Heitere Dramatik - Gerhard Branstner - E-Book

Heitere Dramatik E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Worum geht es dem Autor in dieser Sammlung eigentlich? Wie schon der Titel seines Buches anzeigt, vor allem um zwei Dinge – um Texte für die Bühne und um Heiterkeit – zusammengefasst um Heitere Dramatik, wozu Branstner alte Stücke neu schreibt. Und in diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick in das ebenso kenntnisreiche wie ausführliche Nachwort zu diesem Band, in dem sich der Literatur- und Theaterwissenschaftler Peter Reichel „Zum theoretischen und literarischen Schaffen Gerhard Branstners“ äußert: Die im vorliegenden Band vereinten Stücke rechtfertigen den Sammeltitel „Heitere Dramatik“ zunächst durch ihre Genre-Zugehörigkeit: „Der Talisman“ ist eine Posse mit Gesang, „Schwitzbad“ eine satirische Groteske, „Die Schnaken“ sind ein Lustspiel. Variation und Modifikation des Genres entsprechen allemal Branstners strategischer Absicht, sie zeigen ihn als einen spielenden Autor. Darüber hinaus aber wird Heiterkeit nicht nur praktiziert, sondern auch thematisiert. Der Stückeschreiber lässt sich keine Gelegenheit entgehen, das eigene Handwerk theatralisch zu reflektieren. Miteinander verwoben, werden Literaturdebatte und Heiterkeitsdiskussion zu Elementen, gelegentlich sogar zu fabel- und strukturbildenden Faktoren des szenischen Vorgangs. Je organischer das innerhalb der dramatischen Geschichte geschieht, desto eher lassen sich Darsteller und Zuschauer darauf ein. Dabei wird vom Autor durchweg eine herausgehobene, markante personale oder kompositorische Konstellation gesucht, um dieses sein spezifisches Anliegen zu realisieren. Und etwas später fügt der Nachwort-Verfasser noch hinzu: Die hier versammelten drei dramatischen Texte sind – wie die meisten literarischen Arbeiten Branstners – Produkte der zweiten Verarbeitungsstufe. Der Autor, in den Gefilden der literarischen Überlieferung seit je Sammler und Jäger, hat sich im überkommenen Material nach Stoffen und Motiven umgesehen, deren Anverwandlung geeignet erschien, seinen theatertheoretischen Hypothesen praktisch zuzuarbeiten. Nicht Ausgrabungen, Entdeckungen hatte er im Visier, sondern Spielmaterial, das sich hin und her wenden ließ, ohne durch den Zwang zur Entschlüsselung komplizierter sozialer, thematischer und struktureller Zusammenhänge allein schon die Zuschauerenergie aufzubrauchen. Ein bestimmter Bekanntheitsgrad des Stoffes oder seiner Motive war also eine der Voraussetzungen, weitere Vereinfachung bei gelegentlicher, durchaus programmatischer Geringschätzung des verhandelten Inhalts eine andere.

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Impressum

Gerhard Branstner

Heitere Dramatik

Vom Talisman zum Schwitzbad

Das Buch erschien 1988 im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig.

ISBN 978-3-96521-766-9 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

„Meine Stücke haben den Zweck, Anlass und Dramaturgie für ein geselliges Vergnügen, für vergnügliche Geselligkeit zu sein. Das ist in der Tat Strategie, denn das ist die Zukunft des Theaters; und darin ist es durch keine andere Kunst ersetzbar … Wenn aber jeder das Seine beitragen kann, wird das Theater zu einer Stätte der Demokratie und hört auf, eine Anstalt der Belehrung und Bekehrung zu sein.“

DER TALISMAN

Posse mit Gesang nach Nestroy

Personen:

Titus, ein vakanter Geselle

Salome, Gänsehüterin

Frau von Zypressenburg, Witwe

Emma, ihre Tochter

Constantia, Kammerfrau, ebenfalls Witwe

Flora, Gärtnerin, ebenfalls Witwe

Plutzerkern, Gärtnergehilfe

Monsieur Marquis, Friseur

Spund, ein Bierverleger

Georg, Bedienter der Frau von Zypressenburg

Herr von Platt

Notarius Falk

Zwei Gartenknechte

Damen und Herren der Soiree

Auf der Vorbühne vor geschlossenem Vorhang. Schlagartig ausbrechender Wirtshauslärm. Titus kommt wie ein aus der Tür geworfener Zechpreller auf die Vorbühne gerollt. Eine Tür knallt laut zu, der Lärm bricht jäh ab. Titus rappelt sich halbhoch, droht in die Richtung, aus der er gerollt kam, wehrt „Schläge“ ab. Musik setzt ein. Titus singt, dabei abwechselnd drohend und „Schläge“ abwehrend.

KLAGELIED EINES ROTHAARIGEN

Beinah hätt’ ich ihn verhaun,

doch ich darf mir das nicht traun.

Schlag ich wen, so heißt’s allzeit:

rote Haare suchen Streit.

Und die Schuld trifft mich allein.

Spar ich aber meine Schläge,

steck ich die von andern ein.

Da schlag doch der Deibel drein!

Titus steht auf und tritt an die Rampe

Da kannst du nix machen,

das Vorurteil blüht:

Wer rot ist, der hat auch

ein falsches Gemüt,

die Roten sein hitzig

und schnell aufgebracht. –

Ich kenn’ eine Blonde,

die rauft Tag und Nacht.

Und dann eine Schwarze,

ein furchtbarer Drachen.

Doch die Roten sind schuld,

da kannst du nix machen.

Die Roten sind schuld,

das ist jetzt die Mode.

Was für ein Blödsinn!

Ich lach’ mich zu Tode

Titus fällt vor Lachen akrobatisch oder komisch um und geht nach der anderen Seite ab. Das Lachen wird, von der Musik gehoben, schallender und verklingt gleich darauf.

