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Seit sie Witwe ist, wacht Magdalena Ellerwang mit Argusaugen über ihre sechsjährige Tochter Lisa. Nachdem sie ihren geliebten Mann vor über vier Jahren durch eine grausame Gewalttat verloren hat, will sie nicht auch noch das Einzige verlieren, das ihr geblieben ist. Fast wäre es schon einmal dazu gekommen, als Lisa vor Jahren in eine Waschmaschine geklettert ist und dort fast erstickt wäre. Die Erinnerung an dieses furchtbare Erlebnis ist Magdalena eine ständige Warnung, ihr geliebtes Kind vor allen denkbaren Gefahren zu beschützen. Durch diese Übervorsicht hat sich das Zuhause der Familie nach und nach in eine Art Festung verwandelt. Die Villa ist von einem hohen Zaun umgeben und durch mehrere Schlösser gesichert. Eine Haushälterin passt auf die Kleine auf, wenn Magdalena außer Haus ist, und sorgt dafür, dass das Mädchen keine Minute allein bleibt.
Doch Lisa sehnt sich nach Spielkameraden, nach Freiheit, Abenteuern und Unbeschwertheit. Und so kommt es, wie es kommen muss: Als die Haushälterin einen Moment lang unachtsam ist, entwischt ihr das Kind. Und was dann folgt, ist schlimmer als alles, was sich Magdalena in ihrer Angst jemals ausgemalt hat ...
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Sie wollte nur spielen …
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Slava Dumchev / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9200-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Sie wollte nur spielen …
Als die kleine Lisa unbeobachtet ist, passiert ein großes Unglück
Seit sie Witwe ist, wacht Magdalena Ellerwang mit Argusaugen über ihre sechsjährige Tochter Lisa. Nachdem sie ihren geliebten Mann vor über vier Jahren durch eine grausame Gewalttat verloren hat, will sie nicht auch noch das Einzige verlieren, das ihr geblieben ist. Fast wäre es schon einmal dazu gekommen, als Lisa vor Jahren in eine Waschmaschine geklettert ist und dort fast erstickt wäre. Die Erinnerung an dieses furchtbare Erlebnis ist Magdalena eine ständige Warnung, ihr geliebtes Kind vor allen denkbaren Gefahren zu beschützen.
Durch diese Übervorsicht hat sich das Zuhause der Familie nach und nach in eine Art Festung verwandelt. Die Villa ist von einem hohen Zaun umgeben und durch mehrere Schlösser gesichert. Eine Haushälterin passt auf die Kleine auf, wenn Magdalena außer Haus ist, und sorgt dafür, dass das Mädchen keine Minute allein bleibt.
Doch Lisa sehnt sich nach Spielkameraden, nach Freiheit, Abenteuern und Unbeschwertheit. Und so kommt es, wie es kommen muss: Als die Haushälterin einen Moment lang unachtsam ist, entwischt ihr das Kind. Und was dann folgt, ist schlimmer als alles, was sich Magdalena in ihrer Angst jemals ausgemalt hat …
„Lisa, oh mein Gott, Lisa – nein!“
Von ihrem eigenen Schrei schreckte Magdalena Ellerwang aus dem Schlaf. Ihr Körper war schweißbedeckt, ihr Atem ging in schnellen, heftigen Stößen, und ihr Herz raste wie von Teufeln gehetzt. Wieder einmal hatte sie von einem der beiden schlimmsten Geschehnisse ihres Lebens geträumt.
Bei dem ersten Geschehnis – dem grausamen Tod ihres geliebten Mannes Matthias – war sie nicht dabei gewesen, sondern kannte die Details nur aus Angaben der Polizei, aus Zeugenaussagen und Zeitungsberichten. Deshalb blieben ihre Albträume von diesem Tag, der ihr Leben zerstört hatte, vage und verschleiert, und nur das Grauen war scharf und klar.
Das zweite Geschehnis, das ihr gerade in einem Albtraum erneut widerfahren war, hatte sie hingegen leibhaftig miterlebt und sah es noch immer in sämtlichen Einzelheiten vor sich, als wäre es gestern gewesen: Der Unfall ihrer kleinen Tochter Lisa.
Sie hatte nur spielen wollen, wie Kinder eben spielen wollten, doch durch Magdalenas Schuld, durch ihren sträflichen Leichtsinn, hatte sich das Spiel in ein Unglück verwandelt, das sie nie vergessen würde.
