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Laura Marecht liebt Kinder, lacht viel und scheint immer gut gelaunt - doch hinter dem Lächeln verbirgt sich ein dunkles Geheimnis. In ihrem Alltag türmen sich Lügen, die sie selbst kaum noch entwirren kann. Sie lügt aus Angst, aus Scham, aus Verzweiflung. Überforderung und der ständige Druck, perfekt zu funktionieren, treiben sie immer weiter in die Isolation. Als sie im idyllischen Waldkindergarten in Grünwald neu beginnt, schöpft sie Hoffnung. Vor allem der sympathische, ruhige Single-Vater Justus und seine quirlige Tochter Ella bringen Licht in ihr Chaos. Doch als eine einzige Lüge droht, alles zu zerstören, muss Laura sich endlich entscheiden: Weitermachen wie bisher - oder endlich ehrlich sein?
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Laura, die Lügnerin
Vorschau
Impressum
Laura, die Lügnerin
Sie leidet am »Pinocchio-Syndrom«
Laura Marecht liebt Kinder, lacht viel und scheint immer gut gelaunt – doch hinter dem Lächeln verbirgt sich ein dunkles Geheimnis. In ihrem Alltag türmen sich Lügen, die sie selbst kaum noch entwirren kann. Sie lügt aus Angst, aus Scham, aus Verzweiflung. Überforderung und der ständige Druck, perfekt zu funktionieren, treiben sie immer weiter in die Isolation. Als sie im idyllischen Waldkindergarten in Grünwald neu beginnt, schöpft sie Hoffnung. Vor allem der sympathische, ruhige Single-Vater Justus und seine quirlige Tochter Ella bringen Licht in ihr Chaos. Doch als eine einzige Lüge droht, alles zu zerstören, muss Laura sich endlich entscheiden: Weitermachen wie bisher – oder endlich ehrlich sein?
Nervös zupfte Laura Marecht ihren erdbeerroten Strickpullover zurecht, den sie sich für das heutige Vorstellungsgespräch ausgesucht hatte, und schaute an sich herunter. Ihre Wanderschuhe hatten zwar schon bessere Tage gesehen, aber immerhin waren das abgeriebene Leder und die aufgeriebenen Schnürsenkel der Beweis dafür, dass sie gern und oft draußen war und sich nicht verkleidete, um ihren potenziellen neuen Arbeitgeber zu beeindrucken.
Die Vierundzwanzigjährige warf einen letzten Blick auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu checken und setzte sich dann in Bewegung. Sie war heute extra zwei Stunden früher aufgestanden, damit ihr nichts Unvorhergesehenes in die Quere kommen konnte. Sie kannte sich zwar gut in Grünwald, dem beschaulichen Münchner Vorort, aus, aber sie wollte sichergehen, dass sie sich nicht verspätete.
Als der Weg, der von dem ruhig gelegenen Parkplatz in den Wald führte, steiler anstieg, wurde Laura so warm, dass sie ihre leichte Windjacke ausziehen musste. Rechts und links von ihr schossen sattgrüne Farnpflanzen aus dem Boden und säumten den Fußweg, der sich auf der Anhöhe des Hügels in drei Richtungen teilte. Tief atmete Laura die frische Luft ein, um sich zu entspannen. Sie war ganz schön aufgeregt. Vor allem der Gedanke daran, dass ihr neuer Arbeitgeber unangenehme Fragen stellen würde, die sie nicht beantworten konnte oder wollte, machte ihr Angst, aber sie hatte keine andere Wahl. Sie musste endlich einen neuen Job bekommen.
Als ein kleines Holzschild anzeigte, dass sie bald da war, fing ihr Herz an, schneller zu klopfen. Doch als sie sich umsah, löste sich die Anspannung in ihrem Nacken. Die Sonne fiel durch die dichten Blätter und malte kleine Lichtflecken auf den weichen Boden, der mit vertrockneten Blättern aus dem letzten Herbst und frischem Moos bedeckt war. Und als sie die lauten Kinderstimmen aus der Ferne hörte, freute sie sich sogar ein bisschen auf das Vorstellungsgespräch. Je näher sie dem Geschrei kam, desto besser konnte sie die einzelnen piepsigen Stimmen voneinander unterscheiden.
»Anna hat mich geschubst!«
»Das stimmt doch gar nicht«, wurde geheult.
