Dr. Stefan Frank 2746 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2746 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Tanja Groß erreicht das Außengehege des Tigers. Die Tierpflegerin ist an diesem Morgen abgelenkt. Sie wartet dringend auf einen Rückruf und zieht immer wieder das Handy aus der Hosentasche. Da sie Tiger Tamis nicht sehen kann, geht sie davon aus, dass er sich bereits im inneren Käfig befindet. Angstfrei betritt Tanja die Anlage, sammelt alles ein, was sie zur Reinigung benötigt und geht nach draußen. Sie schüttet Wasser über den Boden und fängt an zu schrubben. Da bemerkt sie, dass sich etwas von hinten nähert. Erschrocken fährt sie herum.

"Tamis", stößt sie überrascht aus. Obwohl ihr Herz wild schlägt, muss sie lächeln. "Hey, mein Großer. Hast du mich vermisst?" Der Sumatra-Tiger nähert sich lauernd ...


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Inhalt

Cover

Gefährliche Nähe

Vorschau

Impressum

Gefährliche Nähe

Sie zog den Tiger per Hand auf, Jahre später greift er sie an

Tanja Groß erreicht das Außengehege des Tigers. Die Tierpflegerin ist an diesem Morgen abgelenkt. Sie wartet dringend auf einen Rückruf und zieht immer wieder das Handy aus der Hosentasche. Da sie Tiger Tamis nicht sehen kann, geht sie davon aus, dass er sich bereits im inneren Käfig befindet. Angstfrei betritt Tanja die Anlage, sammelt alles ein, was sie zur Reinigung benötigt und geht nach draußen. Sie schüttet Wasser über den Boden und fängt an zu schrubben. Da bemerkt sie, dass sich etwas von hinten nähert. Erschrocken fährt sie herum.

»Tamis«, stößt sie überrascht aus. Obwohl ihr Herz wild schlägt, muss sie lächeln. »Hey, mein Großer. Hast du mich vermisst?« Der Sumatra-Tiger nähert sich lauernd ...

Der Schrei eines Tierkindes gellte durch den Raum mit den nackten Wänden. Tanja musste sich beeilen. Der kleine Tamis wurde ungeduldig. Sie goss den Fencheltee in die Flasche. Danach schüttete sie Katzenmilch dazu. Mit geübten Handgriffen verschloss sie die Flasche und schüttelte einmal kräftig, damit sich beides miteinander vermischte.

Wie eine Mutter tröpfelte sich Tanja etwas von dem Gemisch aufs Handgelenk, um die Temperatur zu überprüfen. Sie war angenehm warm. Also konnte sie mit ihrer Raubtierfütterung beginnen.

Das kleine flauschige Tier schaute sie aus blauen Kulleraugen an, die noch leicht nach außen schielten. Zwischen den Äuglein zeichnete sich das typische Muster des Sumatra-Tigers auf Tamis Nase.

»Komm, mein Kleiner«, rief Tanja in glockenheller Stimme. »Essen ist fertig.«

Tamis war ein Tigerbaby, das von seiner Mutter verstoßen worden war. Leider kam es oft vor, dass Tiere, die in Gefangenschaft lebten, ihre Kleinen verstießen. Die Gründe hierfür waren unterschiedlicher Natur. Entweder wiesen die Muttertiere gesundheitliche Probleme auf oder waren als Kinder selbst unterversorgt worden. Da es den Tieren in Zoos nahrungsbedingt gut ging, kamen jedoch andere Gründe infrage. Wildtiere in Gefangenschaft wurden nicht nur ihrer Freiheit beraubt. Ihnen wurde vor allem die Fähigkeit genommen, ihre natürlichen Verhaltensweisen auszuleben. Ein Tiger, der niemals im Sozialverbund erfahren hatte, wie ein Kind aufgezogen worden war, war mit der Elternschaft nicht vertraut. Hinzu kam, dass Gehege niemals ein natürliches Revier eines Tigers nachempfunden werden konnten. Allein die Größe machte dies unmöglich. Probleme innerhalb der Sozialstruktur waren somit vorprogrammiert.

Tigerbaby Tamis war nur eines der zahlreichen verstoßenen Tiere, die von Hand aufgezogen wurden.

»Hey, mein Kleiner, sag bloß, du hast keinen Hunger. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen«, lachte Tanja.

