Die schwarzen Perlen - Folge 22 - O. S. Winterfield - E-Book

Die schwarzen Perlen - Folge 22 E-Book

O. S. Winterfield

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Beschreibung

Stella hat sich hoffnungslos verirrt. Immer tiefer gerät sie in die Wälder von Rhodos hinein. Als sie schließlich an einen Abgrund kommt, sinkt sie erschöpft auf die Knie. Doch dann blickt sie an der steilen Felswand hinab und erstarrt: Unter ihr schwirren in einem kleinen Tal Tausende von Schmetterlingen umher, deren bunte Flügel im Sonnenschein glänzen.

"Das Reich der Schmetterlinge", flüstert Stella fasziniert. Wie in Trance steigt sie die Felsen hinab, bis sie auf dem weichen grünen Boden des Tals steht. Es ist wie im Paradies! Noch nie hat sie etwas so Wunderschönes gesehen.

Völlig überwältigt, übersieht Stella, was sich hinter all dieser Schönheit wirklich verbirgt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Im Reich der Schmetterlinge

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / conrado

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-1648-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Im Reich der Schmetterlinge

von O. S. Winterfield

Stella hat sich hoffnungslos verirrt. Immer tiefer gerät sie in die Wälder von Rhodos hinein. Als sie schließlich an einen Abgrund kommt, sinkt sie erschöpft auf die Knie. Doch dann blickt sie an der steilen Felswand hinab und erstarrt: Unter ihr schwirren in einem kleinen Tal Tausende von Schmetterlingen umher, deren bunte Flügel im Sonnenschein glänzen.

»Das Reich der Schmetterlinge«, flüstert Stella fasziniert. Wie in Trance steigt sie die Felsen hinab, bis sie auf dem weichen grünen Boden des Tals steht. Es ist wie im Paradies! Noch nie hat sie etwas so Wunderschönes gesehen.

Völlig überwältigt, übersieht Stella, was sich hinter all dieser Schönheit wirklich verbirgt …

Stella und Franco hatten sich von dem Rosenzüchter Angelus Mercoura verabschiedet. Er hatte ihnen noch einen großen Strauß Rosen geschenkt. Sie hießen »Schwarze Perle«. So hatte Angelus Mercoura seine schönste Sorte genannt, deren tiefes Dunkelrot beinahe schwarz aussah.

Stella lehnte sich an Franco.

»Warum hat meine Mutter Angelus Mercoura verlassen? Sie hatte doch bei ihm Geborgenheit und Frieden gefunden.« Nachdenklich sah Stella zu der kleinen Insel Crulla hinüber. »Sie ist nicht aus Liebe mit dem Reeder Nicados auf die Insel gegangen.«

»Nein, aber sie hat gehofft, dass dieser einflussreiche Mann ihr helfen wird. Sie hat um dich gekämpft, mit allen Mitteln. Wir müssen hinüberfahren.« Franco Cavallo stützte sich schwer auf seinen Stock. Die weite Fahrt von Lindos zum Kap Prasonisi und die durchwachte Nacht im Haus des Rosenzüchters hatten ihn sehr mitgenommen.

Stella sah es. »Nein, Franco, wir werden jetzt nicht zur Insel Crulla fahren. Wir sind beide angeschlagen. Wer weiß, wie lange wir suchen müssen, bis wir jemanden finden, der uns hinüberfährt. Es gibt keine Fähre.« Stella ging über den Strand auf den Leihwagen zu, mit dem sie auf das Kap gekommen waren. »Wir fahren nach Lindos zurück. Dort werden wir uns erst einmal etwas erholen. Ich habe das Gefühl, dass mich auf Crulla Überraschungen erwarten, denen ich heute nicht gewachsen wäre.«

Franco folgte Stella. Resigniert ließ er sich von ihr in den Wagen helfen. Er konnte ihn nicht fahren, daran hinderte ihn sein krankes Bein. Also musste Stella sich ans Steuer setzen. Es war ihr anzusehen, wie mühsam sie sich konzentrieren konnte.

