12,99 €
10 spannende Arztromane lesen, nur 7 bezahlen!
Dr. Stefan Frank - dieser Name bürgt für Arztromane der Sonderklasse: authentischer Praxis-Alltag, dramatische Operationen, Menschenschicksale um Liebe, Leid und Hoffnung. Dabei ist Dr. Stefan Frank nicht nur praktizierender Arzt und Geburtshelfer, sondern vor allem ein sozial engagierter Mensch. Mit großem Einfühlungsvermögen stellt er die Interessen und Bedürfnisse seiner Patienten stets höher als seine eigenen Wünsche - und das schon seit Jahrzehnten!
Eine eigene TV-Serie, über 2000 veröffentlichte Romane und Taschenbücher in über 11 Sprachen und eine Gesamtauflage von weit über 85 Millionen verkauften Exemplaren sprechen für sich:
Dr. Stefan Frank - Hier sind Sie in guten Händen!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 2540 bis 2549 und umfasst ca. 640 Seiten.
Zehn Geschichten, zehn Schicksale, zehn Happy Ends - und pure Lesefreude!
Jetzt herunterladen und sofort eintauchen in die Welt des Dr. Stefan Frank.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 1238
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2020 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © gpointstudio/shutterstock
ISBN: 978-3-7517-8299-9
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Dr. Stefan Frank 2540
Kann Liebe wirklich endlich sein?
Dr. Stefan Frank 2541
Der Chef
Dr. Stefan Frank 2542
Der Mann an meiner Seite
Dr. Stefan Frank 2543
Alarm im Wartezimmer
Dr. Stefan Frank 2544
Wer hat das Schicksal in der Hand?
Dr. Stefan Frank 2545
Ein Freund fürs Überleben
Dr. Stefan Frank 2546
Unverhofftes Osterglück
Dr. Stefan Frank 2547
Am Limit
Dr. Stefan Frank 2548
Wovon ich träume
Dr. Stefan Frank 2549
Zwischen zwei Männern
Start Reading
Contents
Kann Liebe wirklich endlich sein?
Wie Dr. Frank einem jungen Paar in seiner schwersten Krise beistand
Die Beziehung von Benedikt und Clara ist eigentlich perfekt. Seit fünf Jahren sind sie verheiratet, und in ihrem Freundeskreis gelten sie als Bilderbuch-Ehepaar. Nur etwas fehlt den beiden zum ganz großen Glück: ein Baby. Trotz aller Bemühungen wird Clara einfach nicht schwanger.
Ihr Arzt Dr. Stefan Frank schlägt vor, weiterführende Untersuchungen an der Münchner Waldner-Klinik vornehmen zu lassen. Doch die Zeit der Zweifel und Unsicherheiten belastet die vorher so stabile Beziehung sehr. Immer öfter kommt es zum Streit zwischen den Eheleuten, sie machen sich gegenseitig Vorwürfe, und plötzlich steht sogar der Verdacht des Seitensprungs im Raum. Ist ihre Liebe etwa am Ende?
Stefan Frank sieht, wie sich das Paar mehr und mehr voneinander entfernt. Und nicht nur das: In der Klinik macht er eine besorgniserregende Entdeckung, die vielleicht sogar erklären könnte, wieso die Liebe der beiden mehr und mehr bröckelt. Dr. Frank ist fest entschlossen, den jungen Leuten zu helfen – nicht nur dabei, ein Baby zu bekommen, sondern vor allem auch dabei, ihre kostbare Ehe zu retten …
„Oh nein, nicht schon wieder.“ Es war kurz nach sieben Uhr, als Clara Hohlbein in der Dusche stand und die roten Schlieren entdeckte, die das Wasser in der Duschwanne marmorierten. Und das, obwohl sie diesmal so sicher gewesen war. Wie ein schwarzes Tuch legte sich die Enttäuschung auf ihr Gemüt.
Ihr Mann hatte ihren Ausruf gehört. Benedikt ahnte, was er zu bedeuten hatte.
„Hat es wieder nicht geklappt?“
„Nein.“ Clara stieg aus der Dusche und wickelte sich in ein Frotteetuch. Doch auch der kuschelige Stoff konnte sie nicht trösten. Ein Glück, dass sie zumindest ihre Arbeit als Kreativdirektorin hatte. Die Beschäftigung mit der Vermarktung der Produkte lenkte sie wenigstens halbwegs von ihrem unerfüllten Kinderwunsch ab.
Ihrem Beruf hatte sie auch die Bekanntschaft mit dem Fotografen Benedikt Hohlbein zu verdanken. Die Agentur, in der er damals gearbeitet hatte, gab es zwar trotz aller Rettungsversuche inzwischen nicht mehr, aber dafür waren sie seit über fünf Jahren verheiratet. In ihrem Freundeskreis galten sie als Bilderbuch-Ehepaar: gut aussehend, erfolgreich, harmonisch. Doch zum ganz großen Glück fehlte das gemeinsame Kind, das sich einfach nicht einstellen wollte.
Benedikt schloss seine Frau liebevoll in die Arme und strich ihr eine dunkle Strähne aus der Stirn, als sie fertig angezogen in der Küche auftauchte.
„Mach nicht so ein Gesicht, Schatz. Das nächste Mal klappt es bestimmt.“
„Das sagt Dr. Roselieb auch immer. Statt sich einmal die Mühe zu machen und mich zu untersuchen.“ Clara schob die Unterlippe vor. Sie sah aus wie ein trotziges, kleines Mädchen.
„Wahrscheinlich denkt er, dass wir noch alle Zeit der Welt haben. Schließlich bist du noch keine dreißig.“
„Und was, wenn irgendwas nicht stimmt bei mir? Oder bei dir? Dann versuchen wir es so lange, bis es irgendwann zu spät ist“, hielt sie energisch dagegen, während sie in der Küche hin und her lief, im Stehen ein Knäckebrot aß und einen Espresso trank. „Nein. Ich wünsche mir jetzt ein Kind. Die Zeit ist perfekt dafür. Maria könnte meine Arbeit übernehmen, bis ich nach einem halben Jahr zurückkomme.“ Im Geiste hatte sie bereits alles geplant.
„Dann müssen wir uns eben einen Arzt suchen, der sich um unsere Probleme kümmert.“
Clara blieb vor ihrem Mann stehen und sah ihn von unten herauf an. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen.
„Und ich weiß auch schon, an wen wir uns wenden werden.“
Benedikt zog eine Augenbraue hoch.
„Ich bin gespannt.“
„Lea, meine Assistentin, hat mir die Telefonnummer ihres Hausarztes gegeben. Er heißt Dr. Stefan Frank und soll sehr nett und kompetent sein.“
„Ein Allgemeinmediziner? Meinst du, er ist der richtige Ansprechpartner für unser Problem?“, wagte Benni einen berechtigten Einspruch.
Doch Claras Augen blitzten schon wieder, ein gutes Zeichen, wie er fand.
„Dr. Frank ist auch Geburtshelfer. Deshalb denke ich, dass er die richtige Anlaufstelle für uns ist. Wenn er selbst uns nicht weiterhelfen kann, dann weiß er bestimmt, an wen wir uns wenden können.“
So kannte Benedikt seine Frau. Wenn Plan A nicht funktionierte, zauberte sie sofort einen Plan B aus der Tasche.
„Perfekt.“
Clara legte den Kopf schief und musterte ihren Mann nachdenklich.
„Was ist? Warum machst du so ein Gesicht?“
„Es ist nur …“ Benedikt stand vor ihr und nestelte am Kragen ihrer Bluse. „Was, wenn es an mir liegt?“
„Dann lasse ich mich auf der Stelle scheiden und suche mir einen anderen Vater für meine Kinder“, erwiderte Clara prompt. Bei Benedikts Anblick legte sie den Kopf in den Nacken und lachte laut heraus. „Natürlich nicht, mein Schatz!“, versicherte sie ihm schnell.
Ihr Blick fiel auf die Uhr am Herd.
„Himmel, schon fast halb acht. Ich muss los.“ Sie stellte die kleine Tasse in die Spüle. „Sehen wir uns heute Abend?“, fragte sie, während sie im Flur in die Pumps schlüpfte. „Ich schätze, ich bin gegen acht zurück.“
„Bei mir könnte es ein bisschen später werden. Ich habe am Nachmittag noch einen Auftrag, der bis in die Abendstunden dauern kann. Aber spätestens um neun bin ich auch zu Hause.“
„Was für einen Auftrag?“, fragte Clara und gab Benedikt einen Abschiedskuss.
„Ein Autohersteller will Fotos von seiner Fertigungsstraße haben, zuerst mit, dann ohne Arbeiter“, erwiderte er und sah gar nicht glücklich aus. „Die Industriefotografie ist ein einträgliches Geschäft. Aber ehrlich gesagt würde es mich schon mal wieder reizen, ein Projekt mit Tieren zu machen.“
„Wenn das dein Wunsch ist, musst du ihn Wirklichkeit werden lassen.“
„Wenn ich demnächst Familienvater sein werde, sollte ich mich auf die Dinge konzentrieren, die Geld bringen.“ Benni schnitt eine Grimasse und küsste seine Frau noch einmal, ehe es wirklich Zeit wurde, den Arbeitstag in Angriff zu nehmen.
***
„Mit Sicherheit ginge es dir wesentlich besser, wenn du dir endlich wieder eine Arbeit suchen würdest.“ Tatjana Konen saß am Esszimmertisch ihrer Wohnung und sah ihren Bruder Sascha aufmerksam an.