Die Tierpflegerin beobachtete ihr Ziehkind beim Herumtollen. Sie ließ sich in einer Ecke des Raums nieder, wobei die Decke unter ihrem Po nur wenig Polsterung bot.

Tamis schrie ein weiteres Mal. Er tapste mit seinen riesigen Pfoten in eine Ecke und versuchte, am Bein des Tisches zu knabbern, auf dem Tanja zuvor seine Mahlzeit zubereitet hatte. Dabei rutschte gleichzeitig eine Decke von dem Tisch, sodass der Kleine nun blind durch den Raum torkelte.

Tanja konnte nicht anders als zu lachen. Zu süß sah das Tigerkind dabei aus, wie es versuchte, sich von der Decke über seinem Kopf zu befreien.

Geduldig wartete sie, bis Tamis sein Köpfchen aus dem Stoff hervorhob. Dann tapste er zu seiner Ziehmutter.

Tanja und Tamis waren sich sehr vertraut. Da die Vierunddreißigjährige die Aufzucht des Tiger-Nachwuchses übernommen hatte, kannte sie ihn von Geburt an. Gleich in den ersten Stunden hatte sich herausgestellt, dass seine Mutter ihr Kleines nicht angenommen hatte. Da es bei Raubkatzen nicht unüblich war, dass sie ihre ungewollten Kinder töteten und anschließend fraßen, hatten sie das Baby frühzeitig von dessen Mutter getrennt. Seit drei Monaten waren somit Tanja und Tamis ein Team. Wenn auch ein Ungleiches.

Das Tigerjunge hielt nur selten still beim Füttern. Immer wieder sortierte es seine breiten Pfoten, die Tanja aufgrund ihrer Breite an Ahornblätter erinnerten. Immer wieder nuckelte es, verlor die Flasche, suchte neu und schlabberte, sodass Tanjas Schoß nicht selten bekleckert wurde. Sie sah mit Liebe darüber hinweg. Zu sehr genoss sie die Nähe dieses kleinen besonderen Lebewesens auf ihrem Schoß. Auch wenn ihre Arme bereits von Kratzspuren übersät waren. Sie wusste, dass ihre gemeinsame Zeit irgendwann ein Ende haben würde. Dann würde Tamis nicht mehr nur dieses kleine verspielte Fellknäuel sein, das auf seine Milch wartete, sondern ein Raubtier mit einer Größe von bis zu drei Metern Länge und einem Gewicht von über zweihundert Kilogramm. Selbstredend, dass er sich dann auch nicht mehr mit Milch und Fencheltee zufrieden geben würde. Doch bis es so weit war, genoss die Tierpflegerin jede Minute mit dem Baby.

Tamis schlabberte die letzten Tropfen Milch auf. Sein Mäulchen war weiß gefärbt. Tanja kraulte den Sumatra-Tiger hinter den Ohren. Vergnügt ließ er sich auf den Rücken plumpsen, sodass sein weißer Bauch mit den schwarzen Streifen sichtbar wurde. Die Streifen eines Tigers waren sein Fingerabdruck. Jede Musterung war individuell.

Als der Kleine irgendwann genug hatte, tapste er in die Mitte des Raumes, während Tanja sich aufrichtete. Sie hatte noch andere Tiere zu versorgen. Gehege mussten gesäubert, etliche andere Tiere noch gefüttert werden. Sie sammelte das Geschirr auf und ließ das Junge noch ein wenig spielen. Als sie sich schließlich zu dem Wonneproppen umwandte, um ihn zurück in seinen Käfig zu bringen, lag er müde auf einer Decke. Am liebsten hätte sie sich dazu gelegt. Nichts kam ihr im Moment verlockender vor, als mit ihrem Ziehkind zu kuscheln. Hoffentlich würden sie noch viel Zeit miteinander haben.

***

Achtzehn Monate später

»Ralf, ich bitte dich! Tamis kennt mich von Geburt an. Er würde mich niemals angreifen. Dafür sind wir uns einfach zu vertraut.«

Tanja Groß spürte Ohnmacht. Ohnmacht und Wut. Hier passierte etwas, das sie nicht akzeptieren konnte. Niemand würde ihr Tamis wegnehmen. Dafür war ihre Verbindung zu dem Sumatra-Tiger zu stark.

