es kalt, und dein Hemd ist nicht mehr als ein Lumpen, dünn und löchrig.«

»Ich bin nichts anderes gewohnt. Wenn ich meine Freunde gefunden habe, wärmen wir uns gegenseitig. Wir zünden ein Feuer in den Katakomben an und teilen unsere Beute.«

Die Augen des Mädchens begannen wieder zu leuchten, als hätte ein Funken diese Kohlestückchen entzündet. Wärme strahlte von ihnen ab und überzog ihre Wangen mit einem rosigen Schimmer.

»Du brauchst ein Bad.«

»Wir haben den Tiber. Und die Brunnen der Stadt. An Wasser mangelt es uns nicht.«

Die Kutsche hielt vor dem Palast der Familie Barberini. Der Palazzo bestand aus einem Mittelgebäude und zwei vorspringenden Seitenflügeln und ähnelte in seiner Architektur mehr einem Landhaus als einem römischen Palast mit seinen typischen rechteckigen Formen. Vor dem Haupteingang waren Wachen postiert, Fackeln leuchteten, und Frühlingsblumen waren zu Ehren des Gastes auf den Treppenstufen verstreut. Christina hörte, wie ein Lakai ihre Ankunft meldete. Von irgendwo erklangen Trompetenstöße, die Flügeltüren wurden aufgestoßen, und ihr Gastgeber, Kardinal Francesco Barberini, eilte ihr mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. Jeden Moment würde man die Tür der Kutsche öffnen und ihr eine Hand reichen.

»Versteck dich unter der Bank«, zischte Christina dem Mädchen zu. »Warte hier auf mich. Wenn du möchtest, nehme ich dich mit zu mir. Du kannst dich in meiner Küche satt essen, und wir werden deine Lumpen gegen ein frisches Hemd und ein Paar Hosen eintauschen. Willst du?«

Für einen Moment flackerte Misstrauen im Gesicht des Kindes auf

»Du könntest jederzeit gehen.« Christina bemerkte, dass ihre Stimme jetzt weich, fast flehentlich war, so sanft wie sie noch nie geklungen hatte. Ich habe noch nie so innig um etwas gebeten, wunderte sie sich. Ich bin es gewohnt, dass man mir gehorcht.

»Versprechen kann ich Euch nichts.« Langsam tauchte das Kind in den Schatten der Bank und verschmolz dort mit der Dunkelheit.

Die Kutsche der Königin war auf den Hof gerollt. Langsam umrundete sie den Vorplatz und hielt auf die Freitreppe zu, dann zügelte der Kutscher die Pferde. Der Wagen stand still, und für einen Moment bewunderte Kardinal Francesco Barberini die Pracht des silbernen Gefährts, das im Licht der Fackeln wie ein gewaltiges Schmuckstück funkelte. Nie hat der Papst einem Gast ein großzügigeres Geschenk gemacht, dachte er und unterdrückte einen Anflug von Neid. Als Neffe des verstorbenen Papstes Urban VIII. mangelte es ihm nicht an kostbarem Besitz. Erst am Morgen hatte sich seine Kunstsammlung um ein Gemälde des großen Meisters Poussin erweitert, das seine Agenten für viele Tausend Scudi in Paris ersteigert hatten.

»Exzellenz?« Fragend blickten ihn die Lakaien in ihren samtenen Livreen an, und auf seinen Fingerzeig hin öffnete man den Schlag des Wagens, während die Trompeter ihre Fanfaren schmetterten.

Wie wird die Königin heute aussehen, fragte sich der Kardinal und spähte gespannt ins Dunkel des Wageninneren. Der Auftritt der Schwedin war immer ein Ereignis und gab der römischen Gesellschaft Anlass zu allerlei Klatsch. »Sie weiß sich nicht wie eine Dame zu bewegen, deshalb trägt sie Hosen«, lästerten die einen über ihren skandalösen Auftritt. »Der schwedische Hof ist von Barbaren bevölkert.« Andere tuschelten über ihre männlichen Vorlieben, man behauptete, der Königin wachse ein dunkler Flaum über der Oberlippe, ihre Hände seien nicht die einer Frau, und ganz gewiss sei sie nicht nur vom Wesen des großen Gustav Adolf durchdrungen, sondern vom Geist des toten Königs geradezu besessen. Dennoch fürchteten alle Römerinnen die verführerischen Kräfte der Amazone.

Kardinal Barberini war Königin Christina – oder Königin Maria Alexandra, wie der Papst sie zu nennen pflegte – schon einige Male begegnet und hatte nichts dergleichen feststellen können. Sie ist eine kluge Frau, dachte er, vielleicht zu klug, und ein wenig zu unbeherrscht. Sie ist gewitzt und schnell, robust und erdverbunden, aber sie lässt sich von ihren Gefühlen und Leidenschaften leiten.