1. Bild

Vorn ein dörflicher Platz: Brunnen mit einer Bank. Dahinter ein Gartenzaun mit Tür; welche in den Herrschaftsgarten führt. Unmittelbar hinter dem Zaun einerseits ein Teil des Häuschens der Gärtnerin mit benutzbarer Tür. Im Hintergrund andererseits eine Ecke des Schlosses mit benutzbarem Fenster in der ersten Etage. Das Hinterteil eines Stellwagens ragt auf die Bühne. Flora und Plutzerkern sind soeben abgestiegen. Plutzerkern nimmt noch ein Gepäckstück herab. Der Stellwagen fährt geräuschvoll ab. Die Pferde sind im Besonderen zu hören. Plutzerkern nimmt die Gepäckstücke auf, setzt sie wieder ab, will sie wieder aufnehmen, kommt aber nicht voran

Flora: Nein, das ist wirklich arg! Das bisserl Weg von der Stadt fünf Viertelstund. Schämen soll sich so ein Stellwagen!

Plutzerkern: Desstwegen heißt er ja Stellwagen, weil er nicht von der Stell kommt

Flora: Da hättest du mit deiner Langsamkeit gut Stellwagen werden könn

Plutzerkern: Das wär mir zu politisch

Flora: ?

Plutzerkern: So a Stellwagn lässt alle Leut aufsitzn: die niedern als auch die hohn. Da tät ich – quietschen – als Stellwagen

Flora: Ich glaub, du hast wieder dein’ witzigen Tag

Plutzerkern: Schimpfen S’ zu, lang wirds nit mehr dauern

Flora: Willst du etwan aus dem Dienst gehn?

Plutzerkern: O nein, aber Sie werden gewiss bald wieder heiraten, dann brauchens mich nicht mehr als Gegenstand Ihrer widrigen Laune

Flora: Ich werd mich nie mehr verheiraten, ich bleib meinem Verstorbenen treu

Plutzerkern: Bei Lebzeiten hat ers nie recht glauben wollen

Flora: Was ich brauch, ist ein Gartenknecht. Geh Er zum Gvatter Pölz, der soll mir einen auffinden, einen rüstigen

Plutzerkern: Einen rüstigen – hm, hm

will das Gepäck aufnehmen, Flora will ihm helfen und das kleinste Gepäckstück nehmen, er gibt ihr das größte und so fort

Flora: Mach Er geschwind, langweiliger Mensch! geht durch die Gartentür ab

Plutzerkern: Wies die eilig hat um den rüstigen Gartenknecht – hm, hm! geht ab

Titus tritt summend oder pfeifend auf, in der Melodie seines Auftrittsliedes, pfeift zwischen seinem Selbstgespräch ab und zu und singt ein Versfragment: Ich hab meinen Wohnsitz mit der weiten Welt vertauscht, und die is viel näher, als man glaubt … Man muss nur einen eigenen Kopf haben, und schon fliegt man hinaus – in die weite Welt … Das Vorurteil ist eine Macht, gegen die ein Kopf nichts ausrichtet … Glück und Verstand gehen selten Hand in Hand … Ich wollt, dass mir jetzt ein recht dummer Kerl begegnet, ich sähe das für ein Glück an

Plutzerkernkommt zurück, verharrt, als er Titus sieht: Der Beschreibung nach, die mir der Herr Polz gmacht hat, könnts der sein. Der Wuchs, der Mund, die Augen, die Ohren ganz entsprechend – nur die Haar? zu Titus Sucht der Herr hier sein Brot?

Titus: Ich such Geld, ’s Brot find sich dann schon

Plutzerkern: Is Er ein Schatzgräber?

Titus: Wenn Er mir zeigt, wo einer liegt

Plutzerkern : Oder ist Er gar ein Räuber?

Titus: Bis jetzt noch nicht, mein Talent ist noch in der Bildung begriffen

Plutzerkern: Versteht Er die Gärtnerei?

Titus: Ich qualifizier mich zu allem

Plutzerkern: Er möcht also bei der Gärtnerin-Witwe Gehilfe werden?

Titus: Gehilfe der Witwe? – Ich qualifizier mich zu allem

Plutzerkern: Mit so einem Gehilfen wär ihr gholfen! Das verdächtige Benehmen – und dann gar der Rotkopf!

Titus: Was stößt Er sich an meinem Kopf?!

Plutzerkern : Fahr ab, rote Rübe! geht durch die Gartentür ab

TitusPlutzerkern nachsehend. In mir organisiert sich Misanthropisches – O Menschheit, ich hasse dich, ich will dich fliehen! – Halt, wer knurrt da? Der Magen. Was knurrt er? den Kopf geneigt und die Hand am Ohr Hunger – Hunger! Du bist der Haken, welcher mich an die Gesellschaft heftet. Menschheit, du sollst mich nicht verlieren! zur Seite sehend

Dort zeigt sich ein menschliches Individuum und treibt tierische Individuen in ein Stallerl hinein. Ganseln sinds. Er windet sich vor Fresslust Ganseln! – O Hüterin, warum treibst du nicht ein Gansbratn zu mir! wendet sich verzweifelt ab

Salomekommt, ohne Titus zu bemerken, mit einem großen halben Laib Brot und einem Messer in der Hand: Ich muss trinken, mi druckts im Magen. Sie geht zum Brunnen und trinkt

Titus: Die druckts im Magen! Oh, könnt ich dieses selige Gefühl mit ihr teilen!

Salomeihn bemerkend, für sich: Ein fremder junger Mensch – und die Haar, grad wie ich. setzt sich zu ihm

Titusnähert sich zum Anschlag auf das Brot: Grüß dich Gott, verwandtes Wesen!

