Dr. Hoffnung - Miriam Pielhau - E-Book

Dr. Hoffnung E-Book

Miriam Pielhau

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Beschreibung

"Hoffnung ist ein kostbares Medikament, der beste Freund der Liebe zu mir selbst und zu meinem Leben. Hoffnung kann sogar heilen." Miriam Pielhau "Dr. Hoffnung" ist die Geschichte eines eigentlich unmöglichen Heilungsweges. Johanna hat alles Menschenmögliche in die Wege geleitet, um gesund zu werden. Und sie hat es geschafft – trotz der Diagnose "unheilbar krank". Unterstützt wurde sie von ihrer besten Freundin Miriam Pielhau, die selbst Brustkrebs hatte. Ein offenes und ehrliches Buch über eine starke Frau, die sich die Hoffnung nie nehmen ließ und ihre tödliche Krankheit ganzheitlich besiegte. Mit vielen konkreten Tipps für Betroffene und deren Angehörige.

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Das Buch

Johanna, die engste Freundin von Miriam Pielhau, erhält die niederschmetternde Diagnose: Krebs, unheilbar. Eine emotionale Achterbahnfahrt beginnt. Miriam Pielhau, die selbst an Brustkrebs erkrankte, will das Wort »unheilbar« nicht akzeptieren. Deshalb tut sie alles, damit Johanna die Hoffnung auf Heilung niemals aufgibt. Sie begleitet sie zu Ärzten und zur Chemotherapie. Sie ermuntert sie, die inneren und äußeren Störungen aufzufangen, Eigenverantwortung zu übernehmen, aber auch in den richtigen Momenten loszulassen. Gemeinsam suchen sie nach Wegen, die lebensbedrohliche Krankheit ganzheitlich zu überwinden. Und dann geschieht das Wunder: Die Tumorwerte sinken.

Die Autorin

Miriam Pielhau, Jahrgang 1975, ist dem Publikum seit vielen Jahren als Moderatorin (u.a. Pro7, Sat.1, RTL, WDR und rbb) und Bestsellerautorin bekannt (»Fremdkörper« und »Radiergummitage«). Außerdem ist sie Schauspielerin und regelmäßig in Fernsehspielen zu sehen. Miriam Pielhau hat eine Tochter und lebt in Berlin.

MIRIAM PIELHAU

Die Geschichte eines echten Wunders

Diese persönliche Geschichte ist zum Schutz der Privatsphäre aller genannten Personen leicht modifiziert.

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ISBN978-3-8437-1327-6

© by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016Umschlaggestaltung: Sabine KwaukaUmschlagfotos: © www.rachor-photography.com

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für dich, mein Kind,… mein Engel,… mein Lebenselixier!

Inhalt

Über das Buch und die Autorin

Titelseite

Impressum

Widmung

Motto

Wir müssen reden

1 Tag X

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise I:

Sich einen Kompagnon suchen

Fragen stellen

Deutungsspielraum begrenzen

Beispiele einfordern

Etappen betrachten

Hoffnung kultivieren

2 Zwischen Leben & dem Gegenteil

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise II

Internet nutzen, aber richtig

Blick hoch

Ausnahme sein

»Powerpakete« suchen

Kommunikation lernen

Wissenschaft hinterfragen

3 Fäustchen machen & lächeln

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise III

Aktiv werden

Informationen sammeln

Eigenverantwortung übernehmen

Stimmung aufhellen

Alltag beibehalten

Seele erforschen

Anmerkung zum Kapitel

4 Zwei Schritte vor & einer zurück

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise IV

Meditation lernen

Aufgabe suchen

Kraftquellen identifizieren

Schutzwall aufbauen

Reden hilft

5 Richtige Fragen & richtige Antworten

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise V

Selbstwertgefühl anschieben

Angst zulassen

Verantwortung abgeben

Konfliktherde reduzieren

Krankheit verstehen

6 Sprechen Sie Arzt? Sprechen Sie Patient?

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise VI

Abstand gewinnen

Statistiken verstehen

Patiententyp erkennen

Kommunikation analysieren

Loslassen professionalisieren

Hilfe annehmen

7 Das Leben der anderen – und meines

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise VII

Umfeld »entmüllen«

Alles auf den Prüfstein stellen

Unangenehmes aufschieben

Nähe suchen

Kreisel werden

Gegenwärtig sein

8 Im Hier & Jetzt

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise VIII

Krankheit entthronen

Details erkunden

Glück erkennen

Selbstliebe lernen

Anmerkung zum Kapitel

9 Hoffnung & Optimismus

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise IX

Optimismus trainieren

Dankbarkeit üben

Heilung visualisieren

Schmerz beenden

Bestes einfordern

10 Kurz vor dem Ende und wieder auf Anfang

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise X

Schutz suchen

Zentrum sein

Mentor finden

Nein sagen, ja sagen

11 Wunder, Wunden & Heilung

Anmerkung zum Kapitel

12 »Der Trick ist, einfach niemals aufzugeben«

Schulmedizin »Stahl, Strahl & Chemo«

Neue, alte Medikamente

Alternativmedizin »Hyper-/Fieber-/Thymus-Therapie«

Ernährung

Nahrungsergänzungsmittel

Häusliche Entgiftung

Sport

Psychotherapie

Hypnosetherapie

Spiritualität

Danke

Feedback an den Verlag

Empfehlung

Mit dir durch die Wüste, mit dir durch das Meer

Die Geister, die ich loswurde, rufe ich nie mehr

Ich hab Licht gesucht, in dunkelsten Stunden

Hab mich verlor’n und in dir gefunden

Ich bete: »Lass es regnen auf mich hinab«

Du sagst: »Spring in die Fluten«

Du bist mehr, mehr, mehr als genug

Viel mehr, als ich such,

weit mehr, als ich verlangen kann

Mehr, mehr, mehr als genug

Du bist unendlich gut,

bist mehr, als ich ertragen kann

Ich sag: »Alles vergeht«,

Du sprichst: »Neues entsteht«

Vieles muss geh’n, aber alles lebt

Ich lass los – du fängst mich

Ich reiß mich zusamm’, aber’s sprengt mich

Hoffnung ohne Ende

Deine Liebe rinnt durch meine Hände

Weniger als du bist, ist nicht genug für mich

Fern und ein Schritt zurück, weniger bin ich nicht

Mehr, mehr, mehr als genug …

Viel mehr, als ich such, weit mehr, als ich verlangen kann

Mehr, mehr, mehr als genug

Du bist unendlich gut, bist mehr, als ich ertragen kann

»Mehr als genug« von Samuel Harfst & Tobias Hundt1

1 Aus dem Album: Mehr als genug. Label: RaketenRecords, Mai 2013.

Wir müssen reden

Wer eine herbe Attacke auf seine Gesundheit erleidet, die das Wohlbefinden empfindlich beeinträchtigt oder gar das Leben an sich bedroht, der fällt psychisch zunächst einmal in ein Loch. Ein schmuddeliges, stinkendes Loch. So ein Schlamassel. Komme ich da jemals wieder heraus? Und wenn ja, wie? Wer hilft?