Geschehen war es wenige Wochen nachdem Matthias so unbarmherzig von ihrer Seite gerissen worden war. Magdalena befand sich noch immer in einem Taumel aus Trauer, Fassungslosigkeit und bodenloser Angst. Ohne jede Vorwarnung hatte man ihr den Mann ihres Lebens genommen – würde man ihr als Nächstes auch noch ihre kleine Lisa nehmen?
Lisa war anderthalb Jahre alt gewesen, viel zu klein, um die Tragödie zu erfassen, die ihre Familie befallen hatte. Für sie ging das Leben weiter – mit all den fröhlichen Spielen und Abenteuern eines Kinderlebens.
Magdalena hingegen traute niemandem mehr und ertrug außer ihrer Tochter keinen Menschen um sich. Sogar das Hauspersonal, das Matthias bei ihrem Einzug eingestellt hatte, hatte sie mit großzügigen Abfindungen entlassen, um mit Lisa allein zu sein.
Dass sie – gefangen in ihrer Trauer – den vielfältigen Aufgaben im Haushalt und bei Lisas Betreuung gar nicht gewachsen war, hatte sie ignoriert. Obendrein war sie entschlossen gewesen, zu Matthias‘ Andenken ein Hilfswerk zu gründen.
Sie selbst und Lisa waren wenigstens finanziell abgesichert, denn als Inhaber einer erfolgreichen Restaurantkette war Matthias ein vermögender Mann gewesen. Andere Hinterbliebene von Verbrechensopfern standen nach einem so furchtbaren Schlag jedoch ohne Auskommen da, und Witwen waren gezwungen, sich sofort nach Arbeit umzusehen, statt ihren Kindern in der Not beistehen zu können.
Für sie sollte das Matthias-Ellerwang-Hilfswerk da sein: für die Hinterbliebenen von Menschen, die Opfer eines Verbrechens geworden waren. Auf diese Weise würde Matthias‘ Name nie vergessen werden. Das wenigstens konnte Magdalena noch für ihn tun. Und auch wenn sie von Betriebswirtschaft nichts verstand, wollte sie dafür sorgen, dass sein Unternehmen in seinem Sinne weitergeführt wurde, damit seine Tochter es eines Tages übernehmen konnte.
Bekannte, die Magdalena rieten, sich doch mit alledem Zeit zu lassen, ignorierte sie und schloss sie aus ihrem Dasein aus. Es waren diese Aufgaben und die Fürsorge für Lisa, die sie am Leben hielt. Hätte sie nichts zu tun gehabt, hätte sie sich aufgegeben.
Zwar kam sie kaum noch zum Essen oder Schlafen und lief aufgrund der Müdigkeit in einer Art Trance umher, aber das war ihr nur recht. Richtig schlafen konnte sie ohnehin nicht, und der ständige Dämmerzustand dämpfte die Wirkung der quälenden Gedanken. Meistens erledigte sie drei oder vier Sachen gleichzeitig.
An jenem Morgen hatte sie die Betten abgezogen und die dreckige Bettwäsche hinunter in die Waschküche getragen. Früher hatte solche Arbeiten die Haushälterin erledigt, doch Magdalena war entschlossen gewesen, alles selbst zu schaffen, um auf niemanden angewiesen zu sein.
Auf ihren kräftigen Beinchen war Lisa ihr die Treppe hinunter gefolgt. Sie liebte die Waschmaschine, verfolgte die Umdrehungen der Trommel mit faszinierten Blicken und weinte oft, wenn Magdalena sie von dem spannenden Spielzeug wegzog und wieder mit nach oben nahm.
So auch an jenem Tag.
„Jetzt komm schon, Äffchen“, sagte Magdalena. „Mami stellt dir im Spielzimmer deinen Bauernhof auf. Mit dem hast du doch immer so viel Spaß.“
Der Bauernhof war Matthias‘ letztes Mitbringsel für seine Tochter gewesen. Es war ein elektronisches Spielgerät, auf dem verschiedene lustige Tiere befestigt waren, die auf Knopfdruck Geräusche von sich gaben: Die Kuh muhte, das Schaf mähte, das Huhn gackerte, und das Pferd wieherte. Lisa freute sich immer, wenn sie eins der Geräusche erzeugt hatte, und war ganz aufgeregt vor Stolz, wenn sie das Tier dazu richtig erkannt hatte.
