Doktor Disselhorst und die Frauen - Anny von Panhuys - E-Book

Doktor Disselhorst und die Frauen E-Book

Anny von Panhuys

0,0

Beschreibung

Es sind die Hände des Doktor Disselhorst, diese roten Krebsscherenhände, die seine Herkunft nicht verleugnen können. Disselhorsthände, wie die seines Vaters und seines Sohnes – geeignet für den Griff in die Heringstonne des väterlichen Kolonialwarenladens. Doch die Mutter ließ den Sohn studieren – wenn auch ohne Glück. Als unbedeutender Journalist einer Provinzzeitung und ehemaliger Dramaturg an einer kleinen Bühne fristet Disselhorst mit Frau und Kind sein freudloses Dasein. Ein Zufall, eine spontane Hilfe des groben und doch künstlerisch-sensiblen Mannes bringt die Wende. Ausgerechnet den Intendanten der Vereinigten Stadttheater rettet er durch einen beherzten Griff vor dem Unfalltod und wird zum Dank Direktor Hardeggers rechte Hand. Sogar zum Nachfolger wird er nach dessen baldigem Tod bestimmt. Sein Erfolg allerdings beruht allein auf dem kühnen Entschluss, die völlig unbekannte Gisela Wegener auf seine Bühne zu holen. Ohne jede Bühnenerfahrung macht ihr genialisches Talent und ihr mitreißendes Spiel sie zum Liebling aller Bühnen und übertrumpft bald den Neid der Kollegen. Doch ihr kometenhafter Aufstieg wird Disselhorsts Untergang, aus seiner Verehrung für die begnadete Künstlerin wird leidenschaftliche Liebe, deren Glut ihn völlig verzehrt. In seiner Verzweiflung an der unerwiderten Liebe seines ehemaligen Schützlings glaubt er aus Käthe Welters eine zweite Gisela machen zu können – die einfache Wirtstochter sieht ihr zum Verwechseln ähnlich. Doch die Begegnung mit ihr besiegelt sein Schicksal. Dramatisch, fesselnd und mitreißend erzählt der Roman von einem Mann, der, Künstlerseele und Kleinbürger zugleich, über der Liebe seines Lebens zugrunde geht.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 225

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Doktor Disselhorst und die Frauen

Frauenroman von A. v. Panhuys

Doktor Disselhorst und die Frauen

© 1952 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570432

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Doktor Hubert Disselhorst verlangsamte seinen Schritt. Die Gedanken machten ihm die Beine schwer und schwerer, er blieb mitten auf der Zugbrücke stehen und sah mit blinzelnden Augen hinunter auf die sich träg und trübe vorwärtsschiebenden Wasser des Kanals.

Die Luft war lau, das erste Regen des Frühlings machte sie weich und schmiegsam, aber vom Wasser herauf drängte sich in die zärtliche Lauheit ein Fäulnisgeruch.

Doktor Hubert Disselhorst schickte sich fast hastig zum Weitergehen an. Seine hageren Schultern, die aufsässig eckig aus dem hechtgrauen altmodischen Überzieher hervorstachen, hoben sich fröstelnd. Ekel drückte seine Lippen fester aufeinander, Ekel vor allem.

Vor dem, was hinter ihm lag, vor dem, was jetzt war, und Ekel vor der Zukunft. Schemenhaft glitt der Gedanke durch sein Hirn, daß sein Leben eigentlich auch nichts anderes war als so ein Stillstand auf einer unschönen morschen Brücke, mit dem Blick auf träge, trübe Wasser, aus denen ein Fäulnisgeruch aufdünstete.

Sein fahles Gesicht rötete sich ein wenig, da drüben kam sein Ziel in Sicht, ein niedriges gelb gestrichenes Haus, die Sonne überstrahlte es hell. Ganz deutlich und beinahe selbstbewußt leuchtete es dem im hechtgrauen Überzieher von der Vorderseite des Häuschens entgegen: Kolonialwarenhandlung von August Disselhorst.

Eine behäbige Frau mit grauem Haar und glänzendem Gesicht trat aus dem Haus. Lief auf ihn zu. Kleine rührselige Augen tauten über.

„Junge, mein lieber, lieber Junge, bist du endlich mal wieder da? Hast du doch nicht ganz vergessen, daß du eine Heimat und Eltern hast?“

Doktor Disselhorst zog empfindlich die dünnhaarigen Brauen zusammen und quälte sich mit größter Mühe ein Freudenlächeln ab. Er nahm die Hand der Mutter. Zog sie zum Kuß an seinen struppigen Schnurrbart.

