Dr. Stefan Frank 2753 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2753 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Valerie und Nadine sind eineiige Zwillinge und unzertrennlich. Gerade haben sie noch in einem Club gefeiert, als es auf der Heimfahrt zu einem schrecklichen Autounfall kommt. Wie durch ein Wunder wird Nadine nur mittelschwer verletzt. Valerie dagegen erleidet so schwere Hirnverletzungen, dass sie nie mehr aufwachen wird. Nur Maschinen halten die junge Frau noch am Leben, die in der zehnten Woche schwanger ist.
Schweren Herzens wollen die Eltern die Maschinen abstellen lassen. Doch Nadine ist dagegen. Sie weiß, wie gern Valerie Mutter geworden wäre. Diesen Wunsch will sie ihr erfüllen.
Die Ethikkommission der Klinik gibt grünes Licht. Die Maschinen sollen erst dann abgestellt werden, wenn das Baby lebensfähig ist. Als sich Valeries Zustand verschlechtert, fragt sich Nadine immer wieder, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat. Und wird ihre Schwester überhaupt lange genug durchhalten, bis ihr Kind eine Überlebenschance hat?

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Inhalt

Cover

Was bin ich ohne dich?

Vorschau

Impressum

Was bin ich ohne dich?

Dr. Frank und ein besonderes Zwillingspaar

Valerie und Nadine sind eineiige Zwillinge und unzertrennlich. Gerade haben sie noch in einem Club gefeiert, als es auf der Heimfahrt zu einem schrecklichen Autounfall kommt. Wie durch ein Wunder wird Nadine nur mittelschwer verletzt. Valerie dagegen erleidet so schwere Hirnverletzungen, dass sie nie mehr aufwachen wird. Nur Maschinen halten die junge Frau noch am Leben, die in der zehnten Woche schwanger ist.

Schweren Herzens wollen die Eltern die Maschinen abstellen lassen. Doch Nadine ist dagegen. Sie weiß, wie gern Valerie Mutter geworden wäre. Diesen Wunsch will sie ihr erfüllen.

Die Ethikkommission der Klinik gibt grünes Licht. Die Maschinen sollen erst dann abgestellt werden, wenn das Baby lebensfähig ist. Als sich Valeries Zustand verschlechtert, fragt sich Nadine immer wieder, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat. Und wird ihre Schwester überhaupt lange genug durchhalten, bis ihr Kind eine Überlebenschance hat?

»Auf deine erste, überstandene Arbeitswoche!«, krähte Lulu und prostete ihrer Freundin Valerie über die Köpfe der Feiernden hinweg zu.

Der Bass der Musik ließ den Boden des Clubs zittern. Lichtreflexe zuckten durch den mondänen Raum, der im elften Stock über der Münchner Innenstadt lag. Besonders bei Nacht war die Aussicht von hier oben fantastisch.

Valerie hob ihr Glas. Aber statt an ihre neue Arbeitsstelle als Messehostess wollte sie lieber an ihren Nebenjob denken.

»Ich trinke auf den süßesten Schauspieler, den ich je getroffen habe.« Ihre Augen leuchteten. »Wenn ich ihn das nächste Mal am Set sehe, spreche ich ihn an. Auch wenn ich nur eine kleine Komparsin bin und keine Sprechrolle habe.«

»Was denn? Nur ansprechen?« Lulu verschluckte sich fast an ihrem Amaretto sour. »Du bist doch sonst nicht so zurückhaltend.«

»Stimmt. Aber ich habe Nadine versprochen, eine Weile braver zu sein.«

»Apropos Nadine, wo steckt sie eigentlich?« Lulu reckte den Hals und sah sich suchend in der Menschenmenge um.

»Gib dir keine Mühe. Sie ist zu Hause und schreibt an einem Fachartikel für irgendeine Hals-Nasen-Ohren-Fachzeitschrift.« Dieses Wort war schwieriger, als Valerie gedacht hatte. Oder lag es am Alkohol, der ihre Zunge verknotete? Sie brauchte drei Anläufe, um es halbwegs klar auszusprechen.

Lulu bog sich vor Lachen. »Sie schreibt über Hasenohren?«

Auch Valerie prustete los.

