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Peter Longerich

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Beschreibung

»Wollt ihr den totalen Krieg?« Zum 80. Jahrestag von Goebbels' Sportpalast-Rede 1943

Sie gilt als perfides Musterbeispiel der Nazi-Propaganda: Mit seiner Sportpalast-Rede inszenierte sich Joseph Goebbels im Februar 1943 als Aufpeitscher einer kriegsbegeisterten deutschen »Volksgemeinschaft«. Für den Propagandaminister aber ging es um mehr – eine Machtprobe mit dem »Führer«. Peter Longerich zeichnet in seinem Buch die Vorgeschichte, die Bedeutung und die Nachwirkung der berüchtigten Rede nach – und zeigt, wie systematisch Goebbels den Weg in seinen »totalen Krieg« plante.

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Buch

Sie gilt als perfides Musterbeispiel der Nazipropaganda: Mit seiner Sportpalastrede inszenierte sich Joseph Goebbels im Februar 1943 als Aufpeitscher einer kriegsbegeisterten deutschen »Volksgemeinschaft«. Für den Propagandaminister aber ging es um mehr – eine Machtprobe mit dem »Führer«. Peter Longerich zeichnet in seinem Buch die Vorgeschichte, die Bedeutung und die Nachwirkung der berüchtigten Rede nach – und zeigt, wie systematisch Goebbels den Weg in seinen »totalen Krieg« plante.

Autor

Peter Longerich, geboren 1955, lehrte als Professor für moderne Geschichte am Royal Holloway College der Universität London und war Gründer des dortigen Holocaust Research Centre. Von 2013 bis 2018 war er an der Universität der Bundeswehr in München tätig. Er war einer der beiden Sprecher des ersten unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestags und Mitautor der Konzeption des Münchner NS-Dokumentationszentrums. Seine Bücher über die »Politik der Vernichtung« (1998) und ihre Resonanz in der deutschen Bevölkerung, »Davon haben wir nichts gewusst!« (2006), sind Standardwerke. Seine Biografien »Heinrich Himmler« (2008), »Goebbels« (2010) und »Hitler« (2015) fanden weltweit Beachtung. Zuletzt erschienen »Wannseekonferenz« (2016) sowie »Antisemitismus. Eine deutsche Geschichte« (2021).

PETER LONGERICH

DIE SPORTPALAST-REDE 1943

Goebbels und der »totale Krieg«

Siedler

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Copyright: © 2023 by Siedler Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Lektorat: Ludger Ikas

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-30570-3V002

www.siedler-verlag.de

Inhalt

Einleitung

1  Vorgeschichte: Von der Siegesstimmung im Sommer 1942 bis zur Winterkrise 1942/43

2  Goebbels’ Rede zum »totalen Krieg« – Text und Kommentar

3  Nach der Rede

Dank

Verzeichnis der benutzten Archive

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Rede, die der Propagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast hielt, gilt im Allgemeinen als eine der abschreckendsten, aber auch wirkungsvollsten rhetorischen Leistungen des 20. Jahrhunderts, als ein besonders perfides Beispiel für die Propaganda der Nationalsozialisten. Es handle sich um ein »rhetorisches Meisterstück«, einen gelungenen »Coup«, der »totale Krieg« habe die Existenz des Dritten Reiches um viele Monate verlängert, hieß es etwa 2013 in einer für die Einschätzung des Propagandamachwerks typischen Kommentierung in der Zeitung Die Welt, und Rafael Seligmann nannte die Rede die »wohl eindrucksvollste Polit-Suggestions-Show der Weltgeschichte«, nach der ein »psychologischer Ruck durch Deutschland ging, der beachtliche materielle und politische Folgen zeitigte«.[1] Immer wieder verwenden Dokumentarfilme über das »Dritte Reich« die historischen Wochenschau-Aufnahmen mit der berühmt-berüchtigten Frage nach dem »totalen Krieg« und der darauffolgenden ohrenbetäubenden Zustimmung eines besinnungslos scheinenden Publikums. Nicht wenige Schulbücher drucken die zehn Fragen, in denen die Rede gipfelte, im Wortlaut ab und fordern dazu auf, die Inhalte und rednerischen Mittel der Passage zu analysieren.[2]

Vor allem drei Gesichtspunkte dürften mit dafür verantwortlich sein, dass die Veranstaltung im Sportpalast auch nach achtzig Jahren so stark im kollektiven Gedächtnis präsent ist.

Erstens gilt sie als Paradebeispiel für nationalsozialistische Propaganda: eine perfekt und an einem symbolträchtigen Ort inszenierte Massenveranstaltung, die mit größtem medialem Aufwand in Presse, Rundfunk und Wochenschau in alle Welt verbreitet wurde.