»Bitte! natürlich! Es ist ja nicht so, dass Tamis ein Tiger ist. Nur ein kleines Kuschelkätzchen, mit dem man ein bisschen spielen kann«, erwiderte Ralf Sokolowski.

Als Zoodirektor hatte er die Aufsicht über sämtliche Angestellten des Zoos. Mit dem reißerischen Namen Adventure Around The World lockte der Zoo nun schon seit seiner Gründung vor sieben Jahren nicht nur mit wilden Tieren, sondern auch mit atemberaubenden Shows, die vor allem die kleinen Besucher in Staunen versetzten.

Tanja hielt nicht viel von dem Entertainment, welches zu Lasten der Tiere ging. Jedoch hat sie sich selbst das Versprechen abgerungen, ihren Schützlingen alles zu geben, was diese brauchten, um ihnen ein gutes Leben zu gewährleisten. Dass ihr Vorgesetzter nun mit Sarkasmus reagierte, machte sie noch rasender.

»Könntest du dir wenigstens die Zeit nehmen und Tamis beobachten? Wann hast du ihn zuletzt aus der Nähe gesehen?«, fragte sie ihn nun. Dabei kam ihr dieses Argument mehr als schwach vor. »Bitte, Ralf! Ich verspreche dir, dass ich nicht mehr ins Gehege gehe, wenn es einen Anhaltspunkt für deine Behauptung gibt. Und solange kannst du uns gerne im Blick behalten.«

Der Mann mit dem Tweedsakko und der Halbglatze sah sie lange an. Dann schüttelte er den Kopf.

»Tanja«, sprach er, diesmal leiser, »deine Sichtweise ist nicht objektiv. Wir reden hier nicht von einem Schimpansen. Oder Igor.« Igor war ein Zwergpinguin, der menschliche Nähe der seiner Artgenossen vorzog. Seit geraumer Zeit watschelte er jedem Tierpfleger hinterher.

»Das weiß ich selbst«, entgegnete Tanja genervt. Mit einer wirschen Bewegung fegte sie ihr braunes Haar aus dem Gesicht.

»Dann verstehe ich nicht, warum du darauf beharrst, zu einem Tiger ins Gehege zu gehen.« Ralf sortierte Stapel von Ordnern auf seinem Schreibtisch.

Die Tierpflegerin kannte diese Geste. Er wandte sie immer an, wenn er sich lästiger Besucher entledigen wollte. Diesmal war sie der lästige Besucher. Doch sie tat ihm nicht den Gefallen zu verschwinden. Stattdessen zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich. Der Zoodirektor stöhnte auf, lehnte sich aber geschlagen in seinem Bürostuhl zurück.

»Ich glaube, Tamis braucht meine Nähe noch. Tiger verlassen ihre Muttertiere erst nach drei Jahren. Er ist gerade mal halb so alt. Es wäre absolut unnatürlich, ihn jetzt schon allein zu lassen«, erklärte sie ihrem Vorgesetzten.

Mit großen Augen erwartete sie seine Antwort. Ralf Sokolowski war nicht der tatkräftigste Mann, den sie sich für den Posten gewünscht hatte. Doch trotz seiner manchmal überforderten und genervten Art hatte er ein gutes Herz. Davon hatte sie sich bereits mehrmals überzeugen können.

»Es gibt da nur einen kleinen Unterschied«, merkte Ralf an.

»Und der wäre?«, entgegnete Tanja, die nun wusste, dass ihr Kampf verloren war.

»Du bist ein Mensch und kein Muttertier. Sollten dir irgendwann Reißzähne wachsen, können wir gerne noch mal darüber reden.«

In diesem Moment hätte sich Tanja nichts sehnlicher gewünscht als Reißzähne. Sie sprang fluchend von ihrem Stuhl auf. Dieser drohte, nach hinten zu kippen, hätte sie ihn nicht geistesgegenwärtig aufgefangen.

»Für Tamis bin ich ein Muttertier«, widersprach die Tierpflegerin laut.

Ihr war bewusst, dass sie ihrem Chef gegenüber unfair war. In ihrem Inneren wusste sie, dass er eine Verpflichtung seinen Mitarbeitern und den Tieren gegenüber hatte. Er hatte auf die Sicherheit aller Lebewesen zu achten. Aus diesem Grund konnte sie seinen Standpunkt sogar verstehen. Und das ließ sie sich nur noch ohnmächtiger fühlen.

