Die Verlockung der Assassine - Thea Harrison - E-Book

Die Verlockung der Assassine E-Book

Thea Harrison

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Beschreibung

Ein Muss für alle Fans der Elder-Races-Serie der Erfolgsautorin Thea Harrison: Die Dunkle Fae Xanthe musste ihr Leben lang ihre Gefühle verstecken, denn als Assassine und Leibwächterin der Königin stehen ihre Pflichten über allem anderen. Für Emotionen ist kein Platz! Doch als sie auf Aubrey Riordan trifft, weckt dieser eine noch nie gekannte Leidenschaft in ihr. Aber Aubrey muss um sein Leben fürchten: Seine frühere Gefährtin hat versucht die Königin zu töten - in seinem Namen. Dieser Verrat sitzt tief, und ein erneuter Anschlag auf sein Leben, stürzt ihn abermals in große Gefahr. Xanthe setzt nun alles aufs Spiel, Aubrey zu retten ... auch ihr eigenes Leben! Diese Kurzgeschichte ist zusammen mit "Das Herz des Wolfes", "Die Stimme der Jägerin" und "Die Augen der Medusa" in der Anthologie "Berührung der Dunkelheit" erscheinen.

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Seitenzahl: 177

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Anmerkung der Autorin

1

2

3

4

5

6

7

Epilog

Die Autorin

Die Romane von Thea Harrison bei LYX

Impressum

THEA HARRISON

Die Verlockung

der Assassine

Ins Deutsche übertragen

von Cornelia Röser

Zu diesem Buch

Die Dunkle Fae Xanthe musste ihr Leben lang ihre Gefühle verstecken, denn als Assassine und Leibwächterin der Königin stehen ihre Pflichten über allem anderen. Für Emotionen ist kein Platz! Doch als sie auf Aubrey Riordan trifft, weckt dieser eine noch nie gekannte Leidenschaft in ihr. Aber Aubrey muss um sein Leben fürchten: Seine frühere Gefährtin hat versucht die Königin zu töten – in seinem Namen. Dieser Verrat sitzt tief, und ein erneuter Anschlag auf Aubrey stürzt ihn abermals in große Gefahr. Xanthe setzt nun alles aufs Spiel, Aubrey zu retten … auch ihr eigenes Leben!

Anmerkung der Autorin

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Verlockung der Assassine zu schreiben, war mir aus mehreren Gründen eine große Freude. In dieser Geschichte konnte ich den Handlungsbogen über die geheimnisvollen Tarot-Karten der Alten Völker zu Ende bringen. Ich durfte endlich, nach so langer Zeit, wieder nach Adriyel zurückkehren, ins Land der Dunklen Fae, um Tiago und Niniane wiederzusehen, den Held und die Heldin aus Gebieter des Sturms. Außerdem hatte ich hier die Gelegenheit, für Aubrey und Xanthe, zwei Figuren, die es wirklich verdient hatten, nach einer langen, schweren Reise ein »und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende« zu schreiben.

Ein weiteres »Glücklich und zufrieden« gibt es für eine Cameo-Figur, eine sechs Jahre alte Wyr-Hauskatze mit dem Spitznamen Maus, die ihre eigene schwere Reise hinter sich hat. Diese Figur stammt von der Gewinnerin des Wettbewerbs »Erschaffe eine Figur der Alten Völker«, bei dem viele von euch wunderbar kreative Beiträge eingereicht haben. Es hat mir großen Spaß gemacht, die Eigenschaften dieser kleinen Figur mit der Geschichte zu verweben, und ich hoffe, dass ihr beim Lesen der Geschichte mindestens ebenso viel Spaß haben werdet.

Für eure Begeisterung und euer anhaltendes Interesse möchte ich diese Geschichte euch widmen, meinen Lesern.

Vielen, vielen Dank.