„Kuh, Kuh!“, rief sie begeistert, wenn das Muhen ertönte, oder „Gack-Gack!“, wenn das Huhn seine Laute von sich gab. Mit dem Wort Huhn war sie noch überfordert, weshalb sie alles Geflügel als Gack-Gack bezeichnete.
Magdalena spielte eine Weile mit ihr. Es war so wichtig, Lisa ihre heile kleine Welt zu erhalten, so viel Kraft es ihre Mutter auch kostete. Dass ihr Papa jetzt im Himmel war, hatte sie mit der Selbstverständlichkeit kleiner Kinder akzeptiert. Abends vor dem Einschlafen beteten sie für Papa, stellten sich zusammen ans Fenster und winkten einem Stern zu, von dem Papa auf sie herunterlächelte.
Für Lisa bestand daran nicht der geringste Zweifel. Sie war immer fröhlich dabei und erzählte dem Papa in ihrem süßen Kleinkinder-Kauderwelsch Geschichten. Magdalena wünschte, sie hätte ebenfalls mit so viel kindlicher Kraft daran glauben können, dass Matthias noch irgendwo war und über sie wachte.
Stattdessen hatte sie das Gefühl, in einer feindlichen, bösen Welt mit ihrem Kind allein zu sein – von niemandem bewacht und von Gefahr umgeben. Das Muhen und Mähen der Tierfiguren, begleitet von Lisas fröhlichem Lachen, hatte ihr gutgetan und ihre überreizten Nerven ein wenig beruhigt.
Dann hatte das Telefon geklingelt.
„Spiel einen Augenblick allein weiter, Schatz“, hatte sie zu Lisa gesagt. „Mami ist gleich wieder da.“
Am liebsten hätte sie den Apparat einfach klingeln lassen, aber es riefen noch immer Leute von der Presse an, die mit ihr über Matthias‘ Tod sprechen wollten. Zwar hasste sie solche Gespräche, aber für ihr Hilfswerk war die Publicity wichtig.
Sie lief aus dem Zimmer, um in Matthias‘ Büro den Anruf entgegenzunehmen. Es war niemand von der Presse, sondern nur Ulrich, Matthias‘ Cousin und letzter lebender Verwandter, der ihr mit rührender Unermüdlichkeit bei den Formalitäten rund um das Unternehmen half.
Er hatte sich erkundigen wollen, wie es ihr ging, und sie hatte ihn abgewimmelt, um schnell wieder bei Lisa zu sein. Es tat ihr leid. Ulrich war so nett zu ihr und hatte diese schroffe Abfuhr nicht verdient. Magdalena aber wollte keinen gutgemeinten Trost von mitfühlenden Verwandten. Sie wollte nichts, als mit ihrem Kind und ihrer Traurigkeit allein zu sein.
Als sie schließlich aufgelegt hatte und ins Spielzimmer zurückgekehrt war, war Lisa verschwunden gewesen. Der Schrecken war Magdalena in die Knochen gefahren, wo er für immer sitzen würde.
Gerade hatte sie ihn in ihrem Albtraum noch einmal durchlebt: In Sekundenbruchteilen waren ihr die entsetzlichsten Gedanken durch den Kopf geschossen: Lisa war fort. Ihre furchtbarsten Ahnungen hatten sich bewahrheitet. Ein Verbrecher war in ihr Zuhause eingedrungen, wie er Wochen zuvor in ihr Leben eingedrungen war, und hatte ihr nach ihrem Mann nun auch noch ihr Kind geraubt.
Warum sie hinunter in den Keller, in die Waschküche gelaufen war, wusste sie nicht. Ein mütterlicher Instinkt musste sie getrieben haben, und dieser hatte Lisa vor dem Schlimmsten bewahrt. Sie hatte die Tür zur Waschküche aufgerissen und mit einem Blick erfasst, was geschehen war.
Lisa hatte spielen wollen, wie sie, ihre Mutter, es ihr gesagt hatte. Und ihr Lieblingsspielzeug war nun einmal die Waschmaschine. Also war sie hinuntergelaufen, um dem lustigen Karussell zuzuschauen, doch die Maschine hatte den Waschgang inzwischen beendet. Mit erstaunlicher Intelligenz hatte Lisa es geschafft, die Tür zu öffnen, und mit nicht weniger erstaunlicher Kraft hatte sie einen Teil der frisch gewaschenen Wäsche herausgezerrt. Dann war sie selbst in die Maschine gestiegen und hatte es irgendwie geschafft, den Deckel hinter sich zuzuziehen.