»Du hast angefangen!«
»Nein, du!«
Laura musste lächeln und fühlte sich magisch angezogen.
»Wer bist du?«, wollte ein Mädchen mit hellroten Locken wissen, als Laura am Tor des Grundstückes ankam, auf dem sich der Waldkindergarten befand.
»Ich heiße Laura«, stellte sich die junge Erzieherin vor. »Und wie heißt du?«
»Ella«, erklärte die Kleine und schaute sie neugierig an. »Was machst du hier? Wir dürfen keine Fremden reinlassen.« Demonstrativ stemmte das Mädchen mit den verschmutzten Gummistiefeln ihre Hände in die Hüfte.
»Ich habe einen Termin mit der Leiterin«, erklärte Laura.
»Warum?«
»Ich habe gehört, dass ihr eine neue Kindergärtnerin sucht«, antwortete Laura und lehnte sich über das Tor. »Kannst du Frau Förster Bescheid sagen, dass ich da bin?«
Unentschlossen blieb Ella auf der Stelle stehen und ließ ihren Blick über Lauras Erscheinung wandern.
»Und du willst unsere neue Kindergärtnerin werden? Weißt du, wie so was geht?«
Laura nickte schmunzelnd. Wenn die anderen Kids auch so forsch waren wie Ella, würde sie sich hier pudelwohl fühlen. Laura liebte es, wenn Kinder sich etwas trauten und kam wunderbar mit denjenigen zurecht, die eine große Klappe hatten.
Langsam ging sie in die Knie, um durch den Zaun mit Ella auf Augenhöhe zu sein.
»Ich habe schon in vielen Kindergärten gearbeitet«, erzählte sie.
»Ehrlich?«
»Ja«, bestätigte Laura und zwinkerte dem Mädchen zu, das sie kritisch musterte.
»In wie vielen denn?«, verhörte Ella sie weiter.
»In vier Stück«, antwortete Laura ehrlich.
Ella kräuselte ihre Nase und dachte nach.
»Das ist aber nicht viel«, beschloss sie schließlich.
Laura hoffte, dass Frau Förster es ähnlich sah. Vier Arbeitsstellen in kurzer Zeit waren eigentlich kein gutes Zeichen. Laura hatte sich zwar für jeden Stellenwechsel eine gute Begründung überlegt, aber sie hasste es trotzdem, darauf angesprochen zu werden. Wenn es nach ihr ginge, sollte die Vergangenheit eigentlich keine Rolle spielen. Das Wichtige war doch, wie sie sich in Zukunft verhalten würde, nicht, was sie in der Vergangenheit alles vermasselt hatte!
»Ella!«, ertönte eine tiefe, laute Stimme aus einem kleinen Schuppen, der in der Ecke des Grundstücks stand.
»Das ist sie«, flüsterte Ella und steckte ihren Kopf durch die breiten Lücken zwischen den Zaunpfählen. »Sie ist eigentlich nett. Nur manchmal kann sie auch streng sein.«
»Verstehe«, flüsterte Laura zurück und freute sich, dass die Kleine ihr scheinbar langsam vertraute.
»Viel Glück«, verabschiedete sich Ella und rannte zu dem Gartenhaus, aus dem die Stimme gekommen war.
Die Tür öffnete sich, und eine grauhaarige Frau erschien, einen Korb voller kleiner Schaufeln vor sich hertragend. Laura wusste, dass es Frau Förster war. Sie hatte die Leiterin des Waldkindergartens vorher im Internet gegoogelt und ihren Lebenslauf akribisch studiert. Frau Förster stammte aus derselben Gegend in Ostdeutschland wie Lauras Vater – eine Information, die sie während des Vorstellungsgesprächs schlau platzieren würde, um die Sympathie der Mittfünfzigerin zu gewinnen.
Laura stand auf, winkte der Frau fröhlich zu und wartete geduldig, bis diese am Tor war, um sie hereinzulassen.
»Sie hätten ruhig reinkommen können«, begrüßte die Frau sie freundlich und gab ihr die Hand.
»Sie haben eine ausgezeichnete Türsteherin«, erklärte Laura und zeigte auf Ella, die gerade einem weinenden Mädchen die Schaufel zurückgab, die eines der anderen Kinder ihr abgenommen hatte.
