Die Weichen stehen auf Tod - Glenn Stirling - E-Book

Die Weichen stehen auf Tod E-Book

Glenn Stirling

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Beschreibung

Der noch aus der Vorkriegszeit stammende Reifentriebwagen fährt täglich ohne jegliche Zwischenfälle seine Strecke – bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem für die Menschen in der Stadt entlang der Bahnstrecke die Welt aus den Fugen gerät. Niemand konnte voraussehen, dass mit einem Kugellager ihr Schicksal verbunden ist. Niemand konnte sich vorstellen, dass es deshalb zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes kommt. Es gab aber auch niemand, der das Inferno hätte verhindern können …

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Glenn Stirling

 

 

Die Weichen stehen auf Tod

 

 

 

 

Roman 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Steve Mayer, 2022

Korrektorat: Thomas Ostwald

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

 

Das Buch

 

 

Der noch aus der Vorkriegszeit stammende Reifentriebwagen fährt täglich, ohne jegliche Zwischenfälle seine Strecke – bis zu jenem denkwürdigen Tag, an dem für die Menschen in der Stadt entlang der Bahnstrecke die Welt aus den Fugen gerät.

Niemand konnte voraussehen, dass mit einem Kugellager ihr Schicksal verbunden ist. Niemand konnte sich vorstellen, dass es deshalb zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes kommt. Es gab aber auch niemand, der das Inferno hätte verhindern können …

 

 

***

 

 

1. Kapitel

 

Der Tod hatte sich für das große Sterben einen besonders schönen Tag ausgesucht. Einen Tag, an dem bunte Fahnen wehten, die Sonne schien und der Himmel so blau war, dass er fast kitschig wirkte.

Es war der vierzehnte Juli, der größte Feiertag, den Franzosen in Erinnerung an die Erstürmung der Bastille feiern.

»Ein schöner Tag!«, rief Jules Francois begeistert aus, als er, nur mit Hose und Unterhemd bekleidet, in Pantoffeln vor die Tür seines Fleischergeschäftes getreten war. Er streckte die Arme aus, reckte sich ungeniert, schaute empor zum blauen Himmel und ließ dann den Blick hinüberschweifen zur Eisenbahnbrücke, über die gerade ein langer Zug mit lauter Kesselwagen hinwegdonnerte.

Vier Fahnen flatterten im Fahrtwind, bis der Zug vorüber war. Dann sanken sie wieder schlaff an den Masten herunter.

Jules Francois blickte hinüber zum Kirchturm, kniff die Augen enger, um die Uhr erkennen zu können, und murmelte dann: »Schon wieder Verspätung!«

Es war, als huschte über sein eben noch fröhliches Gesicht ein Schatten, aber dann verklärte es sich wieder, und der dicke Fleischermeister hakte die Daumen in die Hosentasche, pfiff ein Lied und klapperte auf seinen Holzschuhen ein Stück die Hausfront entlang.

Er spähte die Straße hinunter, die in Richtung Riom führte, und hoffte insgeheim, dass sein Freund, der Schneidermeister Dumas, ebenso aus dem Haus treten würde, wie er das um diese Zeit meist an Feiertagen machte.

Aber der »Bursche«, wie ihn Francois nannte, zeigte sich nicht, und ein wenig enttäuscht machte Francois kehrt, klapperte zu seiner Haustür zurück und ging ins Haus.

»Essen wir heute im Garten?«, fragte er seine Frau, die gerade mit einem Tablett aus der Küche herauskam.

»Bei dem Wetter!«, meinte die stämmige Fleischersfrau und schlurfte vor ihm her zur Hintertür, die zum Garten führte.

»Es ist ein schöner Tag«, wiederholte Jules Francois seine Feststellung von vorhin, diesmal an die Adresse seiner Frau.

»Wunderschön«, rief sie über die Schulter zurück, als sie dann die kleine Terrasse überquerte und zu dem Tisch hinging, der schon gedeckt war.