„Mutter, meine liebe Mutter!“

Sie blickte sich stolz um. Ob wohl jemand gesehen hatte, wie ein echter rechter Sohn, ein vornehmer Mann, ein Studierter, seine Mutter zu ehren verstand? Sie fühlte sich durch den Handkuß zur großen Dame erhoben, und dies Empfinden prägte sich deutlich auf ihren flachen Zügen aus, als sie neben dem Sohn den Laden betrat.

Ihr Mann, August Disselhorst, der im Äußeren seinem Sohn auffallend glich, wollte eben einem kleinen Mädchen einen Hering in ein Papier schlagen. Er hielt den Hering zwischen seinen knochigen und langen roten Händen, die wie Krebsscheren waren, und machte eine abwehrende Bewegung damit. Sein viereckiges Kinn schob sich vor, und die stockigen Zähne zeigten sich.

„Deine Depesche kam erst vor ’ner Stunde, kriege immer einen Heidenschreck, wenn du Heimweh verspürst, muß meine paar Kröten zusammenhalten.“

Mine Disselhorst sah auf ihre Hand nieder, die ihr Sohn, der Doktor, eben geküßt hatte. Streng sagte sie: „Packe den Hering ein, August, und benimm dich!“

Er knurrte: „Soll mich auch wohl noch freuen, wenn der Windhund mir die Ehre erweist, mir mein sauer Erspartes abzulotsen! Denn um Mutter und Vater wiederzusehen, bemüht sich der Herr Doktor nicht.“

Das kleine Mädchen schob mit seinem Hering ab, und man ging in ein schmales Hinterzimmer, in dem der Geruch all der im Laden verkauften Waren wie eine Wolke schwebte.

Doktor Hubert Disselhorst rümpfte die Nase.

„Vater, du gefällst dir in den Manieren kleiner Leute, du tust der Mutter weh damit.“

Der Alte lachte breit, sein Lachen erstarb in einem hüstelnd glucksenden Laut. Mürrisch und tropfend kam seine Antwort.

„Du fragst den Deubel danach, ob ich deiner Mutter wehe tue, hast nie danach gefragt! Daß sie einen Narren an dir gefressen hat und sich für alle deine schlechten Eigenschaften blind zeigt, ist ihr Mutterschicksal. Ich aber habe diese ewige Anzapferei satt und übersatt.“ Seine rote Krebsscherenhand ballte sich zur Faust, schmetterte nieder auf den Tisch. „Was willst du denn weiter als Geld holen! Dazu brauchst du uns, dazu sind wir gut, sonst bedarf der studierte Herr unserer nicht. August Disselhorst, Kolonialwaren, ist nicht fein genug für ihn. Handkäse und Heringe sind kein Parfüm für ’n Herrn Doktor, aber das dadurch verdiente Geld stinkt nicht, das nimmt der Herr gern und faulenzt sich damit weiter durchs Leben. Wenn es nach mir gegangen wäre, stündest du jetzt draußen im Laden, packtest Heringe ein, und Mutter und ich könnten uns ausruhen. Aber es mußte studiert werden, Mutter hatte einen Fimmel, bildete sich ein, in dir was Besonderes ausgebrütet zu haben, und sieht heute noch nicht, daß Menschen wie wir nicht zu Höherem berufen sind.“ Er hielt seine beiden Hände mit einer gewissen Breitspurigkeit hin. Blickte beinahe selbstgefällig auf die roten Scheren nieder, deren Knöchel sich wie kleine Hügel von dunklem Lila aufwölbten. „Hast meine Hände geerbt, Sohn, und solche Hände prophezeien keine Gelehrtenzukunft. August Disselhorst Nachfolger hättest du werden müssen, dann wärest du am rechten Platz.“

Die Frau fing plötzlich laut zu weinen an.

„Seit einem halben Jahr war Hubert nicht zu Hause, und nun bereitest du ihm solchen Empfang.“

Der Jüngere stand mit schlaffhängenden Armen. Oh, daß er Geld brauchte, daß er still duldend all die bitteren Reden hinunterwürgen mußte!

Mühsam zwang er den lodernden Zorn nieder.

„Vater, ich kann doch nicht dafür, daß ich bisher kein besonderes Glück hatte, aber sei überzeugt, wenn ich in gute Verhältnisse kommen werde, zahle ich dir alles bei Heller und Pfennig zurück.“

Der Alte pfiff durch die Zähne.

„Märchen sind was ganz Schönes für kleine Kinder und Idioten, und deine Zukunftsvertröstungen sind bloß Märchen.“

Dem Jüngeren rann der Ärger fiebrig durch die Glieder, seine Wangenhaut wurde rotfleckig.

„Vater, du weißt ja noch gar nicht, weshalb ich gekommen bin. Weißt noch gar nicht, um was es sich handelt. Auch Heimweh …“

Der Alte unterbrach ihn.