Als sie sich in der Pension Kontiki etwas erholt hatte, wurde Stella schon wieder unruhig. Franco erkannte, dass sie es nun doch bereute, erst nach Lindos zurückgefahren zu sein.

»Wollen wir morgen auf die Insel Crulla fahren?«, schlug er deshalb vor.

»Das würde ich am liebsten tun.« Stella schmiegte sich in Francos Arme. »Kannst du verstehen, dass ich ungeduldig bin, Franco?«

»Ja, das verstehe ich.« Zärtlich drückte er ihren Kopf an seine Brust.

»Ich könnte morgen allein auf die Insel Crulla fahren.« Stella sah Franco an. »Ich möchte dir diese Strapazen der weiten Fahrt nicht schon wieder zumuten.«

Franco wollte aufbegehren, aber gleich darauf fiel ihm ein, dass er Stellas Abwesenheit gut nutzen konnte. In der Werkstatt stand noch immer der umgebaute Rennwagen, mit dem er hatte trainieren wollen. Stella wollte nicht, dass er das tat. Doch er ertrug es nicht länger, müßig herumzusitzen. Eines Tages wollte er wieder Rennen fahren. Er hatte schon viel zu lange gewartet.

Aus diesen Gedanken heraus sagte Franco: »Wenn du meinst, dass du besser allein auf die Insel fahren solltest, Stella …«

»Ja, das meine ich. Wir können miteinander telefonieren. Ich werde dich sofort anrufen, wenn ich im Haus des Reeders bin, damit du dir keine Sorgen zu machen brauchst.«

***

Am nächsten Tag verließ Stella frühzeitig die Pension Kontiki. Sie nahm sich wieder einen Leihwagen, um zum Kap Prasonisi zu fahren. Unterwegs waren ihre Gedanken schon auf der Insel Crulla.

Immer stärker hoffte sie, ihre Mutter nun endlich zu finden. Angelus Mercoura hatte nie nach ihr gesucht. Sie hatte ihn freiwillig verlassen, das hatte er respektiert. Aber wie abgekapselt musste der Reeder Nicados leben, dass Angelus Mercoura nie mehr etwas von dem Schicksal ihrer Mutter erfahren hatte?

Wenig später konnte sich Stella davon überzeugen, wie sehr die Insel Crulla von der Welt abgeschlossen war. Dass es keine Fähre hinübergab, hatte sie gewusst, aber sie lief auch vergeblich zu Fischern und Bootsleuten. Niemand wollte sie zur Insel bringen.

Erst am späten Nachmittag fand sie einen alten Fischer am Strand beim Flicken seiner Netze, der bereit war, sie überzusetzen. Allerdings sagte er ihr sofort, dass er nicht auf sie warten könne. Er wollte gleich wieder zurückfahren.

Stella gab sich zunächst damit zufrieden. Erst unterwegs fragte sie den alten Mann, warum sich jeder weigere, zur Insel Crulla zu fahren.

Der Mann gab lange Zeit keine Antwort. Als er endlich zu sprechen begann, schien es ihm sehr schwerzufallen.

»Der Reeder Nicados verjagt jeden, der sich der Insel nähert. Kaum jemandem gelingt es, anzulegen. In letzter Zeit ist das besonders schlimm geworden. Ich glaube, dass der Reeder Reporter fürchtet. Sie waren immer hinter ihm her. Vor vielen Jahren führte er sie durch sein Haus, zeigte ihnen all die Pracht und war stolz auf jeden Bericht, der über ihn veröffentlicht wurde. Aber das hat sich geändert. Jahrelang war er kaum auf der Insel, er hat sich in der Welt herumgetrieben und das Leben genossen. Seit einiger Zeit ist er wieder zurück. Man vermutet, dass er schwer krank ist, aber ich kann nicht sagen, ob das stimmt.« Der Mann hob die Schultern. »Wir haben nie viel über ihn gewusst, er war immer ein Außenseiter. Und mit uns kleinen Leuten wollte er ohnehin nichts zu tun haben.«

