Plebejade oder die wundersamen Verrichtungen eines Riesen - Gerhard Branstner - E-Book

Plebejade oder die wundersamen Verrichtungen eines Riesen E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Wovon ernähren sich Riesen, zumal wenn sie Königssöhne sind? Der Verfasser dieser Historie, der das Leben des riesenhaften Königssohnes getreulich festhalten soll, der weiß auch das – und noch mehr, was allerdings etwas drastisch beschrieben wird: Seitdem der Königssohn auf eigenen Füßen stand, wollte er aber nichts anderes als Thüringer Klöße essen. Diese, auch grüne oder rohe Klöße genannt, machten ihm jedoch, in solch gewaltigen Mengen gegessen, das Leben ordentlich schwer. Mit anderen Worten: Er musste sich öfter und in größeren Haufen als ein anderer Knabe seines Alters erleichtern. Königliches Klosettpapier war aber in dem erforderlichen Maße nicht zu beschaffen. So führte Plebejus einige Zeit ein beschissenes Leben. Aber auch für dieses Problem fand sich eine ebenfalls im 6. Kapitel mitgeteilte Lösung, die sehr viel mit der Qualität des Regierens seines ebenso riesenhaften wie königlichen Vaters zu tun hat – denn je schlechter regiert würde, umso weichere Arschwische standen zur Verfügung: So trieb ihm ein königliches Schreiben, worin ein subalterner Beamter wegen einer wirklichen oder vermeintlichen Verfehlung gerügt wurde, die Tränen in die Augen, denn das Papier war recht kratzig und riss ihm die Haut vom Hintern. Ganz anders erging es ihm mit einem Briefe, in dem ein gleichfalls subalterner Beamter die schlechte Regierung des Königs kritisierte, denn dieser Brief war in einer unglaublich gewundenen, verschlüsselten, versteckten, vorsichtigen, lobhudelnden, unterwürfigen, nichtssagenden, zurückweichenden, einschmeichelnden, demütigen, ausweichenden, seidenweichen Sprache geschrieben, dass er die Haut kaum zu berühren schien. Plebejus raffte, sobald er diese Erfahrung gemacht hatte, die Hosen hoch, lief schnurstracks zum König und bat ihn, noch schlechter zu regieren. „Aber weshalb?“, fragte Prolius nichts ahnend. „Damit ich recht viele seidenweiche Arschwische bekomme“, entgegnete Plebejus. Im Anschluss wird Krieg gegen das Nachbarland geführt und auf gleichsam natürliche Weise gewonnen. Die folgenden Kapitel befassen sich mit der Erziehung des Königssohnes, mit einer langen Reise, mit der Liebeskunst und mit der Kochkunst, mit Höhenflügen und Drachen sowie mit merkwürdigen Erfindungen des menschlichen Geistes, mit Gefangenschaft und einer Jugendsünde, mit dem Mahlen von Mehl, viel Mehl, mit einem gebrochenen Bein eines Kaisers und fürchterlichen Hieben und mit zwei neuen Gefahren und der Erneuerung der Bekanntschaft mit dem Mehlmüller.

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Impressum

Gerhard Branstner

Plebejade oder die wundersamen Verrichtungen eines Riesen

Eine kreuz und quer wahrhaftige und ungelogen sehr frei in der Art des Francois Rabelais verfasste Historie

Das Buch erschien 1978 im Buchverlag Der Morgen, Berlin.

ISBN 978-3-96521-782-9 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

Verehrter Leser!

Das Buch in Deinen Händen

geht wider allen Strich.

Und darum ist’s geschrieben,

sonst lohnt’s die Mühe nicht.

Es ist nicht von der feinen,

noch von der zagen Art.

An saftigen Gedanken

wird keineswegs gespart.

Und auch viel Heimlichkeiten,

die jeder denkt und tut,

stehn schwarz auf weiß zu Buche.

Uns fehlt es nicht an Mut.

Der Mensch hat Kopf und Beine,

zu denken und zu gehn.

Das Ding in beider Mitten

bleibt ungeachtet stehn.

Doch ohne es wär keiner

von uns in dieser Welt,

weshalb’'s von allen Dingen

am besten mir gefällt.

Drum denk ich seiner reichlich

in diesem Buche hier

als Rehabilitierung

und Dank für das Pläsier.

Auch manche heil’ge Sache

wird ohne allen Schein

beschrieben und, wenn nötig,

gestellt vom Kopf aufs Bein.

Und andres wiederum,

das sonst verdeckt genannt,

wird hier direkt bezeichnet.

Dagegen, was bekannt,

erhält manch Gleichnishaftes,

auch wenn es umgereimt,

weil anders als gewöhnlich

und gänzlich neu erscheint.

Und was im Dunkel wohnte

wird von uns aufgehellt.

Wir ließen nichts in Ruhe,

nicht mal das Rad der Welt.

Es stak zu Shakespeares Zeiten

und später oft im Dreck.

Prinz Hamlet sah den Schaden,

doch lähmte ihn der Schreck.

Ein Riese musste kommen –

der hat es repariert

und hob es in die Achse.