»Wenn Hasen in der Nase bohren«, reimte sie munter weiter und setzte ihr Glas noch einmal an die Lippen. Nur ein einziger, süß-saurer Tropfen landete auf ihrer Zunge. »Was denn? Schon wieder leer? Deines auch? Komm, ich hol uns Nachschub.«

Valerie nahm ihrer Freundin das Glas aus der Hand. Schwankend bahnte sie sich einen Weg durch die tanzende Menge Richtung Bar. Der Barkeeper war sehr großzügig mit dem Alkohol gewesen. Ein einziger Cocktail hatte genügt, um ihre Knie in Pudding zu verwandeln. Kurz vor ihrem Ziel prallte sie an eine Wand aus Muskeln.

»Hoppla!«, sagte die Wand mit aufregend dunkler Stimme. Große Hände hielten sie an den Schultern fest.

Mit ihren einen Meter fünfundsiebzig war Valerie nicht klein. Trotzdem musste sie den Kopf in den Nacken legen, um dem Mann in sein markantes Gesicht zu sehen.

»Entschuldigung«, murmelte sie.

»Kennen wir uns?« Er war etwas älter als sie, vielleicht dreißig Jahre alt, und musterte sie mit einer Mischung aus Sorge und Belustigung. Außerdem machte er keine Anstalten, Valerie loszulassen. Wahrscheinlich ahnte er, dass sie angesäuselt war. Aber nicht mehr lange, denn plötzlich wusste Valerie, wen sie vor sich hatte. Mit einem Schlag war sie nüchtern.

Blitzschnell senkte sie den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«

Er war Patient in der Physiotherapie-Praxis gewesen, in der sie ein paar Wochen lang am Empfang gearbeitet hatte. Statt sie darauf hinzuweisen, dass er einen Termin vereinbaren wollte, hatte er in aller Seelenruhe dabei zugesehen, wie sie mit dem Handy ein freizügiges Foto an einen ihrer zahlreichen Verehrer geschickt hatte. Wenn Valerie nur an sein süffisantes Grinsen dachte, schoss ihr das Blut in die Wangen.

»Kann ich jetzt bitte gehen?«, fragte sie.

Er ließ die Hände sinken und trat zur Seite. Wie ein Mäuschen huschte Valerie an ihm vorbei und reihte sich in die Schlange vor der Bar ein. Während sie auf ihre Bestellung wartete, haderte sie wieder einmal mit sich und der Welt. Warum nur war das Schicksal so ungerecht und hatte gute und schlechte Eigenschaften so ungleich zwischen ihr und ihrer Zwillingsschwester Nadine verteilt? Äußerlich glichen sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Damit hörten die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf.

Wie ein Schmetterling flirrte Valerie durchs Leben, jobbte als Komparsin beim Fernsehen, bediente in einer Münchner In-Bar, arbeitete als Hostess auf Messen oder irgendwo am Empfang. Sie langweilte sich schnell, wie drei abgeschlossene Berufsausbildungen und ständig wechselnde Liebschaften bewiesen. Valerie wechselte ihre Männer so schnell und häufig wie ihre Jobs, was ihr meistens gut gefiel. Sie liebte ihr unbeschwertes, unabhängiges Leben und haderte nur damit, wenn sie einen gewissen Alkoholpegel erreicht hatte. Aber Abhilfe war in Sicht, wie der kleine Teufel auf ihrer Schulter ihr einflüsterte.

»Zwei Amaretto sour, bitte«, bestellte sie.

»Kommt sofort.« Der Barkeeper wollte ihren Geldschein annehmen, als sich eine Hand dazwischenschob.

»Das übernehme ich«, ertönte die aufregend dunkle Stimme hinter ihr.

Der Barkeeper hob die Augenbraue.

»Ist das für dich in Ordnung?«, fragte er Valerie, die nicht lange nachdenken musste.

Vergessen war das Versprechen an ihre Schwester. Der Übermut blitzte aus ihren Augen, als sie dem Muskelmann zuzwinkerte.

