Revolution auf Knien oder Der wirkliche Sozialismus - Gerhard Branstner - E-Book

Revolution auf Knien oder Der wirkliche Sozialismus E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Es sind wichtige Fragen, die der Autor nach dem Ende des sogenannten realen Sozialismus stellt: War der Sozialismus eine Utopie, und ist sein Scheitern das Ende der Utopie? War nur der falsche Sozialismus möglich, der echte aber nicht? Und Branstner, der sich im Freundeskreis gern auch mal als der Marx des 21. Jahrhunderts bezeichnen ließ, liefert zugleich seine Antworten. Dazu gehört die Diskussion darüber, woran der „reale Sozialismus“ eigentlich gescheitert ist. Branstner arbeitet dabei mit dem Begriff der Verbürgerlichung im „realen Sozialismus“ und schreibt: Die Mehrzahl der sozialistischen Parteien des östlichen Europas ist nach dem Zusammenbruch der wesentlichen Teile des sozialistischen Weltsystems der Verbürgerlichung zum Opfer gefallen. Der Sozialismus wurde schlichtweg abgeschrieben. Aber in allen diesen Parteien hatte die Verbürgerlichung lange vorher stattgefunden, nämlich zu Lebzeiten des „realen Sozialismus“. Diese Verbürgerlichung war der wesentliche Grund seines Scheiterns. In allen bisherigen Analysen und Erklärungen des Untergangs des sozialistischen Systems fehlt jedoch dieser wesentliche Grund. Erst mit dem Begriff der Verbürgerlichung wird eine zusammenfassende Vertiefung erreicht, ein umfassenderes Verständnis des Grundübels des „realen Sozialismus“. Die schließliche Vertiefung des Verständnisses macht es allerdings erforderlich, die objektiven Bedingungen, die Voraussetzungen aufzudecken, die einer Verbürgerlichung der Parteien im Sozialismus zugrundeliegen. Die Entwicklungsgesetze der Geschichte haben selber eine Geschichte ihrer Entwicklung. Diese Geschichte ergibt sich einmal daraus, dass ein neues Gesetz sich erst ausbilden und an Kraft gewinnen muss. bevor es zum entwicklungsbestimmenden Faktor werden kann; und zum anderen erklärt sich diese Geschichte daraus, dass ein neues Gesetz nicht sogleich die ihm gemäßen Bedingungen vorfindet und sich zunächst unter den überkommenen alten Bedingungen ausbilden muss. Diese Geschichte der Gesetze gilt für den Sozialismus in einem höheren Grade, da sich hier das neue Gesetz und die alten Bedingungen erstmalig wesensfremd zueinander verhalten. Dieser Widerspruch ist eine erste Voraussetzung der Verbürgerlichung. (Der Begriff Gesetz steht für die Vielfalt der Gesetzmäßigkeiten, die in ihrer Gesamtheit die Entstehung und die Entwicklung des Sozialismus zu einer historischen Notwendigkeit machen, unabhängig davon, ob diese Notwendigkeit im ersten Anlauf verwirklicht werden kann.)

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Impressum

Gerhard Branstner

Revolution auf Knien oder Der wirkliche Sozialismus

Philosophisch-Politische Essays

Das Buch erschien 1997 im verlag am park, Berlin.

ISBN 978-3-96521-792-8 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

Mensch – wohin?

Eine Kurzphilosophie der Geschichte

Das Naturgesetz des Menschen

Das grundlegende Gesetz des Menschen ist die Anpassung. Das er scheint unbegreiflich und unästhetisch nur, solange die Anpassung allein als biologischer Vorgang oder moralische Unanständigkeit, nicht aber als gesellschaftliche Form eines Naturgesetzes verstanden wird.

Wenn es unsinnig ist, das von Darwin entdeckte Gesetz der Anpassung willkürlich auf den Menschen zu übertragen, so ist es noch unsinniger, es nicht auf ihn zu übertragen. Darwins Entdeckung ist von weitaus umfassenderer und tieferer Bedeutung, als Darwin selbst angenommen hat. Allerdings nur, wenn sie spezifisch genommen, wenn die menschliche Anpassung als „arteigene“ genommen wird. Dann entdeckt sich uns das Gesetz der Anpassung als das Grundgesetz aller menschlichen Entwicklung. Nur indem der Mensch sich anpasst, entwickelt er sich, und er entwickelt sich, indem er sich auf seine Weise anpasst. Der Zugvogel flieht vor dem Winter nach dem warmen Süden, der Mensch heizt den Ofen an. Das ist der Unterschied. Der Mensch nimmt nicht eine Veränderung mit sich vor, er verändert seine Umwelt. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dadurch, dass er sich der Natur anpasst, indem er die Natur sich anpasst. Er verändert sie zu seinen Zwecken.

