Die Welt in Kurzfassung - Gerhard Branstner - E-Book

Die Welt in Kurzfassung E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Was haben Branstner, der eine Entgegnung zur Mao-Bibel vorlegt, und Mao gemeinsam? Eine Passage in den einleitenden Worten zu den folgenden 161 Punkten lässt aufhorchen: Gerhard Branstner hat auch nichts dagegen, in freundschaftlicher Runde der Marx des nächsten Jahrhunderts genannt zu werden, obwohl er im persönlichen Umgang von überwältigender Einfachheit sein kann. Auch das hat er mit Mao gemeinsam. Bescheidenheit hält er für keine fortschrittliche Eigenschaft. Wenn man etwas Wichtiges erkannt hat, muss man auch für seine Verbreitung sorgen. Das Wichtigste, was er erkannt hat, ist, dass die kommunistische Zukunft heiter sein wird oder sie wird nicht sein. Also muss man heute damit anfangen. Gleichsam als Anleitung für dieses Anfangen verstehen sich die bereits erwähnten 161 Punkte, in denen sich Branstner auch zu einem scheinbar nicht ganz so wichtigen Thema äußert, das aber dennoch eine überraschende Feststellung von weltgeschichtlicher Bedeutung einschließt: 33 Meine Lieblingsfarbe ist nicht, wie man meinen sollte, rot, meine Lieblingsfarbe ist bunt. Und bunt ist auch die Farbe des Kommunismus. Er ist die Gleichheit der Ungleichen. Und er ist die Ungleichheit der Gleichen. Das aber ist die Lösung aller Probleme unserer Welt. Wie sollten wir da den Kommunismus schließlich nicht wollen – und machen? Aber selbst wenn er nicht das Gesetz der Wirklichkeit sein, wenn er eine bloße Utopie bleiben sollte, eines ist er über allem: Der Kommunismus ist das Gesetz der Vernunft. 34 Der Kampf um die Freiheit ist ernst, die Freiheit selbst ist heiter. Der Kampf ist durch die Klassengesellschaft geprägt, und die Klassengesellschaft ist eine Geschichte der Verernstung. Und die macht alles verkehrt, vor allem die Politik, aber auch die Geschichtsbetrachtung. Wenigstens die sollten wir aufheitern. Indem wir sie im Spiel mit der Geschichte des dauernden Irrtums verdächtigen. Das Spiel mit der Geschichte und mit dem Denken, ein Spiel, das Heiterkeit voraussetzt und Heiterkeit zur Folge hat, verleiht uns die historische Souveränität, ohne die wir, statt wirklich ernsthaft zu sein, Sklave des Ernstes sind. Die wesentliche Form des Geistes aber, sagt Marx, ist Heiterkeit. 35 Ein ernster Marxist ist ein Widerspruch in sich. Außerdem geht es um „Die eigentliche Revolution“, „Das Naturgesetz des Menschen“; „Den späten Kapitalismus“, „Die Linken heute“, „Die deutsche Linke und die NATO“, „Sentenzen zur Zeit“ und „Die drei kopernikanischen Wenden“.

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Vorwort

Warum heutzutage einen Text über Mao schreiben? Ist der nicht längst vergessen? Dazu einige Anmerkungen.

Mao sagt: Es gibt keine Idee, die nicht den Stempel einer Klasse trägt.

Die Ideen von Gerhard Branstner kommen manchmal im Philosophenrock und manchmal im Narrenkostüm daher, immer aber ist offenbar, dass er als Kommunist die wichtigsten Leitgedanken für die historische Gesamtentwicklung der nächsten hundert Jahre formulieren will. Das hat er bei aller Gegensätzlichkeit mit Mao gemeinsam.

Der Bühnenkünstler Gerhard Branstner lacht gern und reichlich, liebt zuzeiten den grobianischen Stil, saftige Vergleiche aus der Volkssprache und anekdotische Belehrung. Das hat er mit Mao gemeinsam.

