Die Tote am Turm – Ein Insel-Krimi - Amanda Partz - E-Book

Die Tote am Turm – Ein Insel-Krimi E-Book

Amanda Partz

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Beschreibung

Wangerooge in einer Maiennacht. Eine junge Frau liegt tot in der Nähe des Westturms. War es ein Unfall? – Eindeutige Indizien für ein Fremdverschulden gibt es zunächst nicht. Die Inselpolizei nimmt Ermittlungen auf, die jedoch bald darauf im Sande verlaufen.
Da bittet Molly Petersen, Großmutter des Opfers, ihren alten Freund Andreas Fechtmann um Hilfe. Denn Molly glaubt nicht an einen Unglücksfall und kämpft darum, die Umstände von Judiths Tod aufzuklären.
Stück für Stück erhält Andreas Einblick in Judiths Geschichte, die tragisch und schmerzvoll ist. Der Fall fordert ihn persönlich in mehrfacher Hinsicht – und führt ihn an den Rand eines geradezu höllisch anmutenden Abgrundes.

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Antje Ippensen & Amanda Partz

 

 

 

 

Die Tote am Turm

 

 

 

 

Insel-Krimi 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Oskar Walder nach Motiven, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. 

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Die Tote am Turm 

Prolog 

Kapitel 1 

Kapitel 2 

Kapitel 3 

Kapitel 4 

Kapitel 5 

Kapitel 6 

Kapitel 7 

Kapitel 8 

Kapitel 9 

Kapitel 10 

Kapitel 11 

Kapitel 12 

Kapitel 13 

Kapitel 14 

Kapitel 15 

Epilog 

Weitere Romane von Amanda Partz 

 

Das Buch

 

 

 

Wangerooge in einer Maiennacht. Eine junge Frau liegt tot in der Nähe des Westturms. War es ein Unfall? – Eindeutige Indizien für ein Fremdverschulden gibt es zunächst nicht. Die Inselpolizei nimmt Ermittlungen auf, die jedoch bald darauf im Sande verlaufen.

Da bittet Molly Petersen, Großmutter des Opfers, ihren alten Freund Andreas Fechtmann um Hilfe. Denn Molly glaubt nicht an einen Unglücksfall und kämpft darum, die Umstände von Judiths Tod aufzuklären.

Stück für Stück erhält Andreas Einblick in Judiths Geschichte, die tragisch und schmerzvoll ist. Der Fall fordert ihn persönlich in mehrfacher Hinsicht – und führt ihn an den Rand eines geradezu höllisch anmutenden Abgrundes.

 

 

***

 

 

Für Una

 

 

***

Die Tote am Turm

 

Prolog

 

Brausend, fast aggressiv fuhr der Nachtwind über die Insel, trieb die Wolken, aus denen Regen fiel, erbarmungslos voran. Auch das Meer schlug hohe Wellen, welche sich an den Deichen brachen. Es ächzte wie ein verwundetes Tier und mahnte gleichzeitig jeden, der den Mut besaß, sich zu dieser späten Stunde noch draußen aufzuhalten, so schnell wie möglich den Heimweg anzutreten.

Aber das konnte die junge Frau nicht, die in halsbrecherischem Tempo den Deich entlangjagte. Die Räder ihres alten Fahrrades quietschten laut, protestierten gegen diese Behandlung, doch sie achtete nicht darauf. Stattdessen beschleunigte sich, nach einem flüchtigen Blick über die Schulter, ihr Tempo erneut. Nackte Angst flackerte in den tiefgrünen Augen, und die Salzluft brannte schmerzhaft in ihren Lungenflügeln, dennoch fuhr die junge Frau weiter, wagte nicht, auch nur eine Sekunde lang abzubremsen. Es ging um ihr Leben, das wusste sie, auch wenn die Tatsache noch immer ein wenig surreal schien.