»Tanja, es reicht«, sagte der Vorgesetzte nun und richtete sich zu voller Größe auf, was nicht viel war. Mit seinen ein Metern fünfundsechzig war Ralf mehr auf seine Stimme und seinen Gesichtsausdruck angewiesen, um sich Autorität zu verschaffen. Das gelang ihm nur unzureichend. »Ab sofort darfst du das Tigergehege nur noch betreten, wenn es leer steht. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Tanja widerstrebte es, sich geschlagen zu geben. Sie konnte nicht akzeptieren, dass sie Tamis, ihrem Ziehkind, nicht mehr näher kommen durfte. Das kam ihr zu abrupt vor.

»Warum so plötzlich?«, wollte sie daher wissen. Sie glaubte nicht, dass es einen Grund für seine Entscheidung gab. Doch Ralf sah nur geschäftig zu Seite, als suchte er etwas. »Ralf! Warum fällt dir jetzt auf einmal ein, dass ich nicht mehr zu Tamis darf?«

Der Zoodirektor atmete tief durch.

Dann sagte er: »Ein Kollege hat mich darauf hingewiesen, dass es gefährlich werden könnte.«

»Ein Kollege?«, horchte sie nach.

Sie wusste genau, wovon Ralf sprach. Seit Eröffnung des Zoos hatte es Querelen mit dem nahe liegenden Serengeti-Park gegeben, der eine Konkurrenz in dem Adventure-Zoo sah. Immer wieder hatte der Leiter des Parks versucht, ihnen Verstöße gegen den Tierschutz und dergleichen anzulasten.

»Bitte, wenn du es genau wissen willst: Haarmann war hier und hat mich darauf hingewiesen, dass wir die Sicherheit unserer Mitarbeiter gefährden. Er hat wohl mitbekommen, dass du immer noch bei Tamis ein- und ausspazierst wie andere Leute bei ihrer Lieblingskneipe.« Erschöpft ließ sich Ralf zurück in seinen Bürostuhl fallen. Fast schon tat er ihr leid, wie er mit gefalteten Händen vor dem Mund vor ihr saß.

Haarmann war ein Mitarbeiter des städtischen Veterinäramts. Normalerweise ging er Hinweisen nach, die den Schutz von Tieren beinhalteten, nicht von Menschen.

»Warum interessiert sich Haarmann für meine Arbeit? Sollte er nicht eher die Haltung von Tieren im Blick haben?«, fragte sie.

»Das hat er auch«, antwortete er müde. »Ursprünglich war er hier, weil jemand behauptet hat, dass unsere Raubkatzen unterversorgt wären. Angeblich erhielten sie nicht genügend Futter oder nicht genügend Nährstoffe. Ach, was weiß ich denn, was sich die Deppen vom Serengeti-Park wieder ausgedacht haben.«

»Und weil er nichts dergleichen finden konnte, hat er sich eben auf meine Arbeit mit Tamis gestürzt«, schlussfolgerte Tanja. »War ja klar. Wäre auch schlimm, wenn seine Fahrt hierher umsonst gewesen wäre.«

In ihrer Stimme lag Verbitterung. Seit Jahren schon beobachtete sie den Kampf zwischen den beiden Unterhaltungsschauplätzen. Ihr war bewusst, dass ihr Arbeitsort noch einige Verbesserungen würde unternehmen müssen. Die Gehege für die Raubkatzen waren ihrer Meinung nach viel zu klein.

Ralf setzte sich wieder aufrechter hin. Dann sah er sie ernst an. Er war nicht nur ihr Vorgesetzter. Er war auch wie ein Freund für sie.

Daher konnte sie ihm nicht widersprechen, als er schlussendlich sagte: »Ab sofort hältst du dich von Tamis fern!«

***

»Can't stop the fire«, ging es Tanja immer wieder durch den Kopf. Seit sie den Song heute Mittag zufällig im Radio gehört hatte, bekam sie ihn nicht mehr aus dem Kopf. Er sorgte nicht nur dafür, dass sie sich immer wieder selbst beim Tanzen erwischte. Er verbreitete auch gute Laune.