Zweitens wird die Rede gerne als perfides Meisterwerk des Nazi-Chefpropagandisten Joseph Goebbels herangezogen, das seine Arbeitsweise in besonders drastischer Weise charakterisiert: Gerade an diesem Beispiel lässt sich demnach aufzeigen, wie der hochintelligente, eiskalte und grenzenlos fanatische Demagoge mit geradezu diabolischer Fähigkeit alle Register seines Könnens zog. Die Rede erscheint so als die extreme Ausformung der schon fast sprichwörtlichen »Goebbels-Propaganda«, immer noch ein Synonym für ein dreist ersonnenes und brandgefährliches Lügengewebe: Der Vorwurf, die Wahrheit »wie Goebbels« zu verdrehen, ist bis auf den heutigen Tag, nicht nur in Deutschland, ein schwerwiegender Vorwurf, sozusagen die ultimative Waffe im Arsenal politischer Polemiken.

Drittens gilt die Rede weithin als Musterbeispiel für »Massensuggestion«, für die nahezu grenzenlose Manipulier- und Verführbarkeit eines verblendeten und dem Trommelfeuer der Propaganda hilflos ausgelieferten Publikums. Eine tosende Menge fordert den »totalen« Krieg, will ihn »noch totaler« und folgt willig dem Redner, der »das Totalste« für »heute eben total genug« erklärt; die fanatisierte Masse scheint bereit zu sein, sich wie die sagenhaften Lemminge über die Klippen zu stürzen. In diesem Sinne geht von der Veranstaltung des 18. Februar 1943 bis heute eine eigenartige Faszination aus, scheint sie doch insbesondere die These zu bestätigen, dass die damalige deutsche Bevölkerung der Manipulation durch den Propagandaapparat beinahe willenlos ausgeliefert war – als »Verführungstheorie« eine vermeintlich plausible Erklärung dafür, warum die Deutschen das Regime ungeachtet all seiner Untaten und Verbrechen unterstützten. Die Veranstaltung scheint somit ein herausragendes historisches Beispiel für die Ansicht zu liefern, dass wer in der modernen Welt totale Medienkontrolle besitzt, auch die Köpfe der großen Mehrheit beliebig steuern kann.

Mit der Formel vom »totalen Krieg«, die so sehr im Mittelpunkt der Sportpalastkundgebung stand, griff Goebbels einen Begriff auf, der in Deutschland in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts als Schlüssel für einen künftigen Kriegserfolg galt. Propagiert worden war der Begriff vor allem durch die seinerzeit stark beachtete gleichnamige Schrift des ehemaligen Weltkriegs-Generalquartiermeisters Erich Ludendorff aus dem Jahre 1935. Sie zog zahlreiche weitere Publikationen nach sich und machte die Formulierung zu einem weitverbreiteten Schlagwort.[3] Ludendorff führte vor allem zwei Gedankengänge zusammen: Zum einen waren bereits in den Zwanzigerjahren zahlreiche Autoren in ihrer Auswertung der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges zu der Schlussfolgerung gekommen, ein »Zukunftskrieg« ließe sich nur mit der konsequenten Unterordnung aller Lebensbereiche unter die Kriegserfordernisse erfolgreich führen. Dies hieß insbesondere die Umstellung der gesamten Produktion auf eine effektive Kriegswirtschaft, die vollkommene Steuerung des Arbeitskräfteeinsatzes, die Führung eines Propagandakrieges nach innen und nach außen sowie die Herstellung einer absolut geschlossenen »Heimatfront«. Diese Ziele wären idealerweise durch eine radikale Umgestaltung von Staat und Gesellschaft im Sinne einer »Wehrgemeinschaft« und eine entsprechende intensive Erziehungsarbeit bereits zu Friedenszeiten zu erreichen.[4]

Ludendorff selbst, der diese Überlegungen aufgriff, vertrat nun zum anderen die Ansicht, die »Versorgungsfrage von Volk und Wehrmacht« werde sich sicher durch »mechanisch-organisatorische Maßnahmen […] lösen lassen«.[5] Jedoch sei das eigentliche Hauptproblem des totalen Krieges die Herstellung der »seelische[n] Geschlossenheit« des Volkes, selbstverständlich auf der Grundlage des gemeinsamen »Rasseerbguts«, sowie die Errichtung einer starken innenpolitischen Führung durch einen »Feldherrn«, der bereits in Friedenszeiten die Politik in den Dienst der Kriegführung nehmen sollte.[6] Damit erhielt die durch Ludendorff geprägte Parole vom »totalen Krieg« eine stark irrationale, in der Tradition des völkischen Denkens stehende Dimension: Mit ihr verband sich eine aus der Tiefe des Volkes kommende gigantische Kraftanstrengung, ein nationales Aufbäumen im vollen Vertrauen auf die außeralltäglichen Fähigkeiten eines vom Schicksal bestimmten Führers.

