Die schwarzen Perlen - Folge 37 - O. S. Winterfield - E-Book

Die schwarzen Perlen - Folge 37 E-Book

O. S. Winterfield

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Beschreibung

Lady Laura hat bereits als Kind erfahren, wie wichtig Geld ist. Liebe dagegen war auch schon in ihrem Elternhaus ein leerer Begriff. So scheint Laura das einzig Erstrebenswerte im Leben zu sein, Reichtum und Macht zu haben. Sie ist besessen von diesem Gedanken und kennt keine Skrupel, wenn es darum geht, ihre Ziele zu erreichen.

Für die Bewohner von Ferrymoore ist Laura Haggart nur die Teufelsanbeterin und die Frau in Schwarz. Niemand weiß mehr über sie - bis sie Stella die schreckliche Wahrheit über ihre Vergangenheit erzählt. Damals war Laura noch die Frau mit dem blauen Schleier.

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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Frau mit dem blauen Schleier

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / negativkz Hintergrund: shutterstock / Norma Cornes

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-2402-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Was bisher geschah

Die junge Stella flieht von Ferrymoore Castle. Hass und Feindseligkeit vertreiben die Erbin des altehrwürdigen Schlosses im schottischen Hochland. Auch ihre Mutter Olivia wurde einst zur Flucht gezwungen. Lady Olivia trug damals eine Kette aus kostbaren schwarzen Perlen, denen ein magischer Zauber zugeschrieben wurde. Seitdem blieb sie auf rätselhafte Weise verschwunden.

Die Suche nach Lady Olivia führt Stella um den halben Erdball. Mit jeder Perle findet sie eine Station im geheimnisvollen Leben ihrer Mutter. Aber dabei wird sie selbst das Opfer tragischer Verstrickungen.

Lady Laura will den Verwalter von Gut Ferrymoore heiraten. Doch die Dorfbewohner und die Kapuzenmänner von der Insel der Toten stellen sich gegen sie. In letzter Sekunde kann Lady Laura von ihren Foltern erlöst werden. Auf dem Sterbebett erzählt sie von ihrem Leben.

Die Hauptpersonen dieses Romans

Stella Douglas – Lady Olivias Tochter und Erbin von Ferrymoore Castle in Schottland

Laura Hylander – Die spätere Lady Laura Haggart

Mike Hylander – Ihr Bruder

James Hylander – Der Vater der beiden

Edward Haggart – Ein englischer Lord

Corwin – Sein Diener

Earl of Whitland – Alias Mr. Smith

Lady Olivia

Die Frau mit dem blauen Schleier

von O. S. Winterfield

Auf Ferrymoore Castle im schottischen Hochland nennt man sie jetzt die »Frau in Schwarz«. Nur noch selten sagt jemand Lady Laura zu ihr. Dabei ist sie auf diesen Titel einmal sehr stolz gewesen. Sie hat ihn sich schwer erkämpft, mit allen Mitteln. Niemand in Ferrymoore ahnt etwas von ihrer Vergangenheit. Dort kennt man sie nur als Teufelsanbeterin.

Doch als Stella ausgerechnet bei ihr die dreizehnte schwarze Perle findet, erzählt die Frau in Schwarz der jungen Erbin von Ferrymoore Castle ihre grausige Geschichte – eine Geschichte aus der Zeit, in der sie noch die Frau mit dem blauen Schleier war …

Als Laura und Mike Hylander noch Kinder waren, bekamen sie die Misere, in der ihre Familie lebte, immer sehr deutlich zu spüren. Ihre Mutter Elizabeth stammte zwar aus dem niederen Adel Englands und hatte sich Lady nennen dürfen, doch diesen Titel hatte sie mit ihrer Heirat verloren.

Sie erzählte immer wieder, dass sie ihren Mann James Hylander aus Liebe geheiratet habe. Aber davon merkten Laura und ihr um acht Jahre jüngerer Bruder Mike nichts mehr. Sie erlebten nur Streit zwischen ihren Eltern. Meistens ging es um Geld und Schulden, die nicht bezahlt werden konnten.