Aber er verändert auch sich: Er organisiert sich als gesellschaftliches Wesen. Die gesellschaftliche Organisation ist nur zu verstehen, wenn sie als das dem Menschen eigene Organ der Anpassung verstanden wird. Das ist die natürliche Funktion der gesellschaftlichen Organisation des Menschen. Diese Organisation hat ihre Vorläufer im Tierreich. Bereits hier bilden sich Sozialstrukturen der vielfältigsten Art heraus, die den jeweiligen Tierverband befähigen, sich erfolgreich mit der Natur, mit der konkreten Umwelt auseinanderzusetzen. Denken wir nur an die Staaten bildenden Termiten und Bienen oder an die hoch entwickelten sozialen Organisationsformen der Menschenaffen.

Die menschliche Geschichte kann nur als Geschichte der Anpassung des Menschen an die Natur verstanden werden. Dann offenbart sich uns, dass die speziellen gesellschaftlichen Gesetze (laut Marx die Naturgesetze der Gesellschaft) nichts anderes sind als Funktion eines Gesetzes der Natur, eben des alles Leben von Anfang bis Ende begleitenden und geleitenden Gesetzes der Anpassung. Die spezifischen gesellschaftlichen Gesetze verleihen der gesellschaftlichen Organisation des Menschen allerdings eine hohe Eigengesetzlichkeit, eine hohe Eigendynamik und Eigenproblematik. Und je höher die Eigengesetzlichkeit der gesellschaftlichen Organisation, desto eher und desto mehr kann sie sich verselbstständigen und widernatürlich werden, sich wider sich selbst und die Natur kehren.

Der Mensch kann die Natur sich nur dann vollkommen anpassen, wenn er sich der Natur vollkommen anpasst, wenn er ihr folgt. Insofern ist auch die spezifisch menschliche Anpassung, die Anpassung der Natur an den Menschen letztlich nur eine Form der Anpassung an die Natur. Und wenn das nicht mehr funktioniert, wenn das ein und für alle mal in Frage gestellt ist, muss die Gesellschaft ein und für alle mal als Organ der Anpassung organisiert werden. Erst dann lässt die Menschheit ihre Vorgeschichte hinter sich und tritt in ihre eigentliche Geschichte ein. Aber soweit sind wir noch nicht.

Weshalb wurde das Gesetz der Anpassung als das Naturgesetz der Gesellschaft in seiner umfassenden Konsequenz bisher nicht erfasst? Eben die hohe Eigengesetzlichkeit der gesellschaftlichen Organisation, ihre exklusive Eigenproblematik, die ungeheure Schwierigkeit, sie zu durchschauen, hat davon abgehalten, sie in ihrer schlichten, natürlichen Funktion, Organ der Anpassung zu sein, zu erkennen. Insbesondere, wenn die politische Aktualität der gesellschaftlichen Entwicklung Freund und Feind voll in Anspruch nimmt. Und überdies ist die gesellschaftliche Organisation des Menschen nicht nur Organ der Anpassung.

Der wirkliche Kapitalismus

Das ökonomische Wesensmerkmal der Klassengesellschaft ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Ihr politisches Wesensmerkmal ist die Verwaltung des Menschen durch den Menschen.

Der Übergang von der Urgesellschaft zur Klassengesellschaft ist der Übergang von der sozialen Gleichheit zur sozialen Ungleichheit. In sozialer Ungleichheit ist aber nur der verwaltete Mensch zu halten. Die Verwaltung des Menschen ist die Verkehrung seines Wesens, sie verkehrt die spezifische Form der menschlichen Anpassung in ihr gerades Gegenteil: Der Verwalter der Natur wird selbst zum Verwalteten (der Anpassende zum Angepassten). Verwaltet sein heißt, dass die Autonomie des Menschen - sein höchstes Gut - eingeschränkt oder aufgehoben wird. An die Stelle der Entscheidung über sich selbst tritt die fremde Entscheidung über ihn, sein Wohl und Wehe hängt von der Urteilsfähigkeit, dem Gerechtigkeitssinn, der Laune, den Interessen, dem Charakter anderer ab. Und selbst wenn der letzte Verwaltete noch Verwalter sein möchte, der Mann die Frau und die Frau das Kind und das Kind die Puppe verwaltet (bereits im Spiel das Verwalten und Verwaltet werden übt), so ist doch nicht jeder wirklich Verwalter, wohl aber jeder Verwalteter (selbst der oberste Verwalter). Er ist Gefangener im System der Verwaltung und nicht frei in seinen Entscheidungen. Der Mensch wird von Verwalteten verwaltet. Und das macht die Sache noch verkehrter.