Niemals hätte sie gedacht, dass es so weit kommen würde. Seit dem Ereignis waren weniger als fünf Stunden vergangen und trotzdem hatte ihr Leben sich um 180 Grad gedreht. Wie das sein konnte, verstand die junge Frau immer noch nicht. Sie hatte gehofft, vertraut … und jetzt …?

Tiefer Schmerz loderte in ihrer Brust, sie versuchte, so gleichmäßig wie möglich zu atmen. Was sich jedoch als schwierig herausstellte, da ihr Körper langsam, aber sicher erste Anzeichen von Erschöpfung zeigte. Ihre Beine begannen zu zittern. Verdammt. Ihre Finger schlossen sich noch fester um den Lenker, sie durfte nicht aufgeben, nicht hier und nicht jetzt. Sie hatte noch so viel vor und außerdem keinen Fehler begangen. Obwohl ein Großteil der Leute mit Sicherheit anderer Meinung war. Sie fühlte die filigrane Goldkette, ihr wertvollstes Kleinod, auf ihrer Haut. Es war großes Glück, das ER das Kettchen bei dem Streit nicht bemerkt hatte, sonst wäre sie vermutlich nicht mehr da.

Eine Träne löste sich aus ihren Augenwinkeln, wurde vom Wind weggerissen und ihre Furcht flammte grell auf. ER war immer noch hinter ihr. Hören konnte sie ihn nicht, doch sie wusste, er verfolgte sie. Der Schatten eines viereckigen Gebäudes zischte regelrecht an ihr vorbei, doch sie konnte sich nicht erinnern, um welches es sich handelte. Dafür wurden die surrenden Geräusche hinter ihr immer lauter – Geräusche, die nicht natürlichen Ursprungs waren – und ihre Angst gipfelte erneut. Gänsehaut legte sich auf die nackten Arme, als abermals Panik von ihr Besitz ergriff. Sie musste es schaffen, durfte nicht aufgeben. Sie war jung, hatte noch so viel vor. Besonders dieser eine Traum … Aufgeben war keine Option.

Sie radelte weiter, obwohl der Schmerz in ihren Beinen brannte und der Wind ihr den Regen ins Gesicht peitschte. Ja, der Wind kam von vorn, aus dem Osten, und sie fuhr jetzt im Stehen, um sich ihm entgegenzustemmen. Es musste klappen. Irgendwie.

Rrrrrssst. Die junge Frau blickte über ihre Schulter zurück. Ja, jetzt hörte sie das Surren überlaut, und wieso? Weil ER schon ganz nah war. Eisiger Schreck packte sie. Ein grelles Licht blendete ihre Augen und das Fahrrad schlingerte. Das Surren des Elektrokarrens klang so laut wie das Geräusch eines zornigen Riesenmoskitos.

Ein Aufprall, hart. Ein Schrei. Ihr eigener? Danach nichts mehr … nur noch ganz viel Dunkelheit.

 

 

Kapitel 1

 

Es war noch dunkel, als Hans zu seiner »Patrouille« aufbrach, wie immer, und doch ließ sich im Osten bereits der erste helle Morgenschimmer über dem Meer erahnen. Die ersten Vögel sangen. Hans trug wetterfeste, warme Kleidung und seine geliebte Kapitänsmütze, alles war einheitlich marineblau. In der Hand trug er eine leistungsstarke Taschenlampe, die er eigentlich aber nicht brauchte, denn er kannte seinen Weg in- und auswendig. Seit wie langer Zeit litt er schon unter Schlaflosigkeit und wanderte um die Insel, anstatt sich im Bett zu wälzen? Er hatte längst aufgehört, die Jahre zu zählen, die wie Sand verweht waren.

Noch ein kräftiger Schluck aus der Buddel, und es konnte losgehen.