Frau Förster seufzte.
»Da haben Sie ja gleich die Richtige kennengelernt. Ella ist unser Wirbelwind. Sie wird nie müde und hat immer etwas zu sagen.«
»Das ist mir schon aufgefallen«, sagte Laura und lächelte warm.
»Lassen Sie sich von Ella bloß nicht täuschen. Sie sieht zwar süß aus, aber sie hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Ach, das stört mich gar nicht«, versicherte Laura, als die beiden in Richtung des Gebäudes gingen, das in der Mitte des Grundstückes stand. »Ich habe kein Problem mit aufgeweckten Kindern.«
»Wir sprechen uns in einer Woche noch mal«, murmelte Frau Förster und führte Laura in den ersten Raum des einstöckigen Hauses.
Als die beiden sich im Büro der Leiterin niedergelassen hatten, wusste Laura, dass sie alles tun musste, um diesen Job zu bekommen. Nicht, weil sie ihre Miete unbedingt bezahlen oder endlich ihre Schulden bei ihren Freunden begleichen musste. Der schöne Weg durch den Wald, die fast schon märchenhafte Lage und die kleine Ella, die Laura sofort in ihr Herz geschlossen hatte, machten den Kindergarten zum perfekten Ort.
»Und, wie ist Ihr erster Eindruck?«, wollte Frau Förster wissen, als sie sich und Laura Wasser einschenkte, und sich danach in einem Sessel fallen ließ.
»Zauberhaft«, antwortete Laura aufrichtig. »Einfach zauberhaft.«
***
»Und wann kannst du anfangen?«, wollte Rebecca, Lauras Bekannte, am Abend wissen.
»Nächste Woche schon«, verkündete Laura glücklich und schenkte der gesamten Gruppe am Tisch noch mal nach.
»Na, dann auf Laura«, prostete einer der Jungs der Runde zu und leerte sein Glas in einem Zug.
Laura hatte zur Feier des Tages schon mehrere Flaschen Sekt für die Runde bestellt.
Sie war zwar knapp bei Kasse, aber durch den neuen Job würde sie schon bald wieder verdienen. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie den Geburtstag von Mareike vergessen hatte, und wollte es durch diese Einladung wiedergutmachen.
»Und auf Mareike, unser Geburtstagskind«, fügte Laura schnell hinzu und warf ihrer Sitznachbarin einen Luftkuss zu.
»Ist doch schon zwei Wochen her«, maulte René, der Exfreund von Mareike, stieß dann aber trotzdem mit an.
»Schade, dass du nicht dabei sein konntest«, sagte Mareike und warf Laura einen enttäuschten Gesichtsausdruck zu. »Aber du konntest ja nichts dafür.«
Laura zuckte zusammen. Hoffentlich führte Mareike das Thema nicht weiter aus. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, was genau sie Mareike erzählt hatte.
»Man wird ja wohl mal einen Geburtstag vergessen können«, schaltete sich Rebecca ein.
»Ich habe den Geburtstag nicht vergessen!«, verteidigte sich Laura. »Meine Mutter war krank.«
»Ich dachte, es war deine Tante?«, hakte Mareike nach und ließ Laura nicht aus den Augen.
»Beide waren krank«, antwortete Laura, wie aus der Pistole geschossen. »Meine Mutter und ihre Schwester kleben förmlich aneinander. Wenn die eine krank wird, erwischt es die andere ebenso. Ich habe meiner Mutter gesagt, sie soll sich fernhalten, aber nein, sie wollte sich unbedingt um meine Tante kümmern – und zack, hat es sie auch getroffen.«
»Was hatte sie noch mal?«, fragte Mareike misstrauisch, doch Laura ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
»Erkältung, Grippe«, antwortete sie vage.
»Ich dachte, es wäre was mit dem Rücken gewesen?«
Ach, das hatte sie ihr erzählt! Knapp vorbei.
»Ja, Gelenkschmerzen halt. Das sind doch Erkältungssymptome«, redete sich Laura heraus. »Der untere Rücken von meiner Mutter ist eh total kaputt.«
»Können wir über was anderes reden als die gesundheitlichen Probleme von alten Leuten?«, beschwerte sich René und rettete Laura damit.