»Werden Sie es schaffen, mich abzusetzen?«, fragte Stella ängstlich. »Sie haben doch eben gesagt, dass es kaum jemandem gelingt, anzulegen.«

Jetzt lächelte der Alte verschmitzt. »Ich weiß eine Stelle, an der es mir gelingen wird. Die meisten kennen sie nicht. Aber ich muss gleich wieder verschwinden. Auf Sie zu warten kann ich mir nicht leisten.«

»Ich bin zufrieden, wenn ich überhaupt auf die Insel komme«, antwortete Stella. Und trotzig fuhr sie fort: »Ich werde mich auch nicht ins Meer jagen lassen. Was sonst sollte der Reeder versuchen, um mich loszuwerden?«

»Er kann Sie in eines seiner Boote verfrachten und gewaltsam abschieben. Auch das hat er schon getan, wenn unliebsame Besucher bis auf die Insel gekommen waren. Für solche Aufgaben hat er Gregor, seinen treuen Butler. Außer Gregor und der Wirtschafterin Eusebia gibt es angeblich keine Dienstboten mehr in dem Palast.«

Stella blickte zu der Insel hinüber. Jetzt konnte man schon das große weiße Haus sehen. Sie erinnerte sich daran, dass Angelus Mercoura ihr gesagt hatte, weiß sei die Lieblingsfarbe des Reeders.

Jetzt fuhr der Fischer an die Küste heran und manövrierte das Boot sehr geschickt zwischen zwei Felsen hindurch auf einen steinigen Strand. Dann drängte er: »Schnell, steigen Sie aus, ich will nicht gesehen werden.«

Stella drückte ihm einen Geldschein in die Hand und sprang aus dem Boot. Sie musste einen kleinen Abhang hinaufsteigen, dann stand sie auf einem gepflegten Rasen.

Eine Märchenlandschaft breitete sich vor ihr aus: Palmen und blühende Sträucher, wild wuchernde Blumen, und mitten darin stand das herrliche weiße Haus.

Zögernd ging Stella weiter. Auf dem Weg zu dem Haus bemerkte sie die Überreste eines Tempels. Von dort aus wollte sie sich erst umsehen und versuchen, etwas ruhiger zu werden.

Sie ging darauf zu, doch plötzlich stockte sie. Zwischen zwei Säulen bewegte sich etwas. Jetzt sah sie, dass es ein Mann war, der sich eben auf einer Liege aufgerichtet hatte. Nun ließ er sich wieder zurückfallen. Sie meinte, ein abgezehrtes, bleiches Gesicht gesehen zu haben. Stella brauchte noch einige Minuten, bis sie weiterging. Sie dachte daran, dass der Fischer gesagt hatte, der Reeder Alexander Nicados sei krank. War er der Mann auf der Liege?

In ihrer Aufregung stolperte Stella über einen der Gesteinsbrocken des verfallenen Tempels. Sie konnte noch verhindern, dass sie stürzte, aber nicht, dass sie leise aufschrie.

Der Mann in der Liege richtete sich wieder auf. Sein bleiches Gesicht rötete sich, seine dunklen Augen blickten sie zornig an.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

Obwohl Stella diese griechischen Worte verstanden hatte, schwieg sie. Der Anblick dieses Mannes jagte ihr Angst ein, aber sie empfand auch Mitleid. Niemand hätte übersehen können, dass er schwer krank sein musste.

»Wie sind Sie auf die Insel gekommen?«, fragte er und ließ sich erschöpft zurückfallen.

Stella wagte sich noch einige Schritte weiter. Nun stand sie vor der Liege. Sie strich sich das rotblonde Haar aus der Stirn, ihre dunklen Augen ließen den Mann nicht los.