Die wesentlichen Elemente dieses derart aufgeladenen Begriffs finden sich in Goebbels’ Rede wieder: Neben den konkreten organisatorischen Maßnahmen zur vollständigen Indienstnahme von Wirtschaft und Gesellschaft für den künftigen Krieg sind dies vor allem der Appell an Einigkeit und Geschlossenheit des Volkes und die Beschwörung der unbedingten Treue zum »Führer«, vermischt, wie schon bei Ludendorff, mit einer hasserfüllten Polemik gegen die angeblichen Feinde der Einheit von Volk und Führung: die Juden. Goebbels griff bei seiner Rede also nicht auf ein ausgearbeitetes Konzept zurück, sondern auf einen weitverbreiteten, aber ebenso schillernden wie vielschichtigen Begriff, der sowohl eine organisatorisch-technische als auch eine völkisch-irrationale Dimension beinhaltete.

Nimmt man alles zusammen, so besitzen die Veranstaltung, ihr Urheber, die ihr unterstellte außergewöhnliche Wirkung sowie der dort propagierte Schlüsselbegriff also durchaus ein beträchtliches Potenzial zur Mythenbildung. Im Gegensatz dazu hat die historische Forschung[7] die Hintergründe und Umstände dieser Veranstaltung schon seit einiger Zeit entmythologisiert und in den Kontext eines internen Machtkampfes innerhalb des NS-Systems gestellt, eines Systems, das sich im Februar 1943 in seiner bisher größten Krise befand. Eben darum soll es auch in diesem Buch in erster Linie gehen: Um die politische Vorgeschichte und die Auswirkungen der Veranstaltung. Sie sollen in jeweils einem Kapitel in pointierter Form dargestellt werden. Diese beiden Kapitel umrahmen dabei ein weiteres, das den eigentlichen Text der Rede enthält und ihn mithilfe eines detaillierten Kommentars erschließt.

1  Vorgeschichte: Von der Siegesstimmung im Sommer 1942 bis zur Winterkrise 1942/43

Goebbels’ Sportpalastkundgebung vom 18. Februar 1943 bildete den Höhepunkt einer Kampagne für den »totalen Krieg«, die ganz maßgeblich durch den Propagandaminister initiiert und orchestriert wurde. Sie ist untrennbar mit seiner Person verbunden, und in ihr spiegeln sich wichtige Charaktereigenschaften und Eigenheiten des Ministers wider.[1]

1943 war Goebbels fast schon zwei Jahrzehnte ganz überwiegend als Propagandist tätig: Seit 1924 arbeitete er journalistisch und als Redner für die (noch verbotene) NSDAP, seit 1926 überzog er als Berliner Gauleiter die Reichshauptstadt mit einer Dauerkampagne aus lautstarker Agitation und hemmungsloser Gewalt. Daneben wurde er 1931 Reichspropagandaleiter der NSDAP und organisierte die folgenden Wahlkämpfe seiner Partei; im April 1933 wurde er schließlich Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda.

Die wohl wichtigste persönliche Voraussetzung, die Goebbels für die Tätigkeit als berufsmäßiger Propagandist mitbrachte, war sein – in seiner zutiefst narzisstischen Persönlichkeit wurzelndes – enormes Bedürfnis nach öffentlicher Anerkennung, eine im Grunde nicht stillbare Sucht nach Bewunderung seines Genies durch seine Mitmenschen. Anhand seiner Tagebücher lässt sich nachvollziehen, dass er seine unentwegte Propagandaarbeit als eine einzigartige Aneinanderreihung persönlicher Erfolge und Glücksmomente erlebte. Dies gilt insbesondere für seine Rednerauftritte: So fehlt etwa bei den Schilderungen seiner zahlreichen Sportpalastveranstaltungen fast nie der Hinweis, dass die zehntausend Plätze umfassende Arena »überfüllt«, »wie immer überfüllt« oder auch »wieder einmal überfüllt wie nie« war[2] – eine für ihn typische Formulierung, mit der er das singuläre Ereignis zum Dauerzustand erhob. Fast immer nahm er die Reaktion des Publikums als vollkommen enthusiastisch wahr und hielt sie begeistert in seinem Tagebuch fest: Wieder einmal »stürmischer Beifall«, »tosende Beifallsstürme«, das Publikum »rast«, es herrschte »rasante Stimmung«, »Bombenstimmung« oder ganz einfach »Echteste (sic) Sportpalaststimmung«.[3] Er selbst, so hielt er stets fest, war wie immer, wenn er redete, »in Bestform«, »in einer herrlichen Form«, »prima in Form« und so weiter. Gerne sonnte er sich im Anschluss an seine Auftritte bei Einladungen im kleinen Kreis im Lichte seines gerade vollbrachten Triumphes, und regelmäßig finden sich im Tagebuch des Propagandaministers ein oder zwei Tage nach seinen Auftritten Einträge, in denen er sich geradezu kindlich an dem gewaltigen positiven Echo der Medien erfreute, das doch sein eigenes Ministerium bis ins Detail hinein organisiert und angeordnet hatte.