Jetzt läuft es wie geschmiert.

Drum nahmen diesen Riesen

wir uns zum Helden hier

und brachten seine Taten

vergnüglich zu Papier –

und auch viel arge Torheit,

die ihm den Weg erschwert;

manch alte und auch neue –

wir gaben’s ihr nach Wert.

Die ernstesten der Fälle

sind schlechthin lächerlich

behandelt und zum Spaße

gebracht vors Weltgericht.

Wie überhaupt die Dinge

in Heiterkeit verkehrt

in diesem Buch erscheinen,

was uns am Ende lehrt:

Das Große wie das Kleine

ist ohne tiefem Sinn,

wenn wir nicht endlich finden

das Heitere in ihm.

Dies Weltgefühl alleine

ist unsrer Weisheit Schluss.

Wir gaben‘s diesem Buche –

nun lies es mit Genuss!

Kindheit

1. Kapitel

Worin ein Riese geboren und der Verfasser der Historie aus dem Fenster geworfen wird

„Und wenn es kein Junge wird“, rief König Prolius aus, „hau ich das ganze Königreich in Klump!“ Und er hieb mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Klöße an die Decke, das Geschirr aber auf die Dielen und ich selbst aus dem Fenster flog.

Dem Himmel sei Dank landete ich auf einem Holunderstrauch, der mich, arg zerschunden zwar, aber ansonsten ohne ernstliche Verletzungen, zu Boden fallen ließ. Ich rappelte mich schnell auf, heißt es doch: Wer niederfällt und liegenbleibt, auf dem man schnell die Füß’ abreibt. Also stand ich geschwind wieder auf, hob meine Faust drohend gegen das Fenster, welches mir so weitherzig die Passage gewährt hatte, und stelle mich jetzt dem geneigten Leser vor.

König Prolius, dessen Hofstaat ich angehöre, heißt mich Gänsekiel und stellte mich vor kurzem an, das Leben des so sehnlichst erwarteten Sohnes von seiner Geburt bis zu meinem Tode als getreuer Chronist aufzuschreiben. Bis zu meinem Tode, sage ich, denn da meine Herrschaften dem Geschlechte der Riesen angehören, steht außer Zweifel, dass mich der Gegenstand meiner Feder überleben wird. Aber noch ist nicht entschieden, ob die Königin Wabbeleia einen Sohn zur Welt bringen wird. Allerdings hat der König Prolius alles nur riesenmögliche getan, dass es ein Junge wird. Alle auffindbaren Weisen hat er an seinem Hofe versammelt und sie das Geschlecht des erwarteten Kindes vorhersagen lassen. Leider konnten diese Leute sich trotz langen und gebührlichen Nachdenkens nicht einigen und sagten zur Hälfte einen Sohn, zur anderen Hälfte aber keinen Sohn voraus. Darüber geriet der König in großen Zorn und jagte die Neinsager unter den Weissagern davon. Dadurch haben sich die Aussichten auf einen Sohn erheblich gebessert.

Jedoch will ich den Leser nicht unvorsichtigerweise auf diesen Fall festlegen. Es kann durchaus geschehen, dass er nicht viel mehr als die ihm bis jetzt vor Augen gekommenen Zeilen in die Hand erhält, für den Fall nämlich, dass es eine Tochter wird, für deren Lebensweg ich keinen Auftrag habe. Und ohne Auftrag bin ich nicht geneigt, ein Lebenswerk zu schreiben. Wollen also auch wir mit dem König Prolius auf einen Jungen hoffen, denn es würde mir wirklich sauer ankommen, am Ende dieses Kapitels sagen zu müssen: Es tut mir leid, lieber Leser, das Buch kann nicht geschrieben werden, es ist ein Mädchen geworden, leb wohl!

Doch wollen wir vorderhand alle Befürchtungen beiseite stellen und den Gang der Dinge weiter verfolgen. Ich war am Holunderbusch stehengeblieben und schaute zu dem Fenster empor, das den Rahmen bildete, aus dem ich so unsanft gefallen war. Um mich so schnell wie möglich wieder vor die Augen des Königs zu bringen, der in seiner Aufregung meinen Weggang sicherlich weder bemerkt haben noch gar seinen Handstreich als die Ursache desselben ahnen mochte und sich deshalb wohl über eine längere Abwesenheit meiner Person verwundern könnte. Auch wollte ich die Geburt meines Schützlings nicht verfehlen, denn Wabbeleia lag bereits in den Wehen, und der Weg in den Thronsaal, den ich eben verlassen hatte, benötigte bei den riesenhaften Ausmaßen des königlichen Schlosses wohl gegen drei Tage, auch wenn ich mich beeilte. Und eben war wieder das Wehgeschrei der Wabbeleia zu hören, das mir wie ein zur Eile mahnendes Trompetensignal in die Ohren schallte.

