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»Meine Eltern würden mit dem Leben dafür bezahlen müssen, dass ich eine Versagerin war.« Eine kleine Wölfin in einer feindlichen Welt … Havnheim ist ein sicherer Zufluchtsort für alle Mischlinge, die vor den Elfen flüchten müssen. Es ist die einzige Welt, die Linn kennt. Doch sie setzt alles daran, ihr Zuhause verlassen zu dürfen. Linns Eltern sind seit einem Einsatz in der Menschenwelt verschollen. Aber anders als Alannah und Sam, beide berühmt-berüchtigte Tierkrieger mit magischen Fähigkeiten, ist ihre Tochter keine Kämpferin, und ihre Tiergestalt jagt niemandem Angst ein. Ohne die Hilfe von Big T, Sohn des Troll-Herrschers, wäre Linn in der Welt der Menschen aufgeschmissen. Alles ist fremd und sie ist geschockt von der Grausamkeit, mit der die Elfen ihre Macht demonstrieren. Auch wenn Linn sich dagegen wehrt, von Big T beschützt werden zu müssen, empfindet sie bald Zuneigung für ihn. Doch dann muss sie feststellen, dass der sanfte Riese vielleicht doch nicht so gutmütig ist, wie er tut. Kann sie ihm wirklich vertrauen? Auf sich allein gestellt erkennt Linn Stärken in ihren vermeintlichen Schwächen. Wird es ihr gelingen, ihre Eltern zu retten und nach Havnheim zurückzukehren? DIE TOCHTER DER TIERKRIEGERIN ist eine Novelle aus der Welt der TROLL-CHRONIKEN und verrät, was nach Band 3, DIE TIERKRIEGERIN UND DIE RÜCKKEHR DER ELFEN, geschieht.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Die Tochter der Tierkriegerin
Troll-Chroniken
Novelle
© Felicity Green, 1. Auflage 2021
www.felicitygreen.com
Veröffentlicht durch:
A. Papenburg-Frey
Schlossbergstr. 1
79798 Jestetten
© Covergestaltung: Laura Newman – design.lauranewman.de
Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Personen und Handlungen sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Kapitel acht
Kapitel neun
Kapitel zehn
Kapitel elf
Kapitel zwölf
Selkie Heart
Average Angel
Connemara-Saga
»Elin, pass auf!«
Ich zuckte zusammen und verlor für einen kurzen Moment den Fokus. Mein Gegner nutzte das erbarmungslos aus. Ich hatte mich nur mit allergrößter Mühe gegen ihn behaupten können, und jetzt durchbrach er meine Abwehr.
Sein Schwert berührte meine Rüstung.
Instinktiv erhob ich meine eigene Waffe.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Hand des Ausbilders hochschnellte. Die Regeln bestimmten, dass der Kampf hiermit beendet war und ich eine Niederlage einstecken musste. Es kostete mich große Selbstbeherrschung, mein Kurzschwert wieder sinken zu lassen.
Ich warf einen schnellen Blick in Richtung unseres Trainers. John hatte immer noch die Hand oben und beobachtete mich. Sein schrecklich vernarbtes Gesicht war schwer zu lesen. John hatte in der Vergangenheit mehr Geduld mit mir gehabt als andere Ausbilder. Bestimmt lag es daran, dass er mit meinen Eltern befreundet war. Sie hatten in der zweiten Ragnarök zusammen gekämpft, und John war bei der Entstehung der zehnten Welt dabei gewesen. Er gehörte zur Garde der ersten Tierkrieger.
Hätte ein anderer Trainer am Ring gestanden, wäre es mir vielleicht nicht gelungen, mein Temperament zu zügeln, aber ich wollte es mir nicht mit einem meiner wenigen Fürsprecher verderben.
Zähneknirschend ließ ich auch den Schild sinken. Es bedurfte erheblicher Anstrengung, dabei nicht zu zeigen, wie sehr mein Arm zitterte. Ich verbeugte mich vor meinem Gegner – das übliche Zeichen des Respekts nach einem Trainingskampf – und verließ erhobenen Hauptes den Ring.