Nun, Überlebenswillen in jedem Fall. Familie und Freunde sollten Sie auch nicht in die Verbannung schicken. Und, ach ja, die Medizin. Die gute, alte Wissenschaft der Heilkunde inklusive ihrer Heilsbringer, den Ärzten. Natürlich sind Sie bei einer Erkrankung auf die Medizin angewiesen. Doch genau an diesem Punkt fängt es meiner Erfahrung nach an, kompliziert zu werden. Bitte nicht falsch verstehen: Wir verfügen in unseren Breitengraden über die besten Therapien. Als Patient werden wir den Möglichkeiten der Medizin offen gegenüber sein, wenn wir eine Krankheit bekämpfen und gesund werden wollen. So weit, so gut. Das ist nicht der Punkt.

Ich selbst bin nach einer äußerst herausfordernden Diagnose (das gemeine K-Ding) auf dem Pfad der Gesundung einige Male gestrauchelt. Über große Stolpersteine gefallen, die viel mit mir selbst zu tun hatten. Sie trugen Namen wie »Angst«, »Verzweiflung« oder »Hoffnungslosigkeit«. Manches Mal trugen sie schlicht einen weißen Kittel. Aus fachlicher Sicht haben die Ärzte an mir ausnahmslos einen guten Job gemacht. Schließlich war die Behandlung auch erfolgreich. Emotional gesehen hätte einiges deutlich besser laufen können. Viele Rückschläge hätten mir erspart bleiben können. Zu einigen durchweinten Nächten hätte es nicht kommen müssen. Es hätte nicht so wahnsinnig viel Kraft kosten müssen, sich immer wieder selbst aufzupäppeln, wenn das Miteinanderreden besser funktioniert hätte. So simpel. Und doch so schwer: Die Kommunikation zwischen den vermeintlichen »Herrschern« über meine Gesundheit und mir, ihrer Schutzbefohlenen, verlief alles andere als glatt. Eigentlich sollten Ärzte und Patienten an einem Strang ziehen. Aber zu verschieden sind die Welten, in denen sie sich bewegen. Zu wenig gelingt es, über den eigenen Tellerrand zu sehen, den anderen mitzunehmen. Als Laie ist man überfordert vom ganzen Fachchinesisch, als Arzt, konfrontiert mit dem alltäglichen Wahnsinn in einer Praxis oder Klinik, fehlt einem der Blick auf die Bedürfnisse des Patienten, die über die medizinische Versorgung hinausgehen. Und das schafft jede Menge Raum für Missverständnisse – und auch für unnötige Ängste. Weil man nicht versteht, was passiert.

Natürlich: Ich bin keine erfahrene Ärztin und auch keine renommierte Wissenschaftlerin. Wenngleich ich durch meine eigene Krankheit, durch das Lesen unzähliger Bücher, durch Gespräche und Interviews zur Expertin geworden bin. Aber abgesehen davon bin ich genau das, was Sie auch sind: ein Mensch. Mit Gefühlen und Ängsten. Als erfahrene Patientin habe ich mir gewisse Kompetenz und Sachverstand angeeignet, aber auch Verständnis. Für die Materie Krankheit an sich wie auch für die Helden mit Skalpell oder Spritze in der Hand.

Als routinierter Gast in Wartezimmern habe ich festgestellt, dass wir einiges voneinander lernen können. Und müssen. Wir müssen dringend eine gemeinsame Sprache finden, die beide verstehen: der Arzt und der Patient. Im Dienste der Gesundheit – der körperlichen und seelischen.

Patienten soll dieses Buch bei der Heilung helfen – und vor allem Mut machen. Mut, aufzustehen, mündig und selbständig zu werden und nicht alles klag- und fraglos hinzunehmen. Nebenbei gibt es einen Einblick in das Leben der Ärzte. Menschen wie du und ich, die auch mal miserabel schlafen, denen Zeit gestohlen wird an jeder Ecke, die unglückliche Tage haben und deswegen mit einem Krebspatienten reden, als hätte er Süßigkeiten geklaut. Das ist grausam. Passiert aber hundertfach. Wenn Sie sich darauf einlassen, einen Blick in diese Welt zu wagen, wissen Sie auch, Gesten oder Gesagtes besser zu deuten. Und das tut vor allem einem gut: Ihnen.

Ärzten möchte ich klarmachen, wie fatal manche ihrer Äußerungen sein können. Und dass umgekehrt in so vielen Fällen allein das richtige Wort an der richtigen Stelle letztlich gesund machen kann. Dass Worte heilen können, davon bin ich überzeugt. Sie können Mut und Hoffnung verbreiten. Die falschen Worte dagegen schüren Angst. Gerade wenn sie aus dem Mund eines Mediziners kommen. Beide Seiten können etwas dafür tun, dass die Kommunikation besser wird. Und das Verständnis füreinander. Das ist meine feste Überzeugung.

Daher hoffe ich, dass dieses Buch ein Begleiter für Sie wird, der Sie neben dem ganzen medizinischen Kladderadatsch auf den Weg der Heilung bringt. Ein Gefährte, der Sie vorbereitet auf die Fallstricke und Gruben auf der manchmal sehr langen Reise, die Sie Seite an Seite mit dem Arzt Ihres Vertrauens antreten wollen. Oder müssen.