Vor knapp zwei Monaten hatte die Wissenschaftlerin sein Hilferuf ereilt. Natürlich hatte Tatjana nicht gezögert und Sascha eingeladen, zu ihr nach München zu kommen. Seitdem teilte sie ihr Reich mit ihm. Es war die Wohnung einer Person, die das große Einmaleins des guten Geschmacks beherrschte. Das war schon bei den ersten Schritten auf dem makellosen Schiffsboden in Eiche klar.
Im schwindelerregend hohen Flur hingen großformatige Schwarz-Weiß-Fotografien ihrer vielen Reisen, die sie als Vogelkundlerin in ferne Länder geführt hatten. Das Wohnzimmer war geprägt von einer cremefarbenen Wohnlandschaft mit anthrazitfarbenen Kissen, hinter der in einem Regal aus Eiche ein paar ausgesuchte Skulpturen aus Speckstein und Granit standen.
In die abgehängte Decke waren unsichtbare Spots eingelassen, die dem schlichten Ambiente einen heimeligen Touch verliehen. In dieser Pracht verharrte Sascha seither und wartete darauf, dass sein seelisches Tief vorüberzog und er wieder arbeiten konnte. Er hob seine Kaffeetasse und nippte daran.
„Kannst du Gedanken lesen?“ Über den Rand der Tasse sah er seine Schwester an. Endlich wirkte sein Blick wieder lebhaft und lebendig. „Darüber habe ich heute früh auch schon nachgedacht.“ Seine Augen klebten förmlich an ihrem Gesicht.
Ein Glück, dass sie seine Schwester war. Sonst hätte Sascha sich augenblicklich in sie verliebt mit ihren blonden Locken und den grünen Augen, die so geheimnisvoll schimmern konnten. Tatjana war einfach atemberaubend attraktiv, und er verstand nicht, warum sie nicht längst verheiratet war.
Der Blick ihres Bruders machte sie verlegen.
„Und? Zu welchem Schluss bist du gekommen?“, fragte sie und lehnte sich zurück. Die Sonne schien freundlich durch die Fenster, Staubkörner tanzten in der Luft.
„Dass ich gerne hier in München bleiben und mir hier eine Stelle suchen würde.“
„Warum nicht? Wenn ich endlich einen Fotografen für mein Projekt in Neuseeland gefunden habe, bin ich sowieso erst mal eine Weile unterwegs. Mal abgesehen davon, dass die Wohnung ohnehin groß genug für zwei ist.“
Saschas Lächeln wurde breiter.
„Ich hatte gehofft, dass du das sagst.“ Er zog die Zeitung zu sich, schlug sie aber nicht auf. Eine Wolke schob sich über sein Gesicht. „Ein Problem habe ich aber trotzdem noch.“
„Und das wäre?“
„Die krankheitsbedingte Auszeit in meinem Lebenslauf macht sich nicht gerade gut. Was wird ein potenzieller Arbeitgeber dazu sagen?“
„Du bist nicht verpflichtet, ihm den Grund für deine Erkrankung zu nennen. Hauptsache, du bist vollständig genesen und einsatzfähig.“ Tatjana warf einen Blick auf die Uhr. Höchste Zeit, in die Uni zu fahren.
Sie leerte ihre Tasse und stand auf.
„Aber ich habe da eine Idee. Ich werde mal Dr. Stefan Frank fragen, meinen Hausarzt. Vielleicht kennt er eine Klinik, die einen examinierten Krankenpfleger sucht, und kann dich empfehlen.“
Sascha musterte seine Schwester von unten herauf.
„Und meine Diagnose?“
„Natürlich werde ich ihm sagen, dass du unter Depressionen gelitten hast. Das ist ja keine Schande. Aber als Arzt weiß Dr. Frank, dass alles gut ist, solange du deine Medikamente nimmst.“
Sie legte eine Hand auf Saschas Schulter.
„Mach nicht so ein Gesicht! Dr. Frank ist ein Arzt wie aus dem Bilderbuch. Kompetent, menschlich, empathisch. Außerdem interessiert er sich nicht nur für die medizinische Seite, sondern auch für die Psyche seiner Patienten. Ich bin sicher, er kann uns weiterhelfen.“
Sascha schnitt eine Grimasse und schob die Zeitung wieder weg.
„Dein Wort in Gottes Ohr. Dann warte ich mal auf Neuigkeiten von dir, Schwesterherz.“
Tatjana beugte sich zu ihm hinab und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Zum ersten Mal seit Wochen hatte sich Sascha an diesem Morgen wieder rasiert und wirkte wie ein neuer Mensch.
„Inzwischen könntest du dem Friseur an der Ecke einen Besuch abstatten. Danach wirst du dich vor Angeboten kaum retten können. Und ich meine nicht nur Stellenangebote.“
Sie lachten kurz zusammen. Dann wurde es wirklich allerhöchste Zeit zum Aufbruch. Tatjana schlüpfte in die Jacke, hängte die Tasche über die Schulter und griff nach dem Schlüssel. Wenig später trat sie hinaus ins helle Licht des noch jungen Morgens.
Zum ersten Mal seit vielen Monaten duftete die Luft wieder nach frisch gemähtem Gras und Erde. An allen Ecken und Enden regte sich das Leben. Eine Bande Spatzen stob zwitschernd vorbei. Tatjana sah ihnen nach, bis sie in einem Gebüsch verschwunden waren.
Lächelnd machte sie sich auf den Weg zur Arbeit, randvoll mit Dankbarkeit, dass es nicht nur mit dem Wetter, sondern endlich auch mit ihrem Bruder bergauf ging.
***
Wie zu fast jeder Tageszeit ging es auch mittags hoch her in der fast voll besetzten Leitner-Klinik. Ärzte eilten alleine, zu zweit oder in Grüppchen über die Flure. Bewaffnet mit Blumensträußen suchten Besucher nach den Zimmern ihrer Lieben.
Essensgeruch lag in der Luft. Schwestern und Pfleger schoben Wägelchen durch die Gänge und verteilten Tabletts mit dem Mittagessen in den Zimmern. Wenn ein Patient Hilfe brauchte, holten sie Kollegen zur Unterstützung.
Ein solcher Kandidat war Florian Wirth, ein Patient von Dr. Stefan Frank. Seine Nierenoperation lag erst ein paar Tage zurück, und er fühlte sich noch nicht wieder sicher auf den Beinen. Seinem Kreislauf zuliebe sollte er seine Mahlzeit trotzdem am Tisch einnehmen.
„Je schneller das normale Leben wieder einkehrt, umso komplikationsloser verläuft der Genesungsprozess“, erklärte Schwester Greta. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“ Nachdem sie das Tablett auf dem Tisch abgestellt hatte, führte sie Florian an den Tisch am Fenster. Von hier aus hatte man einen schönen Blick hinüber in den Englischen Garten.
Das helle Grün der jungen Blätter an den Bäumen leuchtete, als hätte ein Maler sie eben erst mit dem Pinsel dorthin getupft. Mütter schoben Kinderwagen über Kieswege und wurden von Joggern und Spaziergängern mit Hunden überholt. Doch im Augenblick hatte Florian nur Augen für die Schwester mit den Sommersprossen und den geflochtenen Zöpfen, die links und rechts auf ihren Schultern tanzten.
Greta stand ihm zur Seite, seit er die Klinik vor vierzehn Tagen zum ersten Mal betreten hatte. Und mit jedem Treffen freute er sich ein bisschen mehr, sie wiederzusehen.
„Vielen Dank, das ist wirklich sehr nett von Ihnen.“ Sein Puls raste nicht nur vor Anstrengung, als er sich auf den Stuhl fallen ließ.
Schwester Greta nahm den Deckel vom Tablett und legte ihn zur Seite. Schnuppernd hob Florian die Nase.
„Hmm, das riecht ja mal wieder köstlich.“ Er lächelte schief. „Wenn ich das daheim auch nur halb so gut hinbekäme, wäre ich schon glücklich. Kochen ist Hexenwerk für mich.“
„Wenn Sie sich Tipps von mir erhofft haben, muss ich Sie leider enttäuschen“, erwiderte Greta. Als sie lachte, tanzten Grübchen auf ihren Wangen. „In der Küche bin ich eine echte Fehlbesetzung. Mir brennt sogar das Nudelwasser an.“
Dafür konnten sich ihre schauspielerischen Qualitäten offenbar durchaus sehen lassen. Zumindest schien Florian nicht zu bemerken, dass sie sich an diesem Mittag ganz und gar nicht wohlfühlte in ihrer Haut.
Schon beim Aufstehen hatte sie sich gefühlt, als hätte sie die Nacht durchgefeiert. Der Kopf schmerzte mit den Gliedern um die Wette. Aus zwei Gründen hatte sie sich nicht krankgemeldet: Einer saß vor ihr. Ein zweiter war die Tatsache, dass in der Waldner-Klinik jede helfende Hand gebraucht wurde.
So blieb ihr nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und Florians prüfendem Blick standzuhalten.
„Sie können mir ruhig glauben.“
„Tja, dann habe ich wohl keine andere Wahl, als Sie zum Essen einzuladen.“ Er lachte spitzbübisch, und wenn möglich, schlug Gretas Herz noch schneller.
„Oh.“ Sie spürte die Hitze in ihren Wangen. Es war nicht ihre Art, mit Patienten zu flirten, und schon gar nicht, sich mit ihnen zu verabreden. Florian war der Erste, der ihre Überzeugung gefährlich ins Wanken brachte. „Jetzt werden Sie erst einmal gesund. Und dazu gehört, dass Sie anständig essen. Wenn möglich, bevor das Essen eiskalt ist.“
Sie zwinkerte ihm zu und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen.
„Ich komme später wieder und helfe Ihnen zurück ins Bett“, versprach sie an der Tür.
Florian nahm all seinen Mut zusammen.