Ich war noch keine Stunde unterwegs, als ich auf einen Trupp Männer und Weiber stieß. Den guten Leuten war das über zehn Meilen hin hörbare Wehgeschrei der Wabbeleia zu Ohren gekommen, und sie strömten zum Schloss, um der Geburt des Königssohnes beizuwohnen. Die große Anteilnahme des einfachen Volkes an diesem Ereignis wird verständlich, wenn ich meinem Bericht darüber, dass der König um alles in der Welt einen Sohn haben will, hinzufüge, weshalb um alles in der Welt er einen Sohn haben will. Doch schrie die Wabbeleia eben jetzt wieder so fürchterlich, dass ich mitsamt dem erschrockenen Volke niedergeworfen wurde und mich erst wieder erheben muss, um erklären zu können, weshalb Prolius sich einen Sohn in den Kopf gesetzt hat. Das Geschlecht der Riesen war in diesem Reiche nämlich ganz im Aussterben begriffen. Außer dem König, seiner Frau Wabbeleia und dem auf dem Altenteil sitzenden Augulus, weshalb er sehr tückisch war, gab es weit und breit keine Riesen mehr. Alle übrigen Bewohner des Landes waren von gewöhnlicher Größe, wenn nicht sogar, wie es das Schicksal mir zugedacht hatte, noch kleiner. Womit ich bei unauffälliger, weil passender Gelegenheit endlich verraten habe, dass meine Wenigkeit von zwergenhaftem Wuchs ist. Wes Geistes Kind ich bin, steht auf einem anderen Blatte, nämlich auf dem, das der Leser vor sich hat, gleichgültig, welche Seite dieses Buches er aufschlägt.

Weil also das Riesengeschlecht am Ende war, musste sich das neugeborene Kind, wollte es zu seiner Zeit in die Ehe treten, notwendig außer Landes umsehen. Solches Unternehmen aber mit all seinen möglichen und unmöglichen Zufällen schickt sich nicht für ein weibliches Wesen, was erklärt, weshalb unser König auf ein männliches Kind hofft.

Ich eilte, immer das Schloss zu meiner Rechten, den Weg entlang, bis mich die Dunkelheit überraschte. Da ich mich gerade im königlichen Garten befand, legte ich mich unter einem Birnbaum zur Nacht nieder. Ich mochte noch nicht lange geschlafen haben, als ich von einem neuerlichen Trompetensignal aufgeschreckt wurde. Ehe mir jedoch recht klar geworden war, dass es das Wehgeschrei der Wabbeleia gewesen, welches mich so unsanft geweckt hatte, wurde ich von einem harten Schlag auf den Kopf getroffen, weshalb ich in Ohnmacht und von dieser in einen tiefen Schlaf fiel, aus dem ich erst am Morgen erwachte. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und beschien eine riesige Birne, die, in der Mitte gespalten, links und rechts neben mir auf der Erde lag. Ich lobte bei mir diesen glücklichen Fall, denn ohne ihn wäre ich nicht in eine Ohnmacht und ohne diese nicht in einen tiefen Schlaf gesunken. Ohne solch einen tiefen Schlaf aber hätte mich das Wehgeschrei der Königin noch oft aus ihm gerissen. Ich verspeiste die wohltätige Birne, die wie zum Mahle bereitet vor mir lag, und machte mich auf meinen Weg.

Als ich nach mehr als einer Stunde die Ecke des Schlosses erreicht und gerade um sie biegen wollte, begegneten mir einige hundert Leute, die unter lautem Geschrei vor einundzwanzig Fuhrwerken herliefen, die mit Feuerleitern, Enterhaken und armdicken Seilen beladen waren. Ich schloss mich dem Zuge an und verwickelte einen der Fuhrmänner in ein Gespräch, in der stillen Hoffnung, dass er mich, um auf bequemere Weise an mein Ziel zu gelangen, aufsitzen lassen würde. Wie es dann auch geschah. Wir kamen gut voran und hatten schon gegen Mittag die Einfahrt zum Schloss erreicht. Ich sprang vom Wagen, bedankte mich bei dem Fuhrmann und suchte mir zwischen den aufgeregt hin und her laufenden Leuten einen Weg zum Schloss, fiel aber dabei über ein bereits von einem der Wagen geworfenes Seil.

„Hoppla, kleiner Mann!“, riefen die umherstehenden Leute und halfen mir wieder auf die Beine.

„Womit sollen wir dem Königssohn den Nabel abbinden“, sagte einer von ihnen, „wenn du uns das Seil zerreißt?“

Die Leute lachten herzhaft, ich aber riss erstaunt die Augen auf, von denen es mir nun wie Schuppen fiel. Mir sträubten sich die Haare, vor allem, wenn ich an die Enterhaken dachte, über deren genauere Anwendung ich mir nicht klar werden konnte. Ich getraute mich jedoch nicht, danach zu fragen, und beeilte mich, ins Schloss zu kommen.