Auch an diesem Abend, der letzten Nacht des römischen Karnevals, freute er sich auf ihre Gesellschaft. »Majestät. Es ist mir eine große Ehre, Euch heute Abend in meinem Haus begrüßen zu dürfen«, schnarrte er herzlich, als er ihr stolzes Profil im Wageninnern erblickte. Er streckte ihr seine Hand mit dem auffälligen Siegelring entgegen. Das Familienwappen der Barberini, drei goldene Bienen auf blauem Grund, leuchtete in der Dunkelheit auf.

Königin Christina ergriff lächelnd seine Hand und ließ sich hinaus in den Abend ziehen. Leichtfüßig wie ein junges Mädchen sprang sie aus dem Wagen und drückte überschwänglich seinen Arm, ohne auf einen Handkuss zu warten. Dann blickte sie ihm gespannt ins Gesicht, und Kardinal Barberini bemerkte, wie er unter seiner weißen Perücke errötete. Er hoffte, dass seine wachen Augen und die scharfe, florentinische Barberininase seine Würde in diesem fast intimen Augenblick wahrten.

»Exzellenz, was für ein herrlicher Abend!« Auch die Königin schien bester Stimmung zu sein. Ihre Vorfreude auf die Premiere spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. »Was wird gegeben?«

»Eine Oper. Das Werk des Komponisten Marco Marazzoli«, antwortete der Kardinal. »Ein Stück über das menschliche Leben und den Triumph der Frömmigkeit. Ich habe es Euch zu Ehren in Auftrag gegeben. Den Hauptpart singt Euer Favorit.«

»Bonaventura.« Königin Christina schnalzte zufrieden mit der Zunge. Der Kastrat sang einfach wunderbar, als ob die Töne einer himmlischen Welt entsprangen. »Ich hoffe, das Stück ist nicht allzu frömmelnd angelegt.«

Kardinal Barberini lachte amüsiert auf. Ebenso wie sein verstorbener Onkel Papst Urban VIII. galt er als großzügiger und verständiger Mäzen der Künste. Er wusste zwischen den Anforderungen der Kirche und jenen der Oper zu unterscheiden. »Keine Sorge, bei den Proben sah ich, dass es in dem Stück von Göttern und Nymphen nur so wimmelt. Ihr werdet Eure Freude an den Schauspielern haben. Kommt, ich führe Euch in Eure Loge.«

Neben der Bibliothek, die schon so berühmte Gelehrte und Schriftsteller wie Naudé, Milton und Castelli beglückt hatte, leisteten sich die Barberini ein privates Theater. Die Königin sollte die Oper von einer besonders konstruierten Loge aus verfolgen, in der sie selbst von außen nicht sichtbar war. So konnte sie die Premiere erleben und musste nicht, wie es eigentlich Sitte war, auf eine spätere Aufführung für Damen warten.

Kardinal Barberini bot Königin Christina den Arm und führte sie durch das prachtvolle Treppenhaus über Flure und Gänge zu der versteckten Tür der Loge. Auf ihrem Weg blieb die Königin immer wieder stehen, um einen Blick auf die Gemälde zu werfen, die die Wände schmückten. Sie erkennt wirklich jeden Künstler von Rang, dachte der Kardinal, als er sie die Namen der Maler murmeln hörte: »Poussin, Valentin de Boulogne, Artemisia Gentileschi, Pietro da Cortona ...« Vor den Skulpturen Berninis und den herrlichen Wandteppichen, welche die Taten des Kaisers Konstantin darstellten, blieb sie länger stehen, als ob sie sich nicht sattsehen konnte an den Farben und Formen auf den Bildern.

»Rubens«, sprach sie den Namen ihres Schöpfers fast ehrfürchtig aus. »Ein Genie. Kennt Ihr seine Akte?«

Kardinal Barberini nickte. Er besaß eine der fleischigen Nackten, eine fast obszöne Szene, die er nicht öffentlich zu zeigen wagte. In gewissen Stunden jedoch war sie ihm eine heimliche Freude und ein sinnlicher Genuss. Bisweilen schien es ihm sogar, als ob die Badende den Blick des Voyeurs mit einem wissenden Lächeln quittierte. »Der Papst schätzt seine Werke nicht besonders.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Die Königin lachte und schaute ihm in die Augen. »Schade. Er beraubt sich eines großen Vergnügens. Und eines besonderen Blickes auf die Welt.«

Wieder nickte der Kardinal. Plötzlich dachte er an den Auftrag, den der Heilige Vater ihm gegeben hatte. »Ich möchte Euch bitten, nach der Vorstellung noch auf einen Becher Wein zu mir zu kommen«, sagte er und wies vage in Richtung Bibliothek.