Gerhard Branstner hat auch nichts dagegen, in freundschaftlicher Runde der Marx des nächsten Jahrhunderts genannt zu werden, obwohl er im persönlichen Umgang von überwältigender Einfachheit sein kann. Auch das hat er mit Mao gemeinsam. Bescheidenheit hält er für keine fortschrittliche Eigenschaft. Wenn man etwas Wichtiges erkannt hat, muss man auch für seine Verbreitung sorgen. Das Wichtigste, was er erkannt hat, ist, dass die kommunistische Zukunft heiter sein wird oder sie wird nicht sein. Also muss man heute damit anfangen.

Für Gerhard Branstner ist Heiterkeit eine Erkenntnismethode, keine seichte Abendunterhaltung. Diese Auffassung kommt mir als Kabarettist überraschend entgegen, sie macht meine lächerlichen Auftritte wichtig und verbindet sie mit der Gesamtgeschichte der Welt, solange ich nicht in bürgerlichem Klamauk versinke. Aber das ahnte ich schon vorher. Hatte ich doch 1967 in Maos rotem Buch gelesen:

„Kunstwerke, denen es an künstlerischem Wert mangelt, sind, wie fortschrittlich sie politisch auch sein mögen, kraftlos. Darum sind wir sowohl gegen Kunstwerke, die falsche politische Ansichten enthalten, als auch gegen die Tendenz des Plakat- und Schlagwortstils, der nur richtige politische Ansichten ausdrückt, aber künstlerisch kraftlos ist … Lasst hundert Blumen blühen und hundert Schulen miteinander wetteifern. Was in Kunst und Wissenschaft richtig oder falsch ist, soll durch freie Diskussion unter Künstlern und Wissenschaftlern und in der praktischen Arbeit entschieden werden. Es darf nicht auf simple Weise geregelt werden.“

Schön gesagt, leider haperte es mit der praktischen Umsetzung.

So schrieb Mao 1957 in einem kurzen Text mit dem bemerkenswerten Titel „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volke“, der unter uns „Maoisten“ als Weiterentwicklung des praktischen Marxismus gilt und als entscheidende Theorie zur Überwindung der Fehler Stalins. Diesen Ideen, und seinem lächelnden Jahres-Schwimmen im Jantsekiang natürlich, verdankte Mao neben der Mobilisierung der rebellischen Jugend gegen die korrupten Parteikader zu Beginn der „Großen proletarischen Kulturrevolution“ seine Reputation bei den Westlinken der Nachkriegsgeneration. Ich spreche hier nicht über die Wirkungen Maos für China, sondern über seine Bedeutung für die weltweite Kulturrevolution, die unter dem Namen „Die 68er“ gehandelt wird. Trotz Weltfestspielen und Nacktbaden am Ostseestrand: Der russische „Osten“ war so was von „out“ bei der Jugend der Welt, Mao war „in“. Er war mutig und revolutionär.

Das war 1965-66, nachdem die Beatles und der amerikanische Rock ‘n Roll die erste Bresche in die durch und durch reaktionäre und faschistische Westkultur geschlagen hatten. Der Mauerbau bedeutete für den Sowjet-Kommunismus das Bekenntnis der Ausweglosigkeit, „ein Armutszeugnis“ sagt Branstner, die offensichtliche Kapitulation vor der westlichen Übermacht, von der man sich nur noch irgendwie schützen wollte, die zu besiegen man damit aber aufgab und die zu brechen man höchstens noch im Geheimen unternehmen konnte. Die westliche Linke war sichtbar allein gelassen, in Feindesland. Ich stelle mir vor, unsere 68er Kulturrevolution, ohne die Mauer und mit allen Möglichkeiten des Austausches und der Hilfe östlicher Ressourcen. Vielleicht hätten wir beide, ich meine die Linke in Ost und West, am Ende ein wenig weniger hart verloren. Man darf ja nicht vergessen, dass die heutigen Generationen niemals eine BRD ohne KPD-Verbot oder Berufsverbot erlebt haben. Das prägt.