Viele Stunden Lesespaß wünscht eure

Thea

1

Herd

Sobald Xanthe in Adriyel angekommen war, brachte sie ihr Pferd in die Stallungen des Palastes und sandte dem Sicherheitschef Ihrer Majestät die Nachricht: »Es ist vollbracht.«

Xanthe unterschrieb die Nachricht nicht. Er würde wissen, von wem sie kam. Auch rechnete sie nicht mit einer schnellen Antwort. Mit der Erledigung ihres Auftrags gab es keine Eile und keinen dringenden Handlungsbedarf mehr.

Da sie längere Zeit in Amerika verbracht hatte, machte sie am Marktplatz halt, um Lebensmittel einzukaufen: frisches Brot, Fleisch, Eier, Gemüse und Obst. Die Vertrautheit dieser Tätigkeit beruhigte ihre Nerven, die von der langen Zeit in der Fremde, umgeben von stetiger Gefahr, müde und angespannt waren.

Jetzt, mitten am Nachmittag, waren die besten Waren schon weggekauft, doch die Auswahl war noch groß genug, um ihren unmittelbaren Bedarf zu decken. An den Marktständen gab es Fleisch und Fisch, Gemüse, Obst und Getreide von den umliegenden Farmen, eine Vielzahl gekochter Gerichte, prächtige, aufwendig genähte Kleidung in leuchtenden Farben, Töpferwaren, Gewürze, Seife und Metallarbeiten sowie seit Neustem auch die schrillen Waren aus Amerika. Händler priesen ihre Waren an, und der Duft von warmem Essen zog durch die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen.

Als sich das kleine Lebewesen in ihrer Reisetasche bewegte, hielt Xanthe inne. Ein so kleines Wesen hatte womöglich zu großen Hunger, um zu warten, bis sie das Abendessen gekocht hatte. Nach kurzem Überlegen ging sie noch einmal zum Bäckerstand zurück und kaufte eine Fleischpastete. Zuletzt erstand sie noch einen irdenen Krug frischer Milch und ein kleines Fässchen Frischkäse. Wenn sie Milch und Käse verbraucht hatte, würde sie dem Milchmann Krug und Fässchen zurückbringen.

Das Zappeln in ihrer Reisetasche wurde drängender.

»Hab Geduld«, sagte sie.

Dann verließ sie die Stadt zu Fuß auf einer schmalen Straße, die einige Kilometer lang dem Flusslauf folgte, bis sie zu dem überwucherten Pfad kam, der zu einer kleinen Steinhütte führte. Zwei Zimmer, die ihr ganzes Leben lang ihr Zuhause gewesen waren. Ohne auf das immer kräftigere Zappeln in ihrer Reisetasche zu achten, begutachtete sie beim Näherkommen das Haus. Es wirkte ein wenig vernachlässigt, was nur normal war, schließlich war sie mehr als vier Jahreszeiten lang fort gewesen. Aber immerhin schien das Dach dicht zu sein, was sie zu der Hoffnung verleitete, dass es drinnen trocken war.

Sie öffnete die Tür und sah sich im dunklen, staubigen Innenraum um. Im ersten Moment kam ihr alles zu bäuerlich, klein und fremd vor. Dann fiel die Fremdheit der letzten paar Monde – Monate, wie man in Amerika sagte – von ihrem Blick ab, und die Hütte war ihr wieder so vertraut wie ihre Westentasche. Sie war zu Hause.

Sie erinnerte sich an etwas, das sie einmal in der seltsamen Zeltstadt Devil’s Gate im amerikanischen Staat Nevada gehört hatte. Ein sonnenverbrannter Mensch hatte mit zynischer Miene gesagt: »Du weißt ja, wie man sagt – es führt kein Weg zurück.«

Xanthe war noch nie zuvor in Amerika gewesen und kannte die Redewendung nicht. Sie wusste nicht genau, was der Mensch gemeint hatte.

Sie legte ihre Einkäufe auf den staubigen Tisch, setzte die Reisetasche ab und stellte sie vorsichtig auf den Boden. Dann nahm sie den Schultergurt mit ihrem Schwert ab und streckte die müden Schultern. Sie war den ganzen Tag gereist, und es gab noch so viel zu tun, bevor sie sich heute Abend ausruhen konnte.