»Mit Vergnügen«, antwortete Christina ausgelassen. Sie erreichten die Loge, und schon im nächsten Moment fläzte sich die Königin wie ein Stallbursche in den ausladenden Sessel, bevor sie die Beine ungezogen übereinanderschlug. Dann winkte sie ihm zu. Kardinal Barberini war sich sicher: Noch bevor sich der Vorhang heben sollte, hatte sie die Welt um sich herum vergessen.

ZWEI

Rom, Frühjahr anno 1656

Die Nacht schien ihr ehrlicher als der Tag zu sein. Sie schärfte ihre Gedanken, ließ keine Ablenkung zu, und selbst die dunkelste Stunde war Christina kostbar und vertraut. Sie liebte die Stille darin, das Fehlen menschlichen Lärmens, das fast körperlich spürbar war. Wenn sie sich konzentrierte, in die Dunkelheit hineinlauschte, waren da nur Seufzer: sorglos gurgelndes Wasser, das Rascheln der Palmenfächer, herumstreunendes Getier, ein Liebespaar, die Gespenster der Stadt und Erinnerungen der Alten.

Die Schlaflosigkeit war Christinas geduldige Begleiterin. Seit der Kindheit folgte sie ihr, beharrlich wie ein Hund. Sie hatte sich Christina in Stockholm angeschlossen, hatte sie durch Dänemark und Deutschland nach Antwerpen und Brüssel begleitet, um schließlich zusammen mit ihr die Grenzen des Kirchenstaats zu queren und sich in Rom an ihrer Seite niederzulassen. In jungen Jahren hatte sie die Sehnsucht nach Schlaf, nach einem tiefen, erfrischenden Schlummer gequält, und die Hofärzte hatten sie mit allerlei Kuren und nutzlosen Säften traktiert. Als Kind hatte sie heiße Ziegenmilch vermischt mit Mohnsamen getrunken, später dann Rosenwein aus Rotwein, Holundersaft, Rosenblüten und Zimt. Inzwischen war sie dankbar für die Zeit, die die Schlaflosigkeit ihr schenkte. Sie erledigte ihre private Korrespondenz in den Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen, überflog die monatliche Aufstellung ihrer Finanzen, die ihr Bankier Diego Texeira in Hamburg verwaltete, las und träumte, bis endlich der Schlaf seinen Mantel über sie breitete und sie für drei oder vier Stunden in sein Reich entführte. Mehr betäubt als erholt, oft von Albträumen erschreckt, wachte sie auf.

Christinas Gedanken wanderten zurück zu den Ereignissen des Abends. Nachdem die Oper ein furioses Ende gefunden hatte und Nymphen und Kastraten von Jubel begleitet die Bühne verlassen hatten, war sie auf ein Gespräch mit Kardinal Barberini in die Bibliothek geführt worden. Dort war es zu einem ärgerlichen Wortwechsel mit ihrem Gastgeber gekommen, der ihr eine Botschaft des Papstes überbracht hatte.

Erst gegen Mitternacht hatte sie ihre Kutsche bestiegen. Es war eine kühle Nacht, der Himmel, schwefelfarben und von Wolken bedeckt, hing tief über der Stadt, sodass sie meinte, danach greifen zu können. Nebel zog durch die Straßen, und das Pflaster schimmerte feucht im Licht der Fackeln.

Die Kutsche war leer gewesen – natürlich. Kein Versprechen, keine Verlockung hatten das Kind halten können. Es wird in einem unbeobachteten Moment davongesprungen sein, hatte Christina gedacht. Ich hätte dem Kutscher befehlen sollen aufzupassen. Er wird sich um die Pferde gekümmert und deshalb den lautlosen Schatten des Mädchens nicht bemerkt haben, das sich in der Dunkelheit davonstahl. Dann hatte sich Bedauern in ihr ausgebreitet, als fehlte ihr etwas, von dem sie noch nicht einmal sagen konnte, was es war. Ich bin in meinem Leben so vielen Menschen begegnet, hatte sie sich gewundert, gelehrten, amüsanten, bedeutenden und großspurigen Geistern. Was bedeutet mir nur dieses Kind? Als Christina bemerkte, dass eine der wollenen Decken fehlte, die sie sich bei nächtlichen Fahrten um die Schultern schlug, musste sie unwillkürlich lächeln.

