Die schwarzen Perlen - Folge 23 - O. S. Winterfield - E-Book

Die schwarzen Perlen - Folge 23 E-Book

O. S. Winterfield

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Beschreibung

Seit Francos Tod ist Stella so einsam wie nie zuvor. Um zu vergessen, stürzt sie sich in den gesellschaftlichen Trubel von St. Raphael an der französischen Riviera. Dort lernt sie Sir Archibald kennen, einen geheimnisvollen Herrn, der ihr seine Hilfe anbietet. Bald findet Stella heraus, dass Sir Archibald ein begabtes Medium ist. Sie ist fasziniert von dem Gedanken, dass er Kontakt zu den Toten aufnehmen kann. Doch dann gerät sie immer stärker in Archibalds Bann ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Kontakt mit einer Toten

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / Nejron Photo

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-1649-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Kontakt mit einer Toten

von O. S. Winterfield

Seit Francos Tod ist Stella so einsam wie nie zuvor. Um zu vergessen, stürzt sie sich in den gesellschaftlichen Trubel von St. Raphael an der französischen Riviera. Dort lernt sie Sir Archibald kennen, einen geheimnisvollen Herrn, der ihr seine Hilfe anbietet. Bald findet Stella heraus, dass Sir Archibald ein begabtes Medium ist. Sie ist fasziniert von dem Gedanken, dass er Kontakt zu den Toten aufnehmen kann. Doch dann gerät sie immer stärker in Archibalds Bann …

Das kleine baufällige Fischerhaus stand an der Südküste Englands. Das Dach bestand nur noch aus wenigen Ziegeln, das Gebälk war morsch, und die Mauern feucht. Keiner, der an diesem einsamen Haus vorüberging, hätte für möglich gehalten, dass noch jemand darin wohnte.

Und doch lebten seit einigen Tagen drei kleine Mädchen darin. Meistens saßen sie eng aneinandergedrückt auf dem Fußboden eines modrigen kleinen Raumes. Sie kannten voneinander nur ihre Vornamen: Peggy, Daisy und Jenny. Aber sie sahen sich verblüffend ähnlich. Alle drei hatten rotblondes Haar und auffallend dunkle Augen. Und sie waren ungefähr gleich alt, etwa vier Jahre.

Der bärtige, ungepflegte Mann, der die Mädchen bewachte, dachte an den fürstlichen Lohn, den er für diesen Dienst von dem noblen Herrn bekommen sollte.

»Ich will zu meiner Mami«, klagte jetzt Daisy.

»Ich auch.« Jenny weinte.

Der Mann stand von seinem wackeligen Stuhl auf und sah die Kinder böse an.

»Fangt mir ja nicht wieder mit der Plärrerei an, sonst bekommt ihr kein Abendessen!« Er zeigte auf Peggy. »Nehmt euch an der ein Beispiel, sie schreit nicht dauernd nach ihrer Mutter.«

»Sie hat ja keine Mami, nur einen Daddy«, sagte Daisy und sah den Mann ängstlich an.

Über Peggys Gesicht liefen Tränen, aber es war ihr anzusehen, wie sehr sie sich anstrengte, nicht zu weinen.

»Ich will auch zu meinem Daddy zurück«, sagte sie kaum verständlich. »Er wird so traurig sein.«

»Haltet jetzt den Mund!«, schimpfte der Mann und verließ den Raum.

Im Flur griff er nach einer Zeitung und setzte sich damit auf die Türschwelle nach draußen. Als er zu lesen begann, wurde ihm mulmig zumute, obwohl er das alles schon kannte. Diese Schlagzeilen waren schließlich nicht zu übersehen: Drei kleine Mädchen waren gekidnappt worden. An verschiedenen Orten Englands, aber alle etwa zur gleichen Zeit.

Der Mann knüllte die Zeitung zusammen, ging ans Meer und warf sie ins Wasser. Hier würde sie durchweichen oder fortgespült werden. Das war besser, als wenn er immer wieder lesen musste, in welcher Gefahr er sich befand. Immerhin lief der gesamte Polizeiapparat Englands auf vollen Touren, und niemand wusste, ob die Komplizen des noblen Herrn wirklich so vorsichtig gewesen waren, wie sie behauptet hatten. Es war wohl höchste Zeit, dass die drei Mädchen von hier weggebracht wurden.

