Handbuch der Heiterkeit - Gerhard Branstner - E-Book

Handbuch der Heiterkeit E-Book

Gerhard Branstner

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Beschreibung

Zweifellos war Eulenspiegel ein heiterer Mann. Von ihm und seinen Eulenspiegeleien reden die Leute noch immer. Daher ist es völlig logisch, dass Eulenspiegel ein Platz in einem Handbuch der Heiterkeit gebührt. Zu diesem Zweck hat Branstner sogar eine Kabarettoper geschrieben, die so beginnt: Die Narrenschaukel 1. Bild. Die Narrheit lebt auf großem Schuh Volksmenge in historischen Trachten (aus der Zeit des historischen Eulenspiegels), dazu einige Spielleute oder Gaukler. Die Menge starrt in die Höhe und verfolgt in gleichförmiger Bewegung einen bestimmten, für den Zuschauer nicht sichtbaren Vorgang in der Luft und gibt staunende A- und O-Rufe von sich, die zu einem A-und-O-Chor werden. Da kommt ein großes Bündel Schuhe aus der Luft mitten in die Menge geflogen. Der Chor bricht ab, und die Menge stürzt sich auf die Schuhe: Meine Schuh, o der Schelm, wo sind meine Schuh. (Eine Rauferei beginnt) Hier sind sie, nein hier. Mir gehört der Schuh, nein mir. Hier, nein hier. Mir, nein mir. Her den Schuh! Gib doch Ruh! EIne einzelne Stimme: Heiliger Josef, wo sind meine Schuh! Menge: Großer Gott, welch Graus Keiner find’t sein’ Schuh mehr raus. Her den Schuh! Gib doch Ruh! Eulenspiegel kommt an einem Seil (oder auf andere Weise) auf die Mitte der Bühne gesprungen. Alle wenden sich ihm zu, verfolgen ihn. Er flüchtet auf einen erhabenen Punkt (Treppengeländer o. ä.) Menge: Meine Schuh, o der Schelm, wo sind meine Schuh. Wo sind meine Schuh! Her den Schuh! Eulenspiegel: Gebt doch Ruh! Menge: Her den Schuh! Eulenspiegel: Gebt doch Ruh! (flüchtet sich auf einen anderen erhabenen Punkt) Menge: (folgt ihm) Her den Schuh! Eulenspiegel: Gebt doch Ruh! Menge: Her den Schuh! Eulenspiegel: Gebt doch Ruh und hört mir endlich zu (Ruhe tritt ein) Eulenspiegel: (wendet sich an die Zuschauer) Was ihr hier seht, Hat keine Wirklichkeit. Nichts als ein heiterer Spuk aus längst vergangner Zeit Die Menge ist in geisterhafter Ruhe erstarrt. Eulenspiegel reißt sich die Eulenspiegelmaske ab Fort ins Geisterreich! (Er scheucht die ganze Gesellschaft von der Bühne, sie schwebt geisterhaft davon) Eulenspiegel hebt einen einzelnen Schuh auf, das einzige Stück Wirklichkeit, das der Spuk zurückgelassen hat. Er hält den Schuh zögernd in der Hand und blickt den Davonschwebenden sinnend nach. Mit dem Schuh in der Hand wendet sich Eulenspiegel wieder dem Publikum zu: Verehrtes Publikum! Der Spuk ist zwar vertrieben, doch ein Stück Narretei (Er betrachtet den Schuh) ist uns bis heut verblieben

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Impressum

Gerhard Branstner

Handbuch der Heiterkeit

Das Buch erschien 1980 im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig.

ISBN 978-3-96521-764-5 (E–Book)

Titelbild: Ernst Franta

© 2022 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E–Mail: verlag@edition–digital.de

Internet: http://www.edition-digital.de

Verehrter Leser!

Das Buch in Deinen Händen

geht wider allen Strich.

Und darum ist’s geschrieben,

sonst lohnt’s die Mühe nicht.

Es ist nicht von der feinen,

noch von der zagen Art.

An saftigen Gedanken

wird keineswegs gespart.

Und auch viel Heimlichkeiten,

die jeder denkt und tut,

stehn schwarz auf weiß zu Buche.

Uns fehlt es nicht an Mut.

Der Mensch hat Kopf und Beine,

zu denken und zu gehn.

Das Ding in beider Mitten

bleibt ungeachtet stehn.

Doch ohne es wär keiner

von uns in dieser Welt,

weshalb’s von allen Dingen

am besten mir gefällt.

Drum denk ich seiner reichlich

in diesem Buche hier

als Rehabilitierung

und Dank für das Pläsier.

Auch manche heil’ge Sache

wird ohne allen Schein

beschrieben und, wenn nötig,

gestellt vom Kopf aufs Bein.

Und andres wiederum,

das sonst verdeckt genannt,

wird hier direkt bezeichnet.

Dagegen, was bekannt,

erhält manch Gleichnishaftes,

auch wenn es ungereimt,

weil anders als gewöhnlich

und gänzlich neu erscheint.

Die ernstesten der Fälle

sind schlechthin lächerlich

behandelt und zum Spaße

gebracht vors Weltgericht.

Wie überhaupt die Dinge

in Heiterkeit verkehrt

in diesem Buch erscheinen,

was uns am Ende lehrt:

Das Große wie das Kleine

ist ohne tiefem Sinn,

wenn wir nicht endlich finden

das Heitere in ihm.

Dies Weltgefühl alleine

ist unsrer Weisheit Schluss.

Wir gaben’s diesem Buche –

nun lies es mit Genuss!

1 Anekdoten

Anekdoten, nach dem Orientalischen geschrieben

Wenn die Frau zu lange kein Fleisch bekommt

„Geh auf den Markt und kauf etwas Fleisch“, sagte die Frau zu ihrem Mann, „wir haben lange keines gehabt.“

Der Mann ging auf den Markt, doch dort vertrank er das Geld. Am nächsten Tage das gleiche, wieder brachte er kein Fleisch nach Hause. So ging das einmal ums andere.

Nun traf der Mann eines Tages auf dem Markt einen Freund und lud ihn zum Essen ein. Der Freund war einverstanden, und der Mann kaufte zwei Hähnchen. Zu Hause angekommen, sagte er zu seiner Frau: „Dies ist ein Freund von mir, und hier sind zwei Hähnchen. Bereite sie zu: eines für meinen Freund und eines für mich.“

Die Frau wollte zornig werden, doch dann sagte sie: „Wir haben kein Brot im Hause. Geh und besorge welches.“ Der Mann ging, und die Frau bereitete die Hähnchen zu. Dann nahm sie ein großes Messer, trat zu dem Freund und sagte: „Es ist so weit!“

Der Freund bekam es mit der Angst und fragte: „Was soll das?“

„Ich will dir nun die Hoden abschneiden“, sagte die Frau.