»Absolut. Ich kenne ihn. Er ist Patient in der Praxis, in der ich mal gearbeitet habe.« Sie nannte seinen Namen, der ihr inzwischen eingefallen war. Der Barkeeper notierte ihn mit strengem Blick.

»Keine krummen Dinger, Freundchen«, warnte er Valeries Beschützer.

Der lachte. »Ich werden nichts tun, was die Dame nicht ausdrücklich verlangt.«

Valeries Augen sprühten Funken. Ihre Zurückhaltung hatte sich in Luft aufgelöst.

»Hoffentlich hast du dir das gut überlegt«, sagte sie, warf den Kopf in den Nacken und lachte übermütig.

***

Unter dem grünen Schirm der Bankerleuchte fiel das Licht sanft auf den altehrwürdigen Holzschreibtisch. Der Lampenfuß des schönen Stücks – ein Flohmarktfund von Nadine – war aus Messing gefertigt. Der aufwändig von Mund geblasene Lampenschirm bestand aus mehrschichtigem Überfangglas, dessen Farbe perfekt zu den Pflanzen passte, die überall in der Altbauwohnung zu finden waren. Hohe Bücherregale mit Fachliteratur zierten die Wände, dazwischen Sofas und Sessel mit Kissen und Decken. Das gemütliche Ambiente lud zum Verweilen ein. Doch um diese Uhrzeit verlor selbst der heimeligste Ort der Welt seinen Charme.

Schon halb fünf Uhr morgens! Seufzend lehnte sich Nadine zurück und nahm die Brille ab, die ihr das stundenlange Lesen und Schreiben erleichtert hatte. Sie rieb sich die schmerzenden Augen und überlegte kurz, ehe sie den Deckel des Laptops zuklappte. Genug für diese Nacht! Der Fachartikel war ohnehin fast fertig. Den letzten Schliff würde sie ihm ein andermal verpassen. Zeit genug hatte sie dafür.

Wie immer hatte Dr. Nadine Deschamps darauf geachtet, mit einem bequemen Vorsprung zum Abgabetermin fertig zu werden. Im Gegensatz zu ihrer Schwester, die immer alles auf den allerletzten Drücker erledigte, verabscheute Nadine kaum etwas so sehr wie Stress und die damit verbundenen Leichtsinnsfehler.

Apropos Valerie. Wo steckte sie schon wieder? Das Handy lag auf dem Sideboard, weit genug entfernt, um Nadine nicht bei der Arbeit zu stören. Auf dem Weg in die Küche knarrte das Parkett unter ihren Schritten. Sie wählte die Nummer ihrer Schwester, brach den Anruf aber ab. Unten war die Haustür krachend ins Schloss gefallen. Nadine stellte sich vor, wie der Besucher die Steintreppe nach oben stieg. Vor ihrer Tür klapperte ein Schlüsselbund.

»Da bist du ja endlich! Ich habe mir schon Sorgen gemacht und wollte dich gerade anrufen.«

Valerie sank in die Arme ihrer Zwillingsschwestern. Sie roch nach Alkohol und Männerparfum.

»Siehst du, Lieblingsschwesterchen, ich kann deine Gedanken lesen«, murmelte sie und schnupperte an Nadines Hals. Im Gegensatz zu ihr roch ihre Schwester nach Geborgenheit und Heimat. »Es ist so schön, wieder zu Hause zu sein.«

»Warum bleibst du dann so lange weg?« Sanft aber bestimmt löste sich Nadine aus der Umarmung.

Sie kehrte in die Küche zurück, Valerie folgte ihr. Unterwegs schlüpfte sie aus den Schuhen. Vor der Küchentür ließ sie die Jacke einfach von ihren Schultern fallen. Sie setzte sich auf den Küchentisch und ließ die Beine baumeln. Nadine begnügte sich mit einem tadelnden Blick. Nach dieser Nacht stand ihr der Sinn nicht nach einer Diskussion.

»Ich wollte früher kommen, Ehrenwort«, fuhr Valerie fort. »Aber dann bestand mein Begleiter darauf, mir noch unbedingt seine Briefmarkensammlung zu zeigen«, erzählte sie und kicherte wie ein kleines Mädchen.

Nadine dagegen rollte mit den Augen und zählte die Kaffeelöffel, die sie in den Filter der Maschine löffelte.