Der Mann sollte nicht mehr lange auf die Folter gespannt werden. Am nächsten Morgen kam der Fremde, den er nur als noblen Herrn bezeichnete, weil er seinen Namen nicht kannte. Zwei seiner Komplizen begleiteten ihn. Sie hatten zuvor auch die Mädchen gebracht.

Diese beiden wussten, wer der noble Herr war: der international bekannte, schwerreiche Reeder Alexander Nicados.

Er hielt ein Foto in den Händen. Es zeigte die kleine Stella Douglas aus Ferrymoore Castle in Schottland. Dieses Foto hatten ihm seine Komplizen verschafft. Er konnte sich auf sie verlassen, sie waren die gewieftesten Burschen, die er je kennengelernt hatte. Es war ihnen sogar gelungen, die Geburtsurkunde der kleinen Stella Douglas zu kopieren. Danach nun eine Geburtsurkunde zu fälschen, war für die beiden nicht schwer gewesen.

Alexander Nicados war sehr zufrieden. Er machte nie halbe Sachen. Das hätte er sich auch nicht leisten können, in Olivia sollte ja schließlich kein Zweifel aufkommen, ob sie auch ihr leibliches Kind in die Arme schließen durfte. Sie musste glauben, dass er ihr das Kind brachte, nach dem sie sich so sehr sehnte. Sie würde ihm dafür immer dankbar sein und all seine Wünsche nach ihrer Liebe erfüllen.

***

Alexander Nicados sah immer wieder von dem Foto zu den drei kleinen Mädchen. Er begutachtete sie wie eine Ware. Jetzt zeigte er auf Peggy und sagte leise: »Sie sieht dem Kind auf dem Foto am ähnlichsten. Meint ihr nicht auch?« Er drehte sich zu seinen Komplizen um.

Beide nickten eifrig, und einer sagte stolz: »Das war unser bester Fang, das wussten wir gleich.« Seine Stimme wurde noch leiser. »Außerdem gäbe es mit diesem Mädchen am wenigsten Schwierigkeiten. Es hat keine Mutter mehr, und der Vater ist ein einfacher Arbeiter in Birmingham.«

Der Reeder steckte das Foto in seine Jackentasche. »Also gut, bringt die beiden anderen zurück. So, wie wir es besprochen haben.« Er ging in den Flur.

Die drei Männer folgten ihm und sahen ihn erwartungsvoll an. Als er seine Brieftasche hervorholte, wurden ihre Blicke gierig.

Alexander Nicados gab jedem mehrere größere Geldscheine. Die beiden Männer, die meinten, am meisten geleistet zu haben, weil sie die Kinder ausgesucht und gekidnappt hatten, sahen ihn enttäuscht an.

Er lächelte hintergründig. »Ihr beiden bekommt die volle Summe, wenn alles glattgegangen ist. Sagen wir, in einem Monat. Dann wird sich gezeigt haben, ob ihr beim Zurückbringen der Mädchen genauso schlau vorgegangen seid wie vorher. Holt die beiden jetzt, und verschwindet dann alle. Peggy sperrt ihr ein, ich hole sie, wenn ihr verschwunden seid.«

Er verließ die Hütte und ging ans Meer. Dort setzte er sich auf einen niedrigen Felsen und warf keinen Blick mehr zurück. Es war ihm egal, dass zwei der Mädchen jetzt wieder narkotisiert wurden. So hatte man die Kinder auch in das alte Fischerhaus gebracht. Sie sollten keine Anhaltspunkte liefern können, auf welchem Weg man sie hierher- und wieder weggebracht hatte. Und einsame Fischerhäuser gab es entlang der englischen Küste viele.

Als Alexander Nicados zurückging, war die Tür des muffigen Raumes von außen verschlossen, der Schlüssel steckte, es herrschte Totenstille. Für Sekunden fürchtete der Reeder, die Männer könnten alle drei Mädchen mitgenommen haben, weil er ihnen nicht die volle versprochene Summe ausgezahlt hatte. Er öffnete schnell die Tür und atmete gleich darauf auf. In einem Winkel des Raumes saß zusammengekauert die kleine Peggy. Sie sah ihn mit großen tränenlosen Augen an.

Er ging zu ihr und zog sie hoch. Für einen Augenblick bedauerte er das Mädchen, er strich ihm über das rotblonde Haar.

»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich meine es gut mit dir.«

»Daisy und Jenny dürfen wieder zu ihrer Mami, das haben die Männer gesagt. Darf ich jetzt auch zu meinem Daddy?« Peggy sprach stockend.