Und zu guter Letzt möchte ich einen Arzt in Ihnen ansprechen und ausbilden, der jeden gleich behandelt. Egal, ob Kasse oder privat. Er geht stets mit derselben Liebe und Sorgfalt vor. Und das Beste? Er schlummert in Ihnen und arbeitet daher rund um die Uhr und ganz ohne Rechnung nur für Sie: Es ist Dr. Hoffnung.

März 2016

Ihre

1 Tag X

Draußen herrschen knackige minus 15 Grad. Die Sonne scheint. Immerhin. Das Jahr 2014 hat den Januar noch nicht einmal hinter sich gelassen, und doch weiß Johanna schon sehr genau, wie sich die kommenden Monate hauptsächlich gestalten werden. Sie wird viel mit Ärzten zu tun haben. Und sehr viel mit sich selbst. Denn Johanna ist wieder krank.

Welche Ironie des Schicksals. Das sind ihre ersten Gedanken, als sie vor einer Woche die neue, extrem doofe Nachricht erhalten hat. Und das sind ihre Worte am Telefon, als sie mir davon berichtet: »Welch bitterböse Ironie.«

Bei Johanna kommt der K. zurück. Genauer gesagt: Es kommt ein neuer K. Denn sie war geheilt. Das, was jetzt in ihr wütet, ist ganz anders als beim ersten Mal. Und es ist schlimmer. Viel, viel schlimmer.

Johanna steht mir sehr nah. Sie und ich, wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Hand in Hand durch unser bisher herausforderndstes Lebensjahr 2008 gegangen. Sie war ebenso an dem K-Ding (ich nenne den Krebs nicht gerne beim Namen, immer noch nicht) erkrankt wie ich. Auch sie war jung und eigentlich kein »typischer Fall«. Aber das half uns auch nicht weiter; wir mussten da durch. Und wir gingen da durch. Gemeinsam. Weinend, verzweifelt, wütend, Kraft schöpfend, lachend und zusammen das Erreichen der magischen Fünf-Jahres-Grenze feiernd. Das ist die zeitliche Hürde, die genommen werden will, bevor sich ein K-Patient auch offiziell als geheilt bezeichnen darf. Endlich nicht mehr zur Nachsorge. Ab jetzt heißt es wieder Vorsorge. Wie bei jedem anderen Gesunden auch. Olé, olé.

Aus Schicksalsgefährtinnen wurden Freundinnen. Frauen mit verwandten Seelen und einem ähnlichen Leben. Johanna hat ein Kind – wie ich auch – und einen sonnigen Blick auf das Leben. Sie ist das, was andere vermutlich als »Stehauf-Frauchen« bezeichnen würden. Sie meistert ihren Alltag als Alleinerziehende mit einer bewundernswerten Leichtigkeit. Und dann kommt dieser Tag, der plötzlich wieder alles schwer macht. Schier unerträglich schwer.

Johanna weint am Telefon. So bitterlich, dass ich einmal mehr verfluche, einen Beruf zu haben, der mich so oft in andere Städte bringt. Ich kann nicht bei ihr sein. Dabei scheint sie mich gerade jetzt sehr zu brauchen.

»Ich habe Angst. Eine richtige Scheiß-Drecks-Angst.«

»Nun warte doch erst mal das Ergebnis der Gewebeprobe ab.« Ich spreche die Worte aus und ärgere mich sofort darüber. Weiß ich doch nur zu genau, dass ein solcher Satz zwar gut gemeint ist, aber wenig hilft. Zumindest nicht, wenn einen der Teufel Angst gerade fest im Griff hat. Und er hat Johanna in beiden Händen und droht, sie zu zerquetschen. Johanna nimmt mir meinen missglückten Versuch, ihr Mut zuzusprechen, dankenswerterweise nicht übel. Ach, die Tapfere.

»Gut wird es nicht mehr, Miri. Es kommt nur darauf an, wie schlecht genau das Schlechte werden wird.«

»Was macht dich da so sicher?«

Johanna schluchzt. »Aaach … ich hab die Gesichter gesehen. Ich kenne diesen Blick. DU kennst diesen Blick. Wärst du dabei gewesen, du wüsstest, was ich meine. Diese Mischung aus Keine-Panik-schüren-Wollen, aber auch nicht zu viel Hoffnung machen. Eigentlich wissen ja alle schon, dass der Knoten wieder bösartig ist. Hoffentlich wenigstens dieses Mal ein kleiner Böser.« Die letzten Worte flüstert sie.

Ich kann nur betroffen nicken und räuspere mich. »Ich komme mit zum nächsten Termin. Soll ich?«

»Kannst du das, Miri? Kriegst du das irgendwie hin?«

»Natürlich. Wenn alles gut ist, dann trage ich dich danach Halleluja rufend und singend durch die Straßen … und wenn nicht … dann … dann auch. Und das Halleluja schreie ich noch etwas lauter. Damit wir da oben von dem Monsieur in den Wolken auch gehört werden.«

Johanna lacht. Kurz nur, aber sie lacht.

»Übermorgen um 11 im Brustzentrum der Klinik. O.k.?«

»Natürlich, Jo. Ich hole dich ab.«

Zwei Tage später stehen wir vor der Tür, die wir beide nur allzu gut kennen. Ich merke, wie mich die Situation beklommen macht. Doch ich versuche, dieses Gefühl wegzuschieben. Es geht nicht um mich. Es geht um Johanna.

Wir setzen uns ins Wartezimmer. Wie schrecklich lang eine sehr kurze Zeit sein kann, wenn einem die Frage nach »Leben oder todbringende Krankheit?« den Atem raubt. Ich erinnere mich nur zu gut. Ich leide mit. Auch wenn das nicht zählt. Nicht zählen soll. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit (vermutlich waren es kaum mehr als fünf Minuten), öffnet sich die Tür zum Besprechungszimmer.

Unser Lieblingsarzt aus dem Jahr 2008 huscht an uns vorbei: »Ich bin sofort wieder da.« Ein schlechtes Zeichen, denke ich. Kein »Es ist alles gut, Details besprechen wir gleich« aus Dr. Joachims Mund. Verdammt. Egal, nicht verzagen. Ich drücke Johannas Hand. Augenblicke später ist er wieder da. Immerhin. Er bittet uns herein. Wir begrüßen uns. Er lächelt aufmunternd. Ein gutes Zeichen. Etwas in mir frohlockt.