Neben der Treppe für die Herrschaften führte die Treppe für Menschen gewöhnlicher Größe in den Thronsaal. Während aber die herrschaftliche Treppe nur zweiundachtzig Stufen hatte, zählte die andere dreihundertachtundzwanzig. Und eine meiner Körpergröße angemessene hätte sechshundertsechsundfünfzig haben müssen. Der Leser kann sich denken, welch mühseliger Weg vor mir lag. Heißt es doch: Eine zu kurze Hose ist besser denn ein zu kurzes Bein. Ich nahm die dreihundertachtundzwanzig Stufen, deren jede mir einen großen Teil meiner geringen Kraft raubte, verdrossen in Angriff und hatte gegen Abend die zweihundertneunundneunzigste erreicht, auf der ich mich zur Ruhe niederlegte. Ich hatte noch kein Auge zugemacht, als mich ein neuerlicher und über die jetzt so viel geringere Entfernung mit voller Wucht treffender Trompetenstoß der Wabbeleia hochfahren und allen Halt verlieren ließ. Mein tiefer Fall wurde diesmal von keiner Ohnmacht gemildert und endete, nachdem ich zweihunderteinundsechzig Stufen nach unten gestürzt war, auf der achtunddreißigsten, wo ich liegenblieb und ohne weiteres in einen wohltätigen Schlaf versank, aus dem mich jedoch schon vor Sonnenaufgang die ihre Feuerleitern, Seile und Enterhaken in den Thronsaal schleppenden Geburtshelfer weckten. Ich raffte mich auf, tastete meine schmerzenden Glieder ab, die wie durch ein Wunder keinen schlimmeren Schaden genommen hatten, und machte mich zum zweiten Male auf den Weg. Am Nachmittag endlich hatte ich die vorletzte Stufe erreicht. Aufatmend stieg ich die letzte Stufe hinauf und trat in den Thronsaal.

Hier erwartete mich eine weitere Überraschung. Die königliche Tafel war während meiner Abwesenheit zum Wochenbett der Wabbeleia hergerichtet und diese selbst bereits drauf niedergelegt worden. Über allem aber war in Gestalt eines Viadukts ein mächtiges Gerüst gebaut, auf dessen höchstem Punkt, von hier unten kaum wahrnehmbar, ein Mann in einem weißen Kittel aufgeregt hin und her rannte und durch ein Sprachrohr auf eine Frau einschrie, die der Wabbeleia auf dem Bauche stand, die Hand ans Ohr gelegt, um den Mann da oben besser verstehen zu können, und die wohl die Hebamme sein mochte. Jetzt kam, nicht minder aufgeregt, König Prolius hereingelaufen.

„He, Doktor!“, rief er dem Weißkittel zu. „Geht alles in der Ordnung?“

„Jaja!“, rief der Doktor zurück. „Nur will überhaupt nichts klappen.“

Der König achtete jedoch nicht weiter auf den zappelnden Doktor. Und als er mich endlich bemerkte, hob er mich auf die Schulter, dem mir angesessenen Platz, von wo aus ich meine Konversation mit ihm zu führen pflege, und ließ sich selber auf seinem Thronsessel nieder. Er hörte sich die Geschichte meiner Abwesenheit an, lachte herzlich, als ich ihm meine Landung auf dem Holunderbusch beschrieb, war jedoch, noch ehe ich an die Stelle kam, wo mir die Birne auf den Kopf fiel, über meiner Geschichte eingeschlafen. Und da er sich dabei weit zurückgelehnt hatte und sein Körper somit eine schräge Ebene bildete, ließ ich mich, durch Übung gewitzigt, an ihm hinabgleiten.

Auch der Weißkittel war inzwischen von seiner Kommandobrücke herabgestiegen und stritt sich heftig mit der Hebamme.

Die ohne ihr Wissen auf Anordnung des Arztes herbeigeschleppten Geräte hatten ihr helles Entsetzen hervorgerufen, und sie machte dem Manne der Wissenschaft ernste Vorwürfe.

„Was wollen Sie“, hielt er ihr entgegen, „die medizinische Technik ist fortgeschritten. Und weshalb sollen wir die einfachen Mittel anwenden, wenn die komplizierten genauso gut sind.“

„Aber das Kind hat doch die richtige Lage. Es wird ganz ohne Ihre Anstalten zur Welt kommen.“

„Das wäre eine Schande für die Wissenschaft“, sagte der Arzt. „Die Wabbeleia ist ein gesundes Weib“, versetzte die Hebamme. „Gerade der gesunde Patient“, erklärte der Arzt, „ist das dankbarste Objekt des Mediziners. Er kommt am ehesten mit dem Leben davon, und es fällt kein Schatten auf unsere Kunst. Der kranke Mensch dagegen macht uns immer wieder Schwierigkeiten, weil sein geschwächter Organismus unseren Behandlungsmethoden kaum Widerstand entgegenzusetzen hat. Hier sollten wir den Grundsatz befolgen: Die Natur hilft sich am besten selbst. Der Gesunde jedoch bedarf unbedingt unserer Hilfe, denn die Natur vermag nichts gegen ihn auszurichten. Es ist das erhabenste Ziel des Mediziners, ihn in einen Zustand zu versetzen, in welchem er ohne unsere Kunst nicht mehr leben kann. Und nur diejenigen Erkenntnisse haben für uns Wert, die helfen, dieses Ziel immer sicherer zu erreichen.“

„Aber das widerspricht doch allem gesunden Menschenverstand!“, rief die Hebamme aus.

„Kommen Sie mir nicht mit solchen Dingen“, sagte der Arzt und erklomm wieder seine Kommandobrücke.

