Der Teufel im Spiel - Felicity Green - E-Book

Der Teufel im Spiel E-Book

Felicity Green

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Beschreibung

Spannend, mystisch, schottisch: Im fünften Band der Bestseller-Paranormal-Mystery-Reihe stürzt sich Wetterhexe Jem Rivers in magische Abenteuer.


Wetterhexe Jemima Rivers hat seit Jahren einen gepackten Koffer unter ihrem Bett liegen. Aber eine psychisch labile Mutter, ein immer arbeitender Vater und drei Bald-Teenager-Hexen als Schwestern hielten sie bislang davon ab, sich ihren Traum vom Reisen in ferne Länder zu erfüllen.


Bis Jem sich eines Nachts doch einfach auf den Besen schwingt, um die schottischen Highlands zu verlassen. Leider kommt sie nicht weit. Ein unerklärlicher Tsunami auf dem Loch Lomond und ein Mordfall, in den der attraktive, aber gefährlich wirkende Franzose Luc Devereux verwickelt ist, stellen sich ihr in den Weg.


Die Ereignisse stürzen das Leben der Rivers-Familie ins Chaos. Schockierende Familiengeheimnisse kommen ans Tageslicht, als eine sektenartige Wetterhexenorganisation aus Frankreich, die Tempestarii, Jems Schwestern kidnappt.


Während Jem verzweifelt versucht, ihre Schwestern zu retten, muss sie sich entscheiden, ob sie Luc trauen kann. Und sich zu allem Überfluss mit der absurden Tatsache auseinandersetzen, dass ein mysteriöses Feen-Volk die Finger im magischen Spiel hat.


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Die spannenden Highland-Hexen-Krimis von Felicity Green können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Der Teufel im Spiel

Ein Highland-Hexen-Krimi

Felicity Green

Felicity Green

Der Teufel im Spiel

Ein Highland-Hexen-Krimi

Band 5

© Felicity Green, 1. Auflage 2018

www.felicitygreen.com

Veröffentlicht durch:

A. Papenburg-Frey

Schlossbergstr. 1

79798 Jestetten

[email protected]

Umschlaggestaltung: CirceCorp design - Carolina Fiandri

(www.circecorpdesign.com)

Vector by Freepik

Korrektorat: Wolma Krefting, bueropia.de

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Personen und Handlungen sind frei erfunden oder wurden fiktionalisiert. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

www.felicitygreen.com

Inhalt

Die Autorin

Prolog

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Kapitel vierunddreißig

Kapitel fünfunddreißig

Kapitel sechsunddreißig

Kapitel siebenunddreißig

Kapitel achtunddreißig

Danke und gratis Buch

Teuflisch Einsam

Quellen

LESEPROBE Der Teufel im Eichhörnchen

Das Buch

Wetterhexe Jemima Rivers hat seit Jahren einen gepackten Koffer unter ihrem Bett liegen. Aber eine psychisch labile Mutter, ein immer arbeitender Vater und drei bald-Teenager-Hexen als Schwestern hielten sie bislang davon ab, sich ihren Traum vom Reisen in ferne Länder zu erfüllen.

Bis Jem sich eines Nachts doch einfach auf den Besen schwingt, um die schottischen Highlands zu verlassen. Leider kommt sie nicht weit. Ein unerklärlicher Meteotsunami auf dem Loch Lomond und ein Mordfall, in den der attraktive, aber gefährlich wirkende Franzose Luc Devereux verwickelt ist, stellen sich ihr in den Weg.

Die Ereignisse stürzen das Leben der Rivers-Familie ins Chaos. Schockierende Familiengeheimnisse kommen ans Tageslicht, als eine sektenartige Wetterhexenorganisation aus Frankreich, die Tempestarii, Jems Schwestern kidnappt.

Während Jem verzweifelt versucht, ihre Schwestern zu retten, muss sie sich entscheiden, ob sie Luc trauen kann. Und sich zu allem Überfluss mit der absurden Tatsache auseinandersetzen, dass ein mysteriöses Feen- (oder gar Alien-?) Volk die Finger im magischen Spiel hat.

Die Autorin

Felicity Green schreibt Urban Fantasy und Paranormal Mystery-Serien für Leserinnen, die Mythen und Magie, unerwartete Wendungen, Gänsehaut und große Gefühle lieben.

Felicity wurde in der Nähe von Hannover geboren und zog nach dem Abitur nach England. In Canterbury studierte sie Literatur und Schauspiel. Später tingelte Felicity mit diversen Theatergruppen durch England, Irland und Schottland – eine Inspiration für die Schauplätze ihrer Romane. An der University of Sussex schloss sie einen MA in Kreativem Schreiben ab.

Mit ihrem Mann Yannic, Tochter Taya und Kater Rocks lebt sie jetzt an der Schweizer Grenze.

www.felicitygreen.com

»Die Welt? Ein Kind beim Spiel, die Brettsteine setzend.«

Heraklit von Ephesos, 500 v. Chr.