Während sich Johanna etwas umständlich aus ihrer dicken Jacke schält und ich versuche, ihr dabei zu helfen, bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie der Doktor Unterlagen auf seinem Schreibtisch hin- und herschiebt und beiläufig Visitenkärtchen in die Hand nimmt. Scheiße, schießt es mir durch den Kopf. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Es ist also doch Krebs. Mit Sicherheit stehen auf den Kärtchen die Namen von Spezialisten, an die er Johanna weiterverweisen wird.

Ich nehme Johanna die Jacke ab. Sie hat das mit den Visitenkarten zum Glück nicht mitbekommen, sie starrt nur ängstlich auf den Boden. Als wir uns an den kleinen Tisch gesetzt haben, sieht Dr. Joachim Johanna mit mildem Blick an.

»Frau Orly, die Gewebeprobe hat bedauerlicherweise ein eindeutiges Ergebnis geliefert. Die Zellveränderungen sind nicht gutartig.«

Wumms. Stille. Johanna starrt Dr. Joachim an. Er legt seine Hand auf ihre. Ich blicke geschockt zwischen beiden hin und her. Irgendetwas in mir hatte gehofft, dass Johanna grandios unrecht haben würde. Dass ihr Gefühl und ihre Vermutung falsch gewesen wären. Dass es eben doch nur ein harmloser Knubbel in der Brust wäre, auch wenn alles auf das K-Ding hindeutete. Ein Knubbel, den man einfach rausschneidet und fertig ist das gesunde Johanna-Mädchen. Irgendetwas in mir hatte sich bis zu diesem Moment geweigert, überhaupt nur in Betracht zu ziehen, dass der vermaledeite Herr K. zurückgekommen sein könnte.

Als Johanna Tränen aus den Augen schießen, merke ich: Irgendetwas in ihr hatte genauso gefühlt, gehofft wie ich. Trotz aller gegenteiliger Anzeichen. »Nicht schon wieder. Nein. Bitte. Nicht schon wieder«, flüstert sie.

Jetzt bin ich gefragt. Das spüre ich. Ich küsse Johanna aufs Haar und wende mich dem Arzt zu. »Was heißt das denn genau? Wenn ich richtig informiert bin, ist der Knoten noch verhältnismäßig klein. Soll heißen: Sie operieren, eventuell medikamentöse Therapien danach, und dann hat sie eine gute Chance auf erneute Heilung, richtig?«

Dr. Joachim zögert. »Nun … ja und nein. Der Knoten ist klein, operabel, das ja. Aber die rötlichen Stellen auf der Brusthaut … Wir haben eine Gewebeprobe entnommen und festgestellt, dass diese Hautveränderungen auch nicht gutartig sind. Und die lassen sich nicht so leicht mit dem Skalpell entfernen. Nicht … ohne massive ästhetische Einbußen.«

Mir ist sofort klar, was er meint, auch wenn er sich nicht deutlich ausgedrückt hat. Nämlich dass man Johanna die Brust ganz abschneiden muss, um dem K-Ding den Garaus zu machen. Ganz abschneiden. Also nicht nur innen alles raus und ein Silikonkissen rein. Sondern alles weg. Mit hässlicher Narbe. Und hässlichem Selbstwertgefühl – für den Rest des Lebens. Mir wird kalt.

Johanna ist noch nicht einmal Mitte dreißig. Ich ahne, dass mir die Moral und der Kämpfergeist meiner sonst so starken Freundin unter den Händen wegflutschen wird, wenn sie realisiert, dass nur die radikale Amputation eine lebensrettende Lösung ist. Ich sehe sie an. Und verkneife mir ein »Alles o.k.?«. Noch scheinen die Worte des Arztes nicht wirklich zu ihr vorgedrungen zu sein.

Mein Hirn rattert, mein Kopf ist heiß, und ich höre mich sagen: »Verstehe, Dr. Joachim. Aber könnte man nicht auch bestrahlen? Oder es mit einer Chemotherapie gegen die Hautauffälligkeiten versuchen?«

»Versuchen könnte man das, aber …«

Ich unterbreche ihn, weil ich nichts ungefragt lassen will: »Im schlimmsten Fall, was ist mit einem Wiederaufbau der Brust? Gibt es da Möglichkeiten?«

Jo blickt mich verängstigt an. Unfähig, etwas zu sagen.

Dr. Joachim wirkt fast erleichtert ob meiner Nachfrage. Beim Stichwort »Wiederaufbau« verändert sich seine Körperhaltung. Er wirkt wieder stärker. Absurd und großartig zugleich, dass auch erfahrene Ärzte – also im Verkünden schlechter Nachrichten erfahrene Ärzte – noch so offensichtlich Mitgefühl hegen. Ich lächele ihn vorsichtig an.

»Ja. Das geht in der Tat. Und das sieht wirklich sehr gut aus heutzutage. Aber darüber müssen wir jetzt noch nicht sprechen. Frau Orly?«

Johanna hebt den Kopf. Ihr Gesicht ist rot und nassgeweint. Die Augen sind müde, der Blick ist auf eine Art erschreckend leer. Meine kleine, großherzige Freundin. Ihre Stimme ist leise und ein wenig rau. »Ja? Was muss ich tun?«

»Vor allem nicht verzweifeln, Frau Orly. Wir müssen jetzt einfach nur ausschließen, dass sich sonst noch etwas in Ihrem Körper befindet …«

Johanna schreckt auf: »Sonst noch etwas? Wie meinen Sie das?«

»Fernabsiedelungen. Metastasen.«

Wir halten beide die Luft an. Wir beide wissen es. Metastasen bedeuten: unheilbar. Keine Chance auf Gesundheit. Niemals. Und: in absehbarer Zeit nicht mehr lebendig.