Die Verwaltung des Menschen durch den Menschen bedarf des gesellschaftlichen, des politischen, des sozialen Rollenspiels. Das Rollenspiel perfektioniert das System der Verwaltung des Menschen durch den Menschen. Es ist eine mehr oder weniger freiwillige „Selbstverwaltung“. Der Verwaltete delegiert seine Autonomie an die Verwaltung, lind diese delegiert ihm das Rollenspiel, die Selbstverwaltung im Sinne des Systems der Verwaltung. Das Rollenspiel ist mithin eine mehr oder weniger freiwillige Selbstkastration. Und der Entmannte will es gar nicht so recht wahrhaben. Verwalter wie Verwalteter funktionieren nur, wenn ihre Individualität aufgehoben ist, wenn sie nur noch eine Rolle spielen. Mit der Zunahme der Unterscheidung zwischen den sozialen Gruppen nimmt innerhalb der Gruppen die Unterscheidung zwischen den Individuen ab. An die Stelle der Individualität tritt die Uniformität. Zum Beispiel die fraktionskonforme Art der Rede.

Indem das Rollenspiel die Individualität, den „eigenen Kopf“ reduziert, produziert es Herdenverhalten. Würden sonst immer wieder Millionen in den Krieg laufen, um dort als Mörder oder Opfer zu fungieren; würden sich sonst Milliarden immer wieder zu Schwachsinnigen machen lassen und Regierungen wählen, deren Mitglieder wider ihre natürliche Intelligenz und wider besseres Wissen reden und handeln, weil, auch sie ihre Rolle spielen? Das Rollenspiel führt zur politischen und tendenziell zur medizinischen Schizophrenie sowohl der Verwalteten wie der Verwalter. Ein Symptom dessen ist die Selbsttäuschung, da sie die Schizophrenie erträglich macht. Die Reduzierung seiner Autonomie reduziert die psychische Qualität des Menschen bis zu ihrer Zerstörung. Bereits im achtzehnten Jahrhundert hat der Mediziner Reil beobachtet dass, wer um der bürgerlichen Ordnung willen sich zu Konventionen verstehe, der Gefahr einer „Störung des Gemüts“ ausgesetzt sei.

Die Verwaltung des Menschen durch den Menschen verdichtet sich, historisch gesehen, zunehmend. Und sie reicht von der Geburt bis zum Grab. Der Mensch trägt sie als Gefühl, als bewusste und unbewusste Last sein Leben, lang mit sich. Und er kann diese Last nicht abschütteln. Als besonders effektive Instrumentarien der Verwaltung des Menschen durch den Menschen erweisen sich mehr und mehr der Gesetzesdschungel und die Bürokratie.

Wenn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen schon infam ist, so ist die Verwaltung des Menschen durch den Menschen noch infamer. Die Ausbeutung entwendet ihm nur sein Produkt, die Verwaltung entwendet ihn selber. Und kehrt ihn gegen sich selber, macht ihn zum „Selbstverwalter“. Die Demütigung wird zur Selbstdemütigung.

Die Verwaltung des Menschen durch den Menschen ist vollkommen, indem sie ihn nicht nur mit staatlicher Gewalt in der sozialen Ungleichheit hält, sondern ihn geistig und moralisch derart zurichtet, dass er nicht mehr er selbst ist, viel mehr gar nicht erst dazu kommt, er selbst zu sein. Das macht das Gerede vom sich immer gleichbleibenden Menschen als historischen Idiotismus offenbar.

Die Verwaltung des Menschen durch den Menschen ist die tiefgreifendste, folgenschwerste und zugleich komplizierteste Verkehrung des menschlichen Wesens. Aber die verkehrte Welt ist eine notwendige, unvermeidliche Entwicklungsstufe des Gesetzes der Anpassung: Sie entwickelt die Instrumentarien der Anpassung, die Produktionsinstrumente, die wissenschaftlichen und technischen Mittel. Sie entwickelt, im Unterschied zum Saurier, der allein auf seine biologischen Potenzen angewiesen war, die biologisch unbegrenzten Überlebenspotenzen.

Zugleich ist sie aber gerade deshalb Verkehrung, weil sie den Zweck der Anpassung, den Menschen, zum Mittel verkehrt und damit seine Fähigkeit, die Natur zweckvoll zu seinem Mittel zu machen, verdirbt. Und mit ihr die Natur.

Als natürliches Grundgesetz der Gesellschaft gibt die Anpassung allen Erscheinungen der Gesellschaft und ihrem Verhältnis zueinander ihre Funktion und ihren Sinn, beispielsweise den ökonomischen Strukturen, den Produktionsverhältnissen, und so auch der Moral. Wenn die Teile der gesellschaftlichen Organisation nicht diese Funktion haben, funktioniert das Ganze nicht als Organ der Anpassung. Wenn der gesellschaftliche Organismus Organ der Anpassung ist, wird die Moral als Bestandteil dieses Organismus zu einem Bestandteil dieser Funktion. Als das ist sie entstanden und als das entwickelt sie sich. Dieses Verständnis der Moral, ihres Wesens und ihrer Funktion ist ziemlich simpel, aber deshalb nicht weniger wahr.