„Das ist bei uns so Sitte, wenn ein Freund zum ersten Mal zu Gast ist.“

Der Freund sprang auf und rief: „Ich muss vorher noch einmal hinausgehen, um mein Wasser abzuschlagen!“

Und sobald er hinausgelangt war, rannte er davon.

Die Frau aber aß schnell die Hähnchen auf. Und wie sie gerade damit fertig war, kam der Mann mit dem Brot zurück. Er blickte umher und fragte: „Wo ist mein Freund?“

„Da kannst du auch gleich nach den Hähnchen fragen“, erwiderte die Frau.

Der Mann blickte in den Topf, fand ihn leer und stürzte aus dem Hause. Als er den Freund in der Ferne davonlaufen sah, rief er ihm hinterher: „Lass uns wenigstens eines!“

Da rannte der Freund noch schneller und rief zurück: „Wenn du mich einholst, kannst du sie alle beide haben!“

Also: Ehezwist zeigt Weiberlist

Der außerordentliche Fall

Ein Reisender bat einen Hauswirt um Übernachtung und erhielt ein Zimmer im Erdgeschoss. In der Nacht aber hörte der Hauswirt den Gast im Obergeschoss lachen. Dort befand sich auch das Zimmer der Frau des Hauswirts. Er ging hinein und fragte den Gast: „Was suchst du in diesem Zimmer?“

„Ich habe mich im Schlaf gedreht und bin hierhergefallen.“

„Aber man fällt doch von oben nach unten und nicht von unten nach oben!“

„Deshalb lache ich ja gerade“, erklärte der Gast.

Da packte der Wirt den Mann am Gürtel und warf ihn die Treppe hinab: „Jetzt ist der Fall wieder in Ordnung!“

Also:

Nach oben fallen ist kein Wunder,

du fällst auch wieder ’runter

Der wundertätige Schelm

Ein armer Schelm hatte im Streit einen angesehenen Mann erschlagen und sollte mit dem Leben dafür büßen.

„Wenn ich ein Wunder vollbringe“, sagte der Schelm zum Richter, „wirst du mir dann die Strafe erlassen?“

Der Richter sagte das zu, und der Schelm erklärte: „Ich werde dich, nachdem ich dich getötet habe, wieder zum Leben erwecken.“

Da lachte der Richter und sprach: „Ich erlasse dir die Strafe, aber erlass du mir auch das Wunder.“

Also:

Witz wirkt mitunter

so gut wie ein Wunder

Das vollkommene Verbrechen

Die Frau eines Buckligen setzte ihrem Mann so lange zu, bis er sich bereit fand, seine Missbildung kurieren zu lassen.

Eben da erklärte ein Nachbar, der vor Kurzem in das Dorf zurückgekehrt war, er habe während seines Aufenthaltes in der Stadt die Kunst erlernt, alle Verkrümmungen des Rückgrats zu beseitigen. Also bat der Bucklige den Nachbarn, ihm zu helfen. Der sagte zu und befahl dem Krüppel, sich auf eine Planke auszustrecken, legte eine zweite auf den Buckel und sprang mit aller Kraft darauf. Der Buckel wurde gerade, aber der Mann starb.

Die Frau des Buckligen zeterte laut und forderte den Nachbar vor den Richter. Dort klagte sie über den Verlust ihres Ernährers, während der Nachbar erklärte, dass er nur versprochen habe, den Buckel geradezubiegen, sonst nichts. Der Richter erkannte diese Erklärung nicht an und verurteilte den Mann, der Klägerin den Ernährer zu ersetzen, indem er sie zur Frau nehme.

Die beiden heirateten auch alsbald, und die Frau sagte zu ihrem neuen Mann: „Nun haben wir genau das erreicht, was wir wollten, und keiner kann uns deshalb vor den Richter bringen, denn wir sind bereits verurteilt.“

Also:

Die Strafe ist nicht, was sie sollte,

wenn sie der Täter haben wollte

Die doppelte Lehre

Zwei Brüder gingen auf die Jagd. Als sie eine Wildgans am Himmel fliegen sahen, legten beide einen Pfeil auf, und der eine der Brüder sagte: „Wenn wir sie herunterschießen, werden wir sie kochen.“

„Nein“, erwiderte der andere, „wir werden sie braten.“

Ein Mann, der des Weges kam, hörte diese Worte und sagte: „Ihr werdet die Gans weder kochen noch braten!“

Das wollten die Brüder nicht glauben. Doch der Mann bot ihnen eine Wette an, und sie schlugen ein. Jetzt legten sie die Pfeile wieder auf, von der Wildgans war aber nichts mehr zu sehen. Also hatte der Mann die Wette gewonnen und verlachte die Brüder. Die gerieten in Zorn und zahlten ihm die Wette mit Schlägen aus.

Also:

Belehre, ohne zu beschämen,

man könnte es sonst übel nehmen

Die Antwort des Verrückten

Ein Gelehrter hatte seine Schüler um sich versammelt und sprach zu ihnen von den Dingen des Lebens. Da stellte sich ein Verrückter neben den Gelehrten, zog ein Buch hervor und blätterte eifrig darin herum. Er blätterte und blätterte und blätterte in einem fort.

Da riss dem Gelehrten die Geduld, und er rief: „Mann, du hast ja das Buch umgekehrt in der Hand!“

„Entschuldige bitte“, erwiderte der Verrückte, „ich bin Linkshänder.“

Wer einen Verrückten belehrt,

ist schnell bekehrt

Die Liste für alle Fälle

Ein Glaubenslehrer ritt auf einem lahmen Pferd von einem Ort zum anderen, seine wenigen Schüler aber liefen hinter ihm her und lauschten seinen Worten. Da stolperte das lahme Pferd, und dem Reiter fiel der Turban vom Kopf. Er glaubte, die Schüler würden ihn aufheben, und ritt weiter. Nach einer Weile aber fragte er: „Wo ist mein Turban?“

„Er wird dort liegen, wo er niedergefallen ist“, antworteten die Schüler.

Da wurde der Glaubenslehrer zornig und rief: „Was niederfällt, muss man aufheben.“

Sogleich lief einer der Schüler zurück, hob den Turban auf und legte auch den Dung hinein, den das Pferd an der gleichen Stelle verloren hatte. Als der Lehrer den Turban aufsetzte, fiel ihm der Dung ins Gesicht, und er geriet außer sich und gab dem Schüler eine Maulschelle.