„Ist das ein Ja oder ein Nein?“, fragte er.
„Ein Vielleicht“, erwiderte Schwester Greta und schlüpfte aus dem Zimmer. Mit leisem Klacken fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Doch das hörte sie schon nicht mehr. Seufzend sank sie auf dem Flur in sich zusammen.
„Um Gottes willen!“ Dr. Ulrich Waldner, der Klinikchef, verfiel in einen Laufschritt und kniete gleich darauf neben Greta nieder. „Schnell, eine Liege!“, rief er, nachdem er mit einer Taschenlampe die Pupillenreflexe kontrolliert und den Puls gezählt hatte.
In Windeseile wurde eine Liege herangeschafft und Greta mit vereinten Kräften hochgehoben und in ein Behandlungszimmer gebracht. Wenig später blinzelte sie ins Deckenlicht.
„Wo bin ich?“ Ihr Blick flog hin und her, ehe er an Ulrich Weidner hängen blieb.
Er zog das Stethoskop von den Ohren. Eine tiefe Falte stand zwischen seinen Augen.
„Da sind Sie ja wieder.“
„Wo bin ich?“, wiederholte sie ihre Frage.
„Da, wo Sie hingehören“, erwiderte er streng. „Was haben Sie sich dabei gedacht, in diesem Zustand zur Arbeit zu kommen?“
„Aber ich hatte doch nur ein bisschen Kopfweh“, widersprach sie und senkte den Blick.
„Und was ist mit dem Fieber?“
„Heute früh war es nur leicht erhöhte Temperatur.“
„Gliederschmerzen?“, setzte Dr. Waldner das Verhör unerbittlich fort.
Am liebsten hätte sich Schwester Greta in Luft aufgelöst.
„Ja“, piepste sie wie eine Maus.
„Haben Sie noch andere Symptome? Husten? Halsweh?“
„Nein. Nichts. Dafür ein Kribbeln im Nackenbereich.“ Sie deutete auf die entsprechende Stelle.
Dr. Waldner beugte sich über sie.
„Im Augenblick ist nichts zu sehen.“ Im Geiste fasste er die Symptome zusammen. Leichtes Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Abgeschlagenheit konnten alles Mögliche bedeuten. Entscheidend war Gretas letzter Hinweis. „Hatten Sie als Kind Windpocken?“
„Wie fast alle Kinder“, bestätigte Schwester Greta.
Dr. Waldner nickte.
„In diesem Fall liegt der Verdacht nahe, dass Sie an einer Gürtelrose leiden.“
Gürtelrose? Auf diese Idee wäre Greta nie und nimmer gekommen.
„Wie kann das sein?“ Schwach, wie sie sich fühlte, kam sie einfach nicht darauf.
„Nach dem Abheilen der Windpocken verbleiben die Viren im Körper und ziehen sich in Nervenzellkörper entlang des Rückenmarks zurück“, erklärte Ulrich Waldner.
Natürlich! Die Nebelschwaden vor ihrem Geist lichteten sich zumindest ein bisschen.
„Sie heißen Spinalganglien.“
„Richtig.“ Ulrich nickte. „Dort können sie lebenslang inaktiv „schlummern“ und aufwachen, wenn das Immunsystem angeschlagen ist.“ Die Falten auf seiner Stirn glätteten sich.
Solange der Ausschlag noch nicht ausgebrochen war, bestand keine Möglichkeit, einen Patienten mit Windpocken zu infizieren, falls der sie noch nicht durchgestanden hatte. Eine direkte Ansteckung mit Gürtelrose war nicht möglich, da diese erst ausbrechen konnte, wenn in Nervenzellen eingenistete Viren reaktiviert wurden. Wenigstens das war eine positive Nachricht.
„Warum sind Sie denn heute Morgen nicht zu Hause geblieben?“, erkundigte er sich fürsorglich.
Greta atmete heimlich auf.
„Momentan ist doch so viel los. Da wollte ich meine Kollegen nicht im Stich lassen.“
„Die personelle Situation lassen Sie mal meine Sorge sein“, erwiderte der Klinikchef, bemüht darum, seine wahren Gedanken zu verbergen.
Denn im Grunde genommen hatte Schwester Greta recht: Die Klinik konnte es sich kaum erlauben, auf Personal zu verzichten. Das hatte seinen guten Grund. Auch an einem renommierten Krankenhaus wie der Waldner-Klinik ging der Pflegenotstand nicht spurlos vorbei.
„Ich werde mich noch heute um Ersatz kümmern, und ich bin guter Dinge, dass Sie und Ihre Kollegen demnächst entlastet werden.“
Gleich ein ganzes Gebirge rutschte Greta vom Herzen. Ein Hauch Farbe kehrte in ihre Wangen zurück.
„Sie sind wirklich ein toller Chef.“
Trotz aller Sorgen spielte ein Lächeln um Ulrich Waldners Mundwinkel.
„Sie sollten wissen, dass Sie nicht alleine sind. Ich habe immer ein offenes Ohr für meine Mitarbeiter.“
Diese Worte trieben Greta Tränen in die Augen. Sie griff nach der Hand ihres Chefs und drückte sie.
„Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“
„Indem Sie sich von einem Kollegen gründlich untersuchen lassen und dann nach Hause gehen, um so schnell wie möglich wieder gesund zu werden“, sprach Ulrich Waldner ein Machtwort.
„Aber die viele Arbeit …“
„Schwester Greta!“
„Schon gut.“ Abwehrend hob sie die Hände. „Ich habe verstanden.“
„Ich rechne fest damit, dass wir spätestens Anfang nächster Woche Verstärkung bekommen.“ Dr. Waldner wusste selbst nicht, woher er diese Zuversicht nahm. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass immer alles irgendwie gut wurde. Auch diesmal würde es nicht anders sein.
Das wollte er Greta gerade sagen, als ein schriller Piepton die Luft zerriss. Ein Notfall! Ein kurzer Gruß, und Ulrich verließ den Behandlungsraum. Schwester Greta dagegen sank zurück auf die Liege. Während sie auf einen Arzt wartete, der den Verdacht des Chefs bestätigte, schloss sie die Augen und gab ihrer Erschöpfung nach.
***
Wenn erst einmal ein Entschluss gefasst war, fackelte Clara Hohlbein nicht lange. Schon für den nächsten Vormittag hatte sie einen Termin bei Dr. Stefan Frank vereinbart. Gemeinsam mit ihrem Mann saß sie im Wartezimmer und beobachtete, wie Dr. Frank eine Patientin – blond und schlank – an die Theke brachte und sich von ihr verabschiedete.
Die Blicke der beiden Frauen begegneten sich nur kurz, aber lange genug, dass Clara die ungewöhnlich grünen Augen bewundern konnte. Doch der Moment ging vorbei, und im nächsten Augenblick tauchte Dr. Frank im Wartezimmer auf.
„Herr und Frau Hohlbein.“ Er sah sich suchend um.
Clara und Benedikt erhoben sich und folgten ihm ins Behandlungszimmer. Vor dem Schreibtisch standen zwei Stühle bereit. Nach ein paar Floskeln über das angenehme Frühlingswetter kamen sie zum Thema.
Ihre gemeinsame Geschichte war schnell erzählt. Als sie geendet hatten, saß Dr. Frank dem Ehepaar ein wenig ratlos gegenüber.
„So leid es mir tut, aber für eine Kinderwunschbehandlung bin ich der falsche Ansprechpartner“, erklärte er und machte keinen Hehl aus seinem Bedauern. Erstaunt bemerkte er das Lächeln, das um Claras Lippen spielte.
„Keine Sorge, das war mir von Anfang an klar“, versicherte sie. „Nachdem meine Freundin aber so begeistert von Ihnen ist, dachte ich, es wäre eine gute Idee, Sie wenigstens um Rat zu fragen.“
„Im Internet muss man nur die Begriffe Kinderwunschbehandlung und München eingeben, und schon erhält man sage und schreibe 44.000 Ergebnisse“, bestätigte Benedikt lächelnd. „Als Laie ist man da hoffnungslos überfordert. Und auch die Erfahrungsberichte bringen einen nicht weiter.“ Während er sprach, hielt er die Hand seiner Frau. Es war unschwer zu erkennen, wie nervös er war.
„Darf ich fragen, was Ihr Frauenarzt dazu sagt?“, wandte sich Dr. Frank an Clara Hohlbein.
„Nichts.“ Sie wedelte mit der Hand durch die Luft, als wollte sie eine lästige Fliege vertreiben. „Herr Dr. Roselieb steht auf dem Standpunkt, dass ich noch jung genug bin und alle Zeit der Welt habe, Mutter zu werden. Das war auch der Grund, warum er es noch nicht einmal für nötig befunden hat, mich gründlich zu untersuchen.“
Dr. Frank griff nach dem Kugelschreiber und machte sich Notizen in der neu angelegten Patientenakte.
„Dann wissen Sie also noch gar nicht, ob es sich um Hormonstörungen, verklebte Eileiter oder möglicherweise ein Problem bei Ihnen“, er sah hinüber zu Benedikt, „handelt?“
„Wir haben keine Ahnung, woran es liegen könnte.“
„Das ist natürlich die Grundvoraussetzung für jede weitere Behandlung.“
Clara sah hinüber zu ihrem Mann. Ihre Augen strahlten wie zwei Sterne.
„Siehst du! Ich hab dir doch gesagt, dass wir bei Dr. Frank in den besten Händen sind.“ Der Triumph in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Benedikt schien ihre Meinung zu teilen. Seine Züge hatten sich sichtlich entspannt.