Sein blühender Narzissmus und die Begeisterungsfähigkeit über den eigenen Erfolg bildeten also nicht nur einen wichtigen Antrieb für Goebbels’ rastlose Tätigkeit als Propagandist, sondern hatten auch zur Folge, dass er die Qualität und Wirkung seiner eigenen Tätigkeit maßlos überschätzte. Goebbels war nur unzureichend in der Lage, die Selbstwahrnehmung von der Einschätzung der eigenen Person durch andere zu unterscheiden; beides verschwamm ineinander, und sein Wunsch, wieder einmal großartig gewesen zu sein, war so übermächtig, dass er euphorisch das rauschhafte Erlebnis des eigenen Erfolgs auf das Urteil anderer über die eigene Leistung übertrug. So entsteht Größenwahn.

Wie bei vielen Narzissten war die Sucht nach Anerkennung bei Goebbels mit der Abhängigkeit von einer engen Bezugsperson verbunden, die ihm durch beständiges Lob und Bewunderung das Gefühl persönlicher Stabilität vermittelte. Goebbels hatte diese Person – nach schon verzweifeltem Suchen – bereits 1924/25 in der Person Hitlers gefunden, der Goebbels’ persönliche Schwäche rasch erkannte und sie konsequent ausnutzte, ihn also mit der für ihn existenziell notwendigen Zufuhr an Wertschätzung und Zuspruch versorgte. Entzog ihm der »Führer« aber auch nur kurzfristig seine Zuneigung, hatte dies bei Goebbels sofort Selbstzweifel und Depression zur Folge.

In seinem tiefen Abhängigkeitsverhältnis zu Hitler wurden »Führerpropaganda« und »Führerkult« für Goebbels nicht nur Propagandastrategien, sondern erweiterten seine persönliche Anhimmelung des Idols ins Gigantische. Die Vorstellung, dass er dazu ausersehen war, das gesamte deutsche Volk geschlossen hinter dem vom Schicksal zur Rettung des Vaterlands bestimmten Adolf Hitler zu vereinen, war der eigentliche Ansporn für seine rastlose Tätigkeit.

Aus Goebbels’ Sucht nach öffentlicher Anerkennung und seiner Abhängigkeit von Hitler ergibt sich ein weiterer wichtiger Faktor: sein machtpolitischer Ehrgeiz, seine Stellung als Hitlers Chefpropagandist zu erweitern und der engste Vertraute und politische Mitarbeiter Hitlers, ja der eigentliche Exekutor des Führerwillens zu werden.

Schon als Berliner Gauleiter der »Kampfzeit« – so die heroisierende Bezeichnung der Nationalsozialisten für ihren Aufstieg in der Weimarer Republik – hatte Goebbels jedoch einsehen müssen, dass er nicht zu der kleinen Führungsgruppe gehörte, die Hitler bei seinen Berliner Sondierungen auf dem Weg zur »Machtergreifung« begleitete und in sein engstes Vertrauen gezogen wurde; an den Verhandlungen zur Bildung der Regierung Hitler-Papen im Januar 1933 war er nicht beteiligt. Auch nach der »Machtergreifung« war er über die Entschlussbildung Hitlers in wichtigen politischen Fragen nur unzureichend informiert. So ließ Hitler im Juni 1934, als er die SA-Führung um Röhm ausschaltete, Goebbels, der an einen Schlag gegen die »Reaktion« glaubte, bis zum letzten Augenblick über seine wahren Absichten im Dunkeln. Auch weihte er ihn in diesen Jahren in der Regel nicht in die Einzelheiten seiner außenpolitischen Überlegungen ein, sondern informierte ihn meist erst dann über seine nächsten Schritte, wenn die Propagandalage es erforderte.

1938/39 musste Goebbels eine schwere Trübung seines Verhältnisses zu Hitler und eine Einbuße seiner Stellung innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftssystems hinnehmen. Schuld daran war nicht nur seine öffentlich gewordene Affäre zu der Schauspielerin Lída Baarová, zu deren Beendigung Hitler ihn ebenso zwang wie zur Aufrechterhaltung seiner zerrütteten Ehe. Noch wichtiger für die Krise im Verhältnis Goebbels-Hitler war die mangelnde Bereitschaft des Propagandaministers, auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise im Herbst 1938 die deutsche Bevölkerung auf den von Hitler gewollten Krieg auszurichten. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des Novemberpogroms, bei dessen Auslösung Hitler Goebbels die zentrale Rolle zugedacht hatte, schwenkte dieser dann zwar auf Hitlers aggressiveren Kurs ein und stellte die gesamte Propaganda auf Kriegsvorbereitung um. Dennoch musste er erleben, dass im Konkurrenzkampf um die Gunst des »Führers« andere Exponenten des Regimes, wie Joachim von Ribbentrop oder Heinrich Himmler, an ihm vorbeizogen und er an den eigentlichen zentralen Entscheidungsprozessen weiterhin nur am Rande beteiligt war. Dies galt insbesondere für Hitlers außenpolitische Schachzüge im Jahre 1940 sowie für die Vorbereitungen der diversen »Feldzüge«. So war Goebbels über den Überfall auf die Sowjetunion, den Hitler seit Sommer 1940 plante, erst ab März 1941 informiert, als der Aufmarsch bereits begonnen hatte.