Salome: Gehorsamste Dienerin, schöner Herr

Titus überrascht und zugleich geschmeichelt: Die find mich schön! Da bist du die erste – achtet im Folgenden weniger auf Salomes Worte als vielmehr auf das Brot

Salome: O hören S’ auf, ich bin die letzte hier im Ort. Und warum? Weil ich die rotkopfete Salome bin. Rot ist doch gwiss a schöne Farb, die schönsten Blumen sein die Rosen, und die Rosen sind rot. Das schönste in der Natur ist der Morgen, und der kündigt sich an durch das prächtige Rot. Die Wolken sind doch gwiss eine hässliche Erfindung, und sogar die Wolken sein schön, wann s’ in der Abendsonn glühn am Himmel … Drum sag ich: Wer was gegen die rote Farb hat, der weiß nit, was schön is. Aber was nutzt mich das alles, ich hab doch kein, der mich auf die Kirmes führt – da geh ich halt zu meine Gäns, die laufen nit davon, wenn s’ mich sehn, und wann ich ihnen ’s Futter bring, schaun s’ mir auf die Händ und nit aufn Kopf

Titus: Liebevolle Erzieherin junger Gänse, ich bedaure dich. Die Erzieherinnen in der Stadt habens besser, und doch erteilen sie ihren Zöglingen eine nur mangelhafte Bildung, während du die deinigen alle Martini vollkommen ausgebildet der Menschheit überlieferst

Salome: Ich versteh Ihnen nit, aber Sie reden so schön daher – wer is denn Ihr Herr Vater?

Titus: Er ist gegenwärtig ein verstorbener Schulmeister

Salome: Das is schön! Und Ihre Frau Mutter?

Titus: War vor ihrem Tod längere Zeit verehelichte Gattin ihres angetrauten Gemahls

Salome: Ah, das is schön!

Titus: Die find alles schön, ich kann so dumm daherreden, als ich will: Die ergäb die ideale Ehefrau

Salome: Und darf man Ihren Namen wissen – wenigstens den Taufnamen?

Titus: Ich heiß Titus

Salome: Das is ein schöner Name

Titus: Die sagt nie was Unverhofftes. Das macht unerschrocken

Salome: Und lebendige Verwandte haben Sie gar keine?

Titus: O ja! Außer den erwähnten Verstorbenen lebt noch ein Herr Onkel, aber der tut nix für mich

Salome: Vielleicht hat er nix

Titus: Kind, frevle nicht, er ist Bierverleger, die habn alle was, die versilbern das Bier – und vergolden ihre Kasse

Salome: Haben Sie ihm vielleicht was getan, dass er Ihnen nit mag?

Titus: Er kann die roten Haar nit leiden. Ich beleidige sein Aug, sooft er mich anschaut. Und das Aug is der heiklichste Teil am Menschen

Salome: Das hab ich noch nit gewusst

Titus: Der Mensch glaubt nur, was er sieht. Salome nickt Deshalb sieht er nur, was er glaubt. Salome nickt noch nach, stutzt und ist konsterniert

Salome: Nein, wie Sie gscheit daherreden! Das sieht man Ihnen gar nit an

Titus: Das ist mein Schicksal! Keiner siehts mir an! – Also hab ich alle gesellschaftlichen Verhältnisse abgstreift, wie man sich auszieht vorm Schlafen, und jetzt steh ich im Hemd der natürlichen Freiheit da

Salome: Und gfallts Ihnen so?

Titus: Mehr oder weniger, aber mehr weniger. Die Stimmme der Natur ist unüberhörbar

Salome: Ich hör nix

Tituslegt ihre Hand auf seinen Bauch: Da knurrt sie

Salome: Ah, der Herr hat Nahrungssorgen – Da lasst sich Rat schaffen. Mein Herr, der Bäck, hat eine große Wirtschaft

Titus: Dann hat dieses Brot dein Herr verfasst?

Salome: Gwiss

Titus: Ich möcht doch sehn, wie weit ers auf dem Gebiet der Brotwissenschaft gebracht hat

Salome: Na, kosten Sies. Sie schneidet ein sehr kleines Stück Brot ab und gibt es ihm

Titusgenießerisch essend: Hm – es ist –

Salome: Meinen Ganseln schmeckts, ’s Vieh hat halt keine Vernunft

Titusverschluckt sich: Was sag ich jetzt? Mir schmeckts auch

Salome: Nit wahr, ’s is schlecht?

Titus: Hm – Ich verdamme niemals was voreilig, zieht einen Salzstreuer hervor, kippt eine Prise dem Brot hinterdrein, nimmt den Brotlaib und schneidet sich ein großes Stück ab Um ein Werk zu beurteilen, muss man tiefer eindringen. Ich werde prüfen und dir gelegentlich meine Ansicht mitteilen. steckt das Brotstück hinters HemdSalomehalb rücklings sehend: Sie, da schaun S’ hin!

Titushinsehend: Der Wagen! ’s Ross lauft dem Wasser zu – Million, wenn das hineinstürzt! rennt davon

Salome: Er wird doch nicht gar? – wenn ihm nur nichts gschieht – er packts Pferd – ’s reißt ihn nieder! schreit auf Ah! ’s Pferd steht still – er hats aufghalten – das is a Teufelsmensch! Ein Herr steigt ausm Wagen – er kommt daher mit ihm. Ah, das muss ich gleich dem Bäcker erzählen; wenn er das hört, nimmt er den Menschen gwiss. läuft davon

Marquis kommt mit Titus heran: Ah! Der Schreck steckt mir noch in allen Gliedern

Titus: Belieben sich da ein wenig niederzusetzen?

Marquissich setzend: Danke, mein Freund

Titus: Belieben vielleicht eine Verrenkung zu empfinden?

Fasst den Marquis am Fuß und bewegt die Spitze im Kreis

Marquis: Nein, mein Freund

Titus: Oder belieben vielleicht sich einen Arm gebrochen zu haben? schlenkert einen Arm des Marquis auf und ab

Marquis: Nein, mein Freund

Titus: Oder belieben vielleicht eine kleine Zerschmetterung der Hirnschale? Er ballt die Faust über dem Kopf des Marquis und holt aus

Marquisschreit ängstlich: Nein! – Mir bleibt nichts übrig, als Ihnen meinen Dank –

Titus: O ich bitte! nimmt die Faust herunter und öffnet sie

Marquis: Nicht alle sind so selbstlos wie Sie. Ein guter Bekannter stand da und schrie: Monsieur Marquis! Der Wagen stürzt ins Wasser! Monsieur Marquis!