Dr. Joachim fährt fort: »Reine Routine. Zu unserer, zu Ihrer Sicherheit. Wir machen das schon.«

Was machen wir schon?, denke ich. Warum sagt er nicht: Da wird nichts sein. Und den Rest erledigt der Operateur? Er sagt es nicht, weil er es nicht weiß. Weil der Herr K. ein unberechenbarer Mistkerl ist. Und weil vielleicht irgendwo in diesem erfahrenen Mediziner eine Alarmlampe angegangen ist. Wegen der veränderten, bösartigen Hautsachen auf der Brust. Ich denke das. Sage aber: »Nur noch einmal zum Verständnis. Johanna soll also ins PET-CT, um auszuschließen, dass das K-Ding gestreut hat. Richtig?«

»Richtig.«

»Und es sieht doch erst einmal danach aus, als wäre die Scheiße zwar Scheiße. Aber überschaubar?«

Dr. Joachim zögert, bevor er bestätigt: »Ja. Danach sieht es aus.«

Es soll Mut machend klingen. Mich hinterlässt dieser Satz eher nervös. Johanna hat sich, das entnehme ich ihrem Kopfnicken, auf das Positive fokussiert. Wie gut. Ich mache in Gedanken einen Plan. Die Wegstrecke in Etappen aufteilen. Und dann weitersehen. Nächste Station: PET-CT (Positronen-Emissions-Tomographie-Computer-Tomographie). Bis dahin: nicht verzweifeln. Einfach nicht verzweifeln.

Dr. Joachim händigt Jo die Kärtchen aus. Er erklärt und erzählt. Ich merke, dass sie nur noch sitzt und atmet. Daher versuche ich, mir so viel wie möglich einzuprägen.

Dr. Joachim entlässt uns mit einer warmen Umarmung und einem festen Händedruck. Wir schreiten den Gang der Ambulanz entlang und treten an die frische Luft. Johanna schweigt die ganze Zeit. Kurz bevor wir bei meinem Auto angelangt sind, bleibt sie stehen. Sie hebt langsam den Kopf und sieht mich an. Mit diesem schmerzvollen, trüben Blick aus Verzweiflung und Angst. Ihre Unterlippe zittert. Und plötzlich schreit sie. Sie sinkt in die Knie und schreit. Ohne Worte. Nur Laute. Und sie weint. Wie ich sie noch nie habe weinen sehen. Es zerreißt mich.

Ich laufe zu ihr und nehme diesen zitternden Körper in den Arm. Ich würde am liebsten mit ihr schreien. Aber das hilft ihr nicht. Also versuche ich es mit Festhalten.

Nach einer Weile, sie wimmert nur noch, bugsiere ich sie ins Auto. Auf der Fahrt gehen wir die organisatorischen Details durch. Übermorgen PET-CT. Ich werde dabei sein. Direkt danach Sprechstunde bei Dr. Joachim. Dann wird der weitere Schlachtplan besprochen. Einer, der vorsieht, dem Herrn K. zu zeigen, wo das Nirwana ist. Einer, der es nicht zulassen wird, dass Herr K. dasselbe bei Johanna versucht. Ich bin optimistisch. Jo nach einer Weile auch wieder.

»Du weißt, Miri, ich war bei allen Nachsorgeuntersuchungen. Nie war irgendetwas auffällig. Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir unsere magische Fünf-Jahres-Grenze gefeiert. Weißt du noch?«

»Na klar. Das war ein tolles Fest. Du hast wundervoll gesungen am Ende des Abends. Felix hätte dich vom Fleck weg geheiratet.«

Johanna lacht. Wir lachen. Doch in meinem Kopf ziehen kleine graue Wolken auf. Felix, der wunderbare Mann, mit dem sie eine Beziehung versucht hatte. Es hat leider nicht geklappt. Vor kurzem erst ist es auseinandergegangen, ohne großes Drama. Die Gründe dafür hat Jo mal hier, mal da gesucht. Ich denke, sosehr sie es wollte, Jo konnte noch nicht wieder lieben, weil die Wunden noch nicht verheilt waren. Auf ihrem Herz parkte noch die alte Karre. Felix war der berühmte erste Mann »danach«. Richtig und nicht richtig zugleich. Außerdem war er zwar die meiste Zeit super, hatte aber auch einige Züge, mit denen Jo nicht immer zurechtkam. Also war es okay, so wie es jetzt ist.

In den vergangenen zwei Jahren hatte Jo eine schwere Zeit mit vielen Herausforderungen. Die unerwartete, unvermittelte Trennung von ihrem Freund Markus, der Schmerz über den Verlust des über alles geliebten Partners. Das Unverständnis, warum er einfach gegangen war, weitgehend wortlos. Für sie: grundlos. Für uns Freunde: schwer zu verstehen. Sie einfach zurückzulassen. Mit einem kleinen Kind. Seiner Tochter.

Dann die Sache mit Felix und nun auch noch der K. Ich kann nachvollziehen, wie sie sich jetzt fühlt. Leider nur zu gut. Aber vielleicht soll das auch so sein. Dass ich nachfühle, verstehe. Vielleicht bin ich vom Universum, von Gott oder wem auch immer gerade jetzt an ihre Seite bestellt worden, weil ich verstehe. Ich weiß es nicht. Jedenfalls will ich alles so richtig wie möglich machen. So viel steht fest.

Als ich abends im Bett liege, erfasst mich Angst. Wie eine tosende Welle, die über mir zusammenschlägt. Angst, dass ihr bitteres Herzleid zu extremem Körperleid geführt haben könnte. Ich ahne an diesem Abend nicht, dass ich genau diesen Gedanken, den ich am liebsten ganz schnell wegschieben möchte, in nicht allzu ferner Zukunft würde umarmen müssen.

Zwei Tage später stehen wir frühmorgens vor jenem imposanten medizinischen Gerät, das Johanna nun einmal von Kopf bis Fuß durchleuchten wird. Die PET-CT-Untersuchung steht an. Johanna muss in die Röhre. Das Procedere ist aufwendig. In der Durchführung und was die Zeit betrifft. Nüchtern anreisen, durch einen riesigen Gebäudekomplex irren, bis man die richtige Abteilung gefunden hat, dort Kontrastmittel trinken, eine Stunde ausharren, gescannt werden – auch das dauert beinahe eine Stunde – und dann noch auf die Auswertung warten. Die dauert je nach Patientenaufkommen eine halbe Stunde oder länger. All das kennen wir schon aus unserer gemeinsamen K-Zeit. Leider. Kein Wunder, dass wir das Gefühl haben, in der nächsten Sekunde wird jemand um die Ecke kommen und uns mit dem Satz begrüßen: »Herzlich willkommen, der Psychoterror geht gleich los!«

Johanna entschwindet irgendwann, ich warte im Vorraum. Ich habe mir was zum Lesen mitgenommen, weil ich weiß, dass es sich um Stunden handeln kann, bevor wir Klarheit haben. Aber ich kann mich nicht wirklich auf die Lektüre konzentrieren. Stattdessen bete ich still vor mich hin und sende Wünsche ans Universum. Vielleicht sollte ich auch meditieren? Ich tue das, von dem ich glaube, dass es meiner Freundin helfen kann.

