Donner unter der Kimm - Alexander Kent - E-Book

Donner unter der Kimm E-Book

Alexander Kent

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Beschreibung

Herbst 1803: Vizeadmiral Richard Bolitho segelt mit der Argonaute als Flaggschiff und seinem Geschwader im Mittelmeer. Unerschrocken schafft er sich auf allen Seiten neue Feinde: den Kapitän des Australienfahrers, von dem er eine mißhandelte Gefangene entführt; den französischen Admiral, der den Seekrieg zu seiner privaten Racheaktion macht - und seinen besten Freund, der in Malta über ihn richten soll. Dunkle Wolken liegen über Bolithos Kurs …

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Seitenzahl: 393

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Der Autor

Alexander Kent kämpfte im Zweiten Weltkrieg als Marineoffizier im Atlantik und erwarb sich danach einen weltweiten Ruf als Verfasser spannender Seekriegsromane. Er veröffentlichte über 50 Titel (die meisten bei Ullstein erschienen), die in 14 Sprachen übersetzt wurden, und gilt als einer der meistgelesenen Autoren dieses Genres neben C.S. Forester. Alexander Kent, dessen richtiger Name Douglas Reeman lautet, war Mitglied der Royal Navy Sailing Association und Governor der Fregatte »Foudroyant« in Portsmouth, des ältesten noch schwimmenden Kriegsschiffs.

Das Buch

Herbst 1803: Vizeadmiral Richard Bolitho segelt mit der Argonaute als Flaggschiff und seinem Geschwader im Mittelmeer. Unerschrocken schafft er sich auf allen Seiten neue Feinde: den Kapitän des Australienfahrers, von dem er eine mißhandelte Gefangene entführt; den französischen Admiral, der den Seekrieg zu seiner privaten Racheaktion macht - und seinen besten Freund, der in Malta über ihn richten soll. Dunkle Wolken liegen über Bolithos Kurs …

Alexander Kent

Donner unter der Kimm

Admiral Bolitho und das Tribunal von Malta

Roman

Aus dem Englischen

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Neuausgabe bei RefineryRefinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin August 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005© der deutschen Übersetzung: Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München 2005© 1987 by Highseas Authors Ltd. Titel der englischen Originalausgabe: Colours Aloft! Covergestaltung: © Sabine Wimmer, Berlin

ISBN 978-3-96048-115-7

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

I Zeit der Ebbe

II In Seenot

III Kein tödlicherer Feind

IV Der Köder

V Nacht am Mittag

VI Die

Suprême

VII Streichen oder sterben?

VIII Noch brennt das Feuer

IX Angriff

X Vergeltung

XI Heimlich von Bord

XII Loyalitätskonflikt

XIII Westwind

XIV Das Herz eines Schiffes

XV Rendezvous mit dem Schicksal

XVI Heißt Gefechtsflagge!

XVII Der Zweikampf

Epilog

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

I Zeit der Ebbe

I Zeit der Ebbe

Es war ungewöhnlich kalt für Mitte September, und die gepflasterten Straßen von Portsmouth schimmerten vom Regen der vergangenen Nacht wie Metall.

Vizeadmiral Sir Richard Bolitho hielt an einer Ecke inne und starrte zurück zum George Inn, in dem er die beiden Tage seit seinem Eintreffen aus Falmouth verbracht hatte. Dort stand auch der alte Blue Post’s Inn, eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten, als er, ein bescheidener Midshipman[1], auf Fahrt gegangen war.

Er seufzte und wandte sich seinem Begleiter zu, der auf ihn wartete; als sie um die Ecke gingen, spürte Bolitho den kalten Wind vom Solent wie eine Herausforderung.

Es war Morgen, aber die Straßen waren praktisch menschenleer, denn man schrieb 1803, und den labilen Frieden hatte im Mai die erste Breitseite hinweggefegt. Angst vor den gefürchteten Preßpatrouillen bewirkte, daß sich kein junger Mann auf den Straßen herumtrieb; Bolitho dachte daran, wie sich die Lektionen wiederholten. Er sah, daß sein Neffe ihn mit besorgtem Blick beobachtete, und entsann sich einer Bemerkung an diesem Vormittag im George Inn, als er mit Adam über einer letzten Tasse Kaffee gesessen hatte. Gemacht hatte sie ein Reisender, der die beiden Seeoffiziere im Gespräch beobachtete und anschließend bekannte, daß er sie ursprünglich für Brüder gehalten hätte.

Bolitho wandte sich seinem Neffen zu und haßte den Augenblick des Abschieds, wußte aber zugleich, daß es egoistisch war, Adam noch länger aufzuhalten. Adam Bolitho war dreiundzwanzig und hatte sich in den Augen seines Onkels seit dem Tag, an dem er als Midshipman auf sein Schiff gekommen war, kaum verändert.

Einen Unterschied gab es jedoch. Adam hatte Gefahr und Schmerzen durchgestanden, manchmal an seiner Seite, manchmal anderswo. Sein Mund und sein festes Kinn verrieten, daß er viel daraus gelernt hatte, und die goldene Epaulette auf seiner linken Schulter sagte den Rest. Er war mit dreiundzwanzig Jahren Kapitän, nun sogar auf seinem eigenen Schiff. Die kleine Brigg Firefly lag jenseits der Hafenmauer, verloren auf der weiten Reede mit ihren Kriegsschiffen, Truppentransportern und der ganzen Geschäftigkeit eines Marinehafens im Krieg.

Bolitho schaute ihn wohlmeinend an. »Dein Vater wäre heute stolz auf dich«, sagte er.

Adam starrte ihn halb besorgt, halb erfreut an. »Das war sehr großmütig von dir. Wie kann ich dir nur danken?«

Bolitho zupfte an seinem goldbestickten Hut, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Mein Lohn, wenn ich ihn überhaupt suchte, wäre die Tatsache, daß du im Begriff bist, mit deinem eigenen Schiff in See zu stechen.« Ungestüm ergriff er Adams Arm. »Du wirst mir fehlen.«

Adam lächelte, doch seine Augen blieben traurig. »Kam dir eben eine Erinnerung, Onkel?«

»Aye.« Sie fielen wieder in Gleichschritt, und Bolitho versuchte, sich die Niedergeschlagenheit, die seit Falmouth sein Schatten gewesen war, nicht anmerken zu lassen. War dies nun das letzte Mal? Der Anlaß für seine Unruhe? Würde er wie so viele andere auf einem zerfetzten, blutigen Deck enden und nie hierher zurückkehren?

»Er hielt uns für Brüder«, sagte Adam. »Ich faßte das als Kompliment auf.«

Als er lachte, sah Bolitho in ihm wieder den Midshipman.

Er zog seinen Umhang zurecht. Auch ihn erwartete ein Schiff, sein Flaggschiff. Vielleicht würde die Last der Verantwortung, die seine Befehle mit sich brachten, seine Zweifel zerstreuen, sie so weit achteraus zurücklassen wie das Land. Draußen wartete sein Geschwader auf ihn. Zum Glück war es ihm gelungen, Valentine Keen als Flaggkapitän zu behalten. Aber sonst werde ich diesmal nicht viele vertraute Gesichter sehen, dachte er.