Verärgert blinzelte ich Tränen weg, als die nächsten beiden Anwärter ins Trainingsareal stürmten. Sie brannten geradezu darauf, sich zu beweisen. Den Gerüchten zufolge stand der nächste Einsatz kurz bevor und nur die besten der jungen Tierkrieger wurden dafür ausgewählt. Für alle war es die größte Ehre – aber niemand wollte so sehr dabei sein wie ich.
Erst als der nächste Kampf begonnen hatte, schickte ich mit meinen Augen Blitze in Richtung der Person, die mich mit dem »gut gemeinten Warnruf« aus dem Konzept gebracht hatte: Thrymson, von allen nur Big T genannt.
Ich wusste, wie effektiv das war. Meine Augen wirkten groß, weil ich ansonsten sehr schmächtig war. Das Türkisblau der Iris hatte ich von meinem Papa geerbt und es erschien im Kontrast zu meiner ansonsten farblosen Erscheinung besonders intensiv. Meine Haare hatten eine Schattierung, die man in der Menschenwelt angeblich wohl einmal straßenköterblond genannt hatte, was auch immer dieser Ausdruck bedeutete. Und mein Teint war weder schön karamellfarben wie Louisas noch so rosig wie Lisannes. Meine Augen waren also das einzig Bemerkenswerte an mir – aber gegen Trolle und Elfen halfen sie nicht viel. Es würde mir wohl kaum gelingen, sie mit Blicken zu Tode einzuschüchtern.
Und meine Augen allein machten mich nicht gerade reizvoller. Ich hatte einmal einen Jungen sagen hören, dass sie eher verstörend wirkten. An meiner Erscheinung konnte es also nicht liegen, dass dieser Typ andauernd ausgerechnet um mich herumschwirrte. Die meisten Mädchen in Havnheim waren hübscher als ich.
Vielleicht malte er sich bei mir eine Chance aus, denn er selber war schließlich auch kein Fang. Doch es war nicht nur mein Mangel an Selbstbewusstsein, der mich diese Theorie anzweifeln ließ. Erstens war der hässliche Kerl gut zehn Jahre älter als ich und zweitens hatte er nie einen Versuch gemacht, mich zu berühren oder sonst wie anzumachen.
Ich wandte mich demonstrativ von Big T ab und stapfte in Richtung Kantine. Wenn er hinter mir herkam, dann beachtete ich ihn nicht. Ich hatte andere, wichtigere Probleme. Ich musste unbedingt erreichen, dass ich beim nächsten Einsatz dabei war. Es war die einzige Möglichkeit, unsere behütete, kleine Welt zu verlassen.
Wenn ich von Welt sprach, dann meinte ich das auch so: Havnheim war eine neue, durch Magie erschaffene Welt, die als Zufluchtsort für alle Mischlinge galt, welche in den Menschen-, Troll- oder Elfenwelten verfolgt wurden. Sie war von meinen Eltern und anderen Tierkriegern erster Generation begründet worden.
Es war schön, ein solch sicheres Zuhause zu haben. Aber wir Tierkrieger-Kinder hatten viele Geschichten über Midgard gehört und konnten es alle nicht abwarten, diese so fantastisch anmutende Welt der Menschen endlich mit eigenen Augen zu sehen.
Unser ganzes Leben waren wir darauf vorbereitet worden, einmal den Menschen zu helfen und gegen Elfen oder andere uns feindlich gesinnte Wesen zu kämpfen. Es war gefährlich dort draußen, und wir Tierkrieger waren wichtig und kostbar. Man würde nicht riskieren, dass einer von uns mitkämpfte, der sich nicht behaupten konnte.
Wir wollten alle zu dieser Riege der Besten gehören.
Mich motivierte allerdings etwas anderes.
Vor ein paar Monaten waren meine Eltern, Alannah und Sam, von einer Mission in der Menschenwelt nicht mehr zurückgekehrt. Beide waren während der zweiten Ragnarök, der Schöpfung von Havnheim und im Krieg gegen die Elfen entscheidend gewesen. Sie hatten viele Teilsiege gegen die Elfen errungen, hatten diplomatische Beziehungen mit den Trollwesen etabliert und verhindert, dass die Menschheit voll und ganz vernichtet wurde. Meine Eltern waren sehr wichtige Personen in unserer Gemeinschaft. Dementsprechend hatte man nichts unversucht gelassen, sie zu finden.