Der Schnaps wärmte ihn angenehm. Es hatte eine Phase gegeben, da hatte er zu viel von dem Zeug in sich hineingekippt, und fast wäre er in den Alkoholismus abgestürzt. Ihre Augen waren es gewesen, die ihn davon abgehalten hatten. Der entsetzte Ausdruck in ihnen, auch wenn nur seine Vorstellungskraft diesen Ausdruck hineinzauberte. Das Gesicht seiner geliebten Frau, die nur noch eine Erinnerung war, begann seit kurzem ein wenig zu verblassen, was ihn manchmal erschreckte. Dann wiederum akzeptierte er es und pflegte halblaut zu sich selbst zu sagen: »Ist gut so.« Selbstgespräche führte er schon so lange, dass sie ihm normal und natürlich vorkamen.

Die meisten Inselbewohner hielten Hans deshalb für einen komischen Kauz, ein schrulliges Original. Er wusste das, machte sich aber nicht allzu viel daraus.

Er ließ den Leuchtturm hinter sich und hielt auf den Westturm zu, ein beeindruckendes Bauwerk, eine der Sehenswürdigkeiten der Insel Wangerooge und ihr Wahrzeichen. In der Nacht musste es ordentlich gestürmt haben, denn er bemerkte Spuren davon – kleine Hölzer, die herumlagen, abgerissene Blüten, mehr Sandverwehungen auf dem Weg, wo normalerweise keine waren, und zudem blies es immer noch stark. Die brausende Melodie des Seewindes füllte seine Ohren und ließ ihn mit offenen Augen träumen. Ja, letzte Nacht hatte es einen Sturm gegeben, allerdings war er wohl nicht heftig genug gewesen, um die Fensterläden seines Häuschens zum Klappern zu bringen. Geregnet hatte es auch, aber nicht besonders viel. Als er einmal die Taschenlampe kurz anknipste, sah er die typischen Lochmuster im Sand von Regentropfen, doch der Weg war nur vereinzelt mit ihnen gesprenkelt. Alles in allem ein bescheidener Sturm, den niemand weiter beachten, den man nicht einmal in den Nachrichten erwähnen würde.

Der Wind ruhte hier ohnehin niemals. Hans liebte jede steife Brise, auch orkanartige Böen, die die Brandung um die Insel herum noch kräftiger machten – der Nordseewind war für ihn einer der Gründe gewesen, nach Wangerooge zu ziehen. Damals, vor so vielen Jahren.

Ja, er hatte sich in die Insel verliebt und er setzte auf den Tourismus. Mit seiner Frau zusammen wollte er eine kleine Ferienpension eröffnen und selbst dort leben, wo andere Menschen Urlaub machten. Kassel im Nordhessischen, woher er stammte, war im Grunde genommen auch eine Stadt, in der es sich gut leben ließ, aber sie beengte ihn und er besann sich damals wieder auf seine Wurzeln. Väterlicherseits entstammte Hans nämlich einem alten Friesengeschlecht.

Anja, seine Frau, war gleich Feuer und Flamme für die Idee. Sie hatten ein Töchterchen namens Isolde, fünf Jahre alt, und als sie ihr sagten, sie zögen jetzt für immer ans Meer, auf eine Insel, wo es Sandstrände und Muscheln und ganz, ganz viele Wellen gäbe, jauchzte und jubelte die Kleine minutenlang. »Meer! Meer! Meer!«, quietschte sie und ihr feines blondes Haar umwirbelte ihr niedliches Gesicht, während sie immer wieder in die Luft sprang.

Hans bereitete also alles sorgfältig und liebevoll vor. Wangerooge, fand er, war der ideale Platz, um ein Kind großzuziehen: autofrei, naturnah, friedlich, überschaubar. Vielleicht, träumte er damals, entwickelten sich die Dinge so gut, dass sie sich entschließen würden, ein weiteres Kind zu bekommen.

 

*

 

Es war auch ein Frühlingstag gewesen wie dieser hier, ein windiger Tag im Mai.