Sie ließ die Tür offen stehen, um die frische, kühlende Abendluft hereinzulassen. Jetzt verkündete das kleine Lebewesen in ihrer Reisetasche mit schrillen Lauten seine Unzufriedenheit. Es klang wie ein schreiendes Baby. Sie öffnete die Tasche und zog ein dürres, strampelndes Kätzchen mit orange getigertem Fell heraus, das ihr aus den Händen auf den Tisch sprang und unter erbärmlichem Miauen die eingepackte Fleischpastete umkreiste.

»Ja, ich weiß«, sagte Xanthe zu dem Tier. »Aber einen oder zwei Augenblicke wirst du noch warten müssen.«

Unterwegs von der Übergangspassage nach Adriyel war es ihr zur Gewohnheit geworden, mit der kleinen Katze zu reden. An den Abenden der kurzen dreitägigen Reise hatte sich eine Art Ritual eingespielt – die Katze schlief schnurrend auf ihrem Schoß oder am Lagerfeuer ein, während Xanthe die zauberhaft handgemalten Tarot-Karten betrachtete, die sie von einem Vampyr und zwei Medusen bekommen hatte. Das war auf dem Weg nach Chicago gewesen, wo sich die Übergangspassage nach Adriyel befand.

Die Leute in Amerika hatten ein merkwürdiges Wort für Orte wie Adriyel. Sie nannten sie Anderländer, aber für Xanthe war Amerika das Anderland.

Meistens schien das Kätzchen den Klang ihrer Stimme zu mögen, aber im Augenblick war es offenbar nicht an einer Unterhaltung interessiert. Es schlug mit der Tatze nach der Pastete und miaute wieder, wobei es scharfe, weiße Zähnchen und eine winzige rosa Zunge zeigte.

Xanthe inspizierte ihren Geschirrschrank. Wie auch alle anderen Möbel in der Hütte hatte ihr Vater den Schrank aus getrocknetem Holz selbst gebaut. Da sich keine kleinen Tierchen darin eingenistet hatten, wischte sie ein Schälchen mit dem Ärmel ihrer Tunika aus, goss etwas Milch hinein und stellte es auf den Boden.

Nachdem das Kätzchen schnurrend vom Tisch gesprungen war und anfing, die sahnige Flüssigkeit aufzuschlecken, wickelte sie die Fleischpastete aus und brach sie in der Mitte auf. Sie war noch heiß, und aus der Bruchstelle stieg duftender Dampf. Xanthe kratzte Fleisch und Soße auf einen Teller, blies darauf, bis es sich ein wenig abgekühlt hatte, und stellte es dann neben das Milchschälchen auf den Boden.

Während das Kätzchen sein Abendessen hinunterschlang, machte sich Xanthe an die Arbeit. Sie wischte Staub und beförderte Spinnen und einige Mäusenester nach draußen. Da sie jetzt die Katze als Mauser hatte, würden sie nicht wiederkommen. Dann holte sie einige Scheite halb verwittertes Holz von dem kleinen Stapel, der noch unter dem Vordach lag, zündete ein Feuer an, deckte den Brunnen auf und holte Wasser, schnitt das rohe Fleisch und das Gemüse klein, gab alles in einen Topf und hängte ihn zum Kochen übers Feuer. Sie wusch Tisch und Stühle ab, schleppte die Matratze aus dem spartanischen Schlafzimmer und klopfte sie aus, bis keine Staubwolken mehr aufstiegen, schleppte sie wieder ins Haus und packte die Laken und Decken aus, die sie mit duftenden Zedernspänen in einer Kommode aufbewahrt hatte.

Aus ihrer anfänglichen Müdigkeit wurde bald Erschöpfung. Sie hätte in der Stadt übernachten können, um die vernachlässigte Hütte erst am nächsten Morgen in Angriff nehmen zu müssen, aber sie hatte es einfach nicht abwarten können, nach Hause zu kommen. Nachdem sie das Bett gemacht hatte, sah sie nach dem brodelnden Topf auf dem Feuer. Sie malte sich aus, wie herrlich es sein würde, eine Schüssel heißen Eintopf zu essen und anschließend ins Bett zu fallen – als der Eingang plötzlich von einem riesenhaften Schatten verdunkelt wurde.