Die Rückkehr in den Palazzo Farnese, diesen ungeheuren Quader aus Abermillionen von Steinen, aus Säulen, Bögen, Pilastern und Simsen, der ihr in den vergangenen Wochen als Stätte des Glücks erschienen war, kam ihr zum ersten Mal wie eine Enttäuschung vor. Dabei war der Palast doch eigentlich ein maßloses Versprechen. »Die besten Architekten, Sangallo, Michelangelo und della Porta, haben daran gearbeitet«, hatte ihr Bernini, der mit allen architektonischen Besonderheiten der Stadt vertraut war, erklärt. »Er war der prachtvolle Wohnsitz Papst Pauls III., und noch immer residieren seine Nachkommen, die Herzöge von Parma, in seinen Mauern, wenn sie sich in Rom aufhalten.«

Die Familie Farnese war es auch gewesen, die Christina eingeladen hatte, dort zu wohnen. Deren römischer Vertreter, ein gewisser Marchese Giandemaria, hatte sie vor wenigen Wochen durch das gewaltige Gebäude geführt. »Der Palast könnte auch ein ganzes Dorf beherbergen«, hatte Christina in ihrem Tagebuch notiert. »Die Farnese haben allein für mich vier Suiten zur Verfügung gestellt, jede aus einem Schlafzimmer und drei weiteren Räumen bestehend. Sie liegen im ersten Stock, dem piano nobile, und aus den Fenstern blicke ich durch den Garten hinunter zum Tiber.«

Die Zimmer, für ihre Ankunft hergerichtet und mit neuen Möbeln ausgestattet, waren bequem und genügten ihren Ansprüchen. Dennoch konnten sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Palast in den letzten Jahren seiner hundertjährigen Geschichte vernachlässigt worden war. Nur Teile des Gebäudes waren wirklich bewohnbar, und Christinas Diener murrten, es gäbe Trakte, in denen sich Fledermäuse und die Geister der Verstorbenen eingenistet hätten.

Christina lachte über diese Ängste. »Ich habe meine Kindheit mit dem Geist Gustav Adolfs geteilt«, sagte sie. »Ich habe die Gespenster meiner Ahnen in den Mauern von Schloss Stegeborg flüstern hören, und als meine geliebte Tante Katharina starb, sah ich ihre Gestalt durch meine Gemächer wehen. Lasst den Stimmen und Schatten ihren Raum. Sie waren vor uns hier, und sie werden sich über Gesellschaft freuen.«

Sie selbst meinte, in den Nächten das Echo der Alten wie ein Kribbeln auf der Haut zu spüren. So viele Erinnerungen waren in diesem Palast versammelt, verdichtet und sichtbar geworden in den großartigsten Kunstwerken. Die vom großen Annibale Carracci ausgemalte Galerie etwa. Sie war Michelangelos verrückter Decke der Sixtinischen Kapelle nachempfunden, und man sagte, Carracci und seine Helfer hätten acht Jahre ohne Pause an den Fresken gearbeitet. »Ein Tumult von Schönheit«, hatte Christina notiert. »Ein Besuch in der Galerie lässt jede Erinnerung an die Kälte des Nordens verblassen, während mir die alten Götter lüstern zuzuzwinkern scheinen.«

Dann die Sammlung der Farnese, antike Schätze wie die kraftstrotzende Skulptur des Herkules aus den Caracalla-Thermen, die sinnlich geformten Jünglinge und Athleten, die sanftmütigen Göttinnen. Bei ihrem ersten Rundgang mit Graf Giandemaria hatte Christina die keuschen Feigenblätter aus Gips an den delikatesten Stellen entfernen lassen, ebenso die harmlosen Draperien über den freizügigen Gemälden. Empört hatte der Graf nach Parma geschrieben, der päpstliche Gast sei noch nicht mit den Sitten und dem Geschmack des Südens vertraut. Als er jedoch die Gemälde zu Gesicht bekam, die Christina aus Stockholm mitgebracht und in ihre Räume gehängt hatte, wagte er nicht, seinen Herren die Bilder zu beschreiben. Das wollüstige Fleisch der Aktbilder, die allzu frivolen Andeutungen der italienischen Meister und dazwischen, stirnrunzelnd und ungerührt, die Büste des großen Seneca, erschienen ihm so skandalös, dass er sich weigerte, das Gesehene in Worte zu fassen. Er fürchtete womöglich um das Wohl seiner erschütterten katholischen Seele.