„Ehrlich gesagt, habe ich ein bisschen Angst davor, dass sich herausstellen könnte, dass es an mir liegt“, gestand er. „Aber dann möchte ich mich wenigstens einem Arzt anvertrauen, der Verständnis für meine Situation hat. Bei dem Frauenarzt meiner Frau scheint das ja nicht der Fall gewesen zu sein.“
„Verständlich. Allerdings ist es müßig, Spekulationen über mögliche Ursachen anzustellen“, erwiderte Stefan Frank. Er hatte die Zeit genutzt, um sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen. „Einige Untersuchungen könnte ich durchaus hier in der Praxis durchführen. Da aber weiterführende Checks oder sogar eine Behandlung nötig werden könnte, würde ich Sie gerne an meinen Freund und Kollegen Dr. Ulrich Waldner überweisen.“
Er lehnte sich zurück und musterte das Ehepaar mit offenem Blick.
„Auch seine Klinik ist kein Kinderwunschzentrum. Allerdings können hier weiterführende Untersuchungen gemacht werden. Von der Prüfung der Tubendurchlässigkeit über ein Spermiogramm bis hin zu Hormonstörungen und anderen Ursachen kann dort alles abgeklärt und behandelt werden. Sie können sicher sein, dass Ihr sensibles Problem dort in den besten Händen ist. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer“, versprach Dr. Frank.
„Lieber nicht, Ihre Hand brauchen Sie noch.“ Benedikt lachte erleichtert auf. Stefan Frank war ein kleines Wunder gelungen: Seine Sorgen hatten sich in Luft aufgelöst.
„Wir vertrauen Ihnen auch ohne diesen Beweis“, teilte Clara die Meinung ihres Mannes.
„Umso besser“, erwiderte Stefan schmunzelnd.
Der Rest war nur noch Formsache. Mit dem Versprechen, sich noch am selben Tag mit Dr. Waldner in Verbindung zu setzen, brachte Dr. Stefan Frank seine Besucher zur Tür.
Zufrieden kehrte er an den Schreibtisch zurück und hob den Hörer. Bei dieser Gelegenheit konnte er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und die Bitte seiner Patientin Tatjana Konen an den Mann bringen. Sie war auf der Suche nach einer Stelle für ihren Bruder Sascha, und er hatte sofort an seinen Freund Ulrich gedacht.
Wie der Zufall es wollte, hatte der ihn tags zuvor um Rat gefragt. Ein Knacken im Hörer lenkte Stefan von seinen Gedanken ab.
„Waldner hier“, meldete sich Ulrich und klang ein wenig abwesend. Wahrscheinlich begutachtete er nebenbei eine Röntgenaufnahme oder studierte eine Patientenakte.
„Hallo, Uli, stell dir vor, du hattest wieder einmal recht“, verkündete Stefan launig. „Es wird fast immer alles gut.“
***
„Ich frage mich, warum ausgerechnet ich nach Hamburg fliegen soll“, murmelte Clara, als sie zwei Tage später Werbematerialien und ein paar Dosen des neuen Sportler-Eiweiß-Pulvers in einen Koffer packte.
Hatte sie auch an alles gedacht? Power-Point-Präsentation, Flyer, Probepäckchen in verschiedenen Geschmacksrichtungen?
„Na ja, wird schon alles drin sein.“ Sie klappte den Deckel zu und zerrte am Reißverschluss. Im nächsten Moment war ein leises Knacken zu hören. Clara verdrehte die Augen. „Ich will gar nicht wissen, was das jetzt war.“
„Zumindest kein ausgelaufenes Shampoo“, versuchte Benni seine Frau zu trösten. Er saß im Arbeitszimmer am Computer und bearbeitete seine Fotos. „Das ist mir bei der letzten Reise passiert. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für eine Schweinerei war.“
Clara lachte und beugte sich von hinten über ihn.
„Selbst schuld, wenn du auch immer kiloweise Schönheitselixiere mit dir herumschleppst. Dabei bist du ein Mann und hast das gar nicht nötig“, raunte sie ihm ins Ohr und küsste seinen Nacken. „Ich sollte wirklich hierbleiben. Jeder Tag ohne dich ist ein verlorener Tag.“
Ihr warmer Atem jagte Benedikt einen wohligen Schauer über den Rücken.
„Dann freust du dich umso mehr darauf, wenn du wieder bei mir bist“, erwiderte er mit rauer Stimme.
„Und was ist mit dir?“
„Ach, ich bin so beschäftigt mit diesem Auftrag, dass ich kaum Zeit habe, an etwas anderes zu denken.“
Benedikt betrachtete das Foto, das er gerade bearbeitete. Fabrikschornsteine und Kuppeln aus verrostetem Eisen im Licht der untergehenden Sonne. Er hatte es in der vergangenen Woche in der Völklinger Hütte geschossen, einem stillgelegten Stahlwerk.
„Ich werde kaum bemerken, dass du nicht da bist.“
Eigentlich war das der Traum einer jeden verheirateten Frau. Das wusste Clara nur zu gut. Es gab genügend Männer, die es nicht gerne sahen, wenn ihre Frau auf Geschäftsreise war. Trotzdem ärgerte sie sich über Bennis offensichtlichen Gleichmut.
„Es scheint dir ja nicht gerade viel auszumachen, dass ich unterwegs bin“, erwiderte sie.
„Du kommst doch wieder. Oder etwa nicht?“ Benedikt zwinkerte ihr zu. „Außerdem gönne ich dir ein bisschen Abwechslung. Nach den Aufregungen um die vermeintliche Schwangerschaft schadet ein Tapetenwechsel nicht.“
Unwillig verzog Clara die geschminkten Lippen. Die Worte ihres Mannes erinnerten sie an das, was vor ihrer Abreise noch auf sie wartete. Dr. Frank hatte Wort gehalten und ihnen kurzfristig einen Termin in der Waldner-Klinik besorgt. Clara musste nur daran denken, und schon begann ihr Herz aufgeregt zu flattern.
Benni schien ihre Gedanken zu lesen.
„Davor müssen wir aber noch zu Dr. Waldner“, erwiderte er düster. Dr. Franks hoffnungsvolle Worte hatten ihre Wirkung verloren. Drohend wie ein Wirbelsturm kam der Termin unaufhaltsam auf ihn zu. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, wenn das vorbei ist.“
„Das verstehe ich nicht. Freust du dich nicht darüber, dass sich endlich jemand um uns kümmert? Dass wir endlich Gewissheit bekommen, warum es mit unserem Wunschkind nicht klappen will?“
Benedikt stand auf und trat an eines der Regale, welches randvoll mit technischem Gerät war. Um seinen nervösen Händen etwas zu tun zu geben, kramte er in der Fotoausrüstung.
„Vielleicht hat dein Dr. Roselieb recht, und du bist wirklich zu ungeduldig“, murmelte er vor sich hin. „Kann es nicht sein, dass du dich viel zu sehr unter Druck setzt und es deshalb nicht funktioniert?“ Er spürte ihren Blick in seinem Rücken und drehte sich um.
Claras Augen funkelten gefährlich.
„Willst du damit sagen, dass es meine Schuld ist, dass ich nicht schwanger werde?“, fauchte sie wie eine Wildkatze.
Als Benni diese Seite an seiner Frau vor ein paar Monaten zum ersten Mal erlebt hatte, war er erschrocken gewesen. Doch inzwischen hatte er sich daran gewöhnt. Er verstand ja, dass die unerfüllte Sehnsucht nach einem Kind zermürbend war – für Clara offenbar noch mehr als für ihn selbst. Aber warum sie deshalb immer gleich so kratzbürstig sein musste, das konnte er nicht nachvollziehen.
„Du kannst es ruhig sagen! Du denkst, dass ich zu hysterisch bin.“
Benedikt unterdrückte ein Seufzen. Sie führten diese Diskussion nicht zum ersten Mal. Aus Erfahrung wusste er: Alles, was er im Augenblick zu diesem Thema sagte, würde Clara gegen ihn verwenden. Am besten, er hielt den Mund oder wechselte das Thema.
„Ich bin gespannt, wie das Buch über die deutschen Industriedenkmäler wird.“ Er nahm einen Prospekt aus dem Regal, den sein Auftraggeber ihm geschickt hatte. „Wusstest du, dass die Völklinger Hütte das erste Industriedenkmal aus der Hochzeit der Industrialisierung ist, das in die Welterbenliste der UNESCO aufgenommen wurde? Es war ein tolles Erlebnis, dort Aufnahmen zu machen.“
Clara starrte ihren Mann einen Moment lang mit offenem Mund an. Dann wandte sie sich ab und konzentrierte sich wieder auf ihr Gepäck. Doch es wollte ihr nicht recht gelingen.
„Wenn wir die Untersuchung morgen hinter uns gebracht haben, wird es uns beiden besser gehen“, lenkte sie schließlich ein.
Benedikt atmete auf. Der Tornado hatte sich in ein laues Lüftchen verwandelt. Die Gefahr war gebannt.
„Du hast recht.“ Er trat wieder hinter sie und legte die Hände auf ihre Schultern. „Ich sollte froh sein, dass wir bald Gewissheit haben. Keine Ahnung, warum ich so nervös bin“, gestand er zerknirscht.
„Wahrscheinlich ist es genau so, wie du sagst, und ich setze uns zu viel unter Druck.“ Clara legte den Kopf an seine Brust. Sie schloss die Augen.
Benedikt beugte sich über sie und küsste sie. Ihr verlangender Kuss versetzte ihn in Aufruhr.
„Was hältst du davon, wenn wir den Termin sausen lassen und gemeinsam nach Hamburg fahren?“, raunte er ihr ins Ohr und ließ die Hände über ihren Rücken gleiten. Durch den dünnen Stoff der Bluse spürte er ihre Wärme. „Neben deinen Meetings bleibt bestimmt genügend Zeit für einen kleinen Liebesurlaub.“
Seine Hände schlüpften unter die Bluse. Ihre Haut war verführerisch zart.