Der Frieden von Amiens hatte zwar nur ein knappes Jahr gedauert, doch während dieses Zeitraums hatten es die Seelords und eine selbstgefällige Regierung für richtig gehalten, die Flotte unsinnig zu demobilisieren. Sechzig von hundert Linienschiffen waren außer Dienst gestellt, vierzigtausend Matrosen und Seesoldaten an Land geworfen. Bolitho war zu seinem Glück im Dienst geblieben. Seltsam, daß sein letztes Flaggschiff, die Achates, die erste richtige Schlacht nach dem Frieden geschlagen und wider Erwarten gewonnen hatte; und das zu einem Zeitpunkt, da die Kriegsmarine einer Siegesnachricht dringend bedurfte. Eine weitere Laune des Schicksals war die Tatsache, daß Argonaute, das Schiff des französischen Admirals, das sie nach einem der heftigsten Nahgefechte, deren sich Bolitho entsinnen konnte, aufgebracht hatten, nun kurz davorstand, am Vormast seine Flagge zu tragen. Achates war ein altes Schiff gewesen und würde nun viele Monate in der Werft bleiben. Von den früheren Gefechten in der Karibik hatte sie sich nie so recht erholt. Argonaute dagegen war vergleichsweise neu und auf ihrer Jungfernfahrt gewesen, als sie von ihnen zur Kapitulation gezwungen worden war.

Er fragte sich vage, ob erbeutete Schiffe etwas gegen ihre neuen Herren und ehemaligen Feinde hatten. Er war einmal Flaggkapitän auf einer Prise gewesen, konnte sich jedoch an seltsame Vorkommnisse dort nicht entsinnen.

Er hatte ohnehin keine andere Wahl. Jedes Schiff, jeder erfahrene Seemann wurde gebraucht, denn während England seine Kraft erlahmen ließ, hatte der alte Feind jenseits des Kanals aufgerüstet. Neue Schiffe, eifrige junge Kapitäne und eine riesige, auf Sieg erpichte Armee zeichneten ein düsteres Bild für Englands Zukunft.

Einige Seesoldaten, die an der Hafenmauer Schutz gesucht hatten, nahmen Haltung an, als sich die beiden Offiziere näherten.

Auch Allday würde ihm fehlen, dachte Bolitho. Diesmal sollte Hogg, Keens Bootsführer, mit der Barkasse an den Stufen warten. Allday hatte Urlaub erbeten, um jemanden zu besuchen. Das war an sich schon merkwürdig. Denn Allday bat sonst nie um Vergünstigungen oder sprach über Privatangelegenheiten, und Bolitho fragte sich, ob er wohl sein Angebot annehmen werde, an Land zu bleiben. Abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel als Schäfer war Allday sein ganzes Leben auf See gewesen und hatte sich seinen Abschied von der Marine tausendmal verdient. Und auf der Achates hatte sein Leben fast ein Ende gefunden. Bolitho dachte oft an den Tag, an dem sein Bootsführer einen Säbelhieb in die Brust erhalten hatte, der ihn eigentlich auf der Stelle hätte töten müssen. Nun war er zwar auf seine heitere, unverwüstliche Art der Alte, doch man merkte ihm die Wunde an. Aufrechtes Gehen fiel ihm schwer, und Bolitho wußte genau, wie sehr das seinen Stolz verletzte. Oft hatte man Allday mit einer Eiche oder einem treuen Hund verglichen. Doch Allday war nichts dergleichen, sondern ein Freund, auf den er sich verlassen konnte, der Bolitho besser kannte als jeder andere.

Sie kamen an die Stufen, und Bolitho erblickte unter sich die schaukelnde Barkasse. Hogg und ein junger Leutnant warteten mit erhobenen Gesichtem barhäuptig im Boot. Die hochgestellten Riemen bildeten zwei perfekte weiße Linien, die geteerten Hüte und karierten Hemden der Mannschaft verrieten deutlich, was Keen bereits aus der Besatzung gemacht hatte.

Vermutlich beobachtete Keen ihn nun durch sein Fernrohr, neben sich Bolithos neuen Flaggleutnant Hector Stayt. Die Väter von Stayt und Bolitho, beide aus Cornwall, hatten zusammen gedient. Stayt kam mit guten Empfehlungen, sah aber eher wie ein Abenteurer aus als wie jemand, der diplomatisch zwischen Admiral und Untergebenen vermitteln sollte.

Tausend Sorgen und mögliche Irrtümer gingen Bolitho durch den Sinn, doch sein Gesicht war gefaßt, als er sich zum letzten Mal seinem Neffen zuwandte. Aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, daß Adams kleine Gig von ihrer Crew, die den jungen Kommandanten schon erwartete, klargehalten wurde.

Es war Ebbe, und er sah einen alten Mann am Kiesstrand Treibholz sammeln. Der Mann schaute auf und die beiden Offiziere direkt an. Sie hätten in der Tat Brüder sein können mit ihrem schwarzen Haar und dem festen Blick ihrer grauen Augen. Adam trug die Haare nach neuer Mode kurz, Bolitho hatte den Zopf beibehalten.

Der Mann am Strand deutete einen Salut an, und Bolitho nickte. Ein letztes Lebewohl.

»Tu jeden Schritt mit Bedacht, Adam«, sagte er. »Wenn du diesmal nicht in Schwierigkeiten kommst, gibt man dir als nächstes eine Fregatte.«

Adam lächelte. »Ich segle mit deinen Depeschen nach Gibraltar, Onkel. Danach hänge ich sowieso an den Schürzenbändern der Flotte.«

Bolitho erwiderte sein Lächeln. Ihm war, als sähe er sich selbst als jungen Draufgänger. »Schürzenbänder sind dehnbar.« Er drückte ihn an sich, ohne sich um die strammstehenden Seesoldaten und zusehenden Bootsgasten zu kümmern. Wie zu sich selbst sagte er: »Gott sei mit dir.«

Und dann, als Adam seinen neuen, goldbetreßten Hut abnahm und sich das rabenschwarze Haar vom Wind zausen ließ, hastete Bolitho die Stufen hinunter. Er nickte dem Leutnant im Boot zu. Das war ein Gesicht aus der jüngeren Vergangenheit, früher Midshipman auf der Achates.

»Guten Tag, Mr. Valancey. Bei diesem Wind werden sich die Männer tüchtig in die Riemen legen müssen.«

Er sah den jungen Mann vor Freude erröten, weil er seinen Namen nicht vergessen hatte. Jedes Bindeglied war nützlich.

Noch einmal winkte er Adam zu, als seine elegante grüne Barkasse, deren Riemen sich hoben und senkten wie Flügel, vom Ufer ablegte.

Mit ungebührlicher Hast hielt nun die kleine Gig auf die Stufen zu; als sie um das Heck eines verankerten Truppentransporters bogen, kam der Kai außer Sicht.

Draußen lagen viele Schiffe vor Anker, deren schwarze, gelbbraun abgesetzte Rümpfe in Regen und Gischt stumpf schimmerten. Die Isle of Wight jenseits von ihnen war kaum mehr als ein dunstiger Höcker.

Der Leutnant hustete nervös. »Die Fregatte dort drüben ist die Barracouta, Sir.« Er zuckte zusammen, als Bolithos Blick ihn streifte. Die Fregatte mußte erst morgens vor Anker gegangen sein, denn man hatte ihn über ihr Eintreffen noch nicht informiert. Sie sollte unter Jeremy Lapish zu seinem neuen Geschwader gehören. Es war vernünftig von dem Leutnant, ihn darauf aufmerksam zu machen.

»Ihre Dienststellung?« fragte Bolitho.

»Sechster Offizier, Sir.« Also gerade eine Stufe über dem Kadettenlogis.