»Gerne«, sagte Laura erleichtert und winkte den Kellner des Biergartens heran. »So, wer hat noch Lust auf eine Runde?«
***
Leicht angetrunken kam Laura mitten in der Nacht nach Hause. Obwohl sie sich auf den Abend gefreut hatte, fühlte sie sich jetzt, wo alles vorbei war, leer und irgendwie bedrückt. Ihre Clique hatte sich zwar mit ihr über die neue Arbeitsstelle gefreut, aber alles, woran Laura denken konnte, war der Moment, in dem Mareike ihr um ein Haar auf die Schliche gekommen wäre.
Laura hatte gelogen. Weder ihre Mutter noch ihre Tante waren krank gewesen, und Rebecca hatte recht gehabt: Laura hatte Mareikes Geburtstag schlicht und einfach vergessen. Obwohl das Geburtstagskind am Abend vor dem Grillfest noch mal alle Gäste angerufen hatte, um zu fragen, wer was mitbringen würde, hatte Laura es verschwitzt. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern, was sie an diesem Tag stattdessen getan hatte, aber sie hatte eine dunkle Ahnung.
Die Kindergärtnerin versuchte, die Erinnerung an die Tage nach der letzten Kündigung abzuschütteln und holte ihren Schlüssel aus der Tasche, um die Haustür zu öffnen. Sie wollte nicht mehr an die Zeit denken, in der sie sich zurückgezogen und allen etwas vorgespielt hatte. Was vergangen war, war vergangen! Alles, was zählte, war, dass sie einen neuen Job hatte und eine weitere Chance bekam.
Mit ihrer neuen Arbeitsstelle würde auch privat ein neuer Anfang kommen, sagte sie sich, und betrat den kleinen quadratischen Flur, in dem es kaum einen freien Platz für Lauras Füße gab. Sie sträubte sich, das Licht anzumachen, aber sie konnte auch nicht riskieren, mit ihren schmutzigen Straßenschuhen auf etwas zu treten, das sich nicht so leicht putzen ließ.
Als sie sich überwunden hatte und den Lichtschalter bediente, atmete sie erleichtert auf. Zwischen unzähligen Schuhen, Jacken und Schals blitzte die beige Weste hervor, die ihr Vater immer so gern getragen hatte. Auf keinen Fall durfte ihr Lieblingsstück etwas abbekommen. Schnell fischte Laura die Lammfellweste zwischen den anderen Klamotten heraus und hängte sie auf. Obwohl das Teil schon über zwanzig Jahre alt war, sah es aus wie neu. Laura streckte ihre Hand aus und ließ ihre Finger durch die hellen, dichten Locken gleiten.
Sie musste an ihren Vater denken. Wie er mit seinen langen, braunen Haaren und dem dünnen Schnauzer in die Kamera grinste, die Fellweste cool über die Schulter geworfen. Wie er auf der Motorhaube des roten Flitzers saß, die Beine breit, in Blue Jeans und lässigen Lederstiefeln. Laura hatte das Bild aus den 70ern aus dem Fotoalbum gemopst, das ihre Oma zum Anschauen am Tag der Beerdigung mitgebracht hatte. Es hing bis heute über Lauras Schreibtisch. Und obwohl es immer mehr verblasste, waren die Erinnerungen an ihren Vater auch zehn Jahre nach seinem Tod lebendig wie eh und je.
Mit einem Seufzer beschloss Laura, gleich morgen aufzuräumen. Sie hatte die letzten Wochen keine Kraft zum Putzen gehabt, aber jetzt, mit dem neuen Job am Horizont, fühlte sie sich stark genug, ihren Haushalt in den Griff zu bekommen. Vorsichtig tippelte sie auf Zehenspitzen zwischen den vielen Sachen in ihr kleines Badezimmer und machte die Dusche an, die immer etwas brauchte, bis sie richtig schön warm wurde.
Sie holte das letzte frische Handtuch aus dem Schrank und stopfte den Inhalt des überquellenden Wäschekorbes in die Waschmaschine. Es war zwar mitten in der Nacht, aber die Nachbarin, die unter ihr wohnte, war schon alt und schwerhörig, sodass sie wohl kaum etwas von Lauras nächtlicher Waschaktion mitbekommen würde.