„Vielleicht löst sich unser kleines Problem dort ganz von selbst.“ Dieser Vorschlag war nicht ohne Risiko. Gut möglich, dass sich Clara im nächsten Atemzug wieder in die Wildkatze verwandelte. Doch Benni hatte einen günstigen Zeitpunkt erwischt.
„Meinst du?“ Willig überließ sich Clara den Verführungskünsten ihres Mannes. Ein leises Seufzen schlüpfte über ihre Lippen. „Leider können wir den Termin in der Klinik nicht mehr absagen. Das wäre mir schrecklich unangenehm, wo sich Dr. Frank so sehr für uns eingesetzt hat.“
Ernüchtert zog Benedikt die Hände zurück.
„Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die Sache hinter uns zu bringen.“
Er richtete sich auf, fuhr sich durch das Haar und verließ das Zimmer. Dabei verstand er sich selbst nicht mehr. Clara hatte recht. Endlich geschah etwas. Und was tat er? Er versuchte, sich zu drücken. Aus gutem Grund.
„Was soll aus unserer Ehe werden, wenn sich herausstellt, dass es an mir liegt?“, fragte er sein Spiegelbild im Bad.
Clara dagegen stand im Arbeitszimmer und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war. In letzter Zeit verstand sie ihren Mann immer weniger. Sie war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass ein gemeinsames Kind ihrer beider Wunsch war, die Krönung ihrer Liebe. Hatte sie sich geirrt?
***
Normalerweise nutzte Dr. Stefan Frank die sprechfreien Zeiten, um Befunde zu diktieren, mit Kollegen Kontakt aufzunehmen oder Hausbesuche zu machen. An diesem Mittwochnachmittag führte ihn sein Weg aber in die Waldner-Klinik. Zum einen wollte er nach seinem Patienten Florian Wirth sehen, zum anderen Ulrich Waldner einen Besuch abstatten.
„Und? Was hältst du davon?“, fragte sein Freund, als die beiden bei Kaffee und Gebäck in der Besucherecke des Chefbüros saßen.
Stefan blätterte durch die Bewerbungsunterlagen von Sascha Konen. Eine Falte teilte seine Stirn.
„Seine Schwester Tatjana hat mich ja schon davor gewarnt, dass der Lebenslauf ihres Bruders ein bisschen ungewöhnlich ist“, erinnerte er sich an das Gespräch vor ein paar Tagen. „Aber dass sein Werdegang so abwechslungsreich ist, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet“, räumte er ein. „Das kann man so oder so sehen.“
Ulrich ahnte, was sein Freund damit sagen wollte.
„Entweder, Herr Konen ist ein sehr unsteter Mann, oder aber, er will möglichst viel Berufserfahrung in den unterschiedlichsten Bereichen sammeln.“
Stefan wiegte den Kopf.
„Möglich, dass seine Depressionen für diesen Lebenslauf verantwortlich sind. Frau Konen hat mir allerdings versichert, ihr Bruder sei gut auf die neuen Medikamente eingestellt.“
„Sehr löblich, dass die beiden mit offenen Karten spielen“, bemerkte Ulrich. „Ich finde, dass so ein Verhalten honoriert werden muss.“
Stefan lächelte und gab die Bewerbungsmappe zurück.
„Dann hast du deine Entscheidung bereits getroffen?“
„Fast.“ Dr. Waldner zwinkerte seinem Freund zu und trank einen Schluck Kaffee. „Beim Probearbeiten gab es keinen Grund zum Klagen. Herr Konen hat professionell und ordentlich gearbeitet. Die Patienten waren allesamt zufrieden. Das ist zumindest das, was mir Schwester Hilde berichtet hat.“
Stefans Blick kehrte zu dem Bewerbungsfoto auf dem Deckblatt zurück.
„Kein Wunder. Er sieht ja auch gut aus.“
„Ein bisschen zu gut vielleicht.“
„Bist du etwa eifersüchtig?“ Stefan lachte, und Ulrich lachte mit ihm.
„Aus diesem Alter bin ich zum Glück heraus. Nur, wenn es um meine Ruth geht, da verstehe ich keinen Spaß. Aber ich hoffe einfach, dass sie weiß, was sie an mir hat. Darum geht es also nicht.“
„Sondern?“, forschte Stefan Frank weiter.
„Ich weiß nicht genau“, räumte Ulrich Waldner widerstrebend ein. „Dieser Mann hat etwas an sich, was mich stört. Aber das ist mehr so ein Gefühl.“ Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er die trüben Gedanken wegwischen. „Zum Glück gibt es ja eine Probezeit. Wenn es doch nicht passt, trennen sich unsere Wege eben wieder.“
„Du hast ihn also schon eingestellt?“ Die Kaffeetasse klirrte leise, als Stefan sie zurück auf den Tisch stellte. Normalerweise arbeitete sein Freund nur mit Menschen zusammen, die ihn voll und ganz überzeugt hatten.
Nach einem Blick auf die Uhr erhob sich der Klinikchef.
„Das Pflegepersonal ist jetzt schon hoffnungslos überlastet“, erklärte er auf dem Weg zur Tür. Eine meiner fleißigsten Schwestern ist an Gürtelrose erkrankt, die mit Sicherheit stressbedingt ist. In meinen Augen ein Alarmsignal. Ich darf die Gesundheit meiner Mitarbeiter nicht aufs Spiel setzen.“ In seine Worte hinein klopfte es.
Auch Stefan Frank stand auf.
„Das werden Herr und Frau Hohlbein sein. Ich bin gespannt, ob du ihnen helfen kannst.“
Ulrich öffnete die Tür. Doch es waren nicht Clara und Benedikt, die ihren Termin beim Klinikchef wahrnehmen wollten.
„Der neue Pfleger Sascha will Sie sprechen“, verkündete Ulrichs Chefsekretärin Ute Morell und deutete auf den Mann, der mit dem Rücken zu ihnen stand und den Kunstdruck an der Wand bewunderte.
„Das ist ja eine Überraschung!“ Dr. Waldner trat auf den Pfleger zu. „Eigentlich hatte ich Sie erst morgen früh erwartet.“
Sascha drehte sich um und bedachte seinen neuen Chef und dessen Besucher mit einem strahlenden Lächeln. Es war eine Spur zu strahlend für Stefans Geschmack.
„Ich konnte es kaum erwarten, meine neue Arbeitsstelle anzutreten“, erklärte er und hielt zuerst dem Klinikchef und dann Dr. Frank die Hand hin. Ulrich stellte seinen Freund vor, und Saschas Augen blitzten auf.
„Dann sind Sie also der Mann, dem ich diese Chance zu verdanken habe.“ Einen Moment lang sah er aus, als wollte er Stefan um den Hals fallen.
„Zu viel der Ehre.“ Abwehrend hob Dr. Frank die Hände. „Ich habe lediglich den Kontakt geknüpft. Nicht mehr und nicht weniger.“
„Warum so bescheiden, Doktor?“ Sascha klopfte Stefan auf die Schulter. Bevor der Gelegenheit zu einem Kommentar hatte, wandte sich der neue Pfleger schon wieder an seinen Chef. „Ich nehme an, meine Arbeitskleidung bekomme ich auf der Station?“
Es war Ulrich anzusehen, dass ihn die Energie des Mannes überraschte. Schwer vorstellbar, dass er depressiv sein sollte. Die Medikamente schienen hervorragend anzuschlagen.
„Mit solchen Fragen wenden Sie sich bitte an die Oberschwester. Sie wird froh sein, so schnell Unterstützung zu bekommen.“
Sascha strahlte von einem Ohr zum anderen.
„Sie glauben gar nicht, wie gut es tut, nach so langer Zeit endlich wieder eine Aufgabe zu haben.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich, um sich auf den Weg zu seiner neuen Wirkungsstätte zu machen. Stefan wartete, bis sie mit Ute Morell allein im Vorzimmer waren.
„Schon erstaunlich, wie unterschiedlich Geschwister sein können“, stellte er fest.
Plötzlich wehten aufgeregte Stimmen von draußen herein. Die beiden Männer tauschten alarmierte Blicke, ehe sie gleichzeitig losstürzten.
***
„Das gibt‘s doch nicht!“ Der neue Pfleger stand vor dem Ehepaar Hohlbein, doch seine Aufmerksamkeit gehörte einzig und allein Benedikt. „Was machst du denn hier?“ Die Freude über das unvermutete Wiedersehen sprang ihm förmlich aus dem Gesicht.
„Sascha Konen! Das ist ja eine Ewigkeit her, dass wir uns zum letzten Mal gesehen haben.“ Benni musterte sein Gegenüber eingehend. „Du siehst immer noch so aus wie früher.“ Er wandte sich an seine Frau. „Sascha war der Star des Flugs LH 458 nach San Francisco. Und mit Sicherheit nicht nur, weil er die Platzwunde an meiner Stirn so fachmännisch versorgt hat.“
Blitzschnell erinnerte sich Clara an die Geschichten, die ihr Mann ihr im Laufe der Zeit erzählt hatte.
„Ah, jetzt weiß ich. Der Flug mit den Turbulenzen. Das ist ja mindestens zehn Jahre her.“
„Alle Achtung.“ Sascha zog einen imaginären Hut. „Die Frau kennt sich aus in deinem Leben.“
Benedikt lachte. „Das sollte sie auch. Immerhin ist sie seit über fünf Jahren mit mir verheiratet.“
„Hoffentlich weiß du, was für ein Glückspilz du bist“, erwiderte Sascha leichthin. „Sie ist eine Schönheit.“
Clara spürte das Blut in ihren Wangen brennen. Ein Gefühl der Sympathie durchflutete sie, als sie dem Pfleger die Hand reichte. Der Druck war warm und fest.