„Quatsch! Wenn du kommst, geht es doch immer um die alte Geschichte: Geld! Also sei deutlich: Mit wieviel dürfen Vater und Mutter dein Heimweh diesmal bezahlen?“

Doktor Hubert Disselhorsts Lippen wurden schmaler, in seinen graugrünen Augen glomm ein böses Licht. Der Ärger jagte ihm die Antwort heraus:

„Tausend Mark brauche ich. Elsa war krank, Miete und Arzt …“

Der Alte unterbrach ihn wieder.

„Bißchen viel, mein Sohn, bißchen viel diesmal. Aber du sollst das Geld auf der Stelle haben, wenn du mir fest versprichst, daß du dich fortan nicht eher wieder hier bei uns blicken läßt, bis du wirklich nur unsertwegen kommst und nicht, um uns unsere Spargroschen wegzuholen.“

„Mann, du bist roh, bist herzlos!“ schrie seine Frau auf, und ihre kleinen Augen blickten, Verzeihung erbittend, auf den Sohn.

Der wich dem Blick aus, stierte ins Leere. Tausend Mark sollte er haben, das war zunächst die Hauptsache. Auf ein Versprechen, das er möglicherweise brechen mußte, kam es ihm nicht an.

Er lachte heiser. „Gib mir das Geld, Vater, ich denke es bald zurückzuzahlen.“

Die Frau nickte mit verweinten, doch gläubigen Augen.

„Ich weiß, unser Hubert wird doch noch eine große und berühmte Persönlichkeit, schon auf der Schule war er ein Genie.“

Der Alte murrte: „Ich hole das Geld, aber dann geh gleich.“ Er verschwand.

Frau Mine lächelte unter Tränen.

„Trinkst erst Kaffee, Hubertchen, natürlich, und stärkst dich ein bißchen. Vater meint es nicht so böse, er ist ein Polterer.“

Sie eilte geschäftig umher, deckte den Tisch.

Doktor Hubert Disselhorst zog den schäbigen hechtgrauen Überzieher erst gar nicht aus, trank Kaffee, lächelte die Mutter an, küßte ihr noch ein paarmal die Hand und ging dann bald.

August Disselhorst stand bereits wieder im Laden, langte mit roten Krebsscherenfingern in die Heringstonne und dachte gequält, wie unendlich zufrieden er sein würde, wenn er zu seinem Sohn auch so gläubig und vertrauend hätte aufsehen können wie seine Frau.

Aber Mütter sind eben Mütter, ihren Kindern gegenüber glückselig blind.

— — —

Frau Doktor Elsa Disselhorst zupfte sich die braunen, kunstvoll gekräuselten Stirnlöckchen zurecht und sah mit leiser Verachtung auf ihr vertragenes Seidenfähnchen hinunter. Sie wandte sich ihrem Mann zu.

„Bist ein fader Mensch, Hubert, daß du nicht die Kraft aufbringst, uns mal aus der Dürftigkeit hier herauszureißen.“

Er zuckte die Achseln und erwiderte verbittert:

„Du hast leicht reden. Was soll unsereiner tun, wenn ihm nicht gerade günstiger Wind einen Glückszufall in den Weg treibt!“

Ihre schmalgeschnittenen braunen Augen flirrten spöttisch.

„Also warten wir geduldig, bis sich der Zufall erbarmt.“ Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Schäme dich, immer nur so saft- und kraftlos zu reden! Aber ich habe mich in dir getäuscht, das weiß ich seit langem. Einen Mund voll Phrasen hast du stets bereit, und es ist doch nichts dahinter als Feigheit und Lauheit.“ Sie lachte nervös. „Daß du es nur weißt, ich habe die ganze Geschichte satt und übersatt; ich kehre zur Bühne zurück.“

Sie drehte ihm erbost den Rücken zu.

Er kaute an seinen Lippen.

„Ach, Elsa, laß doch das! Wir wissen ja beide, daß du nicht im Ernst daran denkst, wieder Statistin zu werden. Und zu mehr langt es doch leider nicht.“

Ihr roter Mund bebte, aber sie schwieg und griff nach einem Spiel Karten, das auf einem Schränkchen lag. Sie mischte die bunten Blätter und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus. Ihre Finger irrten über die Reihen, tippten hierhin, tippten dorthin, dabei murmelte sie allerlei und rief plötzlich laut:

„Das Glück, das Glück! Es steht schon vor der Tür und sieht aus wie ein alter Herr.“

Doktor Disselhorst lachte. Er war diese Art, seine Frau sich mit der Zukunft beschäftigen zu sehen, schon gewohnt. Das Glück, das sie aus den Karten prophezeite, kam niemals.