Auf dem Weg zu Hans, der sie voller Vorfreude erwartete, kamen Anja und Isolde bei einem schrecklichen Verkehrsunfall auf der Autobahn ums Leben. Beide waren auf der Stelle tot, und es dauerte lange, sehr lange, bis Hans das überhaupt auch nur akzeptieren konnte.

Eine Zeit lang nach diesem Schicksalsschlag spielte er mit dem Gedanken, Wangerooge wieder zu verlassen, doch irgendetwas hielt ihn fest. War es der Wind, der ihm immer wieder flüsternd unverständliche Worte zuraunte?

Seine Ferienpension eröffnete er nie, gab sie ab und zog in ein kleines Haus am Dorfrand. Nachdem seine Ersparnisse aufgezehrt waren, wurde er eine Art »Mädchen für alles«. Da er handwerklich geschickt war, verdingte er sich bei jedem, der ihn auf der Insel brauchte. Durch Mundpropaganda verbreitete sich in der kleinen Inselgemeinschaft sein Ruf rasch, und so wurde aus ihm der etwas kauzige, wortkarge Allroundhelfer, den alle wertschätzten.

Zwanzig Jahre lag der Tag zurück, an dem er Frau und Kind verloren hatte, und obwohl sie in seinen Träumen oft da waren, lebendig und meistens so jung wie damals – hin und wieder sah er auch eine ältere Isolde vor sich, als Teenagerin, mit einer Anja, die erste Fältchen im Gesicht hatte – verblichen sie tagsüber und er entfernte sich weiter und weiter von ihnen. Eine neue Bindung wollte er nicht eingehen, und mittlerweile wäre es dafür wohl auch zu spät gewesen. Ich bin ein verschrobener, seltsamer Kerl, wer will mich schon haben, dachte der kräftig gebaute Endfünfziger oft. Nein, da ist es schon besser, allein zu leben. 

 

*

 

Der raue Schrei einer frühen Möwe drang an sein Ohr. Und dann war da wieder das Brausen und Rauschen der Nordseewellen. Auch wenn er es im Moment nicht sehen konnte, das Meer war immer da, gleichgültig an welchem Punkt der Insel er sich befand, es war nie fern, und tröstete ihn. Ja, es war gut, auf Wangerooge zu leben, dieser friedvollen Insel, die aus der Luft betrachtet wie ein Seepferdchen aussah.

Die Stimme des Windes verebbte zu einem weichen Säuseln. Zwar hatte die Touristensaison bereits eingesetzt und der Strom der Erholung suchenden Gäste nahm stetig zu, aber richtigen Trubel würde es erst in ein, zwei Monaten geben, und dann auch nicht zu einer so frühen Stunde. Jetzt gehörten die Stille und der Frieden ganz allein ihm.

Auch rund um den markanten Turm war keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Direkt neben dem himmelwärts strebenden Bau erstreckte sich das großzügige Jugendherbergsgebäude, das erst seit dreizehn Jahren existierte. Dieser Westturm war bereits der dritte mit dieser Bezeichnung: Der erste entstand im 14. Jahrhundert, damals war er einfach nur ein Kirchturm im Inselturm, und er fiel relativ schnell der gierigen See zum Opfer. Bremer Handelsfahrer hatten das Bedürfnis nach einer Landmarke und so wurde der zweite Westturm errichtet. Von 1602 bis 1914 hütete er die Geschicke der Insel und wurde dann, schon stark mitgenommen, rissig und mit »den Füßen« im Wasser stehend, angeblich aus militärischen Gründen gesprengt. Westturm Nummer 3 hatte zunächst auch ein hartes Los gezogen; im »Dritten Reich« wurde er von den Nationalsozialisten als Indoktrinierungszentrum für die Jugend missbraucht. Bis es nach dem Zweiten Weltkrieg ein Happy End für den prachtvollen Turm gab, der als Wahrzeichen Wangerooges, schon vom Festland aus sichtbar, gar nicht mehr wegzudenken war.