„Warum hast du mir nicht erzählt, was für nette Menschen du kennst?“, wandte sie sich scherzhaft an Benedikt.
„Wie gesagt, wir haben uns seit dem Unfall damals nicht wiedergesehen, obwohl wir Telefonnummern getauscht haben. Aber wahrscheinlich war Sascha viel zu sehr damit beschäftigt, sich mit seinen Verehrerinnen zu treffen, als mit mir zu telefonieren“, plauderte Benedikt unbedarft, während sich Stefan Frank und Dr. Waldner im Hintergrund hielten.
„Es war anders.“ Mit einem Mal war Saschas Stimme überraschend scharf. „Du hast irgendwann nicht mehr auf meine Nachrichten reagiert.“
„Ach, wirklich?“ Benedikt überspielte seine Verlegenheit mit einem Lachen. „Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.“ Das war die Wahrheit, doch Sascha war deutlich anzusehen, dass er ihm nicht glaubte. Er wandte sich an Clara.
„Wenn ich geahnt hätte, was für eine schöne Frau du hast, wäre ich hartnäckiger gewesen.“ Sascha zwinkerte Clara zu. Doch die bemerkte Benedikts Blick. Demonstrativ griff sie nach der Hand ihres Mannes und drückte sie.
„Das ehrt mich sehr. Aber Benni ist die Liebe meines Lebens. Gegen ihn hat keiner eine Chance.“
Sascha lachte unbekümmert.
„Wie sagt man so schön? Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Aber jetzt mal im Ernst: Ich freue mich sehr für euch. Man sieht selten ein Paar, das so gut zusammenpasst wie ihr beide.“
Benedikt freute sich über das Kompliment und wollte sich eben dafür revanchieren, als Sascha seinen neuen Chef mit einem Blick über die Schulter bedachte.
„Jetzt muss ich mich aber an die Arbeit machen, sonst mache ich gleich einen schlechten Eindruck.“
„Du arbeitest hier?“, fragte Benedikt verblüfft.
„Ist das nicht toll? Dank dem großartigen Dr. Frank bekomme ich eine Chance an dieser Klinik.“ Er nickte in Stefans Richtung. „Ich kann es selbst noch gar nicht glauben.“
Obwohl Benedikt gerne mehr über Sascha erfahren hätte, fühlte er, wie beim Anblick der beiden Ärzte seine Nervosität wieder aufflammte. Zudem schien Dr. Frank in Eile zu sein. Er trat unruhig von einem Bein auf das andere.
„Wir müssen uns jetzt leider entschuldigen. Dr. Waldner und Dr. Frank erwarten uns. Aber melde dich doch mal bei mir.“ Er zog eine Visitenkarte aus der Sakkotasche und reichte sie Sascha. „Clara ist ab morgen für ein paar Tage unterwegs. Danach können wir uns ja mal treffen.“
Freudig nahm Sascha das Kärtchen und verstaute es sorgfältig in seinem Geldbeutel.
„Das mache ich mit Sicherheit.“ So, wie er das sagte, klang es fast wie eine Drohung. Doch bevor sich Benedikt wundern konnte, eilte der Pfleger schon davon.
Sascha spürte die Blicke in seinem Rücken. Was für ein großartiges Gefühl! Schon lange hatte er sich nicht mehr so gut gefühlt wie an diesem Tag.
***
Eine halbe Stunde später war Clara Hohlbein in Begleitung einer Schwester unterwegs in die Gynäkologie. Benedikt wurde inzwischen in der Urologie untersucht. Diese Gelegenheit nutzte Dr. Stefan Frank, um seinem Patienten Florian Wirth einen Besuch abzustatten. Er fand ihn im Bett. Das Tablett vom Mittagessen stand noch auf dem Nachttisch.
„Hallo, Herr Wirth. Wie geht es Ihnen?“ Dr. Frank griff nach dem Krankenblatt und setzte sich ans Bett.
„Ganz gut.“
Überrascht zog Stefan eine Augenbraue hoch.
„Stimmt was nicht?“ So kannte er Florian nicht. Trotz schwerer Krankheit war der junge Mann immer optimistisch gewesen. Was war geschehen? „Haben Sie Schmerzen? Werden Sie nicht gut versorgt? Fehlt es Ihnen an etwas?“
Drei Fragen, dreimal Kopfschütteln.
„Alles bestens, wirklich.“
Das bezeugte auch das Krankenblatt, wie Dr. Frank feststellte. Was also war nicht in Ordnung mit seinem Patienten?
„Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass hoffnungsvolle, optimistische Menschen schneller wieder gesund werden als diejenigen, die nicht an eine Genesung glauben“, sprach er eindringlich auf den jungen Mann ein. „Und Sie wollen doch so schnell wie möglich wieder gesund werden, oder?“
Flo zuckte mit den Schultern.
„Sie haben doch bestimmt auch nicht immer gute Laune.“
„Das stimmt“, musste Stefan Frank zugeben.
„Und was tun Sie in so einem Fall?“
„Ich rede mit meiner Freundin.“
Florian lächelte schief.
„Und wenn ich keine habe?“
„Dann sprechen Sie doch einfach mit mir. Schon wegen meiner Schweigepflicht bin ich als Arzt besser als jeder Freund dazu geeignet, ein Geheimnis zu bewahren“, erklärte Stefan spitzbübisch und hoffte, Florian Wirth zu überzeugen. Seine Hoffnung war nicht vergeblich.
Nach kurzer Bedenkzeit gab sich der junge Mann einen Ruck.
„Also schön. Aber Sie dürfen nicht lachen“, verlangte er. Hektische rote Flecken tanzten auf seinen Wangen. „Es geht um eine Schwester. Genauer gesagt um Schwester Greta.“
Florian wagte es nicht, seinem Arzt ins Gesicht zu sehen. Stattdessen musterte er das farbenfrohe Bild an der gegenüberliegenden Wand. Ein Meer bunter Sommerblumen, die sich im Wind wiegten und mit der Sonne am Himmel flirteten.
„Sie hat die Aufnahmeformalitäten erledigt und war danach jeden Tag bei mir“, berichtete er stockend. „Wir haben uns gut verstanden und uns über Gott und die Welt unterhalten. Jedes Mal, wenn sie ins Zimmer kam, ist die Sonne aufgegangen.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich war mir so sicher, dass sie genauso fühlt wie ich. Und dann habe ich alles kaputt gemacht.“
Dr. Frank schwante Böses. Florian hatte doch hoffentlich nicht versucht, die Schwester zu küssen?
„Was ist passiert?“
„Ich habe sie gefragt, ob ich sie zum Essen einladen darf.“
Um ein Haar hätte Stefan gelacht.
„Und was hat Schwester Greta geantwortet?“
„Vielleicht.“ Ein wehmütiges Lächeln huschte über Florians Gesicht. „Seitdem ist sie spurlos verschwunden. Ich habe schon ihre Kolleginnen gefragt. Aber niemand will mir eine Auskunft geben, was passiert ist.“
„Das müssen Sie verstehen“, warb Dr. Frank um Verständnis. „Das hier ist Schwester Gretas Arbeitsplatz. Der private Kontakt zu Patienten wird nicht gerne gesehen.“
„Aber das hätte sie mir doch sagen können.“ Florian knetete die Finger. „Es ist ein blödes Gefühl, dass sie einfach so verschwunden ist.“
„Vielleicht hat sie Urlaub.“
Florian zog eine Augenbraue hoch. Sein Blick hätte einen Stein erweichen können.
„Sie würden mich auslachen, wenn Sie wüssten, was ich mir schon alles ausgemalt habe“, gestand er mit brennenden Wangen. „Aber das alles bringt mich nicht weiter. Könnten Sie nicht mal nachfragen, wo sie steckt? Ausnahmsweise. Ich verrate Sie auch nicht. Bitte.“
Stefan Frank haderte mit sich.
„Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann“, versprach er nach eingehender Überlegung. Die Genesung seines Patienten stand an oberster Stelle. Als sein Hausarzt musste er alles dafür tun. Und schließlich hatte Florian nicht um eine Verabredung, sondern lediglich um eine Auskunft gebeten.
Als er ihm kurz darauf berichtete, dass Schwester Greta überraschend krank geworden war und deshalb nicht mehr zur Arbeit kam, war Dr. Frank mit seinem Gewissen im Reinen.
***
Auch ohne den Namen an der Tür war auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich bei dem Chefarzt der Gynäkologie um eine Frau handelte.
Anders als die meisten ihrer männlichen Kollegen legte Gabriele Beyer-Horn großen Wert auf eine behagliche Umgebung. Fantasievoll gemusterte Kissen auf der Besucher-Couch, mit Blumendekor verzierte Kaffeetassen, bunte Bilder an den Wänden und Fotos ihrer Lieben auf dem Schreibtisch verliehen dem Büro eine Wohnzimmeratmosphäre.
In dieser Umgebung fiel es Clara Hohlbein leichter, über ihre Probleme zu sprechen.
„Obwohl ich ihn mehrmals darauf angesprochen habe, hat sich mein Frauenarzt leider gegen jede Fruchtbarkeitsuntersuchung gesträubt“, berichtete sie Frau Dr. Beyer-Horn. „Er meinte, ich sei noch jung genug und solle ein wenig Geduld haben.“
„Auf der einen Seite hat Dr. …“, die Chefärztin warf einen Blick auf ihre Notizen, „… Roselieb schon recht“, brach sie eine Lanze für den Kollegen. „Wenn es aber über mehrere Monate hinweg nicht klappen will mit einer Schwangerschaft, sollte man schon einmal einen Bluttest und eine Ultraschalluntersuchung machen.“
Sie nickte ihrer Patientin zu.