Es klingelte. Elsa Disselhorst sah ihren Mann triumphierend an.

„Du, es ist das Glück, das vor der Tür steht, paß auf!“

Er nickte. „Natürlich, in Gestalt der Reinemachefrau oder eines mahnenden Gläubigers.“

Sie war schon davongeeilt, öffnete dem Einlaßbegehrenden und kehrte gleich darauf mit einer Visitenkarte zurück. Sie schob ihm das Kärtchen in die Hand.

Er las: „Intendant Alfred Hardegger“ und kopfschüttelte: „Der Intendant unserer Vereinigten Stadttheater! Was will der von mir? Ich kenne ihn nicht persönlich.“

Sie raunte: „Vornehm sieht er aus, ich ließ ihn nebenan warten. Ich bin riesig neugierig. Du, denk an die Karten, sie lügen nicht!“

Er sagte laut zu sich selbst: „Der Intendant, was mag er nur wollen? Ich rezensierte die letzte Opernnovität schlecht; möglich, daß er deshalb kommt, jedenfalls bringt er Ärger.“

Sie lächelte: „Ein Intendant ist ein großes und einflußreiches Tier, schmuse ein bißchen mit ihm, vielleicht kann er was für dich Willenlosen tun.“

Er sah sie böse an, aber er antwortete nicht, strich sein fahlbraunes Haar mit der Hand zurecht und rückte die Schultern hoch.

Nebenan wartete der Intendant.

Er lächelte dem Hausherrn entgegen, ließ das Lächeln dann in seinen kurzgeschnittenen ergrauten Vollbart kriechen.

Nun er den Intendanten sah, wußte Doktor Disselhorst Bescheid. Dem hatte er ja vor acht Tagen das Leben gerettet, ohne zu ahnen, wer der Herr gewesen, den er vor einem wild dahinsausenden Lastauto weggerissen. Woher aber kannte der ihn? Er murmelte ein paar Worte, die so etwas wie eine allgemeine Begrüßung sein konnten, aber vielleicht auch irgendeine Frage.

Der Intendant sah ihn freundlich an.

„Mein lieber Herr Doktor, ich suchte Sie heute auf, um mich recht sehr zu bedanken für Ihre mutige Hilfe von letzhin. Wenn sich Ihr energischer rettender Arm nicht im letzten Augenblick ausgestreckt hätte, läge ich heute wahrscheinlich schon sechs Fuß tief unter der Erde. Ich vergaß damals, Sie nach Ihrem Namen zu fragen, vergaß, den meinen zu nennen. Ich war erregt, meine Nerven vibrierten. Ich bin nicht mehr ganz jung, und mein Herz ist nicht völlig in Ordnung. Sie begleiteten mich zu einer Droschke, und der Kutscher wußte zufällig, wer Sie waren. Da nahm ich mir vor, Ihnen einen Dankbesuch zu machen. Nochmals, mein verehrter Herr Doktor, meinen herzlichsten Dank. Auch meine Tochter läßt Ihnen Dank sagen, sie und ich, wir hängen sehr aneinander.“

Durch Doktor Disselhorsts Kopf zogen die Gedanken in bunter, wirrer Kette, es wurde und wurde kein klares Ganzes, aber eins drängte sich hervor, bohrte sich wie ein Pfeil in sein Hirn, wollte sich in Worte fügen und fand doch keine. Denn über allem stand in Doktor Disselhorst jetzt die Gewißheit: Intendant Hardegger war ein Mann von Macht und Ansehen in der Kunstwelt, der auch er gewissermaßen angehörte. Und wenn jemand ihn aus der Alltagsjournalistennot, aus dem kleinen Federviehelend herauszureißen Gewalt und Mittel besaß, so war es der Intendant.

Er mußte an die Kassandraworte seiner Frau von vorhin denken: Das Glück steht vor der Tür und sieht aus wie ein alter Herr!

War es nicht merkwürdig, daß es gerade nach der Verkündung dieser ihrer Kartenweisheit geklingelt und der Intendant vor der Tür gestanden hatte?

Er bot Platz an, lächelte mit schiefem Mund, bat, seine Frau vorstellen zu dürfen. Elsa war ein biegsames und instinktiv kluges Weibchen, die würde leichter als er Fäden knüpfen, die sich dann in absehbarer Zeit vielleicht festigen ließen und zu Seilen wurden, daran man sich aus dem Hindämmern dieser trostlosen Existenz hochziehen konnte.

Der Intendant nickte liebenswürdig:

„Ich werde mich freuen, Ihre Frau Gemahlin kennenzulernen.“

Elsa hatte gehorcht. Sie war im Bilde.