Zu den Bildern, die Christina aus ihrer Heimat entführt hatte – aus den Rahmen geschnitten und eingerollt in Leder –, gehörte auch das Bildnis einer jungen Frau in einem leuchtend blauen Kleid. Sie hatte das Porträt, der Morgensonne zugewandt, über dem Schreibpult in ihrem Schlafzimmer platziert, und jeder Besucher konnte sehen, wie kostbar ihr das Bild und die darauf Abgebildete waren. Es zeigte Ebba Sparre, la belle comtesse,wie man sie am schwedischen Hof genannt hatte, Christinas ehemalige Kammerfrau und immer noch das Ziel der sie quälenden Sehnsüchte.

Nachdem Christina in den Palazzo Farnese zurückgekehrt war, hatte sie begonnen, einen Brief an die ferne Geliebte zu schreiben. Es war ihr schwergefallen, ihre Gefühle dem Papier anzuvertrauen. Viele Jahre hatte Belle ihr Leben und auch ihr Bett geteilt. In den Polarnächten hatte sie ihre stille Schönheit gegen den rastlosen Körper Christinas geschmiegt und alle Höflinge in dem Glauben bestärkt, ihre Königin sei, was gewisse, unaussprechliche Vorlieben anginge, männlicher Natur oder wenigstens ein Zwitterwesen – halb Mann, halb Frau. Als das Gerede dem Ruf der Königin zu schaden begann, konnte Christina die Freundin überreden, Reichsgraf Jacob Casimir de la Gardie zu heiraten, doch auch nach der Hochzeit hatte Belle meist bei der Königin gewohnt. Der Reichsgraf hatte Christina seine junge Frau überlassen, solange sie Königin war. Erst ihre Abdankung und die Reise in den Süden hatten sie – wohl für alle Zeiten – getrennt.

In den vergangenen Wochen hatte das Glück um die Ankunft in der Heiligen Stadt Christinas Sehnsucht betäubt. Doch nun, nachdem Maria, dieses seltsame, übermütige Kind, so unerwartet an ihren Gefühlen gerührt hatte, spürte sie ihre Zerrissenheit, die Trauer um die selbst gewählte Einsamkeit, die in ihr nistete. Noch einmal las sie die Zeilen, die sie in der vergangenen Stunde zu Papier gebracht hatte. Dabei war ihr Blick immer wieder zu den Zügen der Vertrauten gewandert, um darin nach einem Zeichen ihrer Liebe zu forschen. Schwungvoll eilten die Worte über das Papier, an manchen Stellen wie im Galopp, die großzügige Schrift nach rechts geneigt:

»Liebste Belle, wie glücklich wäre ich, Euch endlich wieder bei mir zu sehen. Allein, mein Schicksal hat mich verdammt, Euch beständig zu lieben und hoch zu achten, ohne Euch jemals wieder zu Gesicht zu bekommen. Der Neid der Sterne auf die Glückseligkeit der Menschen hindert mich, vollkommen glücklich zu sein, weil ich es nicht sein kann, solange ich von Euch entfernt bin. Zweifelt nicht an dieser Wahrheit und seid versichert, dass, an welchem Ort der Welt ich mich auch befinden mag, Ihr in mir eine beständige Freundin habt. Aber, Belle, könnt Ihr Euch meiner ebenso erinnern? Bin ich Euch noch so lieb und wert wie einst? Irre ich mich denn, wenn ich glaube, dass Ihr niemanden auf der Welt mehr liebt als mich? Ist mein Zweifel begründet, so bitte ich Euch, belasst mich in meinem Irrtum, und neidet mir nicht die Glückseligkeit, die es für mich bedeutet, von der liebenswürdigsten Person der Welt geliebt zu werden. Erhaltet mir dieses Glück und bringt mich nicht um das Vergnügen Eurer Liebe. Ihr könnt versichert sein, dass ich stets die Eure bleiben werde. Adieu, Belle, lebt wohl. Ich umarme Euch zu tausend Malen. Christina Alexandra«

Wenn sie nur die Schönheit dieser Stadt mit ihrer geliebten Freundin teilen könnte. Christinas Blick konnte sich nicht von Belles Porträt lösen. Sie erinnerte sich, wie der Maler Sébastien Bourdon das Bild vor einigen Jahren geschaffen hatte. Sie selbst hatte das Kleid ausgesucht, das Belle darauf trug, und so wenig Wert sie auch auf ihre eigene Garderobe legte, für die Gefährtin hatte sie ein prächtiges Gewand bestimmt. Es war das Kleid eines Engels, himmelblau, verschwenderisch in seiner Fülle von Stoff, mit einem weißen Untergewand, das an den Armen üppig hervorquoll. Über Schultern und Rücken hatte Christina einen zarten Schleier drapiert, den Belle mit der rechten Hand zusammenhielt. Dann hatte sie ihr eine Perlenkette um den Hals gelegt und in die linke Hand einen Blumenkranz aus Tausendschön als Zeichen für ein Verlöbnis. Wenig später hatte Belle den Antrag des Reichsgrafen angenommen, doch die kirschfarbenen Blüten waren nicht ihm gewidmet. Damals hatte Christina in ihrem Tagebuch notiert: »Der Kranz ist das Band unserer beider Liebe, für alle Zeiten festgehalten in leuchtendem Öl.« Und immer, wenn Christinas Blick über das zarte, rosige Gesicht der Freundin wanderte, um dann den weichen Schulterrundungen zu folgen und schließlich auf dem Blumenkranz zu verweilen, meinte sie, den sanften Duft von Tausendschön zu riechen.