Solange das Dritte Reich erfolgreich Kriege führte und nur Siegesmeldungen zu verkünden waren, stellten sich für Goebbels als Propagandaminister zudem kaum größere Herausforderungen. Seine Stunde kam erst, als das Regime im Herbst 1941 als Folge des stockenden Vormarsches in Russland in eine schwere Krise geriet: Nun sah er es als seine zentrale Aufgabe an, die schwankende Stimmung aufzufangen und die Bevölkerung auf einen längeren und entbehrungsreichen Krieg einzustellen, also mehr »Härte« und »Haltung« einzufordern.[4] Insbesondere ging er daran, jedwede Debatte über die Kriegsdauer zu unterbinden: Nicht die Frage, wie lang der Krieg noch dauere, so belehrte er die deutsche Bevölkerung, sei entscheidend, sondern wie er enden werde.[5] Auf dem Höhepunkt der Winterkrise, als die Truppe im Osten endgültig und ohne Winterausrüstung stecken blieb, unternahm er große Anstrengungen, um im Zuge einer »Wollsachensammlung« der Bevölkerung den Ernst der Lage vor Augen zu führen – und sie gleichzeitig mit dem Einsammeln von Socken und Pullovern zu beschäftigen, um der depressiven Stimmung entgegenzuwirken: »Je mehr die Heimat zu tun hat, desto besser wird die Stimmung sein.« Das Volk, so behauptete er, sei »glücklich, Opfer bringen und sich am unmittelbaren Kriegsgeschehen beteiligen zu können«.[6]

Die Lage im Sommer 1942

Tatsächlich sollte sich die militärische Lage im Laufe des Frühjahrs 1942 wieder entspannen und sich im Juni mit der Eroberung Tobruks und dem deutsch-italienischen Vormarsch Richtung libysch-ägyptische Grenze sowie Ende des Monats mit dem Beginn der deutschen Sommeroffensive im Osten sogar außerordentlich positiv entwickeln. Der Preis war allerdings eine Schwächung der Luftabwehr im Westen, welche die britische Luftwaffe zu Großangriffen auf deutsche Städte ausnutzte: Im März wurde Lübeck schwer in Mitleidenschaft gezogen, im April dann Rostock und im Mai Köln, gefolgt von Essen und Bremen im Juni, Duisburg im Juli und Düsseldorf Anfang August.[7] Goebbels befürchtete, dass weitere Luftangriffe, militärische Rückschläge an den Landfronten oder auch die sich im Sommer ungünstig entwickelnde Ernährungssituation einen plötzlichen Zusammenbruch der inzwischen relativ entspannten bis positiven Stimmung zur Folge haben könnten. Er wandte sich daher im Juli und August sowohl in seinen Tagebüchern wie auch in seinen Propagandaanweisungen gegen einen zu großen Überoptimismus.[8]

Doch mit dieser vorsichtigen Haltung geriet er in Gegensatz zu Hitler, der die finale Entscheidung in diesem Krieg bereits greifbar nahe sah. Am 19. August besuchte Goebbels das Führerhauptquartier in Winniza, wo ihm ein äußerst optimistischer Hitler seine weiteren Pläne erläuterte: Er wolle in zwei bis drei Tagen den Großangriff auf Stalingrad starten; die Stadt an der Wolga habe er, wie Goebbels festhielt, »besonders auf Nummer genommen«, und er beabsichtige, sie »restlos zu zertrümmern«, und zwar aus »psychologischen, aber auch aus militärischen Gründen«. Für die Eroberung der Stadt rechnete er mit einem Zeitraum von acht Tagen.[9]

Mit dem südlichen Flügel der Offensive wolle er sodann spätestens bis zum Herbst die Ölfelder von Baku einnehmen. Aber nicht nur das: Hitler verfolgte den, wie Goebbels es nannte, »gigantischen Plan«, in den »Nahen Osten vorzubrechen, Kleinasien in unseren Besitz zu bringen, Irak, Iran, Palästina zu überrumpeln und damit England nach dem Verlust der ostasiatischen Quellen die letzten Ölreserven abzuschneiden«. Nehme man noch die bis dahin den »Bolschewisten« abgerungenen, für ihre Versorgung lebenswichtigen Gebiete hinzu, dann »drücken wir damit unmittelbar auf den Adamsapfel des Feindes«. 

In Nordafrika würden Rommels Truppen »über kurz oder lang durch die El-Alamein-Stellung durchbrechen und bis Kairo vorstoßen« – auch wenn Rommels erster Durchbruchversuch im Juli ebendort gescheitert war. Diesen wahrhaft »gigantischen Plan«, den gesamten Nahen Osten von Westen und von Norden in die Zange zu nehmen, so kommentierte Goebbels in seinem langen Tagebucheintrag über das Treffen in einem Anflug von Skepsis, möge man ja »im Augenblick für Zukunftsmusik halten«, doch er zeigte sich gleichzeitig beeindruckt von Hitlers Entschlusskraft; der hielt es immerhin für möglich, dass »unter diesen Schlägen die feindliche Kriegführung zusammenbrechen« werde.