Der simple Sinn der Moral, Funktion der Anpassung zu sein, schließt nicht aus. dass daneben andere Arten von Moral existieren, die dieser Funktion nicht dienen, beispielsweise die Moral des Gangsters. Sie dient ihr nicht, aber sie erklärt sich aus ihr. Der Kapitalismus beruht auf Produktionsverhältnissen, kraft derer die einen sich aneignen, was andere erarbeitet haben. Diese Art der Aneignung dient bekanntlich bei einem bestimmten Stand der Produktivkräfte deren Entwicklung, der Entwicklung des wichtigsten Instrumentariums der Anpassung also. Die Expropriation der Ergebnisse fremder Arbeit war eine historische Notwendigkeit. Und die bourgeoise Moral - das Recht auf Expropriation - diente dieser Notwendigkeit. Die Moral des Gangsters aber ist nichts anderes als die kriminelle Form der bourgeoisen Moral. Sie ist ein undienliches, aber unvermeidliches Nebenprodukt. In dem Maße jedoch, in dem der Kapitalismus seine Funktion, Organisationsform der Anpassung zu sein, ins Gegenteil verkehrt, also im historischen Sinne kriminell wird, in dem Maße wird die Moral des Gangsters zur Moral des Kapitalismus. Sobald der Kapitalismus zum Verbrechen wird, kommt er ohne den Verbrecher nicht mehr aus. Wer Völkermord betreibt, braucht den Mörder, braucht dessen Moral. Wer ganze Rassen zu Untermenschen erklärt und ihre Vernichtung unternimmt, wer mit dem Bombardement von Dresden und Hiroshima und Nagasaki oder sich im Golfkrieg massenhafter Geiselmorde, der gemeinsten aller Morde, schuldig macht (während der Neurotiker Hussein heil davonkam, starben allein an den Folgen des Golfkrieges bisher über hunderttausend Kinder), wer am Tode von jährlich mehr als zehn Millionen Kindern in der Dritten Welt unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, muss die Moral des Mörders praktizieren. (Was wiederum die Gewaltkriminalität im eigenen Lande provoziert.) Und der muss, um ein gutbürgerliches Ansehen zu wahren, eine in der bisherigen Geschichte unerkannte Heuchelei und Verlogenheit praktizieren. Die Moral des Gangsters ist heute nichts anderes als die Moral einer Gesellschaft, die keine menschliche Aufgabe mehr hat, die nicht mehr der Naturnotwendigkeit der menschlichen Entwicklung dient, die sich außerhalb der menschlichen Entwicklung stellt. Die Moral des Gangsters erklärt sich also aus der Anpassung in Form des Kapitalismus, und die Gangstermoral des Kapitalismus erklärt sich aus dessen Überholtheit, als Form der Anpassung.

Es ist bezeichnend, dass der Kapitalismus zunehmend die positiven Eigenschaften des Menschen reduziert und die negativen stimuliert. Das zeigt sich auch im Verhalten zum Tier, speziell in den profitorientierten Bereichen, wie in der Pharmaindustrie, der Kosmetikherstellung und der Massentierhaltung. Hier „werden bei Versuchen Tiere lebend aufgeschlitzt, zersägt, verbrüht, in brennbare Flüssigkeiten getaucht und angezündet, ihnen werden bei vollem Bewusstsein Nerven freigelegt und elektrisch gereizt, innere Organe zerstört, Augen zugenäht, der Schädel angebohrt, Glieder gebrochen. Man zwingt sie, unaufhörlich zu rennen oder zu schwimmen, überfüttert sie, bestrahlt sie, hindert sie am Schlafen, bis sie sterben, wirbelt sie auf Drehscheiben, bis sie blödsinnig werden, zieht ihnen lebend die Haut ab, vergiftet sie, zwingt sie wochenlang in Gestelle, reizt Augen und Haut. Manche sind lebenslang auf engstem Raum eingepfercht. Man setzt sie Dauerstress aus, flößt ihnen Wachstumshormone und andere Chemikalien ein …“ Solche Versuche bedeuten für die Tiere „eine Welt des Grauens, des Schmerzes, der Todesangst, eine Welt bestialischer Quälerei …“ und für den Menschen bedeuten sie „perfektionierte Gefühllosigkeit“, die Zerstörung seiner ethischen Integrität. Sein ethisches Gewissen gegenüber seiner natürlichen Umwelt wird dermaßen korrumpiert, dass es nicht mehr als Korrektiv funktioniert.

Der Kapitalismus büßt seine Fähigkeit, dem Gesetz der Anpassung zu entsprechen, mehr und mehr ein, und er büßt sie in allen Belangen ein: ökonomisch, politisch und sittlich.

Die Dritte Welt

Die schändlichste Untat des Kapitalismus ist das Elend der Dritten Welt. Er trägt an diesem größten Elend auf unserer Erde die Primärschuld.