Die Familie Hylander lebte von Anfang an über ihre Verhältnisse. Man wohnte in Chelsea, einem der vornehmsten Stadtteile Londons. Eine um vieles billigere Wohnung hätte man sich nach außen hin kaum leisten können.

Was James Hylander als Immobilienmakler verdiente, verbrauchte er zum größten Teil für sich selbst. Er war ein großer, dunkelhaariger und gut aussehender Mann, der seine Chancen bei Frauen zu nutzen wusste.

Die Enge seiner familiären Verhältnisse trieb ihn immer wieder in teure Bars, auf die Rennbahnen und in Spielkasinos, ein Milieu, das ihm angemessen schien. Seine Arbeit vernachlässigte er. Aber Arbeit war in den Kreisen, zu denen sich seine Familie zählen wollte, ohnehin verpönt. Man hatte von Haus aus vermögend zu sein und es im Lebensstil zu zeigen.

Die Hylanders täuschten diesen Lebensstil vor. Dafür machten sie Schulden, und die Gespräche um Geld nahmen kein Ende. So bekam die kleine Laura frühzeitig mit, wie wichtig Reichtum zu sein schien. Es musste das Erstrebenswerteste im Leben sein.

Sobald sich Laura mit ihrem jüngeren Bruder über diese Dinge unterhalten konnte, erzählte sie ihm, dass sie einmal einen ganz reichen Mann heiraten würde.

Der Junge ließ sich von ihren Träumen mitreißen, er bewunderte seine große Schwester. Sie war ohnehin die Einzige, die sich um ihn kümmerte. Oft saßen sie allein miteinander in der Küche und aßen, was sie gerade noch gefunden hatten. Zur selben Zeit waren die Eltern irgendwo auf dem Tennisplatz, beim Golf spielen oder auf einer Gesellschaft.

Personal gab es selten im Hause Hylander. Die meisten Dienstboten gingen, ohne ihren Lohn bekommen zu haben. Zu Partys holte man sich Lohndiener. Auch das war sehr vornehm.

Als Laura vierzehn Jahre alt war, erhielt sie öfter Taschengeld. Sie ging damit sehr großzügig um. Vor allem ihrem Bruder Mike gegenüber. Er hing an Laura. Was er von seinen Eltern erwartete und nicht bekam, gab ihm seine Schwester: Eis, Schokolade, Spielsachen – und Liebe.

Mike ging zu dieser Zeit schon zur Schule, natürlich in eine vornehme Privateinrichtung. Auch wenn die Eltern mit der Zahlung des hohen Schulgelds bald wieder in Rückstand gerieten, sie mussten sich den Luxus leisten, ihre Kinder in Internate zu schicken, die der obersten Gesellschaftsschicht vorbehalten waren.

Laura hatte dort schon seit Jahren gelernt, zu heucheln und mehr zu scheinen als zu sein. Ihre Eltern machten sich keine Gedanken darüber, dass sich das auf Lauras Charakter auswirken musste.

Mike war ehrlicher als sie. Er verhehlte seinen Schulkameraden nicht, dass seine Eltern nie Geld hatten.

Als Laura davon erfuhr, wurde sie zornig. Das passierte sehr oft. Selbst die Eltern fürchteten dann ihre Ausbrüche. Mehr aber noch Mike. Er wollte ja seine Schwester nicht erzürnen. Mit seinen sechs Jahren war er bereit, sie immer wieder um Verzeihung zu bitten, wenn er ihrer Ansicht nach etwas falsch gemacht hatte.

Aber als sie ihm jetzt vorhielt, dass er nie jemandem sagen durfte, wie arm sie in Wirklichkeit waren, sah er sie nur verwundert an.