Angesichts dieser Einschätzung der Lage sprach sich Hitler auch gegenüber Goebbels dagegen aus, eine »nennenswerte Propaganda in Deutschland gegen den zunehmenden Optimismus« zu unternehmen, denn das »gleiche sich von selbst wieder aus«. Hitler hatte damit den Punkt angesprochen, der Goebbels seit einigen Wochen so außerordentlich beunruhigte. Noch am Vortag hatte dieser sich – zum wiederholten Mal innerhalb kurzer Zeit[10] – in einer längeren Tagebucheintragung gegen den »von Tag zu Tag geradezu grotesk anwachsende[n] Überoptimismus im deutschen Volke über die Frontlage« gewandt und – wie schon am Tag zuvor[11] – eine entsprechende Anweisung an Presse und Rundfunk erlassen. »Eine schwere seelische Erschütterung würde am Ende des kommenden Herbstes die Folge sein, wenn es uns nicht gelänge, das Volk rechtzeitig mit dem wahren Ernst des Krieges und seiner vermutlichen Dauer vertraut zu machen.«[12]

In diesem Punkt bestanden also zwischen dem Diktator und seinem Propagandaminister erhebliche Auffassungsunterschiede; sie sollten in den kommenden Wochen offen aufbrechen. Aber vorerst wurde das Thema vertagt: Am Abend des 19. August sprach man dann noch, wie dies bei Besuchen Goebbels’ im Führerhauptquartier mittlerweile zum Ritual geworden war, über Kultur, Persönliches sowie dies und das, bevor Goebbels sich zurückzog: »Dann ist der schöne Tag zu Ende. Ich fühle mich erfrischt wie nach einem Bade.«

Einige Tage später, am 23. August, begann, wie von Hitler angekündigt, die eigentliche Schlacht um Stalingrad. Gegen immer zäheren Widerstand der Roten Armee kämpften sich die deutschen Truppen bis an den Stadtrand vor.[13]

Mitte September war Goebbels zu der Einsicht gekommen, dass »von der Eroberung Stalingrads zum großen Teil das Schicksal unseres diesjährigen Sommer- und Herbstfeldzuges« abhänge.[14] Vorsorglich gab er auf seiner täglichen Ministerkonferenz am 15. September bereits detaillierte Anweisungen für die Bekanntgabe der Eroberung der Stadt im Rundfunk.

Der mit Goebbels um die aktuelle »Ausrichtung« der Medien heftig konkurrierende »Reichspressechef« Otto Dietrich ging jedoch noch einen Schritt weiter und gab am gleichen Tag eine »Tagesparole« heraus, in der er die deutsche Presse darauf vorbereitete, die unmittelbar bevorstehende »siegreiche Entscheidung dieses so großen Kampfes um die Stadt Stalingrad in wirkungsvollster Form […] zu würdigen«. Goebbels opponierte allerdings gegen Hitlers in die gleiche Richtung weisende Absicht, jetzt schon eine Sondermeldung herauszugeben, und so wurde die Presse am nächsten Tag darüber informiert, dass bis zum »Fall von Stalingrad« erst »einige noch laufende Teiloperationen abgeschlossen« werden müssten.[15]

Die Affäre weckte bei Goebbels Erinnerungen an den Herbst des Vorjahres, als Dietrich, offenbar angeregt durch die allzu optimistische Atmosphäre im Führerhauptquartier, über die Medien verfrüht den kurz bevorstehenden militärischen Sieg über die Sowjetunion verkündete und damit zunächst in der Bevölkerung Euphorie, dann aber – als der schnelle Sieg nicht eintrat – tiefe Enttäuschung auslöste. Goebbels, der damals versucht hatte, durch propagandistische Maßnahmen diese Fehlleistung Dietrichs zu reparieren, war seitdem sehr darauf bedacht, solche gefährlichen Stimmungsschwankungen zu vermeiden.[16]

Ende September 1942 nannte er Dietrichs Nachrichtenpolitik auf der Ministerkonferenz »unbegreiflich und töricht«.[17] Mit dem Reichspressechef selbst redete er »Fraktur«; Dietrich gab sich, so Goebbels’ Eindruck, kleinlaut, weil ihm wohl »die Schwäche seiner Position und auch die Verfehltheit seiner Nachrichtenpolitik, die jetzt wieder zu so peinlichen Schwierigkeiten und Verwicklungen geführt hat«, bewusst sei.[18]

»Übertriebener Optimismus« im Herbst 1942

Hitler äußerte sich am 30. September anlässlich einer Rede zur Eröffnung des Winterhilfswerks in Berlin zu den weiteren Kriegsaussichten; es war sein erster öffentlicher und im Rundfunk übertragener Auftritt nach über fünf Monaten. In seiner Rede kündigte er den Fall Stalingrads an. Indem er sich dabei über die künftige »Organisation dieses gigantischen Riesenraumes« ausließ, setzte er zwar den endgültigen Sieg über die Sowjetunion voraus, ohne sich jedoch zu der Frage zu äußern, wie lange der Krieg noch dauern könne.[19]