Titus: Was? – Ein Marquis hab ich gerettet? – das is was extragroßes! hält beide Hände hin

Marquisin seiner Rede fortfahrend: Aber hilfreiche Hand leistete er nicht; da kamen Sie als Fremder herbeigeflogen –

Titus: Allgemeine Menschenpflicht

Marquis: Ihr Edelmut setzt mich in Verlegenheit; ich scheue mich, meinen Dank in Form von Geld abzustatten

Titus: Oh, ich bitt, das Geld ist eine Form, die –

Marquis: Die einen Mann von solcher Denkungsart nur beleidigen würde

Titus: Na, ich bitte Sie – mit Geld beleidigen ist eine Art von Beleidigung, die –

Marquis: Die ein Mann wie Sie am letzten verdient hat. zum Exempel: Es hat einmal einer – ich weiß nicht, wie er geheißen hat – einem Prinzen das Leben gerettet; der wollte die Tat mit Dukaten lohnen; was sagte da der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat? „Der schönste Lohn ist mein Bewusstsein“, sagte der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat. Ich bin überzeugt, dass Sie nicht weniger edel denken als der, wo ich nicht weiß, wie er geheißen hat

Titus: Es gibt Umstände, wo der Edelmut –

Marquis: Auch durch zu viele Worte verletzt wird. Wie wahr! Der rücksichtsvolle Dank ist stumm. Drum gänzliches Stillschweigen über die Sache! …

Titus: Der Mann hat ein Zartgefühl – der würds überhörn, wenn alle hungrigen Mägen der Welt auf einmal knurrten

[Anmerkung: Stücke von der Art des „Talisman“ erlauben und erfordern eine über die übliche Darstellung hinausgehende und das ganze Spiel in seiner Eigenart bestimmende Dimension. zum Exempel die vorstehende Passage: Wenn der Marquis sich gesetzt und „Danke, mein Freund“ zu Titus gesagt hat, zieht er seine Uhr. Titus erwartet, sie als Belohnung zu erhalten, der Marquis liest jedoch nur die Zeit ab und steckt sie wieder ein. Titus ist enttäuscht und über seine bereits vorgestreckte Hand verlegen, wird ärgerlich und kommt auf die Idee, seinen Lohn zu erzwingen.

(Dieses stumme Spiel ist die nötige Vereinbarung mit dem Publikum über den Sinn des Folgenden.) Titus malträtiert den Fuß des Marquis und hält, sobald er auf den Erfolg hofft, wieder die Hand hin. Das „Nein, mein Freund“ des Marquis nötigt ihn, es mit einem höheren Grad der Tortur zu versuchen. Er spuckt in die Hände, um sich über den Arm des Marquis herzumachen. Da auch danach die Hand leer bleibt, streift Titus den Ärmel hoch, um die Tortur höchsten Grades anzuwenden. Als der Marquis mit „Mir bleibt nichts übrig …“ klein beigibt, ist auch Titus erschöpft, aber er triumphiert und erwartet stolz den Beifall für seinen Sieg. Er ahnt nicht, dass sich das Blatt bereits wendet, und zwar groteskerweise gerade da, wo er in der Vorfreude über den erwarteten Geldsegen ganz außer sich gerät und ihn sich, als hätte er ihn schon, über den Kopf gießt, um gierig wieder beide Hände hinzuhalten. Doch der Marquis hat sein Spiel bereits begonnen. Als er es ablehnt, seinen Dank in Geld abzustatten, ist Titus zunächst nur irritiert; dann wird er hilflos; beim „Edelmut“ fleht er schon förmlich auf den Knien; und seine endliche Feststellung: „Der Mann hat ein Zartgefühl …“, ist nicht das vernichtende Urteil, das er über den Marquis fällt, sondern das weinerlich verzweifelte Eingeständnis, selber vernichtet am Boden zu sein. Das ist nur ein dürres, weil allein mit Worten skizziertes Exempel dafür, wie das geschriebene Stück eine „ungeschriebene“ komödiantische und inhaltliche Dimension ermöglicht und verlangt. Und da sie variabel ist, kann durch sie das Stück jederzeit zeitgemäß sein. Ohne diese Dimension würde die vorstehende Passage im besten Falle in ihrem ersten Teil nur eine Hanswursterei und im zweiten die bloße Offenbarung eines Geizhalses sein, während sie jetzt ein erbitterter Kampf in Form einer echten Harlekinade ist, worin sich beide Partner über Gier und Geiz hinaus als fähige Gegenspieler erweisen.

Die an anderen Stellen angebrachten Regiehinweise können in ihrer Kürze nicht einmal als Skizzierung dieser Dimension verstanden werden, sondern nur als Erinnerung an sie.]

Marquisden niedergekämpften Titus zufrieden betrachtend: Aber mein Freund, ich mache da eine Beobachtung – hm, hm! – das kann Ihnen in vielem hinderlich sein Titusnoch ermattet: Mir scheint. Ihnen is mein Kopf nicht recht – ich hab kein andern und kann auch kein andern kriegen

Marquis: Vielleicht doch – ich werde – ein kleines Andenken müssen Sie doch von mir nehmen, zieht einen Beutel hervor Nehmen Sie, Freund, Sie werdens brauchen, die äußere Form macht viel, manchmal alles. Es ist ein Talisman gibt ihm den Beutel, und mich würds freuen, wenn ich der Gründer Ihres Glücks war. Adieu, Freund, adieu! eilig ab

Titusverblüfft den Beutel in der Hand haltend: Glück gründen? –Talisman? – die äußere Form – da bin ich doch neugierig, was drin steckt, öffnet den Beutel, zieht eine schwarze Perücke heraus A Perücken –! Nix als eine kohlrabenschwarze Perücken! Ich glaub gar, der will sich lustig machen über mich! – Aber halt? – er hat recht! Wenn ich das aufsetz probiert die Perücke auf, wird der Adonis aus der Mythologie gestrichen. wieder triumphierend Meine Karriere geht an, die Glückspforte tut sich auf! zur offenen Gartentür blickend Schau, die Tür steht schon weit offen; wer weiß – ? Ich riskiers!