»Am Ende des Spiels wartet der Teufel.«

Deutsches Sprichwort

Prolog

Schon als kleines Kind war sie von der Spielesammlung ihrer Familie fasziniert gewesen, besonders dem Casino-Koffer ihrer Eltern. Stundenlang konnte sie sich damit beschäftigen. Es verschaffte ihr große Befriedigung, die kühlen, glatten Würfel in den Händen zu halten, die quadratischen Formen mit den abgeflachten Ecken zu spüren. Sie sortierte die Spielkarten und studierte sie, ja, lauschte ihnen, so als ob sie ihr Geschichten erzählen wollten. Eine besondere Affinität hatte sie zu der Pik-Dame; sie wusste nicht, wieso.

Das lustige Roulette-Rad fand sie auch spannend. Wo würde die Kugel liegen bleiben? Sie stellte sich eine der Farben, eine der Nummern vor und hielt den Atem an, als das Rad sich langsamer drehte und die Kugel im Schneckentempo eine, dann noch eine der Hürden überwand, um ins nächste Fächlein zu hüpfen. Noch eins, noch ... Nein, doch nicht. Schade! Und wieder drehte sie das Rad.

Sie wettete mit sich selber, denn niemand wollte mit ihr spielen.

Erst war sie traurig darüber, aber mit der Zeit machte es ihr nichts mehr aus. Und schließlich wurden die anderen doch mehr und mehr zu ihren Mitspielern, ob sie es wollten oder nicht.

Das Leben, so lernte sie in frühen Jahren, verteilte seine Karten willkürlich, wie bei einem Spiel. Man musste auf sein Glück hoffen und dann seine Chance nutzen, sonst hatte man verloren.

Doch je mehr man spielte, desto mehr verstand man diese Chancen. Man erkannte Muster. Dann hatte man den anderen gegenüber einen Vorteil.

Am Ende war das Spiel gar nicht wie das Leben; es war etwas Kalkulierbares, eine mathematische Gleichung. Nur, dass ihr niemand ein Sternchen und ein Gut gemacht! daneben setzte, wie in der Schule. Etwas anderes, das sie sehr früh gelernt hatte, war, dass sie solches Lob von ihrer Familie nicht erwarten konnte.

Wenn sie oft genug spielte, die Regeln erkannte, die Muster verstand, dann übertrumpfte sie alle anderen und wurde zur Meisterin. In letzter Zeit wettete sie nicht mehr mit sich selber, sondern mit anderen Menschen. Schiffe versenken war gerade eins ihrer Lieblingsspiele … Besonders aufregend fand sie es, dass niemand wusste, dass sie es schon die ganze Zeit gewesen war, die den Trumpf in der Hand hatte, dass sie die Meisterin war, die den Spielausgang der anderen entschied.

Irgendwann würden sie es verstehen. Dann würden sie sie alle anschauen, nur sie. Und dann wäre sie nicht länger allein, dann gäbe es nicht länger nur die eine Hälfte von ihr, sondern beide, wie auf den Spielkarten. Gespiegelt in den weit aufgerissenen Augen der anderen, die sie mit Respekt und Furcht anstarrten, wäre sie doppelt, wäre sie komplett. Die anderen würden sie endlich sehen und sie würde sich selber erkennen: Die Pik-Dame, mit dem Zepter in der Hand und der Krone auf dem Kopf.

Kapitel eins

Wetterhexe Jemima Rivers hielt schwankend inne, als sie den Knauf ihrer Haustür berührte. Der Wirbelsturm, der im Inneren des Hauses tobte, kündigte sich mit Vibrationen an, die vom kalten Metall des Türknaufs in Jems Hand hinüberzuckten.

Sie holte tief Luft und riss die Tür auf. Das Gewirr lauter Stimmen und das Stampfen von Füßen auf den alten Holzdielen gaben ihrer Vorahnung recht. Es war natürlich kein tatsächlicher Wirbelsturm, der im Hause Rivers losgelassen worden war, sondern eine viel schlimmere Naturgewalt: Jems Schwestern.

»Moooooom!«, hörte sie Joanna, genannt JoJo, kreischen. »Wie konntest du nur! Ich habe doch extra gesagt, ich will einen Einhorn-Kuchen und jetzt …« Schluchzer verschluckten den Rest der Worte.

»Na ja, die hatten nur Pferde und da dachte ich …«, hörte Jem die sanfte Stimme ihrer Mutter. Auf dem Weg in die Küche musste sie sich durch einen Pulk vierzehnjähriger Mädchen bahnen, die sich in das kleine Wohnzimmer drängten. Es waren JoJos Geburtstagsgäste, die die Einhorn-Katastrophe anscheinend fast so sehr erschüttert hatte wie ihre Schwester, denn das übermütige Geschrei war entsetztem Flüstern gewichen. Ein Mädchen, das wohl Empathie-Tränen weinte, musste von einem anderen getröstet werden.

Jem widerstand der Versuchung, mit den Augen zu rollen und lächelte allen beschwichtigend zu.

In der Küche angekommen, unterbrach sie ihre zwölfjährige Schwester Tessa, die JoJo stets zur Seite stand und sich mindestens genauso für einen Teenager hielt. Tessa war gerade dabei, ihre Mutter zur Schnecke zu machen, weil die todtraurige JoJo dazu augenblicklich nicht in der Lage war.

»Hey, hey, jetzt reicht es aber«, sagte Jem mit autoritärer Stimme, als Tessa klagte, JoJos Geburtstag sei mit dem falschen Kuchen komplett ruiniert, wo doch gerade dieser Geburtstag so wichtig war, wo JoJo doch dieses Jahr in ihre Kräfte kommen würde.