Die Mauer, das war der sichtbare Endpunkt der kommunistischen Offensive von Marx, von Lenin, von 1917 und 1945, wieder einmal gesetzt von unfähigen satten deutschen Parteibürokraten, wenn auch auf Empfehlung Kennedys und im Auftrag des Warschauer Pakts. Sollte der Klassenfeind doch in Ruhe die Dritte Welt ausbeuten, das DDR-Volk konnte sich derweil inmitten der künstlich abgeriegelten Zweiten Welt bequem einrichten und Fett ansetzen: der ganze Staat eine einzige große Nische.

Kein Wunder, dass die chinesischen Genossen vor Wut schäumten! China als Drittweltland konnte sich eine Verbesserung seiner Lage nur vom Fortschreiten der Weltrevolution erhoffen und entfesselte eine öffentliche Polemik über die Generallinie der kommunistischen Weltbewegung, die zum Schisma führte. So hat die Mauer am Ende nicht nur Deutschland, sondern das sozialistische Lager gespalten. Und als die Mauer zusammenbrach, erhob sich kein Phönix aus dem Staub, sondern nur der Geruch eines faulenden Lügensystems.

Für uns despektierlich „Maoisten“ genannte nicht reformistische Westlinke war der DDR- und Sowjetsozialismus schon immer langweilig und out. Wer als Revolutionär nicht mehr angreift, hat seine Existenz verloren. Von Maos China her begann die Studentenbewegung im Westen, die in der 68er-Bewegung die bisher nachhaltigste Veränderung und Modernisierung der kapitalistischen Hauptstaaten hervorbrachte. Ganz ohne Willen der Revolutionäre übrigens und gegen den erklärten Widerstand der Herrschenden, denen es am Ende am meisten genutzt hat. Das ist die Ironie des Weltgeistes, wie sie Hegel, Marx und Branstner gefällt. Und wenn Gerhard Branstner jetzt diese kurze konzise Sprüchefassung seiner Ideen und Einsichten als „Anti-Mao-Bibel“ vorlegt, so sollte man das nicht so bierenst sehen.

Das hört er nicht gerne, ich weiß es wohl. Aber the proof of the pudding is in the eating, wie Engels sagt, der von allen marxistischen Schriftstellern der amüsanteste ist, nach Branstner, sagt Branstner. Wenn man versucht, fortschrittliche Kultur zu machen, findet man Wertvolles bei allen revolutionären Geistern. Und da Engels tot ist, müssen wir Branstner lesen. Falls doch der liebe Gott Kommunist ist, wie es früher immer hieß, wenn am 7. Oktober nach grauen Regentagen wider Erwarten die Sonne schien, dann möge ER uns den Branstner erhalten, wenigstens so lange, bis wir wieder einer heiteren rebellischen antiimperialistischen Massenbewegung entgegensehen.

(Dr. Seltsam ist der Moderator von Dr. Seltsams Frühschoppen, einer in Berlin ziemlich bekannten lustigen Veranstaltung, die jeden Sonntag Mittag in der „Kalkscheune“ direkt hinterm Friedrichstadtpalast zu finden ist.)

Die „ Welt in Kurzfassung “ hat die gleiche Funktion wie die „Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung“ (auch die „Maobibel“ genannt), nämlich eine Hilfe im revolutionären Kampf zu sein. In der inhaltlichen Konzeption ist die „Kurzfassung … “ den „Worten … “ jedoch genau entgegengesetzt.

I. Die eigentliche Revolution

1 Im Vorwort „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ hat Marx Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt, indem er die Produktivkräfte ihnen gemäße Produktionsverhältnisse hervorbringen lässt, die wiederum in ihrer Gesamtheit die reale Basis bilden, auf der sich ein entsprechender politischer, staatlicher etc. Überbau erhebt. Diesen Prozess nennt Marx soziale Revolution.

So richtig dieser Revolutionsbegriff ist, um den Materialismus auf die menschliche Gesellschaft auszudehnen, so verkehrt ist er als Begriff des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus, von der Vorgeschichte zur eigentlichen Geschichte der Menschheit. Aber auf die Besonderheit dieses Übergangs kommt es ja gerade an.