„Denn wie Sie richtig sagen: Die Zeit spielt nicht für Sie. Je älter eine Frau ist, umso schwieriger wird es, schwanger zu werden. Schon im Alter von fünfunddreißig Jahren sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft auf fünfzig Prozent im Gegensatz zu einer Frau zwischen neunzehn und sechsundzwanzig.“
„Und ich bin ja fast dreißig.“ Heimlich hoffte Clara, dass der Grund für die Kinderlosigkeit bei ihr lag. Sie wusste nicht, wie Benedikt auf ein schlechtes Spermiogramm reagieren würde. Aus Angst davor nahm sie die Schuld lieber auf ihre Kappe. „Was haben Sie denn jetzt vor?“ Ihr hoffnungsvoller Blick hing an Gabriele Beyer-Horn.
„Zunächst einmal nimmt Ihnen eine Schwester Blut ab. Außerdem brauchen wir eine Urinprobe. Diese Untersuchungen geben Aufschluss über mögliche hormonelle Ursachen der ausbleibenden Schwangerschaft.“
„Das ist ja noch harmlos.“ Clara lächelte tapfer.
Dr. Beyer-Horn erwiderte das Lächeln.
„Keine Angst. Auch eine Untersuchung der Gebärmutterschleimhaut ist sehr gut zu ertragen. Danach haben wir mehrere diagnostische Möglichkeiten. Bevor ich Sie aber ans Messer liefere, nimmt sich der Kollege Ihren Mann zur Brust“, scherzte sie, um die angespannte Stimmung etwas aufzulockern.
Clara tat ihr den Gefallen und lachte.
„Wann bekommen wir denn das Ergebnis?“
„Ein paar Tage müssen Sie den Kollegen im Labor schon zugestehen. Das Ergebnis des Spermiogramms erhalten Sie dagegen schon morgen.“
Morgen! Da wäre sie in Hamburg und konnte ihrem Mann nicht beistehen, wenn es denn nötig war. Claras Herz wurde schwer vor Sorgen. Schnell dachte sie an etwas anderes.
„Und was passiert, wenn diese Werte alle in Ordnung sind?“
„Dann kommen Sie in den Genuss der modernen Medizin. Vom Postkoitaltest über bildgebende Verfahren bis hin zu einer Eileiter-, Gebärmutter- und Bauchspiegelung ist alles drin. Aber darüber sollten Sie sich wirklich noch keine Gedanken machen.“ Gabriele Beyer-Horn lächelte freundlich, um Clara die Sorgen aus dem Gesicht zu vertreiben. „Wir gehen einen Schritt nach dem anderen.“
Mit diesen Worten hob sie den Hörer, um eine Schwester mit der Blutabnahme zu beauftragen.
Nach ein paar Minuten war die Prozedur erledigt, und ehe es sich Clara versah, fand sie sich in dem Aufenthaltsraum wieder, in dem sie auf ihren Mann warten sollte.
Angezogen von einem Quietschten trat sie ans Fenster und sah hinunter in den Garten der Klinik. Der Spielplatz lag direkt unter ihr.
Ein Mädchen schaukelte wild auf und ab. Die blonden Zöpfe flogen durch die Luft. Zwei Kinder saßen daneben im Sand und stritten sich um einen blauen Bagger, während ein kleiner Junge auf der Wiese hockte und mit hochkonzentrierter Miene auf einen Punkt starrte. Zu gerne hätte Clara gewusst, was er dort sah.
Der Gedanke daran, die Welt durch die Augen ihres Kindes neu zu entdecken, ließ ihr Herz höherschlagen. Als sie Schritte hinter sich hörte, drehte sie sich um.
„Und? Wie war es?“, fragte sie ihren Mann nach einem Begrüßungskuss.
„Das möchtest du nicht wirklich wissen.“ Benni nahm seine Frau an der Hand und zog sie mit sich. Er hatte es eilig, aus der Klinik zu kommen.
Durch die Türen der Waldner-Klinik traten sie hinaus in den Frühlingsnachmittag. Eine frische Brise zerzauste Claras Haar und wehte die Geräusche der nahen Straße herüber. In der Nähe knatterte eine Motorsäge. Ein Flugzeug zog einen Kondensstreifen über den weißblauen Himmel. Unwillkürlich musste Clara wieder an die Begegnung mit dem Pfleger denken.
„Ist das nicht ein lustiger Zufall, dass du deinen Retter von damals ausgerechnet hier wiedertriffst?“
„Das stimmt schon. Ich hab seit Jahren nicht an ihn gedacht.“
„Dabei ist er ein beeindruckender Mann. Er sprüht förmlich vor Lebensfreude.“
Während sie den Gehweg entlanggingen, ließ Benedikt seine Gedanken schweifen.
„Damals war er anders. Still und zurückhaltend und nicht annähernd so auffallend wie jetzt.“
„Trotzdem muss er ja schon vor zehn Jahren etwas an sich gehabt haben. Sonst hättest du ihn nicht sofort wiedererkannt.“
Benni schickte seiner Frau einen Seitenblick.
„Interessiert er dich etwa?“
Claras Lachen war ein bisschen zu laut für seinen Geschmack.
„Wirklich nicht. Ich finde ihn nur sympathisch. Außerdem hat er dir damals geholfen. Schon allein dafür muss ich ihn mögen.“ Sie drückte sich an ihn und lächelte mit der Sonne am Himmel um die Wette.
Benedikt erwiderte ihr Lächeln. Höchste Zeit, dass die Unbeschwertheit wieder Einzug hielt in ihrer Beziehung. Viel zu lange hatten sie nicht mehr miteinander gescherzt und gelacht. Dabei war Claras Sinn für Humor einer der Gründe gewesen, warum Benedikt sich damals in sie verliebt hatte. Er legte den Arm um ihre Schultern, spürte ihren Körper an seiner Seite. Im Gleichschritt gingen sie weiter.
„Kann es sein, dass du erleichtert bist?“, fragte Clara aufgekratzt.
„Natürlich!“, erwiderte er im Brustton der Überzeugung. „Schließlich grenzt es an ein Wunder, dass wir dieser Hölle lebendig entkommen konnten.“ Sie sahen sich an und lachten wie Komplizen.
Clara wand sich aus der Umarmung und griff nach seiner Hand.
„Komm! Lass uns was Verrücktes machen!“ Sie zog ihn mit sich Richtung Trambahn. „Ich weiß auch, was. Wir suchen uns ein Hotel mit Dachterrasse und lassen Papierflieger fliegen.“
Es tat Benedikt in der Seele weh, den Enthusiasmus seiner Frau bremsen zu müssen.
„Ich habe leider in einer Stunde einen Termin in Freimann.“
Es war, als hätte jemand das Licht ausgeknipst. Ein Schatten verdunkelte Claras Gesicht.
„Und morgen früh muss ich nach Hamburg“, seufzte sie. „Wirklich schade, dass du mich nicht begleiten kannst. Ein paar gemeinsame Erlebnisse und unbeschwerte Stunden würden uns guttun.“
„Das klang aber heute Vormittag noch ganz anders“, platzte Benni heraus.
„Ach ja?“ Da war sie wieder, die Wildkatze. Benedikt hätte es wissen müssen. „Wenn ich mich recht daran erinnere, warst du derjenige, der ganz froh war, mich mal für eine Weile los zu sein.“
Benedikt verdrehte die Augen gen Himmel. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, zog die Schultern hoch und marschierte neben seiner Frau her.
„Und wenn ich mich recht erinnere, habe ich den Vorschlag gemacht, dich zu begleiten“, beschwerte er sich und kickte eine Dose weg, die am Wegesrand lag. Klackernd hüpfte sie über den Gehweg, ehe sie von einer Litfaßsäule aufgehalten wurde. Clara bückte sich danach und warf sie in einen Abfalleimer. Sie war ein einziger, stummer Vorwurf.
Doch Benedikt wollte sich kein schlechtes Gewissen machen lassen. Diesmal nicht.
„Aber für mich ist es auch okay, wenn du alleine fährst. Ich wollte dir einfach nur signalisieren, dass ich es in Ordnung finde, wenn du in Hamburg Spaß hast, ob mit mir oder ohne mich.“
„Du drehst es auch genau so, wie du es brauchst“, konterte Clara erbarmungslos.
„Warum redest du überhaupt noch mit mir, wenn ich es dir sowieso nicht recht machen kann?“, fragte Benedikt ungehalten zurück und wich einem Mädchen aus, das auf einem Laufrad direkt auf ihn zusteuerte. „Dann lass es doch einfach.“
„Ich wüsste nicht, was ich lieber täte. Ab morgen habe ich glücklicherweise jede Menge Zeit dafür.“
Damit war alles gesagt. Zum Glück war der Weg nicht mehr weit. Bald kam das Mietshaus in Sicht, in dem im dritten Stock ihre Altbauwohnung lag. Die Wohnungstür war kaum hinter ihnen ins Schloss gefallen, als sich Benedikt ins Arbeitszimmer verzog und Clara ins Schlafzimmer ging, um ihren Koffer fertig zu packen.
Dabei sehnten sich beide nach einem versöhnlichen Wort, nach einer zärtlichen Geste des Menschen, mit dem sie eigentlich den Rest ihres Lebens verbringen wollten. Doch selbst das war in diesem Augenblick alles andere als sicher.
***
Im Gegensatz zum Ehepaar Hohlbein war Sascha voll und ganz zufrieden mit seinem Dasein. Im Handumdrehen wurde die Waldner-Klinik zu seinem zweiten Zuhause. Das lag allerdings nicht an seinem Beruf.