Wer Belle erlebt hatte, musste sich augenblicklich in sie verlieben. Ihre zarte Schönheit und ihr heiteres Wesen hatten Christina sofort bis ins Mark getroffen. Sie waren gleich alt, doch das war ihre einzige Gemeinsamkeit gewesen. Im Gegensatz zu Christina zeigte Belle kein Interesse an gelehrten Gesprächen und intellektuellen Zirkeln. Sie war auch nicht abenteuerlustig, eher ängstlicher Natur, harmlos im besten Sinne, und verlangte nach einem ruhigen Leben. Doch gerade das hatte Christina gerührt, und ihre Schönheit, die innere wie die äußere, schmerzte sie fast. Wenn sie morgens neben Belle die Augen aufgeschlagen hatte, verflüchtigten sich alle Albträume der Nacht, und überhaupt hatte sie nie besser als an der Seite der Schönen geschlafen.

»Ach, Belle«, seufzte Christina, und die Kerzen auf ihrem Schreibpult flackerten in ihrem Atem. »Mein wunderschöner Engel.« Was war es für ein Vergnügen gewesen, den Hof mit ihrer Verliebtheit zu brüskieren. Sie, die Königin, von Gott dazu erkoren, die Nachkommen der Goten, eines der tapfersten Geschlechter Europas, in eine goldene Zukunft zu führen, ausgerechnet sie band sich an eine Frau? Und verkündete dazu noch dickköpfig vor aller Welt: »Niemals werde ich heiraten, niemals. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ein Mann mich so gebrauchte wie ein Bauer seine Felder.«

Alle waren sie schockiert gewesen, die fünf großen Alten der Regierung, die edlen Familien der Oxenstiernas, de la Gardies und Gyllenhielms, die Höflinge, das Volk. Doch keiner hatte sie wirklich verstanden. Es ging ihr nicht um das Geschlechtliche, nicht um den Liebesakt als solchen. Sie hatte Romanzen mit Männern erlebt, bevor sie Belle kennen gelernt hatte, mit ihrem Vetter Carl Gustav etwa oder mit Magnus de la Gardie, dem Sohn des Reichsmarschalls, und auch jetzt suchte sie durchaus körperliche Nähe dieser Art. »Wenn ein Frauenzimmer die Absicht hegt, sich gewisse Vergnügungen zu machen, hat sie einen Mann nötig«, pflegte sie ihre Freunde zu brüskieren. »Insbesondere ein Frauenzimmer von meinem Stand.« Aber ihr Stolz ließ es nicht zu, sich einem Mann zu unterwerfen. Sie wollte nicht als Nährboden für das Geschlecht der Wasa dienen, keine Brutstätte irgendeiner Staatsräson sein. Sie wollte nicht benutzt werden, besudelt durch die irre Vorstellung, nur ihr königlicher Leib könnte die Zukunft Schwedens gebären.

Und hatten die fünf großen Alten nicht das ihrige dafür getan, dass sie alles Weibliche für sich verabscheute? Sie war doch wie ein Prinz, wie ein Mann erzogen worden. Als Kind hatte sie mit Bleifiguren und Holzschiffchen gespielt. Sie hatte Kanonen, Schwerter und alles Soldatische geliebt, hatte gern im Freien mit den Hunden und Pferden getollt. Später hatte sie Politik, Staatskunst, Recht, Geschichte, Mathematik und Naturwissenschaften studiert, dazu die humanistischen Fächer, besonders Latein und Französisch. Ihr Herz schlug für die Antike, sie hatte alles über die großen Schlachten der Menschheitsgeschichte gelesen. Sie selbst ritt wie der Teufel, auch im Damensattel, und auf der Jagd traf Christina einen Hasen mit der Büchse aus vollem Galopp und nahm ihn dann selbst aus. Das alles sollte an der Wiege eines Kindes verkümmern? Diese Kraft sollte im Wochenbett von ihr fließen, mit der Muttermilch aus ihr herausgesogen werden?