»Ich bringe dich zu einer Mami.« Alexander Nicados zog das Kind in den Flur. »Wir brauchen nur ein kleines Stück zu gehen, dann steigen wir in ein Auto, und danach machen wir eine schöne Reise mit dem Flugzeug.«

Peggy sah mit großen Augen zu ihm auf. »Meine Mami ist aber im Himmel.«

»Deshalb bekommst du jetzt eine andere. Wünschst du dir das nicht?«

»Doch.« Das kam ganz schnell über Peggys Lippen. »Immer habe ich mir das gewünscht, und Daddy hat gesagt, einmal werde ich auch wieder eine Mami haben.«

»Siehst du, er hatte recht.«

Alexander Nicados wurde jetzt schon etwas ungeduldig. Er wusste nicht, wie man mit Kindern umging. Schließlich hatte er sich von seinem eigenen Jungen getrennt. Ohne jeden Schmerz. Doch er musste der kleinen Peggy wichtige Dinge beibringen. Er ging mit ihr ans Meer, setzte sich auf einen Felsen und zog sie neben sich.

»Dort, wo wir hinfahren, wartet eine ganz liebe Mami auf dich. Aber du kannst nur bei ihr bleiben, wenn du alles tust, was ich dir jetzt sage. Wenn du das nicht befolgst, kommst du wieder in die Hütte zurück.«

»Das will ich aber nicht«, sagte Peggy. In ihrem Gesicht zuckte es.

»Hör mir gut zu, Peggy. Ich spreche dich jetzt zum letzten Mal mit diesem Namen an. In Zukunft heißt du Stella.«

»Wieso?«, fragte Peggy. »Ich habe doch einen schönen Namen. Peggy gefällt mir.«

»Aber mir gefällt der Name nicht, und deine neue Mami will eine kleine Stella haben. Und so heißt du jetzt auch. Nie darfst du jemandem sagen, dass du vorher Peggy gerufen wurdest. Wenn du diesen Befehl nicht befolgst, wirst du auch keine Mami haben. Auch von deinem Daddy darfst du nicht sprechen. Das alles mag deine neue Mami nicht. Sie wird dich sofort wegschicken und dich nicht mehr lieb haben, wenn du nicht tust, was ich dir sage.«

Peggy sah zurück zu der alten Fischerhütte. Nein, dorthin wollte sie nicht mehr gebracht werden. Jetzt waren ja nicht einmal mehr Daisy und Jenny bei ihr. Aber wenn das nur alles nicht so schwer wäre, was der fremde Herr von ihr verlangte. Vielleicht machte sie doch etwas falsch.

»Komm jetzt, Stella«, sagte Alexander Nicados. »Ich werde gut aufpassen, dass du alles richtig machst.«

Das kleine Mädchen, das nun Stella hieß, hatte Mühe, mit Alexander Nicados Schritt zu halten, so schnell ging er an der Küste entlang, bis sie den Leihwagen erreicht hatten, mit dem er gekommen war.

Auf der Fahrt schlief das Kind ein. Erst auf dem Flugplatz in Southampton wachte es wieder auf und sah sich erschrocken um. Alexander Nicados hob es aus dem Wagen und führte es in einen Warteraum.

»Setz dich dort auf die Bank«, befahl er. »Ich komme gleich zurück.«

Er lief durch die Wartehalle, um den Leihwagen zurückzugeben. Dazu brauchte er nicht lange, aber die Zeit wurde ihm doch zur Ewigkeit. Er wünschte sich nur eins: so schnell wie möglich mit dem Kind auf die Insel Crulla zu kommen, auf seinen Besitz, wo ihm niemand mehr etwas anhaben konnte.

Als er den Warteraum wieder betrat, blieb er erschrocken stehen. Vor dem Kind standen zwei Konstabler und beugten sich zu ihm.

Für Sekunden war Alexander Nicados in Versuchung, zu fliehen, aber dann ging er mit schnellen Schritten durch den Warteraum.

»Nun sag schon, wie du heißt«, hörte er einen der Konstabler zu dem Kind sagen.