Hogg stieß einen unterdrückten Fluch aus und fauchte: »Halt!« Die Ruderblätter schwebten triefend über dem Wasser, während Hogg sich gegen die Pinne stemmte. Eine Barkasse lief ihnen direkt vor den Bug, so mit Menschen überladen, daß sie fast überspült wurde.

Hogg sah den jungen Leutnant an und legte, als der stumm blieb, die Hände um den Mund und brüllte: »Platz da für einen Offizier des Königs!«

Jemand winkte, und die Barkasse drehte in Richtung einiger Truppentransporter ab.

Bolitho fiel unter den Passagieren eine junge Frau auf, deren Kopf und Schultern Wind und Gischt ungeschützt ausgesetzt waren. Sie drehte sich nach dem Rufer um, und Bolithos Blick traf den ihren über fünfzehn Meter aufgewühltes Wasser hinweg. Dann fiel sein Blick auf ihre Hand, die das Dollbord packte. Sie war angekettet.

»Wer sind diese Leute?« fragte er leise.

Hogg gab behutsam dem Druck der Pinne nach, noch immer aufgebracht, daß so etwas unter den Augen seines Admirals geschehen konnte.

»Sträflinge, Sir«, erwiderte er rauh.

Bolitho sah weg. Vermutlich auf dem Weg zur Strafkolonie Botany Bay in Australien. Was hatte sie wohl verbrochen?

»Klar zum Einhaken, Buggast!« Hogg schätzte die letzte Kabellänge sehr sorgfältig ab.

Als die Barkasse um einen Zweidecker bog, erblickte Bolitho endlich die hohen Masten der Argonaute. Ein schönes Schiff, das mußte er zugeben, mit glänzendem neuem Anstrich und einer riesigen Kriegsflagge, die ihm zum Willkomm an der Poop flatterte. Sie hatte elegante, anmutige Linien und war, wie Bolitho aus eigener schlimmer Erfahrung wußte, ein vorzüglicher Segler. Ihr Hüttendeck war länger als bei den englischen Linienschiffen, doch sonst unterschied sie sich kaum von den anderen Zweideckern mit vierundsiebzig Geschützen, die das Rückgrat der Flotte bildeten.

Doch als sie näherkamen, entdeckte Bolitho kleine Unterschiede: Der vollere Bug mit dem steilen Spriet, die fast extravagant wirkende vergoldete Heckgalerie. Es fiel schwer, sich ihr Deck voller Blutlachen vorzustellen, und doch waren viele gute Leute damals und auch noch auf der Rückfahrt nach Plymouth gestorben. Die Werft hatte an ihr wahre Wunder bewirkt. Mehrere Male war Bolitho versucht gewesen, sich sein neues Flaggschiff während der Neuausrüstung und Reparatur anzusehen, hatte sich aber ferngehalten. Keen hätte sich wohl kaum gefreut, seinen Admiral inmitten des Wirrwarrs an Bord begrüßen zu müssen.

Bolitho warf sich den Umhang von den Schultern, wodurch die schimmernden Epauletten mit je zwei silbernen Sternen sichtbar wurden: Vice-Admiral-of-the-Red[2], abgesehen von Nelson der jüngste der Navy. Noch hatte er sich daran nicht gewöhnt – auch nicht an den Adelstitel, über den sich alle so gefreut hatten, der ihm aber eher peinlich war. Weitere Bilder glitten vor seinem inneren Auge vorbei, als er das Schiff beobachtete und den alten Degen zwischen die Knie klemmte: London mit seinen bunten Livreen und dienernden Lakaien. Das plötzliche Schweigen, als er vor Seiner Britannischen Majestät niederkniete, die federleichte Berührung des Schwerts auf seiner Schulter: Sir Richard Bolitho of Falmouth. Gewiß doch ein stolzer Augenblick? Belinda hatte so glücklich ausgesehen. Adam und Allday strahlten wie Schulkinder. Und doch …

Er sah eine Gruppe von Gestalten an der Pforte warten, das Blau und Weiß der Offiziere, das Scharlachrot der Seesoldaten. Seine Welt. Man würde genau auf jede seiner Bewegungen achten. Normalerweise wäre Allday zur Hand gewesen, um dafür zu sorgen, daß er nicht das Gleichgewicht verlor oder über seinen Degen stolperte. Nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, war der Gedanke, jemals ohne Allday fahren zu müssen, unvorstellbar. Aber er würde an Bord sein, ehe das Schiff Anker lichtete.

Leutnant Valancey trat zur Seite, als Bolitho abwartete, bis die Barkasse an der bauchigen Flanke der Argonaute aufwärtsschwang. Dann sprang er hinüber und stieg die Jakobsleiter zur Pforte hoch; Musketen wurden präsentiert, Trommeln ratterten, und die Pfeifen stimmten das »Hearts of Oak«[3] an.

Da stand der blonde Keen und nahm seinen Hut genau in dem Augenblick ab, als Bolithos Flagge im Vormasttopp gesetzt wurde.

»Willkommen, Sir Richard.« Keen lächelte und merkte nicht, daß die Begrüßung Bolitho unvorbereitet getroffen hatte. Dem Admiral klang es, als sei jemand anderer angeredet worden.

Bolitho nickte den versammelten Offizieren und der Wache zu. Wenn er erwartet hatte, noch Spuren des Gefechts zu sehen, wurde er nun enttäuscht: frisch gestrichene Planken, geteerte Takelage, säuberlich aufgetuchte Segel, und die Ketten und Taljen der Achtzehnpfünder des Oberdecks so perfekt ausgerichtet wie zur Parade.

Er schaute das Deck entlang und durch das Kreuzmuster aus stehendem und laufendem Gut in die Höhe. Er sah die weiße Schulter der Galionsfigur, die einen Knaben aus der Mannschaft von Jasons mythischer Argo darstellen sollte. Erst vor knapp drei Jahren war Argonaute in Brest vom Stapel gelaufen; ein vergleichsweise neues Schiff also, mit einer Sollbesatzung von sechshundertzwanzig Offizieren, Matrosen und Seesoldaten. Bolitho bezweifelte indes, daß es selbst dem einfallsreichen Keen gelungen war, so viele Männer zusammenzubringen.

Sie gingen unter dem Hüttendeck nach achtern. Die Erbauer hatten es länger als auf vergleichbaren englischen Schiffen gehalten und den Offizieren dadurch geräumigere Unterkünfte gegeben. Vorm Gefecht jedoch machte man wie auf jedem anderen Kriegsschiff die Decks vom Bug bis zum Heck von Zwischenwänden frei, damit jedes Geschütz, groß oder klein, ungehindert bedient werden konnte.

Sie bückten sich unter den Decksbalken, und Bolitho sah einen Seesoldaten an der Tür zu seiner Kajüte Wache stehen.

»Wenn Allday an Bord kommt, Val, möchte ich …«

Keen blickte ihn an. »Er ist schon da, Sir Richard.«

Bolithos Erleichterung war so groß, daß es ihn selbst überraschte.

Es war recht dunkel unter Deck, und Bolitho ließ seine Füße vom Instinkt leiten. Die Gerüche waren wie alte Freunde: Teer, Werg, Farbe, feuchte Leinwand. Ein großer Eßtisch aus Falmouth, der Weinschrank, den er von Schiff zu Schiff mitnahm, und hinten in der großen Tageskajüte ein wertvoller Teppich auf der schwarz-weiß karierten Leinwand, welche die Planken bedeckte.