„Wie, Herr!“, rief der Schüler, „sagtest du nicht soeben, dass alles, was niederfällt, aufzuheben sei? Und nun, da ich deiner Vorschrift folge, schlägst du mich!“

„Wie kann man so einfältig sein“, erwiderte der Glaubenslehrer. „Es gibt Dinge, die man aufhebt, und andere, die man liegen lässt.“

Damit wussten die Schüler jedoch nichts anzufangen, und sie baten ihn, die Dinge, die man aufheben soll, auf eine Liste zu schreiben. Das tat er denn auch.

Nach einiger Zeit stolperte nun das Pferd ein weiteres Mal und warf den Glaubenslehrer kopfüber in eine Grube. Da eilten die Schüler herbei und nahmen die Liste zur Hand. Und während einer sie vorlas, zogen die anderen ihrem Lehrer den Turban, das Überkleid, die Jacke und das Beinkleid aus und hoben es auf, den Glaubenslehrer aber ließen sie nackt in der Grube liegen. Und so wie er auch schrie, die Schüler sagten ungerührt: „Du stehst nicht auf der Liste. Wir tun nur, was geschrieben steht.“

Da half alles nichts, er musste sich die Liste geben lassen und schrieb, mit dem Kopf in der Grube: „Wenn euer Glaubenslehrer gefallen ist, so müsst ihr ihn wieder aufheben.“

Und sobald die Schüler das geschrieben sahen, zogen sie ihn heraus und setzten ihn wieder aufs Pferd.

Also:

Wortgetreue Schüler sind im Ernstfall hilflos wie ein Kind

Ein Hühnerdieb rettet einen Brunnenbauer

Am Rande einer Landstraße, die das Dorf mit der Stadt verband, wurde auf halber Strecke ein Brunnen gebaut. Die Leute freuten sich darüber und lobten den Brunnenbauer, denn bisher konnte man auf diesem Wege keinen Tropfen Wasser bekommen, um seinen Durst zu löschen. Nur wenige Tage danach fiel des Nachts ein Mann in den Brunnen und ertrank. Da schimpften die Leute auf den, der an dieser Stelle einen Brunnen angelegt hatte und forderten seine Bestrafung.

Als sich aber herausstellte, dass der in den Brunnen gefallene Mann ein seit Langem vergeblich gesuchter Hühnerdieb war, da lachten die Leute und brachten dem Brunnenbauer einen Korb Eier.

Also:

Verschmähe Lob und Tadel nicht, doch wisse stets, sie ändern sich

Die Geduldsprobe

„Das Wichtigste ist Geduld“, sagte ein Mann zu seinem Freund, als diesem ein hohes Amt übertragen worden war. Der Freund versprach, den Rat zu befolgen.

„Vergiss es nicht“, wiederholte der Mann, „das Wichtigste ist Geduld.“

Der Freund nickte zustimmend. Doch der Mann sagte ein drittes Mal: „Das Wichtigste ist, niemals die Geduld zu verlieren.“

Da wurde der Freund ärgerlich und rief: „Hältst du mich für einen Schwachkopf? Scher dich zum Teufel mit deinem albernen Geschwätz!“

„Siehst du, jetzt hast du sie schon verloren“, sagte der Mann, „dabei habe ich dir dreimal gesagt, dass Geduld das Wichtigste ist.“

Also:

Geduld braucht man vor allem dann,

wenn man sie leicht verlieren kann

Der kostspielige Hofstaat

Ein König beklagte sich bei seinem Wesir darüber, dass zu wenig Geld in der Schatzkammer sei. „Ich glaube“, so sagte er, „die Beamten sind nicht ehrlich und nehmen zu viel für sich, sodass nur ein geringer Teil der Einnahmen in die Schatzkammer gelangt.“

„Ich habe eine andere Erklärung“, entgegnete der Wesir. „Diese Erklärung kann ich jedoch nur in Anwesenheit des gesamten Hofes geben.“

Der König war damit einverstanden und ließ alle Hofleute rufen. Als der Hof vollständig versammelt war, bestieg der König seinen Thronsitz. Sogleich trat erwartungsvolle Stille ein. Jetzt kam auf einen Wink des Wesirs ein Mann in den Saal, in seinen Händen aber trug er einen riesengroßen Klumpen Butter. Und sobald er den Saal betreten hatte, übergab er den Klumpen an den ihm am nächsten stehenden Höfling, der ihn wiederum seinem Nachbar reichte. So wanderte der Klumpen Butter von Hand zu Hand und wurde zusehends kleiner. Und als er endlich zum Wesir gelangt war, hatte er kaum noch die Größe einer Faust.

Der Wesir reichte dem König die kleine Butterkugel und sagte: „Wir alle konnten sehen, dass niemand auch nur die kleinste Menge Butter auf unehrliche Weise beiseite gebracht hat, und doch ist sie auf einen Bruchteil ihrer einstigen Menge zusammengeschmolzen. Dem kann man nicht beikommen, es liegt in der Natur der Sache.“

Der König wusste darauf nichts zu sagen und erkannte die Erklärung des Wesirs an. Doch da trat der Mann, der die Butter gebracht hatte, vor den König und sagte: „Es liegt nicht in der Natur der Sache, es liegt an den vielen Händen, durch die die Butter gegangen ist. Ebenso verhält es sich in allen anderen Dingen. Auch wenn die Beamten nicht unehrlich sind, so sind es doch zu viele, an deren Fingern etwas hängen bleibt.“

Also:

Geht ein Ding von Hand zu Hand,

wird es bald nicht mehr erkannt

Wenn ein König danebenschießt

Während einer Jagd bemerkte der König einen Vogel, der auf einem Baum saß. Der König legte einen Pfeil auf und sagte: „Diesen Vogel werde ich töten. Ihr sollt sehen, dass auch ein König etwas von der Jagdkunst versteht.“

Der König schoss den Pfeil ab, der Vogel flog aber unberührt davon.

„Wie tierlieb ist doch unser König!“, rief da ein Höfling. „Obwohl es ihm ein leichtes gewesen wäre, den Vogel zu töten, hat er es nicht übers Herz gebracht und schoss absichtlich daneben.“ Der König schenkte dem Höfling einen Blick der Dankbarkeit. Das missfiel einem anderen Höfling, und er sagte: „Der König muss sehr tierlieb sein, denn er hat sehr weit danebengeschossen.“

Da mussten alle lachen, und der König behauptete niemals wieder, etwas von der Kunst des Jagens zu verstehen.