»Aber ich habe doch nie Geld, Laura, wenn du es mir nicht gibst. Die Kinder sehen ja, dass ich mir nichts kaufen kann. Sie haben alle viel Taschengeld.«

»Dann werde ich dir eben noch mehr Geld geben«, sagte Laura.

»Von wem bekommst du es?«, fragte Mike nun zum ersten Mal.

Laura sah ihn mit einem hintergründigen Lächeln an. »Das kann ich dir nicht sagen. Dazu bist du noch zu klein.«

***

Tage später erlebte Mike, woher seine Schwester ihr Geld hatte. Er kam am Nachmittag aus der Schule nach Hause und meinte, allein in der Wohnung zu sein. Da hörte er aus einem am Ende des Korridors gelegenen Raum leise Stimmen.

Er ging bis zur Tür. Als er sie öffnen wollte, kam Laura aus dem Nebenzimmer gelaufen. Sie war sehr aufgeregt und legte einen Finger auf die Lippen. Sie zog ihren Bruder in den Raum, aus dem sie eben gekommen war, und befahl ihm, keinen Mucks von sich zu geben.

Mike war es gewohnt, Laura zu gehorchen, und schwieg, obwohl ihm die Zeit sehr lang wurde. Er konnte sich nicht erklären, wer im Zimmer nebenan war und warum Laura so oft auf den Flur hinauslugte.

Als draußen Schritte zu hören waren, ging sie hinaus. Mike folgte ihr, obwohl sie ihm bedeutet hatte, im Zimmer zu bleiben.

Auf dem Flur stand sein Vater und half einer jungen, schönen Frau in den Mantel. Sie lehnte sich an ihn und sagte: »Das nächste Mal bei mir, Darling.«

Dann ging sie schnell an die Ausgangstür.

Der Vater hatte ein erhitztes Gesicht. Ärgerlich sah er zu Laura und Mike, dann griff er in die Tasche, reichte Laura eine Pfundnote und wollte in einem Zimmer verschwinden.

Laura lief ihm nach und hielt ihn an der Hand fest. Sie sah ihn herausfordernd an.

»Heute musst du Mike auch Geld geben, Daddy. Sonst verrät er Mami, dass du Besuch hattest.«

Das Gesicht des Vaters wurde krebsrot.

»Erpresserin«, sagte er verächtlich, griff aber in die Tasche und drückte auch dem kleinen Mike eine Pfundnote in die Hand.

Lauras grünliche Augen strahlten triumphierend.

Mike stand ratlos im Flur. Er sah immer wieder auf die Pfundnote und dann auf die Tür, hinter der sein Vater verschwunden war.

»Steck das Geld endlich ein«, sagte Laura, griff nach Mikes Hand und zog ihn mit in ihr Zimmer. »Mein Gott, stellst du dich dumm an, Mike. Begreifst du nicht, warum uns Daddy die Pfundnoten gegeben hat?«

»Nein.« Mike sah seine Schwester treuherzig an.

»Du bist ein Dummkopf, Mike. Denkst du dir gar nichts dabei, wenn Daddy mit einer anderen Frau aus einem Zimmer kommt? Und ausgerechnet dann, wenn Mami nicht hier ist?« Laura neigte sich zu ihrem kleinen Bruder und flüsterte ihm ins Ohr: »Die Frau ist eine bekannte Tänzerin. Und sie ist Daddys Geliebte.« Laura richtete sich auf. »Manchmal bringt er auch eine andere Frau mit.«

»Aber er hat doch Mami.« Mike riss seine blauen Augen weit auf.

»Mit Mami streitet er doch nur. Sie lieben einander nicht mehr. Liebe ist überhaupt ein Quatsch. Was hat Mami nun davon, dass sie Daddy aus Liebe geheiratet hat? Er betrügt sie.« Laura tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »So dumm werde ich einmal nicht sein. Ich heirate einen reichen Mann, ob ich ihn liebe oder nicht. Wenn der mich betrügt, brauche ich mich nicht so zu ärgern, dann bleibt noch immer sein Geld.«

Doch davon begriff Mike noch nicht viel. Er beschäftigte sich noch immer damit, dass sein Vater eine Geliebte hatte.