Von nebenan kam der an einen Maulwurf erinnernde Ozzard, der schon seit mehreren Tagen an Bord war, aus dem Schlafraum geeilt und sah zu, wie Bolitho langsam auf seinen Sessel zuging. Er hatte ihn in Falmouth anfertigen lassen. Belinda hatte Widerspruch eingelegt und gemeint, er hätte etwas Eleganteres, seiner Position Angemesseneres wählen sollen. Nun berührte er die hohe Rückenlehne, die wie der Rest des Sessels mit weichem, dunkelgrünem Leder bezogen war.

Er reichte Ozzard seinen Degen und setzte sich in den Sessel, der so wichtig war, wenn ihn Sorgen und Zweifel beschäftigten, die er mit keinem seiner Untergebenen teilen konnte. Er hatte massive Armstützen und eine hohe Lehne, die, falls erforderlich, den Blick auf Gegenstände oder Menschen versperren konnte.

Keen grinste. »Der Sessel kam eine Stunde, bevor wir aus dem Plymouth-Sund ausliefen, an Bord.«

Über ihnen erklangen Schritte. Keen wandte sich zur Tür.

Bolitho lächelte. »Gehen Sie nur, Val. Sie haben noch viel zu tun. Wir unterhalten uns später.«

Die Tür schloß sich, und Bolitho sah seinen Steward mit einem Tablett zum Tisch treten. Verließ Ozzard das sichere Falmouth nur ungern? Wenn ja, ließ er sich das nicht anmerken. Bolitho wartete, bis Ozzard ihm ein Glas Rotwein hingestellt und sich dann in seine Pantry zurückgezogen hatte. Ein vorzüglicher Diener, auch wenn er unweigerlich in Panik geriet, sobald das Schiff klar zum Gefecht gemacht wurde. Ozzard war sehr belesen und früher Schreiber bei einem Anwalt gewesen; es hieß, er sei zur See gegangen, um dem Gefängnis oder Ärgerem zu entkommen. Doch wie Allday war auch er völlig zuverlässig.

Bolitho schaute sich in der großen Tageskajüte um. Konteradmiral Jobert mußte hier oft gesessen haben. Auch als aus dem Ausguck der Ruf erscholl, die Achates sei gesichtet worden?

Die andere Tür ging auf, und herein kam Yovell mit dem üblichen Stapel Post. Er lächelte zufrieden, denn seit Bolithos Erhebung in den Ritterstand war Yovell vom schlichten Schreiber zum Sekretär aufgestiegen. Mit seinen Hängeschultern und der kleinen, goldgerahmten Brille sah er wie ein wohlhabender Kaufmann aus.

Yovell hatte zu seiner Unterstützung einen neuen Schreiber gefunden, einen rotwangigen Jungen namens John Pinkney, dessen Familie schon seit vielen Generationen in Falmouth lebte. Auch Ozzard hatte einen Helfer bekommen; er hieß Twigg, aber Bolitho hatte ihn nur einmal, als er sich in Falmouth vorstellte, zu Gesicht bekommen.

Er merkte, daß er auf den Beinen war und wie ein Gefangener in der Kajüte auf- und abging.

Soviel hätte er Belinda noch sagen wollen. Seit dem Besuch in London war es zu einer Entfremdung zwischen ihnen gekommen. Sie liebte ihn zwar, doch wegen Elizabeths schwieriger Geburt verschanzte sie sich wie hinter einer Barriere. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob ihre Kühle … Ärgerlich sah er auf, als der Wachtposten die Muskete aufs Deck stieß und rief: »Ihr Bootsführer, Sir!«

Der Seesoldat würde bald lernen, daß Allday kam und ging, wie es ihm beliebte.

Der Alte trat ein und blieb mitten auf dem Teppich stehen. Sein Kopf reichte bis knapp unters Skylight.

Er sieht fast unverändert aus, dachte Bolitho. Das lag auch an seiner blauen Jacke mit den Goldknöpfen und den Nankinghosen, die ihn als Bootsführer des Admirals kennzeichneten.

»Alles erledigt, Allday?«

Allday blickte sich in der Kajüte um, musterte den neuen Sessel und sah schließlich Bolitho an.

»Die Sache ist die, Sir.« Er zupfte an seiner Jacke. »Ich habe was zu melden.«

Bolitho setzte sich. »Raus damit, Mann.«

»Ich habe einen Sohn, Sir.«

»Wie bitte?« rief Bolitho.

Allday grinste verlegen. »Jemand hat mir geschrieben, Sir. Ferguson las mir den Brief vor, denn ich kann ja nicht …«

Bolitho nickte. Ferguson, sein Diener in Falmouth, wußte ein Geheimnis zu hüten. Er und Allday waren dicke Freunde.

Allday sprach weiter. »Ich kannte mal ein Mädchen, früher auf dem Dorf. Hübsches kleines Ding, aufgeweckt dazu. Wie’s scheint, ist sie vor ein paar Wochen gestorben.« Er schaute Bolitho in jäher Verzweiflung an. »Tja, Sir, und da konnte ich doch nicht einfach die Hände in den Schoß legen, nicht?«

Bolitho lehnte sich zurück und beobachtete die Emotionen, die sich in Alldays schlichtem Gesicht spiegelten.

»Bist du da auch ganz sicher?«

»Aye, Sir. Ich wollte Sie bitten, mit ihm zu reden, wenn das nicht zuviel verlangt ist.«

Von oben erklangen Schritte, und eine Bootsmannspfeife trillerte weitere Matrosen herbei, um beim Beladen zu helfen. In der Achterkajüte schien das alles weit entfernt zu sein.

»Du hast ihn also mit an Bord gebracht?«

»Er meldete sich freiwillig, Sir. Hat schon früher den Rock des Königs getragen.« Alldays Stimme verriet nun Stolz. »Ich wollte nur …« Er schwieg und starrte auf seine Schuhe. »Ich hätte nicht fragen sollen …«

Bolitho trat zu ihm und nahm seinen Arm. »Bring ihn zu mir, wenn er soweit ist. Herrgott noch mal, Mann, du hast das Recht zu fragen, was du willst!«

Sie starrten einander an. Dann sagte Allday schlicht: »Das mache ich, Sir.«

Die Tür ging auf, und Keen schaute herein. »Ich wollte Ihnen nur melden, Sir Richard, daß Firefly gerade den Anker gelichtet hat und nun die Marssegel setzt.«

Bolitho lächelte. »Danke.« Er schaute Allday an. »Komm mit, wir sehen ihm beim Auslaufen zu.«

Allday nahm den alten Degen vom Halter und hielt sich bereit, ihn an Bolithos Gürtel zu hängen. Leise sagte er: »Der braucht bald selbst einen guten Bootsführer, und das ist kein Scherz.«

Sie schauten einander an und verstanden sich.

Keen beobachtete sie und vergaß die drängende Arbeit. Bolitho und Allday waren der Fels, der nicht wankte, wenn alles andere fiel. Zu seiner Überraschung merkte er, daß diese Erkenntnis ihn noch immer zutiefst rührte.

Mehrere Matrosen, die auf dem Achterdeck gearbeitet hatten, wichen zurück, als Bolitho und ihr Kommandant an die Finknetze traten. Bolitho spürte ihre Blicke im Rücken. Gewiß dachten sie nun über den Ruf nach, der ihm vorauseilte.