Also:

Die Schmeichelei ist nütze,

dient sie dem Spott als Stütze

Die Kunst, zur rechten Zeit verrückt zu sein

Der König eines Landes, um das es nicht wohl bestellt war, mischte sich eines Tages unter das Volk, um zu hören, wie die einfachen Leute über ihn reden. Unter einem Baume sah er einen Mann sitzen, den fragte er: „Wie ist der König dieses Landes? Ist er gut oder ist er schlecht?“

„Er ist der schlechteste unter der Sonne“, entgegnete der Mann.

Der König geriet in Zorn und rief: „Weißt du, wer ich bin?“

Da erkannte ihn der Mann und sagte schnell: „Du bist der König, aber weißt du, wer ich bin?“

Der König verneinte.

„Ich bin ein Verrückter“, sagte der Mann. „Jeden Monat bin ich einen Tag verrückt, und heute ist dieser Tag.“

Darauf wusste der Herrscher keine Erwiderung und ging davon. Am anderen Tage aber kam er wieder zu dem Mann und fragte ihn neuerlich, was er über den König denke. „Heute kann ich dir keine Antwort geben“, erklärte der Mann, „heute bin ich nicht verrückt.“

Der Weise geht hinwiederum sehr sparsam

mit der Narrheit um

Womit der Würdenträger nicht gerechnet hatte

Ein hoher Würdenträger gab seinen Freunden ein Gelage; und als alle tüchtig dem Weine zugesprochen hatten, rief er: „Wer mir eine Entschuldigung sagen kann, die schlimmer ist als das Vergehen, erhält einen Preis von zehn Goldstücken!“

Doch keinem der Freunde wollte, so sehr sie auch überlegten, solch eine Entschuldigung einfallen. Nach einiger Zeit aber, als niemand mehr an die Preisfrage dachte, trat ein Bedienter hinter den Würdenträger und griff ihm mit der Hand unter das Kleid.

Erzürnt fuhr der Würdenträger herum: „Was erlaubst du dir!“

Der Bediente erwiderte: „Entschuldige, o Herr, ich glaubte, es sei deine Frau.“

„Das macht deine Unverschämtheit nur schlimmer“, rief der Würdenträger, „damit hast du dich um deinen Kopf gebracht!“

Da erinnerte der Bediente den Würdenträger an die Preisfrage und an die versprochene Belohnung.

„Was man versprochen hat, soll man auch halten“, meinte der, „du hast die zehn Goldstücke gewonnen. Deinen Kopf aber hast du verloren, denn auch dafür habe ich nun einmal mein Wort gegeben.“ Und so geschah es.

Also:

Scherze nicht auf Kosten hoher Herrn,

das haben sie nicht gern

Die Pille der Unsterblichkeit

Ein um sein Leben besorgter König sandte einen Beamten aus, die Pille der Unsterblichkeit zu suchen. Der Beamte durchstreifte viele Länder, bestand viele Abenteuer und traf endlich einen Mann, der von sich behauptete, die gesuchte Pille zu besitzen. Der Beamte zahlte den geforderten Preis und begab sich auf den Heimweg.

Auch jetzt hatte er wieder einige Abenteuer zu bestehen, nur erschienen sie ihm diesmal, da er die Pille gegen den Tod in der Tasche hatte, bedeutend lebensgefährlicher! Er besprach sich mit sich und war endlich fest davon überzeugt, dass er um seines Lebens willen die Pille essen müsse, und er aß sie.

Die folgenden Abenteuer bestand er ohne Furcht. Und als er am Königshofe angelangt und, seines Vergehens geständig, zum Tode verurteilt wurde, sprach er: „War es wirklich die Pille der Unsterblichkeit, so kann man mich nicht töten. War sie es aber nicht, so habe ich mich nicht schuldig gemacht, indem ich sie aß. So oder so ist das Todesurteil nichtig.“

Die anwesenden Hofleute bewunderten im Stillen die Logik, mittels derer sich der Beamte aus der Schlinge gezogen hatte. Der König aber sagte: „Mit deinen Worten hast du dir selber das Urteil gesprochen. Besagen sie doch, dass wir nur durch das Schwert des Scharfrichters erfahren können, ob es wirklich die Pille der Unsterblichkeit war.“

Das Urteil wurde vollstreckt, und der Tod des Mannes offenbarte die Wahrheit.

Also:

Wer unrecht tut und logisch spricht

spricht selber über sich Gericht

Das alte Lied

Ein neu eingesetzter Beamter gab für die Würdenträger seines Amtsbereiches ein Fest. Zur Unterhaltung der Gäste trat auch ein Sänger auf, der sich wie folgt vernehmen ließ: „Fort mit dem Alten, herein mit dem Neuen; fort mit dem Unglücksstern, herein mit dem Glücksstern!“

Der Beamte fühlte sich über die Maßen geschmeichelt. „Das ist ein schönes Lied“, meinte er, „es hat mir sehr gefallen.“

„Das war auch die Meinung Eures Vorgängers“, sagte der Sänger stolz.

„Wie!“, rief der Beamte, „singst du dieses Lied jedes Mal bei Ankunft eines neuen Beamten?“

„Es ist das einzige Lied, das ich kenne“, sagte der Sänger.

Also:

Das Lob im Allgemeinen passt immer,

will es scheinen

Der Unglücksmensch

Ein Brahmane hatte zeit seines Lebens nachgedacht, wie er mit einem Schlage reich werden könne, und war darüber arm geworden: nun ging er am Bettelstab. Da erhielt er eines Tages einen Topf voll Honig geschenkt. In seiner Hütte angekommen, hängte er den Topf über die Bettstatt an einen Nagel und legte sich nieder.

Den Honig, so dachte er, indem er den Topf anschaute, werde ich gegen ein Huhn eintauschen, das mir Eier legt. Für die Eier werde ich eine Ziege kaufen, die mir Zicklein wirft. Diese werde ich gegen eine Kuh verkaufen; die Kälber wiederum verkaufe ich gegen eine Stute. Von dem Geld aber, das mir der Verkauf der Fohlen bringt, baue ich mir ein schönes Haus. Dann kann ich mir ein junges, sanftes Weib zur Frau nehmen, die mir einen Sohn schenkt. Und diesen will ich so erziehen, dass er die von mir erworbenen Reichtümer gut zu verwalten weiß. Sollte er jedoch einmal ungehorsam sein, so werde ich ihn ordentlich durchprügeln.