Doch sie blieben verschollen.
Und unsere Ressourcen waren beschränkt. Es gab immer wichtige Kämpfe, für die Tierkrieger gebraucht wurden. Mittlerweile waren selten welche abkömmlich, um weiter nach meinen Eltern zu suchen.
In den letzten Monaten hatte ich körperliche Schmerzen beim Gedanken daran, hier in Havnheim festzusitzen, während Mama und Papa irgendwo da draußen waren und auf Hilfe warteten. Ich war fest entschlossen, jeden Winkel der anderen Welten nach ihnen zu durchkämmen, mochten jene auch noch so groß sein.
Natürlich hatte ich keine Ahnung davon, wie groß sie waren. All das Wissen, das ich mir aus den Büchern in Havnheim angeeignet hatte, gab mir dennoch keine rechte Vorstellung von den anderen Welten. Mein größeres Problem: Auch wenn ich noch so viel trainierte, Kämpfen war nicht mein Ding. Aber ich musste einfach bei dem nächsten Einsatz dabei sein, um hier wegzukommen. Meine Eltern erlitten bestimmt Folter, waren vielleicht dem Tode nahe und warteten sehnsüchtig darauf, dass sie jemand erlöste. Es konnte sogar sein, dass sie ihre Mission nicht überlebt hatten, worauf ich voll und ganz vorbereitet war. Der Tod war uns Tierkriegern nicht fremd. Aber ich wollte wenigstens wissen, was mit ihnen passiert war und sie zu Hause beerdigen.
Noch so eine Trainings-Niederlage und ich konnte vergessen, einberufen zu werden …
»Elin«, riss mich die tiefe Stimme aus den Gedanken.
Genervt blieb ich stehen. »Linn. Ich heiße Linn«, korrigierte ich ihn zum gefühlt tausendsten Male ungeduldig.
Tatsächlich hatte man mich Elin getauft, nach der ehemals besten Freundin meiner Mutter. Doch schon seit frühester Kindheit wurde ich Linn gerufen. Niemand nannte mich Elin – außer Thrymson, denn meine Namenspatin war Big Ts Mutter und bei seiner Geburt gestorben.
Das machte seine Obsession für mich und seine Beharrlichkeit, mich Elin zu nennen, noch verstörender.
Das Motto hier bei uns in Havnheim war Gleichbehandlung, egal ob Mensch, Halb-Troll, Halb-Elf oder sonst was. Was auch immer unser Genmaterial war, hier waren alle frei. Aber Big T war der monströs anmutende, hässliche Sprössling des ehemaligen Trollherrschers Thrym. Ich wusste, dass er deshalb manchmal ausgelacht wurde. Selbstverständlich war das nicht richtig und ich hielt eigentlich von solchem Mobbing Abstand. Aber manchmal brachte er mich so auf die Palme, dass ich nicht anders konnte, als ebenfalls seinetwegen die Augen zu rollen und ihn dumm anzumachen.
So wie jetzt.
»Was willst du eigentlich von mir?«
Völlig unbeeindruckt von meinem Ton antwortete Big T gutmütig: »Ich will dir helfen. Ich weiß, wie gerne du in die Menschwelt möchtest. Vielleicht kann ich dir ein paar Tipps geben …«
»Danke, nicht nötig«, giftete ich und ging weiter. »Ich komme schon zurecht.« Ich konnte darauf verzichten, demonstriert zu bekommen, wie viel besser Big T in Kampfsituationen war als ich.