»Und Mami darf das nicht wissen?«, fragte er jetzt.

»Nein«, sagte Laura ungeduldig. »Wann wirst du das endlich begreifen?«

»Dann will ich auch das Geld nicht.« Mike holte die Pfundnote aus seiner Hosentasche.

»Bist du verrückt?« Laura sah ihren Bruder an, als zweifle sie wirklich an seinem Verstand. »Sei froh, dass du endlich Geld hast. In Zukunft kannst du immer mit mir lauschen, wenn Daddy eine Frau mitbringt. Dann bekommst du auch jedes Mal Geld. Stell dich jetzt nicht so an. Wenn ich dir Geld gegeben habe, hatte ich das auch immer von Daddy.« Laura lachte listig. »Schweigegeld ist das. Ich glaube, Daddy bezahlt es gern, wenn er dafür keinen Streit mit Mami bekommt«

»Aber ich will nicht, dass wir so gemein zu Mami sind.«

Mike machte ein trotziges und unglückliches Gesicht. Mit solchen Problemen wurde er nicht fertig. Er war nicht so wendig wie Laura.

»Ach was, wir brauchen auf Mami auch nicht so viel Rücksicht zu nehmen, ich schon gar nicht. Sie sagt immer, ich werde bestimmt keinen reichen Mann bekommen, weil ich nicht schön genug bin.«

Mike wurde durch diese Worte abgelenkt.

»Du bist doch schön, Laura«, sagte er.

Davon war er überzeugt, aber er hätte ihr dieses Kompliment auch gemacht, wenn er gegenteiliger Meinung gewesen wäre. Er wollte Laura immer bei guter Stimmung halten. Es befasste sich ja außer ihr niemand mit ihm.

Laura trat jetzt vor einen Spiegel. Sie wiegte sich kokett in den Hüften und fuhr sich dann durch das braune Haar. Es hatte keinen besonderen Glanz und sah immer etwas struppig aus. Aber dem würde abzuhelfen sein, wenn sie erst einmal Geld genug hatte. Ihr Gesicht war schmal, der Mund etwas zu groß, und ihr Teint hatte einen fahlen Ton, aber ihre grünlichen Augen belebten das Gesicht.

»Findest du mich wirklich schön, Mike?«, fragte sie jetzt und warf ihrem Spiegelbild einen letzten Blick zu.

»Ja«, sagte Mike todernst. »Und Mami sagt auch nicht, dass du hässlich bist. Du bekommst bestimmt einen reichen Mann, Laura.«

Laura umarmte ihren Bruder stürmisch. »Dann wird es dir auch gut gehen, Mike, sehr gut. Ich werde ganz jung heiraten. Dann musst du immer noch zur Schule gehen. Aber ich werde für dich das teuerste Internat bezahlen. Da brauchst du nicht mehr allein zu sein. Alles werde ich dir kaufen, was du dir nur wünschst – Golfschläger, ein Reitpferd, ein Segelboot, und wenn du erst einen Führerschein hast, auch ein tolles Auto.«

Mike sah seine Schwester fassungslos an. »Aber das will ich doch alles gar nicht, Laura. Ich möchte nur bei dir bleiben, damit ich nicht immer allein bin. Aber wenn ich in ein Internat gehen soll, kann ich nicht bei dir sein.«

»In den Ferien kommst du natürlich zu mir. In mein Landhaus oder auf meinen Herrensitz. Dann reiten wir zusammen aus. Und wenn du einmal älter bist, wirst du ein ganz reiches Mädchen kennenlernen. Aus den Kreisen, in denen ich dann leben werde.«

Der kleine Mike wurde immer ratloser. »Aber ich möchte doch nur Bauer werden, Laura.«

