Dr. Stefan Frank 2838 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2838 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Vera Hasenkamp, erfolgreiche Architektin in Berlin, ist diszipliniert, kontrolliert und hat gelernt, Gefühle hinter einer kühlen Fassade zu verbergen. Privat wagt sie kaum Nähe, ihre Sehnsucht lebt sie nur heimlich in Chats auf Datingplattformen aus. Ihre jüngere Schwester Lilly dagegen ist das pure Gegenteil: eine freiheitsliebende Lebensberaterin, die in langen Kaftanen durch Grünwald schwebt, von "inneren Göttinnen" spricht und ihr Herz stets auf der Zunge trägt. Als ihr Vater nach einem Treppensturz mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma ins Koma fällt, reist Vera widerwillig aus Berlin an - fest entschlossen, bald in ihr unabhängiges Leben zurückzukehren. Denn es gibt etwas, das sie ihrer Schwester bis heute nicht verziehen kann. Bei ihrer Ankunft prallen schmerzhafte Erinnerungen und die unterschiedlichen Weltansichten hart aufeinander. Bange Tage vergehen mit Streit und Sorge. Als Rolf schließlich erwacht, wird nach eingehenden Untersuchungen klar, dass er halbseitig gelähmt bleibt und künftig auf Pflege angewiesen sein wird. Lilly bittet Vera verzweifelt um Hilfe, doch die tut das, was sie schon immer getan hat, um sich selbst zu schützen: Sie flieht ...

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Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

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Schwesterherzen

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Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsbeginn

Impressum

Schwesterherzen

Die Krankheit ihres Vaters führt sie wieder zusammen

Vera Hasenkamp, erfolgreiche Architektin in Berlin, ist diszipliniert, kontrolliert und hat gelernt, Gefühle hinter einer kühlen Fassade zu verbergen. Privat wagt sie kaum Nähe, ihre Sehnsucht lebt sie nur heimlich in Chats auf Datingplattformen aus. Ihre jüngere Schwester Lilly dagegen ist das pure Gegenteil: eine freiheitsliebende Lebensberaterin, die in langen Kaftanen durch Grünwald schwebt, von »inneren Göttinnen« spricht und ihr Herz stets auf der Zunge trägt.

Als ihr Vater nach einem Treppensturz mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma ins Koma fällt, reist Vera widerwillig aus Berlin an – fest entschlossen, bald in ihr unabhängiges Leben zurückzukehren. Denn es gibt etwas, das sie ihrer Schwester bis heute nicht verziehen kann. Bei ihrer Ankunft prallen schmerzhafte Erinnerungen und die unterschiedlichen Weltansichten hart aufeinander. Bange Tage vergehen mit Streit und Sorge. Als Rolf schließlich erwacht, wird nach eingehenden Untersuchungen klar, dass er halbseitig gelähmt bleibt und künftig auf Pflege angewiesen sein wird. Lilly bittet Vera verzweifelt um Hilfe, doch die tut das, was sie schon immer getan hat, um sich selbst zu schützen: Sie flieht ...

»Und wie lange soll das Ihrer Meinung nach noch dauern? Die Bauherrin wartet bereits seit Wochen darauf, dass die Mängel behoben werden.«

Vera Hasenkamp verwehrte dem Mann neben ihr den Blickkontakt. Aus Erfahrung wusste sie, was solche Männer über Frauen auf Baustellen dachten. Dass sie bloß aufpassen sollten, sich keine Kratzer in die sorgfältig manikürten Nägel einzufangen.

»Meine Leute können nicht schneller arbeiten als das Material geliefert wird. Das müssen Sie schon einsehen«, brummte der Graubärtige neben ihr. Auf seinem Kopf saß ein gelber Schutzhelm. Die Öffnung seiner orangefarbenen Weste klaffte auf und präsentierte einen Blick auf einen Bauch, dessen Ausmaße an eine Fettleber erinnerten.

»Das ist mir bewusst.« Die Architektin sah den Mann scharf an, sodass er mit einem Mal kleiner wurde. Das Kratzen oberhalb seines Ohrs ließ Verlegenheit vermuten. Schließlich nahm er den Helm ab, ganz so, als kapitulierte er.