Tituswill auf die Pforte zu, da kommt Salome mit trauriger Miene zurück

Salome: Ach mein liebster Mussi Titus. Titus reißt die Perücke vom Kopf, dreht sich vor Schreck dreimal um sich selber, die Perücke aber immer für Salome unsichtbar hinter dem Körper Der Bäck nimmt Ihnen nicht

Titus: Meine liebe Salome, mir sind andere Aussichten eröffnet; ich bin aufs Schloss berufen

Salome: Aufs Schloss? Das kann ja nit sein. Oh, wenn Ihnen die gnädige Frau sieht, jagt sie Ihnen augenblicklich davon! mit Beziehung auf ihre Haare Darf ja ich mich auch nit blicken lassen vor ihr

Titus: Die Antipathien der Gnädigen sind hinfällig, meine Person betreffend. Ich geh mit kecker Zuversicht meinem Glück entgegen

Salome: Na, ich wünsch Ihnen viel Glück zu Ihrem Glück; ’s is nit recht, aber ’s schmerzt mich halt doch, dass mir wieder a Hoffnung in Brunn gfallen is

Titus: Was denn für a Hoffnung?

Salome: Wenn Sie als meinesgleichen dablieben wärn, hätts gheißen: das ist der rote Titus, und das ist die rote Salome, das sind die zwei Garstigsten im Ort; das hätt gewiss zur innigsten Freundschaft zwischen uns geführt

Titus: Und von der Freundschaft führt eine abschüssige Bahn zur Liebschaft

Salome: Na, jetzt so weit hab ich no gar nit denkt

Titus: Das Denken ist frei!

Salome: Ah, nein; es gibt Gedanken, für die man mit der Herzensruh bezahlt. Meine Plan gehn mir nie aus

Titus: Ja, der Mensch plant, und – zum Publikum der Himmel lässt a Perücken falln. Also adieu, Salome! will ab

Salome: Nur nit gar so stolz, Mussi Titus, Sie könnten ein schon rein bissl freundlich bei der Hand nehmen und sagen: Behüt dich Gott, liebe Salome!

Titus: Freilich! reicht ihr die Hand Wir scheiden ja als die besten Freund

Salome: Leben S’ wohl, vielleicht seh ich Ihnen bald wieder

Titus: Ich hoff, dass der Himmel mich bewahrt

Salome: Wer weiß – Sie gehn so kühn bei der Tür hinein, dass ich glaub, Sie werden bald bei der nämlichen Tür herausgeworfen

Titus: Ich danke für die freundliche Prophezeiung

Salomeauf die Bank zeigend: Da werd ich sitzen alle Tag, auf die Tür hinschaun –

Titus: Und darauf warten, bis man mich in deine Arme wirft. Gut, mach dir diese Privatunterhaltung! Behüt dich Gott! Mein Schicksal ruft: DieTür steht offen! Ich folge diesem Ruf und bring mich selbst gleich mit. geht durch die Gartentür ab

Salome: Da geht er, und weiß nit, dass ich – ich hab eh kein Glück ghabt, und mir kommts jetzt vor, als wenn er noch was mitgenommen hätt davon. – Wenn ich mirs nur ausm Sinn schlagen könnt. Aber wie denn? Mit was denn? Wär ich a Mannsbild, wüsst ich mir schon z’ helfen, tritt nach vorn, hinter ihr schließt sich der Vorhang Die Mannsbilder habens halt doch gut gegen uns singt

DIE MÄNNER HABEN’S GUT

Wenn uns einer gfallt und beachtet es kaum,

was soll man da machen, ’s is aus mit dem Traum.

A Mann, der hats leicht, ja, der rennt alle Tag

zum Mädel und fleht und lasst damit nimmer nach,

er tut ganz verrückt, fahrt mitn Kopf gegn die Wand;

aber dass ers nit gspürt, macht ers bloß mit der Hand.

Und ’s Madel gibt nach, dass er sich nur nix tut –

Ja, die Männer habn ’s gut, habn ’s gut, habn ’s gut!

Wenn uns einer kränkt, das is weiter kein Jammer,

was können wir tun? Nix als wein in der Kammer!

Kränken wir einen Mann, machts ihm nit groß zu schaffen,

er setzt sich ins Wirtshaus und trinkt si ein Affen!

Wir glaubn, er verzweifelt, derweil isst er ein Kas,

zünd sei Pfeifen an und macht mit der Kellnerin Gspaß:

schaut im Hamgehn einer andern glei hübsch untern – Hut –

Ja, die Männer habn ’s gut, habn ’s gut, habn ’s gut!

2. Bild

Zimmer in der Wohnung der Gärtnerin mit Mitteltür, rechts und links schmalere Seitentüren. Neben der Mitteltür stehen vier große Obstkörbe

Flora: Mein seliger Mann hat kurz vorher, als er selig worden ist, gsagt, ich soll Witwe bleiben – wie kann ein Mann so eine unglückliche Idee haben? Die Knecht zeigen kein Respekt, ich muss ihnen einen Herrn geben, dessen Frau ich bin. – Mein Seliger wird den Kopf beuteln in die Wolken und drohend auf mich herabschaun. Wenn er mir etwan gar als Geist erscheint, wenns plötzlich klopfet an der Tür – es wird an die Tür geklopft. Flora schreit ängstlich auf, hält sich wankend fest

Titusmit schwarzer Perücke, stürzt herein: Is ein Unglück gschehn? – Oder schrein Sie vielleicht immer so stattn Hereinsagen?

Florasich mühsam fassend: Nein, bin ich erschrocken!

Titus: Seltsames Geschöpf, sie erschrickt, wenn einer anklopft; sonst ist den Frauenzimmern nur das schrecklich, wenn keiner mehr anklopft

Flora: Der Herr wird sich drüber wundern, dass ich so schwache Nerven hab?

Titus: Wundern? O nein! Die Nerven von Spinnweb, ’s Herz von Wachs und ’s Köpferl von Marmor, das ist das Muster des weiblichen Geschlechts

Floraschwärmerisch: Marmor – Recht ein angenehmer Mensch – und gar die rabenschwarzen Haar – ich muss aber doch – laut und in etwas strengem Ton, wer is der Herr und was will der Herr?

Titus: Ich bitt, die Ehr is meinerseits. Ich bin Ihr untertänigster Knecht und empfehl mich – für die Gärtnerei

Flora: Als Gehilfe?