Die Hebamme geriet außer sich. „Das ist doch Wahnsinn!“, rief sie dem Weißkittel nach.

„Wenn ich allein auf meine Bildung angewiesen wäre“, rief er zurück, „würde ich jetzt entgegnen: So hat er doch Methode. In meinem Falle sage ich aber nur: Jeder Sinn hat seinen Sinn.“ Und als er nur mehr als weißer Punkt zu erkennen war, nahm er wieder sein Sprachrohr an den Mund und fügte hinzu: „Und der tiefste ist nicht immer der vornehmste – die Kunst aber verpflichtet.“

Dann aber erteilte er seine Anweisungen an die Leute, die die Geräte herbeitrugen und zugleich deren Bedienungsmannschaften waren. Die Feuerleitern wurden an den Tisch gelehnt, um die Enterhaken und die Seile hinauftragen zu können. Die Enterhaken wiederum wurden längs der Wabbeleia, die jene Vorkehrungen mit misstrauischen Blicken verfolgte, auf den Tisch gelegt, während die Seile zwischen ihren Beinen Platz fanden. Eben da wurden schließlich neun Zelte aufgeschlagen, in denen die Mannschaften bis zur Geburt des Königskindes, die möglicherweise noch einige Tage auf sich warten ließ, nächtigen sollten. Nachdem alles untergebracht war, gab der Arzt die letzten Instruktionen.

„Je achtundzwanzig Mann“, so rief er durchs Sprachrohr, „ziehen an jedem Seil, sobald ich den Befehl dazu gebe, um das Kind mit Sicherheit ans Licht der Welt zu befördern. Zuvor müssen jedoch die Seile am Körper des Kindes befestigt sein. Zu diesem Zwecke werden die Seile mit einem Ende unter die Arme des Kindes geschlungen und verknotet. Acht Mann je Seilende dringen unter Hintansetzung persönlicher Vorurteile und mit Grubenlampen bewaffnet bis zum Körper des Kindes vor und erfüllen ihre Pflicht. Das übrige Seil, welches zum Abnabeln gedacht ist, wird von zwei Mannschaften zu zweiundsiebzig Köpfen je Ende bedient, die mit aller Kraft in entgegengesetzter Richtung zu ziehen haben. Zuvor muss jedoch das Seil um den Nabel geschlungen sein. Zu diesem Zweck stellen sich die beiden Mannschaften Rücken an Rücken auf und wandern in einer gekrümmten Linie um den Nabel herum, bis sie sich begegnet und aneinander vorbeigelaufen sind. Sodann klettert jede Mannschaft über das von der anderen ausgelegte Seil hinweg, und schließlich kriecht die nach innen gekletterte Mannschaft unter dem Seil wieder zurück. So ist der Knoten geschlungen. Die Enterhaken endlich werden zur Bergung der Nachgeburt verwendet und jeweils von siebzehn Mann bedient. Alles andere geschieht nach den Anweisungen der Hebamme.“

Diese aber hatte sich inzwischen wieder auf den Bauch der Wabbeleia verfügt und blickte erbost auf das Treiben der Bedienungsmannschaften hinab. Gerade wollte ich mich auf mein Zimmer zurückziehen, als der alte Augulus den Thronsaal betrat, mich ergriff und auf seinen Handteller setzte. Behäbig öffnete er sein zahnloses Maul, und ich erwartete schon eine der üblichen spöttischen Bemerkungen, denn da er mich nicht leiden konnte, bekam ich nichts anderes von ihm zu hören. Wie er jedoch noch seine Zunge wetzte, brach ein gewaltiges Geräusch über uns herein, dass ich nicht anders meinte, die Niagarafälle seien plötzlich in den Thronsaal verlegt worden. Das donnernde Rauschen wurde aber noch von dem Geschrei der Wabbeleia übertönt, die glaubte, das Kind schon geboren zu haben. Es war ihr aber nur die Fruchtblase geplatzt. Das abgehende Wasser ergoss sich in den Thronsaal und floss durch die Tür die Treppe hinab, wobei es die Enterhaken und die Seile, die Feuerleitern und die Grubenlampen, die Zelte und zu aller Schrecken auch die sämtlichen Bedienungsmannschaften mit sich fortriss. Allein die Riesen, der Arzt, die Hebamme und meine Wenigkeit blieben im Saal. Während aber der Arzt auf seiner Kommandobrücke wie tollgeworden umhertanzte und immerfort „Hiergeblieben! Hiergeblieben!“, rief, machte Augulus endlich seinen noch immer offenstehenden Mund zu und sagte lange Zeit gar nichts. Ihn verdross es wohl, gerade mir, indem er mich auf seinen Handteller setzte, das Leben gerettet zu haben. König Prolius riss erstaunt die Augen auf, hob die nassen Füße hoch und betrachtete sie sinnend. Die Hebamme war um die Wabbeleia besorgt. Ich selbst wunderte mich nur über das Spiel des Schicksals. Nachdem Augulus mich mit der spöttischen Bemerkung, die ihm schon lange im Halse steckte, endlich zu Boden gesetzt hatte, suchte ich ungesäumt mein Zimmer auf und legte mich zur Ruhe. Mochte der Königssohn ohne mich geboren werden. Ich überdachte noch einmal meine Erlebnisse und kam zu der Erkenntnis, dass ich, mit dem Fenstersturz angefangen, von einem Schrecken in den anderen gefallen war.