Siegesgewiss gab Hitler sich auch am nächsten Tag bei einer Zusammenkunft der Gau- und Reichsleiter. Goebbels notierte, es gebe »für ihn und für uns nur totalen Sieg oder totale Vernichtung. Allerdings wolle er keinen Zweifel darüber lassen, daß der totale Sieg uns so gut wie sicher sei.« In diesem Jahr werde, so Hitler weiter, »im großen und ganzen« sein ursprünglicher »operativer und strategischer Plan militärisch durchgeführt«, was im Vorjahr an der Unfähigkeit des damaligen, im Dezember 1941 entlassenen Oberbefehlshabers des Heeres, von Brauchitsch, gescheitert sei. Sein Plan laufe »darauf hinaus, den Sowjets ihre wirtschaftlichen Voraussetzungen zu zerstören und sie damit endgültig zu vernichten und zu schlagen«. Anschließend habe er dann vor, am Kaspischen Meer entlang »auf Mesopotamien vorzustoßen, um seine Visitenkarte bei der englischen Ölversorgung abzugeben«.[20]

Sorgen machte Goebbels im Oktober weiterhin ein »übertriebener Optimismus, um nicht zu sagen Illusionismus, der nach Reden Görings und anderer prominenter Politiker wieder ausgebrochen sei.[21] Goebbels ging auf Gegenkurs und verordnete der Propaganda, »die Lage mit einem nüchternen Realismus zu schildern, damit das deutsche Volk nicht über kurz oder lang aus dem siebenten Himmel auf die harte Erde zurückfällt«.[22] Im Gegensatz zu Hitlers weit gesteckten Plänen begann Goebbels nun, die Bevölkerung auf die höchst realen Aspekte des Krieges einzustellen.

Am 12. Oktober bezog er in seinem Tagebuch den Standpunkt, »daß wir bald damit beginnen müssen, uns für die kommenden Herbst- und Wintermonate ein Programm zurechtzulegen«. An der Ostfront werde man demnächst gezwungen sein, statt weiter in die Offensive zu gehen, sich auf eine feste Linie zurückzuziehen, was die Propaganda im zweiten Kriegswinter im Osten vor besondere Herausforderungen stelle. Die Antwort auf diese Situation müsse lauten, »daß wir mehr und mehr auf eine totale und radikale Kriegführung, und zwar nach innen wie nach außen, hinsteuern. Ich hoffe, daß die Stimmung für eine solche Linie im Herbst und im Winter günstiger sein wird, als sie im Sommer gewesen ist. Dann werde ich wieder erneut auf den Plan treten. Wahrscheinlich wird es mir im Verlaufe der nächsten Monate gelingen, eine ganze Reihe von Maßnahmen durchzusetzen, die ich bisher noch nicht durchsetzen konnte […]. Wir sprechen zwar von einer totalen Kriegführung, wir führen sie aber praktisch nicht durch. Aber was nicht ist, das wird und muß bald werden.«

Mitte Oktober und Anfang November veröffentlichte Goebbels im Rahmen seiner ständigen Kolumne in der Wochenzeitung Das Reich zwei Artikel, mit denen er eine, wie er selbst einschätzte, »realistische«[23] Position in der Kriegspropaganda einnahm. Unter der Überschrift »Der Segen der Erde« äußerte er sich zunächst ausgesprochen pragmatisch zu den Kriegszielen im Osten: »Diesmal geht es nicht um Thron und Altar, sondern um Getreide und Öl, um Raum für unsere wachsende Volkszahl, die in der bisherigen Enge nicht leben und nicht ernährt werden kann.« Zwei Wochen später behauptete er unter der Überschrift »Der Krieg als soziale Revolution«: »Für uns geht es in diesem Krieg wesentlich darum, uns die Voraussetzungen zur Vollendung der sozialen Revolution unseres Volkes zu erkämpfen«, während der Deutschland von der »Plutokratie« aufgezwungene Krieg »eine Kampfansage gegen unsere Revolution« sei, »und zwar in der Hauptsache gegen ihre sozialistische Seite«.[24]

Die Krise zieht herauf

Mittlerweile schwanden die Aussichten, bis zum Ende des Jahres noch kriegsentscheidende Erfolge gegen die Sowjetunion zu erzielen. Die allgemeine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Stadt, die den Namen des sowjetischen Diktators trug. Zwar hatte die Wehrmacht bis Ende Oktober fast die gesamte, völlig zerstörte Stadt besetzt, doch es gelang ihr nicht, auch noch den schmalen Streifen westlich der Wolga, den die Rote Armee immer noch hielt, in ihren Besitz zu bringen; die Angriffskraft der in Stalingrad eingesetzten 6. Armee war verbraucht.[25]