»Wer war es diesmal?«

»Ein Patient aus der Physiotherapie-Praxis.«

Nadine seufzte. »Du wolltest doch aufhören mit diesen Männergeschichten.«

»Habe ich das wirklich gesagt?« Valerie zog die Stirn kraus und gab vor, angestrengt nachzudenken. Im nächsten Moment lächelte sie süß. »Das muss ich wohl vergessen haben. Aber weißt du, was ich herausgefunden habe?« Sie rutschte vom Tisch und nahm Nadine die Kaffeetassen ab, um sie neben die kleinen Löffel auf den Tisch zu stellen. »Das Leben ist zu kurz, um auf Spaß zu verzichten.«

Die Kaffeemaschine dampfte und zischte. Ein unwiderstehlicher Duft zog durch die Küche. Nadine schenkte zwei Tassen ein. Mit angezogenen Beinen machte sie es sich auf dem Kanapee in der Ecke gemütlich. Die Strapazen der durchgearbeiteten Nacht standen ihr ins Gesicht geschrieben.

»Die Frage ist, wie man Spaß definiert.« Sie blies in die dampfende Tasse. »Für mich wäre es kein Vergnügen, jede dritte Nacht in einem fremden Bett aufzuwachen neben einem Mann, dessen Namen ich nicht kenne.«

»Manchmal wache ich auch hier auf«, hielt Valerie dagegen, und ihre Schwester rollte mit den Augen.

»Du weißt genau, was ich meine«, erwiderte Nadine genervt.

»Natürlich. Aber wie willst du wissen, ob ein Kerl deine große Liebe sein könnte, wenn du ihn gar nicht erst kennenlernst.«

»Ich muss nicht mit einem Mann in die Kiste steigen, um ihn kennenzulernen«, erklärte Nadine.

»Nicht?« Valerie riss die Augen auf. »Aber dann kaufst du ja die Katze im Sack.«

Wohl oder übel musste ihre Schwester lachen.

»Offenbar sind mir andere Qualitäten an einem Mann wichtiger als dir, wie zum Beispiel ...«

»Intelligenz, Zuverlässigkeit, Loyalität, Ehrlichkeit, Treue«, leierte Valerie herunter. »Das hast du mir schon tausend Mal erzählt. Trotzdem weiß ich, dass du etwas verpasst, wenn du immer nur an deinem Schreibtisch sitzt oder in der Praxis schwerhörige Menschen behandelst.« Sie zog einen imaginären Hut. »Verstehe mich nicht falsch. Ich bewundere dich zutiefst dafür. Aber das ist nicht das Leben. Das echte Leben tobt dort draußen.« Sie sah hinüber zum Fenster.

Draußen brach ein neuer Morgen an. Noch war die Sonne nicht zu sehen. Nur das Blau am Horizont, das lichter und heller wurde und die Schatten der Nacht vertrieb. Ein paar Wolken segelten über den Himmel. Anders als im Frühling war um diese Jahreszeit – der Herbst stand vor der Tür – nur hier und da das Lied eines frühen Vogels zu hören. Umso lauter rumpelte der Lieferwagen über das Kopfsteinpflaster und hielt wie jeden Morgen vor der Bäckerei gegenüber. Stimmen und Lachen wehten hinauf.

Ohne einen Schluck Kaffee getrunken zu haben, stellte Valerie die Tasse zurück. Sie gähnte herzhaft und stand auf.

»Sei mir nicht böse, Schwesterherz, aber ich gehe jetzt schlafen. Hab dich lieb.« Sie umarmte Nadine, drückte ihr einen Kuss auf die rechte Wange und schlurfte aus dem Zimmer.

Nachdenklich sah Nadine ihrer Zwillingsschwester nach. Sie mochten so unterschiedlich sein wie Feuer und Wasser, aber genauso dringend brauchten sie einander. Valerie sorgte für bunte Momente im Leben ihrer Schwester. Nadine dagegen achtete darauf, dass ihr Zwilling nicht die Bodenhaftung verlor. Konnte sie sich mehr wünschen?