Der ließ sich nicht beirren und eilte mir hinterher. »Du versuchst, Kraft aufzuwenden, die du einfach nicht hast. Du kannst dich nicht gegen die Muskelkraft deiner Gegner behaupten. Aber du bist klein und schnell und solltest deine Wendigkeit …«
Wütend wirbelte ich herum. »Es reicht. Ich muss mir von dir nicht meine Fehler aufzählen lassen. Ich weiß, dass ich härter trainieren muss, okay? Diese herablassenden Ratschläge kannst du dir sparen.«
Ich drehte mich wieder um und stürmte mit geballten Fäusten davon.
Völlig ruhig rief er mir hinterher: »Eben nicht Fehler. Wir haben alle unsere Schwächen, und du versuchst krampfhaft, deine zu beheben, was nicht funktionieren wird. Stattdessen solltest du deine Stärken …«
Ich hörte ihm schon nicht mehr zu. Was fiel diesem Typen eigentlich ein? Für wen hielt er sich?
Ich lief an den Unterkünften vorbei, aus unserem Dorf heraus und nahm den Pfad an der Küste entlang, bis ich zu meinem Felsen gelangt war. Ich kam oft hierher, um allein zu sein. Der Felsen war so geformt, dass ich mich auf ihn setzen und mich in eine Mulde zurücklehnen konnte, die wie geschaffen für meinen Rücken war. Das Plätzchen war windgeschützt und ich hatte einen perfekten Ausblick auf die tobende See.
Als ich den Felsen erreicht hatte, waren meine Tränen nicht länger aufzuhalten. Hier sah mich glücklicherweise keiner und ich konnte es zulassen. Niedergeschlagen ließ ich mich an meinem Rückzugsort nieder und starrte traurig auf die Stelle, wo das blaugraue Meer auf den fast gleichfarbigen Himmel traf. Irgendwo hinter diesem Horizont war die Menschenwelt. Zumindest stellte ich es mir so vor, denn ganz genau wusste ich nicht, wie man dorthin kam. Es gab eine Art Portal, aber was das bedeutete, war mir schleierhaft. Ich hatte nie richtig verstanden, wie es sein konnte, dass die Inseln, aus denen Havnheim bestand, einmal in der Menschenwelt existiert hatten, Shetland genannt worden waren und dass jetzt an ihrer Stelle nur noch einsame Felsen dort aus dem Meer ragten.
Ich wusste bloß, dass meine Eltern irgendwo da waren, an einem Ort, der mir so fern wie der Horizont erschien.
Sie warteten auf Hilfe. Und ich war zu schwach und zu unfähig, um ihnen helfen zu können.
Ich war so wütend auf mich selbst.
Meine Eltern würden mit dem Leben dafür bezahlen müssen, dass ich eine Versagerin war.
»… Louisa und Keck«, beendete Lisanne die Aufzählung der Tierkrieger, die für den bevorstehenden Kampf in der Menschenwelt einberufen wurden.
Lisanne stand kerzengerade und ihre hellblonden Haare flatterten im Wind. Sie sah aus wie eine nordische Göttin – wie eine Illustration von Freya, die ich in einem unserer Mythologie-Unterrichtsbücher gesehen hatte. Lisanne war eine Tochter Magnis, dem Luftmagier. Da die Manifestation dieser Magie jedoch immer eine Generation übersprang, waren in Lisanne keine Fähigkeiten ausgeprägt. Sie hatte kein Interesse daran, Havnheim zu verlassen, im Gegenteil. Sie wollte ihre Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, um viele Kinder zu gebären und damit mögliche Luftmagier großzuziehen. Einer der Blondschöpfe hielt sich gerade an ihrem Rockzipfel fest und ein Neugeborenes hatte sie in einem Tragetuch vor der Brust.
Lisanne war aber mehr als das, was man laut unserem Geschichtsunterricht früher in der Menschenwelt eine Hausfrau genannt hatte. So etwas gab es bei uns nicht, denn jeder musste irgendwo mit anpacken. Lisanne gehörte wie ihr Vater zum Team der Führungskräfte. Sie war gut zehn Jahre älter als ich und man konnte nicht sagen, dass wir befreundet waren. Doch sie verstand sich mit meiner Freundin Louisa und ich hatte gehofft, dass sie ein gutes Wort für mich einlegen würde. Ihre Stimme hatte Gewicht. Entweder hatte sie sich nicht für mich eingesetzt oder es hatte nicht gereicht.