2 Marx hat die sozialistische Revolution stets nur wie die Revolutionen in der Klassengesellschaft verstanden, wie den Übergang von einer Ausbeutergesellschaft zu einer anderen. Auch wenn Marxens unbändige Intelligenz hundertmal diesen zu kleinen Begriff der sozialistischen Revolution übersprungen hat, so ist er hundertmal in ihn zurückgefallen. (Und mit ihm Lenin.) Die sozialistische Revolution läuft genau umgekehrt ab: Der Revolution des Überbaus folgt die Revolution der Produktionsverhältnisse und dieser die Revolution der Produktivkräfte. Jedenfalls im Groben und Ganzen. Und die Produktivkräfte entwickeln sich nicht spontan und in der erwarteten Expressivität. Vielmehr verlangen sie die organisierte Entwicklung sozialistischer Bedürfnisse. Eine bis heute missachtete Dialektik. Auch Marxens Irrtum, den Beginn des Sozialismus in den kapitalistischen Hauptländern zu erwarten, erklärt sich aus dieser Verkehrung, wobei bei ihm noch ein gewisser ökonomischer Automatismus mitspielt.

3 Überdies reduziert sich die Revolution nicht auf die sozialistische. Wir haben es hier mit dem Übergang von der Vorgeschichte der Menschheit zu ihrer eigentlichen Geschichte, mit der eigentlichen Revolution zu tun. Zur eigentlichen Revolution gehören erstens der Prozess der partiellen, gescheiterten oder zeitweilig gelungenen sozialistischen Revolutionen und die verschiedenen Formen des gescheiterten Sozialismus, zweitens der gelungene Sozialismus in seiner ersten Stufe, seine Realisierung unter den überkommenen Bedingungen (siehe die „Muttermale“ in „Kritik des Gothaer Programms“) und seiner zweiten Stufe, seine Realisierung unter den ihm eigenen Bedingungen, und drittens die Herstellung des Kommunismus gemäß den 5 Projektionen der „zweiten Menschwerdung“. Danach beginnt die eigentliche Geschichte. Ohne diesen umfassenden Begriff von der eigentlichen Revolution würde der Fehler der Oktoberrevolution und des „realen Sozialismus“, die Geschichte zu unterfordern, wiederholt. Statt der Marxschen sozialen Revolution geht es um die totale Revolution.

4 Die Unterforderung der Geschichte ist eine objektive Tendenz und unvermeidbar. Sie besteht, allgemein gesagt, in dem unvermeidbaren Mangel an sozialer Vererbung, wie er in etwa in „Was wollte Napoleon in Moskau“ dargestellt wird einerseits und andererseits in dem unvermeidbaren Mangel an historischer Vorahmung, wie sie in „Die zweite Menschwerdung“ beschrieben wird (beides zu finden in „Witz und Wesen der Lebenskunst“). Diese historische Unterforderung der Geschichte ist allen ersten Versuchen des Sozialismus unvermeidlich eigen und hat tendenziell ihr Scheitern zur Folge.

5 Der Fehler des „realen Sozialismus“ im Speziellen bestand darin, dass er die überkommenen Bedingungen, statt sie zu überwinden, auf seine Weise reproduzierte, was eine eigenartige Verbürgerlichung verursachte. Der Stalinismus (und Poststalinismus) bewirkte die tödliche Verstärkung des Reproduktionspotenzials.

6 Der Übergang zur eigentlichen Geschichte, die eigentliche Revolution, ist ein Vorgang, über dessen Dimensionen, Inhalte und Strukturen wir uns noch keine Vorstellungen gemacht haben, aber alsbald machen sollten, wenn uns nicht die gewaltigste Konterrevolution überwältigen soll, womit sie bereits begonnen hat.

Der Übergang zur eigentlichen Geschichte ist nicht nur die totale Umwälzung aller bisherigen Geschichte. Er ist auch ein historischer Neubeginn, der als Negation der Negation dialektische Entdeckungen verlangt und dialektische Überraschungen bietet.

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