Adams kleine Brigg legte sich in den Wind und zeigte beim Kreuzen zwischen zwei verankerten Linienschiffen, was sie wert war. Bolitho nahm einem Signalgast das Fernrohr ab, verfolgte die Firefty und sah einen Augenblick lang ihren Kommandanten zum Anfassen nahe vor sich. Adam schwenkte langsam seinen Hut und kam dann hinter einem anderen Schiff außer Sicht. Bolitho ließ das Fernrohr sinken und gab es dem Midshipman zurück. »Danke, Mr. …«

»Sheaffe, Sir Richard.«

Bolitho betrachtete ihn neugierig. Natürlich, wie hatte er vergessen können, daß Admiral Sir Hayward Sheaffe ihm einen seiner Söhne auf die Argonaute gesetzt hatte! Uncharakteristisch, daß ihm so etwas entfiel; jetzt erinnerte er sich auch an Keens Kommentar: »Und wenn uns der Rotzjunge über Bord geht, bin ich obendrein mein Kommando los!«

Seit seiner Rückkehr hatte er Sir Hayward mehrere Male in der Admiralität aufgesucht. Nur eine Rangstufe trennte sie, aber es hätte genausogut ein Ozean sein können.

Keen beobachtete Bolitho, und als er zur gegenüberliegenden Seite ging, folgte er ihm. »Es ist nicht unbedingt nötig, daß Sie schon jetzt an Bord kommen, Sir«, meinte er. »Es kann noch eine Woche dauern, bis das Geschwader vollständig versammelt ist.«

Er fragt sich, ob ich genug vom Land habe, dachte Bolitho. »Und ein recht kleines Geschwader wird es werden, Val«, sagte er. »Vier Linienschiffe, die Fregatte Barracouta und die kleine Brigg Rapid.«

Keen grinste. »Nicht zu vergessen die Suprême, Sir.«

Bolitho lächelte wehmütig. »Kaum mehr als ein Kutter, zu dem der grandiose Name schlecht paßt.« Er nahm die drei anderen Linienschiffe in Augenschein. Nur einen Bekannten hatte er auf ihnen: Kapitän Francis Inch. Er fuhr herum, und seine Stimme klang beschwörend. »Was ist aus uns geworden, Val? Wissen Sie noch, wir ›Happy Few‹?«

»Daran denke ich oft«, meinte Keen. »Wir ›wenigen Auserwählten‹.« Bolithos Stimmung beunruhigte ihn. Den Grund hatte er zumindest teilweise erfahren: Bolithos schöne Frau sah seine Karriere in Gefahr, obwohl für die meisten Seeleute ein Vizeadmiral, ob adlig oder nicht, gleich nach dem Allmächtigen kam. Belinda wollte, daß er Falmouth verließ, um sich in London, wo er bemerkt und befördert werden würde, ein prächtiges Haus zu kaufen.

Aber Falmouth verlassen? Keen war schon zu Bolithos Hochzeit dort gewesen und kannte das Haus unterhalb von Pendennis Castle besser als die meisten anderen. Die Bolithos hatten immer dort gewohnt; es gehörte zu ihnen wie die See.

Bolitho schaute hinüber zu seiner einzige Fregatte Barracouta. Lapish, ihr junger Kommandant, war erst vor drei Jahren aufgerückt und bisher noch nicht zum Völlkapitän ernannt worden. Der Anblick der verankerten Fregatte, deren Rahen und Decks vor Matrosen wimmelten, weckte in ihm die Erinnerung an den Augenblick, als er zum ersten Mal scharfe Worte an Belinda gerichtet hatte. Von Nelson hatte sie gesprochen, was praktisch jeder in London tat, aber nicht von seinem Mut und seinen Siegen, sondern von seiner unerhörten und unakzeptablen Affäre mit »dieser Frau«.

»Du bist ranggleich mit Nelson«, hatte Belinda gesagt. »Aber ihm gibt man eine Flotte und dir nur ein Geschwader!«

»Eine Flotte bekommt man nicht durch Günstlingswirtschaft!« hatte Bolitho versetzt.

Seltsamerweise standen Nelson trotz seines Ruhms und seiner Stellung nur zwei Fregatten zur Verfügung. Der kleine Admiral hatte seine Flagge auf der alten, geachteten Victory gesetzt und war ins Mittelmeer gesegelt, um die Franzosen in Toulon zu blockieren, damit sie dort ebenso eingeschlossen blieben wie in ihren Häfen am Ärmelkanal und Atlantik.

Belinda war bei seinem scharfen Ton zurückgewichen. Sie hatten einander angestarrt wie Fremde.

»Ich rede und handle so, weil du mir wichtig bist«, hatte sie leise geantwortet.

»Weil du meinst, daß du es besser weißt als ich!« hatte er erwidert. »Wir sind hier zu Hause, nicht in London!«

Nun, da er die Schiffe betrachtete und an die Toten dachte, die er gekannt hatte, fragte er sich, was ihn in Wirklichkeit so aufgebracht hatte, daß er zu früh an Bord gegangen war.

»So viele Männer, manche kaum mehr als kleine Jungen«, sagte er leise. »Farquhar, Keveme, Veitch.« Er wandte den Blick ab. »Erinnern Sie sich noch an den kleinen Neale? Und die anderen – wo sind sie? Tot, verstümmelt, oder sie fristen ihr Leben in pockenverseuchten Spitälern. Und wofür?«

Keen hatte ihn noch nie so erlebt. »Damit wir die Franzmänner besiegen, Sir.«

Bolitho packte ihn am Arm. »Gewiß! Aber noch viele gute Männer werden für die Selbstgefälligkeit und Dummheit anderer bezahlen müssen.« Er bezähmte sich und sagte gelassener: »Ich gehe jetzt meine Depeschen lesen. Speisen Sie heute abend mit mir, Val.«

Keen tippte bestätigend an seinen Hut und sah Bolitho nach. Als sein Blick dabei auf Stayt fiel, den neuen Flaggleutnant, fragte er sich, wie dieser wohl Bolithos Neffen oder den früheren Adjutanten Browne ersetzen würde.

Keen schritt zur Querreling und stützte sich darauf. Bald würde das Schiff wieder lebendig sein, ein gutfunktionierendes Wesen, angetrieben von seinen drei Segelpyramiden. Er schaute auf zu Bolithos Flagge am Vormast. Unter keinem Mann diente er lieber, keinen respektierte, verehrte er mehr. Jeden Tag, seit er als Midshipman Bolithos Schiff betreten hatte, war seine Zuneigung gewachsen. Trotz Tod und Gefahr in der Südsee, wo Bolitho beinahe dem Fieber erlegen war, hatte er noch die Kraft gefunden, ihn über seinen Verlust hinwegzutrösten. Keen dachte an die liebliche Malua, die dieses Fieber nicht überlebt hatte. Anders als die meisten Seeoffiziere war er danach unverheiratet geblieben, hatte ihren Tod nie ganz verschmerzt.

Er musterte sein Schiff und war mit dem, was in so kurzer Zeit erreicht worden war, recht zufrieden. Wieder entsann er sich der pausenlosen Breitseiten, des Gemetzels auf und unter Deck während ihres letzten Gefechts. Er berührte seine linke Schulter, wo ihn ein Splitter getroffen und zu Boden geschleudert hatte. Manchmal schmerzte die Stelle noch. Doch er lebte, das war entscheidend. Er sah auf zu den Männern hoch über Deck, die mit Spleißen und anderen Arbeiten beschäftigt waren.