Hans näherte sich den vertrauten Umrissen des Westturmes und der Jugendherberge, passierte beide Gebäude und wollte seinen Weg fortsetzen, als er plötzlich ein ungewöhnliches Geräusch hörte. Es klang wie ein Winseln. Hans blieb abrupt stehen.

Alarmiert setzte er sich wieder in Bewegung, traumwandlerisch sicher bewegte er sich in die Richtung, aus der die befremdlichen Laute kamen. Er musste seine Taschenlampe nicht benutzen, denn obwohl es um ihn herum nur langsam morgendämmerungsheller wurde, hatten sich seine Augen so sehr an die noch immer vorherrschende Düsternis gewöhnt, dass er genug erkennen konnte.

Er entfernte sich ein wenig vom Weg und gelangte zwischen zwei reichlich mit Strandhafer und -flieder bewachsene Dünen. Um die eine Düne bog er herum – und da sah er den Hund. Ein schönes, mittelgroßes, pechschwarzes Tier war es, mit langer keilförmiger Schnauze, großen Augen und einem verkürzten buschigen Schweif.

Der Hund lag da, den Bauch in den Sand gepresst, und zitterte am ganzen Leibe. Er knurrte nicht, als Hans sich ihm vorsichtig näherte, sondern fiepte nur wieder gottserbärmlich.

»Ganz ruhig, braver Bursche. Ganz ruhig …«

War das Tier vielleicht verletzt? Hans ging neben ihm in die Hocke und hielt ihm zuerst die Hand vor die Schnauze. Der Hund schnupperte an ihr. Übrigens könnte es auch eine Hündin sein, dachte er.

Blitzartig durchzuckte Hans die Erinnerung an seine kleine Tochter, die sich so sehr einen Hund gewünscht hatte. Er hatte ihr versprochen, sie bekäme einen, sobald sie sich auf Wangerooge eingelebt hätten.

»Hundi, Papa! Hundi!«, hatte sie gerufen und in die Händchen geklatscht.

Ein schmerzlicher Stich durchfuhr Hans’ Brust. Er biss die Zähne zusammen und widmete sich der Untersuchung dieser armen Kreatur.

Ja, der Hund war in der Tat verletzt – als Hans ihm über die Flanken strich, war seine Hand nass von Blut. Er nahm nun doch die Taschenlampe zu Hilfe, um die Wunde zu untersuchen. Wie mochte denn das passiert sein? Und was war das: Etwa der Abdruck eines genagelten Stiefels? Welcher verdammte Tierquäler hatte dem Hund das angetan?

Um ganz sicher zu gehen, müsste er den Vierbeiner wohl zu einem Tierarzt bringen, damit dieser die richtige Diagnose stellte, aber für ihn stellte sich der Fall recht eindeutig dar: Jemand hatte diesen Hund misshandelt, ihn unter Schlägen und Tritten davongejagt.

Hans hatte immer ein Erste-Hilfe-Päckchen mit dabei und darin fand er Verbandszeug. Er verarztete die Wunden des Hundes, so gut es ging, eben nur provisorisch, und das Tier, das überaus gutartig und sanftmütig sein musste, ließ sich das still gefallen und hörte danach sogar auf zu fiepen. Dankbar leckte es die Hand seines Helfers.

Vielleicht waren die Wunden doch nicht so schlimm, wie sie anfangs gewirkt hatten – jedenfalls stand der Hund kurz darauf wieder auf seinen vier Pfoten, wedelte mit dem zu kurzen Schweif und schaute Hans seelenvoll an.

»Du bist ein kluger Hund«, murmelte der Mann und streichelte den schmalen Kopf mit den weichen Ohren.

Auf einmal aber stieß die Hundenase in die Luft – das Tier witterte etwas.

Es trug weder Geschirr noch Halsband, erst recht keine Leine, und so konnte Hans nichts tun, als hinterherzulaufen, als der Hund, ein wenig steif, in nördliche Richtung lief, immer wieder witternd.

 

*

 

Und dann blieb er stehen und jaulte.