Und jetzt fragte sie: »Sind Sie der Reeder Alexander Nicados?« Sie sprach englisch.

Wieder bemühte sich der Mann, sich aufzusetzen.

Stella ging zu ihm, ließ die Rückenstütze der Liege einrasten und sagte: »Jetzt können Sie sich anlehnen.«

Der Mann sah sie nun nicht mehr zornig an. Er schien verwundert zu sein, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihm geholfen hatte.

»Ja, ich bin Alexander Nicados«, antwortete er. »Und wer sind Sie?«

Stella trat einen Schritt zurück, damit er sie besser sehen konnte. »Ich bin Lady Olivias Tochter.«

Alexander Nicados drückte sich fester gegen die Rückenlehne der Liege. Er presste die Lippen zusammen, mit zitternden Händen zog er die leichte Decke bis ans Kinn. Ungläubig sah er Stella an.

»Lady Olivias Tochter?«, wiederholte er schließlich.

Stella beugte sich zu ihm. »Ja, ich bin Stella Douglas. Wo ist meine Mutter?«

»Gehen Sie weg, bitte, gehen Sie weg.« Alexander Nicados hob die Hände und streckte sie aus, als wolle er Stella wegstoßen. Aber dann sanken sie kraftlos zurück. »Nein, bleiben Sie«, brachte er kaum verständlich hervor. »Ich habe es gemerkt. Sie sehen ihr ähnlich. Sie hatte nur schwarzes Haar.« Er schloss die Augen. »Schönes, glänzendes schwarzes Haar.« Um seinen Mund zuckte es.

»Wo ist meine Mutter?«, fragte Stella nochmals.

»Ich weiß es nicht.« Alexander Nicados sah Stella wieder an. Seine Stimme wurde erregter. »Warum sind Sie gekommen? Warum wollen Sie mich quälen? Sehen Sie nicht, dass ich ein Wrack bin?«

»Es tut mir leid, dass Sie krank sind, Mister Nicados, aber ich habe ein Recht, zu wissen, was aus meiner Mutter geworden ist. Ihre Spur endet bei Ihnen. Meine Mutter ist zu Ihnen auf die Insel Crulla gekommen.«

»Das ist lange her.« Alexander Nicados strich sich über das graue Haar. »Damals war ich noch gesund. Jetzt habe ich jeden Tag den Tod vor Augen. Er umschleicht mich, heimtückisch, lauernd. Bald wird er zuschlagen.« Angst zeigte sich im Gesicht des Schwerkranken. »Warum sehen Sie mich so seltsam an? Weil Sie mich nicht verstehen können?« Er lachte bitter. »Natürlich kann ein junger gesunder Mensch nicht begreifen, wie es ist, wenn man das Ende vor sich sieht.«

»Sie können sich die besten Ärzte leisten, Mister Nicados«, warf Stella ein.

Sein Lächeln wurde spöttisch. »Sie haben alle versagt. Sie wollen meine Krankheit nicht kennen. Sie haben noch nie etwas davon gehört, dass man sich auf Reisen eine Infektion holen kann, die den ganzen Körper vergiftet. Sie wissen kein Mittel dagegen, sie vertrösten mich nur. Ich bin von einer Klinik in die andere gebracht worden. Jetzt bin ich auf die Insel zurückgekehrt, um hier zu sterben.« Er zeigte zu den Palmen und blühenden Sträuchern. »Um inmitten dieser Pracht zu sterben.«

Stella konnte dazu nichts sagen, sie blieb still neben der Liege stehen.

Umso überraschter war sie, dass Alexander Nicados jetzt sagte: »Ich werde Ihnen alles von Ihrer Mutter erzählen, was ich weiß. Vielleicht musste ich nur deshalb noch am Leben bleiben, um das tun zu können.« Er sah zu dem weißen Haus hinüber. »Gregor kommt. Seien Sie ohne Sorge, er wird Sie nicht verjagen.«

An diese Worte konnte Stella nicht so ganz glauben, als ihr der alte Butler Gregor gegenüberstand.