Wenn aber der Königssohn schon jetzt derartige Wechselfälle über mich brachte, was sollte erst werden, wenn er in Person das Licht der Welt erblickt haben würde? Ich mochte nicht daran denken und versuchte zu schlafen, was mir gewöhnlich im Handumdrehen gelingt. Dem Leser wünsche ich das gleiche. Falls ihm aber nicht ohne weiteres die Augen zufallen wollen, mag er sich mit der Lektüre dieses Buches behelfen; und wenn er dabei nicht einschläft, so soll es mir recht sein, und ich kann ihm auch nicht helfen.

Ich erwachte am nächsten Morgen in bester Verfassung und hatte von mir den Eindruck, mich der verflossenen Ereignisse weit weniger erschüttert zu erinnern, als ich sie während ihres Ablaufs aufgenommen. Das mag wohl daran liegen, dass kleine Menschen die Dinge leicht für größer nehmen, als sie sind, und, da sie im Allgemeinen auch ein lebendigeres Gemüt haben, unter dem ersten Eindruck zur Übertreibung neigen. Der Riese dagegen schaut gelassen auf das Spiel des Lebens hinab und unterliegt daher leicht der umgekehrten Gefahr, die Dinge für kleiner zu nehmen. Der Leser muss es sich daher aus meiner Wenigkeit erklären, wenn die Lebensbeschreibung des meiner Feder anbefohlenen Königssohnes von Übertreibungen wimmelt. In der Erwartung, das Kind schon am Leben zu finden, trat ich in den Thronsaal. Doch die Wabbeleia lag noch immer auf ihrem Tisch und blickte mit müden Augen umher, die Hebamme hatte es sich zwischen den Brüsten ihrer Kundin bequem gemacht und guckte gelangweilt zum Doktor empor, der am Geländer seiner Kommandobrücke lehnte und dem der Kopf langsam nach vorn sank, worauf er ihn jedes Mal ruckartig wieder hochriss. König Prolius saß auf seinem Thron, den Kopf auf die Brust gestützt. Heißt es doch: Faulheit kommt vom Nichtstun. Nur der alte Augulus schlurfte über das Parkett. Aber auch er konnte sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten und blieb hin und wieder stehen, um sich auf seinen knorrigen Krückstock zu stützen und für einen Augenblick die Augen zu schließen, was ich zur Gelegenheit nahm, ihm im Vorbeigehen die Schnürsenkel beider Schuhe ineinander zu verknoten, denn der Leser darf nicht glauben, dass ich der Tücke des alten Herrn nichts entgegenzusetzen hätte. Flugs versteckte ich mich hinter einem Bein des Tisches, auf dem die Wabbeleia lag, und wartete darauf, dass der Alte die Augen wieder öffnen und seine Wanderung fortsetzen würde. Und wirklich machte er jetzt die Augen auf, aber nur, um wie angewurzelt stehenzubleiben und auf die Wabbeleia zu starren. Diese hatte eben einen markerschütternden Schrei ausgestoßen, und der Leser ahnt, ebenso wie ich, dass es der Vorrede genug und der Königssohn endlich auf dem Wege in diese Welt ist. Um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, schrie die Wabbeleia gleich noch einmal, sprang der Arzt wie verrückt hin und her und König Prolius von seinem Sessel und die Hebamme auf die Beine, und endlich machte auch der alte Augulus einen gewaltigen Satz und schlug lang hin. Dabei rissen ihm die verknoteten Senkel auseinander, so dass er vorerst die Ursache seines Falls nicht entdecken konnte. Er richtete sich wieder auf und humpelte schmerzverzerrten Gesichts auf die Wabbeleia zu, wobei er mit seinem Krückstock wild durch die Luft fuchtelte. Die Wabbeleia erschrak, und die Hebamme verbat sich diesen Auftritt und schickte ihn fort, heißes Wasser und saubere Tücher zu holen. Den König aber beorderte sie, sich am unteren Ende des Tisches aufzustellen und dem ankommenden Königssohn unter die Arme zu greifen, um ihn vor einer zu harten Niederkunft auf dem Tische zu bewahren.

Kaum war Augulus aus der Tür und Prolius an den Tisch getreten, da steckte auch schon das Kind seinen Kopf heraus. Der Arzt riss sein Sprachrohr an den Mund und rief: „Wo sind die Seile! Die Seile her! Es ist eine Schande! Ich protestiere! Ich lege meinen Dienst nieder!“

Das Kind aber machte den Mund auf und greinte so kräftig, dass der Mann nicht weiter zu hören war. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Geschichte der Menschheit einen Fall kennt, wo ein Kind, noch ehe es mehr als den Kopf aus dem Mutterleib gebracht hat, bereits zu schreien anhebt.