Als sie aus der Untersuchung kommt, noch etwas beduselt von der Entspannungspille, die sie ihr gottlob verabreicht haben, wirkt sie stabil.

»Miri, ich habe in dieser blöden, engen Röhre nicht ein einziges Mal die Augen aufgemacht, um nicht panisch zu werden. Das hat super geklappt.«

Ich schlage in ihre ausgestreckte Handfläche ein. »Und? Wie ist dein Gefühl?«, wage ich zu fragen.

»Super, Miri. Da ist nix. Wie auch. Meine MRT von vor sechs Monaten war einwandfrei. Was soll da jetzt sein?«

»Recht hast du.« Ich umarme sie. Sie ist sehr stark. Jedenfalls wirkt sie so. Es rührt mich zu Tränen. Aber ich beherrsche mich. Was soll ich weinen, wenn sie so zuversichtlich ist? Dennoch liegt mir etwas auf dem Herzen. Ich möchte wissen, ob und wie ich ihr helfen kann, nachher, bei der Besprechung. Wie ich mich verhalten soll.

»Haaach«, lacht sie, »jubeln sollst du! Mit mir. Weil alles gut ist, bis auf einen kleinen Teil in meinem Körper.«

Ich schmunzele. »O.k. Aber wenn irgendetwas merkwürdig ist, soll ich dann nachfragen? Oder willst du das machen? Sag mir, was dir hilft.«

Johanna wird ernst. »Wenn der uns dumme Dinge verkündet, dann kann ich nicht mehr denken. Das kann ich dir jetzt schon sagen.«

»O.k., aber das wird ja nicht passieren.« Ich küsse sie wieder auf ihre gut duftenden Haare. Und versuche mich in Ablenkung. Wir erzählen uns flache Witze und tuscheln über merkwürdig aussehende Menschen, die wortlos an uns vorbeihuschen. Lauter Dinge, die eine Leichtigkeit vorgaukeln, wo gefühlt noch nicht mal ein Nanometer Platz für Unbeschwertheit ist.

Dann – endlich – werden wir in den Besprechungsraum gebeten. Professor Luskowitz ist ein nicht allzu groß gewachsener Mann mit Genussbauch, über dem der Arztkittel leicht spannt. Sympathisch und gemütlich sieht er aus. Er fordert uns freundlich auf, Platz zu nehmen. Seine Miene verheißt nichts Gutes, als er Johanna fragt, wie lange ihre Ersterkrankung zurückliegt. »Das war 2008. Aber … das hat doch jetzt nichts zu bedeuten. Ich war ja geheilt …«

Professor Luskowitz zögert: »Ja, aber wir haben da etwas gefunden. Deswegen muss ich ein paar Details erfragen …« Ich drücke Johannas Hand fester, der Arzt redet weiter: »… denn wir wissen noch nicht genau, ob das mit der damaligen Erkrankung zu tun hat oder ob es sich um etwas Neues handelt.«

Johanna sackt in sich zusammen. Ihre Stimme klingt nur noch wie ein Hauch. »Etwas gefunden? Was? Wo?«

Luskowitz versucht, es sanft zu formulieren. Aber die Worte treffen wie ein Paukenschlag. »Sie haben Metastasen, Frau Orly. Im ganzen Körper.«

Johanna erstarrt. Mir ist eisig kalt, aber ich weiß, dass ich jetzt nicht versagen darf.

»Herr Professor, was heißt das?«, frage ich. Er blickt zur Seite. Ich merke Wut in mir aufsteigen und kann meine Stimme kaum kontrollieren. Es poltert nur so aus mir heraus: »Wissen Sie, hier wird heute nicht gestorben. Und morgen auch nicht. Egal, was Sie sagen!«

Professor Luskowitz versucht zu beschwichtigen: »Nein, natürlich nicht. Aber die Metastasen sind überall in den Knochen. In den Organen nicht. Das ist eine gute Nachricht. Eine sehr gute …«

Ich blicke zu Johanna. Der letzte Satz scheint sie aus ihrer Erstarrung geholt zu haben. »Das heißt, ich hab doch noch eine Chance auf Heilung? Trotz Knochenmetastasen? Ja? Ja?«

Der Professor drückt sich um eine klare Antwort. Ich hake noch einmal nach: »Professor Luskowitz, kann sie es nun schaffen, auch wenn das noch so unwahrscheinlich klingt oder eher selten ist bei einem solchen Verlauf, oder kann sie es nicht?«

»Dazu kann ich nichts sagen. Tut mir leid.«

Ich umfasse Johannas Schultern. »Komm, raus hier. Wir gehen. Wir haben einen Kampf zu kämpfen!«

Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und erwidert dann mit fester Stimme: »Nein, Miri.«

Ich zucke zusammen.

Sie sieht mich stolz an, atmet tief durch und sagt: »Nein, Miri. Wir haben einen Kampf zu gewinnen.«

Wenig später sitzen wir an dem kleinen, runden Besprechungstisch bei Dr. Joachim. Er ist sichtlich betroffen von der Nachricht. Offenbar hatte auch er auf ein besseres Ergebnis gehofft, eines ohne diesen gravierenden Befund.

Johanna macht einen stabilen Eindruck. Sie stützt den Kopf in ihre Hände und, nachdem Dr. Joachim den Bericht seines Kollegen nach einiger Zeit beiseitegelegt hat, sieht sie den Arzt fordernd an.

»Dann mal raus mit dem Terrortherapieplan. Was machen wir? Und wann wird operiert?«

»Eine OP macht in Ihrem Zustand, ehrlich gesagt, wenig Sinn.«

Ich merke, wie sehr sie diese Antwort enttäuscht. Der Gedanke, nach einer Operation den K-Mist los zu sein, wenigstens den in der Brust, schien verlockend.