Sie hatte ihr interessantes bräunliches Gesichtchen mit Puder betupft, die Lippen mit dem roten Stift nachgezogen. Lächelnd trat sie mit ihrem Mann ein und ließ sich die Lebensrettungsgeschichte erzählen. Sie freute sich der Lebensrettung, als sei ihr der liebste Mensch auf Erden vor dem Tode bewahrt worden, und kuschelte sich durch solches Tun ein ganz klein wenig in das Herz des Intendanten.

Sie zeigte sich beredt, plauderte liebenswürdig, sprach davon, wie entsetzlich schwer es ihr geliebter Mann habe, der sehr begabt, doch bei seiner kleinen Zeitung nicht am rechten Platz sei; Alltagsfrondienst ersticke sein künstlerisches Fühlen.

„Oh, wenn Sie wüßten, Herr Intendant, wie er und ich darunter leiden!“ schloß sie, und ihre schmalen braunen Augen glänzten ihn feuchtschimmernd an.

Alfred Hardegger zupfte an seinem Bart herum. Er fand, die kleine Frau war deutlich. Ihre ganze lange Rede gipfelte doch eigentlich nur in dem einzigen kurzen Schrei: Hilf uns!

Nun ja, verdenken konnte er ihr das nicht. Gescheit von der zierlichen Person, so die Konjunktur auszunützen. Denn er war ja den Disselhorsts verpflichtet, und es war wohl eigentlich seine verfluchte Schuldigkeit, etwas für die armen Luder zu tun, die ihr Dasein in einer kleinen möblierten Wohnung fristeten. Disselhorst war Doktor der Philosophie, Journalist und kurze Zeit Dramaturg an einer ehemaligen Hofbühne gewesen. Hm — so einen Menschen konnte er vielleicht gerade brauchen.

Seit sein Herz öfters rebellierte, war ihm seine Arbeit manchmal zuviel, er liebäugelte schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken, etwas davon auf jüngere Schultern abzuladen. Das Haus, das ihm die Stadt für Büro- und Wohnungszwecke zur Verfügung gestellt hatte, war groß genug, das halbe untere Stockwerk stand frei. Der letzte Privatsekretär war ein Schafskopf gewesen, und seit Jahren half ihm seine Tochter. Auch ihr war Entlastung zu gönnen, sie arbeitete zuviel. Der Theaterdramaturg folgte einem Ruf nach Köln, seine Stelle war noch frei. Mit den Herren von der Stadt konnte man reden. Alles paßte oder schien zu passen.

Er lächelte und erhob sich etwas plötzlich.

Mann und Weib wechselten einen bestürzten Blick. War Frau Elsa zu zudringlich gewesen, war der mächtige Herr Intendant verschnupft?

Er küßte die Hand der Zierlichen, die sich etwas gedrückt fühlte.

„Meine gnädige Frau, es ist sehr lieb von Ihnen, daß Sie Ihres Mannes Vorzüge so loben. Seien Sie überzeugt, ich werde mich zu gegebener Zeit daran erinnern und hoffe, Ihnen schon bald behilflich sein zu können, Ihrem Gatten einen Platz zu verschaffen, an den ihn sein Können verweist.“

Bestrickendstes Lächeln erhellte ihr Gesicht. So hatte sie einst als Statistin gelächelt auf der Bühne des Theaterchens, dem ihr Mann als Dramaturg angehört hatte.

Der Intendant nickte ihr zu und wandte sich dann an Disselhorst.

„Verehrter Herr Doktor, ich lasse in Kürze von mir hören, ich habe ein Plänchen, vielleicht sagt es Ihnen zu. Wir besprechen es noch.“

Kaum hatte sich die Tür hinter dem Besucher geschlossen, klatschte Elsa jubelnd in die Hände.

„Den Alten habe ich schön eingeseift, wenn der ahnte, was du für’n Durchschnittsmensch bist!“

Er reckte sich auf, nahm sie bei den Schultern, rüttelte sie in einer jähen Anwandlung von Zärtlichkeit.