»Vergiss nicht, dass wir Gäste haben, die uns augenblicklich zuhören.« Jem warf Tessa einen warnenden Blick zu. Es ging Jem nicht darum, dass es sich nicht schickte, vor Gästen zu streiten, sondern um die Tatsache, dass Tessa unüberlegt drauflosgeplappert hatte.

Es war im Dorf ein eher offenes als totgeschwiegenes Geheimnis, dass in der Gegend eine Gemeinschaft von Hexen ansässig war, welche alte schottische Magie-Traditionen pflegte, aber trotzdem posaunte man das nicht einfach so heraus. Außerdem waren unter JoJos Geburtstagsgästen auch Schulfreundinnen aus entfernteren Dörfern, denen man ja nicht unbedingt einen Floh ins Ohr setzen musste.

Tessa verzog das Gesicht zwar zu einer Grimasse und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust, aber wenigstens hielt sie die Klappe. JoJos Schluchzer waren in leises Weinen übergegangen.

Neve, Jems Mutter, hatte den Blick auf den Küchentisch gesenkt und malte mit dem Finger in Resten von Puderzucker herum, die die Tischplatte bedeckten. Wie immer flüchtete sie sich bei dem kleinsten Anflug von Konfrontation oder Ärger sofort in ihre eigene Welt.

»Okay«, meinte Jem und betrachtete den Kuchen. »Das sollten wir ja wohl hinbekommen.« Sie schnappte sich die offene Packung Puderzucker, mit der ihre Mutter augenscheinlich die Muffins in der großen Schüssel bestäubt hatte, und sah hinein. »Das sollte reichen. Tessa, schaust du mal bitte, ob es noch Johannisbeergelee im Kühlschrank gibt? Und JoJo, finde du ein Taschentuch und putz dir bitte die Nase.«

Tessa und JoJo, die gewohnt waren, dass ihre ältere Schwester Krisensituationen managte, befolgten deren Anweisungen. In kürzester Zeit hatte Jem einen rosa Zuckerguss angerührt, aus einem Gefrierbeutel eine Spritztüte gebastelt und dem braunen Pferdekopf, mit dem die Bäckerei den Kuchen verziert hatte, ein rosa Horn auf die Stirn gesetzt sowie eine rosa Mähne verpasst.

»So, bitte schön, ein Einhorn.«

»Ach, das ist aber schön geworden«, meinte Neve unbeschwert, so als ob sie gerade erst dazugestoßen wäre.

JoJo strahlte glückselig und Tessa sprang aufgeregt auf und ab. »Jetzt die Kerzen an, die Kerzen an!«, schrie sie und klatschte in die Hände.

Jem konnte nur hoffen, dass die Kräfte ihrer Schwestern doch noch ein bisschen auf sich warten lassen würden. Die weiblichen Mitglieder der Rivers-Familie – das Hexentalent vererbte sich mütterlicherseits nur an Mädchen und manifestierte sich in der Pubertät – konnten alle das Wetter manipulieren. Wenn man mit seinen magischen Kräften noch nicht so gut umzugehen wusste, konnten Emotionen unabsichtlich das Wetter beeinflussen. Und die unberechenbaren Stimmungsschwankungen ihrer Schwestern ließen Jem ahnen, was dabei herauskommen könnte.

Mehr Gedanken konnte sich Jem nicht machen, denn der Kuchen wurde ins Wohnzimmer getragen, JoJo wurde besungen und bejubelt, und Jem musste sich wie immer um alles kümmern – angefangen bei dem Messer, das fehlte, um den Kuchen zu schneiden, bis hin zu den Getränken, die Neve wohl vergessen hatte, kalt zu stellen. Jem rannte hin und her, um die Gäste zu versorgen und gleichzeitig zu verhindern, dass das Haus in völliges Chaos gestürzt wurde.

Neve hatte ihre Aufgabe anscheinend als erledigt betrachtet, nachdem Jem sich mal wieder als kompetenter dafür erwiesen hatte. Vater Harold war noch bei der Arbeit. Es war nichts Ungewöhnliches, dass er erst später am Abend nach Hause kam, aber Jem hatte den leisen Verdacht, dass er gerade heute ein paar Überstunden , die das Budget der Familie immer nötig hatte, einlegen würde, um dem Geburtstagstrubel zu entgehen. Wenn er denn überhaupt daran gedacht hatte, dass dieses Fest heute stattfand.

Erst als die hungrigen Mäuler fürs Erste gestopft waren, fiel Jem Effie ein. Die jüngste Schwester hatte die Tendenz, in dem ganzen Drama, das immer im Hause Rivers herrschte, unterzugehen und deshalb etwas in Vergessenheit zu geraten. Jem warf einen Blick in Effies Zimmer – wie erwartet spielte die Zehnjährige dort allein. Jem schaute die Kleine mit einem Lächeln an. Im Vergleich zu ihren älteren Schwestern war Effie ein wahres Musterkind und man konnte sich darauf verlassen, dass sie sich benahm und sich nicht in Schwierigkeiten brachte. »Hallo Süße, magst du ein Stück Kuchen?«

Effie schaute von ihrem Spiel auf. Ihre gerunzelte Stirn verriet, wie konzentriert sie war. »Ja, danke!«

Jem brachte ihr Geburtstagskuchen und eine Tasse Milch aufs Zimmer. Mittlerweile war die Kleine am Malen.