Tanja fegte das Stroh des Affengeheges zusammen, während sie den Song vor sich hinsang. Dann kam ihr ein Gedanke.

Sie hatte keine Lust, den Abend allein auf der Couch zu verbringen. Ihre beste Freundin war noch im Urlaub, weshalb sie sich bei ihr nicht melden brauchte. Doch vielleicht hatten ja ihr Bruder Lars und seine Frau Zoe Zeit. Sie könnten eventuell ins Kino gehen. Oder noch mal zusammen kochen, so wie sie es vor einigen Wochen getan hatten.

Tanja stellte den Besen an einer Wand ab und zog ihr Handy aus der Hosentasche. Schnell tippte sie eine Nachricht an ihren Bruder. Dann schaute sie sich um. Die Totenkopfäffchen waren bereits in ihrem Haus, worin sie die Nacht verbrachten. Die nächsten Kollegen waren mindestens ein Gehege entfernt.

Tanja tippte die Spotify-App an, suchte nach Bruce Springsteen und wählte das Lied aus, welches ihr seit Stunden im Kopf herumschwirrte. Mit Musik im Hintergrund ließ es sich gleich viel besser arbeiten. Um auch keinen Ton des Lieds zu versäumen, drehte sie die Lautstärke auf. Mit Dancing in the Dark fegte sie den Rest des Strohs zusammen und kutschierte ihn mithilfe der Schaufel nach draußen. Dann entfernte sie die Überreste des Essens, damit nichts gammelte. Zwar ernährten sich die kleinen Äffchen hauptsächlich von Insekten, doch verschmähten sie auch keine frischen Früchte.

Als Tanja mit ihrer Arbeit im Gehege fertig war, stellte sie das Lied auf ihrem Handy ab. Nun musste sie nur noch bei einem Bewohner vorbeischauen.

Gut gelaunt ging sie die etlichen Meter hinüber zu Tamis. Der Sumatra-Tiger befand sich im Lageplan des Zoos an einer völlig anderen Ecke als die Totenkopfäffchen. Doch da Tanja sich seit seiner Geburt um ihn gekümmert hatte, war es weiterhin ihre Aufgabe, sich um die Pflege seines Geheges zu kümmern. So konnte sie dem Tiger nahe sein, obwohl mittlerweile andere Tierpfleger für dessen Kontinent verantwortlich waren. Der Adventure-Zoo war in Kontinente aufgeteilt. Dabei wurden den Pflegern feste Arbeitsorte zugeteilt, für die sie verantwortlich waren. Ralf Sokolowski hatte veranlasst, dass sich die Angestellten in einem bestimmten Turnus bewegten, sodass sie jede Arbeit und jedes Tier einmal kennenlernten. Doch die Pfleger bevorzugten es, bei ihren bekannten Gehegen zu bleiben. So konnten sie eine Beziehung zu ihren Tieren aufbauen und mussten sich nicht immer wieder umstellen. Tanja arbeitete nun im Bereich Südamerikas. Vor anderthalb Jahren war sie für Asien zuständig gewesen. In diesem Zeitraum hatte sie die Rolle der Ersatzmutter für Tamis angenommen. Obwohl sie damals noch hatten weiterziehen müssen, war sie dem Tiger stets treu geblieben. Mittlerweile hielt sich keiner mehr an den von Ralf vorgegebenen Turnus.

Tanja erreichte das Außengehege des Tigers. Noch immer schwirrte ihr der Song im Kopf herum. Die letzten Wochen hatte sie sich an Ralfs Verbot, sich Tamis schutzlos zu nähern, gehalten. Wenn auch widerwillig. Sie war fest davon überzeugt, dass die Raubkatze weiterhin ihre Ersatzmutter brauchte. Da Tamis seit der Geburt von seiner Mutter getrennt war, hatte der Zoo darauf verzichtet, ihn zu sozialisieren. Die Unsicherheit war zu groß gewesen. Tiger waren Einzelgänger. Vielleicht hätten sie mit dem Versuch einer Resozialisierung nur einen Angriff provoziert. Daher verweilte Tamis in einem Einzelgehege. Diesen Umstand fand Tanja bereits traurig genug. Nun durfte sie dem armen Kerl nicht einmal Trost spenden.