Jetzt lachte die Vierzehnjährige laut. »Du hast wirklich einen kleinen Tick, Mike. Bauer! Du darfst doch nicht Bauer werden.«

»Aber ich mag doch Tiere so gern, Laura. Und ich möchte nicht in der Stadt leben. Ich finde es in London gar nicht schön.«

Laura wurde wieder ungeduldig. »Was reden wir jetzt über diese Dinge? Du bist ja erst sechs und musst noch lange zur Schule gehen. Ich wollte dir doch nur sagen, dass wir beide reich sein werden, wenn ich einmal heirate.«

»Aber du bist erst vierzehn, Laura. Da dauert es auch noch lange, bis du heiraten kannst«, sagte Mike sehr nachdenklich.

»Mit achtzehn könnte ich schon heiraten. Dann nehmen mich Daddy und Mami schon zu Partys mit, und dort lerne ich bestimmt einen Mann kennen, wie ich ihn mir wünsche.«

***

Es kam nicht dazu, dass Laura von ihren Eltern in die Gesellschaft eingeführt wurde. Als sie sechzehn Jahre alt war, starb ihre Mutter an einem heimtückischen Leiden, das sie fast ein Jahr aufs Krankenlager geworfen hatte.

In dieser Zeit mussten die Kinder die teuren Privatschulen verlassen, weil die Eltern kein Geld mehr hatten. Sie gingen nun auf öffentliche Schulen. Mike machte das nichts aus, er fühlte sich bei den einfachen Jungen sehr wohl. Viele von ihnen waren auch arm, nun brauchte er nicht mehr so tun, als seien seine Eltern reich.

Laura aber war empört, dass sie sich von ihren Mitschülerinnen trennen musste, die alle aus wohlhabenden Familien stammten. Sie hatte es bis zuletzt verstanden, sich in den Mittelpunkt zu drängen und den Eindruck zu erwecken, als lebe sie zu Hause in Hülle und Fülle. Die größte Sorge machte ihr aber die Tatsache, dass sie nun den Anschluss an jene Welt verlor, in der sie einen reichen Mann finden wollte.

Der Tod der Mutter traf die beiden Kinder schwer. Auch wenn Elizabeth Hylander für Laura und Mike wenig Zeit geopfert hatte, sie war ihnen doch noch ein Halt gewesen. Der Vater aber ließ die Kinder deutlich spüren, dass sie für ihn eine Belastung waren.

Die Schulden erdrückten ihn, er konnte die teure Wohnung in Chelsea nicht mehr halten. Seinen Beruf als Immobilienmakler hatte er aufgegeben, er machte nur noch Gelegenheitsgeschäfte. Die Gesellschaft, in die er sich über so viele Jahre gedrängt hatte, war seiner überdrüssig geworden. Sie ließ ihn fallen. Und er hatte keine Hoffnung mehr, noch einmal in diese Kreise zurückkehren zu können. Jetzt haftete ihm der Makel der Armut an. Der schlimmste Makel, den es bei diesen versnobten Leuten geben konnte, zu denen er so gern gehört hätte.

James Hylander nahm die erstbeste Wohnung, die sich ihm bot. Im Stadtteil Finsbury, der noch immer als Elendsviertel galt. Er hatte jedes Verantwortungsbewusstsein für seine Kinder verloren. Er wusste, dass er selbst so selten wie nur möglich in der kleinen Wohnung sein würde.

Und so kam es auch. Laura und Mike waren die meiste Zeit sich selbst überlassen. Oft hatten sie nicht das Nötigste zum Essen. Es gab auch kein Taschengeld mehr, das Laura von ihrem Vater erpressen konnte.

Nun brauchte er sich nicht mehr heimlich mit anderen Frauen zu treffen, er trieb sich mit ihnen in Lokalen herum und wohnte auch bei ihnen. Immer wieder fand er Frauen, die ihn eine Zeit lang durchhielten.