Titus: Ob Sie mich Gehilfe nennen oder Helfer oder – das is alles eins; selbst – ich setz nur den Fall – wenn es mir in Ausübung meines Dienstes gelingen sollte, Gefühle in Ihr Herz zu pflanzen – ich setz nur den Fall – und Sie mich zum unbeschränkten Besitzer der ganzen Plantage ernennen sollten – ich setz nur den Fall – selbst dann würde ich immer nur Ihr Knecht sein

Flora: Artig is der Mensch – aber – laut Seine Rede ist etwas kühn, etwas vorschnell

Titus: Bitt untertänigst: wenn man sagt: „Ich setz nur den Fall“, da darf man alles sagen

Flora: Er ist also –

Titus: Ein exotisches Gewächs, durch die Umstände ausgerissen und durch den Zufall in Ihr Haus versetzt, und hier, von der Sonne Ihrer Huld erwärmt, hofft das kümmernde Rohr, sich bald wieder aufzurichten –

Flora: Da fragt es sich vor allem, ob Er die Gärtnerei versteht?

Titus: Ich habe Menschenkenntnis, folglich auch Pflanzenkenntnis

Flora: Wie geht denn das zusammen?

Titus: Sehr gut; wer die Menschen kennt, der kennt auch die Vegetation, weil nur sehr wenige Menschen recht leben – viele aber echt vegetieren. Das is der botanische Zusammenhang der Zoologie oder der zoologische Zusammenhang der Botanik. Also, wer die Menschen kennt, der kennt auch die Vegetation

Florader es unheimlich geworden ist: Der muss die höhere Gärtnerei studiert haben! zu Titus Er will also hier einen Dienst? Gut, Er is aufgenommen; aber nicht als Knecht. Er zeigt Kenntnisse, Eigenschaften, besitzt ein vorteilhaftes Äußeres –

Titusfür sich: Die Perücken wirkt –

Flora: Er soll die Aufsicht über das Gartenpersonal haben, Er soll den übrigen Befehle erteilen, verklärt Er soll in meinem Garten der erste sein –

Titus: Der erste – in Ihrem Garten! Wie komm ich zu solchem Glück?

Floraseine Haare betrachtend: Nein, diese Schwärze, ganz italienisch!

Titus: Ja, es geht schon beinahe ins Sizilianische hinüber. Meine Mutter war eine sehr südliche Gärtnerin

Flora: Weiß Er aber, dass Er sehr ein eitler Mensch ist? Mir scheint, Er brennt sich die Locken, will mit der Hand nach den Locken fahren

Tituszurückprallend–. Oh, nur nicht anrühren! Ich bin sehr kitzlich aufm Kopf

Flora: Wieso aufm Kopf? –

Titus: Weil ich überall kitzlich bin –

Flora: Närrischer Mensch! – Aber in diesem Anzug kann ich Ihn der gnädigen Frau nicht vorstellen, er hat so gar nix von einem Gärtner

Titus: Oh, der Anzug hat nur zu viel Gärtnerartiges: er is übersät mit Dung; er is aufgegangen bei die Ellbogen und an anderen Stellen; weil ich selten ein Dach hab, wird er häufig begossen; und wie er noch in der Blüte war, hab ich ihn oft versetzt

Flora: Das ist verrücktes Zeug! nach der Seitentür deutend Geh Er dort in die Kammer hinein; in der Truhen find Er den Hochzeitsanzug von mei’m gestorbenen Mann

Titus: Das Hochzeitskleid des Seligen soll ich anziehen? – Hören Sie – da kann ich nichts für, wenn Gefühle erwachen, die – küsst ihr die Hand, dann den Unterarm, findet ihn fad, zieht den Salzstreuer, salzt nach, küsst wieder und geht durch die Seitentür ab

Flora: Wirklich ein extemporierter Mensch! – Na, man kann nicht wissen, was geschieht. Ein Spaß wärs, wenn ich früher zur zweiten Heirat käm als unsere Kammerfrau, die so spöttisch auf mich herabsieht, weil sie den Herrn Friseur zum Liebhaber hat. Bei mir könnt es rascher gehn. Das wär ein Triumph! – Erst einmal muss ich aber die Leut zusammenrufen. geht zum Fenster Ah, der Plutzerkern! hinausrufend Hol gschwind die Knechte zusamm, ein neuer Gärtner is aufgenommen. Er wird in Zukunft anstatt meiner über sie befehlen, tritt zurück

Plutzerkernsteckt den Kopf zum Fenster herein: Das is gscheit. verschwindet wieder, kommt zur Tür herein

Titustritt in etwas altmodischem Gärtneranzuge, ein Bündel in der Hand tragend, ohne Plutzerkern zu bemerken, aus der Seitentür: Da wären wir! stellt sich in Pose und lässt das Bündel fallen, Plutzerkern erblickend Verdammt! Wenn der mich erkennt! wendet sich, um Plutzerkern den Rücken zu kehren, ab und gerät an die Obstkörbe, stopft sich die Taschen voll

Plutzerkernzu Flora: Das is also der neue Gärtner? tritt zu Titus, der das Äpfelklauen überspielt Da muss man sich ja höflichst rekommandieren

Tituswendet sich gegen Flora, um wieder Plutzerkern den Rücken zu kehren: Schicken S’ den Kerl fort; ich bin kein Freund von solchen Zeremonien

Flora: Tu Er nicht so schüchtern

Plutzerkernindem er versucht, Titus die Vorderseite abzugewinnen: Herr Gärtner, im Namen vom ganzen Personal –

Titus: In Teufels Namen! tut in der Verlegenheit, als ob er niesen muss Ich muss mir die Nasen – zieht eine graue Perücke mit Zopf aus der Tasche und hält sie eiligst vors Gesicht

Plutzerkern: Aber Sie haben kuriose Schnupftücheln

Titus: Was is denn das?

Floralachend: Das ist die Perücken von meinem Ehemaligen

Titus: Schaut sehr ehemalig aus! steckt die Perücke in das Bündel

Plutzerkern: Der Gärtner kommt mir so bekannt vor! zu Titus Haben Sie nit an Brudern mit rote Haar?