»Hören Sie, ich werde gleich morgen losfahren und der Firma Dampf unter dem Hintern machen.« Er räusperte sich. »Wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Wird der Boden noch diese Woche gegossen werden? Das möchte ich wissen. Alles andere interessiert mich nicht.«

»Ja.«

Vera verzog ihr Gesicht zu einem kumpelhaften Lächeln. Manchmal brauchte es Druck und etwas Kälte, um den Arbeitern Dampf unter dem Hintern zu machen, wie der Mann neben ihr es ausdrücken würde. Doch wenn sie erreicht hatte, was sie wollte, war ihr wichtig, wieder in den Kumpelmodus zurückzuschalten. Sie hatte es bei ihren männlichen Kollegen beobachtet und das Verhalten imitiert. Nur auf diese Weise war es ihr gelungen, sich Respekt auf den Baustellen zu verschaffen.

Ein letzter Blick auf den Rohbau genügte ihr, um sich ein Gefühl der Zufriedenheit zu verschaffen. Sie wusste, dass sie für heute alles erreicht hatte, was sie sich vorgenommen hatte. Zeit, den Tag abzuschließen.

»Ich verlass mich auf Sie, Decker«, sprach sie zu dem Mann und reichte ihm ihre manikürte Hand.

Decker drückte sie fest und begegnete ihrem Blick mit Augen, die sagten, dass sie sich jederzeit auf ihn verlassen konnte. Dann verließ sie die Baustelle und achtete darauf, nicht zu stolpern, während sie ihren Helm abzog.

Die Fahrt durch das abendliche Berlin war ein Aufgebot an bunten Lichtern, rasenden Lichtern, blinkenden Lichtern, Hektik und Lärm. Sie hatte gelernt, es zu schätzen. Berlin war in ihren Augen hässlich, ungemütlich und unfreundlich. Nie wieder wollte sie aus dieser schrecklich schönen Stadt verschwinden.

Wie jeden Abend musste sie sich auf die Suche nach einem Parkplatz machen. Ihre Straße war nicht gemacht für Bewohner mit PKW. Also fuhr sie die nächste Abbiegung rechts rein und hielt die Augen nach einer Lücke am Straßenrand auf.

Nachdem sie den Wagen geparkt hatte, lief sie das Stück zu ihrer Wohnung zurück und sog gierig die Stadtluft ein. Abgase lagen darin. Von irgendwoher rief eine kratzige Stimme, dass er sich bloß vom Acker machen sollte. Wer auch immer er war.

Vera grinste in sich hinein und schüttelte unmerklich den Kopf. Wie froh sie war, dem erdrückenden konservativen München entkommen zu sein.

Vor der Haustür angekommen, steckte sie den Schlüssel ins Schloss und erntete Pfiffe von zwei Männern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie reagierte nicht, sondern verschwand im Hausflur. Mit dem Zufallen der Tür schloss sie die Stadt aus. Doch erst mit Betreten ihrer Wohnung konnte sie sich vollends entspannen. Noch im Flur streifte sie die Schuhe ab, zog ihren Daunenmantel aus und hängte ihn sorgfältig an die Garderobe.

Der Wohnbereich lag im Dunkeln vor ihr. Hohe Fenster gewährten einen Ausblick über einen Teil des Prenzlauer Bergs, auf eine Häuserreihe, die bis ins Unendliche zu laufen schien.

Vera schlich auf Zehenspitzen zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Dieses Ritual eröffnete ihren Abendritus. Als Nächstes schaltete sie die Anlage an und hörte der lateinamerikanischen Popmusik zu, zu der sie ihre Hüften wiegte. Es war ihr Geheimnis. Ihr gesamtes Privatleben war ein Geheimnis. Wer Vera nach Feierabend war, blieb hinter diesen Mauern verborgen.

Leichtfüßig tänzelte sie zur Kochinsel. Im Kühlfach fand sie eine Portion Lasagne vom Supermarkt. Sie zog den Deckel ab, legte ihn lose über die gefrorene Pasta und schob das Fertigessen in die Mikrowelle.

Ihre Ungeduld wuchs ins Unermessliche. Denn das, was ihr Privatleben so geheim machte, war nicht der Verzehr von Fertiggerichten und auch nicht das Tanzen zu Latin-Musik. Diese stimmte sie lediglich auf das ein, was noch kommen sollte. Ihr Geheimnis war auf ihrem Laptop versteckt.