Zu seinem Glück hatte er einige der älteren, erfahrenen Männer von Achates behalten: Big Harry Rooke, den Bootsmann; den Zimmermann Grace, der bei der Reparatur in Plymouth Gold wert gewesen war. Selbst Black Joe Lantry, der furchteinflößende Schiffsprofos, war auf die Argonaute gekommen. Doch fehlten noch Matrosen. Keen rieb sich das Kinn, wie Bolitho es tat, wenn er über ein Problem nachsann. Der Hafenadmiral und ein Amtsrichter taten ihr Bestes, aber Keen wollte erstklassige Seeleute, keine Verbrecher. Bei diesem Gedanken schaute er hinüber zu den beiden Truppentransportern, die Sträflinge in die neue Kolonie Australien bringen sollten. War das die rechte Art, ein Territorium zu bevölkern?

Paget, der Erste Offizier, kam übers Deck und grüßte. »Bitte um Genehmigung, die Männer während der Nachmittagswache an der unteren Batterie üben zu lassen.«

Keen sah ihn nach achtern zur Poop schielen und lächelte. »Keine Angst, Mr. Paget, unser Admiral weiß ordentliche Schießkunst sehr zu schätzen. Und ich auch.«

Paget entfernte sich. Ein guter Offizier und etwas älter als die anderen, hatte er während des Friedens von Amiens bei der Handelsmarine gedient. Eigentlich stand ihm nun ein Kommando zu, wenn auch nur ein kleines Schiff. Der neue Kommandant der kleinen Suprême, Hallowes, war bis vor dem Gefecht Keens Vierter Offizier gewesen. Keen sah sie noch vor sich: Adam Bolitho und Hallowes bei ihrer tollkühnen Attacke über das Heck der Argonaute. Mit einer Handvoll Männer hatten sie Sprengladungen am Großmast angebracht und ihn gefällt. Der Feind hatte fast sofort die Flagge gestrichen. Warum also nicht auch Paget? Sein Zeugnis war gut, und er schien ihm tüchtig genug.

Keen begann mit gesenktem Kopf auf- und abzugehen, vergaß für den Augenblick das Rasseln der Flaschenzüge und die heiseren Rufe seiner Decksoffiziere, die das Einnehmen von Proviant beaufsichtigten. Fest stand nur, dachte er, daß dies ein härterer Krieg werden würde. Das Gefühl, nach einem so kurzen Frieden betrogen, ja verraten worden zu sein, mußte Jähzorn wecken.

Er freute sich auf das Wiedersehen mit Inch, der bei Bolithos Anblick über sein ganzes langes Pferdegesicht strahlen würde. Ernüchternd war der Gedanke, daß Inch und er die einzigen Vollkapitäne des ganzen Geschwaders waren. Inchs Zweidecker Helicon mußte nun jeden Augenblick von der Nore hier eintreffen. Danach ging es unter neuer Order hinaus auf See, wo jedes gesichtete Schiff wahrscheinlich ein Feind war. Nach Gibraltar zuerst – und dann?

Während Keen gedankenversunken an Deck auf- und abging, machte Bolitho sich mit seinem noch fremden Quartier vertraut. Der alte Degen hing an seinem Halter über der prächtigen neuen Waffe, für die in Falmouth gesammelt worden war. Er konnte sich noch deutlich an den Tag erinnern, als ihm sein Vater die alte Klinge im grauen Haus der Bolithos geschenkt hatte. Die Schande seines älteren Bruders Hugh, der zu den aufständischen amerikanischen Kolonisten desertiert war, hatte der Alte nie verwunden. Eigentlich hätte Hugh den Degen bekommen sollen. Nun würde Adam ihn eines Tages tragen.

Bolitho trat in die Schlafkammer und schaute in den Spiegel. Nächsten Monat würde er siebenundvierzig. Wo waren die Jahre geblieben? Er sah zwar zehn Jahre jünger aus, aber der Gedanke an die so schnell verstrichene Zeit bedrückte ihn. Er dachte an Belinda in Falmouth. Würde er bei seiner Rückkehr weitere Veränderungen vorfinden? Mit einer Grimasse wandte er sich vom Spiegel ab. »Falls ich zurückkomme.«

Ozzard fuhr zusammen. »Sir?«

Bolitho lächelte. »Nichts. Ich war nur zu lange an Land.«

Ozzard verstaute Kleider in einem schönen alten Kleiderschrank. Bei einer seiner Schubladen zögerte er und begann die Hemden erneut glattzustreichen. Dabei berührte er die Miniatur einer jungen Frau mit langem, kastanienfarbenem Haar und grünen Augen. Wie schön sie ist, dachte er.

Twigg, sein neuer Helfer, lugte ihm über die Schulter. »Hängen wir das Bild auf, Tom? Wenn ich so eine Frau hätte, täte ich das.«

»Zurück an die Arbeit!« Ozzard schloß die Schublade sorgfältig. Es war nicht Twiggs Schuld, daß er das Bild mit einem von Lady Belinda verwechselt hatte. Ozzard aber wußte es besser: Er hatte Bolitho ihren Namen rufen hören, als er schwer verwundet gewesen war: Cheney … Warum hatte sie sterben müssen? Er hob ein Paar Schuhe auf und starrte es blicklos an.

Das Deck schwankte leicht. Ozzard seufzte.

Dies war ein Leben, das er verstand. Und es war besser als das auf den Sträflingsschiffen.

Drei Tage später segelte das kleine, von Argonaute geführte Geschwader bei kräftigem Nordwind mit Westkurs den Ärmelkanal hinunter.

Für den Admiral war kein Brief mehr eingetroffen. Bolitho verschloß seinen in der Kassette und sah zu, wie das Land in der Abenddämmerung hinter ihm versank. Mein England, wann sehe ich dich wieder?

Gleichgültig wie immer, verweigerte die See ihm jede Antwort.

II In Seenot

Bolitho schritt übers Poopdeck und beobachtete die drei Linienschiffe in ihrem Kielwasser. Zwei lange Tage waren vergangen, seit sie vor Spithead Anker gelichtet hatten, und abgesehen vom Exerzieren mit Segeln und Geschützen hatte nur wenig das Einerlei unterbrochen.

Inchs Helicon lag direkt achteraus, in Kiellinie folgten Dispatch und Icarus, die dazu allerdings erst ein paar unverblümte Rüffel vom Flaggschiff hatten erhalten müssen. Sie mußten jetzt lernen, auf Station zu bleiben und jedes Signal ohne Verzögerung zu beantworten. Später hatten sie für so etwas keine Zeit.

Weit an Steuerbord stand in Luv die einsame Fregatte Barracouta, bereit, vorm Wind heranzueilen, ein gesichtetes Schiff zu überprüfen oder ihre größeren Begleiter zu unterstützen. Bolitho konnte sich alle Schiffe mit ihren Kommandanten vorstellen, obwohl er letztere vor dem Auslaufen nur kurz gesprochen hatte. Die Brigg Rapid und der verwegene kleine Kutter Suprême liefen dem Flaggschiff weit voraus und fungierten als seine Augen und Aufklärer.

Bolitho hatte die Lagebesprechung Keen überlassen, als sich die Kommandanten in der Messe der Argonaute versammelten. Ansprachen, die nur einen Selbstzweck erfüllten, haßte er. Wenn sie erst Gibraltar erreicht hatten, würde er genauer wissen, was von ihnen erwartet wurde; dann konnte er den anderen seine Absichten darlegen.

Inchs Gesicht war vor Freude ganz zerknittert, als er von Bolitho an Bord willkommen geheißen wurde. Verändert hatte er sich nicht. Er war immer noch so eifrig und vertrauensselig, daß Bolitho seine Zweifel nie mit ihm hätte teilen können. Inch würde allem zustimmen, was er tat, und ihm selbst bis an die Pforten der Hölle folgen.