Ich versuchte, die Kontrolle über meine Gesichtsmuskeln zu bewahren und mir nichts anmerken zu lassen. Starr blickte ich geradeaus. Nur meine Hände ballte ich zu Fäusten, doch sie waren hinter meinem Rücken versteckt. Wir Tierkrieger standen in Reih und Glied vor der Tribüne und mussten so verharren, bis Lisanne und die anderen mit ihren Ansprachen fertig waren.
Ich hörte kaum mehr zu. Mein Name war nicht genannt worden. Die Gedanken purzelten in meinem Kopf durcheinander und sie waren geprägt von Panik und Verzweiflung. Wie sollte ich jetzt von Havnheim wegkommen? Wie konnte ich meinen Eltern helfen? Warum ließ man mich nicht einfach gehen, wenn man sowieso nichts von mir als Kämpferin hielt? Niemandem lagen meine Eltern so am Herzen wie mir … sie waren verloren, wenn ich ihnen nicht half.
Endlich löste sich die Versammlung auf. Ich sagte nichts, als Louisa ihre Hand auf meinen Arm legte, um zu zeigen, wie leid es ihr tat. Ich konnte sie nicht anschauen, denn ich wusste, den mitleidigen Blick in ihren Augen würde ich schlecht ertragen. Ich war nicht neidisch auf sie. Sie hatte es verdient, endlich bei einem Einsatz dabei zu sein. Schon seit ein paar Jahren war sie immer knapp an der Auswahl vorbeigeschlittert und sie hatte sehr hart trainiert.
»Ich versuche, für dich an Informationen über Alannah und Sam zu kommen, wenn ich in Midgard bin«, versprach Louisa.
Ich lächelte sie schwach an. Wenn eigens dafür abgesandte Ältere nichts über den Verbleib meiner Eltern herausgefunden hatten, dann würde wohl eine neue Tierkriegerin, die zum ersten Mal in der Menschenwelt war, wenig erreichen können. Davon abgesehen würde Louisa mit Kämpfen beschäftigt sein. Wäre ich einberufen worden, wäre ich selbstverständlich direkt nach der Ankunft in Midgard desertiert. »Danke«, sagte ich trotzdem.
Als wir zu unserer Unterkunft zurückkehrten, blieb mir nichts anderes übrig, als Louisa bei den Vorbereitungen für die Reise zuzuschauen. Wir teilten uns ein Zimmer und ich wollte sie am Abend vor der Abfahrt nicht allein lassen. Bestimmt war sie nervös. Die ganze Zeit über kribbelte es mich in den Fingern, meine eigenen Waffen zu polieren und meine Sachen zu packen. Ich war regelrecht froh, als Louisa sagte, sie wollte bei ihrem Vater vorbeischauen, um sich von ihm zu verabschieden. Ich hielt es im Haus nicht aus, und kaum war Louisa gegangen, flüchtete ich nach draußen und machte mich zu meinem Rückzugsort auf.
Es war nasskalt und windig, aber mir kam das ungemütliche Wetter recht. Meine trübe Stimmung verbesserte sich um eine Winzigkeit – bis ich die Konturen einer großen Gestalt vor meinem Felsen ausmachte. Im Halbdunkel konnte ich weder die verräterische Blauschattierung seiner Haut noch sein Gesicht erkennen, aber ich wusste trotzdem, wer es war.
»Thrymson«, sagte ich mit vor Wut zitternder Stimme. Sicher würde es kindisch klingen, aber »Das ist mein Felsen« lag mir auf der Zunge.
Big T kam mir zuvor. »Ich weiß, dass das dein besonderer Ort ist, und ich dachte mir, dass ich dich hier treffen werde.«
Ich war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Gerade heute konnte ich den Typen nicht gebrauchen.
»Ich weiß, wie gerne du bei dem Einsatz dabei gewesen wärst«, fuhr Big T fort. »Und ich möchte dir gerne helfen.«
»Wie?«
Thrymson war ein wichtiger Kämpfer und immer bei diesen Einsätzen dabei – aber er war kein Anführer, der etwas zu bestimmen hatte.