Vera zog bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer ihre Kleidung aus. Achtlos ließ sie die Kleidungsstücke liegen. Auch das gehörte zum Ritual. So konnte sie sich einreden, eine sinnliche Verabredung zu haben.

Auf dem Bett lag ihr Laptop. Nur in Unterwäsche bekleidet machte sie es sich auf dem Bett bequem und schaltete das Gerät ein. Ihr Herz klopfte ein wenig. Ob eine Nachricht auf sie wartete?

Sanft strich sie über den Bildschirm, um ihn vom Staub zu befreien. Dann klickte sie auf das Symbol für den Browser. Flink gab sie den Namen der Seite ein, die sie seit wenigen Wochen besuchte. Niemals würde sie jemandem von dieser Seite erzählen. Ihre Freundinnen hatten ihre Lebensgefährten auf Tinder kennengelernt. Nur wenige Pärchen lernten sich noch in Bars kennen. Vera wollte weder eine Bar aufsuchen noch Tinder. Ihre neue Lieblingsseite war für einen eher derberen Geschmack.

Aufgeregt gab sie ihre Emailadresse und das Passwort ein. Dann öffnete sich ihr Profil. Willkommen auf Metalflirt, wurde sie begrüßt. Sie musste immer noch lachen, wenn sie den Schriftzug las. Vera mochte weder die Musik noch die Leute, die auf solche Musik standen. Alles daran war ihr zuwider. Die langen Haare, die Lederkleidung, die düsteren Gesichter. Und doch hatte sie sich irgendwann vor wenigen Wochen – es war ein regnerischer Abend im Oktober gewesen –angemeldet. Sie hatte zufällig einen Kollegen darüber reden hören. Abscheu und Neugier hatten sich in ihr geregt, als sie sich erstmals auf der Seite umgesehen hatte. Einen Tag später hatte sie sich gewagt, ein Foto von sich hochzuladen. Daraufhin waren die ersten Nachrichten eingegangen. Dark Danger hatte wissen wollen, warum so ein Engel wie sie noch Single wäre. Igitt. Heilskommando hatte einen lieben Gruß dagelassen. Nett, aber der Name war ihr doch zu suspekt erschienen.

Jeden Abend verbrachte sie seitdem Zeit vor dem Bildschirm, sah sich um, chattete lose mit einigen Leuten. Nichts Wildes, nur Gespräche um die Arbeit und Freizeitbeschäftigungen. Doch gestern hatte sie eine Entdeckung gemacht, die ihr Herzklopfen bereitet hatte.

Sein Nickname war Z. Ein Buchstabe, mehr nicht. Seine Fotos hingegen waren ausdrucksstärker: dunkle wüste Haare, gestutzter Bart, Sonnenbrille, Lederjacke. Alles an ihm schreckte sie ab. Z war die Art von Mann, mit denen sie nichts zu tun haben wollte. Vera stand auf einen Typ, der gesittet erschien und Manieren hatte. Dieser wirkte jedoch so, als würde er sich von einer Verabredung mit dem Präsentieren seines Mittelfingers verabschieden.

Und doch ... Etwas an ihm hatte sie gefangen gehalten. Also hatte sie eine Nachricht hinterlassen. Einen Gruß, mehr nicht.

Als Vera ihre Startseite überblickte, hielt sie den Atem an. Eine neue Nachricht. Schnell fuhr sie mit der Maus auf die Meldung. Als sich ihr Postfach öffnete, klopfte ihr Herz wie verrückt. Ein Name erschien. Z. Re: Hi!

Vera biss sich auf die Unterlippe. Als sie die Nachricht anklickte, pingte es, und ihr Oberkörper zuckte vor Schreck zusammen. Dann nahm sie den Geruch von fader Lasagne wahr.

***

Wind rauschte an ihnen vorbei. Eine frische Brise, die die Frauen daran erinnern sollte, dass Luft immer auch Bewegung war. Dass Bewegung immer auch Atmen war.