»Oh, das ist schön«, entfuhr es Jem. »Du kannst das wirklich gut!« Effie lächelte sie dankbar an. Eigentlich wäre es toll, wenn sich mal jemand um die Begabung ihrer jüngsten Schwester kümmern würde. Ihre Mutter hatte auch ein großes Zeichentalent, aber die war dafür nicht zu gebrauchen. Unterricht vielleicht? Konnte man sich das leisten? Jem schob es, wie so oft, in die Zukunft. Irgendwann würde sie sich der Sache annehmen. Irgendwann, wenn sie nicht so müde war und nicht so viel zu tun hatte. Sie ging wieder runter und machte sich dann an den Abwasch, während die Mädchen im Wohnzimmer laut und sehr schief Karaoke sangen.

Am liebsten hätte Jem sich Ohrstöpsel oder die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren gesteckt, aber sie traute den Noch-nicht-ganz-Teens nicht über den Weg. Das war doch das Alter, in dem die eine oder andere vielleicht eine Flasche billigen Cider auf Geburtstagsfeiern schmuggelte, oder? Sie war zwar schon doppelt so alt wie JoJo und ihr eigener vierzehnter Geburtstag entsprechend lange her, aber sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie in dem Alter gewesen war. Es war bestimmt eine zeitlose und universelle Tatsache, dass es in einer Gruppe junger Mädchen mindestens eines gab, das es komplett übertreiben oder einfach nicht vertragen würde – und sie hatte keine Lust, nachher Kotze im Wohnzimmer aufzuwischen. In ihrer eigenen Jugend war es ihre beste Freundin Birdie gewesen, ein totales Fliegengewicht, die auch heute noch nach einem Glas Wein schon beschwipst war.

Vielleicht hatte sie aber auch ganz falsche Gedanken bei dem Rückblick auf diese Zeit, dachte sie, während sie die Kuchenteller abtrocknete und wieder in den Schrank stellte. Gerade die Erinnerung an die Jahre zwischen ihrem eigenem vierzehnten Geburtstag und Effies Geburt war etwas schwammig.

Ihre Eltern waren noch nicht einmal volljährig gewesen, als Jem ungeplant auf die Welt gekommen war. Es folgte eine Blitzhochzeit und der Einzug in das winzige Dachgeschoss in Neves Elternhaus. Jem hatte viel Zeit mit ihren mittlerweile verstorbenen Großeltern verbracht und es hatte wenig Platz und wenig Geld gegeben, aber es war eine äußerst glückliche Kindheit gewesen. Jem erinnerte sich daran, dass sie alle viel gelacht hatten.

Mit dem Einzug in das eigene Heim, nachdem Harold einen gut bezahlten Job in Glasgow gefunden hatte, wurde das Familienglück komplett. Das herzige Cottage in Tarbet in den schottischen Highlands lag direkt am Loch Lomond und war nicht weit von dem Haus ihrer geliebten Großeltern entfernt.

Doch Neve wurde ausgerechnet dann wieder schwanger, als Jem nicht nur den schwierigen Übergang vom Kind zum Teenager, sondern auch zur Junghexe durchmachte. Gott sei Dank war Jems Oma da, um ihr dabei zu helfen, während die kleine JoJo Neves Aufmerksamkeit beanspruchte.

Als knapp zwei Jahre später Tessa dazukam, wurde es enger im Rivers-Cottage und auch Harolds gut bezahlter Job hielt die Familie nur noch gerade so über Wasser. Harolds langer Arbeitstag mit der jeweils fast einstündigen Fahrt nach Glasgow und zurück belastete Neve zusätzlich. Nach dem Tod von Neves Mutter beanspruchten Neve wie auch Jem die Hilfe der Hexengemeinschaft, besonders die der Familie von Jems bester Freundin Birdie. Jem fühlte sich dort sehr aufgehoben und war froh über die Ersatzfamilie, als ihre eigenen Eltern kaum mehr Zeit für sie hatten.

Ihr Leben zu der Zeit war ein krasser Gegensatz zu der Kindheit als behütetes und verwöhntes Einzelkind gewesen, aber trotzdem erinnerte sie sich daran, es ihren Eltern nicht übel genommen zu haben. Harold und Neve hatten beide ihr Bestes gegeben und das hatte Jem auch gespürt. Die beiden hatten sich erst so stark verändert, als auch noch Effie dazugekommen war. Wahrscheinlich war das vierte Kind, für das auch noch gesorgt werden musste, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Nein, überlegte Jem jetzt, das Geschirrtuch noch in den Händen, obwohl alle Teller längst wieder im Schrank standen. Das laute Gejohle im Wohnzimmer hatte sie längst ausgeblendet, so sehr war sie in ihre eigenen Gedanken versunken. Nein, es war vor Effies Geburt passiert. Monate vor Effies Geburt sogar, denn Tessa hatte noch nicht laufen können und Jem, JoJo und Tessa hatten ein paar Tage bei Birdie gewohnt. Neve war eine Weile auf einer Kur gewesen.