Jules Francois freute sich auf den Kuchen. Er, der Fleischermeister, liebte Süßigkeiten, und man sah es ihm an.

»Andre ist immer noch nicht wach!«

Sie setzte die Tassen hin, sah ihr aber nicht an, als sie antwortete: »Du weißt doch, wie er ist. Heute ist der einzige Tag, an dem er ausschlafen kann. Nun lass ihn doch!«

»Ich weiß nicht«, meinte er. »Ich habe es am liebsten, wenn er mit uns frühstückt. Man sieht ihn kaum noch.«

»Lass ihn schlafen und setz dich hin, damit wir frühstücken können.«

Er nahm sich ein Stück Weißbrot und brockte es in die Kaffeeschale, die vor ihm stand.

Als er Kaffee eingoss, sagte er: »Nichts ist mehr zuverlässig. Der Milchexpress ist auch wieder zu spät. Es gibt keinen Zug, der noch pünktlich fährt. Dabei haben wir tiefsten Frieden.«

»Was interessiert uns der Zug?«, erwiderte seine Frau kauend. »Wir sind doch nicht bei der Eisenbahn.«

»Aber es ist typisch. Alles ist unzuverlässig. Und wir waren einmal stolz auf pünktliche Züge!«

»Du regst dich über Dinge auf, die uns überhaupt nichts angehen. Seit dem Krieg bist du nicht ein einziges Mal mit dem Zug gefahren.«

»Natürlich nicht«, meinte er. »Ich habe ja ein Auto.«

»Also kümmere dich nicht um die Eisenbahn! Pass lieber auf, dir läuft die Marmelade aufs Hemd!«

Er wischte sie ab, löffelte dann sein eingebrocktes Weißbrot aus dem Milchkaffee und sagte, während er kaute: »Ich habe gar keine große Lust, an dem Umzug teilzunehmen. Aber sie erwarten es natürlich von einem.«

»Wenn du keine Lust hast, dann geh nicht hin«, erwiderte seine Frau und warf einen Blick an der hinteren Hausfront empor zu dem Giebelfenster, das sich knarrend geöffnet hatte. »Na siehst du«, meinte sie. »Andre ist munter. Du schimpfst immer, wenn er nicht aufsteht, aber so spät ist es noch gar nicht.«

»Nicht spät? Na, hör mal, es ist kurz nach zehn …«

Was er weiter sagte, konnte seine Frau nicht hören. Es ging in dem Lärm unter, den der Schnellzug nach Paris machte, der gerade auf der Brücke vorüberdonnerte.

Als es wieder ruhig geworden war, meinte die Frau: »Nun fang bloß nicht wieder an, dass der auch Verspätung hat!«

Jules Francois zog seine dicke Taschenuhr aus der Hose, hielt sie mit ausgestrecktem Arm, weil er weitsichtig war, blickte aufs Zifferblatt und nickte, als hätte er nichts anderes erwartet.

»Und ob er Verspätung hat! Zwölf Minuten!«

»Was sind zwölf Minuten im Leben eines Menschen?«, erwiderte seine Frau.

»Das kann wahnsinnig viel sein. Aber gut, ich will nicht mehr davon reden. Aber es ist typisch; nichts ist mehr zuverlässig, und die Eisenbahn schon gar nicht!«

Madame Francois, die sich noch nie um Züge gekümmert hatte und der es völlig gleichgültig war, ob die pünktlich oder unpünktlich fuhren, fragte: »Wie spät ist es denn nun?«

»Auf meiner Uhr, und die geht ganz genau«, behauptete Jules Francois, »ist es jetzt elf Minuten nach zehn.«

»Dann haben wir ja noch eine Viertelstunde Zeit, bevor ich mich für die Kirche fertigmachen muss. Du gehst doch mit, nicht wahr?«

Jules Francois hatte wenig Lust dazu, aber die Leute würden reden, wenn er nicht mitging.