»Euer Widerwille gegen alles Frauliche rührt auch von Eurer Mutter her«, hatte ihr Arzt Bourdelot noch in Stockholm diagnostiziert. Und umständlich hatte er dann in einem Bulletin von einer »männlichen Natur der Königin« gesprochen.

Er hatte Recht: Die Schwächen der Frauen, ihre Unwissenheit, die Tränen und Rührseligkeiten, das hilflose Lächeln, wenn sie den Gesprächen der Männer nicht folgen konnten – all das hatte Königin Maria Eleonora für sie verkörpert. Christina hatte die geschnürten, umständlichen Kleider der Mutter nicht ausstehen können, die Hüte, Handschuhe und Korsetts, ihre Eitelkeit, das Streben nach Sittlichkeit und Schicklichkeit, ihr langsames Wesen, das Verharren und Warten auf den Mann, der sie doch offensichtlich betrog, und auf einen Thronfolger. Sie selbst hasste das Stillsitzen, immer noch und überall – auch in den Kirchen. Nie versiegte ihre Neugier, und immer war sie in Eile, trieb ihre Ungeduld sie an, alles zu wagen, selbst das Undenkbare. »Wer die Welt entdecken will, kann doch nicht scheitern«, pflegte sie allen, die an ihr zweifelten, zu entgegnen. »Versteht denn niemand meinen Blick auf das Leben?«

»Ich kann mich nicht mit dem umständlich Weiblichen aufhalten«, hatte Christina schon damals in ihren Aufzeichnungen notiert. Sie hatte geglaubt, in ihrer neuen Heimat auf mehr Verständnis für ihr eigenes Wesen zu stoßen. Sie war Rom mit ihrem kleinen Gefolge förmlich entgegengeflogen, und bald schon kursierte die Legende, sie sei lachend über den römischen Grenzbach gesprungen, mit dem Jubelruf, endlich sei sie frei. »Ich bin nach Rom gekommen, um mit der Kunst und den Wissenschaften zu leben«, hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut.

Doch auch in Rom verzweifelte man offensichtlich an ihrem unerhörten Temperament. Enttäuscht schüttelte sie den Kopf. Sie dachte an das Gespräch, dass sie am Abend, nach der Oper, mit Kardinal Barberini geführt hatte. Sie waren in der Bibliothek zusammengetroffen, und dort, mit dem Rücken zu den schweigenden Bücherwänden, hatte er ihr eröffnet, der Heilige Vater wünsche sie häufiger im Gottesdienst zu sehen. »Mehr Demut«, das waren seine Worte gewesen.

Zunächst hatte sie es für einen Scherz gehalten: Wer wollte einer Königin Vorschriften machen? Und sie hatte in den Augen des Kardinals nach einem Lächeln gesucht.

Doch Francesco Barberini war ernst geblieben, sodass sie ihn empört zurechtwies. »Ich bin doch keine Betschwester«, erinnerte sie sich an ihre barsche Antwort.

»Die Kirche erwartet von einer unverheirateten Frau ein zurückgezogenes Leben«, erwiderte Barberini beinahe ungerührt und zuckte mit den Schultern. »Wenn sie nicht den Schutz der Ehe oder eines Klosters sucht, sollte sie sich doch bemühen, keinen Zweifel an ihrer Ehre aufkommen zu lassen. Sie sollte sich in die eigenen vier Wände zurückziehen.« Als er ihr entsetztes Gesicht sah, versuchte er, sie zu beschwichtigen: »Ihr könntet weiterhin Gäste in Eurer Wohnung empfangen und müsstet nicht auf diskrete Vergnügungen wie einen Theaterabend in meinem Hause verzichten.«

»Ich lasse mich nicht gerne zurechtweisen, ich bin Gast des Papstes, nicht sein Bediensteter. Und im Übrigen meine ich, dass die Ehelosigkeit ebenso heilig ist wie der Stand der Ehe.«

»Versteht doch, alle Kritik an Eurem ausschweifenden Lebensstil ist auch Kritik an der Nachsicht des Heiligen Vaters. Viele Menschen begreifen Euer Verhalten nicht, ja man raunt sich sogar zu, Ihr suchtet Liebe, wenn Ihr die Nonnenklöster besucht, und erhitztet Euch dort an den Frauen. Man schimpft Euch liederlich, wollüstig und hemmungslos, mehr will ich dazu nicht sagen.«

»Das ist infam. Dort in den Klöstern findet man die besten Musikerinnen, die herrlichsten Stimmen, Engelschöre.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber das Volk will glauben, was es sieht. Und Euer – verzeiht mir – unerhörter Aufzug«, er zeigte auf die Hosen und flachen Schuhe, »Euer freier Geist, Eure Bekanntschaft mit Kardinal Azzolino ...«

Christina ließ ihren Gastgeber nicht ausreden. Rüde drehte sie sich um und tat so, als wärmte sie ihre Hände an dem Kohlebecken. Rosmarinzweige glühten darin und verbreiteten einen frischen, herben Duft, der sich mit dem Staub der alten Bücher zu einem einzigartigen Geruch mischte.