„Kerlchen, du beschämst den gerissensten Diplomaten. Aber weißt du, ich stelle schon meinen Mann, wenn Anforderungen an mich herantreten. Mein Ehrgeiz hat sich bisher immer ducken müssen und fristete nur noch so im Unterbewußtsein eine kärgliche Existenz. Laß den erst mal wieder ans Licht kommen, laß mich erst mal voll empfinden, daß er wieder da ist …“ Seine Züge wurden straffer, Zynismus kerbte sich zwischen Nasenflügeln und Mund ein. „Laß mich mal an einer Stelle stehen, die Ausblick nach oben freigibt, dann soll mich keine Mühe verdrießen.“ Harte Lichter wurden in seinen Augen wach. „Dann, mein Kind, gehe ich über Leichen, wenn es sich lohnt! Die schäbige Vergangenheit war eine strenge Lehrmeisterin.“

Die Frau sah ihn fast erschrocken an. Aber es war auch eine leise Beimischung von Bewunderung dabei. Sollte ihr Mann doch nicht der Durchschnittsmensch, der mürrische, sich abrackernde Karrengaul sein, für den sie ihn seit langem hielt? Aber das Nachdenken war nur von Sekundendauer. Gut, wenn er so war, wie er sich eben gab, und wenn nicht, war es schließlich auch gut, die Hauptsache, daß man endlich in bessere Verhältnisse kam. Hoffentlich bedeuteten die verheißenden Worte des Intendanten das. Hoffentlich vergaß der nicht wieder, daß er ein halbes Versprechen gegeben. Sie strich über ihr dunkelbraunes Kleid. Die seidenen Falten raschelten matt. Wie unterdrücktes Stöhnen klang das. Sie blickte den Mann fordernd an.

„Zeit wäre es, daß alles bei uns eine Wendung nimmt, denn mit den Lumpen hier kann ich mich nicht mehr lange sehen lassen, und es ist noch mein bestes Kleid. Ein Glück, daß ich es gerade heute anhatte!“

— — —

In seinen hechtgrauen, abgeschabten Überzieher gehüllt, verweilte Doktor Disselhorst ein paar Herzschläge lang vor der weißen Villa, in der Intendant Hardegger mit seiner Tochter wohnte. Wie ein böser Feind fiel ihn der Neid an. Wer doch auch so wohnen dürfte! In einem solchen Heim mußten einem ja nur gute und schöne Gedanken kommen. In solchem Heim konnte einer leicht gediegene Werte schaffen, da war es keine Kunst, sich hervorzutun. Wenn er so warm und vornehm gebettet wäre!

Er trat durch das offene Gittertor, ging durch den kleinen Vorgarten, stand vor dem Türhüter, dessen dunkelgrüne Livree mit den silbernen Knöpfen etwas gedämpft Vornehmes hatte.

„Die zweite Tür links, mein Herr“, klang es an Doktor Disselhorsts Ohr. Ein musternder Blick streifte den Journalisten, schätzte ihn als „Bittsteller“ ein, tat Doktor Disselhorst weh. Ein Wartezimmer nahm ihn auf, sechs oder sieben Menschen waren darin. Er gab seine Karte, kam vor den anderen an die Reihe. Verwundertes Murmeln lief hinter ihm her. Wer war der in der schäbigen Eleganz, daß er vorgezogen wurde?

Hardegger begrüßte den Besucher freundlich, dann saß ihm Doktor Disselhorst im bequemen Klubsessel gegenüber. Seine leicht geröteten Lider blinzelten nervös. Weshalb war er hergebeten worden? Was würde der Einflußreiche für ihn tun wollen?

Hardegger lächelte gutmütig. „Mein verehrter Herr Doktor, ich möchte Ihnen heute den Vorschlag unterbreiten, in meine Dienste zu treten. Meine Tochter half mir sehr viel in den letzten Jahren, sie versteht etwas vom Bau, aber sie rackert sich ab dabei, da ich als Leidender zugleich ihrer Pflege bedarf. Ich denke mir, Sie sind durch Ihre frühere Tätigkeit als Dramaturg und Ihre jetzige als Journalist befähigt, mich auch persönlich etwas zu entlasten.“

Doktor Disselhorst blinzelte stärker, war von der Aussicht, die sich ihm eröffnete, wie geblendet. So viel hatte er nicht erwartet. Den Intendanten persönlich zu entlasten! Das barg Möglichkeiten, die, richtig und klug ausgenützt, eine kleine Machtstellung verschaffen konnten.

Er sah sich schon als rechte Hand des Intendanten und dachte unwillkürlich an den mitleidig abschätzenden Blick des Türhüters vorhin.

Sein nervöses Blinzeln verlor sich. Sein Selbstbewußtsein schoß üppig ins Kraut, hüllte sich aber klug in ein Mäntelchen von Unterwürfigkeit.

„Wenn mich Ihr Vertrauen in eine Stellung ruft wie die von Ihnen genannte, kann ich nur mit dem Ausdruck tiefsten Dankes annehmen, Herr Intendant“, sagte er sehr ergeben.

Hardegger nickte. Er hatte keine andere Antwort erwartet.