Auf die Leute musste er als Fleischermeister etwas geben.

»Was soll ich machen?«, meinte er. »Ich muss ja.«

Jules Francois würde die Kirche diesmal nicht besuchen. Auch Madame Francois sollte nicht dazu kommen. Aber das wussten sie noch nicht.

Die Hoftür öffnete sich, und ein blonder, kräftiger junger Mann trat in den Garten, fuhr sich mit der einen Hand durchs Haar, kratzte sich mit der anderen am Kinn und blickte ein wenig verschlafen auf die Szene.

»Guten Morgen, Mama! Guten Morgen, Papa«, sagte er, rieb sich die Augen und ließ sich auf den dritten Stuhl sinken, der am Tisch stand. Er gähnte, und sein Vater mahnte:

»Nimm wenigstens die Hand vor den Mund. Man muss ja fürchten, du willst einen auffressen.«

Andre Francois gab darauf keine Antwort. Nachdem er sich ausgiebig die Augen gerieben hatte, blinzelte er auf dem Tisch herum, entschied sich dann für eine halbe Scheibe Weißbrot, füllte Milch in seine Schale, trank sie in einem Zug aus und stopfte die halbe Scheibe Weißbrot in den Mund.

Dann nestelte er an seiner Brusttasche, um die Zigaretten herauszuholen.

»Du willst doch nicht jetzt rauchen, du hast doch kaum gegessen, Junge!«, rief seine Mutter empört. »Nun iss doch erst mal richtig. Bloß immer rauchen!«

Andre Francois hatte es längst aufgegeben, mit seiner Mutter zu streiten. Er tat, als hätte er gar nicht gehört, zündete sich die Zigarette an und sagte zu seinem Vater: »Kommst du zum Platzkonzert, Papa?«

»Wann fangt ihr denn an?«, fragte der Vater.

Der Sohn lachte. »Eigentlich in einer halben Stunde.«

»Du bist noch nicht einmal richtig angezogen!«, schimpfte seine Mutter.

»Das geht alles schnell. Krieg’ ich das Auto, Papa?«

Jules Francois zuckte die Schultern. »Du bekommst es, aber rase nicht so.«

»Schon gut.«

»Nun iss doch noch etwas!«, forderte Madame Francois.

Andre zuckte die Schultern, nahm sich noch eine halbe Scheibe und stopfte sie sich in den Mund, als habe er keine Zeit zu verlieren.

»Rauchen und zugleich essen. Sitten sind das!«, meinte Madame Francois entrüstet.

»Du weißt doch, dass er nicht viel Zeit hat«, erklärte Jules Francois. »Sie machen ja das Platzkonzert. Er hätte eigentlich viel früher aufstehen müssen, habe ich ja gleich gesagt. Aber du, du lässt ihn ja schlafen bis in die Puppen!« Madame Francois blickte zum Himmel.

Ein schöner Tag, dachte sie. Da will ich nicht streiten. Ich werde nicht antworten, und er wird sich beruhigen. 

»Ein schöner Tag, nicht wahr?«, meinte Jules Francois nun zum dritten Mal heute und sah seinen Sohn an.

Der hatte inzwischen sein Stück Brot heruntergewürgt und erwiderte: »Ein Tag wie tausend andere. Ich muss machen, dass ich mich anziehe und wegkomme. Der Brandmeister meint, wir sollten pünktlich sein, dabei kommt der immer zu spät.«

Er stand auf und lief hastig zur Tür hin.

»Er hat es immer eilig!«, entrüstete sich seine Mutter.

»Wenn er älter wird, hat er Zeit«, erwiderte der Vater. »Das gibt sich.«

Aber auch Andre Francois würde sein Vorhaben nicht ausführen können.

An diesem vierzehnten Juli sollte es in Gerzat kein Platzkonzert geben. An diesem vierzehnten Juli spielte nur einer auf, das war der Tod, und sonst niemand.