Es bewegte die Lippen und sah sich ängstlich um. Als es Alexander Nicados entdeckte, sagte es unsicher: »Stella.«

Alexander Nicados atmete auf. Er trat zu den Konstablern. In seiner weltgewandten, überzeugenden Art sagte er lächelnd: »Ich freue mich, dass Sie sich inzwischen meines Schützlings angenommen haben.« Er reichte dem Kind die Hand. »Komm, Stella, es ist höchste Zeit, dass wir zu unserem Flugzeug gehen. Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis du bei deiner Mami bist.«

Der eine der beiden Konstabler war noch nicht davon überzeugt, dass das Mädchen zu Alexander Nicados gehörte, und bat: »Kann ich Ihre Papiere sehen?«

»Aber bitte.« Alexander Nicados zog seinen Pass aus der Innentasche seiner Jacke. »Ich bin der griechische Reeder Alexander Nicados. Bitte, überzeugen Sie sich davon.« Er zog einen zweiten Pass hervor. »Wollen Sie den Kinderpass auch sehen? Das ist die kleine Stella Douglas. Ich bringe sie zu ihrer Mutter, sie ist zu Besuch in meinem Haus.«

»Nein, nein, danke«, sagte der Konstabler etwas verlegen. »Gute Reise, Mister Nicados.«

Das kleine Mädchen trippelte neben Alexander Nicados zur Zollbarriere. »Wie heiße ich? Stella Dou … Dou …«

»Douglas, Stella.«

»Aber mein Daddy heißt Fisher.«

Ungeduldig zerrte Alexander Nicados das Mädchen weiter. »Das wirst du vergessen, Stella. Du weißt, was dir passiert, wenn du mir nicht gehorchst.«

Eingeschüchtert senkte das Mädchen den Kopf und sah erst wieder auf, als es über die Gangway des Flugzeuges ging.

Noch ehe die Maschine startete, wurden in England Extrablätter herausgegeben. Sie wurden den Zeitungsverkäufern aus den Händen gerissen, denn sie brachten die Nachricht, dass zwei der entführten Mädchen gefunden worden waren.

Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand wissen, dass von dem dritten Mädchen nie mehr eine Spur zu finden sein würde. Alles war von Alexander Nicados und seinen Komplizen so gut eingefädelt worden, dass es immer ein Rätsel bleiben würde, warum die drei Mädchen entführt worden waren, ohne dass jemand Lösegeld für sie verlangt hatte, und warum nur zwei zu ihren Eltern zurückgekommen waren.

Ein halbes Jahr später würde eine kleine, kaum von jemandem beachtete Zeitungsnotiz melden, dass in Birmingham der einfache Arbeiter John Fisher tödlich verunglückt war. Aus eigener Schuld, weil er unachtsam eine verkehrsreiche Straße überquert hatte. So unachtsam und in Gedanken verloren, wie er seit dem Verschwinden seiner kleinen geliebten Peggy gewesen war.

***

Alexander Nicados’ Plan ging auf. Lady Olivia schloss das kleine Mädchen in ihr Herz, ohne zu ahnen, dass es ein fremdes Kind war.

Doch dann kam es immer häufiger zu Streitigkeiten zwischen Alexander und Olivia. Es half nichts, dass er sie mit Geschenken überschüttete und ihr ein Leben in der großen Gesellschaft bot. Gäste auf Crulla interessierten sie nicht, sie wollte nur mit ihrem Kind zusammen sein.

Als Alexander Olivia eines Tages bei der Flucht erwischte, ließ er Peggy betäuben und nach Rhodos hinüberbringen.

Erst am helllichten Tag wachte Peggy in den Bergen der Insel auf. Sie sah sich benommen um. Wahrscheinlich glaubte sie, zu träumen. Dann rieb sie sich die Augen.

Als sie sich an ihre neue Mami erinnerte, begann sie zu weinen. Wo war sie? Peggys Augen wurden immer ängstlicher, denn jetzt dachte sie auch an Alexander Nicados. Er war so böse zu ihr und ihrer Mami gewesen, vielleicht hatte er sie hierhergebracht. Sie musste genauso fest geschlafen haben wie damals, als sie mit Daisy und Jenny in dem alten Haus am Meer aufgewacht war.

Aber was sollte sie jetzt tun? Hier gab es kein Haus, niemand würde sie hören, wenn sie rief. Peggy stand auf und trat auf das Steingeröll. Schon beim ersten Schritt stolperte sie über das lange Nachthemd, das sie immer noch trug. Sie raffte es mit beiden Händen über den Knien zusammen.

Jetzt erst spürte sie, dass sie etwas um den Hals hängen hatte. Es war eine kleine Ledertasche. Peggy hatte sie noch nie gesehen. Sie öffnete die Tasche und nahm ein zusammengefaltetes Papier heraus. Sie wusste nichts damit anzufangen und steckte es wieder in die Tasche zurück.