So war das oft bei Laura: Manchmal konnte sie sich wochenlang nicht aufraffen, ihre Haushaltspflichten zu erledigen und wenn sie ihren Rappel bekam, machte sie alles auf einmal. Egal, wie spät es war oder wie lange es dauerte. Sie konnte sich dann richtig in Rage putzen. Wie im Rausch knüpfte sie sich eine Sache nach der nächsten vor, bis alles erledigt war. Alle Briefe geöffnet, alle Rechnungen beglichen und den ganzen Dreck entfernt, bis alles glänzte.
Als Laura sich schließlich unter die dampfende Dusche stellte, freute sie sich bereits auf den nächsten Morgen, wenn sie ihren Aufräumwahn abschloss und erleichtert ins Bett fallen konnte. Denn so schlimm die Phasen des Aufschiebens auch waren, so befreiend war der Prozess des Saubermachens. Und der neue Job war genau der Anstoß, den Laura gebraucht hatte, um ihre Wohnung endlich wieder auf Vordermann zu bringen.
***
Als Laura sich am nächsten Morgen nach vollbrachtem Großputz erschöpft, aber glücklich ins Bett fallen ließ, schenkte sich Marie-Luise Flanitzer in der Teeküche der Hausarztpraxis Dr. Frank gerade ihre erste Tasse Tee ein.
»Was denn, kein Kaffee?«, wunderte sich ihre Kollegin Martha Giesecke.
»Ich versuche gerade, ein bisschen weniger Koffein zu mir zu nehmen«, erklärte Marie-Luise und erntete nur ein verständnisloses Kopfschütteln.
»Ick kann nicht verstehen, wie man morgens überhaupt wach werden kann ohne Kaffee«, sagte die rüstige Praxisschwester und schaltete die Kaffeemaschine ein. »Ohne Koffein geht bei mir gar nichts.«
Als die Maschine summend verkündete, dass sie einsatzbereit war, öffnete Martha den Wandschrank, um sich ein Kaffeepad und ihre Lieblingstasse zu holen. Misstrauisch ließ die gebürtige Berlinerin ihren Blick zu ihrer jüngeren Kollegin wandern.
»Was ist?«, fragte Marie-Luise.
»Ick wollte mich nur vergewissern, aus welcher Tasse du trinkst«, antwortete Martha und wandte sich wieder dem geöffneten Schrank zu, als sie sichergestellt hatte, dass Marie-Luise sich nichts hatte zuschulden kommen lassen.
»Wenn ich Tee trinke, dann immer nur aus dieser hier«, versicherte Marie-Luise und hielt einen großen Keramikpot, der mit filigranen Blumen bemalt war, als Beweis in die Höhe.
Martha grummelte unzufrieden und holte eine Tasse nach der nächsten aus dem Schrank.
»Welche suchen Sie denn?«, wollte Marie-Luise wissen.
»Die Gelbe«, antwortete Martha schlecht gelaunt. »Die mit dem Kätzchen drauf.«
»Vielleicht ist sie in der Spülmaschine?«
»Das würde ja bedeuten, dass sie schon jemand vor mir benutzt hat«, beschwerte sich Martha und schaute in der Maschine nach. »Ick schaue immer, dass ich sie zum Feierabend hin spüle, damit ick sie am Morgen bereit habe. Det kann doch nicht sein. Sie muss doch hier sein!«, ärgerte sich die langjährige Sprechstundenhilfe und schaute ein letztes Mal in den Schrank. »Ick habe sie doch extra gestern versteckt – äh, ick meine, sicher verstaut.«
Marie-Luise musste grinsen, als sie sah, dass Dr. Frank gerade aus seinem Büro kam und die Teeküche ansteuerte. Ihr Chef hielt die besagte Tasse in der Hand, gelb und mit einem leicht zerkratzten Kätzchen drauf.
»Guten Morgen, die Damen«, begrüßte der Grünwalder Hausarzt seine beiden Praxisschwestern. »Falls eine von Ihnen Lust auf eine neue Kaffeesorte hat: Ich habe uns zwei neue Bohnen mitgebracht, zum Ausprobieren. Alexa hat mich gestern in eine neu eröffnete Rösterei geschleppt, die in aller Munde ist«, erzählte der Hausarzt ahnungslos und nahm einen Schluck von dem neuen Kaffee.
Marie-Luise gab sich alle Mühe, ein Kichern zu unterdrücken und sich nichts anmerken zu lassen.