Und wie das Kind schrie! Es wäre eine helle Freude gewesen, diesem kräftigen Organ zu lauschen, wenn ich nicht hätte befürchten müssen, dass mir das Trommelfell zerspringt.

König Prolius zog erschrocken die Hände zurück. „Angefasst!“, schrie die Hebamme den ängstlichen Vater an. „Die linke Hand unter den Kopf und mit der rechten nachfassen, wenn der Körper kommt!“ Schweißperlen auf seiner königlichen Stirn, befolgte Prolius gehorsam die Befehle der Hebamme, die sich bäuchlings, die Füße gegen den Kopf der Wabbeleia gerichtet, auf deren Leib gelegt hatte, um von der strampelnden Königin nicht abgeworfen zu werden. Eben da schlüpfte das Kind vollends aus. Und hättest Du, verehrter Leser, das Neugeborene sehen können, so wäre Dir vor Erstaunen gewiss ein lang gezogenes Oh und ein noch länger gezogenes Ah von den Lippen gekommen, denn was da vor unsere Augen trat, war ein ungeheures Etwas, ein Fleischberg, ein Riese unter den Riesen, ein Riesengebirge, ein Unfassbares. Und König Prolius schaute mit schreckgeweiteten Augen auf seinen Sohn, denn ein Sohn war es wirklich.

„Stillgestanden!“, fuhr die Hebamme den unter seiner Last wankenden Vater an. „Erst muss der Nabel abgebunden werden.“ Da kam Augulus mit dem heißen Wasser.

„Ein Band zum Abnabeln!“, rief die Hebamme. Augulus hinkte wieder davon und stolperte über den Schnürsenkel. Er riss ihn ab und hielt ihn der Hebamme hin.

„Was soll ich damit!“, schrie sie ihn an. „Binden Sie ihn ab!“ Augulus band den Nabel ab. Etwas zu lang. Aber in seiner Aufregung verstand er die Anweisung der Hebamme nur halb. Der Doktor aber sprang noch immer auf dem Viadukt umher und rief durch ein Sprachrohr:

„Eine Schande! Wo sind die Seile! Ich protestiere! Beide Mannschaften Rücken an Rücken! Wo sind die Mannschaften? In gekrümmter Linie Marsch! Die Enterhaken! Wo sind die Enterhaken?“ Prolius indessen hielt seinen Sohn über die Waschschüssel, und Augulus wusch ihn ab. Nachdem auch die Wabbeleia versorgt war, wurde ihr das Neugeborene gereicht. Sie wandte sich von ihm ab und greinte vor sich hin. Es hatte ihr zu viel Schmerzen bereitet, und seine außergewöhnliche Größe machte ihr angst. Der König nahm das Kind wieder weg, und in seiner Verwirrung hielt er es mir hin. Ich wollte erschrocken zurückspringen, aber es war schon zu spät. Der Kleine fing wieder ungeheuerlich zu brüllen an und versetzte mir einen ungeschickten, aber kräftigen Schlag, und ich machte mich ein zweites Mal auf, den Holunderbusch zu begrüßen. Obwohl ich mir bewusst bin, dass die Wiederholung die Mutter der Weisheit ist, war mir doch mein zweiter Fall so leid wie der erste. Dem Leser aber verspreche ich, meine diesmalige Wanderung zwischen den Kapiteln zu machen, und hoffe, zu Beginn des nächsten zurück zu sein.

2. Kapitel

In welchem, wir erfahren, dass die geplatzte Blase der Wabbeleia noch weiteren Schaden anrichtete, aber auch eine Schauspielgesellschaft ins Leben rief

Ich hatte dem Leser versprochen, zu Beginn dieses Kapitels wieder im Schloss zu sein. Nun, ich habe dieses Versprechen gehalten, obwohl mir der Weg dieses Mal erheblich beschwerlicher als das vorige Mal geworden war, denn kaum hatte ich mich von meinem zweiten Fall erhoben und auf die Beine gestellt, als ich von einem heranstürmenden Haufen Volks erschreckt wurde. Die Leute schrien etwas von einer Überschwemmung und rannten weiter. Sicherlich wäre ich unter ihre aufgeregten Füße geraten, wenn mich nicht ein grobschlächtiger Kerl, allerdings besser gekleidet als der übrige Haufe, am Kragen gegriffen und beiseite geführt hätte.

„Du bist gerade das Richtige“, sagte er, ohne aber seinen Griff zu lockern. „So etwas brauche ich.“ Und er schleppte mich mit sich fort, ohne ein weiteres Wort der Erklärung anzufügen.

„Das muss ein Irrtum sein!“, rief ich und versuchte davonzulaufen.

„Bist du ein Zwerg?“, fragte er und hielt mich noch fester am Kragen.

Und als ich verständnislos nickte, sagte er: „Dann ist es auch kein Irrtum. Wenn du ein Zwerg bist“, wiederholte er, „dann ist es auch kein Irrtum.“ Er lachte hässlich und zog mich weiter mit sich fort. Heißt es doch: Wer das Glück nicht packt, den packt das Unglück.