Panisch sauste die Katze an ihr vorbei, das Fell stand ihr senkrecht vom Körper ab. Mit erhobenen Augenbrauen drehte sich Xanthe um und sah das Tier ins Schlafzimmer flitzen. Es verschwand unter dem Bett.

Dann wandte sie sich zur Eingangstür, wo ein gewaltiger, ganz in strenges Schwarz gekleideter Mann stand. Es war Lord Tiago Black Eagle, Sicherheitschef der Königin der Dunklen Fae. Er war ein Donnervogel-Wyr, für alle Zeit ein Fremder im Herzen des Dunkle-Fae-Landes.

Überrascht verbeugte sie sich vor ihrem Arbeitgeber. »Willkommen, Mylord. Kommen Sie doch bitte herein.«

Seine Züge waren so streng wie seine Kleidung. Für Augen, die an die schmale Statur, die großen grauen Augen und die blasse Haut der Dunklen Fae gewöhnt waren, wirkte er fremdartig, aber Xanthe hatte sich inzwischen an das schroffe Gesicht und die imposante Erscheinung gewöhnt.

Seine obsidianschwarzen Augen verengten sich, als auch er der Katze nachsah. »Tenanye«, begrüßte er sie auf jene abrupte Art, die nach ihrem Aufenthalt in Amerika nicht mehr ganz so befremdlich auf sie wirkte. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mich nicht so nennen. Tiago reicht völlig. Was zum Teufel hat das hier verloren?«

Als er in Richtung Schlafzimmer deutete, hob sie erneut die Brauen. »Das Kätzchen?«, fragte sie. »Ich habe es gefunden. Es streunte in Chicago auf der anderen Seite der Übergangspassage durch die Gegend, da habe ich es mitgenommen.«

Die Übergangspassage zwischen Adriyel und Chicago lag auf einem dreißig Hektar großen Stück Land nordöstlich des Loops, des Stadtzentrums von Chicago. Das Grundstück mit einem großen Anwesen im gregorianischen Stil war von einer hohen Steinmauer mit Stacheldrahtrollen eingefasst, doch die schmiedeeisernen Eingangstore standen inzwischen offen, nachdem Adriyel seine Grenzen geöffnet hatte.

Vom Hauspersonal dieses Anwesens hätte niemand ein Haustier aufgenommen, aber da anderen Arten nun freier Zugang gewährt wurde, hatten auch die wild lebenden Tiere der Stadt ausreichend Gelegenheit, durch die offenen Türen auf das große bewaldete Gelände zu schlüpfen.

Tiago warf ihr einen merkwürdigen Blick zu, ehe er sich an ihr vorbeischob und mit großen Schritten ins Schlafzimmer marschierte. »Komm da raus«, sagte er mit Nachdruck.

Xanthe starrte ihn an, ihr müder Kopf war völlig leer vor Verblüffung.

Das Kätzchen kam unter dem Bett hervorgeschlichen. Wie es da vor den Füßen des Wyr-Lords kauerte, sah es noch winziger und zierlicher aus als vorher.

Hitze kribbelte auf Xanthes Haut, als ihr allmählich eine schreckliche Erkenntnis dämmerte.

Die Hände in die Hüften gestützt, blickte Tiago auf das kleine Geschöpf hinab, und das Tier blickte zu ihm herauf, die Augen vor Panik groß und rund, das Fell gesträubt.

»Verwandle dich«, befahl er.

Das Kätzchen verwandelte seine Gestalt und wurde zu einem schmutzigen, verwahrlosten Mädchen, das den gewaltig großen Mann vor sich wie hypnotisiert anstarrte. Tiago schob das Kinn vor und sah Xanthe mit schief gelegtem Kopf an.

Diese rieb sich die Stirn und ließ die Schultern hängen. »Gute Götter«, sagte sie. »Ich habe ein kleines Wyr-Mädchen entführt.«

»Sie hat sich bisher noch nie vor Ihnen verwandelt?«, fragte Tiago.