„Also gut, Herr Doktor, dann wollen wir über die Bedingungen reden.“

Fast eine halbe Stunde blieb Doktor Disselhorst im Zimmer des Intendanten. Als er dann wieder durch den Warteraum schritt, hängten sich fragende Blicke an sein Gesicht, versuchten daraus zu entnehmen, wer der Bevorzugte war, der so lange im Allerheiligsten hatte verweilen dürfen. Intendant Hardegger war trotz seiner Liebenswürdigkeit bekannt für kurze Audienzen.

Doktor Disselhorst lächelte mit schiefem Mund, ging sehr aufrecht und selbstbewußt an dem Türhüter vorbei, dachte bei sich: Warte nur, mein Bürschchen, wenn du dich nicht duckst, ist deine Zeit hier bald um!

Frau Elsa empfing den Gatten mit neugierweiten Augen. Sie zog ihn ins Zimmer und fragte:

„Nun, wie ist’s, was bringst du?“

Er verneigte sich grotesk.

„Ich habe die Ehre, mich Ihnen vorzustellen, Allergnädigste, als Privatsekretär Seiner Mächtigkeit des Herrn Intendanten der Vereinigten Stadttheater, in Aussicht genommen als stellvertretende Mächtigkeit, falls Seine Mächtigkeit mal nicht ganz auf dem Posten sein sollte.“

Elsa Disselhorst warf mit einem Freudenschrei die schmalen Arme um seinen Hals.

„Glaubst du nun endlich, daß meine Karten nicht lügen?“

Er nickte, spöttelte vergnügt: „Natürlich, bei solchen Beweisen muß man ja glauben, so was überzeugt doch.“

Ein zehnjähriger Junge, den Schulranzen auf dem Rücken, schob sich ins Zimmer, sagte, das umschlungene Paar musternd: „Nanu, was ist denn los?“

Häßlich war der Junge, sah seinem Vater zu ähnlich, vor allem störten seine auffallend großen geröteten Hände an ihm.

Frau Elsa half ihm die Mappe ablegen, streichelte sein fahlbraunes Haar, das strähnig lag, mit weichen, zärtlichen Fingern.

„Mein Liebling, von nun an sollst du es gut haben, kriegst einen neuen Anzug und Paletot, eine neue Mütze und Stiefel, und deine Mutter kauft sich lauter feine Kleider, und Vater zieht sich an wie ein vornehmer Herr und …“ Sie pausierte atemlos.

Doktor Disselhorst zuckte die eckigen Schultern.

„Bleibe auf dem Erdboden, Elsa, so weit reicht es nicht. Phantasien sind ungesund.“

Der Junge verzog plötzlich weinerlich den Mund, er hatte des Vaters Einwurf nicht beachtet, vielleicht auch nicht verstanden. Er fragte: „Ist Großvater gestorben, habt ihr geerbt?“

Abscheulich unkindlich klang das. Einen Augenblick herrschte Schweigen. Vielleicht schämten sich die beiden Erwachsenen, so oft in des Knaben Gegenwart dieses Thema berührt zu haben.

Frau Elsa sagte mit sanftem Ausdruck:

„Nein, Richardchen, der liebe Großvater ist gesund, Vater hat aber eine gute Stellung gefunden.“

Das Weinerliche im Gesicht des Knaben schwand, machte einem listigen Ausdruck Platz.

„Dann möchte ich endlich mal wieder eine große Tafel Schokolade“, suchte er die Stimmung der Eltern zu nützen. Und dann mit seltsam verklärtem Gesicht: „Ich möchte auch gern mal wieder zum Großvater, er gibt mir immer Schokolade, und meine Hände streichelt er und sagt, sie seien was wert. Echte Disselhorsthände sind das, sagt er, so was muß man haben, wenn man …“

„Wenn man Heringe aus der Tonne nimmt und Käse verkauft, wenn man Soda abwiegt oder getrocknete Pflaumen!“ vollendete Doktor Disselhorst willkürlich des Sohnes Erzählung.

Zorn funkelte in seinem Blick.

Der Junge wich unwillkürlich wie vor einem ihm zugedachten Schlag zurück.

„Nein, so was hat Großvater nicht gesagt, aber von Heringen kam etwas drin vor, glaube ich.“

Frau Elsa hatte das Gefühl, es lag Explosivstoff in der Luft.

„Wir wollen Mittag essen“, rief sie zu hell.

— — —

Das Hausmädchen führte die Disselhorsts in das Besuchszimmer.

Frau Elsa lugte blankäugig umher. Wie fein und vornehm hier alles war! Es gab seidene Sitzmöbel mit reichgeschnitzten Lehnen, Intarsienschränke und venezianische Spiegel, echte Palmen in getriebenen Bronzekübeln und Bilder in schweren Prunkrahmen.