Lilly breitete ihre Arme aus und hielt sie, als glitt sie durch die Luft. Sie war ein Adlerweibchen, frei von Sorgen, frei von Erwartungen. Ihre Augen schlossen sich und gaben sich der Musik hin. Ein Gong, leises Klirren. Jemand erzeugte ein Summen.

Lillys Beine trugen sie. Ihre nackten Füße tasteten sich auf Zehenspitzen vor, fanden ihren eigenen Rhythmus. Sanft wog sie sich im Wind, warf ihren Kopf hin und her, vor und zurück. Eine Trommel setzte ein, wurde lauter, lud zu einem Rausch ein, der Rhythmus immer schneller. Ihre Finger berührten die suchenden Hände einer Gefährtin. Sie lächelte. Das Trommeln erhöhte sich. Das Summen wurde zu einem schrillen Ruf. Dann ... Stille.

In Lillys Brustkorb tanzte ihr Herz nach. Ihre Lungen verlangten nach mehr Luft. Zufrieden öffnete sie ihre Augen.

»Das war zauberhaft«, seufzte sie und blickte in die Runde verzückter Frauen jeden Alters.

Da war Henriette, die mit zweiundfünfzig Jahren lernen wollte, sich selbst zu lieben. Josefine, die Studentin im vierten Semester, die in dem Kurs eine Auszeit vom Unistress suchte. Karla, deren Silberschmuck und Dreadlocks darauf hindeuteten, dass es nicht der erste Kurs dieser Art war, den sie besuchte.

»Ich fühle mich«, sprach Henriette und atmete schwer aus. »Ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr.«

»Fühlt ihr die Göttin in euch?«, fragte Lilly in die Runde und lud ihre Klientinnen mit einer Handbewegung dazu ein, sich auf dem Boden niederzulassen.

Bevor sie sich dazusetzte, ging sie zum Ventilator und schaltete ihn aus. Wo kein Wind war, musste eben nachgeholfen werden, und das Fenster zu öffnen, wäre im November zu kalt gewesen.

Karlas Gesicht war vollkommen ernst. Sie streckte beide Arme aus und drehte die Handflächen nach oben.

»Ich habe sie wiedererweckt«, beantwortete sie Lillys Frage.

Diese setzte sich und schaute selig in die Gesichter der Frauen, elf an der Zahl. Dies war bereits der Fortgeschrittenenkurs. Der Anfängerkurs war noch besser besucht.

»Ruht euch nun aus, meine großen Göttinnen«, sagte sie. »Ich hole jetzt den Tee für innere Ausgeglichenheit. Genießt die Zeit der Erholung.«

Nachdem Lilly den Kursraum verlassen hatte, zog sie sanft die Tür hinter sich zu. Lächelnd tapste sie durch den Flur in Richtung Küche. Es war ein Segen, dass das Haus so geräumig war. Zwar hatten ihre Eltern keine Villa im beschaulichen Grünwald gebaut, doch größenmäßig gab es genügend Raum für ihre Arbeit als spirituelle Lebensberaterin.

In der Küche traf sie auf ihren Vater. Rolf Hasenkamp saß vornübergebeugt an dem kleinen Tisch, an dem ihre Mutter früher immer Stangenbohnen in Stücke geschnitten hatte, um sie einzukochen.

»Warst du heute schon draußen?«, fragte Lilly und drückte den Knopf des Wasserkochers hinunter. Auf einem Tablett standen schon die Gläser und die Kanne mit dem Kräutertee bereit.

Ein wollener Kopf lugte unter dem Tisch hervor. Zwei schwarze Knopfaugen blickten sie verliebt an. Aphrodite wäre vermutlich von etlichen Menschen als der hässlichste Hund der Welt bezeichnet worden. Nur Lilly hatte ein Herz mit dem Pekinesen gehabt und ihn von jetzt auf gleich aus dem Tierheim adoptiert.

»Zu kalt«, antwortete Rolf einsilbig. »Bei dem Wetter schickt man nicht mal den Hund vor die Tür.«

Lillys Vater gab sich oftmals Mühe, rauer zu klingen, als er war. Als ehemaliger Lokführer war ihm vermutlich nichts anderes übriggeblieben. Rolf Hasenkamp entstammte einer anderen Zeit, einer Zeit, in der Rollen klar definiert waren. Und doch war er der liebvollste Vater, den sich eine Tochter nur wünschen konnte. Daher stellte Lilly sich hinter ihn, schlang die Arme um ihn und gab ihm einen Kuss auf den Scheitel.