Bei diesem Gedanken fuchtelte er ganz wild mit dem Bettelstab in der Luft herum und traf den Honigtopf. Der Topf zerbrach und der Honig ergoss sich über den Kopf des Alten.

Da raufte er sich das verklebte Haar und rief: „O mein schönes Haus, mein sanftes Weib und mein hoffnungsvoller Sohn! Alles ist mit einem Schlage dahin! Was bin ich doch für ein Unglücksmensch! Und das nur, weil mich mein Zorn einen Augenblick übermannt hat. Dabei war ich doch als Vater völlig im Recht!“

Also:

Der Vorgang findet öfter statt,

dass im Leben man verliert,

was man im Traum besessen hat

Der schlagende Witz

Vor dem Tor eines Königsschlosses erschien ein Spaßmacher und sagte zu dem Hauptmann der Wache: „Lass mich ein, ich will dem König meine Witze erzählen.“

Der Hauptmann war einverstanden, forderte jedoch die Hälfte der Belohnung, die der Spaßmacher vom König zu erhalten hoffte. Damit wiederum musste der Spaßmacher wohl oder übel einverstanden sein. So gelangte er vor den König und begann, seine Witze zu erzählen. Da er jedoch unablässig an die Forderung des Hauptmanns denken musste, kam er beim Erzählen ins Stottern und brachte alle Witze durcheinander. Der König wurde schließlich zornig und befahl, dem Spaßmacher zehn Stockschläge zu verabreichen. Da fiel dieser auf die Knie und bat: „Befiehl nicht zehn, sondern zwanzig Schläge. Ich muss die Hälfte der Belohnung deinem Hauptmann abgeben.“

Jetzt musste der König nun doch lachen und schenkte dem Spaßmacher eine goldene Kette, der Hauptmann aber bekam die ungeteilten Prügel.

Also:

Gute Witze

haben eine ernste Spitze

Der allzu bescheidene Dieb

Ein Kaufmann hatte sein Lebtag an nichts anderes als an den Gelderwerb gedacht. Nun, da er alt und schwach geworden war, dachte er an dieses und jenes und auch daran, sich wohl zu verheiraten. Er wurde auch bald mit einem anderen Kaufmann einig und nahm dessen Tochter zur Frau. Diese aber war jung und hübsch und ekelte sich vor dem alten Mann, weshalb sie ihm auch stets den Rücken zukehrte, wenn beide das gemeinsame Lager einnahmen.

Eines Tages aber drang ein Dieb ins Haus, und die Frau geriet, sobald sie ihn erblickte, in Furcht und schloss ihren Mann fest in die Arme. Der war darüber sehr erfreut und zitterte vor Entzücken. Nach einer Weile erblickte aber auch er den Dieb und erkannte in ihm die Ursache seiner Wonne. Da erhob er sich von dem Lager und flüsterte, sodass es seine Frau nicht hören konnte, dem Dieb zu: „Ich verdanke dir ein nicht mehr erwartetes Glück. Nimm alles, was ich habe, es ist dein.“ Doch dann besann er sich und sagte: „Trag aber nicht alles mit einem Mal fort. Komme morgen und die folgenden Tage um die gleiche Zeit wieder und nimm immer nur ein Teil, so hast du es leichter.“

Der Dieb war es zufrieden und nahm sich eine Handvoll Münzen aus der Kassette, um die folgende Nacht eine andre Handvoll zu nehmen und so fort. Und immer wurde dem alten Mann ein großes Entzücken zuteil. Die Kassette war jedoch noch nicht zur Hälfte geleert, da erhob sich der alte Mann, als der Dieb einen seiner üblichen Besuche machte, von dem Lager und sagte: „Jede Nacht ein Dieb im Haus, das geht über meine Kräfte. Sei nicht so bescheiden und nimm den Rest des Geldes mit einem Mal.“

Also:

Zu später Beginn

Bringt keinen Gewinn

Der nicht zu fromme Pilgrim

Der Mann einer etwas einfältigen Frau begab sich, einem Gelübde folgend, auf eine Pilgerfahrt. Die solcherart alleingelassene Frau war aber nicht nur von schwachem Verstande, sie war auch schwanger. Der Muezzin hingegen, dessen Frau gerade ihre Verwandten besuchte, meinte bei sich: Ich bin allein, und die Frau des Pilgrims ist allein; wir könnten uns gut die Zeit miteinander vertreiben. Und bei der ersten Gelegenheit sagte er zu der einfältigen Frau: „Du bist zu bedauern, denn dein Mann hat dich mit einem unfertigen Kinde zurückgelassen.“

„Wie kann das sein?“, fragte die Frau verwundert.

„Es erfordert viel Mühe“, erklärte der Gebetsrufer, „bis ein Kind fertig ausgearbeitet ist. Dein Mann hat nur für den Körper gesorgt, Kopf und Glieder aber fehlen noch. Es ist eine Schande, solch einen Krüppel zu gebären.“

Da erschrak die Frau gewaltig und rief: „O Gott, hilf mir!“

„Gott kann da nicht helfen“, erklärte der Gebetsrufer. „Doch wenn du einverstanden bist, will ich die Mühe auf mich nehmen und das Kind fertig ausarbeiten. Da dein Mann sehr fromm ist und von diesen Dingen nichts versteht, muss er mir dankbar sein, wenn ich an seine Stelle trete. Wir dürfen jedoch keine Zeit verlieren.“

Das sah die Frau dann auch ein. Der Muezzin machte sich sogleich an die Arbeit und setzte dem unfertigen Kinde zunächst den Kopf an, dann Nase und Ohren, danach die Arme und Beine, schließlich Hände und Füße mit allen Fingern und Zehen, und tat das alles so genau und geschickt, dass die Frau sehr wohl erkannte, wie wenig doch ihr Mann von diesen Dingen verstand. Der Muezzin aber war es noch nicht zufrieden, besserte noch dies und jenes und führte es bis in alle Einzelheiten aus. So war er vollauf beschäftigt, und erst als die Rückkehr des Pilgrims zu erwarten stand, erklärte er das Kind für gänzlich ausgearbeitet.