Johanna runzelt die Stirn: »Was heißt das? In meinem Zustand …«

»Die Metastasen können nicht entfernt werden. Also geht es jetzt darum, die Tumorlast in Ihrem Körper zu reduzieren.«

Tumorlast. Was für ein Wort. Und »reduzieren« gefällt mir auch nicht. Immerhin sind wir hier angetreten, alles Böse in Johanna zu entfernen. Nicht nur kleiner zu machen. Das sieht Johanna offenkundig genauso.

»Das heißt, ich bekomme wieder eine Chemotherapie?«

Dr. Joachim nickt.

»Mit Haarverlust und allem Zipp und Zapp?«

Wieder ein Nicken.

»Aber ich habe eine Chance, dass wir dann alles wegbekommen?«

»Das wäre wünschenswert, ja. Aber man muss davon ausgehen, dass solche zytostatischen Therapien meist nur etwa 60 bis 70 Prozent der Zellen erwischen.«

Wieder sehe ich Enttäuschung in Johannas Augen. Sie war, wie ich, davon ausgegangen, dass das chemische Teufelszeug den Teufel K. komplett killt.

»Und was ist mit dem Rest?«, fragt sie sofort.

»Den halten wir in Schach.« Wieder eine Pause. Wieder glühen die Wangen. Dr. Joachim versucht sich in Aufmunterung: »Sehen Sie es als chronische Krankheit an, Frau Orly. Wir versuchen alles, um Ihnen ein Leben mit dem Krebs zu ermöglichen.«

Ein Leben mit der Krankheit?

»Nein. Nein, nein, nein. Ich will leben. Ja. Aber ohne den Krebs. Und ohne alle drei Wochen in irgendeine Brustambulanz rennen zu müssen, um mir Infusionen geben zu lassen, die den Krebs zwar unter Kontrolle halten, aber meinen Organismus schädigen und belasten. Was ist das denn für ein Leben, bitte?«

Beim letzten Satz ist sie richtig laut geworden. Und wieder kullern Tränen. Sie schluchzt.

»Ich will mein Kind groß werden sehen. Ich kann es doch nicht im Stich lassen. Das geht nicht. Hören Sie, Dr. Joachim, das geht nicht!«

Johannas Körper vibriert richtig, so heftig schluchzt sie. Ich habe Mühe, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Und doch will kein sinnvolles Wort aus mir herauskommen. Ich versage als Freundin gerade auf ganzer Linie und kann nichts dagegen tun. Die Gedanken überschlagen sich.

Was muss das für ein Gefühl sein, von jetzt auf gleich gesagt zu bekommen: Sie sind unheilbar krank. Sie werden nie wieder gesund. Freunden Sie sich damit an, dass der Krebs gekommen ist, nie mehr ganz gehen und Sie eines gar nicht allzu fernen Tages besiegen wird. Ohne zu wissen, wann eines Tages ist. Nur hoffen zu können, dass eines Tages viele Jahre entfernt liegt. Grauenvolle Ohnmacht. Das eigene Leben entgleitet. Hinter jedem Plan, jedem Traum, jeder Vision steht ein großes Fragezeichen. Alles, was jetzt folgt, ist Fremdbestimmung. Und in der Kommandozentrale sitzt Herr K.

Dr. Joachim skizziert das Procedere der kommenden Wochen und Monate. Johanna wird sich einer Chemotherapie unterziehen müssen. Infusionen alle drei Wochen. Mit dem Ziel, die Tumormarkerwerte ordentlich zu senken.

»Sie auf null zu bringen«, ruft Johanna trotzig dazwischen. Dr. Joachim schweigt.

»Und wie lange soll das Ganze gehen? Wann bin ich fertig mit der Therapie?«

»Wir machen erst einmal sechs Zyklen, also sechs Infusionssitzungen – und dann sehen wir weiter.«

»Und dann sehen wir weiter. Und dann sehen wir weiter.«

Als wir bei mir zu Hause am Küchentisch sitzen, wiederholt Johanna die Worte des Arztes mehrmals. Sie schwankt dabei zwischen Frust, Trotz und Empörung.

»Was fühlst du?«, frage ich sie.

»Ach, das ist das Schlimmste … nicht zu wissen, wann es zu Ende ist. Das ist anders als damals. Da hatten wir einen Weg und ein Ziel in Sichtweite. Sechs bis neun Monate Tapferkeit und dann die Aussicht auf vollständige Gesundheit. Und jetzt? Das ist wie ein Marathon, der nicht nach 42 Kilometern zu Ende ist. Sondern der 100 Kilometer dauern kann. Oder 2000. Oder der dreimal um die ganze Welt geht. Wer weiß das schon. Wie soll ich das bloß schaffen?«

Ich muss an meinen eigenen Marathon denken. Den echten. Und den Tipp, den mir eine erfahrene Läuferin seinerzeit gegeben hat: »Nicht an die ganze Strecke denken. Immer nur an die nächsten zwei oder fünf Kilometer. Und vor allem: an jeder Versorgungsstation essen und trinken.«

Ich nehme Johannas Hände. »Du schaffst das, Jo. Guck auf das nächste kleine Ziel. Die erste Infusion zum Beispiel. Das erste Mal zum Gegenschlag ausholen. So in der Art. Und du brauchst Mitstreiter. Weggefährten, die dir Wasser und Energieriegel reichen. Verkriech dich nicht. Sag allen Bescheid.«

Und dann beginnt die unglaubliche Geschichte. Noch schneller als beim ersten Mal gelingt es Johanna, innerhalb von wenigen Tagen die mit so viel Angst verbundene Situation anzunehmen. Und ihr gelingt es sogar auch, einen Sinn darin zu finden. Sie sagt mir: »Dann werde ich jetzt all das ausprobieren und einüben, worüber wir so viel gesprochen haben, wozu du seit mehr als einem Jahr recherchiert, Interviews geführt und Daten gesammelt hast. Und ich erzähle dir dann, was das alles mit mir und meinem Körper macht. Für dein Buch. Das ist wohl die Ironie des Schicksals. So hat das Ganze wenigstens etwas Gutes.«

Und so wurde aus meinem ursprünglich geplanten Buch ein ganz anderes. Eigentlich wollte ich darüber schreiben, wie groß die Heilkraft von Hoffnung und Optimismus ist, das heißt, ich wollte der Frage nachgehen, ob Hoffnung tatsächlich Krebs besiegen kann. Wovon ich überzeugt bin. Ich hatte vor, diese gefühlte (und daher noch wackelige) Wahrheit mit akademisch erforschten Daten zu unterfüttern. Ich wollte Sie mit Studien konfrontieren, die ich gesammelt hatte, und mit Auszügen aus Büchern, die ich dazu gelesen hatte, und ich wollte Ihnen Mut zusprechen. Keinen diffusen, subjektiven Mut, sondern Zuversicht, die ihre Berechtigung hat, weil sie schon millionenfach bewiesen wurde.