»Aber dafür Papas, die man besonders liebhat«, entgegnete sie und löste sich wieder. »Und jetzt muss ich wieder zurück zu meinen Göttinnen. Geh raus, beweg dich ein bisschen und genieße die frische Luft. Das wird dir guttun nach dem Infekt.«

***

Dr. Stefan Frank war vieles: Allgemeinmediziner, Geburtshelfer, Lebensgefährte und Partner, aber vor allem war er auch ein Freund. Ein guter Freund. Obwohl seine Zeit begrenzt war, gab er sich alle Mühe, seine Freundschaften zu pflegen. Manchmal gelang es ihm nicht so, wie er es sich wünschte. Doch dann wiederum dachte er sich, dass die Begegnungen mit den Menschen, die ihm wichtig waren, dafür umso wertvoller waren.

So stand er auch an diesem Dienstagabend vor der Tür der Hasenkamps und wartete, dass ihm jemand öffnete. Natürlich war ihm bewusst, dass die gewitzte Lilly ihn nicht nur so zum Abendessen eingeladen hatte. Rolf hatte vor Kurzem zwei Wochen lang mit Grippe im Bett gelegen. Da war es nur selbstverständlich, dass sie sich wünschte, dass er nach dem Befinden ihres Vaters sah.

Stefan überlegte, ob er noch mal auf die Klingel drücken sollte, doch da flog im selben Moment die Tür auf.

Überrascht wich er einen Schritt zurück, als ein Fellknäuel auf ihn zugestürmt kam.

»Aphrodite, lass unseren Gast wenigstens erst mal ankommen«, lachte Lilly und breitete beide Arme aus.

Ein Lächeln eroberte Stefans Gesicht. Die junge Frau strotzte nur so von Energie und Lebensfreude. In Grünwald war sie als verrückte Kräuterhexe bekannt. Tatsächlich kannte er aber niemanden, der sie nicht mochte.

»Wie schön, dich zu sehen«, grüßte er sie und ließ sich in ihre herzliche Umarmung ziehen. Trotz des Altersunterschieds fühlte er sich behaglich, denn Lilly umarmte alle Menschen, die sie kannte und schätzte. Somit lief er keine Gefahr, in Verruf zu geraten.

»Willkommen in unserem bescheidenen Heim«, lachte die Lebensberaterin.

Daraufhin löste sich Stefan von ihr. »Lilly, ich ging hier schon ein und aus, als ...«

»... als ich noch in den Windeln gelegen hab, ich weiß«, beendete die kluge Frau den Satz für ihn.

»Also, wo finde ich denn den Patienten?«

Während er die Tür passierte, hüpfte Aphrodite wie ein Gummiball an ihm hoch. Jedes Mal, wenn Stefan die kleine Hündin streicheln wollte, wich sie zurück, trippelte ein paar Schritte davon und wiederholte das Spektakel.

»Der Patient steht in der Küche«, rief eine grölende Stimme. »Ich hoffe, der feine Herr Doktor mag Lammkoteletts.«

Lilly stupste Stefan am Arm an und verdrehte belustigt die Augen. Dieser erwiderte ihr Lächeln und folgte ihr in die Küche. Dabei übersah er gekonnt das kleine Chaos im Flur.

»Der feine Herr Doktor freut sich über alles, was er nicht selbst zubereiten muss. Hallo, Rolf.«

Mit einem freundschaftlichen Schlag auf die Schulter näherte er sich dem Einundsiebzigjährigen und lugte an ihm vorbei in einen Kochtopf. Darin kochten bereits die Kartoffeln. Rolf pflegte zu sagen, dass ein Essen ohne Kartoffeln kein Essen wäre.

»Hör auf, dich einzuschleimen und deck schon mal den Tisch«, erwiderte der Ältere lachend. Sein Lachen klang wie ein Rumpeln, angeschlagen vom Alter und der vorangegangenen Grippe, aber immer noch kräftig.

»Wie geht es eigentlich Vera?«, rief Stefan aus dem Esszimmer, während er drei Teller auf dem runden Tisch verteilte.