Also befürchtete ich das Schlimmste. Und leider hatte ich Recht, wie sich bald zeigte. Der gewalttätige Mensch schleppte mich auf die eben geschilderte und mir höchst unbequeme Weise durch schmutzige Straßen und winklige Gassen, betrat schließlich ein fast völlig verfallenes Haus und warf mich, nachdem er mich in ein übel riechendes Zimmer gestoßen hatte, einem vollbusigen Weibe in die Arme, das auf einer zerschlissenen Chaiselongue saß. „Das ist gerade das Richtige!“, rief er ein übriges Mal und verließ das Zimmer.

Ich wollte mich aus den Armen der überaus dicken Frau befreien. Sie drückte mich jedoch nur noch fester an sich, dass ich beinahe ganz zwischen ihren Brüsten versank. „Da hast du es aber gut getroffen“, sagte sie. „In diesen Zeiten ist es ein wahres Glück, eine Bleibe zu finden. Ein Dach über dem Kopf und jeden Tag sein Essen. Der Himmel muss es gut mit dir meinen, dass er dich zu uns geführt hat.“

„Aber ich muss unbedingt zurück, ich habe den Lesern meiner Chronik versprochen, bis zu Beginn des zweiten Kapitels zurück zu sein.“

Das Weib lachte und tätschelte mir wieder meine Wangen.

Ich befreite mich, so gut es ging, von den mich umgebenden Fleischmassen und schaute mich im Zimmer um.

„Wir sind arme Leute“, sagte die Frau, die meinen Blick bemerkt hatte, „aber rechtschaffen. Dies hier ist ein Freudenhaus. Wir aber sind eine Schauspielgesellschaft und geben nächste Woche bei Hofe eine Vorstellung. Und du sollst einen schönen Auftritt bekommen.“

„Ich aber bin kein Schauspieler“, rief ich, „und der König wird euch fürchterlich strafen, wenn er mich bei euch findet.“

„Er wird dich nicht erkennen“, erwiderte sie, „denn du sollst den Hanswurst machen.“

„Den Hanswurst!“, schrie ich und sprang vor Schreck vom Schoße der Dame.

„Mein niedlicher kleiner Hanswurst“, sagte die Dicke und zog mich wieder an ihren Busen. „Wir sind nämlich knapp an Männern. Alle Männerrollen werden von Frauen gespielt. Nur den Hanswurst wollte keine machen. Ein Glück für uns, dass der Prinzipal dich aufgelesen hat.“

Mein Verstand stürmte mit Riesenschritten auf seine völlige Verwirrung zu. Um das zu verhindern, hielt ich ihn mit allen Kräften fest und versuchte, meine Verhältnisse systematisch zu klären.

„Aber weshalb seid ihr lauter Frauen und wohnt in einem Freudenhaus?“

Ihr Busen hob und senkte sich. Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder, bis endlich aus ihm ein Strom von Worten schwabbte, den ich dem Leser nur in der von mir geglätteten Gestalt anzubieten wage.

Die Schauspielgesellschaft, so eröffnete mir die Dame, sei ursprünglich ein Bordell gewesen und in ebendem jetzigen Hause beheimatet. Die vornehme Konkurrenz habe sie jedoch bald aufs Land getrieben, wo sie für die gröberen Ansprüche des einfachen Männervolks gerade das Rechte gewesen seien. Dort hätten die fleißigen Frauen jahrelang in Ruhe und Frieden gearbeitet, bis vor wenigen Tagen eine furchtbare Katastrophe, deren Ursache sie auch heute noch nicht wüssten, ihre Existenzgrundlage völlig vernichtete. Ungeheure Wassermassen seien über das ganze Land gekommen.

„Wassermassen?“, fragte ich und dachte an die Blase der Wabbeleia.

„Ungeheure“, bestätigte die Dicke und setzte ihren Bericht fort. „Flüsse traten über die Ufer, Häuser wurden fortgespült, das Vieh ertrank. Nur die größten Gehöfte konnten der ursprünglichen Gewalt widerstehen. Die kleinen Leute dagegen verloren all ihr Hab und Gut und irrten verzweifelt umher, nährten sich kümmerlich oder starben Hungers. Ein Teil der dermaßen hart Getroffenen strömte in die Städte, andere wurden zu Vagabunden. Raub und Diebstahl nahmen überhand, Sitte und Moral verfielen. Wir aber“, so schloss die Dame ihren Bericht, „verloren unsere sämtliche Kundschaft. Und da wir uns auch als Wanderbordell nicht über Wasser halten konnten, bildeten wir uns in eine Schauspielgesellschaft um. Wir kehrten in die Residenz zurück, fanden das einst von uns verlassene Haus noch immer verlassen vor und hoffen jetzt, bei Hofe zu Erfolg zu kommen.“

Die anderen Mitglieder der Gesellschaft hatten inzwischen von meiner Anwesenheit gehört und stürmten jetzt in das Zimmer, um ihren Schabernack mit mir zu treiben. Der Leser kann sich denken, wie ich mich unter diesen gemischten Damen befand, wusste ich doch bei keiner von ihnen genau zu sagen, in welchem Berufe sie mich auf den Arm nahm.