Jem schüttelte verwirrt den Kopf, als sie versuchte, sich an die zeitliche Abfolge zu erinnern. Es war eine chaotische Zeit gewesen und sie hatte vieles verdrängt. Sie und ihre Schwestern hatten bei Birdie gewohnt, weil Neve für ein paar Tage verschwunden war. Als man sie gefunden hatte, hieß es, sie hätte eine Art Nervenzusammenbruch erlitten. Die Mädchen hatten ihre Mutter gar nicht gesehen, bis es ihr wieder besser gegangen und sie wieder nach Hause gekommen war. Rückblickend wurde Jem klar, dass es wohl eher eine psychiatrische Klinik gewesen sein musste, in die Neve eingewiesen worden war, keine Kurklinik.

Es wurde nicht viel darüber geredet, als Neve wieder »gesund« und daheim war. Jem hatte die anderen Hexen öfter hinter vorgehaltener Hand etwas von »Neve im Wolkenkuckucksheim« tuscheln hören, und die englische Redewendung »away with the fairies« wurde auch öfter im Zusammenhang mit Neve verwendet. Jem fand, beide Ausdrücke passten sehr gut, denn seit dieser Zeit war Neve nicht mehr dieselbe Mutter, die sie ihr einmal gewesen war. Sie war oft völlig geistesabwesend, in ihrer eigenen Welt, irgendwo fernab der Realität, womöglich bei den Feen.

War Neve schon mit zwei kleinen Babys leicht gestresst gewesen, so war sie völlig überfordert, als die kleine Effie dazukam. Wieder mussten die Hexen aus Tarbet einspringen und Jem wurde im Hause Rivers unverzichtbar. Nicht nur ihre Hilfe im Haushalt und bei der Kinderbetreuung wurde erforderlich, sondern auch ihr finanzieller Beitrag wurde notwendig.

Jem hatte schon in den Schulferien für den Loch Lomond and the Trossachs National Park gejobbt und dann dort eine Ausbildung gemacht. Sie arbeitete sich schnell von der Assistentin zum Park Ranger hoch und verdiente mittlerweile nicht schlecht, aber das meiste ihres Gehalts floss in die Familienkasse. Neve war nicht belastbar genug, um zu arbeiten, gab aber gerne mit vollen Händen aus. Aufgrund ihres schwachen Nervenkostüms konnten weder Harold noch Jem viel dazu sagen. Es war nicht so, dass Jem ihren Job nicht mochte – sie liebte es, draußen in der Natur zu sein, sich um die Erhaltung ihrer geliebten Heimat zu kümmern und allein, fernab vom Familientrubel, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen. Materielle Besitztümer waren keine Priorität für sie, und ihr Geld abzugeben, machte ihr nicht viel aus.

Außerdem war sie sehr heimatverbunden, ihre beste Freundin Birdie wohnte ganz in der Nähe und die Gemeinschaft der Hexen gab ihr weiterhin Rückhalt.

Trotzdem sehnte sie sich, je älter sie wurde, immer mehr danach, ein eigenes, unabhängiges Leben zu führen. Obwohl sie die schottischen Highlands sehr liebte, träumte sie seit ihrer Kindheit von fernen Ländern. Sie war noch nie außerhalb der Britischen Inseln in Urlaub gewesen und wollte so gerne einmal die Welt bereisen.

Wehmütig dachte Jem jetzt an den gepackten Koffer, der schon seit Jahren unter ihrem Bett lag. Sie hatte immer darauf gewartet, dass ihre Familie sie nicht mehr so sehr brauchte, auf die Gelegenheit, sich den Koffer zu schnappen und einfach mal abzuhauen, wenn auch nur für kurze Zeit. Mittlerweile verstaubte der Koffer unter ihrem Bett und wurde zum Symbol für einen scheinbar nie zu erreichenden Traum.

Wahrscheinlich sollte sie ihn einfach mal auspacken und sich ein realistischeres Ziel setzen, dachte Jem traurig. Ein eigenes Heim, in der Nähe der Eltern, sodass sie zumindest aushelfen konnte, aber ihr eigenes Leben hatte, das wäre doch vielleicht möglich?

Jems Gedanken wurden plötzlich von einem lauten Geklirr unterbrochen. Alarmiert stürmte sie aus der Küche. Sie hatte überhaupt nicht aufgepasst, was im Wohnzimmer so vor sich ging!

Ein paar Mädchen standen betreten um einen Haufen Scherben herum, während JoJo schon wieder heulte. Tessa, wie immer bereit, das meiste an Drama aus einer nervenaufreibenden Situation herauszuholen, rief theatralisch: »Omas Vase, oh jemine! Mama wird todunglücklich sein!«

Auch Jem sah ihre Mutter schon wieder für Tage im verdunkelten Schlafzimmer liegen und hob die Tonscherben vorsichtig auf. »Passt auf, ich werde die wieder zusammenkleben. Mama wird gar nichts davon mitkriegen.«

Sichtlich erleichtert wischte sich JoJo die Tränen weg. »Meinst du? Es war keine Absicht, ich schwör’s. Wir haben nur die Tanznummer aus High School Musical 12 geübt und …«

Jem legte die Scherbe, die sie gerade aufgehoben hatte, zu den anderen in die leere Chipsschüssel und hob die Hand. »Stopp. Ich will es gar nicht hören. Es ist mir egal, wie es passiert ist. Aber jetzt ist Schluss, okay? Genug gefeiert. Es ist spät und ich habe noch genug damit zu tun, hier wieder aufzuräumen.«

»Aber unsere Eltern holen uns erst um zehn Uhr ab!«, rief eins der Mädchen entsetzt.