Goebbels gab sich im letzten Drittel des Monats in seinen Tagebüchern einerseits besorgt über die zunehmend kritischer werdende Lage in Stalingrad, andererseits hielt er aber auch mit einer gewissen Befriedigung fest, dass »das Volk endgültig mit den Illusionen bezüglich des Ostfeldzugs Schluß gemacht« habe. Für bemerkenswert erachtete er es, dass man mittlerweile anstelle der Parole »Wir werden siegen!« häufiger den Satz: »Wir müssen siegen!« höre: »Man ist sich allgemein darüber klar, daß dieser Krieg unsere letzte Chance ist und daß wir ihn gar nicht verlieren dürfen.«[26]

Zusätzlich verdüsterte sich die Lage aber nun durch die prekäre Entwicklung auf dem nordafrikanischen Kriegsschauplatz. Rommel, dem Anfang September der Durchbruch durch die feindlichen Linien bei Alam Halfa nicht gelungen war, erlitt schließlich in der zweiten Schlacht bei El-Alamein (Ende Oktober/Anfang November) eine empfindliche Niederlage und wurde zum raschen Rückzug nach Westen gezwungen.[27]

Goebbels reagierte mit einem weiteren Leitartikel für die Wochenzeitung Das Reich, in dem er einen Vergleich mit der Situation unmittelbar vor der »Machtergreifung« zog – ein Thema, das er in den kommenden Monaten immer wieder strapazieren und das sich auch in der Sportpalastrede vom 18. Februar wiederfinden sollte. Ende 1932 habe der Nationalsozialismus, so wie heute, ganz auf sich allein gestellt gegen eine »seltene Kumpanei« kämpfen müssen, gegen eine widernatürliche Koalition aus bürgerlichen und kommunistischen Kräften, und so wie damals werde man sich letztlich auch heute durchsetzen.[28]

Darüber hinaus empfahl er der Feindseite, diese solle »in Zukunft weniger von unserer Stimmung und mehr von unserer Haltung« sprechen. »Stimmung ist meistens eine Augenblickssache; Haltung aber eine Sache von Dauer.« Mit dieser Unterscheidung leitete Goebbels eine wichtige Wende in der Ausrichtung der »öffentlichen Meinung« durch das NS-Regime ein: Ihm ging es darum, die nationalsozialistische Politik unabhängig zu machen von Stimmungsschwankungen, wie sie etwa der Sicherheitsdienst der SS oder seine eigenen Propagandaämter in ihrer regelmäßigen Berichterstattung vermeldeten.

Bis dahin war die »Stimmung« der Bevölkerung stets ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung der Erfolge nationalsozialistischer Politik gewesen – und Goebbels hatte in erster Linie für das Hochhalten der Stimmung Verantwortung getragen. »Gute Stimmung« kam darin zum Ausdruck, dass die große Mehrheit der Bevölkerung durch ihr Verhalten in der Öffentlichkeit ihre Zustimmung zur Politik des Regimes signalisierte, also eifrig nationalsozialistische Veranstaltungen besuchte, bei Sammlungen fleißig spendete, den Hitlergruß zeigte, die Hakenkreuzfahne zum Fenster heraushängte, sich in Aufmärsche einreihte oder am Straßenrand jubelnd Spalier bildete, begeistert auf öffentlichen Plätzen den Lautsprecherübertragungen von Propagandaveranstaltungen lauschte und so weiter. Die Propagandamedien taten ihr Übriges, um dieses Bild größtmöglicher Geschlossenheit des Volkes zu reproduzieren. Da das Regime über ein Medienmonopol verfügte und mithilfe des umfangreichen Parteiapparates ein engmaschiges Kontrollsystem errichtet hatte, war das öffentliche Verhalten der Bevölkerung in hohem Maße steuerbar.

»Gute Stimmung« ließ sich also in einem erheblichen Umfang herstellen, notfalls auch, indem man »Meckerer« und Quertreiber anrempelte oder mit noch härteren Maßnahmen gegen sie vorging. Dies war aber alles sehr aufwendig und im Kriegsalltag kaum durchzuhalten: Vor allem fielen mit fortschreitendem Krieg die Großveranstaltungen weitgehend aus, die zuvor alle paar Wochen Gelegenheit gegeben hatten, die grenzenlose Loyalität und die übergroße Begeisterung der Bevölkerung zu dokumentieren, ob Reichsparteitage, Maifeiern, Erntedankfeste, Einweihungen, Militärparaden, feierliche Einzüge oder Großaufmärsche. Negative Reaktionen auf die Politik des Regimes konnten folglich nicht mehr so einfach mit Propagandarummel überdeckt werden, während – wie wir bei Goebbels gesehen haben – eine zu optimistische Stimmung zu Kriegszeiten geradezu frivol erschien und unerwünschte Erwartungen wecken konnte. Es genügte also aus der Sicht Goebbels’ durchaus, wenn die Bevölkerung dem Ernst des Krieges entsprechend ihren alltäglichen Verpflich