»Nein, Sir. Ich hatte keine Ahnung. Sie wissen, dass mein Magiesinn nur schwach ausgeprägt ist.« Xanthe besaß telepathische Kräfte und die Fähigkeit, Übergangspassagen zu durchqueren. Außerdem konnte sie starke magische Energie in Gegenständen und Personen wahrnehmen, aber ohne den Wyr-Geruchssinn hatte sie nicht erkennen können, dass das Kätzchen irgendetwas anderes war, als es den Anschein hatte. Sie hob die Schultern. »Ich dachte, ich hätte eine verwilderte Katze gerettet.«

»Also gut«, sagte Tiago nach einem kurzen Moment. »Ich nehme sie mit in den Palast. Niniane wird wissen, was hier zu tun ist.« Er warf Xanthe einen Blick zu. »Was dich angeht, werde ich mich melden. Ich will genau wissen, was passiert ist.«

»Verstanden, My… Sir«, sagte Xanthe.

Das kleine Mädchen riss den Blick von der hoch aufragenden Gestalt vor sich los und sah Xanthe an. Sie flüsterte: »Ich will hierbleiben.«

Sofort und einstimmig antworteten Xanthe und Tiago: »Das geht nicht.«

»Du hast mir den Namen Maus gegeben«, sagte das Mädchen und sah Xanthe dabei flehentlich an. »Ich sollte in deiner Hütte leben und Mäuse für dich fangen. Das hast du gesagt.«

Die Bitte rührte an Xanthes Herz. Sie dachte daran zurück, wie das Kätzchen schnurrend auf ihrem Schoß gelegen hatte, während sie gedankenlos mit ihm gesprochen hatte. Ehrlich gesagt konnte sie sich nicht an alles erinnern, was sie geredet hatte. Sie trat auf das Kind zu und ging vor ihm in die Hocke.

»Da dachte ich noch, du wärst nur eine Katze«, erklärte Xanthe ihr sanft. »Auch wenn ich dich liebend gern hierbehalten würde, kann ich unmöglich für ein Wyr-Kind sorgen.« Sie konnte unmöglich für irgendein Kind sorgen. Dafür war ihr Leben zu gefährlich.

»Aber es gefällt mir hier«, sagte das Mädchen in klagendem Ton. »Ich würde keine Schwierigkeiten machen. Ich kann die ganze Zeit eine Katze sein.«

»So leid es mir tut, nein«, sagte Xanthe so sanft sie konnte. Sie strich dem Mädchen über die verfilzten Haare. »Das Leben hier wäre nicht gut für dich, Liebes. Du verdienst ein viel besseres Zuhause, wo du eine Katze und auch ein kleines Mädchen sein kannst. Und wo du zur Schule gehen kannst.«

Tiago wartete keine weitere Widerrede ab. Er hob das Mädchen hoch und wandte sich zur Tür. Im Gehen sagte er über die Schulter zu Xanthe: »Entspannen Sie sich und nehmen Sie sich etwas Zeit für sich. Das haben Sie sich verdient. In den nächsten ein oder zwei Tagen werde ich nach Ihnen schicken. Halten Sie sich bereit.«

»Ja, Sir«, sagte Xanthe.

Dann schritt er aus der Tür. Das Letzte, was Xanthe von dem Mädchen sah, waren große, traurige Augen, die an der Schulter des Wyr-Lords vorbeispähten.

Xanthe setzte sich an den Tisch und rieb sich das Gesicht. Sie würde nicht tun, worum diese großen Augen sie gebeten hatten: es sich noch einmal zu überlegen. Das konnte sie nicht.

Stille machte sich in der Hütte breit. Auf einmal wirkte sie so viel leerer als vor Tiagos Besuch. Xanthe starrte auf die Gegenstände, die sie aus ihrer Reisetasche gepackt und auf den Tisch gelegt hatte. Da waren diverse Toilettenartikel, Waffen – ihr Schultergurt und das Schwert sowie einige Wurfmesser – und das alte, handbemalte Holzkästchen mit den Tarot-Karten.