Nun ist dieses Buch ein weiterer Erfahrungsbericht geworden. Es ist die Heilungsgeschichte von Johanna, die alles Menschenmögliche in die Wege geleitet hat, um gesund zu werden – obwohl das auf dem Papier und nach aktuellem Stand der Medizin eigentlich gar nicht möglich war.

Hoffnung ist ein kostbares und nicht zu unterschätzendes Medikament. Das sagen Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Ich will Sie nicht auffordern, der Schulmedizin den Rücken zu kehren. Aber der Faktor Hoffnung ist einer, der die Chance auf (ein wieder gesundes) Leben um ein Vielfaches erhöht.

Worte, die gesund machen – Wege aus der Krise I:

Sich einen Kompagnon suchen

Wenn Sie sich in einer herausfordernden gesundheitlichen Situation befinden, suchen Sie sich geeignete Verstärkung für diese schwierige Zeit und ihre heiklen Momente. Nicht nur, um der Angst in einsamen Stunden zu Hause Paroli zu bieten. Vor allem auch, wenn es um Arztbesuche geht. Gerade für den Fall, dass Sie schwer verdauliche oder komplizierte Nachrichten erwarten. Und kompliziert ist eigentlich alles, was mit Medizin zu tun hat. Finden Sie einen Begleiter, der stark sein kann, wenn Sie es nicht können. Der für Sie nachhaken kann, wenn etwas nicht verständlich ist. Außerdem hören vier Ohren immer mehr als zwei.

Manchmal ist ein Freund oder eine Freundin für eine solche Aufgabe besser geeignet als der Lebensgefährte/die Lebensgefährtin. Einem Menschen, der Ihnen sehr nahesteht, wie der Partner/die Partnerin, geht natürlich auch Ihr Leid unter die Haut. Eine Person aus Ihrem engeren Zirkel kann in Situationen, wo das nötig ist, mit etwas Abstand eher den Überblick bewahren und vielleicht deutlicher sehen, was Sie brauchen und was nicht.

Fragen stellen

Bereiten Sie vor dem Arztbesuch einen Fragenkatalog vor. Mit Fragen zu allen möglichen Szenarien – zu den günstigsten, aber auch besonders zu den ungünstigen. Entweder beziehen Sie Ihren Kompagnon in diesen Prozess schon mit ein, oder Sie machen ihn rechtzeitig vor dem Termin mit den Fragen vertraut.

Wenn Sie emotional und/oder psychisch nicht in der Lage sein sollten, Ihre Fragen und Sorgen loszuwerden, kann (und sollte) Ihre Begleitung diesen Part für Sie übernehmen. Es empfiehlt sich, die Antworten stichpunktartig mitzuschreiben – auch das ist eine Aufgabe, die Ihr Begleiter übernehmen kann. Diese Notizen können hilfreich sein, wenn Sie bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung einholen wollen.

Deutungsspielraum begrenzen

Genauso wichtig wie die Antworten auf direkt gestellte Fragen sind klare Aussagen – und nicht etwa indirekte Botschaften. Versuchen Sie, nicht zu viel in Gesichtsausdrücke oder Gesten von Medizinern hineinzudeuten. Wenn Sie sich doch dabei ertappen sollten, vergewissern Sie sich, ob Sie mit Ihrem Eindruck richtigliegen. Wer Ungewissheit mit nach Hause nimmt, quält sich letztlich nur mit Ängsten, die nicht sein müssen. Denn Unsicherheit und Verzweiflung machen Angst. Immer. Falls Ihnen etwas merkwürdig vorkommt, Sie den Eindruck haben, man verschweige Ihnen etwas, sprechen Sie es an. Schildern Sie Ihre Beobachtung, Ihre dadurch hervorgerufenen Gefühle und Sorgen und bitten Sie den Arzt, dazu Stellung zu nehmen. Selbst eine eher unangenehme Information ist besser als gar keine. Und vor allem nimmt sie Ihnen das diffuse Gefühl, dass da »noch mehr ist, von dem ich nichts weiß«.

Beispiele einfordern

Sobald Sie sich einen Überblick über Ihre Situation verschafft haben, fragen Sie nach positiven Beispielen. Und zwar ausschließlich positiven Beispielen. Ich gehe sogar so weit zu empfehlen, dass Sie einem eher »pessimistisch« eingestellten Arzt ausdrücklich auferlegen, Sie mit Schwarzmalerei zu verschonen. Stattdessen sollten Sie ihn zu Patienten befragen, deren Krankheitsverlauf sich – womöglich entgegen aller Erwartungen und Statistiken – sehr gut oder wenigstens aussichtsreich entwickelt hat. Nötigen Sie Ihren Arzt auf liebevolle Art und Weise, zu Ihrem Verbündeten in Sachen Optimismus zu werden. Denn die medizinische Fachkraft kann ein qualifizierter Hoffnungsträger sein – oder zumindest einer werden.

Etappen betrachten

Das seelische Erdbeben, das durch die Diagnose einer möglicherweise heftig verlaufenden Krankheit ausgelöst wird, legt sich wie ein Schatten über die Zukunft. Jeder Traum, jeder Plan, jede Vorstellung von dem, wie Sie sich Ihr weiteres Leben bislang ausgemalt haben, scheint wie in schwarze Farbe getaucht. Das Leben, wie es nun vor Ihnen liegt, macht in seiner Düsternis und Schwere unfassbar viel Angst. Das ist nicht hilfreich.

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