Bolitho wandte sich um und sah den Matrosen bei der Arbeit auf dem Batteriedeck zu. Ihm waren mehrere Gesichter aufgefallen, die er noch von Achates her kannte. Zu Keen hatte er bemerkt, es ehre den Kommandanten, daß sie sich freiwillig zum Dienst unter ihm gemeldet hatten. Daß Keen in sich hineingelächelt hatte, war ihm entgangen. Und der Gedanke, die Männer könnten sich vielleicht ihres Admirals wegen gemeldet haben, kam Bolitho überhaupt nicht.

Er hatte den leichtfüßigen, verwachsenen Stückmeister Crocker wiedergesehen, der damals den Großmast weggesprengt und so das Gefecht beendet hatte. Auch er war unverändert, abgesehen von einer neuen Uniform. Er war nun Maat und selten weit entfernt, wenn an den Stücken exerziert wurde.

Auf dem Backbord-Seitendeck sah er Allday mit einem Jungen, den er für den neuentdeckten Sohn hielt. Unglaublich! Er fragte sich, wann Allday sich dazu durchringen würde, ihn in der Achterkajüte zu präsentieren. Allday kannte besser als jeder andere Bolithos Widerwillen gegen Vetternwirtschaft und würde bestimmt den richtigen Zeitpunkt wählen.

Vom Vorschiff schlug es zwei Glasen, und Bolitho bewegte sich unruhig. Er fühlte sich von diesem Schiff und den anderen, die seiner Flagge folgten, seltsam distanziert. Keen und seine Offiziere kümmerten sich um alles; Tag für Tag wurde die Besatzung der Argonaute dazu ermuntert und angetrieben, ein gutes Team zu bilden. Die Zeit, die das Klarmachen zum Gefecht, das Reffen oder Setzen der Segel in Anspruch nahm, wurde minutenweise verkürzt, aber Bolitho konnte an alledem nur aus der Ferne teilhaben.

Die Stunden zogen sich träge dahin, und er beneidete Keen und die anderen Kommandanten, die ihre Tage mit Arbeit ausfüllen konnten.

Er ging zur anderen Seite und starrte auf die stumpfe graue See und die anrollenden Wellenkämme hinunter. Hundert Meilen querab lag Lorient. Brest, wo dieses Schiff gebaut worden war, hatten sie in der Nacht passiert. Ob Argonaute das wohl gespürt hatte?

Seltsamerweise war auch Inchs Helicon eine französische Prise, hatte aber einen neuen Namen erhalten, wie es Sitte war, wenn der Feind schlecht gefochten hatte.

Bolitho berührte die Finknetze. Von Argonaute konnte das niemand behaupten. Sie hatte von Anfang bis Ende tapfer gekämpft. Nelson mußte die Beherrschung des Mittelmeers schwerfallen, wenn der Feind über mehr Admirale von Joberts Schlag verfügte.

»An Deck! Rapid signalisiert, Sir!«

Bolitho schaute hoch zum Ausguck in seinem schwankenden Krähennest. Der Wind war umgesprungen und kam nun direkt von achtern. Er öffnete den Mund, doch Keen war schon zur Stelle. »Aufentern, Mr. Sheaffe, aber flott!«

Bolitho sah den schlanken Midshipman rasch die Wanten erklimmen. Er war sechzehn, sah aber älter aus und alberte in seiner Freizeit oder auf Hundewache nur selten mit den anderen »jungen Gentlemen« herum.

Bolitho fragte sich kurz, ob sich auch Adam so ernst verhalten hätte, wenn er sein Sohn gewesen wäre.

Endlich war Sheaffe in der Lage, sein großes Signalfernrohr auszurichten, und rief hinunter: »Von Suprême, wiederholt von Rapid, Sir!« Aller Augen ruhten auf seiner verkürzten Silhouette. Die Wolken schienen dicht überm Masttopp dahinzujagen. »Im Süden Segel gesichtet!«

Keen schaute Bolitho an. »Franzosen, Sir?«

»Das möchte ich bezweifeln«, meinte Bolitho. »Gestern sahen wir Teile unseres Blockadegeschwaders. An dem müßte sich der Feind erst vorbeigestohlen haben.« Er lächelte über Keens Miene. Der Mann war enttäuscht.

»Suprême soll nachsehen«, befahl Bolitho. »Sie trägt zwar nur Spielzeugkanonen, läuft aber jedem anderen Schiff davon.«

Entsprechende Signalflaggen wurden gehißt und flatterten steif im Wind. Rapid gab das Signal an den Kutter weiter, der außer Sicht des Flaggschiffs stand. Bolitho wußte, daß Hallowes zum Leichtsinn neigte, und hoffte, daß er sich vorsah. Wenn nicht, würde sein neues Kommando nur kurzlebig sein.

Da hörte er neben sich Schritte und sah seinen Flaggleutnant die Signalgasten kritisch mustern. Als Sheaffe wieder an Deck rutschte, sagte Stayt: »Immer langsam. Das muß noch besser klappen, Mr. Sheaffe, oder Sie bekommen es mit mir zu tun.«

Bolitho schwieg. Immerhin fand Stayt nichts dabei, den Sohn eines Admirals zurechtzuweisen.

»Wer das auch sein mag, er wird abdrehen und fliehen, Sir«, bemerkte Stayt jetzt.

Bolitho nickte. Falls es ein Handelsschiff gleich welcher Nationalität war, würde der Kapitän seine besten Seeleute nicht an ein Kriegsschiff verlieren wollen.

Er dachte über Stayt nach, dessen kranker Vater die Seefahrt aufgegeben hatte und Land beim Flecken Zennor bewirtschaftete. Stayts Brüder waren Geistliche, aber der Leutnant hätte in eine Soutane nicht gepaßt. Er war dunkelhäutig und hatte braune, ruhelose Augen wie ein Zigeuner. Zwar sah er nicht so gut aus wie Keen, hatte aber die markanten Züge, die Frauen anziehend fanden. Bolitho wußte, daß Stayt immer eine Pistole unter der Jacke trug, und hätte ihn gern nach dem Grund gefragt. Seltsam, als rechne er ständig mit Ärger.

Sheaffe sprach eindringlich mit seinem Helfer und erkletterte dann rasch die Wanten zum Besanmast. Die meisten Fähnriche hätten Stayts Bemerkung einfach hingenommen, aber Sheaffe war gekränkt. Ein Midshipman war weder Fleisch noch Fisch, er stand zwischen den Offizieren und Matrosen und genoß von keiner Seite viel Respekt. Seltsam nur, daß sie das sofort vergessen, sobald sie Leutnants werden, dachte Bolitho.

»Von Suprême, Sir!« Sheaffes Stimme klang scharf. »Es ist die Orontes!«

»Eines der Sträflingsschiffe«, meinte Keen. »Sie lief zwei Tage vor uns aus.« Er sah Bolitho fragend an. »Merkwürdig.«

»Von Suprême, Sir: Schiff bittet um Beistand.«

»Signal an Suprême.« Keen hatte Bolitho nicken gesehen. »›Beidrehen und auf Flaggschiff warten.‹« Er wartete ab, bis das Signal gesetzt worden war, dann ließ er an alle signalisieren: ›»Mehr Segel setzen.«‹

Stayt schob sein Teleskop mit einem vernehmlichen Schnappen zusammen. »Geschwader hat bestätigt, Sir.«

Bolitho sah zu, wie die Matrosen rasch in die Wanten stiegen und auf den Rahen auslegten, um mehr Segel zu setzen. Die anderen Schiffe folgten Argonautes Beispiel. Zwar drohte keine offenkundige Gefahr, aber das Geschwader mußte seine Formation halten. Bolitho kannte sich mit tückischen Fallen aus, seinen eigenen und denen des Feindes. Er riskierte nichts.