Titus: Ich hab keinen roten Bruder

Plutzerkern: So? Nachher wird das der Bruder von wem andern sein

Flora: Was redest du so saublöd daher?

Plutzerkern: Na, ich hab halt ein Bruder gsehn mit rote Haar, das ist ja nix unrechts

Flora: Ruf endlich die Leut zusammen! Plutzerkern ab

Plutzerkernvon außen die Tür wieder öffnend: Die Kammerfrau! ab

Flora: Die Kammerfrau? Sie kommt zu mir; was hat das zu bedeuten? Gwiss wieder ein Verdruss

Titusauf das Bündel zeigend: Und diese alte Gschicht, die tun wir – wohin?

Flora: Meinetwegen in den Kasten in der Kammer. Titus ab

Constantiazur Mitte eintretend: Frau Gärtnerin –

Floramit einem Knicks: Was steht zu Befehl?

Constantia: Die gnädige Frau erwartet heute nachmittags Besuch aus der Stadt und wünscht, dass nicht wieder so schlechtes Obst wie das letzte Mal ins Schloss geschickt werde

Floraauf die Körbe weisend: Ich hab das allerschönste –

Constantia: Die gnädge Frau ist überhaupt mit der ganzen Pflege des Gartens höchst unzufrieden

Flora: Is nicht meine Schuld – Aber das wird jetzt alles anders wern. Die gnädige Frau hat mir den Auftrag erteilt, einen geschickten Menschen aufzunehmen; na, da hat sichs so geschickt, dass ein sehr geschickter–

Constantia: Gut, ich werde es der gnädigen Frau zu wissen machen

Flora: Ich werd mir die Freiheit nehmen, ihn der gnädigen Frau vorzustellen

Constantia: Was fällt Ihr ein? Der gnädigen Frau so einen Bengel vorzustellen!

Flora: O bitte, Madam, diesen Menschen mit keinem gewöhnlichen Bengel zu verwechseln; – es ist möglich – beinahe schon gewiss, dass ich ihn heirat

Constantia: So? Diese Vermählung wird der gnädigen Frau so uninteressant sein wie der ganze Mensch; ich finde es daher ganz unstatthaft, ihn vorzustellen

Titustritt ein Titus Constantia erblickend: Ah! – Jetzt gäb ich kein Tropfen Blut, selbst wenn mir einer alle Adern öffnen tät. sich tief vor Constantia verneigend Ich bitte untertänigst – zu Flora warum haben Sie mir nicht gesagt – zu Constantia, mit tiefer Verbeugung mir nicht zu zürnen – zu Flora dass die gnädige Frau da is – zu Constantia, mit tiefer Verbeugung dass ich nicht gleich die pflichtschuldige Referenz – zu Flora ’s is wirklich schrecklich, in was Sie ein für eine Lag bringen!

Constantia: Ich bin ja nicht die gnädige Frau

Florazu Titus: Was fallt ihm denn ein?!

Constantia: Ich bin ja nur –

Titus: Nein, Euer Gnaden sind es und wollen mir nur die Verlegenheit ersparen

Flora: Es ist die Kammerfrau der Gnädigen

Titus: Hören Sie auf! – Diese Hoheit in der Stirnhaltung, diese herablassende Blickflimmerung, dieser edle Ellenbogenschwung …

Constantia: Aber ich bin wirklich nur die Kammerfrau der Frau von Zypressenburg

Titus: Wirklich? – Ich glaub es nur, weil ich es aus Ihrem eigenen Munde erfahr. Also Kammerfrau? Meine Mutter war auch Kammerfrau

Flora: Grad hat er noch gesagt, seine Mutter war Gärtnerin

Titus: Da war sies auch noch, aber jetzt is sie Kammerfrau geworden

Constantiafür sich: So ein schöner, schwarzer Krauskopf ist mir so bald nicht vorgekommen

Florafür sich: Wie sie kokettiert auf ihn, die aufdringliche Person

Titusauf Constantia blickend: ’s Schicksal weiß wirklich nit, was ’s tut, so eine Gestalt in die Antichambre zu arretieren

Constantiabeiseite: Wirklich ein interessanter, gebildeter Mensch

Titusauf Constantia gemünzt: Klassische Salonfigur!

Plutzerkerndurch das Fenster: Die Knechte wern gleich da sein

Florazu Plutzerkern: Das Obst da soll ins Schloss getragen werden!

Plutzerkernverschwindet vom Fenster

Constantia: Das wäre eine saubere Manier, dass man das Obst nur so durch die Knechte hinaufschickt

Flora: ’s war ja immer so

Constantiaauf Titus zeigend: Der Herr Gärtner wird die Früchte überbringen; dies ist zugleich die schicklichste Gelegenheit, ihn der gnädigen Frau vorzustellen

Flora: Vorstellen? Wie finden Sie es denn auf einmal nötig, ihn der Gnädigen vorzustellen? Sie haben ja grad noch gsagt, es is ganz unstatthaft, so einen Bengel der gnädigen Frau vor die Augen zu bringen

Constantiaverlegen: Das war – das heißt –

Titus: Bengel?

Floramit boshaftem Triumph über Constantias Verlegenheit: Ja, Bengel

Titus: Das ist enorm!

Constantia: Es ist –

Titus: Mir unbegreiflich! plötzlich zu Flora wie Sie den „Bengel“ auf mich beziehen können

Flora: ’s waren die eigenen Worte der Madam

Titus: Es gibt außer mir noch Bengel genug, und ich bin kein solcher Egoist, dass ich alles gleich für mich in Anspruch nehm

Flora: Aber sie –

Titusauf Constantia deutend: Wenn dieser Dame wirklich ein „Bengel“ in den Mund gekommen sein sollte, so hatte sie wahrscheinlich an einen von den Knechten gedacht, denn mich hat sie ja noch gar nicht gekannt und kennt mich selbst jetzt noch viel zu wenig, um über den meinerseitigen Bengel das gehörige Urteil abgeben zu können zu Constantia Hab ich nicht recht?

Constantia: Vollkommen!

Florasehr aufgeregt und ärgerlich: Also will man mich zur Lügnerin machen

Titus: Nein – zur Verleumderin

Constantiazu Titus: Also kommen Sie jetzt!