Der letzte Rest ihrer Energie hatte sie verlassen. Diese Sachen würde sie morgen wegräumen. Jetzt griff sie nach dem Kästchen, öffnete es und nahm die Karten heraus. Eine warme, milde magische Energie umfing ihre Hände, als sie ehrfürchtig über die handgemalten Karten strich.

Sie mischte den Stapel und drehte die oberste Karte um. Es war eines der großen Arkana. Inanna, die Göttin der Liebe, deren Streitwagen von sieben Löwen gezogen wurde.

Bisher hatte sie jedes Mal Inannas Karte aufgedeckt, wenn sie die Karten gemischt hatte.

»Ich dachte, du hättest die Katze gemeint«, sagte sie zu der Karte.

Kämpferisch und geheimnisvoll lächelte das Gesicht der goldenen Frau sie an.

Sie seufzte. Liebe gab es in vielen Formen – die Liebe zu einem Freund oder Partner, die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Die Hingabe eines Haustiers oder die Liebe zum Vaterland. Wirklich geeignet war Xanthe nur für eine dieser Formen, auch wenn sie eine Zeit lang geglaubt hatte, dass es mit dem Kätzchen funktionieren könnte.

Sie verstaute die Karten in dem Kästchen und legte es behutsam auf das Sims über dem Kamin. Dann aß sie etwas Eintopf und fiel ins Bett.

Der Ruf aus dem Palast ereilte sie früh am nächsten Morgen.

Alles war von zartem Tau benetzt, die ersten Sonnenstrahlen waren kaum über die Baumwipfel geklettert. Xanthe hatte sich eine Tasse Kaffee gekocht und nahm sie mit nach draußen, wo sie sich auf einen umgekippten Baumstamm setzte und die Einsamkeit und Stille genoss.

Es war friedlich vor der Hütte, Vögel zwitscherten hell, und der Wind strich durch die langen Grashalme. Sie hatte sich nie an den Lärm und die Gerüche des amerikanischen Verkehrs gewöhnt, und schon lange hatte sie sich nicht mehr viel Zeit für sich selbst nehmen können. Ständig war sie von anderen Personen umgeben gewesen, denen sie nicht vertrauen konnte. Es war ein exotisches, befreiendes Gefühl zu spüren, wie sich das feste Knäuel der inneren Anspannung endlich löste.

Sie hörte den Reiter auf dem Weg, noch bevor sie ihn sah. Sofort war das Knäuel wieder da, ihre Bauchmuskeln spannten sich. Sie stand auf und wartete, bis nach wenigen Augenblicken eine Palastwache in ihr Blickfeld trabte; der Wachmann führte ein weiteres Pferd mit sich, das einen Sattel, aber keinen Reiter trug. Er nahm sich nicht die Zeit abzusitzen, als er sie erreicht hatte. Stattdessen drückte er ihr eine versiegelte Nachricht und die Zügel des zweiten Pferdes in die Hand, machte kehrt und verschwand.

Die Nachricht bestand aus nur zwei Worten, geschrieben mit kraftvollen schwarzen Strichen: »Kommen Sie.«

Sie atmete tief aus. So viel zum Thema Entspannen und Zeit für sich haben.

Nachdem sie das Pferd angebunden hatte, wusch sie sich, zog sich ihre eigene schwarze Palastuniform an, flocht ihr seidiges Haar und überprüfte ihr Aussehen in dem ovalen Silberspiegel im Schlafzimmer.

Irgendwo in ferner Vergangenheit hatte sie einen Vorfahren gehabt, der kein Dunkler Fae gewesen war, was sich in Kleinigkeiten niederschlug. Sie hatte einen schmalen Körperbau und eine aufrechte Haltung, aber das Grau ihrer Augen war dunkler als das der meisten Dunklen Fae. Auf dem Nasenrücken und den Wangen hatte sie ein paar helle Sommersprossen, und ihre Gesichtszüge waren nicht ganz so kantig, die Lippen voll und geschwungen. Für jene Angehörigen des Adels, die Wert auf reine Blutlinien legten, waren diese kleinen Abweichungen unübersehbar.