Bevor die Länder der heutigen Dritten Welt mit List und Betrug, mit Verrat und Gewalt unterworfen und zu Kolonien gemacht worden waren, lebten ihre Bewohner im Einklang mit der Natur. In einem über Jahrhunderte reichenden Prozess hatten sich Wirtschaftsweisen herausgebildet, die einer harmonischen Anpassung dienten. Das Verhältnis von Mensch und Natur war ausgewogen. Diese Wirtschaftsweisen wurden jetzt zerstört und durch den kapitalistischen Mutterländern dienende Wirtschaftsweisen ersetzt. Für diese folgenschwere Zerstörung haben die verantwortlichen kapitalistischen Länder bis heute keinen einzigen Pfennig Reparationen gezahlt.

Die nächste Schuld besteht in der rücksichtslosen Ausbeutung der Kolonien. Mensch und Natur wurden den Bedürfnissen der Kolonialmächte als schutzlose Ressourcen geopfert. Auch dafür haben die kapitalistischen Länder bis heute keinen Pfennig Reparationen gezahlt.

Die nächste Schuld besteht in den während der Befreiungskriege von den Kolonialmächten angerichteten Verwüstungen. Auch dafür ist bis heute kein Pfennig Reparationen gezahlt worden.

Die nächste Schuld besteht darin, dass die Mutterländer bei ihrem Rückzug aus den ehemaligen Kolonien technisches Gerät und andere Einrichtungen samt Fachpersonal fortgeschleppt haben. Auch dafür wurde bis heute kein Pfennig Reparationen gezahlt.

Die nächste Schuld besteht in der fortdauernden Ausbeutung der Dritten Welt. Das reicht von Preis- bzw. Handelsdiktaten über neuerliche Deformationen der nationalen Wirtschaften bis zu ökonomisch sinnlosen und ökologisch verheerenden Großanlagen. Auch dafür wurde bis heute kein Pfennig Reparationen gezahlt.

Die nächste Schuld besteht in den außerökonomischen Maßnahmen gegen die Länder der Dritten Welt, Wo diese Länder nicht auf ökonomischem Wege gefügig gemacht oder korrumpiert werden konnten, wurden und werden sie durch direkte militärische Intervention oder durch massakersüchtige Hilfstruppen (wie die UNITA in Angola) bis auf den Tod verwundet. Auch dafür ist bis heute kein Pfennig Reparationen gezahlt worden.

Angesichts dieser lückenlosen Kettevon Schuld des Kapitalismus am Elend der Dritten Welt bis auf den heutigen Tag, angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen, sozialen, hygienischen Zustande, angesichts der Naturkatastrophen, wie sie in diesem Ausmaß früher unbekannt waren, angesichts des Hungertodes von jährlich Abermillionen Menschen, was vor der Zerstörung des Einklangs vor Mensch und Natur ebenfalls ausgeschlossen war, angesichts all dessen ist die Hilfe, die den Menschen der Dritten Welt heute geleistet wird, der pure Hohn. Sie ist die Bettelsuppe, die man dem Armen reicht, nachdem man ihn ausgeraubt und in Armut gestürzt hat.

Die ungelösten Probleme der Ersten Welt, die ungelösten Probleme der Dritten Welt und die ungelösten Probleme in den Beziehungen zwischen beiden „Welten“ machen die gegenwärtige gesellschaftliche Organisation des Menschen untauglich, Organ der Anpassung zu sein, den Einklang von Mensch und Natur wiederherzustellen. Die Reorganisation der Weltwirtschaftsordnung wäre nur ein erster Schritt, um auf den Weg zu kommen. Doch schon da stößt der Kapitalismus an für ihn unüberwindliche Schranken.

Der „reale Sozialismus“

Der „reale Sozialismus“ ist durch drei Gebrechen gezeichnet. Das erste besteht in den Geburtsfehlern. Die Geburt des Sozialismus stand unter keinem guten Stern. Er ist aus dem finstersten und ärmlichsten Loche gekrochen, aus dem Völkergefängmid des zaristischen Russland, einem der wirtschaftlich und politisch rückständigsten Länder Europas. Er ist aus den Trümmern des 1. Weltkrieges gekrochen und aus den Verwüstungen des Bürgerkrieges, noch dazu in einem einzigen, alleinstehenden, isolierten Land.