Seiner Ansicht nach gab es spannendere Aufgaben als Puls und Blutdruck zu messen, Verbände zu wechseln, Spritzen und andere Medikamente zu verabreichen und Essen zu servieren. Trotzdem hätte er mit niemandem getauscht.
Seine Arbeit gab ihm das gute Gefühl, gebraucht zu werden, wichtig zu sein. Doch das war nur ein Teil der Wahrheit. Ein weiterer Grund für seine Zufriedenheit war das Wiedersehen mit Benedikt.
Der überhebliche, selbstgerechte Benedikt, der ihn einfach vergessen und nicht mehr auf seine Nachrichten reagiert hatte. Und das, obwohl er dem Verletzten damals selbstlos zu Hilfe geeilt war, um die Platzwunde auf dem Flug LH 485 zu versorgen. Nie würde er vergessen, wie der blutüberströmte Benedikt auf dem Boden gesessen und ihn um Hilfe angefleht hatte.
Und was war der Dank gewesen? Ein Händedruck und das Versprechen, in Kontakt zu bleiben. Seit Jahren saß dieser Stachel unter Saschas Haut und wollte nicht aufhören, zu schmerzen. Doch das Schicksal hatte ein Einsehen gehabt. Die Zeit der Rache war endlich gekommen. Nun musste er nur noch darüber nachdenken, wie er Benedikt treffen konnte.
„Was stehen Sie da herum und starren aus dem Fenster?“ Die Stimme der Oberschwester riss ihn aus seinen Gedanken. Die Nierenschale aus Chrom klirrte, als sie sie unsanft auf dem Sideboard im Schwesternzimmer abstellte. „Wenn Ihnen langweilig ist, können Sie gerne die Neuaufnahme übernehmen.“
Während sie sprach, wirbelte sie hin und her.
„Wir brauchen eine Blut- und Urinprobe, Fieber, Puls, Blutdruck. Das ganze Programm eben. Die Aufnahmeunterlagen von Herrn Berger liegen auf meinem Schreibtisch.“ Mit dem Kopf deutete sie hinüber auf den Tisch.
„Was fehlt ihm denn?“, erkundigte sich Sascha pflichtschuldig und trat an den Schreibtisch, um einen Blick in die Akte zu werfen.
„Verdacht auf Metabolisches Syndrom“, erwiderte die Oberschwester und war schon wieder auf dem Weg zur Tür. „Der Chef will die Proben in einer halben Stunde im Labor haben.“ Sie nickte Sascha zu und stürmte aus dem Zimmer. Ihr Kittel wehte hinter ihr her.
Sascha sah ihr nach. Was hatte er dieser Frau getan, dass sie so unfreundlich war? Doch da war niemand, der ihm diese Frage beantworten konnte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich an die Arbeit zu machen.
Er griff nach dem Klemmbrett mit den Angaben von Patrick Berger und verließ das Schwesternzimmer. Draußen wäre er um ein Haar mit einem Mann zusammengestoßen.
„Hoppla, immer langsam mit den jungen Pferden“, rief Dr. Stefan Frank. Nachdem er einem weiteren Patienten einen Besuch abgestattet hatte, wurde es für den Grünwalder Arzt Zeit, nach Hause zu fahren. Seine Freundin Alexandra wartete auf ihn. Als er den Bruder seiner Patientin erkannte, lächelte er. „Ach, Herr Konen, Sie sind das.“
Saschas Herz klopfte wild.
„Herr Dr. Frank!“ Der Arzt kam ihm wie gerufen, und er setzte ein Lächeln auf. „Wie schön, wenigstens ein freundliches Gesicht zu sehen.“
Verwundert sah Stefan den Pfleger an.
„Das klingt ja so, als ob Sie hier nicht gut behandelt würden.“
Saschas Lächeln wurde verlegen, fast ein bisschen schüchtern.
„Schon gut, ich will mich nicht beklagen. Immerhin haben Sie mir zu dieser Stelle verholfen.“
„Das bedeutet aber nicht, dass Sie hier leiden sollen. Was ist los?“
Sascha wich dem Blick des Arztes aus und sah hinunter auf die Unterlagen in seinen Händen.
„Ach, ich weiß auch nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte mich der Chef nur eingestellt, um Ihnen einen Gefallen zu tun. Und auch die Oberschwester ist nicht sehr freundlich.“
„Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen. Momentan geht es hier zu wie im Taubenschlag. Da kommt es schon mal vor, dass ein rauer Wind weht. Hauptsache ist doch, dass die Patienten gut versorgt sind. Dafür braucht Dr. Waldner zuverlässige und engagierte Mitarbeiter wie Sie“, sprach Dr. Frank ihm Mut zu.
Offenbar handelte es sich bei Sascha um ein besonders sensibles Exemplar, wie er insgeheim feststellte. Aber das war längst nicht alles. Es war faszinierend, zu beobachten, wie schnell sich seine Miene änderte. Im ersten Moment zu Tode betrübt, strahlte Sascha plötzlich wie die Sonne persönlich.
„Sie sind ein guter Mensch, Herr Dr. Frank. Ihre Patienten können sich glücklich schätzen, einen solchen Arzt an ihrer Seite zu haben. Genau wie Benedikt und seine Frau. Ich hoffe, der Grund für ihren Aufenthalt in der Klinik ist nicht gravierend.“ Es war ein Versuch.
Doch Dr. Frank dachte nicht daran, in die Falle zu tappen.
„Keine Angst, eine reine Routinesache“, versicherte er lächelnd. „Und im Übrigen tue ich nur meine Pflicht.“
„Dann tun Sie die eben besonders gut.“
Langsam, aber sicher wurde Stefan Frank diese Begegnung peinlich.
„Vielen Dank für die Blumen. Ich muss jetzt leider los. Und wenn ich mich nicht irre, haben Sie auch alle Hände voll zu tun.“ Er deutete auf die Unterlagen in Saschas Hand.
„Sie haben wie immer recht.“ Ein Lächeln auf den Lippen, machte sich der Krankenpfleger endlich auf den Weg.
Einen Moment lang stand Stefan Frank da und sah ihm nach. Ulrich Waldner hatte vollkommen recht. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mann. Doch was es war, darauf hatte Stefan auch keine Antwort. Deshalb schob er den Gedanken weg und machte sich endgültig auf den Heimweg, um den wohlverdienten Feierabend anzutreten.
***
Ein neuer Morgen graute. Noch hatte die Sonne Mühe, sich durch Wolken und Nebelschwaden zu kämpfen. Deshalb fiel statt blendenden Strahlen nur graues Licht durch die Vorhänge in die Wohnung des Ehepaars Hohlbein.
Clara war schon früh auf den Beinen. Der Streit mit Benedikt war immer noch nicht beigelegt, und sie hatte kaum ein Auge zugetan in dieser Nacht. Nach einer ausgiebigen Dusche zog sie sich an und packte ihre restlichen Sachen. Benni schlief derweil den Schlaf des Gerechten. Vielleicht tat er auch nur so.
Clara konnte es nur recht sein. Auf keinen Fall wollte sie eine weitere Auseinandersetzung. Ganz im Gegenteil wünschte sie sich nichts mehr als die Harmonie zurück, die so viele Jahre bei ihnen gewohnt hatte. Doch so einfach schien es nicht zu sein. Seufzend ließ sie den Blick noch einmal über Gepäck gleiten. Dann wurde es auch schon Zeit, ein Taxi zu rufen, das sie zum Flughafen bringen sollte.
Sie wählte die Nummer des Fahrdienstes und gab ihre Daten durch. Während sie telefonierte, tauchte Benedikt im Flur auf. Er war nur mit Boxershorts bekleidet. Bei jedem Schritt spielten die Muskeln unter seiner leicht gebräunten Haut. Sein Anblick ließ Claras Herz trotz ihrer verletzten Gefühle höherschlagen. Doch das musste er ja nicht unbedingt wissen.
„Du siehst aus, als wärst du in einen Wirbelsturm geraten“, sagte sie, nachdem sie das Telefonat beendet hatte.
„So fühle ich mich auch. Ich hab die halbe Nacht nicht geschlafen.“ Benni widerstand der Versuchung, seine Frau in die Arme zu schließen und zu küssen. Stattdessen ging an ihr vorbei und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen.
Das Mahlwerk knirschte, gefolgt von einem tiefen Brummen. Während der Kaffee in die kleine Tasse plätscherte, wehte ein aromatischer Duft durch die Küche.
„Warum hast du mich nicht geweckt?“ Benedikt warf ein Stück Würfelzucker in die Tasse und rührte um.
„Ich wollte dich nicht stören.“
„Oder dich nicht von mir verabschieden“, sagte er ihr auf den Kopf zu.
Clara seufzte tief.
„Sind wir schon so tief gesunken, dass wir uns solche Verdächtigungen an den Kopf werfen müssen?“
Benedikt stellte die Espressotasse zurück auf den Unterteller.
„Nein, natürlich nicht. Du hast recht. Es tut mir leid“, entschuldigte er sich zerknirscht. Er sah sie an und schwieg. „Warum nur streiten wir uns in letzter Zeit immer?“, fuhr er endlich hilflos fort. „Dabei würde ich dir viel lieber zeigen, wie sehr ich dich liebe.“
Auf der Straße ertönte eine Hupe. Clara trat ans Fenster und schob den Vorhang ein Stück zur Seite.
„Mein Taxi ist da.“
„Und wir haben wieder einmal eine Chance verpasst, nett zueinander zu sein. Jetzt müssen wir uns eine ganze Woche gedulden, bis wir uns versöhnen können.“