»Ja, wir sind doch keine Kinder mehr, die um sechs ins Bett müssen!«, meinte ein anderes patzig.

»Dann ruft eure Eltern eben an und …«

»Das kannst du doch nicht machen«, unterbrach JoJo Jem erzürnt. »Mama hat gesagt, wir können bis zehn feiern.«

»Mama ist aber nicht hier«, gab Jem entnervt zurück und merkte, dass bei ihr ein gewisser Punkt erreicht war. Sie wollte nur noch ins Bett, den Rest vom Kuchen essen und ihre Serie gucken. Sie hatte einen anstrengenden Arbeitstag gehabt und morgen schon wieder Frühschicht.

»Wenn du uns nicht weiterfeiern lässt, dann sagen wir Mama eben, du hast die Vase zerbrochen«, sagte Tessa. »Und dann bist du schuld, dass es ihr wieder schlecht geht.«

Jem wurde ganz still. Ihre Nasenflügel bebten. »Eine Stunde noch. Wer abgeholt werden muss, ruft seine Eltern an und bittet sie, euch in einer Stunde abzuholen. Und ich klebe diese Vase zusammen, damit Mama sich nicht aufregt. Es wird ihr ganz egal sein, wer die Vase zerbrochen hat, und ihr werdet unter ihrer Unpässlichkeit genauso leiden wie ich. Ich weiß, dass ihr das nicht wollt. Deshalb eine Stunde. Keine Widerrede.«

JoJo und Tessa kniffen trotzig die Lippen zusammen, widersprachen aber nicht noch einmal.

Jem nahm die Schüssel mit den Scherben und ging wieder in die Küche. »Deine große Schwester ist soooo spießig«, hörte sie ein Mädchen hinter sich tuscheln. Als die Küchentür hinter ihr zugefallen war, brach Jem in Tränen aus. Ärgerlich wischte sie sie weg, aber sie wollten nicht aufhören. Was war bloß mit ihr los? Es war gar nichts Außergewöhnliches, dass ihre Schwestern frech zu ihr waren. Das war das Alter.

Sie riss sich zusammen und machte den Kühlschrank auf, um eine Snackplatte zusammenzustellen. Es war wieder typisch Neve, dass sie erlaubte, bis spät abends zu feiern, und dann nicht an ein Abendessen dachte.

Es war weit nach Mitternacht, als Jem Wohnzimmer und Küche saubergemacht und die Vase mit Sekundenkleber wieder zusammengeklebt hatte. Ihr fielen vor Müdigkeit die Augen zu, aber als sie sich endlich ins Bett legte, konnte sie nicht schlafen. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zum Koffer unter ihrem Bett zurück.

Sie sollte ihn wirklich mal auspacken.

Jem schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und ging auf die Knie, um den grünen Koffer hervorzuziehen.

Sie klopfte den Staub ab – es musste tatsächlich schon wieder länger her sein, dass sie abgelaufene Hygieneprodukte darin ersetzt hatte – und hievte ihn auf ihr Bett.

Gerade als sie den Reißverschluss öffnen wollte, sprang das Fenster auf. Ein kühler Lufthauch strömte ins Zimmer, sodass die blauen Vorhänge flatterten.

Stirnrunzelnd schaute Jem auf und ging zum Fenster. Draußen wehte ein frischer Wind. Sie musste das Fenster nicht richtig geschlossen haben, sodass es von einem Windstoß aufgedrückt worden war.

Der große Halbmond schien hell am Nachthimmel, bevor eine schnelle Wolke daran vorbeizog und ihn verschleierte. Statt das Fenster zu schließen, steckte Jem den Kopf in die Brise. Sie kam ihr wie eine Einladung vor.

Jem schloss die Augen, atmete tief ein und ließ sich in Gedanken vom Wind in die Lüfte und davon tragen – weit weg von hier.

Sie hatte diese Gedanken schon öfter gehabt, aber heute schien der Sog unwiderstehlich. Ob es der anstrengende Tag, die Grübeleien oder vielleicht der greifbar nah wirkende Mond war, wusste sie nicht, sie war sich einfach mit einem Mal ganz sicher, dass der Moment gekommen war. Dieser Jetzt-oder-nie-Moment, der eine sofortige Entscheidung von einem abverlangte und die Möglichkeit bot, sein Leben für immer zu ändern.

Nein, es war nicht wirklich eine Entscheidung, denn Jems Hände bewegten sich wie von selbst, als sie die Pyjama-Hose abstreifte, eine Jeans anzog und in einen dicken Pullover schlüpfte. Sie schnappte sich ihren kleinen Rucksack mit Portemonnaie, Schlüssel, Handy und anderen Notwendigkeiten. Dann griffen ihre Hände nach dem Stab, der in der Ecke stand.

Ihre Finger strichen zärtlich und fast schon gewohnheitsmäßig über die Einkerbungen, die in das Holz geritzt worden waren. Alte keltische Symbole, die den Eichenholzstecken zu einem ganz besonderen magischen Gegenstand transformierten.