Das zweite Gebrechen sind die Folgen der Heißen und Kalten Kriege, die von den kapitalistischen Ländern gegen die sozialistischen Länder geführt wurden. Schon in seinen ersten Lebenstagen musste er sich der infamen militärischen Interventionen der meisten imperialistischen Großmächte erwehren. Und er musste dem andauernden wirtschaftlichen und politischen Boykott und der Drohung des nächsten Krieges widerstehen. Unter diesen ungeheuer komplizierten Bedingungen war die Sowjetunion gezwungen, vorwiegend die Schwerindustrie aufzubauen, um auf dieser Basis die Wirtschaft auf Konkurrenzfähigkeit gegenüber den feindlichen Militärmächten auszurichten und sich gegen den Zweiten Weltkrieg zu wappnen. Diese Reflexion auf den Kapitalismus, so unvermeidlich sie war, hatte nicht nur ein niedriges Lebensniveau zur Folge, sie beschädigte auch das Wesen des Sozialismus, speziell die Methoden der Staatspolitik. Die Beeinträchtigung des Wesens des Sozialismus setzte sich fort mit den schweren materiellen Schäden und menschlichen Opfern, die der Zweite Weltkrieg forderte und mit der bereits 1946 einsetzenden Strategie der „Politik der Stärke“ und des Totrüstens. Der Heiße wie der Kalte Krieg bewirkten eine ständige Erosion des Sozialismus, zumindest aber behinderten sie die Ausbildung seines wirklichen Wesens erheblich.

Das dritte Gebrechen des „realen Sozialismus“ ist der Stalinismus. („Stalinismus“ ist selbstredend nur als Hilfsbegriff zu verstehen.) Der Stalinismus ist weder ein unvermeidliches Schicksal noch ein „Betriebsunfall“, er ist auch keine Kinderkrankheit oder eine Vorform des Sozialismus. Er ist eine nur unter bestimmten, historisch konkreten Voraussetzungen mögliche krankhafte Verletzung des Sozialismus. Zu diesen Voraussetzungen gehören die ersten beiden Gebrechen: die Geburtsfehler des Sozialismus und die Folgen der Kalten und Heißen Kriege. Außer diesen gibt es aber noch andere Voraussetzungen des Stalinismus.

Jede Gesellschaftsordnung muss ihr Wesen, das ihr eigene neue Gesetz unter überkommenen, alten Bedingungen verwirklichen. Das neue Gesetz findet die ihm gemäßen, neuen Bedingungen nicht schon vor, es muss sich diese Bedingungen erst allmählich schaffen. Was ist unter den alten Bedingungen, unter denen das Gesetz, das Wesen des Sozialismus realisiert werden muss, zu verstehen? Marx charakterisiert den Sozialismus als eine Gesellschaft „nicht wie sie sich auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt …, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.“ Aus dem Widersprach zwischen diesen alten Bedingungen und dem neuen Gesetz (und der Widerspruch ist diesmal so scharf wie nie zuvor) entsteht für die Staatspolitik, für die Art und die Methoden der Machtausübung im Sozialismus unvermeidlich eine Alternative von zwei Linien. Die erste Linie ergibt sich aus der Orientierung der Staatspolitik auf das neue Gesetz, die zweite Linie ergibt sich aus der Orientierung an den alten Bedingungen. Erschwerend kam hinzu, dass das zaristische Reich nicht einen Tag bürgerliche Demokratie gekannt hatte und dass es ein fast unregierbar riesiges Land war. Trotz dieser Bedingungen und des äußeren Drucks entschied sich Lenin im Prinzip für die erste Linie der Staatspolitik, auch wenn das ein großes Risiko in sich barg. Stalin hingegen entschied sich für die zweite Linie der Staatspolitik und konnte so an die „bewährten“ Methoden des Zarismus anschließen. Während aber die erste Linie im Notfall vorübergehend Elemente der zweiten Linie einsetzen kann, ohne dadurch gefährdet zu werden, wird die zweite Linie durch Elemente der ersten Linie durchaus gefährdet, was ihre Verunsicherbarkeit, Selbstisolierung und Sterilität und schließliche Erstarrung erklärt. Der Stalinismus (das ergibt sich aus der Schärfe des Widerspruchs) fürchtet nichts so sehr wie den wirklichen Sozialismus; anders ist der Wahnsinn der Verfolgung aufrechter Sozialisten nicht zu begreifen. Während die erste Linie die Verwaltung des Menschen durch den Menschen abbaut, wird diese durch die zweite Linie verstärkt, weshalb die schließliche Verwirklichung des Sozialismus mittels dieser Linie nicht möglich ist. (Auch dann nicht, wenn sie keine stalinistische Form angenommen hat.)

Eine weitere Voraussetzung für die Entartung der Staatspolitik im Sozialismus besteht in der Spezifik des Verhältnisses von Ökonomie und Politik. Der Kapitalismus hat bereits im Feudalismus einen ökonomischen Vorlauf von hoher Potenz entwickeln können, und überdies reguliert sich das ökonomische System des Kapitalismus weitgehend in sich selbst. Hingegen hat der Sozialismus keinerlei ökonomischen Vorlauf, muss also seine „Ökonomie“ über die Politik, durch staatliche Macht erst schaffen, und überdies verlangt die sozialistische Wirtschaftsweise eine ständige staatliche Regulierung. Der sozialistische Staat übt eine bestimmte Art von „außerökonomischem Zwang“ aus. Während der kapitalistische Staat sein Korrektiv in der Ökonomie hat und daher nicht so ohne weiteres aus dem Ruder laufen kann, ist umgekehrt der sozialistische Staat ohne ein solches Korrektiv und daher in der ständigen Gefahr, sich zu verselbstständigen, die Macht zu verabsolutieren und schließlich zu fetischisieren.