Laura verließ die Schule. Sie war ohnehin nicht mehr gern hingegangen. Ihr Ziel war noch immer, reich zu heiraten. Das war der Anker, an dem sie sich festhielt.

Ihren Vater interessierte es nicht, was sie tat. So nahm sie aus eigenem Entschluss eine Stelle in einem Modeatelier an. Das schien ihr der richtige Platz zu sein, um auf ihr Ziel zuzusteuern.

Schon damals gelang Laura viel, was andere Mädchen nicht geschafft hätten, erst recht nicht in ihrer Situation. Sie durfte in dem bekannten Modesalon Flower in der Oxford-Street arbeiten. Dafür, dass sie zunächst mit der Lehre als Schneiderin beginnen musste, wurde sie mit zwei Pfund in der Woche gut bezahlt. Manchmal, wenn sie Botengänge machte, bekam sie auch Trinkgelder.

Als der jetzt achtjährige Mike sah, dass sie oft von diesem Geld leben mussten, weil sich ihr Vater wieder einmal tagelang nicht um sie kümmerte, suchte er sich auch Arbeit. Aber das war in Finsbury sehr schwer. Dort unterboten sich die Jungen im Preis, wenn es darum ging, jemandem einen Koffer zu schleppen oder Kohlen aus dem Keller zu holen.

Erst als es Mike gelang, Arbeit als Zeitungsausträger zu finden, hatte er einen regelmäßigen Verdienst. Allerdings musste er schon um vier Uhr morgens aufstehen. Wenn er zurückkam, sah er Laura nur kurz. Oft blieb nicht so viel Zeit, dass sie miteinander frühstücken konnten.

Mike war ein schlaksiger, magerer Junge geworden. Sein blondes Haar, die blauen Augen und der helle Teint ließen ihn etwas farblos erscheinen. Aber wer ihn kennenlernte, mochte ihn gern. Er war immer hilfsbereit, und er suchte Freunde.

Aber gerade das war in Finsbury schwer. Die oft sehr verwahrlosten Jungen sahen ihn als feinen Pinkel an. Und so schimpften sie ihn auch. Seine zurückhaltende Art war für die anderen hier eine Herausforderung.

Eines Morgens wartete Laura vergeblich auf Mike. Sie konnte sich nicht erklären, wieso er nicht zurückkam. Er musste die Zeitungen längst ausgetragen haben, und er wollte ja auch nicht zu spät zur Schule kommen. Laura hatte keine Zeit, länger zu bleiben. Der Weg bis zum Modeatelier war weit.

Als sie den Bürgersteig entlanglief, um an die Haltestelle der Straßenbahn zu kommen, sah sie einen Menschenauflauf vor dem Eingang zu einem der schmutzigen Hinterhöfe. Sie musste vom Bürgersteig heruntergehen, um an den Leuten vorbeizukommen.

Da hörte sie, dass jemand sagte: »Er ist nicht einmal dazu gekommen, die Zeitungen auszutragen. Die haben ihm diese Bengel gleich abgenommen. Denen genügt es, wenn sie hier und dort ein Trinkgeld bekommen.«

Laura blieb stehen und drängte sich zwischen die Leute. Dann sah sie Mike. Er lehnte mit dem Rücken an der Hauswand, seine Arme hingen schlaff herunter, der Kopf war zur Seite gerutscht, und das Gesicht war verschwollen und blutunterlaufen.

Als sich Laura zu ihm beugte, sah er sie an, als erkenne er sie nicht sofort. Sie half ihm auf die Beine und hielt ihn fest. Und nun begann sie laut zu schimpfen.

»Was steht ihr neugierig hier herum, warum habt ihr ihm nicht geholfen?«

Ein Mann zuckte mit den Schultern. »Wir mischen uns nicht in die Händel, die die Jungen hier untereinander haben. Wir sind doch nicht verrückt, dass wir uns dann von denen die Fensterscheiben einschlagen lassen.«