Das Gerede über ihr angeblich unanständiges Verhalten war auch ihr zu Ohren gekommen, doch sie weigerte sich, sich der Etikette anzupassen. Sie liebte es, laut zu sprechen und herzhaft zu lachen, sie benutzte anstößige Redensarten, sie fluchte, wenn ihr danach war und es ihr Herz erleichterte, sie ging mit großen Schritten und gab sich gern wie ein Mann. Auch hatte sie über die leere Frömmelei mancher Kirchgänger gespottet, sie bezweifelte die Echtheit vieler Reliquien und Legenden – und ja, sie erfüllte ihre frommen Pflichten nur nachlässig. Trotzdem ärgerte es sie maßlos, dass der Papst sie wie ein Kind ermahnen ließ. Und dass er in seinem Ärger den Gast nicht einmal auf ein Wort unter vier Augen gebeten hatte.

Auch jetzt wieder stieg die Enttäuschung in ihr hoch. Zweifelt man an meiner Aufrichtigkeit, fragte sie sich. An meinem Bekenntnis zur katholischen Kirche? Christina stand von ihrem Pult auf und schritt im Zimmer auf und ab. Das diffuse Licht der Kerzen zeichnete Schatten auf die Wände, und sie erinnerte sich, wie sie als Kind ihren toten Vater in solchem Spiel von Licht und Dunkelheit gesucht hatte. Sie hatte in dem Schatten, den ihr Profil an die weiß gekalkten Palastwände geworfen hatte, die eigenwilligen Züge Gustav Adolfs erkannt und daraus Kraft und Zuversicht gewonnen.

»Was ratet Ihr mir, Vater?«, fragte sie in die Stille hinein, als hoffte sie darauf, einen tröstlichen Satz des großen Gustav Adolf zu empfangen. Dann wanderten ihre Gedanken zum Heiligen Vater. Sie hatte Fabio Chigi, Papst Alexander VII., als frommen und gebildeten Mann kennen gelernt. Er war ein Liebhaber der Künste, aber gleichzeitig ein vollkommen asketischer Mensch und bekannt für seine hohen moralischen Prinzipien. Man hatte Christina erzählt, der Papst habe – ganz gegen jede Sitte – verboten, für seine Krönung Triumphbögen zu errichten, seien sie aus Marmor oder Pappe, und bei seinem Einzug in den päpstlichen Palast sollte er alle Dienstboten entlassen haben, die er für entbehrlich hielt. Dieses Bekenntnis zum Verzicht war für die Römer geradezu unerhört gewesen.

Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, dass sein karges Schlafgemach nur einen einzigen überflüssigen Gegenstand enthielt: einen ärmlichen Holzsarg als düsteres Memento mori: Bedenke, Mensch, dass du sterblich bist! Und auf seinen Schreibtisch hatte er einen Totenkopf gestellt, den er im Gespräch ab und zu zärtlich in den Händen wog.

Papst Alexander behauptete, er habe auch den Kampf gegen die Vetternwirtschaft innerhalb der Kirche aufgenommen. Er sagte, er wolle aufrichtige Männer um sich sammeln und nicht die eigene Familie bereichern und erhöhen. Doch die Römer spotteten schon, auch dieser Papst sei nicht aus jenem Holz geschnitzt, aus dem jemand bestehen müsse, der den jahrhundertealten Kirchenfilz reformierte. Christina ahnte, dass auch Alexander VII. der süßen Stimme des Blutes nachgeben könnte. Dann würde sich auch seine Familie, die der Chigi, bald mit hohen Posten und Privilegien schmücken dürfen.

Und ausgerechnet dieser Papst sollte sie zurechtweisen dürfen? Dieser Stellvertreter des Herrn, denn mehr war er ja nicht, sollte von ihr verlangen, dass sie sich vor den Gebeinen, Zähnen und Locken gewisser Heiliger verneigte? Dass sie Beichte ablegte über ihre geheimsten Gedanken und Buße übte? Und ihre Zeit mit dem stumpfen Herunterbeten des Rosenkranzes vergeudete, wo doch ihr ruheloser Geist ganz anderen Sphären zustrebte?