Wenn die ersten beiden Gebrechen des Sozialismus im Verein mit dem Widerspruch zwischen alten Bedingungen und neuem Gesetz und dem spezifischen Verhältnis von Ökonomie und Politik auch nicht zwangsläufig zum Stalinismus führen (da bedarf es schon noch einer bestimmten Personenkonstellation im Zentrum der Macht), so erklären sich aus diesen seinen Voraussetzungen doch wesentlich die Charakteristika des Stalinismus.

Wenn der Zweck die Mittel heiligt, verderben die Mittel den Zweck. Und die Mittel werden selbst zum Zweck, zum Selbstzweck. Das gilt besonders für die politische Macht. Indem sie zum Selbstzweck degeneriert, hört sie auf, als Mittel des Sozialismus zu funktionieren – der Sozialismus bleibt draußen. Der Degeneration der Macht entsprächt die charakterliche und geistige Degeneration der politischen Akteure. Die innere Unsicherheit wird zum Krebsschaden, die Risikobereitschaft nimmt ab, die Unfähigkeit zu sozialistischen Lösungen nimmt zu. Die historische Initiative geht verloren – der Sozialismus tritt aus der Geschichte aus; seine Impulse sind paralysiert oder verbraucht, und neue können sich nicht entwickeln.

Die Macht als Selbstzweck hat eine wachsende innere Leere zur Folge. Und die wird u. a. von der Nachäffung des Gegners ausgefüllt. Die Geschichte des „realen Sozialismus“ kann als eine Geschichte des Erleidens und des Nachäffens des Kapitalismus geschrieben werden. Das Nachäffen reicht von der Wegwerfgesellschaft bis zum bürgerlichen Diplomatischen Protokoll. Wie könnte sonst ein sozialistischer Staatsmann, wenn er einen „kommunistischen Bruder“ auf dem Flugplatz empfängt, diesem als erstes die Gewehrläufe der Ehrenformation unter die Nase halten. Das Nachäffen ist vor allem für den Poststalinismus charakteristisch.

Der Poststalöinismus ist einerseits weniger brutal als der Stalinismus, andererseits aber auch weniger operativ. Da verbreitet sich schon bald der Gestank der Stagnation. Statt effektive ökonomische und politische Konzeptionen zu entwickeln, werden alte, überalterte Konzeptionen, Formen und Methoden usw. übernommen oder bewahrt, tabuiert, gehätschelt und bis zum Grotesken sinnentleert oder sinnverkehrt. Da erfolgt die Heiligsprechung alles Bestehenden, vom Brotpreis bis zum Generalsekretär. Der Kapitalismus würde an der Nachäffung seiner selbst zugrunde gehen. Wie sollte da der Sozialismus die Nachäffung eines ihm fremden Wesens überleben? Auch wenn das Nachäffen nicht der hauptsächliche Fehler des „realen Sozialismus“ war, so war er doch der beschämendste. Der hauptsächliche Fehler war die Umkehrung der Dialektik von Mittel und Zweck in der Frage der politischen, staatlichen Macht. In ihrer Furcht vor der natürlichen Lebendigkeit des wirklichen Sozialismus verkehrte sich die Macht in all ihren Strukturen, Mechanismen etc. von der Macht des Sozialismus zur Macht über den Sozialismus. Diese Verkehrung war der Fehler aller Fehler.

Der Sozialismus entsteht als Antithese zum Kapitalismus, aber er muss alsbald die Synthese gewinnen, will er nicht zurückfallen. Der „reale Sozialismus“ war nicht die Negation der Negation, er war nur die Negation des Kapitalismus, und das war zu wenig, um auf Dauer vorzuhalten.

Der Sozialismus hatte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die größte, wenn nicht die letzte Chance, zu sich selbst zu finden und seine menschliche und geschichtliche Überlegenheit zu gewinnen. Auch wenn Churchill im Verein mit Truman 1946 den Kalten Krieg eröffnete, hatte der Sozialismus durch das Ansehen, das die Sowjetunion mit dem Sieg über den Faschismus gewonnen hatte und durch das Entstehen eines sozialistischen Weltsystems genug Luft, um sein wirkliches Wesen auszubilden und der Welt offenbar zu machen. Stattdessen setzte Stalin seine alte Linie fort und befreundete sich teilweise sogar mit dem Kalten Krieg, soweit der seinen Zwecken entgegenkam. Indem Stalin die zweite Linie der Staatspolitik länger als vertretbar fortführte und von Anfang an mit verbrecherischen Mitteln durchsetzte, hat er den Sozialismus zu Tode verwundet.