Die Frau bedauerte das sehr, musste es aber zufrieden sein und empfing ihren Mann ohne rechte Freude. Der war aber nicht so fromm, dass er nicht bald hinter die Sache gekommen wäre. Und sobald er sich im Klaren war, zögerte er nicht lange und reiste in den Ort, wo die Frau des Muezzin bei ihren Verwandten zu Besuch weilte. Und als er dort getan hatte, was seines Willens gewesen war, kehrte er zurück und sagte zu dem Muezzin: „Da du so gern Kinder fertig ausarbeitest, wird es dich sicherlich freuen, dass deine Hilfe wieder einmal erforderlich ist, noch dazu es sich diesmal um deine eigene Frau handelt. Den Anfang habe ich schon gemacht.“

Aso:

Der erste Anstoß macht den Mann,

der Nachstoß zeigt den Feigling an

Neulichkeiten

Von einem Manne, der sich zu Tode lachte, nachdem er sein Testament gemacht hatte

Nur wenige verstehen es, lachend zu sterben. Aber nur einem Manne ist es bisher gelungen, lachend zu Grabe getragen zu werden. Dass es in einem in den südfranzösischen Weinbergen gelegenen Dorfe geschah, mag jedoch manches erklären. Dieser seltsame Kauz nun – oder soll man ihn einen seltenen Weisen nennen? – hatte nämlich ein Testament aufgesetzt, das in seiner Art wohl einmalig genannt werden darf. Sein Leben lang ein wahrer Till Eulenspiegel, dachte er auch an ein Begräbnis, das seiner würdig sein sollte. So bestimmte er, dass sein gesamtes Vermögen demjenigen zufallen sollte, dem es gelänge, die Trauergemeinde zum Lachen zu bringen, denn er wolle bei seinem Begräbnis keine traurigen Gesichter um sich sehen. Von seiner lebhaften Vorstellungskraft gepeinigt, brach er, kaum dass er das letzte Wort des Testaments niedergeschrieben hatte, in ein unbändiges Lachen aus. Der Gedanke an sein eigenes Begräbnis brachte ihn förmlich um. Sein vom Alter geschwächter Körper wurde von immer neuen Ausbrüchen eines nicht enden wollenden Gelächters hin und her geworfen, bis ihn schließlich das Leben verließ.

Als der gewaltige Trauerzug – die merkwürdige Klausel des Testaments hatte viele Menschen angelockt – sich in Bewegung setzte, begann bereits der eine und andere, seinen Nebenleuten die Lachmuskeln zu kitzeln. Da jedoch keiner dem anderen das Erbe gönnte, blieb zunächst jeder Erfolg aus. Nun dachte dieser und jener, euch werde ich schon kriegen, das wäre ja zum Lachen. Und er holte aus seinem Gedächtnis heraus, was er nur jemals an Belachenswertem erlebt oder erhört hatte. Noch immer vergebens. Aber an Aufgeben dachte keiner, das Erbe lockte. Man musste es nur richtig anfangen. Wohlüberlegte Witze, die man fürs erste noch zurückgehalten hatte, wurden zum Besten gegeben. Und jetzt schien es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis das erste Lachen ausbrach. Einige zeigten schon unverkennbare Wirkung: von zurückgehaltenem Lachen schmerzhaft verzogene Gesichter waren zu sehen, und je näher der Trauerzug dem Friedhofe kam, desto größer wurde die Zahl derer, die mit verkrümmtem Körper und verzerrtem Gesicht dahinschritten, und endlich hatte der ganze Trauerzug dieses Aussehen erhalten. Bald wussten sich die Leute nicht anders zu helfen, als durch ununterbrochenes Erzählen von Witzen sich davor zu bewahren, die Witze ihres Nachbarn auf sich wirken zu lassen, sodass der Zug das merkwürdige Geräusch eines ununterbrochenen und vielstimmigen Gemurmels hervorbrachte. Ein entfernt Stehender konnte dieses Geräusch in Verbindung mit den schmerzverkrümmten Gestalten nur für inbrünstige Litaneien einer von tiefer Trauer gebeugten Gemeinde ansehen. Wäre er jedoch näher getreten, es hätte ihm die Sprache verschlagen, denn inzwischen waren die Trauernden bei den Witzen von der übelsten Sorte angelangt. Keiner legte sich mehr irgendwelchen Zwang auf; man kämpfte verzweifelt, versuchte die anderen zu überschreien, schnitt die unverschämtesten Grimassen und hielt zugleich die immer wieder aufkommende Lachlust, die sich wegen ihrer widernatürlichen Unterdrückung inzwischen in eine erbitterte Lachwut gesteigert hatte, verbissen zurück. Endlich hatte der Trauerzug den Friedhof erreicht. Der Sarg wurde vor der aufgeworfenen Grube niedergesetzt, und der Pfarrer begann mit seiner Predigt. Da ihm aber das Testament nicht unbekannt geblieben und keiner aus der Zahl der Bewerber um das Erbe ausgeschlossen war, trug auch er sich mit der heimlichen Absicht, den Sieg davonzutragen. Zunächst ließ er nur einige harmlose Späße in die Predigt einfließen. Als diese nicht verfingen, erzählte er einige Anzüglichkeiten aus dem Alten Testament. Die Trauergemeinde hörte interessiert zu, war jedoch noch mühelos in der Lage, das Lachen zu unterdrücken. Der Diener Gottes geriet in Rage und schmetterte seinen Zuhörern jetzt die deftigsten Witze entgegen, die er sonst nicht einmal in der intimsten Stammtischrunde zu erzählen gewagt hätte. Die Trauergäste fingen wieder an, sich zu krümmen, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Der Gottesmann kam außer sich, die Erfolglosigkeit seiner Anstrengungen ließ ihn jeden Witz vergessen, und mit donnernder Stimme schleuderte er der Trauergemeinde die schrecklichsten Verwünschungen entgegen. Jetzt, wo er ein Erreichen seines Zieles schon aufgegeben hatte, wäre es ihm fast gelungen, das entscheidende Gelächter auszulösen. Das die grimmigsten Flüche ausstoßende Gesicht des sonst so gottgefälligen Mannes bot eine solche Komik, dass selbst ein wirklich in tiefste Trauer versenkter Mensch all sein Leid vergessen und ein unbändiges Gelächter angestimmt hätte. Die Zuhörerschaft des Pfarrers hatte sich jedoch mühsam wieder gefasst und lauschte seinen Donnerworten mit der ernsthaftesten Miene. Dabei traten den so mörderisch Gepeinigten vor zurückgehaltenem Lachen schier die Augen aus den Höhlen. Als der Pfarrer, befreit von der Absicht, die anderen zum Lachen zu bringen, mit nüchternem Blick die ihn mit hervorquellenden Augen anstarrenden Trauergäste gewahr wurde, kam ihm ein ganz eigenes Gefühl an. Und plötzlich lachte er wie verrückt los. Das tollste Gelächter, das je gesehen oder gehört wurde, schüttelte ihn durch und durch. Vom Lachen haltlos geworden, taumelte er hin und her und stürzte schließlich in die ausgehobene Grube. Jetzt war es auch um die Trauergemeinde geschehen. Ein schreckliches Gelächter brach los. Die Menschen schlugen sich gegenseitig in die Seite, hieben sich auf die Schulter, stießen sich gegen die Brust, lachten wie die Tollen, und bald wälzte sich die gesamte Trauergemeinde auf dem Friedhof. Einige fielen zu dem Pfarrer in die Grube, andere rollten gegen Grabsteine, wieder andere blieben still auf dem Rücken liegen, und nur ihre Bäuche zuckten seltsam. Erst nach geraumer Zeit raffte man sich auf. Einer nach dem anderen ordnete seine Kleider, befreite sich vom Schmutz und half dem Pfarrer und den übrigen in die Grube Gefallenen heraus, um an ihrer Statt den Sarg hineinzusenken. All das geschah unter ständigem Gelächter, das, waren die Kräfte auch erschöpft, nur langsam abebben wollte. Nach Vollzug der letzten Feierlichkeiten machte sich der Zug auf den Rückweg. Witze wurden nicht mehr erzählt, denn alle hatten den Schluckauf, und ein entfernt Stehender hätte meinen können, die zurückflutende Trauergemeinde wäre in Gedanken an den Dahingegangenen von einem allgemeinen Schluchzen ergriffen.