Flora: Er soll aufs Schloss? Und warum dann gar so eilig? Die gnädige Frau ist ausgfahrn

Constantia: Nun, es ist doch wohl manierlicher, dass der Herr Gärtner auf die gnädige Frau wartet als sie auf ihn?

Titus: Das is klar, zu Constantia Und das Manierlichste auf jeden Fall is, wenn ich bei Ihnen wart – dass ich den günstigen Moment nicht verpass

Florasehr ärgerlich, beiseite: Zerreißen könnt ich s’, die Person, die!

Titus: Als Gärtner muss ich der gnädigen Frau aber mit dem gehörigen Anstand – ah, da is ja, was ich brauch, eilt zum Fenster und reißt die Blumen aus den Töpfen

Flora: Meine Blumen! Das ist nun doch –

Titus: Ein Band brauchen wir auch. Da is ja eins, nimmt Flora ein breites Atlasband fort und wickelt es um die zum Strauß gefassten Blumen

Flora: Was fällt Ihm ein! Das schöne Band, was ich mir grad aus der Stadt –

Titus: Zu dem hohen Zweck is das Beste noch zu schlecht, zu Constantia, auf Flora deutend Die Gute, sie weiß nichts von Etikette, zwei Gartenknechte treten ein Meine Untergebenen! Ihr tragt mirs Obst nach!

Die Knechte: Zu Befehl!

Constantiazu Titus: Bei der Gelegenheit müssen Sie sich bei den Leuten in Respekt setzen, etwas zum Besten geben – ich finde es wenigstens

Titusin den Taschen suchend: Ich finde noch weniger – ich finde gar nichts – obwohl ich auch finde

Constantia: Ich mache mir ein Vergnügen daraus, nehmen Sie hier – will ihm eine Börse geben

Floraes verhindernd: Erlauben Sie, das geht mich an. zu Titus Hier, nimm der Herr! will ihm eine Börse geben

Constantiaes verhindernd: Halt! Das duld ich nicht, es ist eine Sache, die die Ehre des Hauses betrifft und folglich die gnädige Frau durch mich bestreitet

Flora: Die Ehre kann ebenso gut durch mich bestritten werden usf.

Titus: Erlauben Sie, die Ehre des Hauses kann man bestreiten, ohne dass jemand dabei zurückgesetzt wird. Ich bin so frei – nimmt die Börse von Constantia geben S’ nur her! nimmt die Börse von Flora So! albert mit den Börsen In dergleichen Fällen nur niemanden zurückstoßen! zu den Gartenknechten Heut noch werds alle traktiert von mir

Die Knechte: Juhe!

Titus: Und jetzt vorwärts aufs Schloss!

Titusgeht, Constantia den Arm bietend, mit ihr voran, die Knechte, an jedem Arm ein Obstkorb, folgen. Alle drehen eine Runde rings um das ganze Zimmer. Die Knechte singen

Die Knechte: Der neue Herr Gärtner, der lasst sich recht gut an.

Sein Gsundheit wird trunken, das is halt a Mann!

Vorhang. Plutzerkern kommt auf die Vorbühne und singt höhnend

DAS WITWENSTIEGERL

Der neue Herr Gärtner,

das is halt a Mann:

Vom Schopf bis zur Sohle

a fescher Galan.

Der halt sich nit lange

bei einer nur auf.

Von Witwe zu Witwe

steigt ers Stiegerl hinauf.

3. Bild

Wie das erste Bild. Gleich hinter dem Zaun ein Tisch mit mehreren Gartenstühlen. Plutzerkern und die Knechte beim Trinken und Singen: „Der neue Herr Gärtner …“ als Schluckauftrio

Plutzerkern: O kurzsichtiges Volk! Ein nichtsnutziger Pinkel is er, der neue Herr Gärtner, glaubts mir; der wird uns von keiner Arbeit erleichtern, im Gegenteil, wir werden ihn noch bedienen sollen, den hergeloffenen Ding, und er steckt die Händ in Sack und spielt den gnädigen Herrn

Erster Knecht: Aber fix is er

Zweiter Knecht: Und spendabel

Plutzerkern: Ich hab noch die Hälfte vom Geld, das wolln wir flugs noch verflüssigen! Nur immer denken, ein Gärtner muss fleißig begossen werdn. Sonst welkt er dahin alle singen

DAS KRÜGELLIED

Man glaubt nicht, wie gschwind

d’ Krügeln austrunken sind.

Bei der Arbeit, da kränkelt man gern,

beim Wein tut sich keiner beschwern,

der stärkt jedes Glied!

Wir haben den Anfang gemacht,

die Fortsetzung folgt auf die Nacht

Floratritt mit einem Korb aus der Tür, bleibt lächelnd kurz stehen, kommt heran und summt die letzte Zeile mit, ernüchtert sich: Nehmts eure Krügeln und gehts, den Platz brauch ich jetzt, zu Plutzerkern Und Er hilft mir den Tisch da decken. Knechte ab

Plutzerkern: Diese Arbeit lasse ich mir nit zweimal sagn. nimmt Teller etc. aus dem Korbe Das ist ja nur für zwei Personen?

Flora: Freilich; ich wüsst nicht, wozu mehr nötig wären

Plutzerkern: A so speist der neue Gärtner im Schloss bei der Kammerfrau?

Flora: Dummkopf ! Er speist hier bei mir

Plutzerkern: Er, Sie und ich – wir sind aber drei

Flora: Er hat an meinem Tisch gespeist, weils mir allein zu solo war; jetzt is Er überzählig. Drum wird Er, wenn aufgetragen is, gehn

Plutzerkernpikiert: Das war der Moment, wo ich sonst nit gegangen bin

Flora: Räsonier Er nicht und bring Er die Suppen!

Plutzerkernboshaft: Sie könnt kalt werden, wer weiß, wann der kommt

Floraungeduldig nach dem Schlosse sehend: Er muss den Augenblick da sein, halb für sich Ich begreif ohnedies nicht, wo er so lang bleibt

Plutzerkern: Ich schon

Floraärgerlich