Nicht dass sie vorgehabt hätte, sich in absehbarer Zeit als Adlige auszugeben. Sie drehte den Kopf, um sich zu vergewissern, dass ihr Zopf ordentlich saß, dann schlüpfte sie in den Schultergurt, mit dem sie sich das Schwert auf den Rücken schnallte, strich Frischkäse auf eine Scheibe Brot, um es unterwegs zu essen, und zog beim Verlassen der Hütte behutsam die Tür hinter sich zu.

Gemessen an amerikanischen Maßstäben war Adriyel keine große Stadt, aber es war wunderhübsch und voller Leben. Dank ihrer Uniform und dem Pferd hatte sie auf den Kopfsteinpflasterstraßen freie Bahn, da die Leute beiseite traten, um ihr den Weg frei zu machen. Häuser schmiegten sich harmonisch zwischen die Bäume, und in der Nähe der Wasserfälle gab es am Flussufer einen großen Park. Während Xanthe auf den Palast zuritt, musterte sie das Bauwerk mit kritischem Blick.

Alter und schlichte Eleganz bestimmten seine Architektur. Design und Proportionen des Gebäudes waren prächtig, dabei wirkten die Formen trügerisch schlicht. Doch wann immer Xanthe den Palast sah, spukten Phantome durch ihren Kopf, Echos von Blut und Kämpfen und nächtlichen Schreien. Längst war es ihr zur Gewohnheit geworden, diese Phantome fortzuwischen. Sie brachte ihr Pferd in die Stallungen und betrat den Palast durch die Dienstbotenetage.

Der Wyr-Lord befand sich in den Privatgemächern der Königin. Die beiden Wachen an der Tür nickten Xanthe respektvoll zu und traten beiseite. »Sie sollen direkt hineingehen, Ma’am«, sagte der rechte. Wenn sie sich richtig erinnerte, hieß er Rickart.

»Danke.« Sie legte ihren Schultergurt ab und reichte dem Mann ihr Schwert. In Gegenwart der Königin trug man keine Waffen, es sei denn, man wurde ausdrücklich dazu aufgefordert.

Bisher war Xanthe nur einmal in den Privatgemächern der Königin gewesen, und das lag schon einige Jahreszeiten zurück – damals hatten die Königin und der Wyr-Lord die letzte Entscheidung über Xanthes Mission getroffen. Daher sah sie sich heute neugierig um, als sie eintrat. Überall sonst glich das Innere des Palastes seinem Äußeren: großzügig geschnitten und von täuschender Einfachheit, sparsam dekoriert mit Möbelstücken, Wandteppichen und Skulpturen aus der staatlichen Schatzkammer.

Die privaten Räumlichkeiten der Königin standen auf einem anderen Blatt. Das große Wohnzimmer war voller Farbtupfer. An den Wänden hingen traditionell bestickte Wandteppiche, und die dunklen, polierten Holzflächen wurden von Schalen und Vasen mit Blumen durchbrochen. Vor dem Kamin waren rote Samtsofas arrangiert, auf denen sich mit leuchtend goldenen Akzenten bestickte Kissen stapelten. In einer reich verzierten Schale aus durchscheinendem grünen Stein, den Xanthe nicht kannte, lagen kleine Reese’s Peanut Butter Cups, und auf dem Tisch hatte jemand achtlos Bücher liegen gelassen. Xanthe betrachtete den unordentlichen Stapel. Bücher über Geschichte und Politik der Dunklen Fae lagen zwischen amerikanischen Taschenbüchern, die meisten davon Liebesromane.

Am anderen Ende des Raums ließen geöffnete Glastüren den sonnigen Morgen herein. Die Türen führten auf eine Terrasse hinaus und in den von Mauern eingefassten Privatgarten der Königin. Als sie draußen männliche Stimmen hörte, lief Xanthe zu den Türen und sah hinaus.