Das Erbe aber kam allen zugute, denn schließlich war es die Trauergemeinde in ihrer Gesamtheit, die den Pfarrer und dieser wiederum, der die Gemeinde zum Lachen gebracht hatte.

Wie zwei miteinander ein Geschäft machen wollten, und warum es fast nicht zustande kam

Ein Bauer wollte ein Schwein gegen eine Flinte eintauschen, die ihm ein Städter anbot. Um seine Ware gut loszuschlagen, verglich der Bauer sein Schwein mit der Flinte und fand, das Schwein habe eine ganze Reihe von Eigenschaften aufzuweisen, von denen bei der Flinte nicht im Entferntesten die Rede sein könne. Der Städter war ebenfalls nicht faul und lobte die Eigenschaften der Flinte, womit er eindeutig nachwies, dass ein Schwein keine Flinte ist. Indem kam ein dritter hinzu und hörte sich die Auseinandersetzung eine Weile an. Als er glaubte, genug von dem Streit begriffen zu haben, um ihn schlichten zu können, riet er beiden, ihrer Wege zu gehen, da doch jeder, wenn man ihren Worten glauben wolle, offenbar gerade das besitze, was er für das Beste halte. Und als er selber seiner Wege gegangen war, kam der Tausch ohne ein weiteres Wort zustande.

Wie Onkel Fritz den Teufel in der Flasche erschlug, und wie es dazu kam

Als Onkel Fritz noch ein junger Bursche und voller Tatenlust war (heute hat er einen Bauch und trägt eine Nickelbrille), hatte er sich ein Bett auf dem Dachboden aufgestellt und schlief nicht anders als mit einer selbst gefertigten Holzkeule unter der Bettstatt. Es hätte doch leicht sein können, dass ein nächtlicher Besuch kam und ihm nach dem Leben trachtete. Man schläft ja schließlich nicht für nichts und wieder nichts auf dem Dachboden. Auf diese Weise hatte der Jüngling schon manche Nacht mutig hinter sich gebracht; und es ist verständlich, dass ihn diese Art zu schlafen jeden Morgen mit einem Gefühl der Kühnheit die Treppe nach unten steigen ließ, womit der Tag für ihn stets einen guten Anfang hatte.

Eines Nachts jedoch schien sich außerhalb seiner Fantasie etwas abzuspielen. Er wurde durch ein seltsames Geräusch geweckt, ein Poltern und Rollen, als wenn sieben Teufel ihr Unwesen trieben. Onkel Fritz (der ja damals noch nicht Onkel war) sprang aus dem Bett, griff nach der Keule und starrte in die Finsternis. Ein Wesen, das dieses sonderbare Geräusch vollbrachte, war jedoch nicht zu sehen. Da kam das Poltern direkt auf ihn zu. Onkel Fritz strengte seine Augen an, konnte jedoch auch jetzt nichts ausmachen. Ihm wurde unheimlich zumute. Jetzt war das Rollen unmittelbar vor ihm. Er sprang mit einem Satz ins Bett und riss die Decke über den Kopf. Da knallte es auch schon an seinen Bettpfosten. Onkel Fritz hielt unter der Decke die Keule parat. Dann warf er mit einem Ruck die Decke ab und hieb neben dem Bettpfosten auf den Boden, gewärtig, den Teufel oder wen auch immer auf den Fuß zu treffen. Stattdessen hörte er ein Splittern, und ein heller Pfiff drang ihm durch Mark und Bein. Dann war völlige Stille. Nachdem eine geraume Zeit verstrichen war, wagte sich Onkel Fritz aus dem Bett. Beim ersten Tritt auf den Boden spürte er einen fürchterlichen Stich in den Fuß. Er sprang verzweifelt nach der Treppe. Beim dritten oder vierten Schritt durchfuhr ihn wieder der peinigende Schmerz. Endlich hatte er die Treppe erreicht und stürzte hinab. Nach einer ganzen Weile kam er mit verbundenen Füßen wieder nach oben, eine Kerze in der linken, die Keule in der rechten Hand. Auf der Treppe fand er Blutspuren, die seine verletzten Füße hinterlassen hatten. Er stieg vorsichtig über umherliegende Glassplitter. Hatte er den Teufel in der Flasche erwischt? Doch da lag bloß eine Maus, allerdings tödlich getroffen. Nur ihr linkes Hinterbeinchen zuckte noch.

Sie war in die Flasche geraten und hatte bei den Versuchen, wieder herauszukommen, die Flasche über den Boden gerollt. Onkel Fritz, der damals ja noch nicht Onkel war (heute trägt er einen Bauch und hat eine Brille auf der Nase), Onkel Fritz fühlte sich erst jetzt wirklich verletzt. Er seufzte tief und legte sich für den Rest der Nacht ins Bett.

An dieser Geschichte sieht man, wie einer auch in unseren Breitengraden abenteuerliche Gefahren bestehen kann, wenn er nur auf dem Dachboden schläft und eine Keule unters Bett legt.