In den Märchen ritten Hexen klischeehaft auf Besen, aber in Wirklichkeit waren ein Bündel Reisig oder Borsten nicht nötig, damit jemand, der Kräfte wie Jem besaß, fliegen konnte. Der Besen war lediglich ein unauffälliger, allgegenwärtiger Gebrauchsgegenstand gewesen, den Hexen zur Zeit der Verfolgung für ihre Zwecke umwandeln konnten. Es gab verschiedene Möglichkeiten, den Besenstiel oder einen Stab zu präparieren, damit er diese Aufgabe erfüllen konnte. Für eine Wetterhexe von Jems Kaliber brauchte es nicht mehr als die einmalige Stabweihe, die sie vor einigen Jahren in Beisein der anderen Junghexen vollzogen hatte.

Jetzt schob Jem den Stab aus dem Fenster. Dann nahm sie den Koffer vom Bett, stellte ihn aufs Fensterbrett und ließ ihn auf der anderen Seite in das weiche Gras des Rivers-Cottage-Gartens fallen. Schließlich zog sie ihren Schreibtischstuhl heran, um besser aus dem Fenster zu klettern, und befand sich wenige Sekunden später selber im Garten hinter ihrem Haus.

Der Mond stand wieder klar am Firmament und die Wolken waren vorbeigezogen, aber Jem streckte die Arme gen Himmel, murmelte ein paar Worte und zog die Wolken wieder heran. Es war, als würde sie die Luftströmungen sehen, gleich unterschiedlich gefärbten dicken Pinselstrichen, ein Regenbogenspektrum von Hochdruck zu Tiefdruck. Sie konnte die verschieden schattierten Flächen mit der Kraft ihrer Gedanken verschieben und manipulieren, sodass sie länger, kürzer, dünner oder breiter wurden. Mit den Händen dirigierte sie ihre magischen Kräfte und malte genau das Bild von Luftdruckgebieten an den Himmel, die die gewünschte Windstärke und Strömung entstehen lassen würden.

Das war ihre besondere Gabe – die Wetterhexen in ihrer Familie hatten unterschiedliche Talente. Sonnenschein und Regen reagierten beispielsweise besonders sensibel auf die Kräfte ihrer Mutter. Neves instabile innere Gefühlswelt hatte manchmal unbeabsichtigte Folgen – gut, dass das Wetter in Schottland so wechselhaft war, dass es keinem auffiel!

Als der Wind sich so verhielt, wie Jem es wünschte, schwang sich auf ihren Stab, der schon in der Luft schwebte, legte die Arme um den Koffer vor sich, um ihn richtig festzuhalten, sagte einen Zauberspruch und …

… flog einfach davon.

Kapitel zwei

Sie flog einfach davon!

Das durfte doch nicht wahr sein. Das konnte sie doch nicht machen, oder?

Sie tat es. Sie tat es schon, und es gab jetzt kein Zurück mehr.

Erst als Jem hoch oben in der Luft und im Schutze der Dunkelheit den Wind ritt, die langen dunklen Haare flatternd hinter sich, wurde sie sich bewusst, was sie gerade fast instinktiv getan hatte.

Entsetzen und Euphorie wechselten sich ab, als sie gen Süden flog. Süden – oh, welche Möglichkeiten hatte sie wohl, wo würde sie zuerst hin wollen? Barcelona? Marokko vielleicht sogar? Ihre alten Träume kehrten wie gute Freunde, die man länger nicht gesehen hatte, wieder zurück und sie begrüßte sie mit offenen Armen, oder besser gesagt, einem offenen Herzen. Die bunten Farbklekse von Gaudis fantasievollen Märchenhäusern im Park Güell und dann das Indigoblau maurischer Fliesen tanzten verführerisch vor ihren Augen.

Natürlich konnte sie nicht den ganzen Weg auf ihrem Stab fliegen, meldete sich ihre Stimme der Vernunft. Sie musste einen Flughafen ansteuern und von dort aus den nächsten Flieger nach Spanien nehmen. Sie hatte Geld auf ihrem persönlichen Konto, eifrig gespart, trotz der Forderungen ihrer Familie, und Gott sei Dank hatte sie an den Rucksack mit dem Portemonnaie inklusive EC-Karte und Ausweis gedacht.

Ob ihr Handy wohl noch aufgeladen war? Das Ladekabel hatte sie natürlich nicht dabei und sie sollte wenigstens ihren Chef anrufen, statt einfach nicht zur Frühschicht zu erscheinen. Das würde ein unangenehmes Gespräch werden!

Und ihre Familie musste sie doch auch noch benachrichtigen, die würden sich natürlich Sorgen machen. Wieso hatte sie denn bloß keinen Brief mit einer kurzen Erklärung hinterlassen?

Was tat sie eigentlich gerade – war sie völlig verrückt geworden? Sie konnte doch nicht einfach so sang- und klanglos abhauen!

Bevor sie sich daran machen konnte, umzukehren und dafür den Wind zu drehen, nahm dieser unerwartet zu und der Stab ruckelte unsanft hin und her. Der Koffer glitt ihr aus den Händen und fiel herunter.

Na super, auch das noch! Es war auch eine wirklich blöde und unpraktische Idee gewesen, einen Koffer auf dem Stab balancieren zu wollen. Wenigstens in einen großen Rucksack hätte sie die Sachen umpacken sollen, das wäre vernünftiger gewesen. Ach, sie hätte nicht einfach so unüberlegt mit dem Stab losfliegen sollen, ohne einen Plan. Eine solche Impulshandlung war gar nicht ihre Art und jetzt sah man ja, was dabei herauskam.