***

»Der nächste bitte!«, rief die Bedienung hinter der Theke des Grünwalder Eck-Cafés und winkte der nächsten Kundin zum Zeichen, dass sie an der Reihe war.

Valerie hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Die vergangene Nacht war zwar äußerst amüsant gewesen, doch auf den Morgen danach hätte sie liebend gerne verzichtet. Obwohl sie nicht so viel getrunken hatte, fühlte sich ihr Kopf an, als würde er jeden Moment explodieren. Das flaue Gefühl im Magen, das sie seit einer Weile hartnäckig begleitete, war stärker geworden. Obendrein schwankte der Boden unter ihren Füßen. Wohl oder übel musste sie Nadine recht geben. Spaß war eindeutig etwas anderes.

»Sie müssen nicht so laut schreien«, stöhnte sie. »Ich bin nicht schwerhörig.«

»Wenn ich schreie, zerspringt die Vitrine hier.« Die Verkäuferin musterte sie ungerührt. »Also, was darf es sein? Die anderen Kunden wollen auch drankommen.«

Valerie musterte die Auslagen. Es gab Semmeln mit und ohne Kerne, aus Vollkorn oder Weißmehl. Daneben tummelten sich süße Teilchen mit Zucker- oder Schokoladenguss, gefüllt mit Pudding, Apfelstückchen oder Quark. Allein bei dem Gedanken daran, in ihre geliebte Vanilleschnecke zu beißen, wurde ihr mit einem Schlag schlecht.

»Ein Bauernbrot bitte.« Nadine würde es ihr danken, wenn sie am Abend nach Hause kam und etwas Essbares vorfand.

Valerie bezahlte. Auf dem Rückweg in die Wohnung hatte sie es eilig. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es bis ins Bad.

»Ich trinke nie mehr auch nur einen Schluck Alkohol«, jammerte sie.

Sie wusch sich das Gesicht und vermied den Blick in den Spiegel. An diesem Morgen hatte sie noch nicht einmal die Kraft gehabt, die blonden, langen Haare zu bürsten und die Wimpern zu tuschen. Wahrscheinlich sah sie aus wie ein Gespenst. Zumindest fühlte sie sich so. Und schon wieder zog sich ihr Magen schmerzhaft zusammen.

»Ich kann heute leider nicht auf die Messe kommen«, entschuldigte sich Valerie am Telefon bei ihrem neuen Arbeitgeber, um ein paar Minuten später mit Tee und Zwieback zurück ins Bett zu schlüpfen.

Dort fand Nadine ihre Schwester, als sie am Abend von der Arbeit kam und die Tür aufstieß.

»Hallo Süße, Überraschung! Eine Patientin hat uns heute selbstgebackenes Börek mitgebracht. Mit einem Salat gibt das ein perfektes Abendessen.«

Allein beim Gedanken an Essen rebellierte Valeries Magen erneut. Noch schlimmer war aber der Duft der türkischen Spezialität, der durch die Wohnung zog.

»Pack das bitte weg«, jammerte sie. »Ich kann das nicht riechen.«

»Wie bitte?« Die Sonnenstrahlen fielen schräg ins Zimmer und beschienen die mit Spinat und Fetakäse gefüllten Teigröllchen, die Nadine auf einem Teller angerichtet hatte. »Du bist doch diejenige, die normalerweise an keinem Dönerstand vorbeikommt.«

»Ich weiß. Aber ich habe heute schon den ganzen Tag Kopf- und Bauchschmerzen. Noch nicht einmal deine Wundertabletten aus dem Medizinschrank haben geholfen.«

Schadenfreude war ein Fremdwort für Nadine. Sie runzelte die Stirn und musterte Valeries blasses Gesicht.

»Das ist allerdings besorgniserregend. Weißt du noch, was du gestern alles getrunken hast?«

»Nur ein Bier und zwei Amaretto sour«, gestand Valerie. »Auf sechs Stunden verteilt ist das nicht viel.«

Nadine runzelte die Stirn.

»Der Club war bestimmt voller Menschen. Vielleicht hast du dich mit einem Magen-Darm-Virus angesteckt. Das kann schon mal passieren.«

»Und was mache ich jetzt?«, jammerte Valerie.