War der Fund des verletzten Tieres schon aufwühlend gewesen, so war das ein Kinderspiel, verglichen mit der entsetzlichen Entdeckung, die Hans nun machen musste.

Halb im Sand vergraben – ohne die Spürnase des Vierbeiners hätte er nichts gesehen, wäre der Fund wahrscheinlich erst viel später, wenn überhaupt jemals, gemacht worden – lag eine Leiche mit dem Gesicht nach unten. Der Sturm der letzten Nacht hatte den Sand so sehr verweht, dass dieser den Körper fast vollständig bedeckte – nur die langen roten Haare waren noch gut sichtbar, und an ihnen schnupperte der Hund, wich dann scheu zurück, jaulte wieder.

Hans trat näher. Schaltete abermals die Taschenlampe ein. Der tote Mensch war ein Mädchen, bestimmt nicht älter als Anfang zwanzig. Er sah das getrocknete Blut, das im Haar klebte. Er schluckte trocken. Geschah das wirklich? Auf seiner friedlichen Insel? Was mochte hier vorgefallen sein – ein Unfall? Oder etwa …

Mit ungelenken Fingern holte er sein Handy hervor, das er nur selten nutzte, und wählte den Polizeinotruf der Insel. Die Nummer war gespeichert; aber er hätte nie gedacht, dass er sie einmal würde benutzen müssen.

Danach setzte er sich an den Rand der Düne, an deren Fuß er und der Hund jenen grausigen Fund gemacht hatten. Das verletzte Tier schmiegte sich dicht an ihn und er streichelte es.

Seine freie Hand tastete nach dem Flachmann.

Jetzt brauchte er wirklich dringend noch einen Schluck.

 

 

Kapitel 2

 

»Was haben wir?« Grob schlug Kommissar Friedwald die Tür seines Wagens hinter sich zu.

Er hasste es, so früh aus dem Bett geworfen zu werden, und trotzdem gehörte dies seit Jahren zu seinem Job. Obwohl – das musste der Mittdreißiger zugeben – die Kriminalitätsrate auf der Insel sehr niedrig war. Ein paar Taschendiebstähle hier, ein paar Einbrüche da, etcetera – besonders zur Hauptsaison, wenn die Touristen auf die Insel kamen und dabei sehr oft vergaßen, dass man auch und gerade im Urlaub sein Hab und Gut im Auge behalten sollte. Aber eine Tote? So etwas hatte er noch nie erlebt und das war Anlass genug, seinen Dienstwagen aus der Garage zu holen, wobei er schon fürchtete, dass der Motor eingeschlafen wäre. Kein Wunder, schließlich war er einer der wenigen Bewohner, der ein gewöhnliches Auto besaß, und benutzen tat er es äußerst selten. Ein mysteriöser Todesfall erforderte es, dass er so schnell wie möglich zur Stelle war, und so hatte er tüchtig aufs Gas gedrückt. Zu dieser frühen Stunde waren die autofreien Straßen der Insel auch frei von Menschen.

Ein Mann von der Spurensicherung kam ihm entgegen, strahlte die Selbstsicherheit des Spusi-Leiters aus. Er hieß Sven Kröger und er nahm auch ›normale‹ Polizeiaufgaben wahr, sofern erforderlich. In seinem weißen Schutzanzug wirkte er im fahlen Morgenlicht wie ein Außerirdischer. Der Inselkommissar räusperte sich; jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Scherze. In seinen Adern kribbelte es, auch wenn er es nie zugegeben hätte. Friedwald war der einzige reguläre Polizeibeamte vor Ort. Sein junger Kollege Thorsten Mertens hatte Schlaf bitter nötig, war er doch vor kurzem erst Vater geworden.