Peggy war zu klein, um zu erkennen, dass man ihr eine Geburtsurkunde mitgegeben hatte. Jene auf den Namen Stella Douglas.

Peggy hatte jetzt nur den Wunsch, von dem spitzen Geröll wegzukommen, auf dem sie mit den bloßen Füßen so schlecht gehen konnte. Als sie einen dürftigen Grasfleck fand, setzte sie sich darauf. Die Sonne brannte bald auf diesen Platz, Peggy bekam immer größeren Durst. Er ließ sie die Angst vor dem Geröll vergessen.

Sie ging vorsichtig bergab, doch immer wieder rutschte sie aus oder stolperte. Bald hatte sie aufgeschlagene Knie und Beine, das rotblonde Haar klebte an ihrem Kopf, weil die Sonne jetzt um die Mittagszeit so unerträglich heiß wurde, dass Peggy der Schweiß ausbrach. Müde hockte sie sich in den Schatten eines größeren Felsen und schlief vor Erschöpfung ein.

Erst als sie fror, wachte sie wieder auf. Aber jetzt war es Nacht. Noch immer hatte sie Durst, und nun plagte sie auch noch der Hunger. Doch sie wagte es nicht, aufzustehen. Mit angezogenen Beinen hockte sie auf ihrem Platz, ein hilfloses, verstoßenes Kind, das immer wieder »Mami« rief und vor seiner eigenen Stimme erschrak.

Peggy fielen die Augen in dieser Nacht nicht zu, sie hatte bei Tage zu viel geschlafen, und sie fror. Als es hell wurde, sah sie sich so mutlos und verzweifelt um, als sei sie schon seit vielen Tagen so verlassen. Dann stand sie langsam auf und versuchte, ein paar Schritte zu gehen.

Die Zunge klebte ihr am Gaumen, ihr Hals war so trocken, dass sie immer öfter hustete, ihre Füße bluteten, und ihre Beine knickten immer wieder ein, bis sie nicht mehr weiterkonnte. Vor einem Abgrund sank sie zusammen. Sie hörte das Sprudeln von Wasser, aber so groß ihr Durst auch war, sie konnte nicht mehr aufstehen.

Sie lag die ganze Nacht auf diesem Platz, ohne zu wissen, dass neben ihr ein Abgrund war. Als es wieder hell wurde, blinzelte sie in die Sonne, aber sie hatte nicht mehr die Kraft, die Augen ganz zu öffnen.

Erst als Steine neben ihr in den Abgrund rollten, versuchte sie sich aufzurichten. Aber sie konnte sich nur auf die Hände stützen. Noch einmal erklang das Poltern der Steine neben ihr, dann schob sich eine weiße Wand vor ihre blinzelnden Augen. Jetzt strengte sie sich an, die Augen ganz zu öffnen. Vor ihr stand ein Schaf.

Sie streckte die Hand aus. »Komm her, Schaf, komm!« Sie konnte kaum sprechen, aber sie hatte den Wunsch, in das weiche Fell des Schafes zu greifen. Es war das erste Lebewesen, das sie hier oben sah.

Peggy erreichte das Tier nicht. Und jetzt polterten schon wieder Steine in den Abgrund. Sie setzte sich auf. Kamen noch andere Schafe?

Nein. Ein alter Mann kam über das Geröllfeld herunter. Er hatte robuste Stiefel an und ein weißes Hemd, das ihm fast bis zu den Knien reichte. Und es hatte sehr weite Ärmel. Das alles nahm Peggy in ihrem Dämmerzustand verwundert wahr.

Jetzt stieß der Mann einen erschrockenen Schrei aus. Er vergaß das Schaf, das er hatte zurückholen wollen und beugte sich über Peggy. Die schwarze bestickte Kappe, die er auf dem Kopf trug, fiel herunter, er fuhr sich durch das schneeweiße lange Haar. Die Furchen in seinem Gesicht schienen noch tiefer zu werden, als sich seine Lippen bewegten.

»Ein Kind? Ein Kind ganz allein hier oben?« Er sprach griechisch.

Peggy konnte ihn nicht verstehen. Sie sah ihn mit großen ängstlichen Augen an, als er immer wieder fragte: »Wer bist du, kleines Mädchen? Woher kommst du?«

»Ich habe Durst«, brachte Peggy nur hervor.