Man machte der Tochter des Intendanten Besuch, es gehörte sich wohl so.

Frau Elsa hatte sich frisieren lassen und einen kleidsamen neuen Hut gekauft. Ihr Mann brauchte bei dem herrlichen Frühlingswetter keinen Überzieher, er sah leidlich aus in dem noch guten Gehrock.

Irene Hardegger trat ein. Schlank, hochgewachsen, hellblond, kühl und vornehm. Zoll für Zoll die Dame der guten Gesellschaft.

Sie trug ein schlichtes graues Tuchkleid, weiße Manschetten und einen weißen Kragen um den Halsausschnitt. Ihr Gesicht war großzügig und klug. Auffallend schön waren die grauen Augen, die ein Kranz langer dunkler Wimpern umgab. Ein weiches Lächeln hob die Oberlippe des scharf und doch fein geschnittenen Mundes. Sie begrüßte das Paar.

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“ Sie wandte sich an den Mann. „Herr Doktor, ich freue mich besonders, Ihnen nun auch persönlich für den großen Dienst danken zu können, den Sie meinem lieben Vater und mir geleistet haben. Nie werden wir Ihnen das vergessen.“

Sie vermochte nicht so warm zu sprechen, wie sie es vorgehabt, sie fühlte, die letzten Worte hatten sogar etwas Erzwungenes.

Das Ehepaar gefiel ihr nicht. Es war plötzlich ein seltsames Gefühl in ihr wie ein heimliches, sich nicht recht ans Licht wagendes Warnen. Sie unterdrückte die Regung, erschien sich selbst klein und engherzig.

Die zu stark gekrausten Stirnlöckchen der jungen Frau störten sie vielleicht oder der schiefgestrichelte Mund Doktor Disselhorsts. Der Vater war doch sehr eingenommen von den beiden, das mußte ihr genügen.

Eigentlich wäre es ihr lieber gewesen, der Vater wäre dem Doktor vermöge seines ziemlich weitreichenden Einflusses behilflich gewesen, sonstwo in eine gut bezahlte Stellung unterzukriechen statt hier. Dadurch würde man bald in nahe Beziehungen treten müssen. Der Privatsekretär des Vaters und zugleich Dramaturg ließ sich nicht umgehen, um so weniger, als er in die leeren Zimmer des Erdgeschosses einziehen sollte.

Vielleicht gewöhnte sich die junge Frau die abscheulichen Friseurlöckchen ab und das Lippenrot und die überpinselten Brauen und den Puder. Schade, daß man sich ein schiefes Lächeln nicht abgewöhnen konnte! Dieses fatale Lächeln des Mannes war wohl der Grundstein, auf dem sich ihre leichte Abneigung gegen das Paar aufbaute. —

Vier Wochen später gab Doktor Disselhorst die Stellung bei seiner kleinen Zeitung auf und trat zunächst probeweise seinen Dienst beim Intendanten an.

Beflissen, ergeben schob sich die schmale, eckige Gestalt Disselhorsts in das Gefüge der Intendanz ein, war schmiegsam wie weiches Wachs, wie solches füllte er Lücken aus, verstand es von Anfang an, die Gloriole der Unentbehrlichkeit um sein Haupt zu winden. Der Intendant begriff kaum, wie er so lange ohne Doktor Disselhorst hatte arbeiten können. Die Stadt bestätigte Doktor Disselhorst als Dramaturgen und Sekretär. Mit großer Befriedigung sprach Hardegger zu seiner Tochter davon.

Irene wollte sich darüber freuen, sie wußte, wie sehr der Vater einer Stütze bedurfte, daß sie selbst auf die Dauer einen Fachmann nicht zu ersetzen vermochte, aber das schiefe Lächeln Disselhorsts stand vor ihrem geistigen Auge.

Sie sagte fast wider Willen:

„Traue dem Doktor nicht zuviel, ehe du über seinen Charakter vollständig klar bist.“

„Ich verstehe dich nicht, Kind, ein Charakter wie der bedarf doch keiner langen Prüfung. Kompliziert ist er jedenfalls nicht. Disselhorst ist ein Mensch, den das Schicksal schon ordentlich beutelte und der glückselig ist, nun sturmsicher zu sitzen. Menschen wie er sind ergeben, haben etwas von einem treuen Hunde an sich.“

Irene dachte, Doktor Disselhorst hatte eigentlich wenig von einem treuen Hund, aber sie mochte dem Vater nicht widersprechen. —

Dann zogen die Disselhorsts ein. Sie nahmen Möbel auf Abzahlung, wurden seßhaft dadurch, fühlten sich heimischer, als in den bisherigen möblierten Wohnungen. Die einfache Eleganz Irene Hardeggers mißfiel