„Lisa, oh mein Gott, Lisa – nein!“ Ihren eigenen Schrei würde Magdalena gewiss bis an ihr Lebensende hören. Sie war zur Maschine gestürzt, hatte den Deckel aufgerissen und ihre Tochter, die schlaff und leblos in der Trommel lag, an sich gerissen.
„Du darfst nicht tot sein, Lisa“, hatte sie die Kleine unter Tränen beschworen. „Du darfst mich nicht auch noch verlassen, ich habe doch nur noch dich!“
Wie durch ein Wunder war in diesem Moment ein Ruck durch Lisas kleinen Körper gegangen, und sie hatte begonnen, nach Luft zu schnappen. Von Erleichterung übermannt, war Magdalena mit ihr in den Armen auf dem Boden sitzen geblieben, bis sie in der Lage gewesen war, sich einigermaßen zu fassen. Dann hatte sie sich gezwungen, aufzustehen, Lisa warm einzupacken und mit ihr in die Praxis von Dr. Frank, ihrem Hausarzt, zu fahren.
Dr. Frank war vielleicht der letzte Mensch, dem sie vertraute. Er war mehr als ein Arzt – er war eine Art Freund und Lisas Taufpate. Nicht allein ihre Entbindung hatte er damals betreut, sondern auch die endlose Kinderwunschbehandlung, die ihrer Schwangerschaft vorausgegangen war.
Jahrelang hatten Magdalena und Matthias sich vergeblich ein Kind gewünscht. Matthias‘ Spermiogramm war jedoch alles andere als ideal gewesen, und mit jedem Zyklus, der verstrich, war die Erfüllung ihres größten Traumes in weitere Ferne gerückt.
Matthias hatte schon aufgeben wollen. Dr. Frank aber hatte ihnen immer wieder Mut gemacht, und am Ende war dieser Mut belohnt worden. An dem Tag, an dem Magdalena feststellte, dass sie ein Kind unter dem Herzen trug, waren sie und Matthias die glücklichsten Menschen der Welt gewesen. Somit war es kein Wunder, dass sie Dr. Frank, dem sie ihr Wunder zu verdanken hatten, zum Patenonkel ernannt hatten und dass sich Magdalena in ihrer Furcht um ihr Kind an ihn gewandt hatte.
Sie war darauf vorbereitet gewesen, dass der Arzt ihr Vorwürfe machen würde. Sie machte sie sich ja selbst und wusste nur zu gut, dass Lisa durch ihre eigene Schuld fast gestorben wäre. Dennoch wollte sie, dass ihre Tochter gründlich untersucht wurde. Nur ein guter Arzt konnte mit letzter Sicherheit feststellen, dass dem kleinen Mädchen von dem Unfall kein Schaden zurückgeblieben war.
Dr. Frank aber hatte Magdalena keine Vorwürfe gemacht.
„Sie sind auch nur ein Mensch“, hatte er gesagt. „Sie haben nur einen Kopf, nur zwei Arme und Beine und nur ein Herz, welchem zudem gerade das Schlimmste angetan worden ist, das einem Menschenherz nur angetan werden kann. Niemand kann sein Kind in jeder Minute des Tages unter Aufsicht halten, und solche Unfälle, so schrecklich sie sind, kommen überall vor. Danken wir Lisas Schutzengel, dass ihr nichts Schlimmeres passiert ist als eine Abschürfung am kleinen Finger. Sie muss sich wohl in der Tür geklemmt haben.“
Von der Abschürfung blieb eine winzige Narbe, die Lisa zeitlebens an den Unfall erinnern würde. Magdalena aber brauchte keine Erinnerung. Ihre Albträume, die regelmäßig wiederkehrten, sorgten dafür, dass sie nicht die kleinste Einzelheit davon vergaß.
Nach diesem Ereignis hatte sie Dr. Franks Rat angenommen und sich bereit erklärt, zumindest eine Haushaltshilfe einzustellen. Sie wollte niemanden aus der glücklichen Zeit mit Matthias um sich haben, und sie hätte es nicht fertiggebracht, einem Fremden zu trauen. Stefan Frank wusste jedoch auch hier Rat.