Stalinismus ist Konterrevolution.

Der Sozialismus war schon durch seine Geburtsfehler im Konkurrenzkampf gegenüber dem Kapitalismus ungeheuer benachteiligt. Mit der Selbstverstümmelung in Form des Stalinismus und des Poststalinismus war der Teufelskreis geschlossen: Die als Selbstzweck verabsolutierte Macht hält sich länger als es der Sozialismus aushält – sie ist erst dann überwindbar, wenn sie den Sozialismus unheilbar gemacht hat. Wie sollten ihn da solche Albernheiten wie ein Wodkaverbot heilen? Und das war noch die kühnste Aktion.

Auch wenn er schleichende, auf merkwürdige Art mit dem Sozialismus verwickelte Konterrevolution ist, so ist der Stalinismus doch nicht weniger Konterrevolution. Darin unterscheidet er sich wesentlich vom Faschismus. Der Faschismus ist der Nothelfer des Kapitalismus – der Stalinismus ist der Totengräber des Sozialismus. Der Faschismus beschädigt den Kapitalismus nicht in seinem Wesen – der Stalinismus ist dem Sozialismus wesensfremd. Daraus erklärt sich auch, dass der „demokratische“ Kapitalismus den Faschismus zwar weit von sich weist, die Faschisten aber mit Ämtern und Pensionen ehrt und belohnt; der Stalinismus hingegen wird mit dem Sozialismus gleichgesetzt, um den Sozialismus als Stalinismus zu verleumden. Das ist die pure Heuchelei, denn in Wahrheit müssten die Stalinisten, da sie den Sozialismus dem Kapitalismus überliefert haben, von diesem mit den höchsten Orden honoriert werden. Die Gleichsetzung des Sozialismus mit dem Stalinismus dient dazu, die Untaten des Stalinismus am Sozialismus zu Untaten des Sozialismus zu machen. Die Schändung des Sozialismus wird zur Schande des Sozialismus. Welch ein Widersinn!

Aber gab es denn wirklichen Sozialismus? Es gab ihn in vielen Elementen und Tendenzen. Es gab ihn nicht nur in dem realen Recht auf Arbeit, auf erschwingliche Wohnungen, auf soziale Absicherung des Berufslebens von Müttern, als Schutz und Förderung der Kinder, als gleiches Recht auf Bildung für alle, als funktionierendes System poliklinischen Gesundheitswesens einschließlich der kostenlosen medizinischen Versorgung, als das Fehlen von Obdachlosigkeit, Drogensucht, Existenzangst. Es gab ihn (ermöglicht durch die soziale Sicherheit) als persönliche Lebensplanung. Das aber ist ein elementarer Bestandteil der persönlichen Freiheit. Es gab ihn auch als die Kraft, die im Zweiten Weltkrieg den Faschismus besiegt und die Menschheit von einer der schlimmsten Geiseln befreit hat. Vor allem aber gab es ihn als eine menschlichere Beziehung zwischen den Menschen, denn es gab ihn als internationale Solidarität, und es gab ihn als Millionen und aber Millionen von Menschen, die an ihn geglaubt und für ihn gekämpft und in redlicher Arbeit jahrzehntelang ihr Bestes für ihn gegeben haben. Was es an Erfindungsgabe, an geistiger Kraft und charakterlicher Größe gegeben hat, wie es im „Eisernen Strom“, in der „Optimistischen Tragödie“, in „Wie der Stahl gehärtet wurde“ und in Hunderten anderen Werken der Kunst aufgezeichnet ist und wie es das vieltausendfach mehr in der Wirklichkeit gegeben hat, all die großen und kleinen Taten, die Leiden und das Glück von Generationen, all das war wirklicher Sozialismus und auch die peinigenden Zweifel, die Gewissensqualen in der Auseinandersetzung mit den Gemeinheiten und Dummheiten des „realen Sozialismus“, die ohnmächtige Wut und der Schmerz über die Beschädigung der sozialistischen Ideale und die tätige Hoffnung auf ihre Wiederherstellung.

Die Hingabe der besten Kräfte des Volkes für eine gerechtere Gesellschaft (wo anders hätte es das jemals gegeben?), die millionenfache Anstrengung des Geistes für eine bessere Welt, all das war lebendiger Sozialismus. Und das alles ist auf verbrecherische Art aufs spiel gesetzt und schließlich verspielt worden.

Damit haben die dafür Verantwortlichen ungeheure Schuld auf sich geladen. Sie haben nicht, nur den Tod vieler der besten Kommunisten auf dem Gewissen, sie haben nicht nur Millionen dem Elend und dem Kapitalismus ausgeliefert; sie haben den Sozialismus zum abschreckenden Beispiel gemacht. Sie waren Helfershelfer der Konterrevolution. Und die sogenannte „Wende“ war im Ergebnis die Vollendung der Konterrevolution.