 

 

2. Kapitel

 

Die Kinder beugten sich heraus, schwenkten ihre Papierfähnchen und sangen.

Der fröhliche Gesang steckte auch die wartenden Reisenden auf Bahnsteig vier im Hauptbahnhof von Clermont-Ferrand an. Sie alle freuten sich mit den Kindern, freuten sich über den schönen Tag, freuten sich ebenso wie Studiendirektor Raimond Boucher, der in der Schule, dem humanistischen Gymnasium von Clermont, allgemein Goldhamster genannt wurde.

Goldhamster war klein, hatte einen ziemlich dicken Bauch, und wer sein Gesicht sah, wurde tatsächlich wegen der Hängebacken an einen Hamster erinnert.

Goldhamster eilte mit kleinen, wieselflink erscheinenden Schrittchen an der Außenseite des Waggons entlang, rief den Kindern mahnende Worte zu, die aber in ihrem fröhlichen Gesang untergingen. Dann stieg er ein, als er das Zeichen des Fahrdienstleiters sah.

Fröhlich war auch Ernest Flobert, der Fahrer des Schnelltriebwagens, und dieser »Micheline« war sein ganzer Stolz.

Die Franzosen waren überhaupt stolz auf dieses Wunderwerk der Technik – ein Schnelltriebwagen, der auf Gummireifen lief, was einen ganz besonderen Federungseffekt versprach, und den an den Rändern der vierundzwanzig Räderinnenstahlscheiben vor dem Entgleisen bewahren sollten.

Der »Micheline« hatte nicht nur eine hervorragende Federung infolge seiner Gummibereifung, er war darüber hinaus auch unheimlich schnell. Derzeit stellte er das schnellste Gefährt auf französischen Schienen dar. Dieser »Micheline« verkehrte zwischen Montpellier und Paris. Das Ziel der vierzig Kinder zählenden Schulklasse war Montlucon im Departement Allier.

Ernest Flobert, der sich bereits im Fahrerstand befand, freute sich darüber, dass so fröhliche Kinder in seinem Triebwagen mitfuhren, denn Ernest Flobert liebte Kinder. Seiner Frau und ihm waren sie versagt geblieben, darum konnte er sich nur an fremden Kindern freuen.

Ernest Flobert hatte das große Schiebefenster der Tür aufgeschoben, beugte sich heraus und blickte auf den Bahnsteig, wo sich der Fahrdienstleiter näherte.

Der hagere Mann blickte vom Bahnsteig her empor zu Flobert und rief: »Wir müssen noch auf den Schnellzug aus Lyon warten!«

»Wie soll ich dann meine Zeit einhalten?«, empört. »Überall heißt es, wir sind unpünktlich, aber man kann ja gar nicht pünktlich sein, wenn man überall herumwartet!«

»Der Anschluss steht im Fahrplan. Wir müssen warten, wenigstens noch fünf Minuten. Der Zug ist gemeldet. Er ist gleich hier. Nun hab dich mal nicht so«, meinte der Fahrdienstleiter.

Fünf Minuten warten, dachte Flobert, drehte sich eine Zigarette und zündete sie an.

In den Gesang der Kinder mischte sich das dumpfe Brummen eines im Leerlauf drehenden Motors, jenes gewaltigen Dieselriesen, der da mitten im Fahrzeug eingebaut war. Auch so eine Sache, die es bei der Eisenbahn noch nie gegeben hatte, dass sich der Motor in der Mitte des Triebwagens befand.

Ernest Flobert zählte zu den erfahrensten Lokführern, die die S.N.C.F. – die französischen Bahnen – vorweisen konnten. Aber er würde den Tod auch nicht besiegen können, denn der Tod hatte vorgesorgt. Einmal war es die Verspätung des Schnellzuges aus Lyon, und zum anderen hatte sich der Tod einen Helfer ausgesucht, der ebenso wenig von dem ahnte, was kommen würde.

---ENDE DER LESEPROBE---