Mühsam drehte Jem den Stab in der Luft – das gerade immer unberechenbarer werdende Wetter machte es ihr nicht einfach – und schaute nach unten, wo der Koffer irgendwo gelandet war. Sollte sie aufsetzen und den Koffer wieder einsammeln oder zurückfliegen und den Koffer dann mit dem Auto holen? Angesichts des aufziehenden Sturms, mit dem sie gar nichts zu tun hatte, flog sie besser sofort zurück.

Jem sah, wie nahe sie sich am Ufer des Loch Lomonds befand und hoffte bloß, dass der Koffer nicht ins jetzt unruhige Wasser des Sees gefallen war. Doch dann bemerkte sie noch etwas anderes.

Ein Auto, das quer auf der Straße stand. Sonst herrschte noch kein Verkehr auf der A82, die von Tarbet südlich entlang des Seeufers in Richtung Balloch führte.

Erst sah Jem nur im Lichtstrahl der Scheinwerfer, dass es angefangen hatte zu regnen, dann spürte sie die immer dicker werdenden Tropfen auf Haut und Haaren. Sie spähte angestrengt nach unten, ob sie Menschen ausmachen konnte, aber die Wetterbedingungen erschwerten ihr die Sicht.

Offensichtlich ein Unfall, und es konnte gut sein, dass jemand Hilfe brauchte.

Das einzig Richtige, was Jem tun konnte, war zu landen und nachzuschauen.

Sie steuerte auf den Boden zu und setzte ein gutes Stück entfernt vom Auto auf. Wenn dort jemand an der Unfallstelle war, dann musste derjenige ja auch nicht unbedingt sehen, wie sie vom Himmel runterflog.

Ihren Stab in einer Hand hielt Jem die andere schützend über die Augen. Der Regen klatschte ihr jetzt ins Gesicht und der Wind hatte so stark zugenommen, dass sie kaum vorwärtskam.

Sie kämpfte sich wie durch eine nasse Wand in Richtung Auto und hörte schließlich eine Stimme.

»Hallo? Hallo, bitte helfen Sie mir!«

Eine Gestalt kam um das Auto herum. Jem starrte angestrengt und kämpfte sich weiter voran. Es sah so aus, als ob der Mann, ja, jetzt sah sie, dass es ein Mann war, Schwierigkeiten hatte, sich aufzurichten. Seine rechte Hand umklammerte den linken Oberarm. Er war augenscheinlich verletzt. War das Blut, das an ihm herunterströmte, oder spielte der Regen ihren Augen einen Streich?

Nein, Regen konnte es nicht sein, merkte Jem verdutzt, als sie plötzlich im Trockenen stand. Auch der Wind hatte abrupt aufgehört. Es war, als befände sie sich auf einmal in einem Vakuum, war Jems Gedanke, während sie den Mann anstarrte. Dunkle Haare, ein fast schon zu perfekt symmetrisches Gesicht mit fein geschnittenen Zügen, dunkle Augen, die in ihre Richtung zurückstarrten, dunkle Kleidung und ein blutender Arm.

Der Kopf des Mannes drehte sich und sein Mund bewegte sich.

Er sagte wohl etwas, aber Jem war so gefangen von den schön geschwungenen Lippen und verwirrt von der surrealen Situation, dass sie außer einem Rauschen in ihren Ohren nichts wahrnahm.

Sie folgte dem Blick des Mannes und begriff, dass das Rauschen nicht aus ihr, sondern von über ihr kam. Die Nacht wurde dunkler, als eine riesige Welle wuchs und über ihnen aufragte.

Dann herrschte völlige Dunkelheit.

Kapitel drei

»Jem? Jemima!«

Jems Augenlider flatterten auf und sie blickte in ein bekanntes Gesicht. Sie war jedoch noch zu benommen, als dass sie gleich auf den Namen der Frau kam, die sich über sie beugte. Für ein paar Sekunden betrachtete Jem die gerunzelte Stirn, die sorgenvoll dreinschauenden Augen und den blonden Pferdeschwanz, der der Frau über die Schulter fiel.

»Kenna«, krächzte Jem schließlich. Es war Inspektor Kenna Maxwell, die ursprünglich aus der Gegend stammte, aber erst vor Kurzem wieder in ihre Heimat zurückversetzt worden war. Schon bei ihrem ersten Fall – dem Tod der ehemaligen Oberhexe Mary MacDonald – war Kenna mit den Hexen in Kontakt gekommen und schließlich sogar in deren Geheimnis eingeweiht worden. Jem kannte die blonde Polizistin nicht sehr gut, vertraute ihr aber, und war froh, sie in dieser verwirrenden Lage zu sehen.

»Was … wo bin ich …?« Jem versuchte sich aufzurichten, doch ihr Körper fühlte sich völlig steif an.

»Langsam, langsam«, meinte Kenna und sanft. »Bist du sicher, dass du aufstehen kannst? Bist du verletzt?«

Jem wurde sich ihrer Situation bewusst. Sie lag auf der Straße – kein Wunder, dass ihre Glieder steif vor Kälte waren.

---ENDE DER LESEPROBE---