»Ich kenne das Boot in- und auswendig«, sagte er. »Ich weiß, wo ich dich verstecken kann, damit du nach Midgard kommst.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn aus verengten Augen. »Wieso solltest du das tun?«
Big T musste etwas von mir wollen, wenn er eine derart ungehorsame Aktion plante. Es war sicher nicht so, dass Anführern und Ältesten blind gefolgt wurde – es stand den Bewohnern von Havnheim frei, zu tun, was sie wollten. Aber denjenigen, die etwas zu sagen hatten, wurde Respekt gezollt. Es verstand sich für alle von selbst, dass man sich unterordnete, besonders wenn es um Einsätze gegen die Elfen ging. Klar, es gab immer rebellische Naturen, die damit ihre Schwierigkeiten hatten, aber Big T gehörte nicht dazu. Mich als blinden Passagier auf dem Boot nach Midgard zu verstecken, nachdem ich nicht als Tierkriegerin ausgewählt worden war – das war geradezu aufrührerisch. Es passte überhaupt nicht zu ihm.
»Wir können dann gemeinsam nach deinen Eltern suchen.«
»Was?« Darauf war ich nicht gefasst gewesen. Mich auf dem Boot zu verstecken, war eine Sache, aber dann noch von der Kampftruppe abtrünnig zu werden, um sich mir anzuschließen, das … Ich verstand wirklich nicht, aus welchem Grund Thrymson so etwas machen wollte.
»Ich verstecke dich auf dem Boot und dafür darf ich dich in der Menschenwelt begleiten, wenn du nach Alannah und Sam suchst«, erklärte er ruhig. »Ich kenne mich aus. Es ist gefährlich dort draußen und ich kann dich beschützen. Ich …«
Ich hob die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. »Ich brauche keinen Beschützer, danke.« Ich musste mir wirklich nicht unter die Nase reiben lassen, wie unerfahren und schwach ich war. Ich wollte herumwirbeln und davonstapfen, aber Big T sprach weiter. Auch wenn ich noch so pikiert war, konnte ich die Neugierde nicht unterdrücken, was Big T zu einem so untypischen Verhalten trieb. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich mir die Gelegenheit, auf das Boot zu kommen, nicht einfach entgehen lassen.
»Ich weiß, wo Alannah und Sam hinwollten. Ich kann dich dort hinführen.«
Das Herz schlug mir bis zum Halse. Wenn Big T die Wahrheit sprach, dann war ich meinem Ziel, meine Eltern zu finden, auf einmal viel näher, als ich mir bis gerade eben erträumt hatte. »Aber …«, fiel mir ein. »Wenn du das weißt, warum hast du den Anführern nichts davon erzählt? Als sie nach ihnen gesucht haben?«
»Sie wissen es auch. Von ihnen habe ich die Information ja. Bloß half es ihnen nicht so viel, den Ort zu kennen.«
»Sprich mal Klartext mit mir!«
Big T seufzte. »Es ist der Bunker. Deine Eltern wollten in den Bunker, in dem sich die Eingeweihten nach der zweiten Ragnarök versteckt hatten. Der Bunker, in dem ich geboren worden bin.«
Mein Misstrauen war jetzt reiner Neugierde gewichen, als ich Big T mit offenem Mund anstarrte. Selbstverständlich wusste ich, wovon er sprach.
Meine Mutter war aus diesem Bunker ausgebrochen, um meinen Vater zu retten. Die Auserwählten, die Elite der geheimen Organisation, die Tierkrieger erschaffen und ausgebildet hatte, hatten sich in dem Bunker verkrochen, um abzuwarten, wie die Menschheit sich selbst zerstörte … oder sich von den Elfen unterjochen ließ. Ein Schatz an Wissen hatte sich ebenfalls in dem Bunker befunden. Aus den Büchern in der Bunker-Bibliothek hatte meine Mutter Informationen für die Erschaffung der zehnten Welt gewonnen.
»Warum wollten sie dorthin?«, fragte ich verblüfft.