Von der großen Vergesslichkeit eines Mannes und von der verhängnisvollen Art, wie er sich von ihr befreit hat

Ein schon älterer Mann, aber noch Junggeselle und sehr vergesslich, war die Hälfte seines Tages damit beschäftigt, verloren gegangene Gegenstände wieder aufzufinden. Wenn er gewusst hätte, wo und bei welcher Gelegenheit ihm der Regenschirm, der Kragenknopf, die Geldbörse, der Schuhanzieher, der Hut, die Handschuhe, die Brille, die Nagelfeile, der Hausschlüssel abhandengekommen war, hätte es noch angehen mögen. Seine Vergesslichkeit war jedoch so vollständig, dass er sich nicht im Geringsten entsinnen konnte, ob er den betreffenden Gegenstand vor drei Wochen oder gerade eben, ob er ihn in der Wohnung eines Freundes oder in der eigenen hatte liegen lassen, sodass er die unsinnigsten und überflüssigsten Laufereien hatte. Um diesem Übelstand beizukommen, legte er sich ein kleines Büchlein an, in welchem er die vergesslichen Gegenstände aufführte, um im Falle ihres Verlustes über Ort, Zeitpunkt und nähere Umstände genau Buch zu führen, sobald der Gegenstand wieder aufgefunden wurde. So verschaffte er sich ein Hilfsmittel, bei nochmaligem Verluste durch Vergleich mit dem bisherigen Schicksal des jeweiligen Gegenstandes zu einer schnelleren Wiederauffindung zu kommen. Nach einiger Zeit fand er darin sogar eine Beschäftigung, die ihm wegen ihres zunehmenden Grades an Wissenschaftlichkeit einen hohen Genuss verschaffte. Er kam durch Vergleichen der Schicksale der verschiedenen Gegenstände zu interessanten Unterschieden. Beispielsweise konnte er feststellen, dass er die Brille niemals unter einer Höhe von 1 Meter 20 verlor, den Hut nie unter einer Höhe von 1 Meter 60, die Handschuhe nie über einer Höhe von 1 Meter 30, dass er den Verlust der Nagelfeile nie früher als nach acht Tagen, den Verlust der Geldbörse dagegen nie später als nach 3 Stunden bemerkte und den Schuhanzieher nirgends anders als in der eigenen Wohnung abhandenkommen ließ, sodass er es sich fortan ersparen konnte, ihn in den Wohnungen seiner Freunde zu suchen. Er stellte die Analyse seiner Vergesslichkeit unter immer neue Gesichtspunkte, ordnete das Material um, führte Quervergleiche durch, zog Schlüsse über die Beziehung von Gegenstand und Schicksal, versuchte von der äußeren Beschreibung der Schicksale zu ihren inneren Ursachen vorzudringen und wurde von dieser Arbeit schließlich derart eingenommen, dass er kaum noch dazu kam, einen Gegenstand zu verlieren, und schließlich an einem empfindlichen Mangel an wissenschaftlichem Rohstoff litt. Deshalb und auch, um auf spontane Weise nicht zustande kommende Fälle von Vergesslichkeit zu erzielen, vergaß er jetzt diesen oder jenen Gegenstand mit Absicht, um alle Formen dieser Art menschlicher Unzulänglichkeit der verallgemeinernden Analyse unterwerfen zu können. Bald musste er jedoch feststellen, dass die bewusste und organisierte Vergesslichkeit nicht zu neuen Ergebnissen führte, da er sie unter dem Gesichtspunkt der bisherigen Ergebnisse betrieb. Verzweifelt verbrachte er die folgenden Tage; ohne Absicht lief er durch die Stadt, besuchte Freunde und Gesellschaften, wollte und wollte aber nichts vergessen, bis er plötzlich feststellen musste, dass ihm sein Buch, in welchem er seine Vergesslichkeit beschrieben hatte, abhandengekommen war. Hilflos im Sinne des Wortes lief er durch das Haus und die Häuser, wo er in Gesellschaft geweilt hatte. Es war alles vergebens. Er suchte oberhalb 1 Meter 20 und unterhalb 1 Meter 20, suchte da, wo er das Buch hingelegt haben würde, wenn er es mit Absicht hätte verlieren wollen, er suchte da, wo er es nach seinen wissenschaftlichen Erfahrungen ganz bestimmt nicht hatte liegen lassen, aber selbst da war es nicht. Endlich nahm er ein anderes Buch, um seine Arbeit schweren Herzens von Neuem zu beginnen. Die Seiten blieben jedoch unbeschrieben; unser Mann hatte durch ihre Analyse und bewusste Handhabung die Vergesslichkeit verlernt, der Verlust seines Verlustkataloges schien ihr letztes, rächendes Auftreten gewesen zu sein. Ruhelos irrte der Mann fortan durchs Leben, durch ein umgekehrtes Schicksal einem Peter Schlemihl vergleichbar: statt seines Schattens verlustig zu sein, wurde er von der ständigen Vorstellung geplagt, dass ihm alles an den Fingern haften bliebe, aber gerade das war es, was ihm das Gefühl eines empfindlichen Verlustes verschaffte.

Ein Flickschneider wollte seine Liebe flüstern – und warum er keine Gelegenheit dazu fand

In einer Kleinstadt lebte von Kind auf ein Flickschneider, der zeit seines Lebens auf keinen grünen Zweig gekommen war. Überdies galt er für ein bisschen komisch, weshalb er im Ort auch keine Frau finden konnte, obwohl er sich schon lange darauf spitzte. Schließlich wurde ihm das Warten zu lang, und er annoncierte in der Zeitung. Da er aber keine Reichtümer oder eine glänzende Erscheinung zu bieten hatte, bekam er nur eine Zuschrift; und auch damit hatte es einen Haken. Die Frau schrieb, dass sie, sonst ohne Fehl, schwerhörig sei. Der Flickschneider antwortete ihr, in diesem Falle sei an eine eheliche Verbindung nicht zu denken.

Der ganze Ort, sobald er von dem Vorfall erfuhr, lachte über den Schneider und hielt ihn nun vollends für eine komische Figur, da er eine im Ganzen so günstige Partie ausgeschlagen hatte. In Wahrheit mag es aber wohl ein sehr feines Empfinden für den rechten Ton gewesen sein, das den Flickschneider an dieser Verbindung gehindert hatte. Denn ist es nicht eine Ungereimtheit, jemandem zärtliche Gefühle ins Ohr zu brüllen, noch dazu, wenn einer diese Gefühle jahrelang still in seiner Brust gehegt hat?

Ein Traum ohne Ende, und weshalb es fehlte