Er sah sie wütend an. »Was wollen Sie hier? Die Insel gehört meinem Herrn, niemand darf sie betreten!«

»Beruhige dich, Gregor«, sagte Alexander Nicados mit matter Stimme. »Es ist schon alles geklärt. Miss Douglas kommt mit uns ins Haus.«

»Miss Douglas?«, fragte Gregor entsetzt.

»Ja, Miss Stella Douglas, Olivias Tochter. So ist es, Gregor. Hilf mir auf die Füße, und führe mich ins Haus.«

Nur widerwillig befolgte Gregor diesen Befehl. Immer wieder sah er Stella an, als wolle er sie doch noch verjagen. Unsicher folgte sie den beiden Männern. Sie gingen sehr langsam, Alexander Nicados Füße schleiften beinahe über den Boden, seine Schultern fielen nach vorn, er wirkte wie ein Greis.

Als sie durch das Portal gingen, kam ihnen eine ältere Frau entgegen. Auch sie sah Stella entgeistert an.

»Du darfst deinen Augen schon trauen, Eusebia«, sagte Alexander Nicados. »Sie sieht nicht nur Lady Olivia ähnlich, sie ist ihre Tochter. Bereite eines der Gästezimmer vor, Miss Stella wird bei uns übernachten.«

Stella stand in der Halle. Sie sah den Reeder erstaunt an.

»Ich soll hierbleiben?«, fragte sie.

»Ja, darum muss ich Sie bitten, Miss Stella. Es wird lange dauern, bis ich Ihnen alles erzählt haben werde.« Alexander Nicados stützte sich schwer auf den Butler. »Meine Kraft wird nicht ausreichen, um ohne Unterbrechung sprechen zu können.«

»Darf ich telefonieren?«, fragte Stella. »Ich muss jemandem Bescheid sagen, dass ich heute nicht zurückkomme.«

»Bitte.« Alexander Nicados zeigte auf das Telefon in der Halle und ließ sich von Gregor die breite Freitreppe hinaufführen. »Eusebia wird Ihnen dann Ihr Zimmer zeigen, Miss Stella. Ich werde eine Stunde ruhen, dann erwarte ich Sie in meinem Arbeitszimmer im ersten Stock.«

Stella wartete, bis sie allein in der Halle war. Dann wählte sie die Nummer der Pension Kontiki in Lindos. Aber sie erreichte Franco nicht. Sie ahnte nicht, dass er zu dieser Zeit in seinem Rennwagen saß und die neu eingebaute Konstruktion ausprobierte, die es ihm trotz seines kranken Beines erlauben sollte, zu fahren.

Enttäuscht ging Stella die breite Treppe hinauf. Als sie im ersten Stock war, kam ihr Eusebia entgegen und zeigte mürrisch auf eine Tür am Ende des Flurs.

»Dort ist Ihr Zimmer, daneben das Bad.«

»Und wo finde ich nachher Mister Nicados?«, fragte Stella.

»Ich werde Sie holen und zu ihm führen.« Eusebia verschwand schnell über die Treppe.

Stella hatte ein ungutes Gefühl. Sie betrat das ihr zugewiesene Zimmer und ging gleich ans Fenster. Erst jetzt gestand sie sich ein, dass sie insgeheim gehofft hatte, ihre Mutter wäre noch auf der Insel. Lady Olivia konnte doch nicht immer von Neuem geflüchtet und weitergezogen sein, einmal musste sie einen festen Platz gefunden haben.

Aber dieser Platz war nicht die Insel Crulla. Entmutigt setzte sich Stella in einen Sessel und wartete, bis Eusebia sie holte und zu Alexander Nicados brachte.