Das Deck vibrierte, und Gischt sprühte über die Bugreling, als Argonaute auf den zusätzlichen Segeldruck reagierte.

»Wir erreichen sie um die Mittagszeit, Sir.« Keen überwachte das Setzen jedes einzelnen Segels; er rief: »Fockbrasse in Luv dichter holen, Mr. Chaytor! Ihre Gang ist heute konfus!« Er setzte den Schalltrichter ab. Am Trupp des Leutnants gab es nicht viel auszusetzen, doch es konnte nicht schaden, ihn ein wenig schärfer anzufassen. Bolithos Lächeln verriet Keen, daß er durchschaut worden war.

Luke Fallowfield, der Sailing Master[4], sah in die prallen Segel und stellte einen weiteren Mann an das große Doppelruder. Er war schon auf anderen Flaggschiffen Master gewesen, aber nirgends war es zugegangen wie auf dem Bolithos. Die meisten Admirale blieben in ihren Kajüten, dieser aber nicht. Fallowfield war kleinwüchsig und gebaut wie ein Faß, sein Kopf saß direkt auf den Schultern wie ein großer roter Kürbis. Er war ein schlampiger Klotz von Mann, der meist eine Rumfahne hinter sich herzog, doch seine Kenntnisse in Navigation waren unerreicht.

Bolitho begann sich an ihre Gesichter und die Art, wie sie mit Vorgesetzten und Untergebenen umgingen, zu gewöhnen. Ohne diese Kontakte hätte er sich in sein abgeschirmtes Quartier verbannt gefühlt. Insgeheim mußte er zugeben, daß er mit seinen Gedanken nicht allein sein wollte.

Mit jeder Stunde wurde Orontes größer, ragte höher aus dem grauen Wasser. Die in der Nähe beigedreht liegende Suprême blieb Zuschauerin.

Sobald Argonaute auf Signaldistanz herangekommen war, bemerkte Keen: »Die haben ihr Ruder verloren, verflucht!«

»Der andere Transporter war ein ehemaliger Indienfahrer und in gutem Zustand.« Stayt verzog verächtlich den Mund. »Aber der da ist eine Hulk. Zum Glück meint es die Biskaya gut mit ihnen.«

Bolitho griff nach einem Fernrohr und beobachtete den langsamen Signalaustausch. Stayt hatte mit seinem Urteil recht: Die Orontes sah aus wie ein Sklavenschiff, nicht wie ein Transporter der Regierung.

»Wenn wir sie in Schlepp nehmen, Val, reduzieren wir unsere Stärke und verzögern unser Vorankommen.« Bolitho sah Keens Bestürzung. »Aber aufgeben können wir sie auch nicht.«

»Wir kriegen Sturm, Sir.« Fallowfield starrte die Offiziere ausdruckslos an. »Da bin ich ganz sicher.«

»Das entscheidet den Fall.« Bolitho verschränkte die Arme. »Schicken Sie ein Boot hinüber und stellen Sie fest, was aus ihrem Begleitschiff, der Philomela, geworden ist.« Er sah Big Harry Rooke, den Bootsführer, seine Mannschaft heranwinken. Pech, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig. »Wir eskortieren sie nach Gibraltar.«

»Mit ihr im Schlepp brauchen wir aber Tage länger, Sir«, wandte Keen ein.

Das war typisch Keen; er konnte es nicht abwarten, an den Feind heranzukommen.

Der Erste Offizier kletterte hinunter in das wartende Boot, das bald rasch auf das treibende Schiff zuhielt.

Was für ein schlechter Anfang der Reise, dachte Bolitho, versuchte aber, den Gedanken zu verdrängen und sich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Wenn er das Geschwader verließ und mit Barracouta oder Rapid vorausfuhr, konnte es während seiner Abwesenheit bei einem Überraschungsangriff unterliegen. Ein kaum ausgebildetes Geschwader ohne Admiral würde die Franzosen gewiß anlocken, wenn sie davon erfuhren.

Er kam zu einem Entschluß. »Signal an Barracouta: ›Zu Flaggschiff aufschließen, erwarte Kommandant an Bord‹.« Schon hatte er das jungenhafte Gesicht von Lapish vor Augen, der dankbar sein würde, seine schwerfälligen Gefährten loszuwerden.

»Und jetzt Signal an Helicon«, fuhr Bolitho fort. »Sie soll sich bereitmachen, Orontes in Schlepp zu nehmen.« Inch war der bei weitem erfahrenste Kommandant des Geschwaders, aber selbst dieser loyale Mann würde ihm für den Auftrag nicht danken.

Den Rest des Tages nahm die Herstellung einer Schleppverbindung zu dem steuerlosen Schiff in Anspruch, und Inchs Matrosen mußten hart zupacken. Als die Schiffe wieder einigermaßen in Formation segelten, war Barracouta schon weit entfernt und kam bald außer Sicht. Lapish brachte Depeschen von Bolitho zum Gouverneur und Oberbefehlshaber von Gibraltar, damit man dort wenigstens erfuhr, warum das Geschwader verspätet eintreffen würde.

Die Nacht senkte sich herab. Als Bolitho in seine Kajüte ging, sah er, daß der Tisch liebevoll gedeckt war, Decksbalken und Mahagonipaneele schimmerten im Schein der schaukelnden Laternen und neuen Kerzen.

Die Arbeit mit Orontes hatte Bolitho Appetit gemacht. Er hatte es genossen, seinem Geschwader einmal bei einer anderen Beschäftigung als nur dem Exerzieren an Kanonen und Segeln zuzuschauen.

Ozzard betrachtete ihn zufrieden. Schön, daß Bolitho wieder besserer Stimmung war. Er wollte mit dem Kommandant und dem neuen Flaggleutnant speisen. Was letzteren betraf, hielt Ozzard sein Urteil noch zurück. An Leutnant Stayt war etwas Falsches, entschied er, wie an dem Anwalt, für den er früher gearbeitet hatte.

»Ihr Bootsführer wartet, Sir Richard«, sagte Ozzard.

Bolitho lächelte. »Gut.«

Allday stand achtern an den großen, schrägen Heckfenstern. Jetzt drehte er sich zu Bolitho um und legte grüßend die Hand an die Stirn. Selbst diese Geste führte er mit Würde aus, dachte Bolitho, weder unterwürfig noch gleichgültig.

»Wie geht’s voran?« Bolitho ließ sich in den neuen Sessel fallen und streckte die Beine aus. »Wann bekomme ich deinen Sohn zu sehen?«

»Morgen vormittag, wenn’s recht ist, Sir Richard«, erwiderte Allday. Selbst der Titel kam ihm leicht über die Lippen. Allday schien stolzer auf ihn zu sein als sein Träger. »Er ist ein guter Junge, Sir.« Das klang etwas besorgt. »Ich habe mich nur gefragt …«

Ah, nun kam er zum Kern der Sache. »Raus damit, alter Freund«, meinte Bolitho ermunternd.

»Danke, Sir.« Allday setzte noch einmal an. »Ab und zu tut mir die Wunde noch weh, Sir.«

»Aha.« Bolitho schenkte zwei Gläser Rotwein ein. »Rum ist leider keiner in Reichweite.« Ein Grinsen erhellte Alldays gebräuntes Gesicht. Bolitho rührte nie Rum an. Aber er wußte, daß Allday ihn bevorzugte.