„Schwester Martha, meine Sprechstundenhilfe, die Sie ja auch kennen, hat eine gute Bekannte, die eine Stellung sucht. Frau Grapentin ist reizend. Sie ist seit Jahrzehnten Patientin bei mir und eine Seele von Mensch. Bei der letzten Familie war sie zwanzig Jahre lang beschäftigt und hat als guter Geist des Hauses Kinder und Haushalt versorgt. Nun sind die Kinder erwachsen, und das Ehepaar zieht in eine kleinere Wohnung. Frau Grapentin wäre überglücklich, wieder in ein Haus zu kommen, in dem sie sich um ein Kind kümmern könnte, und ich glaube, sie wäre die Richtige für Sie.“
Damit hatte er ins Schwarze getroffen. Amalie Grapentin war die perfekte Haushälterin. Sie kam morgens um neun, kümmerte sich um alles, was Magdalena nicht selbst erledigen konnte, und hielt sich an Magdalenas Anweisungen: Garten- und Haustür hatten stets fest verriegelt zu sein, Fremde durften nicht ins Haus, und Lisa durfte ohne Aufsicht nirgendwohin.
Inzwischen war die kleine Lisa knapp sechs Jahre alt und protestierte manchmal dagegen, weil sie wie die meisten Kinder Abenteuerlust in sich verspürte und nicht begreifen konnte, dass sie eben nicht war wie die meisten Kinder. Aber wenigstens liebte sie Frau Grapentin, sodass sie sich ihr nicht widersetzte.
Magdalena versuchte auch weiterhin, den größten Teil des Tages zu Hause bei ihrer Tochter zu verbringen, doch wenn sie beim Hilfswerk oder dem Unternehmen gebraucht wurde, wusste sie, sie konnte in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen, weil Frau Grapentin über Lisa wachte.
Magdalena griff nach dem Wasserglas auf ihrem Nachttisch und begann, in langsamen Zügen zu trinken. Ein wenig löste sich ihre Anspannung. Sie hatte nur geträumt. Mit Lisa war alles in Ordnung. Der Schweiß auf ihrer Haut trocknete, und im Dunkel des Schlafzimmers verlangsamt sich ihr Atem.
Sie wusste jedoch, sie würde erst völlig beruhigt sein, wenn sie hinüber in Lisas Zimmer ging und sich davon überzeugte, dass mit ihrer kleinen Tochter wirklich alles in Ordnung war.
Sie zog sich ihren Bademantel über, weil sie auf einmal fröstelte. Napoleon, der Dackel, den Lisa sich sehnlichst zum Geburtstag gewünscht hatte, wollte sich aus seinem Körbchen erheben, doch als Magdalena „Nein. Du bleibst hier“ flüsterte, rollte er sich bereitwillig wieder zusammen und schlief weiter.
Auf Zehenspitzen schlich Magdalena sich aus ihrem Schlafzimmer, ging durch den Korridor und hinüber in Lisas liebevoll gestaltetes Kinderzimmer, das sie und Matthias damals mit so viel Freude für das Mädchen eingerichtet hatten.
Die Wiege und das Gitterbett waren inzwischen natürlich längst von einem „Bett für große Mädchen“ abgelöst worden, wie Lisa stolz erklärte. Schließlich würde sie im nächsten Herbst ein Schulkind sein, worauf sie sich unbändig freute.
Magdalena hingegen durfte noch gar nicht daran denken. Der kleine private Kindergarten, den Lisa besuchte, bereitete ihr Sorge genug, auch wenn sie selbst oder Frau Grapentin Lisa jeden Tag bis zur Tür brachten und auch wieder abholten und sie dort sicher war wie in Abrahams Schoß. Eine Schule aber war viel größer, fremder, und ihr kleines Mädchen war dort noch viel mehr Gefahren ausgesetzt.
Magdalena beugte sich über ihre Tochter, atmete den süßen Duft ihres hellblonden Haares ein und lauschte ihren ruhigen Atemzügen. Ja, Lisa war in Sicherheit. So sehr in Sicherheit, wie man in einer Welt, die voller Übel steckte, nur sein konnte. Liebevoll zog Magdalena die Bettdecke, die mit Motiven aus dem Film