Er wartete in einem Zimmer mit weißen Möbeln auf sie. Es war ein Arbeitszimmer mit einem wuchtigen Schreibtisch und schweren Sesseln. Sie waren mit Ziegenfellen bezogen, schneeweiß, ohne einen Tupfer Farbe.

Das Zimmer wirkte sehr kühl. Stella blickte immer wieder auf die königsblauen Samtvorhänge an den Fenstern. Es war wohltuend für das Auge, dass wenigstens sie nicht weiß waren.

Auf dem Tisch vor den Sesseln standen ein Imbiss und Tee bereit. Alexander Nicados winkte ab, als Eusebia ihn bedienen wollte.

»Das besorgt Miss Stella schon«, sagte er.

Stella machte das eigentlich nichts aus, vielleicht wäre sie selbst auf diesen Gedanken gekommen, aber dass Alexander Nicados einfach über sie verfügte, störte sie. Auch wenn er jetzt krank und gebrechlich war, seiner Stimme hörte man noch an, dass er es gewohnt war, zu befehlen.

Beim Essen schwiegen sie beide. Und danach kam nur langsam eine Unterhaltung in Gang. Meistens stellte Alexander Nicados Fragen, und Stella beantwortete sie zögernd. Immer wieder wollte sie den Hausherrn daran erinnern, dass er ihr ein Versprechen gegeben hatte, aber das schaffte sie nicht. Zu gut spürte sie, dass er ihre Geduld nur auf die Probe stellte, weil es ihm schwerfiel, einen Anfang zu finden.

Leichte Dämmerung brach schon an, als Stella aufstand und noch einmal in der Pension Kontiki anrief. Jetzt war Franco am Apparat und sagte, er sei am Meer gewesen. Als er hörte, dass Stella erst am nächsten Tag zurückkommen wollte, fragte er: »Muss ich mir auch keine Sorgen um dich machen?«

»Nein, Franco, ganz sicher nicht. Ich werde gleich mehr von meiner Mutter erfahren.« Sie verabschiedete sich und ging zu Alexander Nicados zurück.

Er stand auf und schleppte sich an eines der Fenster. »Kommen Sie bitte zu mir, Miss Stella«, sagte er.

Stella trat neben ihn.

Er zeigte zum Meer hinunter. »Sehen Sie die Jacht dort?«

»Ja«, entgegnete Stella gleichgültig.

Doch dann zuckte sie zusammen. In großen schwarzen Buchstaben stand auf der Bordwand der Jacht: Olivia.

Stella sah Alexander Nicados an. »Eine Jacht trägt den Namen meiner Mutter?«

»Ja. Sie gehörte auch Ihrer Mutter. Ich habe sie ihr geschenkt. Und seit Ihre Mutter mich verlassen hat, wurde diese Jacht nicht mehr benutzt. Sie ist verrottet und längst nicht mehr fahrtüchtig. Sehen Sie, an den Bordwänden ist die Farbe abgeblättert, nur die Buchstaben haben sich noch gehalten.« Er legte die Hand über die Augen, als wolle er den Namen Olivia nicht mehr lesen. »Anscheinend soll ich immer an Ihre Mutter erinnert werden, sobald ich zu diesem Fenster hinaussehe.« Er ließ die Hand wieder sinken. »Oder an das, was ich ihr angetan habe.« Er ging zu seinem Sessel zurück.

Eusebia kam und räumte den Tisch ab. Wieder schwieg Alexander Nicados. Jetzt aber wollte sich Stella nicht länger gedulden.

»Sie wollten mir von meiner Mutter erzählen«, erinnerte sie ihn. »Ich weiß nur, dass sie den Rosenzüchter Angelus Mercoura verlassen hat und mit Ihnen auf die Insel Crulla gefahren ist.«

Alexander Nicados lehnte sich zurück. Er sah sehr leidend aus. Wie Pergament spannte sich die Haut über sein Gesicht. Der weiße Anzug schlotterte um den abgemagerten Körper, der Kragen des rosafarbenen Hemdes war ihm viel zu weit.