»Weiblich, geschätzt Anfang 20, muss mit dem Fahrrad recht plötzlich vom Weg abgekommen und gestürzt sein. Vermutlich hat sie diesen Stein hier …« Kröger wies auf ein mittelgroßes, mit Moos bedecktes Exemplar. »… übersehen.«

Friedwald nickte. Er musterte das einfache, alte schwarze Damenfahrrad, das im Sand lag und unbeschädigt wirkte. Nichts sprach bisher für ein Fremdverschulden, obwohl …

»Identität?«

»Bisher wissen wir noch nichts Genaues. Sie hatte keine Ausweispapiere dabei und auch kein Handy. Und keiner von uns kennt sie.«

Friedwald presste die Lippen aufeinander. Fälle mit unbekannten Personen waren von vornherein kompliziert. Man musste erst herausfinden, um wen es sich bei der Toten überhaupt handelte, bevor man mit den Ermittlungen, sofern notwendig, beginnen konnte. Eine perfekte Methode für den Täter, wenn es einen gab, um Zeit zu gewinnen oder auch einen Fluchtplan zu schmieden.

»Todeszeitpunkt?«

»Gestern zwischen ein und zwei Uhr morgens.«

Ruckartig wandte der junge Kommissar den Kopf und schaute sein Gegenüber an.

»Ganz sicher?«

Ein Nicken war die Antwort und Friedwald schürzte die Lippen. Ein Fahrradsturz war auf Wangerooge nichts Ungewöhnliches. Da es im Regelfall keine Autos, sondern vielmehr Pferdekutschen und Elektrokarren – für Gepäck – gab, griff ein Großteil der Bewohner und auch Touristen gerne auf den Drahtesel zurück, auch wenn er es nur begrenzt nachvollziehen konnte. Sein Fahrrad war Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger. Aber …

Wer um alles in der Welt ist so bescheuert und fährt mitten in einer regnerischen Nacht spazieren?

Friedwald rieb sich die Schläfen, um besser nachdenken zu können. Ja, es hatte letzte Nacht geregnet und gestürmt. Daran erinnerte er sich genau, denn seine Müdigkeit hing unmittelbar damit zusammen. Wie sollte man schlafen, wenn die Regentropfen erbarmungslos auf das Dach trommelten und gegen die Fensterscheiben klatschten?

Er unterdrückte ein Gähnen und fragte Sven Kröger nach dem Entdecker der Leiche, der die Polizei informiert hatte.

»Hans hockt da drüben auf dem Dünenkamm, mit seinem Hund. Ich wusste gar nicht, dass der einen Hund hat.«

Friedwald nickte unverbindlich und stapfte dann zu dem Mann hin. Selbstverständlich kannte auch er den etwas kauzigen Sonderling der Insel. Der Hund hob zuerst den Kopf, während der stämmige Endfünfziger sich nicht rührte. Zweifellos hatte der Leichenfund ihm einen Schock versetzt. Friedwald zwang sich, Hans ruhig und freundlich anzusprechen, auch wenn das nicht so seine Art war.

Am Rande registrierte er, dass der Hund einen Verband um den Leib trug, der sich hell vom pechschwarzen Fell abhob.

»Tragisch«, begann Friedwald das Gespräch, »ist hart, plötzlich auf einen toten Menschen zu stoßen. Gut, dass Sie uns gleich angerufen haben.«

Jetzt schaute Hans auf, und seine Alkoholfahne wehte dem Kommissar entgegen.

»Der Hund hat sie entdeckt«, murmelte er tonlos, »sie war ja fast völlig im Sand vergraben.«

Der Kommissar nickte. »Wir haben den Körper der jungen Frau jetzt freigelegt. Auch gut, dass Sie sie nicht angerührt haben.«

»Darf man nicht. Ich lese viele Krimis.«

»Kam sie Ihnen bekannt vor?«

Hans schüttelte den Kopf.

»Ich will sie mir jetzt gerade ansehen. Begleiten Sie mich? Sie könnten uns einen großen Dienst erweisen, wenn Sie sich das Opfer doch noch einmal genau ankucken.

---ENDE DER LESEPROBE---